Endurteil vom Oberlandesgericht München - 21 U 523/20

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Landgerichts Ingolstadt vom 08.01.2020, Az. 33 O 1981/18, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1.1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 21.618,77 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 25.349,10 € vom 10.01.2019 bis 10.09.2019, aus 23.470,81 € vom 11.09.2019 bis 03.07.2022 und aus 21.618,77 € seit 04.07.2022 Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des Fahrzeugs ..., Fahrzeug-ID-Nummer …, zu zahlen.

1.2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

1.3. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 42%, die Beklagte 58% zu tragen.

2. Im Übrigen wird die Berufung der Klagepartei zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 51%, die Beklagte 49% zu tragen.

4. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts Ingolstadt in der Fassung, die es in Ziffern 1.1. bis 1.3 erhalten hat, sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

I.

Streitgegenständlich sind Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Beklagte im Zusammenhang mit dem sog. Dieselabgasskandal.

Der Kläger erwarb am 10.06.2010 bei einem Händler einen ..., als Neuwagen (km-Stand 10 km) zu einem Kaufpreis von 44.000 €. Das Fahrzeug wurde vom Kläger bis ca. Juli 2021 genutzt. Seitdem beträgt der Kilometerstand 127.717 km. Für den Fahrzeugtyp wurde die Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt.

Die Beklagte ist Herstellerin des Fahrzeugs und brachte das Fahrzeug in den Verkehr. Der in dem Fahrzeug verbaute Dieselmotor stammt von der … AG. Zur Abgasreinigung wird im streitgegenständlichen Fahrzeug die Abgasrückführung eingesetzt.

Zum Zeitpunkt des Kaufs befand sich in dem Fahrzeug eine Motorsoftware, die erkennt, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) unterzogen wird und schaltet in diesem Fall in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid (NOx)-optimierten Modus. In diesem Modus findet eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltet der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung der Emissionklasse Euro 5 maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte der Euro 5-Norm wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten. Das Fahrzeug ist damit betroffen von einem Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt mit der Begründung „unzulässige Abschalteinrichtung“.

Der Kläger ließ das vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) freigegebene und zur weiteren Nutzbarkeit des Fahrzeugs erforderliche Softwareupdate für den Motortyp EA 189 aufspielen.

Mit der Klage verlangt der Kläger die Erstattung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Fahrzeugs, weil die Beklagte dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich einen Schaden zugefügt habe. Für die Steuerung des Motors und dessen Programmierung sei die Beklagte verantwortlich. Soweit die Beklagte das Wissen der Personen über den Betrug bestreiten wolle, müsse die Beklagte ihre inneren Strukturen und Abläufe darlegen und die Personen benennen, die für die Entwicklung und den Einbau des Motors samt Software verantwortlich gewesen seien. Die Beklagte müsse erklären, wie es sein könne, dass dem Vorstand die streitgegenständliche Programmierung unbekannt geblieben sein solle. Über die innerbetrieblichen Abläufe bei der Beklagten könne der Kläger keine Kenntnisse habe.

Die Beklagte hingegen verneint jegliche Ansprüche. Die Funktionsweise der vom Kläger gerügten Motorsteuerungssoftware sei keine unzulässige Abschalteinrichtung und dem Kläger sei durch den Erwerb des voll funktionsfähigen Fahrzeugs auch kein Schaden entstanden. Eine sittenwidrige Schädigungshandlung der Beklagten liege nicht vor. Es lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass einzelne Mitglieder des Vorstands der Beklagten im aktienrechtlichen Sinne die Entwicklung der streitgegenständlichen Software für den Dieselmotor des Typs EA 189 (EU 5) in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten. Die Beklagte habe den Motor nicht entwickelt.

Ergänzend wird auf die tatsächlichen Feststellungen im landgerichtlichen Urteil, § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Einbau und das Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung stelle kein sittenwidriges Verhalten der Beklagten dar, welches auch nicht vom Schutzzweck der verletzten Norm, § 826 BGB, umfasst sei. Das Ziel Kostenersparnis und Gewinnmaximierung stelle in einem marktwirtschaftlichen System kein grundsätzlich zu beanstandendes Verhalten dar. Auch reiche der Verstoß gegen gesetzliche Vorschriften allein für eine Haftung der Beklagten nicht aus. Die vorzunehmende Gesamtbeurteilung von Zweck, Mittel und Folgen ergebe keine Sittenwidrigkeit des Verhaltens der Beklagten.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klagepartei. Sie hält die Entscheidung des BGH vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, ohne weiteres auf den vorliegenden Fall für übertragbar und anwendbar. Auch wenn der Motor nicht gemeinsam mit der Konzernmutter entwickelt worden sei, so treffe das Urteil der Sittenwidrigkeit auch die hiesige Beklagte, weil sie die zuständige Typgenehmigungsbehörde und die für sie handelnden Dienste arglistig getäuscht habe. Die Beklagte sei für ihre Fahrzeuge die Verantwortliche im EG-Typgenehmigungsverfahren. Mit der Abgabe der Beschreibungsunterlagen und ihrem Antrag auf Erteilung der EG-Typgenehmigung habe die Beklagte eine eigene Erklärung gegenüber der Genehmigungsbehörde abgegeben und gegen die Pflicht verstoßen, den Motor der Konzernmutter eigenständig auf seine Funktions- und Gesetzmäßigkeit zu überprüfen.

Dass eine Kenntnis der Vorstandsmitglieder und anderer Repräsentanten von der Umschaltlogik vor dem 18.09.2015 nicht vorgelegen habe, sei unter lebensnahen Gesichtspunkten nicht nachvollziehbar und werde bestritten. Auch Organe bzw. Repräsentanten der Beklagten hätten Kenntnis von den abgasmanipulierten Motoren gehabt und die grundlegende strategische Entscheidung über den Einbau und die Täuschung des KBA getroffen. Dafür spreche der Umstand, dass es sich bei dem Motor um das Kernstück des Fahrzeugs und bei der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung um eine grundlegende, eine Vielzahl von Fahrzeugen betreffende, Strategieentscheidung handle, mit erheblichen persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen. Dafür spreche auch die Bedeutung der gesetzlichen Grenzwerte und die für die Beklagten entscheidende Frage, wie diese technisch und wirtschaftlich kostengünstig eingehalten werden könne. Weil die Beklagte selbst Dieselmotoren entwickelt, sei ausgeschlossen, dass die Beklagte den von der Konzernmutter entwickelten Motor ohne eigene Prüfung und Kenntnis der wesentlichen Merkmale in ihre Fahrzeuge eingebaut habe. Es liege damit auf der Hand, dass im Unternehmen der Beklagten mindestens ein handelnder Repräsentant an der Entscheidung über die Verwendung der Abschalteinrichtung beteiligt gewesen sei.

Die Beklagte treffe im Übrigen eine sekundäre Darlegungslast, weil der Kläger keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung habe, während die Beklagte alle wesentlichen Tatsachen kenne und sie leicht und zumutbar nähere Angaben machen könne.

Der Kläger beantragt zuletzt in der Berufung,

unter Abänderung des am 08.01.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Ingolstadt, Az.: 33 O 1981/18, wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger 25.349,10 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zugum-Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs ..., Fahrzeug-IDnummer: …, zu zahlen.

Im Übrigen wurde die Berufung zurückgenommen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung und betont, dass die Entscheidung des BGH in Bezug auf die Haftung der … AG, die den streitgegenständlichen Motor samt Software entwickelt und hergestellt habe, nicht auf die … AG übertragen werden könne. Eine Kenntnis vom Einsatz der Umschaltlogik hätten die Vorstände und andere maßgebliche Repräsentanten der Beklagten vor dem 19./20.09.2015 nicht gehabt. Es bestünden hierfür keine belastbaren Anhaltspunkte, auch nicht nach den Untersuchungen durch die Kanzleien … und … Die befragten Personen, nämlich die im Zeitraum vom 01.01.2006 bis 22.09.2015 amtierenden Vorstandsmitglieder, hätten bei sämtlichen Befragungen eine Kenntnis verneint. Belastbare Anhaltspunkte für eine Kenntnis bestünden auch nicht bei potentiellen Repräsentanten im relevanten Zeitpunkt. Dass auch andere Mitarbeiter nichts gewusst hätten, ergebe sich zudem daraus, dass die Staatsanwaltschaft München II trotz mehrfacher Durchsuchungen kein Ermittlungsverfahren eingeleitet oder Erkenntnisse an die Staatsanwaltschaft … weitergeleitet habe. Allein aus der Entwicklung der V-… Motoren durch die Beklagte könne nicht auf eine Kenntnis von der durch die … AG entwickelten konkreten Software für den EA 189 Motor geschlossen werden, weil sich die Motortypen in ihrem Aufbau und in ihrer Konzeption erheblich unterscheiden würden. Nur weil das Kraftfahrt-Bundesamt einzelne von der Beklagten selbst entwickelte Motoren, insbesondere mit dem EU 6 Grenzwert, beanstandet habe, habe die Beklagte keinesfalls wissen müssen, dass der von der … AG entwickelte Motor EA 189 eine unzulässige Abschalteinrichtung enthielt. Auch aus der teilweisen Produktion der Motoren vom Typ EA 189 in einem …-Werk in … könne nicht auf eine Kenntnis von der streitgegenständlichen Software geschlossen werden. Der Prozess der Motorenherstellung unterscheide sich erheblich von dem der Motorenentwicklung.

Anders als bei den Verfahren gegen die … AG komme vorliegend keine sekundäre Darlegungslast der Beklagten in Betracht, weil die Beklagte keinen Einfluss auf die konkreten Eigenschaften des Motors gehabt und der Konzernmutter auch diesbezüglich keine Vorgaben gemacht habe. Eine strategische Entscheidung zum Einsatz der streitgegenständlichen Software habe es bei der Beklagten nicht gegeben. Die Beklagte sei nur Nutzer des von der … AG als Bauteilspender vollumfänglich bereitgestellten Bauteils gewesen. Auch habe sie nach dem allgemein geltenden Vertrauensprinzip ohne detaillierte Prüfung oder gar ein vollständiges Nachvollziehen des Entwicklungsprozesses auf die Gesetzeskonformität der von der … AG entwickelten Motoren vom Typ EA 189 vertrauen dürfen.

Auch auf der Grundlage der Entscheidungen des BGH vom 25.11.2021, Az. VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21, komme eine Haftung der Beklagten nicht in Betracht, weil es sich hier um Einzelfallentscheidungen handle. Dies belegten die Urteile des BGH zugunsten der Beklagten, u.a. Urteil vom 16.09.2021, VII ZR 192/20. Über streitigen Vortrag müsse Beweis erhoben werden, erst dann komme § 286 ZPO in Betracht. § 286 ZPO gewähre nicht die Möglichkeit, einfach danach zu entscheiden, welche Parteibehauptung dem Gericht mehr oder weniger glaubwürdig erscheine. Im Übrigen seien die Entscheidungen nur deshalb gegen die … AG ausgefallen, weil das Revisionsgericht in Ermangelung eines zulässigen begründeten Revisionsangriffs an die Feststellungen gebunden gewesen sei. Voraussetzung für eine Haftung der Beklagten sei der Nachweis der Klagepartei, dass ein verfassungsmäßig berufender Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB persönlich verwirklicht habe. Ein solcher Vortrag könne dem klägerischen Vorbringen indessen nicht ansatzweise entnommen werden. Eine sekundäre Darlegungslast komme vor diesem Hintergrund nicht in Betracht. Selbst wenn aber eine solche anzunehmen sei, dann sei die Beklagte dieser nachgekommen. Die Klage sei deshalb ohne Beweisaufnahme abweisungsreif.

Im einzelnen wird auf die Berufungsbegründungen der Parteien sowie die weiteren eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Senat hat über den Rechtsstreit am 04.07.2022 mündlich verhandelt und in diesem Termin den Kläger persönlich zur Frage der Kausalität angehört. Im Einzelnen wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen, Bl. 386 ff. d.A. Auf eine förmliche Parteieinvernahme wurde von der Beklagten verzichtet.

II.

Die zulässige Berufung des Klägers, hat in der Sache teilweise Erfolg. Entgegen der Annahme des Landgerichts haftet die Beklagte nach §§ 826, 31 BGB wegen des Erwerbs des hier streitgegenständlichen Dieselfahrzeugs durch die Klagepartei. Allerdings sind die von der Klagepartei gezogenen Nutzungen vom Kaufpreiserstattungsanspruch in Abzug zu bringen, wobei der Senat im vorliegenden Fall, anders als der Kläger, eine mögliche Gesamtlaufleistung von 250.000 km zugrundelegt.

1. Die Beklagte haftet gem. §§ 826, 31 BGB aufgrund eigenen deliktischen Handelns. Dabei kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass sie die - u.a. im streitgegenständlichen Fahrzeug eingesetzten - Motoren EA189 samt Motorsteuerungssoftware nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt hat. Sie handelte durch die ihr zuzurechnenden Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB sittenwidrig i.S.v. § 826 BGB, indem sie entschied, Motoren EA189 in Kenntnis der dazu programmierten Umschaltlogik als Software zur Erschleichung der Typgenehmigung in die von ihr hergestellten Fahrzeuge serienweise einzubauen, um diese anschließend in den Verkehr zu bringen. Mindestens ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten im Sinne von § 31 BGB hat die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht.

Sittenwidrig ist nach der nunmehr auch speziell in Bezug auf Dieselfälle seitens des BGH gefestigten Rechtsprechung ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dafür genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft.

Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Schon zur Feststellung der objektiven Sittenwidrigkeit kann es daher auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Die Verwerflichkeit kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben. Insbesondere bei mittelbaren Schädigungen kommt es ferner darauf an, dass den Schädiger das Unwerturteil, sittenwidrig gehandelt zu haben, gerade auch in Bezug auf die Schäden desjenigen trifft, der Ansprüche aus § 826 BGB geltend macht (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 14 f.).

Ein Automobilhersteller handelt gegenüber dem Fahrzeugkäufer sittenwidrig, wenn er entsprechend seiner grundlegenden strategischen Entscheidung im eigenen Kosten- und Gewinninteresse unter bewusster Ausnutzung der Arglosigkeit der Erwerber, die die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben und die ordnungsgemäße Durchführung des Typgenehmigungsverfahrens als selbstverständlich voraussetzen, Fahrzeuge mit einer Motorsteuerung in Verkehr bringt, deren Software bewusst und gewollt so programmiert ist, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte nur auf dem Prüfstand beachtet, im normalen Fahrbetrieb hingegen überschritten werden, und damit unmittelbar auf die arglistige Täuschung der Typgenehmigungsbehörde abzielt. Ein solches Verhalten steht einer unmittelbaren arglistigen Täuschung der Fahrzeugerwerber in der Bewertung gleich (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 16 ff.).

Bereits die objektive Sittenwidrigkeit des Herstellens und des Inverkehrbringens von Kraftfahrzeugen mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Verhältnis zum Fahrzeugerwerber setzt voraus, dass es in Kenntnis der Abschalteinrichtung und im Bewusstsein ihrer - billigend in Kauf genommenen - Unrechtmäßigkeit geschieht (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 21, Beschluss vom 19.01.2021, Az.: VI ZR 433/19, Rdnr. 19, vom 09.03.2021, Az.: VI ZR 889/20, Rdnr. 28).

a) Ein derartiges Vorstellungsbild steht zur Überzeugung des Senats fest im Hinblick auf Personen, für deren Verhalten die Beklagte einzustehen hat. Der Senat ist überzeugt i.S.v. § 286 Abs. 1 S. 1 ZPO, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB von der - evident unzulässigen - Umschaltlogik gewusst hat bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten.

Soweit die Beklagte einwendet (Bl. 367 d.A.), eine Überzeugungsbildung i.S.v. § 286 ZPO verstoße gegen BGH, Urteil vom 26.04.1989, Az.: IVb ZR 52/88, ist festzuhalten, dass sich der BGH in seiner Urteilsserie vom 25.11.2021 u.a. explizit mit der Prüfung der Feststellungen auf der Grundlage einer Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO in den Ausgangsentscheidungen befasst und seine Beurteilung ausführlich begründet hat (Az.: VII ZR 238/20, Rdnr. 29 ff., VII ZR 243/20, Rdnr. 28 ff., VII ZR 257/20, Rdnr. 30 ff. und VII ZR 38/21, Rdnr. 28 ff.; deutlich dazu: BGH, Beschlüsse vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, Rdnr. 18, und vom 09.02.2022, Az.: VII ZR 255/20, Rdnr. 18, Az.: VII ZR 26/21, Rdnr. 23 und Az.: VII ZR 258/20). Der BGH hat insbesondere auch klargestellt, dass die Tatsachenfeststellung in Dieselfällen nicht beschränkt ist auf Feststellungen nach den Grundsätzen der sekundären Darlegungs- und Beweislast (BGH, Urteil vom 25.11.2021, Az.: VII ZR 243/20, Rdnr. 35).

Die Beklagte führt aus, im Rahmen der grundsätzlichen Entscheidung über die Verwendung des Motors EA189 in Fahrzeugen ihrer Herstellung durch das Produkt-Strategie-Komitee im Jahr 2005/2006, das sich aus einzelnen Mitgliedern des Vorstands sowie einzelnen Mitgliedern aus den Fachabteilungen zusammensetzte, und der fortlaufenden nochmaligen Entscheidung zum Einsatz des Motors EA189 jeweils in Bezug auf das konkret entwickelte Modell (Bl. 231 ff. d.A.), habe man lediglich den serienmäßigen Einsatz des Motors EA189 beschlossen, sich dabei aber nicht mit der konkreten technischen Ausstattung einschließlich der Umschaltlogik befasst, man habe insbesondere im Produkt-Strategie-Komitee nur über den Einsatz des Motorentyps entschieden und dabei nur finanzielle und zeitliche Planungsaspekte einbezogen, nicht jedoch technische Details der streitgegenständlichen Software (Bl. 353 d.A.). Der Senat ist aber davon überzeugt, dass wenigstens ein Repräsentant der Beklagten i.S.v. § 31 BGB bei der Entscheidung über den Einsatz von Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten von der - evident unzulässigen - Umschaltlogik gewusst hat, unabhängig von der Frage der ausdrücklichen Besprechung der Umschaltlogik innerhalb der Erörterungen des Produkt-Strategie-Komitees.

Beim Motor eines Fahrzeugs handelt es sich um dessen „Kernstück“, nicht bloß um ein untergeordnetes Zuliefererteil. Dies bestätigen auch die Ausführungen der Beklagten, wonach die Entscheidung über den in einen neuen Fahrzeugtyp einzusetzenden Motor im Rahmen des 60-monatigen Zeitraums zur Entwicklung eines neuen Fahrzeugmodells einen „Meilenstein“ darstellt (Bl. 231 ff. d.A.). Bei den Emissionswerten eines Fahrzeugs handelt es sich wiederum nicht um bloße technische Details und damit Fragen von vollkommen untergeordneter Bedeutung, im Gegenteil. Gleichzeitig handelt es sich um eine Entscheidung von großer Tragweite mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken für die Entscheider.

Hinzu kommt, dass das Spannungsverhältnis zwischen kostengünstiger Produktion und den durch die nach den gesetzgeberischen Vorgaben zu den Euro-Schadstoffklassen stets strengeren Anforderungen an die Begrenzung der Stickoxidemissionen seinerzeit bei Automobilherstellern allgemein bekannt war. Die Einhaltung der relevanten Stickoxidgrenzwerte für den Motor EA189 stellte unter Berücksichtigung des grundsätzlichen Verbots von Abschalteinrichtungen eine Herausforderung dar, die jedem Kraftfahrzeughersteller, der sich wie die Beklagte selbst mit der Entwicklung von Dieselmotoren befasste, bekannt war. Die Beklagte selbst räumt auch ein, dass bei der Entscheidung über den Einsatz des Motors EA189 finanzielle Aspekte einbezogen wurden.

In diesem Zusammenhang nicht zu überzeugen vermag der Einwand der Beklagten, bei den vor ihr entwickelten und hergestellten Dieselmotoren handele es sich um ganz andere Motoren. Zwar mögen diese Motoren leistungsstärker und die Zylinder anders angeordnet sein. Das grundlegende Problem der Entstehung von Stickoxiden aufgrund hoher Verbrennungstemperaturen - vgl. die Ausführungen der Beklagten Bl. 28 ff. d.A. sowie den von der Beklagten mit Anlage BE 07 vorgelegten Bericht der Untersuchungskommission „V.“, Seite 6 - stellt sich aber bei jedem Dieselverbrennungsmotor. Auch gelten für alle diese Motoren die gleichen gesetzlichen Stickoxidgrenzwerte.

Ferner sind der Beklagten ausweislich ihres Vortrags durchaus Aspekte der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Motor EA189 bekannt: sie weiß, dass bei den für den deutschen Markt bestimmten Fahrzeugen mit Motor EA189 der Euroschadstoffnorm 4 bis 6 die Abgasreinigung durch Hochdruck-Abgasrückführung, durch einen Dieseloxidationskatalysator und Dieselpartikelfilter stattfindet, aber eine Abgasnachbehandlung durch Stickstoffspeicherkatalysator wie bei den für den USamerikanischen Markt bestimmten Fahrzeugen nicht zum Einsatz kommt; mit den unterschiedlichen Hardwarekomponenten gingen Unterschiede bei der Motorsteuerungssoftware einher (Bl. 352 ff. d.A.). Die Beklagte führt außerdem aus, vor der Verwendung der Motoren EA189 habe sie von der … AG Motoren EA188 erworben - die beiden Motoren unterschieden sich, da die … AG den Motortyp EA188 weiterentwickelt und die Technik von der Pumpe-Düse-Einspritzung auf die innovative Common-Rail-Einspritzung mit dem Ergebnis des Motortyps EA189 umgestellt habe (Bl. 233 d.A.). Die Einspritzcharakteristik ist aber wesentlich für die Optimierung des Verbrennungsprozesses und steht damit im Zusammenhang mit der Abgasreinigung durch Abgasrückführung, auf die Ausführungen der Beklagten zur Funktionsweise des Softwareupdates wird Bezug genommen (Seite 9 ff. der Klageerwiderung).

Auch angesichts des von der Beklagten beschriebenen ausgeklügelten Systems von Kontroll- und Berichtspflichten (Bl. 254 ff. d.A.) erscheint es nicht plausibel, dass diese sämtlich gerade bei der hier inmitten stehenden Kenntnis von der Umschaltlogik - einer Software, die die Zulassungsfähigkeit hinsichtlich einer maßgeblichen Eigenschaft des Motors, nämlich seiner Abgasemissionen zumal bei Kenntnis der Schwierigkeit zur Lösung des Problems, überhaupt erst ermöglichte - versagt haben sollen.

Zwar hat die Beklagte ihren Vortrag zur von ihr behaupteten Unkenntnis in Bezug auf die Umschaltlogik von Personen, deren Handeln sie sich nach § 31 BGB zurechnen lassen muss, inzwischen vertieft. Nach den durchgeführten internen Untersuchungen hätten sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass Vorstände im aktienrechtlichen Sinn bzw. andere Repräsentanten die für eine Haftung nach § 826 BGB maßgeblichen Kenntnisse gehabt hätten, Bl. 242 ff. d.A.

Dies überzeugt den Senat jedoch nicht. Denn die Beklagte räumt ein, dass zu der Ebene der Bereichsleiter im Zeitraum von 2006 bis 2015 jeweils ca. 70 Personen gehört hätten. Befragungen sämtlicher dieser Einzelpersonen seien aber weder erforderlich noch praktisch umsetzbar (Bl. 250 d.A). Das teilt der Senat nicht, der nicht erkennen kann, dass die Anhörung dieser Personen zur Aufklärung dieses für die Beklagte aus dem Tagesgeschäft herausragend bedeutsamen Sachverhalts nicht praktisch umsetzbar sein soll, zumal es nach dem Vortrag der Beklagten auch der zur Untersuchung im … Konzern eingesetzten Kanzlei … möglich war, mehr als 700 Befragungen durchzuführen einschließlich einer Sicherung von über 21.000 elektronischen Datenträgern bei weltweit über 3.500 Mitarbeitern (Bl. 243 d.A.). Dies gilt umso mehr, als die Beklagte nach ihren eigenen Ausführungen im Zeitraum von 2006 bis 2015 streng hierarchisch organisiert war mit Berichts- und Kontrollpflichten. Danach sei die Beklagte von sieben Vorständen geleitet worden und sei in sieben Vorstandsbereiche gegliedert gewesen, welche die erste Berichtsebene darstellten. Der Vorstandsebene nachgelagert gewesen seien Untergliederungen, die als Bereiche bezeichnet worden seien und welche die zweite Berichtsebene darstellten. An ihrer Spitze standen bereits die Bereichsleiter (Bl. 255 ff. d.A.). Die Notwendigkeit ihrer Befragung drängt sich auf, zumal der BGH bereits in der Entscheidung vom 25.05.2020 (Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 33) dem restriktiven Begriffsverständnis des Repräsentanten i.S.v. § 31 BGB der dortigen Beklagten (und der hiesigen Beklagten explizit in Bezug auf Bereichsleiter, denen aber selbst die Beklagte gleichwohl „eine dem Tätigkeitsprofil der Vorstandsmitglieder angenäherte Funktion innerhalb der Organisationsstruktur der Beklagten“ zubilligt, Bl. 247 d.A.) nicht gefolgt ist. Ob überhaupt wenigstens einzelne und ggfls. welche Bereichsleiter befragt wurden, bleibt aber unklar.

Eine Indizwirkung im Sinne der Beklagten vermag der Senat schließlich nicht in dem Umstand zu sehen, dass die internen Ermittlungen nicht zu Schadensersatzansprüchen der Beklagten gegen ihre Verantwortlichen bzw. zu weiteren staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahren geführt hätten. Nach den Ausführungen der Beklagten bezogen sich die nach Darstellung der Beklagten umfangreichen internen Ermittlungen der Kanzlei … in Zusammenarbeit mit … zur Beklagten im Schwerpunkt ohnehin nicht auf den hier inmitten stehenden Sachverhalt der Verwendung der Motoren EA189, sondern auf Manipulationen bei den von der Beklagten selbst entwickelten …l-V…-Motoren (Bl. 242 ff. d.A., Anlagen BE 08 u. BE 09) und eine Befragung der Bereichsleiter bleibt offen. Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft … kein Ermittlungsverfahren eingeleitet hat, lässt keinen Rückschluss zu auf die dort jeweils bestehenden Kenntnisse und Entscheidungsmotive - erst recht nicht allein im Sinne des Beklagtenvortrags. Die Beklagte selbst legt überdies als Anlage BE 10 das „Statement of Facts“ vor, aus dem sich ergibt, dass es im Hinblick auf die Vorgänge in den … u.a. durch Angestellte der Beklagten zur Vernichtung von Unterlagen gekommen ist mit dem Ziel der Vermeidung rechtlicher Konsequenzen (ebenda, Nr. 73).

Die umfänglichen Ausführungen der Beklagten zur fehlenden Kenntnis ihrer Vorstände im aktienrechtlichen Sinne und sonstiger Repräsentanten mit der Begründung, sie habe den Motor nicht entwickelt bzw. nicht mitentwickelt, sei am Homologationsprozess nicht beteiligt gewesen und habe aufgrund des bestehenden Baukastenprinzips mit automatisierten Produktionsprozessen ohne Einwirkungs- oder Überprüfungsmöglichkeit beim Aufspielen der Motorsteuerungssoftware bzw. später bei der Überwachung der Produktion keine Kenntnisse erlangen können, verfangen nicht, da der Senat - bei Wahrunterstellung des Vortrags der Beklagten insoweit - in der Entscheidung über die Verwendung des Motors EA189 in Kenntnis der Umschaltlogik das deliktische Handeln sieht.

Diese Wertung liegt bereits den Entscheidungen des Senats zugrunde, zu denen durch den BGH unter dem 25.11.2021 bestätigende Entscheidungen (Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21) ergangen sind. Der Senat hat hierauf mit Beschluss vom 21.06.2022, dort insbesondere Ziffer 1 (Bl. 378 ff. d.A.), hingewiesen. Eine dahingehende inhaltliche Ergänzung des Sachvortrags erfolgte hingegen nicht. Die Beklagte hat nach wie vor nicht die in Bezug auf das streitgegenständliche Fahrzeug über den Zukauf des Motors inklusive Software entscheidenden Personen benannt und ebenso wenig konkret zu deren Kenntnisstand - gegebenenfalls nach Befragung im Rahmen der internen Ermittlungen - vorgetragen.

b) Letztlich ist damit das Bestreiten der Beklagten auch unzureichend im Sinne von § 138 Abs. 3 ZPO.

Wer einen Anspruch aus § 826 BGB geltend macht, trägt im Grundsatz die volle Darlegungsund Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. Bei der Inanspruchnahme einer juristischen Person hat der Anspruchsteller dementsprechend auch darzulegen und zu beweisen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter (§ 31 BGB) die objektiven und subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des § 826 BGB verwirklicht hat. In bestimmten Fällen ist es Sache der Gegenpartei, sich im Rahmen der ihr nach § 138 Abs. 2 ZPO obliegenden Erklärungslast zu den Behauptungen der beweisbelasteten Partei substantiiert zu äußern. Dabei hängen die Anforderungen an die Substantiierung des Bestreitens zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner - hier die Klagepartei - vorgetragen hat. In der Regel genügt ein einfaches Bestreiten. Eine sekundäre Darlegungslast kann den Prozessgegner der primär darlegungsbelasteten Partei treffen, wenn diese keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während der Gegner alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm unschwer möglich und zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Genügt der Anspruchsgegner seiner sekundären Darlegungslast nicht, gilt die Behauptung des Anspruchstellers nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden (z.B. BGH, Urteil 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 25 ff.). Nach diesen Grundsätzen setzt eine sekundäre Darlegungslast der Beklagten zu Vorgängen innerhalb ihres Unternehmens, die auf eine Kenntnis ihrer Repräsentanten von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung schließen lassen sollen, jedenfalls voraus, dass das Parteivorbringen hinreichende Anhaltspunkte enthält, die einen solchen Schluss nahelegen (BGH, Urteil vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 28).

Anders als die Beklagte einwendet, sind die möglichen Anhaltspunkte nicht beschränkt auf die im Urteil des BGH vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Rdnr. 30, genannten Umstände. Maßgeblich bleibt der Vortrag im Einzelfall, was bestätigt wird durch BGH, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Rdnr. 24 ff.

Nach diesen Grundsätzen traf die Beklagte die sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Frage, wer die Entscheidung über den serienmäßigen Einsatz der Motoren EA189 in Kenntnis der Umschaltlogik getroffen hat. Die Umstände, nach denen vorliegend eine Kenntnis der für die Beklagte handelnden und dieser zuzurechnenden Personen naheliegt, ergeben sich bereits aus den vorstehenden Ausführungen. Das Spannungsverhältnis zwischen der Herstellung kostengünstiger Motoren bei gleichzeitiger Einhaltung der gesetzlich weiter verschärften Stickoxidgrenzwerte sowie grundsätzlichem Verbot des Einsatzes von Abschalteinrichtungen war bei Automobilherstellern bekannt. Die Beklagte selbst entwickelt Dieselmotoren. Gleichzeitig waren der Beklagten die Hardwarekomponenten wie auch Aspekte der Funktion der Abgasreinigung im Zusammenhang mit dem Einsatz der Motoren EA189 (im Vergleich zu dem bis dahin verwendeten …motor EA188) bekannt. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten betraf eben nicht bloß ein untergeordnetes Zuliefererteil, sondern den Motor als „Kernstück“ des Fahrzeugs; die Emissionseigenschaften des Fahrzeugs sind für dieses wesentlich und nicht bloß ein technisches Detail. Die Entscheidung über den serienweisen Einsatz der Motoren EA189 in Fahrzeugen der Beklagten war mit erheblichen, auch persönlichen, Haftungsrisiken der entscheidenden Personen verbunden. Eine Unkenntnis des Einsatzes der Umschaltlogik auf Ebene von Personen, die der Beklagten zuzurechnen sind nach § 31 BGB, erscheint ausgeschlossenen, zumal in Anbetracht des ausgeklügelten und streng hierarchischen Kontroll- und Berichtswesen innerhalb der Beklagten. Dem ist die Beklagte, wie sich ebenfalls aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, nicht hinreichend entgegengetreten; insbesondere blieben ihre Angaben zu ihren internen Ermittlungen, auf deren negatives Ergebnis die Beklagte sich beruft, unzureichend, jedenfalls im Hinblick auf die Befragung der Bereichsleiter.

2. Vor diesem Hintergrund ist auch der Schädigungsvorsatz zu bejahen. Dieser enthält ein Wissens- und Wollenselement. Der Handelnde muss die Schädigung des Anspruchsstellers gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben und mindestens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben; Vorstandsmitglieder oder Repräsentanten, die in Kenntnis der Umschaltlogik den serienmäßigen Einsatz der Motoren in ihren Fahrzeugen anordnen oder nicht unterbinden, billigen ihn auch und sind sich der Schädigung der späteren Fahrzeugerwerber bewusst.

3. Die Einwände der Beklagten gegen das Bestehen der haftungsbegründenden Kausalität greifen nicht durch.

Schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die Klagepartei den streitgegenständlichen Pkw nicht gekauft hätte, wenn sie um die unzulässige Software und die davon ausgehende Gefahr der Betriebsuntersagung gewusst hätte; der Schaden liegt in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, Rdnr. 47 ff.). Kein vernünftiger Käufer hätte in Kenntnis dieses Sachverhalts, insbesondere der Gefahr der Betriebsuntersagung, den Pkw erworben, zumal zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht die Möglichkeit bestanden hätte, mittels des erst später entwickelten Softwareupdates die Manipulation am Motor zu beseitigen. Der Rückruf durch das Kraftfahrtbundesamt erfolgte erst später.

Auch aufgrund der Angaben der Klagepartei persönlich im Rahmen ihrer Anhörung im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat und des hierbei von ihr gewonnenen Eindrucks ist der Senat vom Bestehen der Kausalität überzeugt.

4. Die Beklagte hat deshalb der Klagepartei sämtliche aus der sittenwidrigen Schädigung resultierenden Schäden zu ersetzen. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erstattung des gezahlten Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung, der Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu erfüllen ist. Er muss sich dasjenige anrechnen lassen, was ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen ist. Dass die Grundsätze der Vorteilsausgleichung auch bei einem Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB anzuwenden sind, hat der Bundesgerichtshof in der Entscheidung vom 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, ausdrücklich bestätigt, Rn. 66 ff. Er hat auch ausgeführt, dass dem keine europarechtlichen Normen entgegenstehen. Der Senat nimmt auf die Ausführungen des Bundesgerichtshofs Bezug, aaO, Rn. 73 ff.

Die Bemessung der Höhe des Schadensersatzanspruchs ist in erster Linie Sache des nach § 287 ZPO besonders freigestellten Tatrichters. Der Senat schätzt in Anbetracht des festgestellten Fahrzeugtyps, des Datums seiner Erstzulassung sowie der konkreten Nutzung die mögliche Gesamtlaufleistung auf 250.000 km. Mit dieser Schätzung bewegt sich der Senat innerhalb der Bandbreite der von anderen Gerichten jeweils vorgenommenen Schätzung der gesamten Laufleistung (u.a. BGH, Urteil vom 27.07.2021, Az.: VI ZR 480/19, Rdnr. 26). Weitere aussagekräftige Umstände, welche die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs beeinflussen, sind nicht dargetan (vgl. BGH, Urteil vom 29.09.2021, Az.: VIII ZR 111/20, Rdnr. 52 ff., 58).

Der Senat stellt in ständiger Rechtsprechung auf die nach der Rechtsprechung des BGH gebilligte lineare Berechnung des Nutzungsersatzes ab. Aus der grundsätzlichen Billigung einer linearen Berechnungsmethode folgt zwar nicht zwingend, dass andere Berechnungsmethoden unzulässig wären, da dem Tatrichter nach § 287 ZPO ein weiter Ermessensspielraum eingeräumt wird. Da der Schaden aber in dem ungewollten Vertragsschluss liegt, ist der vom Bundesgerichtshof erfolgte Rückgriff auf die Wertung des Nutzungsersatzes nach § 346 Abs. 2 Nr. 2 BGB aber folgerichtig. Der Senat folgt ausdrücklich nicht dem Ansatz, den Wert der Nutzung eines Neuwagens höher anzusetzen als den eines älteren Fahrzeugs. Die lineare Berechnung ist dem Geschädigten zumutbar und entlastet die Schädigerin nicht unangemessen. Sie entspricht schon vom Wortlaut den „gezogenen Nutzungen“. Eine Ausweitung der Vorteilsanrechnung - etwa wegen des Wertverlusts des Fahrzeugs - ist nicht angezeigt (BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 36, vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 354/19, Rdnr. 15, vom 20.07.2021, Az.: VI ZR 533/20, Rdnr. 33, vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Rdnr. 46, vom 21.04.2022, Az.: VII ZR 285/21).

Danach errechnet sich bei Berücksichtigung der Nutzung des Fahrzeugs bis ca. Juli 2021mit einer Kilometerleistung von 127.171 km ein Erstattungsanspruch i.H.v. 21.618,77 €.

5. Der Anspruch ist, wie von der Klagepartei beantragt, ab Rechtshängigkeit, mithin ab 10.01.2019, §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2, 187 Abs. 1 BGB zu verzinsen.

Die vom Senat vorgenommene Zinsstaffel trägt dem Umstand Rechnung, dass die Klagepartei die auf den Kaufpreiserstattungsanspruch anzurechnenden Nutzungsvorteile zum Teil erst zwischen dem Eintritt der Rechtshängigkeit und dem Schluss der mündlichen Verhandlung erlangt hat, vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, Az.: VI ZR 397/19, Rdnr. 38. Maßgeblich ist danach, in welcher Höhe unter Berücksichtigung der anzurechnenden Nutzungsvorteile bei Eintritt der Rechtshängigkeit eine verzinsliche Hauptforderung bestand und wie sich diese im Laufe des Verfahrens angesichts der fortlaufenden Nutzung des Fahrzeugs entwickelte, BGH, Urteil vom 30.07.2020, A.: VI ZR 354/19, Rdnr. 23.

Bei Zugrundlegung eines gleichmäßigen Nutzungsverhaltens zur Schätzung der jeweiligen Fahrleistung bestand bei Eintritt der Rechtshängigkeit 09.01.2019 eine Hauptforderung von 26.668,94 € (geschätzter Kilometerstand 98.478 km), zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung erster Instanz am 11.09.2019 eine Hauptforderung von 25.322,84 € (geschätzter Kilometerstand von 106.126 km) und ab Juli 2021 eine Hauptforderung von 21.618,77 €.

Weil die Fahrleistung während des Zinszeitraums nicht taggenau vollzogen werden kann, ist der Senat im Wege der Schätzung gemäß § 287 ZPO von einer gleichmäßigen Nutzung ausgegangen, also von einer linearen Entwicklung des Kilometerstandes. Diese lineare Entwicklung berücksichtigt der Senat in der Weise, dass für die dazwischen liegenden Zinszeiträume ein Mittelwert zugrunde gelegt wird. Dem Ansatz des an sich für den Zeitraum zwischen Rechtshängigkeit und mündlicher Verhandlung erster Instanz errechneten Mittelwertes von 25.995,89 € steht allerdings § 308 Abs. 1 ZPO entgegen, weil die Klagepartei zuletzt als Hauptforderung 25.349,10 € begehrt hat.

III.

Die Kostenentscheidung erster Instanz beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Kostenentscheidung zweiter Instanz beruht auf §§ 97, 92 Abs. 1 S. 1, 516 Abs. 3 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die maßgeblichen Rechtsfragen zur Haftung in Dieselfällen, insbesondere im Hinblick auf das Tatbestandsmerkmal der Sittenwidrigkeit i.S.v. § 826 BGB wie auch die Anforderungen an den Vortrag der Parteien sind mittlerweile höchstrichterlich geklärt (deutlich u.a.: BGH, Beschluss vom 29.09.2021, Az.: VII ZR 223/20, Rdnr. 8, vom 15.09.2021, VII ZR 2/21, Rdnr. 4, 24). Dies gilt auch in Bezug auf eine Haftung der Beklagten bei Fahrzeugen ihrer Herstellung mit Motoren EA189 (BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, vom 08.03.2021, Az.: VI ZR 505/19, Beschluss vom 15.09.2021, Az.: VII ZR 52/21, Urteil vom 16.09.2021, Az.: VII ZR 192/20, Urteilsserie vom 25.11.2021: Az.: VII ZR 238/20, VII ZR 243/20, VII ZR 257/20 und VII ZR 38/21, Urteil vom 21.12.2021, Az.: VI ZR 875/20, Beschluss vom 12.01.2022, Az.: VII ZR 256/20, vom 27.01.2022, Az.: III ZR 195/20, vom 09.02.2022, Az.: VII ZR 255/20, Urteil vom 24.03.2022, Az.: VII ZR 266/20). Es ist Aufgabe der Instanzgerichte, diese Rechtsgrundsätze auf den jeweils vorliegenden Sachverhalt anzuwenden. Divergierende Ergebnisse aufgrund der Würdigung des jeweils vorgetragenen Sachverhalts in tatsächlicher Hinsicht begründen indes keine Divergenz i.S. des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO. Von einer Divergenz in diesem Sinne ist vielmehr nur dann auszugehen, wenn den Entscheidungen sich widersprechende abstrakte Rechtssätze zugrunde liegen (BGH, Beschluss vom 09.07.2007, Az.: II ZR 95/06, Rdnr. 2).

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen