Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 7 U 248/13

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Baden-Baden vom 28. November 2013 - 3 O 272/11 - wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Streithelferin. Diese behält ihre außergerichtlichen Kosten und Auslagen auf sich.

III. Das Urteil und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Die Vollstreckung kann durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages abgewendet werden, wenn nicht die Gegenseite zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

 
I.
Der Kläger begehrt Feststellung der Ersatzpflicht für bereits eingetretenen und zukünftig eintretenden materiellen und immateriellen Schaden im Zusammenhang mit einem Notarzteinsatz des Beklagten Ziffer 1 und einem der Beklagten Ziffer 2 als Träger zugeordneten Rettungsdiensteinsatz. Das Landgericht, auf dessen Urteil wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im ersten Rechtszug sowie der getroffenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat der Klage gegen den Beklagten Ziffer 1 in vollem Umfang stattgegeben. Eine Haftung des Beklagten Ziffer 2 hat es hingegen verneint. Zwischen dem Kläger und dem Beklagten Ziffer 2 bestünden keinerlei vertragliche Beziehungen. Deliktische Ansprüche seien zu verneinen, da der Beklagte Ziffer 1 nicht als Verrichtungsgehilfe des Beklagten Ziffer 2 anzusehen sei. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er sein erstinstanzliches Begehren auch gegenüber dem Beklagten Ziffer 2 weiter verfolgt. Der Beklagte Ziffer 2 bestreitet seine Passivlegitimation. Er ist der Ansicht, der Streitfall sei nach Amtshaftungsgrundsätzen zu beurteilen. Im Übrigen verteidigt er unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens das angefochtene Urteil.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen, wegen der Antragstellung auf die Sitzungsniederschrift vom 07.08.2014 (II 63-65).
II.
Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.
Dem Kläger steht die begehrte Feststellung weder aus Vertrag gemäß §§ 280, 611, 278, 253, 249 BGB noch aus deliktischer Haftung gemäß §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 253, 249 BGB zu.
1. Entgegen der Ansicht des Beklagten Ziffer 2 scheitert eine Inanspruchnahme allerdings nicht bereits an seiner mangelnden Passivlegitimation. Das Deutsche Rote Kreuz, Kreisverband R. e.V. ist als Träger bei dem hier streitgegenständlichen rettungsdienstlichen Einsatz nicht hoheitlich, sondern privatrechtlich tätig geworden. Der Senat folgt insoweit der Auffassung des Bundesgerichtshofes (BGH NJW 1992, 2882), der dies zur Fassung des RDG-BW in Form der Bekanntmachung vom 01.09.1983 ausdrücklich entschieden hat. Erhebliche Gründe, die Rechtslage nach der - hier maßgeblichen - Neufassung des RDG in der Fassung der Bekanntmachung vom 08.02.2010 (GBl. vom 04.03.2010, 285) anders zu beurteilen oder aus anderen Erwägungen von der Rechtsprechung abzuweichen, sieht der Senat nicht (so auch Wöstmann in: Staudinger, BGB - Neubearbeitung 2012 § 839 Rdnrn. 624 und 626; für die Fassung vom 15.07.1998 ebenso Senat, Beschluss vom 07.01.2013 - 7 U 89/12 -, unveröffentlicht, und OLG Stuttgart NJW 2004, 2987). So ist die Versorgung der Bevölkerung mit leistungsfähigen Einrichtungen des Rettungsdienstes in allen Gesetzesfassungen des RDG nur dann Pflichtaufgabe der Land- und Stadtkreise, wenn sie nicht durch Vereinbarungen mit privaten Rettungsdienstleistern sichergestellt ist (§ 2 Abs. 3 RDG-BW 2009) und nur im Fall des § 2 Abs. 3 RDG-BW stellt sich die Durchführung des Rettungsdienstes als Ausübung eines öffentlichen Amtes dar. Ein solcher Fall lag jedoch unstreitig nicht vor, vielmehr erfolgte der Einsatz durch das DRK als Leistungsträger nach § 2 Abs. 1 RDG-BW 2009.
Aus den Urteilen des Bundesgerichtshofes vom 25.09.2007 (KZR 48/05, vorhergehend OLG Karlsruhe und KZR 14/06, vorhergehend OLG Stuttgart) folgt nichts anderes. In diesen Entscheidungen hat der BGH allein die Lenkungstätigkeit der Rettungsleitstellen nach § 6 RDG-BW als hoheitlich angesehen. Ausschlaggebend hierfür war die Funktion der Leitstellen, sowohl Notfallrettungs- als auch Krankentransporteinsätze in Baden-Württemberg zu lenken, zu steuern, und die den Rettungsleitstellen hierzu eingeräumten Weisungsbefugnisse. Über die Frage, ob das baden-württembergische Landesrecht auch den Notfallrettungseinsatz selbst als hoheitliche Tätigkeit ausgestaltet hat, hat der BGH hingegen gerade keine Entscheidung getroffen. Allerdings genügen nach seinen Ausführungen der möglicherweise öffentlich-rechtliche Charakter der Verträge zwischen dem Sozialministerium und den Rettungsdiensten, die Förderung durch öffentliche Mittel, die Genehmigungspflicht und die Bindungen für Benutzungsentgelte auch in ihrem Zusammenhang nicht, um die Leistungsträger als Beliehene oder als Verwaltungshelfer anzusehen. Andere gesetzliche Vorschriften, die dies ausdrücklich anordnen oder nach ihrem Zusammenhang ergeben, sind nicht ersichtlich und vermag auch der Beklagte Ziffer 2 nicht aufzuzeigen.
2. Der Beklagte Ziffer 2 haftet dem Kläger weder aus Vertrag gemäß §§ 280, 611, 278, 253, 249 BGB noch aus deliktischer Haftung gemäß §§ 823 Abs. 1, 831 Abs. 1, 253, 249 BGB.
a. Zwischen den Parteien des Berufungsrechtszuges kam, da der Kläger zum Zeitpunkt des Eintreffens der Rettungssanitäter ansprechbar war, ein Rettungsdienstvertrag zustande. Der Beklagte Ziffer 2 hat seine Pflichten aus diesem Vertrag nicht verletzt.
aa. Die Organisation des Einsatzes und der Gebrauch von Hilfsmitteln stehen zwischen den Parteien nicht im Streit.
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bb. Soweit die Berufung eine Verpflichtung zumindest des Zeugen K. behauptet, gegenüber der Notrufzentrale des Beklagten Ziffer 2 zu remonstrieren, um die Beauftragung eines anderen - weiteren - Arztes zu erreichen, dringt sie damit nicht durch. Nach § 3 Ziffer 1. der Rahmenvereinbarung über die Mitwirkung von an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten (Vertragsärzten) und Nichtvertragsärzten sowie von Krankenhausärzten im Rettungsdienst nach § 10 des Rettungsdienstgesetzes Baden-Württemberg (RDG) mit Anlage 1 und 3 (Güntert/Alber/Lottermann in: Praxis der Kommunalverwaltung K 23 BW, zitiert nach beck-online) übernimmt der Notarzt die ärztliche Versorgung des Notfallpatienten am Einsatzort und erforderlichenfalls während des Transportes in eine für die weitere Versorgung geeignete Einrichtung sowie die Dokumentation des Einsatzes. Er ist während seines Einsatzes gegenüber dem Rettungsdienstpersonal fachlich weisungsbefugt. Sind mithin die Rettungssanitäter und Rettungsassistenten ab Übernahme der Versorgung des Notfallpatienten durch den Notarzt dessen Weisungen unterworfen, sind sie insoweit von eigener Verantwortung grundsätzlich befreit. Anderes kann zwar unter Umständen dann gelten, wenn die im nichtärztlichen Rettungsdienst Tätigen aufgrund ihrer eigenen Ausbildung erkennen müssen, dass das Vorgehen des Arztes vollkommen regelwidrig und unverständlich ist bzw. wenn sich das Vorgehen des Arztes als schlechterdings unvertretbar mit dem erkennbaren Erfordernis sofortiger Intervention darstellt (zum Verhältnis von Hebamme und geburtsleitendem Arzt BGH NJW 2005, 888; OLG Hamm VersR 2006, 512; OLG Düsseldorf VersR 2008, 534). So liegt es hier indessen nicht. Der Sachverständige Prof. W. hat in seiner Anhörung vor dem Landgericht ausgeführt (I 513/515), eine lokale neurologische Symptomatik, wie sie beim Kläger zumindest zeitweise vorgelegen habe, könne mehrere Ursachen haben. Eine mögliche Ursache sei auch ein alkoholbedingter Zusammenbruch. Nachdem der Notarzt neurologische Untersuchungen an dem Kläger vorgenommen und - anders als der Zeuge K. - zusätzlich Alkoholgeruch festgestellt hatte, musste der hiervon unterrichtete Zeuge nicht davon ausgehen, das Vorgehen des Notarztes sei schlechterdings unvertretbar.
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cc. Der Beklagte Ziffer 2 haftet nicht für ein Fehlverhalten des Beklagten Ziffer 1. Der Notarzt ist nicht Erfüllungsgehilfe des Beklagten Ziffer 2, da er nicht mit dessen Willen bei der Erfüllung einer diesem obliegenden Verpflichtung als seine Hilfsperson tätig wird. Art und Inhalt des zwischen den Parteien des Berufungsrechtszuges geschlossenen Vertrages umfassen nicht die Ausführung und den Inhalt der notärztlichen Tätigkeit.
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aaa. Zwischen den Beklagten besteht kein Beschäftigungsverhältnis, in dessen Rahmen der Beklagte Ziffer 2 für ein Fehlverhalten des Beklagten Ziffer 1 einzustehen hätte. Der zwischen beiden geschlossene Vertrag vom 13.06.2005 regelt lediglich das organisatorische Zusammenwirken der Vertragsparteien untereinander, was durch die in Bezug genommene Empfehlungsvereinbarung weiter konkretisiert wird. Eine persönliche Abhängigkeit, wie sie regelmäßig als Voraussetzung für das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses angenommen wird (vgl. nur BGS SozR 4-2400 § 7 Nr. 5 m. w. Nachweisen), besteht nicht. Der Beklagte Ziffer 1 unterliegt weder hinsichtlich Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung einem umfassenden Weisungsrecht des Beklagten Ziffer 2. Zwar kann diese Weisungsbefugnis - vornehmlich bei Diensten höherer Art - eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert werden. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Für den Beklagten Ziffer 2 bestand keine Möglichkeit, den Beklagten Ziffer 1 gegen seinen Willen zum Dienst zu verpflichten oder ihm gegenüber bei Fehlleistungen die typischen arbeitsrechtlichen Sanktionen zu verhängen (so auch SG Detmold NZS 2010, 339; Lippert a.a.O.)
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bbb. Der Beklagte Ziffer 2 hat auch nicht im Rahmen seiner eigenen Verpflichtungen für ein Fehlverhalten des Notarztes einzustehen. Notarzt und Rettungsdienstorganisation nehmen unterschiedliche Aufgaben im lediglich organisatorischen Zusammenwirken wahr.
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Nach gefestigter Rechtsprechung ist der Notarztdienst Bestandteil des Rettungsdienstes. Aufgabe des Notarztdienstes ist es, im organisierten Zusammenwirken mit der Rettungsdienstorganisation dem Notfallpatienten durch notfallmedizinisch ausgebildete Ärzte ärztliche Hilfe zukommen zu lassen (BGH NJW 1991, 2954; NJW 1993, 1526). Hingegen ist Aufgabe der Rettungsdienstorganisation nicht die ärztliche Versorgung selbst, sondern bei Notfallpatienten Maßnahmen zur Erhaltung des Lebens oder zur Vermeidung gesundheitlicher Schäden einzuleiten und den Patienten transportfähig zu machen, sowie sie unter fachgerechter Betreuung in eine für die weitere Versorgung geeignete Einrichtung zu befördern (§ 1 Abs. 2 RDG-BW 2009). Das Zusammenwirken beider Dienste am Notfallort wird in der Regel über die Leitstelle sichergestellt, welche die Einsätze logistisch betreut und koordiniert (hierzu Lippert NJW 1992, 2089). Der Beklagte Ziffer 2 handelt dabei auf der Grundlage und im Rahmen der Regelungen des RDG-BW. Hingegen regelt das Rettungsdienstgesetz den Einsatz der Notarztes gerade nicht, sondern beschränkt sich drauf, die Kooperation in der Weise herzustellen, dass Krankenhausträger verpflichtet sind, Ärzte gegen Kostenausgleich zur Verfügung zu stellen. Leistungsträger, Krankenhausträger, Landesärztekammer und Kassenärztliche Vereinigung treffen im Benehmen mit dem Bereichsausschuss gesonderte Vereinbarungen über die organisatorische Abwicklung des Notarztdienstes (§ 10 Abs. 1 und Abs. 3 RDG-BW 2009; Rettungsdienstplan 2000 Baden-Württemberg, siehe dort Abschnitt VIII.).
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ccc. Auch der Umstand, dass der Beklagte Ziffer 2 die Leistungen des Beklagten Ziffer 1 gegenüber dem Kläger abrechnete, lässt nicht auf die Anwendbarkeit des § 278 BGB schließen. Der Beklagte Ziffer 2 ist lediglich organisatorisch zu einer Einziehung und Erstattung verpflichtet (§ 6 der Rahmenvereinbarung über die Mitwirkung der Ärzte nach § 10 RDG-BW). An der Regelung über die Höhe der Vergütung ist er nicht beteiligt. Die Vergütung für die Bereitschaft und den Einsatz des Notarztes wird vielmehr allein zwischen den Kassenärztlichen Vereinigungen, der Landesärztekammer, der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft und den Kostenträgern vereinbart (§ 5 der genannten Rahmenvereinbarung) und kann auch nur von diesen gekündigt werden. Der Beklagte Ziffer 2 erzielt mithin durch einen Notarzteinsatz keinen finanziellen Vorteil, was ebenfalls gegen eine Einbeziehung der fachlichen, notärztlichen Leistungen in den Pflichtenkreis des Beklagten Ziffer 2 spricht.
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b. Aus den gleichen Gründen ist der Beklagte Ziffer 1 auch nicht als Verrichtungsgehilfe des Beklagten Ziffer 2 nach § 831 BGB anzusehen. Der Notarzt ist nicht als Hilfsperson in den Organisationskreis des Rettungsdienstträgers eingegliedert, sondern wirkt mit diesem selbständig funktionell zusammen.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs.1, 101 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

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