Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (12. Zivilsenat) - 12 W 95/14

Tenor

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss der Einzelrichterin der 11. Zivilkammer des Landgerichts Magdeburg vom 26. November 2014 aufgehoben.

Das einstweilige Verfügungsverfahren wird auf den Hilfsantrag des Antragstellers an das Landgericht Rostock zur Entscheidung über die beantragte einstweilige Verfügung verwiesen.

Gründe

1

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist nach § 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht nach § 569 Abs. 1 ZPO eingelegt worden. In der Sache hat der Senat den angefochtenen Beschluss des Landgerichts aufzuheben und das einstweilige Verfügungsverfahren ohne eigene Sachprüfung - auf den Hilfsantrag des Antragstellers hin - an das Landgericht Rostock zu verweisen, weil dies für die beantragte Herausgabeverfügung als Gericht der Hauptsache nach §§ 937 Abs. 1, 802 ZPO in Verbindung mit § 24 ZPO ausschließlich zuständig ist, der Senat somit in einem Hauptsacheverfahren nicht zur Entscheidung berufen wäre und ihm insoweit eine eigene Sachentscheidungsbefugnis verwehrt ist. An der Prüfung der Zuständigkeit ist der Senat insbesondere auch nicht durch § 571 Abs.2 S.2 ZPO gehindert gewesen.

I.

2

Das Landgericht Magdeburg, bei dem der Antragsteller seinen auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes an den näher bezeichneten landwirtschaftlichen Nutzflächen gerichteten Verfügungsantrag angebracht hat, ist von Anfang an unzuständig gewesen.

3

Nach §§ 937 Abs. 1, 802 ZPO ist für den Erlass einer einstweiligen Verfügung ausschließlich zuständig das Gericht der Hauptsache. Soweit - wie hier - ein Hauptsacheverfahren bei Einreichung des Verfügungsantrags noch nicht anhängig ist, beurteilt sich die Zuständigkeit nach den allgemeinen Zuständigkeitsbestimmungen der ZPO.

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1. Danach aber wäre hier die ausschließliche Zuständigkeit des Landgerichts Rostock als Gericht der belegenen Sache begründet gewesen (§ 24 ZPO).

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Denn der Antragsteller berühmt sich in dem hier anhängigen einstweiligen Verfügungsverfahren eines possessorischen Besitzschutzanspruchs gegen die Antragsgegnerin. Mit seinem Verfügungsantrag sucht er seinen Besitz und teilweise auch seine Eigentumsrechte an den näher bezeichneten landwirtschaftlichen Nutzflächen zu wahren und die Herausgabe der Grundstücke an ihn und Herrn D. R. zu erreichen. Dabei stützt er sich in erster Linie auf seinen - von Antragsgegnerseite allerdings bestrittenen - angeblichen Mitbesitz neben Herrn D. R. an den im Verfügungsantrag aufgeführten Grundstücken und macht geltend, dass die Antragsgegnerin diesen durch verbotene Eigenmacht (§ 858 BGB) entzogen habe. Insoweit begehrt er die Wiedereinräumung seines Mitbesitzes nach Maßgabe der §§ 861, 854, 866 BGB. Gemäß § 24 Abs. 1 ZPO ist für solche Besitzschutzklagen, sofern es sich um unbewegliche Sachen handelt, aber ausschließlich das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Sache belegen ist. Gleiches gilt für Klagen, durch die das Eigentum geltend gemacht wird. Da die hier streitbefangenen, zum Gut K. gehörenden landwirtschaftlichen Nutzflächen in Mecklenburg - Vorpommern, Gemarkung K. Flur 1 und Flur 2 belegen sind, ist der dingliche Gerichtsstand der belegenen Sache dementsprechend bei dem Landgericht Rostock eröffnet. Da es sich bei § 24 ZPO um einen ausschließlichen Gerichtsstand handelt, hat dem Antragsteller insoweit auch kein Wahlrecht nach § 35 ZPO zugestanden.

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2. Dagegen ist eine Zuständigkeit des Landwirtschaftsgerichts Rostock - entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin - nicht nach §§ 1 Nr. 1 a, 2 LwVG begründet, denn eine Landpachtsache im Sinne der §§ 585 ff BGB ist hier nicht verfahrensgegenständlich, sondern allein der auf Wiedereinräumung des Mitbesitzes gerichteter possessorische Besitzschutzanspruch. Der Antragsteller leitet seine Besitzposition zwar aus dem mit der BVVG abgeschlossenen Landpachtvertrag vom 09. Dezember 2010 ab, dessen vertragliche Befristung zwischenzeitlich zum 01. Oktober 2014 abgelaufen ist. Mit seiner einstweiligen Verfügung macht er aber keinerlei Ansprüche aus dem Pachtverhältnis gegenüber der Antragsgegnerin geltend, zumal diese auch gar nicht in das Vertragsverhältnis eingebunden war, sondern versucht, eine vermeintliche Besitzentziehung abzuwehren. Hierfür bleibt aber das allgemeine Prozessgericht zuständig.

II.

7

Der Senat ist nicht gehindert, die fehlende Zuständigkeit des Landgerichts Magdeburg auch noch in der Beschwerdeinstanz auf Rüge der Antragsgegnerin hin zu berücksichtigen. § 571 Abs. 2 S. 2 ZPO steht nicht entgegen.

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1. Gemäß § 571 Abs. 2 S. 2 ZPO, der dem § 513 Abs. 2 ZPO im wesentlichen für das Beschwerdeverfahren nachempfunden ist, kann die sofortige Beschwerde zwar grundsätzlich nicht darauf gestützt werden, dass das Gericht der ersten Instanz seine Zuständigkeit zu Unrecht angenommen hat. Mit dieser Regelung sollen - ebenso wie mit § 513 Abs. 2 ZPO im Berufungsverfahren - nach dem Willen des Gesetzgebers Rechtsmittelstreitigkeiten, die allein auf die Frage der Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts gestützt sind, vermieden werden, um das Verfahren zu beschleunigen und die Rechtsmittelgerichte zu entlasten. Zugleich soll vermieden werden, dass die von dem erstinstanzlichen Gericht geleistete Sacharbeit wegen fehlender Zuständigkeit hinfällig wird (BTDrucks 14/4722, S. 94). Selbst die ausschließliche Zuständigkeit eines anderen Gerichts eröffnet dem Berufungskläger danach regelmäßig keine Nachprüfungsmöglichkeit (Ball in Musielak, ZPO, 8. Auflage (2011), Rdn. 7 zu § 513). Die Zuständigkeit des Gerichts erster Instanz kann in der zweiten Instanz im Allgemeinen auch nicht von dem Beschwerdegegner bzw. im Berufungsverfahren von dem Berufungsbeklagten in Frage gestellt werden (Rimmelspacher in Münchener Kommentar, ZPO, 4. Aufl., Rdn. 17 zu § 513 ZPO m.w.N.), da auch dem Berufungsbeklagten ein solcher Einwand verwehrt ist (Ball in Musielak, ZPO, 11. Auflage (2014), § 513 Rdn. 6).

9

2. Gemessen an dem Regelungszweck, Rechtsmittelstreitigkeiten auszuschließen, die allein die Frage der Zuständigkeit des erstinstanzlichen Gerichts zum Gegenstand haben, schränkt § 513 Abs. 2 ZPO die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung jedoch nur insoweit ein, als hierfür ausschließlich der Festlegung des zuständigen Gerichts dienende Vorschriften in Rede stehen. Demgegenüber wird die Nachprüfung der Anwendung von Normen, die nicht nur den Gerichtsstand festlegen, sondern darüber hinaus auch andere Zwecke verfolgen und dabei an die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts lediglich anknüpfen, hierdurch gerade nicht ausgeschlossen(vgl. BGH NJW-RR 2005, 501, 502; OLG Hamburg MDR 1981, 1027; OLG Hamburg OLGR Hamburg 1997, 340; OLG Hamm, Urteil vom 27. Februar 2012, 8 U 261/11 zitiert nach juris; Rimmelspacher in Münchener Kommentar, ZPO, 4.Aufl., Rdn. 20 zu § 513 ZPO; Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., 2014, Rdn. 18 zu § 513 ZPO; Heßler in Zöller, ZPO, Rdn. 4 zu § 571 ZPO; ders., a.a.O., Rdn. 9 zu § 513 ZPO).

10

Dies gilt insbesondere auch für § 937 Abs. 1 ZPO, der mehr als eine Regelung der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit beinhaltet. Denn durch diese Vorschrift soll insbesondere der funktionale Zusammenhang zwischen den Verfahren der Hauptsache und des vorläufigen Rechtsschutzes sichergestellt werden (vgl. Hanseatisches OLG Hamburg MDR 1981, 1027; Hanseatisches OLG Hamburg OLGR Hamburg 1997, 340; OLG Hamm, Urteil vom 27. Februar 2012, 8 U 261/11; Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., Rdn. 18 zu § 513 ZPO; Rimmelspacher in Münchener Kommentar, ZPO, 4. Aufl., Rdn. 20 zu § 513 ZPO; Heßler in Zöller, ZPO, 30. Aufl., Rdn. 9 zu § 513 ZPO). Sinn und Zweck der §§ 937 Abs. 1, 943 ZPO ist, nur dasjenige Gericht auch mit den vorläufigen Maßnahmen zu befassen, das den Rechtsstreit zwischen den Parteien auch in der Hauptsache regelt, also die größere Sachnähe hat. Die Vorschriften dienen insoweit der Prozessökonomie, ebenso wie der Konzentration des Verfahrens und verhindern divergierende Sachentscheidungen verschiedener Gerichte, denen in materiell-rechtlicher Hinsicht dasselbe Problem angetragen wird. Dieser Gesetzeszweck kann aber nur erreicht werden, wenn gemäß § 943 Abs.1 ZPO der Spruchkörper desjenigen Gerichts zur Entscheidung über die einstweilige Verfügung berufen ist, bei dem auch die Hauptsache anhängig ist bzw. sein kann. Dementsprechend wird zu § 937 Abs. 1 ZPO ausgeführt, dass die darin vorgenommene Zuweisung der Entscheidung über den Erlass einer einstweiligen Verfügung an das Gericht der Hauptsache unter dem Gesichtspunkt des Sachzusammenhanges einen über die bloße Regelung des Gerichtsstandes hinausgehenden Zweck verfolgt, was der Anwendbarkeit des § 513 Abs. 2 ZPO bzw. hier des § 571 Abs. 2 S. 2 ZPO aber entgegen steht. Die darin angeordnete Verknüpfung zwischen Verfügungs- und Hauptverfahren ist nämlich nicht vergleichbar mit einer bloßen Regelung der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit. Vielmehr werden zwei verschiedene, aber dieselbe Angelegenheit betreffende Verfahren einem einzigen Gericht zugewiesen (vgl. Hanseatisches OLG Hamburg MDR 1981, 1027; Hanseatisches OLG Hamburg OLGR Hamburg 1997, 340; OLG Hamm, Urteil vom 27. Februar 2012, 8 U 261/11; Althammer in Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., Rdn. 18 zu § 513 ZPO; Rimmelspacher in Münchener Kommentar, ZPO, 4. Aufl., Rdn. 20 zu § 513 ZPO; Heßler in Zöller, ZPO, 30. Aufl., Rdn. 9 zu § 513 ZPO).

11

Die mangelnde örtliche Zuständigkeit des Gerichts des ersten Rechtszuges kann dementsprechend aber auch noch in der Beschwerdeinstanz geltend gemacht werden.

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3. Die Unzuständigkeit des Landgerichts Magdeburg war hier im Beschwerdeverfahren trotz § 571 Abs. 2 S. 2 ZPO aber auch deshalb zu beachten, weil die Antragsgegnerin im erstinstanzlichen Verfahren nicht beteiligt war und deshalb zuvor auch noch keine Gelegenheit hatte, die Zuständigkeitsrüge zu erheben.

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Der gesetzliche Richter ist eine Institution von Verfassungsrang, wie sich aus Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG ergibt. Von der verfassungsrechtlichen Garantie grundsätzlich auch erfasst ist das Gebot, dass nur das nach der Verfahrensordnung örtlich zuständige Gericht tätig wird. Dieser Grundsatz beansprucht für das Rechtsmittelverfahren allenfalls dann keine Geltung, wenn die Parteien über die Zuständigkeit verhandelt haben oder aber die betreffende Partei sich bei dem örtlich unzuständigen Gericht in das Verfahren sachlich einlässt, ohne die fehlende Zuständigkeit zu rügen. Nur auf solche Fälle treffen § 513 Abs. 2 ZPO und § 571 Abs. 2 S. 2 ZPO zu, denn es erscheint praktisch undenkbar, dass in einem streitig durchgeführten erstinstanzlichen Verfahren der Gegner nicht gehört wurde und damit auch keine Gelegenheit erhielt, Einwendungen gegen die örtliche Unzuständigkeit zu erheben. Anders verhält es sich indessen, wenn dem Gegner in erster Instanz kein rechtliches Gehör gewährt worden ist und er daher in dieser Instanz die örtliche Unzuständigkeit auch nicht rügen konnte (vgl. OLG Köln MDR 1993, 906; OLG Frankfurt WRP 1996, 27; KG Berlin NJW-RR 1987, 1203; Rimmelspacher in Münchener Kommentar, ZPO, 4. Aufl., Rdn. 3 zu § 513 ZPO; Gerken in Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., Rdn. 35 zu § 513 ZPO). In diesem Fall ist eine teleologische Reduktion des § 571 Abs. 2 S. 2 ZPO geboten.

14

So liegen die Dinge auch hier. Denn das Landgericht Magdeburg hat ohne Anhörung der Antragsgegnerin entschieden und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zurückgewiesen. Dieser ist damit erstmals im Beschwerdeverfahren die Möglichkeit eröffnet worden, die örtliche Unzuständigkeit des Landgerichts zu rügen, was sie auch sogleich mit ihrer Beschwerdeerwiderungsschrift vom 12. Dezember 2014 getan hat.

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Der Antragsteller hat darauf hin in seinem Schriftsatz vom 05. Januar 2015 einen Verweisungsantrag nach § 281 Abs. 1 ZPO gestellt, dem der Senat hier - nach Aufhebung des erstinstanzlichen Beschlusses - zu entsprechen hatte. Denn eine Verweisung kann in jeder Instanz, somit auch im Beschwerdeverfahren, erfolgen (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 14. September 2006 - 2 WF 189/05 - zitiert nach juris; OLG Köln FamRZ 2000, 364).

III.

16

Eine Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt dem Landgericht Rostock vorbehalten.


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