Beschluss vom Oberlandesgericht München - 34 Wx 212/20

Tenor

I. Auf die Beschwerde des Beteiligten wird der Beschluss des Amtsgerichts München vom 8. Januar 2020 aufgehoben.

II. Das Amtsgericht wird angewiesen, den Antrag auf Durchführung des Aufgebotsverfahrens nicht aus den Gründen des aufgehobenen Beschlusses zurückzuweisen.

Gründe

I.

Der Beteiligte begehrt in seiner Eigenschaft als Nachlasspfleger die Durchführung eines Aufgebotsverfahrens zu dem Zweck, einen Grundschuldbrief für kraftlos erklären zu lassen.

Das Amtsgericht bestellte am 10.3.2008 den Beteiligten zum Nachlasspfleger für die unbekannten Erben der am ... verstorbenen Erblasserin mit dem Wirkungskreis Sicherung und Verwaltung des Nachlasses sowie Ermittlung der Erben. Zum Nachlass gehört eine Immobilie, an der im Wohnungsgrundbuch eine Grundschuld mit dem Betrag von 39.500 DM für eine Kreditbank eingetragen ist. Das der Grundschuld zugrundeliegende Darlehen ist vollständig getilgt. Die Rechtsnachfolgerin der ursprünglichen Gläubigerin erteilte am 23.1.2019 eine Ersatzlöschungsbewilligung. Der nach der Darlehenstilgung an die Erblasserin mit der ursprünglichen Bewilligung übersandte Grundschuldbrief ist wie diese nicht auffindbar.

Der Beteiligte hat mit Schreiben vom 19.8.2019 beantragt, den Grundschuldbrief im Wege des Aufgebotsverfahrens für kraftlos zu erklären. Als Vorbereitung der Erbauseinandersetzung solle die Immobilie lastenfrei gestellt und daher die Grundschuld gelöscht werden.

Auf einen formlosen Hinweis des Amtsgerichts hin hat der Beteiligte mit Schreiben vom 30.9.2019 an Eides statt versichert, dass ihm nicht bekannt sei, dass der Grundschuldbrief abgetreten, verpfändet oder gepfändet wurde, weiter dass ihm nicht bekannt sei, wo sich der Brief befinde, und dass der Brief trotz intensiver Suche im Nachlass nicht aufgefunden werden konnte.

Das Amtsgericht hat gleichwohl den Antrag durch Beschluss vom 8.1.2020, dem Beteiligten zugestellt am 15.1.2020, zurückgewiesen. Der Nachlasspfleger habe lediglich den Nachlass zu sichern und zu erhalten sowie notwendige Handlungen vorzunehmen. Dem Interesse etwaiger Erben an einer raschen und unkomplizierten Erbauseinandersetzung zu dienen sei nicht die Aufgabe des Nachlasspflegers. Hinzu komme, dass die Erblasserin vor zehn Jahren verstorben sei und bislang keine Erben hätten ermittelt werden können, so dass ein Rechtsschutzbedürfnis für ein nunmehr beantragtes Aufgebotsverfahren fehle. Die Notwendigkeit einer nachlassgerichtlichen Genehmigung nach § 1821 BGB könne daher dahingestellt bleiben.

Mit Telefax vom 13.2.2020, bei Gericht eingegangen am selben Tag, hat der Beteiligte Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, den Beschluss aufzuheben und das Amtsgericht anzuweisen, das Aufgebotsverfahren zur Kraftloserklärung des abhanden gekommenen Grundschuldbriefs durchzuführen. Lägen die Voraussetzungen für ein Aufgebotsverfahren vor, nämlich Antragsberechtigung und -begründetheit, sei es durchzuführen. Es gehe um eine vorgezogene Klärung von zweifelsfrei früher oder später auftretenden Problemen. Entschließe sich der Erbe nämlich z.B. für einen Verkauf des Objektes, sei dieses im Normalfall lastenfrei zu stellen. Hierzu sei die Vorlage des Briefs notwendig. Ein schutzwürdiges Interesse könne daher dem Antrag nicht abgesprochen werden, ebensowenig, dass das Aufgebotsverfahren jetzt durchgeführt werden solle. Als Nachlasspfleger unterliege er allein der Aufsicht des Nachlassgerichts, für den aus einer Pflichtverletzung entstandenen Schaden hafte er den Erben. Das Gericht führe Überlegungen und Rechtsfragen in das Verfahren ein, für die es nicht zuständig sei.

Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 23.4.2020 nicht abgeholfen und dabei auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet.

1. Das Oberlandesgericht ist gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 lit. b GVG für die Entscheidung über das Rechtsmittel zuständig.

2. Die Beschwerde ist zulässig.

a) Sie ist das gemäß § 58 Abs. 1 FamFG statthafte Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Amtsgerichts in Aufgebotssachen nach §§ 433 ff. FamFG.

b) Beschwerdeberechtigt ist gemäß § 59 Abs. 1 FamFG derjenige, der durch den Beschluss in seinen Rechten beeinträchtigt ist, im Antragsverfahren gemäß Abs. 2 der Vorschrift nur der Antragsteller.

Beschwerdeführer ist hier der unbekannte Erbe, der durch den Beteiligten in dessen Eigenschaft als gemäß § 1960 Abs. 2 BGB bestellter Nachlasspfleger vertreten wird (vgl. BGH NJW 2005, 756/758; MüKoBGB/Leipold 8. Aufl. § 1960 Rn. 39). Die Beschwerdeberechtigung des Erben i.S.v. § 59 Abs. 1 BGB fließt aus der Antragsberechtigung nach § 467 Abs. 2 FamFG. Diese steht zwar nach dem Gesetzeswortlaut unmittelbar nur dem Pfandgläubiger, hier also der Kreditbank zu. Der Erbe betreibt aber das Aufgebotsverfahren zulässigerweise in gewillkürter Verfahrensstandschaft. Dieses Institut kommt nach allgemeiner Ansicht auch im Regelungsbereich des FamFG zur Anwendung (Senat vom 25.7.2017, 34 Wx 110/17 = MittBayNot 2018, 547; OLG Düsseldorf FGPrax 2013, 134; KG BeckRS 2010, 27965; BeckOK FamFG/Schlögel 34. Edition § 467 Rn. 2; MüKoFamFG/Dörndorfer 3. Aufl. § 467 Rn. 2). Die Voraussetzungen hierfür sind vorliegend gegeben: In der Überlassung der Ersatzlöschungsbewilligung durch die Kreditbank liegt die erforderliche Ermächtigung analog § 185 BGB durch den antragsberechtigten Pfandgläubiger. Als Eigentümer der belasteten Immobilie hat der Erbe auch ein schutzwürdiges eigenes rechtliches Interesse daran, den abhanden gekommenen Grundschuldbrief für kraftlos erklären zu lassen (vgl. Senat vom 25.7.2017, 34 Wx 110/17 = MittBayNot 2018, 547; OLG Düsseldorf FGPrax 2013, 134 f.). Darf er demnach zum Zwecke der Durchsetzung seines Ziels die Durchführung eines gerichtlichen Verfahrens beantragen, dann muss er auch berechtigt sein, das Ergebnis des Verfahrens zur Überprüfung durch das Beschwerdegericht zu stellen (vgl. MüKoFamFG/Fischer § 59 Rn. 14).

Der unbekannte Erbe, vertreten durch den Beteiligten in seiner Eigenschaft als gemäß § 1960 Abs. 2 BGB bestellter Nachlasspfleger, hat auch i.S.v. § 59 Abs. 2 FamFG den Antrag auf Kraftloserklärung gestellt, der Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist. Ob der Beteiligte hierzu im Hinblick auf seinen Wirkungskreis berechtigt war (vgl. BGH NJW 2005, 756/758; MüKoBGB/Leipold § 1960 Rn. 50), ist als doppeltrelevante Tatsache im Rahmen der Prüfung der Begründetheit der Beschwerde zu klären. Für die Annahme einer Beschwerdeberechtigung genügt die entsprechende Behauptung, die hier vorliegt.

c) Der nach § 61 Abs. 1 FamFG erforderliche Beschwerdewert ist angesichts des Betrags der Grundschuld ohne Weiteres erreicht.

d) Die einmonatige Beschwerdefrist nach § 63 Abs. 1 FamFG ist eingehalten.

3. Die Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Der Zurückweisungsbeschluss war aufzuheben und das Grundbuchamt anzuweisen, den Antrag nicht aus den Gründen der aufgehobenen Entscheidung zurückzuweisen. Die begehrte Anweisung zur Durchführung des Aufgebotsverfahrens konnte allerdings nicht erteilt werden, weil jedenfalls der Auslagenvorschuss nach §§ 13 Abs. 1, 14 Abs. 1 GNotKG augenscheinlich noch nicht einbezahlt ist.

a) Der Antrag auf Durchführung des Aufgebotsverfahrens ist durch die aus der Bestellung nach § 1960 Abs. 2 BGB fließende Vertretungsmacht des Beteiligten gedeckt. Diese ist nach außen nicht begrenzt.

Insbesondere steht es dem Amtsgericht nicht zu, die Frage der Vertretungsmacht des Beteiligten anhand von Zweckmäßigkeitsaspekten zu prüfen. Vielmehr kann sich eine Beschränkung im Außenverhältnis schon aus Gründen der Rechtssicherheit lediglich aus dem Umfang der Bestellung durch das Nachlassgericht ergeben (BGH NJW 1968, 353; MüKoBGB/Leipold § 1960 Rn. 52). Diese erstreckt sich hier nicht nur auf die Sicherung, sondern auch auf die Verwaltung des Nachlasses. Was in diesem Rahmen zu tun ist, entscheidet grundsätzlich der Nachlasspfleger selbst, ebenso wie das ein sonstiger Pfleger oder ein Vormund zu tun hat. Er muss seine Handlungen nach pflichtgemäßem Ermessen vornehmen (BGH NJW 1968, 353; BayObLGZ 1996, 192/196; OLG München FGPrax 2010, 74; Najdecki in Burandt/Rojahn Erbrecht 3. Aufl. § 1960 BGB Rn. 21; MüKoBGB/Leipold § 1960 Rn. 80), die Folge eines Verstoßes hiergegen ist aber lediglich die Haftung gegenüber dem Erben für den ggf. entstandenen Schaden gemäß §§ 1915 Abs. 1 Satz 1, 1833 Abs. 1 Satz 1 BGB (Najdecki in Burandt/Rojahn § 1960 BGB Rn. 49; MüKoBGB/Leipold § 1960 Rn. 76). In begrenztem Umfang Weisungen erteilen kann dem Nachlasspfleger nur das Nachlassgericht im Rahmen der Aufsicht nach §§ 1962, 1915 Abs. 1 Satz 1, 1837 Abs. 2 Satz 1 BGB (BayObLGZ 1996, 192/196 f.; Najdecki in Burandt/Rojahn § 1960 BGB Rn. 51; MüKoBGB/Leipold § 1960 Rn. 80), was im vorliegenden Fall aber nicht geschehen ist. Vor diesem Hintergrund kann dem Amtsgericht hier keine Prüfungskompetenz hinsichtlich der Zweckmäßigkeit des seitens des Beteiligten gestellten Antrags zugebilligt werden. Somit muss auch nicht entschieden werden, ob die Kraftloserklärung des abhandengekommenen Grundschuldbriefs zum Zwecke der Löschung des Grundpfandrechts nicht schon als Sicherungsmaßnahme geboten ist.

Im Übrigen ergeben sich Beschränkungen der Vertretungsmacht des Nachlasspflegers nur aus dem Gesetz, etwa aus dem Genehmigungserfordernis bei Verfügungen über ein Grundstück oder ein Recht an einem Grundstück gemäß §§ 1915 Abs. 1 Satz 1, 1821 Abs. 1 Nr. 1 BGB (BGH NJW 1968, 353/354). Indes gehören gemäß Abs. 2 der Vorschrift Grundschulden schon nicht zu den Rechten an einem Grundstück in diesem Sinne; umso weniger kann deshalb die 34 Wx 212/20 - Seite 5 - hier in Frage stehende Durchführung des Aufgebotsverfahrens zur Vorbereitung einer Verfügung über die Grundschuld genehmigungspflichtig sein.

b) Dem Antrag auf Durchführung des Aufgebotsverfahrens kann auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis abgesprochen werden.

Ist wie hier der Grundschuldbrief abhandengekommen, ist zur Löschung des Grundpfandrechts gemäß §§ 42 Satz 1, 41 Abs. 2 Satz 2 GBO die Vorlage des im Aufgebotsverfahren nach §§ 433 ff. FamFG zu erwirkenden Ausschließungsbeschlusses gemäß § 478 FamFG erforderlich, und zwar unabhängig davon, ob die Löschung demnächst oder erst zu einem noch nicht absehbaren Zeitpunkt in der Zukunft erfolgen soll. Wann das Aufgebotsverfahren durch einen Antrag gemäß § 434 Abs. 1 FamFG eingeleitet wird, liegt in der Entscheidungsfreiheit des Antragstellers. Zur Überprüfung der Zweckmäßigkeit dieses Entschlusses ist das Amtsgericht nicht befugt (siehe bereits oben a).

III.

Eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens konnte aufgrund des Erlöschens der diesbezüglichen Haftung aus § 22 Abs. 1 GNotKG wegen des Erfolgs des Rechtsmittels gemäß § 25 Abs. 1 GNotKG unterbleiben. Deshalb bedurfte es auch keiner  Geschäftswertfestsetzung.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen