Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Zivilsenat) - 1 U 10/16

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Halle vom 11. Dezember 2015 (Az. 6 O 180/13) wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Dieses und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Gläubiger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 120 Prozent des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Schuldner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Gebührenstreitwert für die Berufungsinstanz wird auf die Stufe bis 230.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

1

Der im Dezember 1967 geborene und von seiner Ehefrau als gesetzliche Betreuerin vertretene Kläger befand sich vom 11. Oktober bis 21. November 2008 im Klinikum des Beklagten in medizinischer Behandlung, nachdem er dort wegen eines ausgedehnten Peritonsillar- und Retropharyngealabszesses notfallmäßig aufgenommen und noch am Tage seiner Aufnahme operiert worden war. Bei seiner Vorstellung gab er an, seit zwei Tagen akute Beschwerden zu haben. Ihm sei außerdem eine orale Nahrungsaufnahme nicht möglich. Während der Operation wurde dem Kläger eine Magensonde gelegt, die unrichtig platziert wurde und in den rechten Hauptbronchus gelangte. Unmittelbar nach der Operation kam der Kläger auf die Intensivstation, wo die Fehlplatzierung der Magensonde erkannt und behoben wurde. Bei der Übergabe zwischen Operationssaal und Intensivstation wurden Beatmungsprobleme und eine Undichtigkeit des Cuffs (= Blockmanschette, kleiner Ballon am Ende des Endotrachealtubus) festgestellt. Postoperativ setzte auch eine pneumatische Thromboseprophylaxe mittels Beinmanschette ein. Ab dem 02. November 2008 erhielt der Kläger zusätzlich Heparin. Der weitere Krankheitsverlauf war durch einen septischen Schock und Multiorganversagen gekennzeichnet. Wegen einer am 30. Oktober 2008 beobachteten neurologischen Symptomatik kam es am 03. November 2008 zu einer Computertomographie, bei der zwei Hirninfarkte der Arteria cerebri posteriores festgestellt wurden. Mittels Ultraschalls wurden auch Thromben in den Becken- und Beinvenen festgestellt. Am 21. November 2008 wurde der Kläger zur Rehabilitation in die Klinik K. entlassen. Für die Zeit ab August 2010 wurde für den Kläger ein Grad der Behinderung von 50 Prozent festgestellt (Anlage K4 - I, 44).

2

Unter Berufung auf ein im Auftrag der Schlichtungsstelle für Arzthaftpflichtfragen der norddeutschen Ärztekammern unter dem 29. April 2010 erstelltes Gutachten des Herrn Prof. Dr. med. S. und der Frau Prof. Dr. N. hat der Kläger behauptet, dass eine Oxygenierungsstörung unmittelbar nach der Operation aufgetreten sei, ebenso eine signifikante Einschränkung der Lungenfunktion, ein akutes Nierenversagen sowie die Ausbildung eines schweren septischen Krankheitsbildes. Behandlungsfehler lägen vor, die als grob zu qualifizieren seien. Die Hirninfarkte gingen entweder ursächlich auf ein Blutgerinnsel infolge unterlassener Thromboseprophylaxe oder auf die Sepsis zurück.

3

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Darstellungen in der Klageschrift vom 06. Dezember 2013 (I, 76) und in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen (II, 153), wo auf den Seiten 2 f. die vom Kläger auf behauptete Behandlungsfehler zurückgeführten gesundheitlichen Beschwerden und körperlichen Einschränkungen wiedergegeben werden.

4

In erster Instanz hat der Kläger beantragt,

5

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld - der Kläger hält 150.000,00 Euro für angemessen - zu zahlen, dessen konkrete Bemessung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,

6

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 33.064,19 Euro zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,

7

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche ihm aus der fehlerhaften Behandlung im Oktober und November 2008 entstanden sind und/oder noch entstehen werden; immaterielle Schaden dabei nur insoweit, als sie derzeit noch nicht konkret vorhersehbar sind; materielle Schäden, soweit die hierauf gerichteten Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

8

Der Beklagte hat beantragt,

9

die Klage abzuweisen.

10

Er hat Behandlungsfehler bestritten. Auf den Inhalt der Klageerwiderung vom 29. Januar 2014 wird für Einzelheiten Bezug genommen (I, 99).

11

Mit Beweisbeschluss vom 01. September 2014 hat das Landgericht ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben (I, 224), mit Beschluss vom 10. Dezember 2014 den ursprünglichen Beschluss modifiziert (II, 1) und mit Beschluss vom 10. März 2015 (II, 31) Herrn Prof. Dr. Dr. med. H. zum Sachverständigen bestellt. Der Sachverständige hat dem Landgericht sein unter dem 22. Juni 2015 vorgelegtes Gutachten (II, 41) am 20. November 2015 mündlich erläutert. Auf das Sitzungsprotokoll wird Bezug genommen (II, 131).

12

Mit am 11. Dezember 2015 verkündetem Urteil hat die Einzelrichterin des Landgerichts die Klage abgewiesen und zur Begründung u. a. ausgeführt, dass mit dem Sachverständigen das Legen einer Magensonde indiziert gewesen sei, sich aus der ursprünglichen Fehllage ein Behandlungsfehler aber nicht ableite. Beim fachgerechten Legen einer Magensonde unter Sicht könne es zu Fehllagen kommen. Dass die Platzierung nicht unter Sicht unternommen worden sei, habe der Kläger nicht unter Beweis gestellt. Dass die Art und Weise der Platzierung nicht dokumentiert worden sei, spreche ebenfalls nicht für den Kläger. Mit dem Sachverständigen sei davon auszugehen, dass nur das Legen einer Sonde als solches dokumentationspflichtig sei. Eine solche Dokumentation habe es gegeben. Bzgl. der Art und Weise der Platzierung bestehe keine Dokumentationspflicht. Es sei außerdem nicht behandlungsfehlerhaft, die Lage der Magensonde erst auf der Intensivstation zu kontrollieren. Bis zur Übernahme des Klägers durch die Intensivstation habe ein normales Atemminutenvolumen vorgelegen. Die Lagekontrolle habe mit einem dort anzufertigenden Röntgenbild verbunden werden dürfen.

13

Wenngleich die Thromboseprophylaxe bis zum 02. November 2008 behandlungsfehlerhaft gewesen sei, hafte die Beklagte nicht. Die bis zu diesem Zeitpunkt unstreitig nur mechanisch durchgeführte Prophylaxe stelle aus Sicht des Sachverständigen einen einfachen Behandlungsfehler dar. Dass die vom Kläger geschilderten Beschwerden auf diesen Fehler kausal zurückzuführen sind, habe der darlegungs- und beweisbelastete Kläger nicht bewiesen.

14

Für weitere Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

15

Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Berufung, mit welcher er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt.

16

Rechtsfehlerhaft gehe das Landgericht davon aus, dass die unterlassene Thromboseprophylaxe mit Heparin lediglich einen einfachen, aber keinen groben Behandlungsfehler bilde. Die Annahme, ein Abweichen vom Standard führe nicht zwingend zum Behandlungsfehler, sei unhaltbar. Ein Behandlungsfehler liege vor. Das Thromboserisiko sei bei intensivmedizinischen Patienten erhöht. Auch eine präoperativ bestehende Sepsis vergrößere im postoperativen Verlauf deutlich das Risiko arterieller und venöser Thromben. Wegen des als Notfall eingestuften Abszessgeschehens und der Intensivbehandlung habe also ein deutlich erhöhtes Thromboserisiko bestanden. Laut Sachverständigem wirke sich nur niedermolekulares Heparin auf die Überlebenschance zur Vermeidung von venösen und auch arteriellen Thrombosen aus. Mechanische Thromboseprophylaxen seien dagegen ohne Einfluss auf die Überlebenschance. Die Beinmanschette habe das Risiko nicht verringert, so dass die unterlassene Heparinbehandlung grob behandlungsfehlerhaft sei. Der Sachverständige sei zu der Feststellung gelangt, dass bereits seit dem 11. Oktober 2008 eine medikamentöse Prophylaxe indiziert gewesen sei. In den Ausführungen des Sachverständigen fänden sich Widersprüche. Außerdem sei der Sachverständige nicht gewillt gewesen, Umstände anzusprechen, die bei rechtlicher Bewertung zur Annahme eines groben Behandlungsfehlers führen müssten. Komme es folglich zur Beweislastumkehr, sei von einem Kausalzusammenhang zwischen der unterlassenen Heparinbehandlung und den Hirninfarkten auszugehen. Der Sachverständige könne nicht ausschließen, dass die Hirninfarkte und der weitere Verlauf auf die unterlassene Heparinbehandlung zurückzuführen seien. Es sei nicht zutreffend, dass die Prophylaxe mit Heparin nur Thromben in den Venen verhindere. Niedermolekulares Heparin wirke sich auf venöse und arterielle Thrombosen aus. Bei venösen Thrombosen führe der Sachverständige aus, dass ein Kausalzusammenhang nicht ausgeschlossen werden könne. Auf Seite 31 des Gutachtens habe er ausgeführt, ein Kausalzusammenhang sei nicht eindeutig herzustellen. Diesen Widerspruch habe das Landgericht nicht aufgelöst, auch nicht den weiteren Widerspruch in den sachverständigen Ausführungen, wonach einerseits bei einer schweren Sepsis und einem schweren Schock eine Heparisierung durchzuführen gewesen wäre, andererseits aber wahrscheinlich durch den septischen Schock Gerinnungsstörungen und Streuungen in das Gehirn aufgetreten und so die Durchblutungsstörungen verursacht worden seien. Es könne also nicht ausgeschlossen werden, dass die Hirninfarkte auf die unterlassene Thromboseprophylaxe zurückzuführen seien. Da laut Sachverständigem die unterlassene Heparinbehandlung die venösen Thromben verursacht habe, habe das Landgericht dem Kläger bereits hierfür und für die Folgebeeinträchtigungen Schmerzensgeld zusprechen müssen.

17

Die Feststellungen des Landgerichts zur Magensonde seien rechtsfehlerhaft. Zwischen dem Schlichtungsgutachten und dem Sachverständigengutachten bestehe ein Widerspruch, der nicht aufgelöst worden sei. Eine Indikation zur Legung einer Magensonde habe danach nicht bestanden.

18

Auch die Platzierung der Magensonde sei behandlungsfehlerhaft erfolgt. Es entspreche nicht dem medizinischen Standard, eine Magensonde in die Lunge zu legen. Bei einer Legung unter Sicht sei es nahezu ausgeschlossen, dass die Sonde in die Lunge gelange. Zu Unrecht gehe der Sachverständige davon aus, dass es nicht zu dokumentieren gewesen wäre, ob die Magensonde blind oder unter Sicht gelegt werde. Die gegenläufige Ansicht des Sachverständigen sei unrichtig.

19

Ein Fehler der Beklagten liege auch darin, dass die Lage der Sonde nicht kontrolliert worden sei. Es sei nicht erkennbar, welches Röntgenbild der Sachverständige meine, wenn er es für zulässig erachte, eine Lagekontrolle mit einem anzufertigenden Röntgenbild zu verbinden. Das Röntgenbild vom 12. Oktober 2008 solle die neu gelegte Magensonde zeigen, könne also gar nicht zur ursprünglichen Kontrolle der Lage gedient haben. Zudem gehe das Landgericht nicht darauf ein, dass laut Sachverständigem eine Bronchoskopie habe angefertigt werden müssen.

20

Ob die Magensonde fehlerfrei eingebracht worden sei, könne der Sachverständige laut Gutachten nicht beurteilen. Gebe er angehört das Gegenteil an, liege darin ein vom Landgericht nicht aufgeklärter Widerspruch.

21

Ein Widerspruch zum Schlichtungsgutachten liege darin, dass das Landgericht meine, bei Anzeichen für eine Fehllage der Sonde hätten die Ärzte der Beklagten sofort fachgerecht mit Endoskopieren und Neuanlagen der Sonde reagiert.

22

Es lasse sich nicht nachvollziehen, weshalb es der Sachverständige für spekulativ halte, ob in der relativ kurzen Zeit der Sondenfehllage Bakterien aus dem Operationsgebiet in die Lunge eingetreten sein könnten, wenn doch Pilze und MRSA-Bakterien in der Lunge nachgewiesen worden seien und der Sachverständige eine Schädigung der Lunge durch Fehllage hingegen als unwahrscheinlich einstufe. Mit Blick auf den Arztbericht von Prof. Dr. R. fehlten im Sachverständigengutachten Feststellungen, mit denen sich der Sachverständige diesen Widerspruch erkläre.

23

Im Übrigen vertieft und wiederholt der Kläger seinen erstinstanzlichen Vortrag.

24

Der Kläger beantragt,

25

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen konkrete Bemessung in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,

26

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 33.064,19 Euro zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,

27

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche weiteren materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche ihm aus der fehlerhaften Behandlung im Oktober und November 2008 entstanden sind und/oder noch entstehen werden; immaterielle Schaden dabei nur insoweit, als sie derzeit noch nicht konkret vorhersehbar sind; materielle Schäden, soweit die hierauf gerichteten Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden.

28

Die Beklagte beantragt,

29

die Berufung zurückzuweisen.

30

Das Legen der Magensonde sei indiziert gewesen, was das Landgericht mit dem Sachverständigen zu Recht gefolgert habe. Die Anlage der Magensonde sei unter Sicht sach- und fachgerecht erfolgt. Trotz Einhaltung der gebotenen Sorgfalt könne eine Fehlplatzierung nicht ausgeschlossen werden. Die Vorgehensweise zur Anlage der Magensonde habe dem medizinischen Standard entsprochen. Ein Dokumentationsversäumnis habe der Sachverständige verneint, so dass nicht zu dokumentieren gewesen war, ob die Sonde blind oder unter Sicht gelegt worden sei. Die Lage der Sonde sei auch sofort überprüft worden. Eine zeitnahe Bronchoskopie sei auf der Intensivstation erfolgt. Anzeichen für eine Fehllage hätten zunächst nicht bestanden. Solche Anzeichen hätten erst auf der Intensivstation bestanden. Auf das Röntgenbild komme es nicht entscheidungserheblich an. Eine Kontrolle auf der Intensivstation sei erfolgt. Der Sachverständige habe eine Neuanlage der Magensonde bestätigt. Die Fehllage der Sonde sei für den Kläger folgenlos geblieben. Eine Schädigung der Lunge sei unwahrscheinlich, weil bis zur Behebung der Fehllage weder Medikamente noch sonstige Flüssigkeiten verabreicht worden seien. Der septische Schock und das Multiorganversagen seien nicht auf die Fehllage, sondern laut Sachverständigem auf die ausgedehnte Abszedierung im Bereich von Pharynx und Larynx zurückzuführen.

31

Die Entscheidung, beim Kläger lediglich eine mechanische Thromboseprophylaxe durchzuführen, sei ordnungsgemäß erfolgt, was auch das Landgericht verkenne. Ein Behandlungsfehler liege darin nicht. Im Jahr 2008 sei die Behandlung mit Heparinen nicht Standard gewesen, was der Sachverständige mündlich bestätigt habe. In der Abwägung könne die Entscheidung für eine alleinige pneumatische Prophylaxe richtig sein. Außerdem sei beim Kläger das Blutungsrisiko erhöht gewesen, was in der Abwägung berücksichtigt worden sei. Die durchgeführte Prophylaxe sei nicht wirkungslos gewesen. Zu Recht habe der Sachverständige einen Zusammenhang zwischen unterlassener Heparingabe und den Hirninfarkten verneint.

32

In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 06. Februar 2017 hat der Senat den Gerichtssachverständigen angehört. Auf das Protokoll der Berufungsverhandlung wird verwiesen (III, 132).

II.

33

Die nach §§ 517, 519, 520 Abs. 1, 3 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers ist zulässig, bleibt in der Sache aber ohne Erfolg. Weder liegt eine Rechtsverletzung vor (§§ 513 Abs. 1, 1. Fall, 546 ZPO), noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine abweichende Entscheidung des Senats (§ 513 Abs. 1, 2. Fall ZPO).

34

Das Landgericht hat auf Seite 4 des angefochtenen Urteils ausgeführt:

35

„Auf Grund der in jeder Hinsicht nachvollziehbaren und stichhaltigen Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. med. T. H. , Direktor der Universitätsklinik für Anästhesiologie und Intensivtherapie in ..., in seiner Anhörung am 20.11.2015 in Verbindung mit seinem schriftlichen Gutachten vom 22.06.2015 kann nur ein Behandlungsfehler des Beklagten festgestellt werden, dessen Ursächlichkeit für die beklagten Beschwerden jedoch nicht nachgewiesen werden kann. Vielmehr handelt es sich bei den beklagten Beschwerden um typische Folgen der Grunderkrankung des Klägers.“

36

Diese Ausführungen halten einer Überprüfung stand. Dem Kläger steht gegen die Beklagte weder aus Vertrag noch aus Delikt ein Schadensersatzanspruch zu. Die Voraussetzungen von §§ 280 Abs. 1, 611 bzw. § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit §§ 249 ff. BGB sind nicht gegeben. Im Einzelnen:

37

1. Behandlungsfehler

38

Mit einer auch vom Landgericht festgestellten Ausnahme sind den Ärzten der Beklagten Behandlungsfehler nicht unterlaufen; die Berufungsangriffe hiergegen bleiben erfolglos.

39

a) Die Fehlerfreiheit der am 11. Oktober 2008 durchgeführten Abszessoperation stellt der Kläger mit seiner Berufung nicht in Frage. Der Stellungnahme vom Prof. Dr. med. R. vom 03. September 2008 lässt sich entnehmen, dass sich der Kläger zwei Tage vor der Operation beim Hausarzt vorstellte und die Vorstellung in der Klinik der Beklagten als Akutfall erfolgte (I, 140). Von einem Akutfall gehen auch die Schlichtungsgutachter aus (I, 23). Die Fehlerfreiheit der bis zur Operation durchgeführten diagnostischen Maßnahmen nimmt der Kläger nicht substanziell in Abrede, so dass sich weitere Ausführungen hierzu erübrigen.

40

b) Zu welchem Zeitpunkt die Magensonde gelegt worden war, ist nicht mehr Gegenstand der Angriffe des Klägers. Erstinstanzlich war hierüber noch ausgiebig gestritten worden, insbesondere mit Blick auf das Zustandekommen der Dokumentation und die zeitliche Abfolge von vorläufigem und endgültigem OP-Bericht (vgl. u.a. Schriftsatz des Klägers vom 24. Juli 2014 - I, 220).

41

c) Anders als der Kläger in erster Instanz behauptet hat (I, 82) und mit der Berufung aufgreift (III, 41), erfolgte die Legung der Magensonde nicht ohne Indikation. Ein Behandlungsfehler ist der Beklagten insoweit nicht anzulasten. Insoweit mag ein Widerspruch zwischen dem Schlichtungsgutachten und den Feststellungen des Gerichtssachverständigen vorliegen. Unaufgeklärt, wie die Berufung meint, ist dieser Widerspruch aber nicht. Der Senat folgt den überzeugenden Ausführungen des Gerichtssachverständigen Prof. Dr. Dr. med. H., der eine Indikation zur Legung der Magensonde bejaht hat. Anlass, die fachliche Kompetenz des Gerichtssachverständigen anzuzweifeln, besteht nicht. Nach dem aus der Berufungsverhandlung gewonnenen Eindruck waren die durchgehend schlüssigen Ausführungen des Sachverständigen von dem Ziel getragen, dem Senat und den anderen Verfahrensbeteiligen eine medizinisch richtige und vollständige Beurteilung des Sachverhalts zu Teil werden zu lassen. Der Sachverständige hat einen überaus qualifizierten Eindruck gemacht. Soweit der Kläger dem Sachverständigen nahe zu legen versucht, dieser sei "nicht gewillt ..., Tatsachen richtig einzuordnen", wird diese Einschätzung nicht geteilt. Nach dem Eindruck des Senats hat der Sachverständige ein objektives Bild gezeichnet und weder Umstände verharmlost noch dramatisiert.

42

Der Kläger möchte aus einer vorgeblich nicht indizierten Magensondeanlegung für sich Vorteile ableiten. Ob diese Überlegung trägt, braucht nicht entschieden zu werden. Denn der Gerichtssachverständige hält eine Indikation zur Legung der Magensonde aus für den Senat gut nachvollziehbaren Gründen für eindeutig gegeben. Über die mögliche Notwendigkeit einer Magensondeernährung war der Kläger auch aufgeklärt worden. Auf Seite 21 im Gutachten des Gerichtssachverständigen vom 22. Juni 2015 heißt es - auch zur denkbaren Alternative einer Infusionstherapie:

43

„Eine der wichtigsten Indikationen für eine Magensonde bei operativen Patienten ist die Zufuhr von Nahrung, Flüssigkeit und Medikamenten, die Ableitung von Mageninhalt vor, während oder nach bauchchirurgischen Eingriffen und die Entlastung des oberen Magen-Darmtraktes bei Ileus (Darmverschluss), Hämorrhagien (Blutungen), Hypersekretion oder Luftüberblähung. Nach Operationen in der HNO oder der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie mit Unmöglichkeit der normalen Passage der oberen Verdauungswege (Mund, Rachen, Kehlkopf, Speiseröhre) ist die Anlage einer Magensonde ebenfalls indiziert.

44

Herr G. hatte bereits zwei Tage vor der Operation keine Nahrung mehr zu sich nehmen können. Da er nach der chirurgischen Versorgung der ausgedehnten Abszesse im Rachen- und Kehlkopfbereich zunächst weiter intubiert und beatmet wurde, kam eine orale Nahrungszufuhr nicht in Frage. Angesichts des erheblichen Befundes war auch im weiteren Verlauf [mit] der Notwendigkeit einer prolongierten künstlichen Ernährung zu rechnen. Zahlreiche Studien weisen zudem darauf hin, dass bei kritisch kranken Patienten die enterale Ernährung deutliche Vorteile gegenüber einer ausschließlichen Infusionstherapie hat. Durch die Zufuhr von Ernährungslösungen und Flüssigkeit über eine Sonde im Magen oder Jejunum (Dünndarm) werden die Funktion und Struktur des immunologischen Systems, insbesondere im Magen-Darmtrakt gestützt, septische Komplikationen verringert, eine hypermetabolische und Stressantwort abgeschwächt und die Integrität des Darms gefördert. Weitere Vorteile liegen in einer verbesserten Durchblutung von Magen, Darm, Leber und Pankreas, verminderte Translokation von Bakterien und Toxinen und verbesserter Enzymaktivität. Deshalb wurde bei Herrn G. nach seinerzeit gültigen Empfehlungen sach- und fachgerecht frühzeitig eine enterale Ernährung angestrebt.“

45

„Zusammengefasst wurde die Indikation zur Anlage einer Magensonde bei Herrn G. medizinisch korrekt gestellt [...].“ (Seite 25 des Gutachtens)

46

Die Bewertung ist einsichtig und überzeugend. Der Sachverständige zitiert außerdem aus der Behandlungsdokumentation, wonach der Kläger bei seiner Aufklärung zur HNO-Untersuchung und Behandlung am 11. Oktober 2008 auch auf das spezifische Risiko „evtl. Nährsonde für einige Tage“ hingewiesen worden war (Seite 12 des Gutachtens - II, 52). Zwar verneinen die Schlichtungsgutachter in Abweichung hiervon eine Indikation für die Sondenlegung, lassen dabei aber unberücksichtigt, dass der Kläger bis zum operativen Eingriff zwei Tage lang oral keine Nahrung aufnehmen konnte, also nichts gegessen hatte, ein Umstand, den der Gerichtssachverständige auf Seite 21 seines Gutachtens (wie oben zitiert) als einen der die Indikation begründenden Umstände angeführt hat.

47

Zu den von den Schlichtungsgutachtern gesehenen Risiken einer Magensondelegung heißt es auf Seite 4 des Schlichtungsgutachtens (I, 25):

48

„Angesichts des präoperativ erhobenen CT-Befundes vom 11.10.2008, 15:35 Uhr, in dem u.a. [eine] diskrete Flüssigkeitsstrasse mit Lufteinschlüssen, linksbetont im peripharyngealen und paraösophagealen Raum (beginnend in Höhe des Zungenbeins und nach caudal bis zum oberen Mediastinum reichend) beschrieben sind, erhebt sich die Frage nach der Indikation für die blinde Anlage einer Magensonde. In Anbetracht der im CT nachgewiesenen ausgedehnten entzündlichen Veränderungen im gesamten Pharynx- und Hypopharynxbereich musste mit einer nicht unerheblichen Verletzungsgefahr durch die Magensonde gerechnet werden. Auf Grund fehlender Dokumentation im Narkoseprotokoll vom 11.10.2008 lässt sich weder die Indikationsstellung zur Anlage der Magensonde nachvollziehen, noch ist ersichtlich, ob die Lage der Magensonde in irgendeiner Form kontrolliert wurde. [...]“

49

Auf Seite 9 heißt es weiter:

50

„Zunächst stellt sich die Frage, ob die blinde Anlage einer Magensonde in der damaligen Situation überhaupt notwendig war. Als dringliche Indikation für die Anlage einer Magensonde kann z.B. in der Entlastung des Magens vor der Intubation zum Aspirationsschutz bei nicht nüchternen Patienten oder bei Ileus (Darmverschluss) angesehen werden. Nachdem die Atemwege durch die bei wachem Patienten durchgeführte fiberoptische Intubation gesichert worden waren, bestand für die Anlage einer Magensonde keine zwingende Indikation mehr, um so weniger als aus dem präoperativ erhobenen CT-Befund eine nicht unerhebliche Vulnerabilität im gesamten Pharynx- und Hypopharynxbereich abgeleitet werden musste.

51

In dieser Passage ist eine nicht unwesentliche Schwäche des Schlichtungsgutachtens zu sehen, der der Gerichtssachverständige in seiner Anhörung vor dem Senat überzeugend eine Gegenüberstellung der Risiken durch Legen einer Magensonde einerseits und des Erkrankungsbildes des Klägers andererseits entgegengehalten hat (vgl. Seite 2 des Protokolls vom 06. Februar 2017):

52

"Die Magensonde war eine Maßnahme, deren Indikation sich im Hinblick auf die postoperative Behandlung bestimmt. Die Operation diente gerade dazu, die in dem Schlichtungsgutachten erwähnte Vulnerabilität zu einem guten Teil zu beseitigen respektive den Befund im Rachenraum zu sanieren. Deshalb überzeugen mich die Ausführungen zu einer nach dem damaligen präoperativen CT-Befund nicht unerheblichen Verletzungsgefahr bei Legung einer Magensonde nicht. Davon losgelöst war es seinerzeitige Empfehlungslage, die enterale Ernährung so schnell wie möglich durchzuführen, gerade im Fall von Patienten, die bereits erheblich erkrankt sind, wie es der Kläger war; er litt bereits an einer Sepsis in der Folge der Abszesse."

53

Der Senat ist danach davon überzeugt, dass es entgegen den Ausführungen der Schlichtungsgutachter zum Legen einer Magensonde in der konkreten präoperativen Behandlungssituation des Klägers keine Alternative gab und im Lichte der ernsthaften Vorerkrankung des Klägers und seiner Ernährungssituation (seit zwei Tagen nicht zur einer oralen Nahrungsaufnahme in der Lage) eine Indikation zur Legung der Magensonde bestand. Ein Behandlungsfehler liegt insoweit also nicht vor.

54

d) Die ursprüngliche Platzierung der Magensonde im Hauptbronchus war objektiv unrichtig. Gleichwohl folgt daraus kein ärztlicher Behandlungsfehler, wie die Berufung des Klägers meint. Denn in dem Punkt greift die Argumentation des Klägers zu kurz:

55

Auch der Gerichtssachverständige stellt nicht ernsthaft in Frage, dass die anfängliche Platzierung der Magensonde im Hauptbronchus falsch war. Maßgeblich für eine Antwort auf die Frage, ob darin zugleich ein Behandlungsfehler liegt, ist aber nicht eine ex-post-Betrachtung, wie sie der Kläger vornimmt. Es kommt auf die ex-ante-Sicht der behandelnden Ärzte an. Danach gehörte eine Fehlplatzierung der Magensonde sowohl bei der Legung "unter Sicht" als auch bei "blinder" Legung zum allgemeinen - und nach überzeugend vorgetragener Ansicht des Gerichtssachverständigen auch unvermeidlichen - Risiko des Eingriffs. Prof. H. führt dazu auf Seite 23 seines Gutachtens aus:

56

„Die Rate korrekt platzierter Magensonden liegt nach einer aktuellen Studie der laryngoskopischer Technik höher im Vergleich zu einer blind durchgeführten Einbringung der Sonde. Im vorliegenden Fall wäre angesichts der HNO-Operation im Bereich von Pharynx und Larynx eine Platzierung der Magensonde unter visueller Kontrolle indiziert gewesen.

57

Allerdings können bei beiden Techniken erhebliche Komplikationen eintreten, die von Fehllagen, akuten Blutungen, Perforationen im Bereich des Rachens und der Speiseröhre bis zu Verletzungen der Bronchien mit Entstehung eines Pneumothorax reichen. In einer retrospektiven Studie würden 4.190 Patienten untersucht, bei denen im Zeitraum von Januar 2000 bis Juli 2003 eine nasogastrale Sonde eingebracht worden war. Bei 87 Patienten (2,1 %) kam es zu intrabronchialen Fehllagen, was bei 9 Patienten zu einem Pneumothorax (Luftbrust) führte. Bemerkenswert ist, dass 2/3 der Fehllagen bei Patienten auftraten, die entweder mit einem Trachealtubus oder einem Tracheostoma (Beatmungsschlauch über einen Luftröhrenschnitt) versorgt waren. Die Atemwegssicherung mit einem Tubus verhindert also nicht die Malposition der Magensonde.

58

Im vorliegenden Fall war wegen der Wachintubation ein relativ kleiner Beatmungsschlauch gewählt worden, was möglicherweise das Abweichen der Magensonde in die Trachea und den rechten Hauptbronchus begünstigte. Daraus kann jedoch nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass mit mangelnder Sorgfalt oder fehlerhaft behandelt wurde. Auch bei sorgfältigstem Vorgehen lassen sich Fehllagen einer Magensonde nicht immer verhindern.[...].“

59

Das Schlichtungsgutachten steht dieser nachvollziehbaren Beschreibung nicht substanziell entgegen. Auf Seite 4 heißt es zwar:

60

„Fehllagen nach blinder Einführung von Magensonden sind nicht selten (0,3 - 9 %) und können mit üblicher Weise verwendeten Kontrollmethoden (Aspiration von Mageninhalt bzw. Luftinsufflation unter Auskultation (Abhören) der Magengegend) nicht sicher erkannt werden.“

61

Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass die Schlichtungsgutachter mit ihrer gewählten Formulierung eine "blinde" Legung der Magensonde unterstellt haben, ohne dass sich aus der Behandlungsdokumentation oder sonstigen Umständen Anhaltspunkte für eine solche Art und Weise der Legung der Magensonde ergeben. Darauf hat auch der Gerichtssachverständige hingewiesen. In seiner Anhörung vor dem Senat hat er bestätigt, dass die Behandlungsdokumentation zwar über das "Ob" der Legung der Sonde Auskunft gibt, nicht aber über die Art und Weise der Legung. Damit wiederholt er seine bisherige Sicht. Auf Seite 13 seines Gutachtens heißt es:

62

„Nach der Abszessspaltung und der Tonsillektomie erfolgten laut Dokumentation „... anschließend Spülung der Abszesshöhle mit H2O2 und Betaisodona“ und „Einlage einer Magensonde“. Der Zeitpunkt, die technische Vorgehensweise der Anlage der Magensonde oder die Person, welche die Maßnahme vorgenommen hatten wurden nicht dokumentiert.“

63

Die Beklagte hat einen Operationsbericht vorgelegt. Dieser bestätigt den Sachverständigen (I, 185). Im zur Akte gereichten OP-Protokoll vom 11. Oktober 2008 (I, 183) konnte der Sachverständige unter der Rubrik „Bemerkungen“ und der Zeitangabe „18.44 Uhr“ u.a. die Textstelle „Magensonde [belassen]“ ausfindig machen, was ebenfalls für die Richtigkeit der Angabe des Sachverständigen spricht. Ein unaufgelöster Widerspruch zum Schlichtungsgutachten folgt aus alledem nicht. Eine Dokumentation bzgl. der Magensondelegung wird dort zwar gänzlich verneint, was sich aber nur dadurch erklärt, dass den Schlichtungsgutachtern entweder nicht alle Unterlagen vorlagen oder sie die Behandlungsdokumentation fehlerhaft auswerteten.

64

Darin liegt eine weitere Schwäche des Schlichtungsgutachtens, die auf den Prozessverlauf nicht ohne Folgen geblieben ist. Auch das Vorbringen des Klägers hat sich im Verlaufe des Rechtsstreits dahin entwickelt, dass der Kläger davon ausgeht, die Sonde sei "blind" platziert worden, was er im Wege eines Erst-Recht-Schlusses für fehlerhaft erklärt hat. In der Klageschrift (I, 76) und im Klageentwurf zum PKH-Antrag (I, 3) hatte sich der Kläger aber nur und ausschließlich der Schilderung zum Behandlungsverlauf im Schlichtungsgutachten angeschlossen (I, 6, 79). Bei genauem Hinsehen haben weder die Schlichtungsgutachter noch der Kläger behauptet, dass die Verlegung "blind" erfolgt sei. Der Kläger zitiert aus dem Schlichtungsgutachten die Passage, dass „Fehllagen nach blinder Einführung von Magensonden häufig vorkommen“ (I, 9, 82). Indes beruht diese Formulierung der Schlichtungsgutachter auf einer von ihnen selbst wiedergegebenen Literaturquelle [Harris/Huseby und Boyes/Kruse unter den Fn. 1 und 2 - I, 32], die mit dem konkreten Fall nichts zu tun hat. Eine Verbindung zwischen der Formulierung und dem tatsächlichen Behandlungsgeschehen lässt sich daher nicht herstellen.

65

Der Vorwurf des Klägers, die Magensonde sei "blind" verlegt worden, lässt sich auch nicht halten. Aus der insoweit unterbliebenen Dokumentation folgt nichts dem Kläger Günstiges. Laut Berufungsbegründung sieht sich der Kläger zwar in seiner Einschätzung, die Magensonde sei fehlerhaft "blind" verlegt, bestätigt, weil der Sachverständige mit dem Gutachten auf "massive Dokumentationsmängel im Hinblick auf Lagekontrolle und blindes Vorgehen/Vorgehen unter Sicht" hingewiesen habe (III, 43). Doch damit zitiert der Kläger den Sachverständigen zum einen unrichtig, zum anderen versteht er ihn auch falsch. Eine Dokumentationspflicht bzgl. der Art und Weise der Sondenverlegung ("unter Sicht" vs. "blind") hat der Gerichtssachverständige verneint. Anders als der Kläger meint, gibt es nämlich keinen therapeutischen Grund, die Art und Weise der Legung der Sonde zu dokumentieren. Der Gerichtssachverständige hat in der Anhörung vor dem Senat eine Dokumentationspflicht ausdrücklich und wiederholt verneint und zur Begründung erläutert:

66

"Die konkret hier angewandte Technik der Magensondenverlegung ist nicht dokumentiert; sie muss es aber auch nicht.

67

Es ist richtig, dass ich mit meinen Ausführungen auf S. 14 meines Gutachtens nicht ausdrücken wollte, dass die dort erwähnten, nicht dokumentierten Angaben dokumentationspflichtig waren.

68

Auch unter Vorhalt des Umstandes, dass sich eine Sichtplatzierung der Magensonde, wie dieser Fall zeigt, mitunter durch als schwierig erweisen kann, bedarf es keiner Dokumentation der genauen Art und Weise der Sondenplatzierung ("blind" oder "auf Sicht"). Aus therapeutischer Sicht besteht keine Dokumentationsnotwendigkeit, denn aus therapeutischer Warte ist das "Ob" der Platzierung und ihr (subjektiver) Erfolg das entscheidende Faktum."

69

Dass nur das "Ob", nicht aber die Art und Weise der Anlage der Magensonde einer Dokumentation bedurfte, hatte der Sachverständige schon vor dem Ausgangsgericht bekundet (II, 131). Diese Beurteilung hält der Senat mit dem Sachverständigen auch weiterhin für zutreffend. Der Senat folgt dem Sachverständigen, der eine überzeugende Erklärung zur Notwendigkeit einer Dokumentation und deren Umfang abgegeben hat. Das Schlichtungsgutachten bleibt dagegen ungenau. Es ist nicht einmal auszuschließen, dass es auf unvollständiger Datengrundlage beruht.

70

Im Übrigen ist der Gerichtssachverständige in seiner Anhörung durch den Senat mit gut verständlichen Erwägungen von einer Verlegung der Sonde "unter Sicht" ausgegangen. Er hat dazu erklärt (Seite 2 des Protokolls vom 06. Februar 2017):

71

"Ich will darauf hinweisen, dass die Magensonde hier oral platziert wurde. In der Mehrzahl der Fälle erfolgt das eigentlich über die Nase. Das ging hier aber nicht, weil dort das Operationsgebiet war. Wird die Sonde über den Mund zugeführt, so ist das schwieriger und geht eigentlich nur unter Sicht, weshalb es für mich plausibel ist, wenn die Beklagtenseite eine Sichteinbringung vorgetragen hat."

72

Zudem hat der Gerichtssachverständige sehr klar deutlich gemacht, dass bei beiden Verlegungsarten ("unter Sicht"/"blind") das unvermeidliche Risiko von Fehllagen besteht. Im Übrigen sei im konkreten Fall zu berücksichtigen, dass zum einen der Beatmungsschlauch das Sichtfeld eingeschränkt hatte, und zum anderen die Art der Operation und die Lokalisation des Operationsgebietes im Rachenraum schwierige Sichtverhältnisse erzeugt hatten. Dazu der Sachverständige in seiner Anhörung durch den Senat (Seite 2 des Protokolls vom 06. Februar 2017):

73

"Aber auch "unter Sicht" kann es passieren, dass es in dem tieferen Bereich der oberen Speiseröhre zu einer Fehlleitung der Magensonde kommt. Was ich damit sagen will: Auch die Zuführung der Sonde unter Sicht ist keine Garantie dafür, dass die Sonde auch dort ankommt, wo man sie hinhaben möchte. Es ist richtig, dass eine Fehllage der Magensonde - auch unter Sicht zugeführt - ein nicht untypisches Risiko der Legung einer Magensonde ist."

74

Danach erweist sich der vom Kläger gezogene Rückschluss - weil sich die Lage der Sonde als unrichtig herausgestellt hatte, müsse es sich um eine behandlungsfehlerhafte Fehlplatzierung gehandelt haben - als unberechtigt. Ebenso unberechtigt ist die Annahme der Berufung, bei einer Platzierung der Sonde "unter Sicht" sei eine Fehlplatzierung nicht vorstellbar.

75

e) Im Ergebnis ist weiter festzuhalten, dass der Kläger einen primären Gesundheitsschaden nicht bewiesen hat, der auf die fehlerhafte Legung bzw. fehlerhafte Art und Weise der Legung der Magensonde beruht. Sowohl das Schlichtungsgutachten als auch der Gerichtssachverständige gehen davon aus, dass über die ursprünglich fehlplatzierte Magensonde keinerlei Flüssigkeiten und ähnliche Substanzen appliziert wurden (I, 26; II, 64). Die Schlichtungsgutachter halten eine Schädigung für „unwahrscheinlich“, der Sachverständige für „sehr unwahrscheinlich“, was angesichts der Kürze der Verweildauer der fehlplatzierten Sonde in der Lunge des Klägers nachvollziehbar ist. In der Anhörung vor dem Senat hat der Sachverständige den Zeitraum der Fehllage auf höchstens drei Stunden eingegrenzt, und zwar unterstellend, dass die Magensonde nicht am Ende der Operation (wovon aber nach den Behandlungsunterlagen und üblichen Abläufen auszugehen sei), sondern bereits zu Beginn der Operation angelegt wurde. Der Berufungsvortrag des Klägers bleibt ungenau. Er hält die Bewertung des Gerichtssachverständigen zwar für falsch, drückt aber nicht aus, aus welchen Tatsachen er dies entnimmt. Die Übereinstimmung von Schlichtungsgutachten und Gerichtsgutachter in der diesbezüglichen fachlichen Bewertung ignoriert die Berufung.

76

Mit Blick auf die (behauptete) Weitergabe von Keimen aus dem Rachenraum in die Lunge ist auch nicht erwiesen, dass hierfür die Fehlplatzierung der Magensonde verantwortlich war. Es kommen andere Ursachen in Betracht, namentlich der bereits entwickelte Abszess im Rachenraum. Die Schlichtungsgutachter halten es auf Seite 4 des Gutachtens zwar für „nicht unwahrscheinlich“, dass keimhaltiges Sekret während der Abszessspaltung entlang der falsch liegenden Sonde in die Lunge eingetreten sein könnte (I, 25). Sie führen aber auch aus, dass als Quelle der Sepsis der ausgedehnte retropharyngeale Abszess „als ebenso wahrscheinlich“ angesehen werden könne (I, 30). Eindeutiger heißt es auf Seite 10 (I, 31):

77

„Angesichts der weiteren Umstände (Retropharyngealabszess mit Mediastinitis) ist ein monokausaler Zusammenhang zwischen der Magensonden-Fehllage und der Sepsis ... schwer belegbar.“

78

Ein Widerspruch zu den Feststellungen des Gerichtssachverständigen folgt daraus nicht. Zum einen hat der Gerichtssachverständige hervorgehoben, dass auch eine korrekt sitzende Magensonde eine stille Aspiration und respiratorische Komplikationen begünstige (Seite 24 - II, 64). Zum anderen kommt er auf Seite 25 des Gutachtens zu der nachvollziehbaren Feststellung, dass „der septische Schock und das Multiorganversagen [...] nicht auf die Malposition der Magensonde zurückzuführen [seien], sondern auf die ausgedehnte Abszedierung im Bereich von Pharynx und Larynx.“ (II, 65). Konkret heißt es:

79

„Ob in der relativ kurzen Zeit der intrabronchialen Position der Magensonde eine Verschleppung von grampositiven Bakterien aus dem Operationsgebiet in die Lunge eintrat, bleibt spekulativ, zumal der Patient bereits vorher systemische Antibiotika bekommen hatte.“

80

Vor dem Senat hat der Sachverständige einen Bakterieneintrag über die falsch platzierte Sonde als "abstrakt-theoretisch denkbar" bezeichnet und diese Aussage ins Verhältnis zu dem äußerst engen Zeitkorridor gesetzt (Seite 3 des Protokolls vom 06. Februar 2017):

81

"Nach den Abläufen ist anzunehmen, dass die Magensonde zum Ende der OP eingebracht wurde, so dass die Zeitdauer bis zur erkannten Fehllage auf der Intensivstation rund 90 Minuten betragen haben dürfte. Aber selbst wenn man von maximal drei Stunden ausginge, ist das keine Zeitdauer, die einen Zusammenhang zwischen der weiteren gesundheitlichen Entwicklung beim Kläger einerseits und der Fehllage der Magensonde andererseits wahrscheinlich macht. Vielmehr gehe ich davon aus, dass die weitere gesundheitliche Entwicklung beim Kläger Folge der Abszesse im Rachen-/Kehlkopfbereich war. Dabei habe ich mich auch mit dem von der Berufung zitierten Krankheitsverlauf beim Kläger seit dem 30.10.2008 auseinandergesetzt. Das ändert aber an meiner Einschätzung zur sehr unwahrscheinlichen Kausalität zwischen der zeitweisen Magensondenfehllage und dem weiteren Krankheitsverlauf nichts."

82

Auf die Nachfrage des Klägervertreters in der Anhörung vor dem Senat, wie die Pilzinfektion bzw. MRSA-Keime in die Lunge gelangt seien (wenn nicht in der Folge der Fehlplatzierung der Magensonde), hat Prof. H. sehr deutlich ausgeführt:

83

"Jedenfalls nicht in der Folge der Fehllage der Magensonde. Man muss sehen, dass es sich bei der hier bestehenden Pilzinfektion um einen ganz typischen Infekt für Sepsiserkrankte handelt, und zwar im zeitlich späteren Verlaufsstadium der Sepsis. MRSA-Keime sind antibiotikaresistente Keime, die typischerweise nach längerer Antibiotikagabe auftreten. Was ich sagen will: Beide Erscheinungen sind typisch für den Fall und das zeitlich Stadium nach einer lang andauernden Intensivtherapie. Das steht im Widerspruch zu der Kurzfristigkeit der vorübergehenden Fehllage einer Magensonde, wie sie hier gegeben war."

84

Diese Erläuterung des Gerichtssachverständigen ist für den Senat nachvollziehbar und überzeugend.

85

f) Ein Behandlungsfehler ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Ärzte des Beklagten es versäumt hätten, die korrekte Platzierung der Magensonde zu kontrollieren. Für die Ärzte hatten sich bis zum Auftreten von Beatmungsproblemen auf den Weg zur Intensivstation keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine Fehlplatzierung vorlag. Dass die Fehllage postoperativ festgestellt und behoben wurde, nimmt der Kläger nicht mehr in Abrede, wie er in der Berufungsverhandlung klargestellt hat. Der Gerichtssachverständige hat sich zu etwaigen Kontrollen eindeutig positioniert. Ein Widerspruch zum Schlichtungsgutachten liegt nicht vor. Prof. H. hat bestätigt, dass es der fachärztliche Standard nicht geboten habe, bereits intraoperativ umgehend die Lage der Magensonde per Röntgenbild zu überprüfen. Das ist für den Senat einsichtig. Dass bei dem Kläger auf der Intensivstation eine Bronchoskopie durchgeführt wurde, steht fest. Der Gerichtssachverständige beruft sich hierfür auf den Bericht von Herrn Prof. Dr. med. R. vom 03. September 2009, der genau das bestätigt (I, 141) und dessen inhaltliche Richtigkeit vom Kläger auch nicht mit Substanz in Abrede genommen wird:

86

„Wir führten unmittelbar nach der Aufnahme wegen der berichteten Beatmungsprobleme eine Bronchoskopie durch, in welcher sich die Magensonde im rechten Hauptbronchus darstellte. Wir entfernten die bronchial liegende Magensonde und platzierten eine neue Magensonde, die im Röntgenbild in regelrechter Lage mit in die Kardia umgeschlagener Spitze zu sehen war (konventionell a.p. 12.10.2008) [...].“

87

Das Schlichtungsgutachten kommt zu dem Ergebnis, dass sich die Durchführung einer Bronchoskopie und die Neuanlage der Magensonde „aus der Intensivdokumentation nicht nachvollziehen“ lasse (Seite 5 - I, 26). Auch das begründet keinen unauflösbaren Widerspruch. Auch in diesem Punkt ist davon auszugehen, dass die Schlichtungsgutachter nicht alle Unterlagen zur Verfügung hatten oder diese jedenfalls nicht vollständig auswerteten.

88

Die Durchführung einer Bronchoskopie hielt der Gerichtssachverständige für geboten, und zwar nicht anlassunabhängig, sondern nur in dem Fall, dass Verdachtsanzeichen für eine Fehllage bestehen. Solche Anzeichen bestanden nach den fachlichen Einschätzungen des Gerichtssachverständigen - dabei die ex-ante Perspektive der Behandler einnehmend - erst, als sich der Kläger auf dem Weg auf die Intensivstation befand und sich das Atemminutenvolumen merklich verringerte. Bis dahin waren, so der Sachverständige schon vor dem Landgericht, die Atemwerte normal und gaben keinen Hinweis auf eine Fehllage (III, 134).

89

Dem Röntgenbild vom 12. Oktober 2008 räumt der Gerichtssachverständige nur eine untergeordnete Bedeutung ein, was für den Senat gut nachvollziehbar ist. Das Schlichtungsgutachten nimmt auf die Röntgenaufnahme Bezug, die am Tage nach der Operation angefertigt wurde und belegt, dass die Magensonde nach der Neuanlage richtig platziert war (I, 26). Einen korrekten Sitz der neu angelegten Sonde leitet auch der Sachverständige aus dieser Aufnahme ab (II, 56). Allerdings hat der Sachverständige bestätigt, dass es nur dieses eine Röntgenbild gibt, also vor der Neuanlage kein Röntgenbild angefertigt worden war. Darin liegt kein Fehler der Beklagten. Zum einen war auf der Intensivstation bereits eine Bronchoskopie durchgeführt worden, die zur Behebung der Fehlplatzierung führte. Zum anderen wäre die Anfertigung eines Röntgenbilds zur Nachtzeit nicht indiziert gewesen. Überdies wäre das Röntgenbild aber auch mit einer anderen Zielrichtung als zur Kontrolle der Sondenplatzierung angefertigt worden. Dass die Anfertigung eines Röntgenbilds geboten war, hatte Prof. H. schon dem Landgericht bestätigt (II, 133). Er hat diese Ansicht vor dem Senat wiederholt. Mit dem Röntgenbild soll, so der Sachverständige, nicht vordergründig der korrekte Sitz der Magensonde überprüft werden, sondern es hätte dazu gedient, den Zustand der Lunge zu kontrollieren und etwaige pathologische Veränderungen im Mittelfellbereich aufzuspüren. Der Senat hält diese Erklärung für überzeugend, zumal der Sachverständige damit auch ein Missverständnis aufgeklärt hat, das zustande gekommen ist, weil die Berufung eine Bemerkung des Sachverständigen vom 20. November 2015 falsch wiedergegeben hat. Der Kläger hatte angenommen, der Sachverständige habe vor dem Landgericht bekundet, dass „bei der Operation ein Röntgenbild für den Operationsbereich des Rachens angefertigt worden sei, so dass der Sachverständige annehme, dass dabei wohl auch die Lage der Magensonde überprüft worden sei“ (Seite 9 der Berufungsbegründung - III, 43). Aus dem Protokoll der Anhörung ergibt sich eine solche Bekundung nicht. Im Protokoll wird der Sachverständige damit zitiert, dass es „bei Operationen wie der hier vorliegenden [...] geboten [sei], direkt nachdem der Patient auf der Intensivstation ankommt, ein Röntgenbild zu fertigen. Im Rahmen dieses Röntgenbildes kann auch die Lage der Magensonde kontrolliert werden.“ In der Anhörung des Sachverständigen vom 06. Februar 2017 ist nun aber klar geworden, dass er im Protokoll des Landgerichts richtig wiedergegeben wird, es nur eine Röntgenaufnahme gegeben hat und diese die neu angelegte Sonde zeigt. Auch ist deutlich geworden, dass es nach dem fachmedizinischen Standard nicht geboten war, zeitlich früher ein Röntgenbild mit der Stoß- und Zielrichtung einer Überprüfung der Lage der Magensonde zu fertigen.

90

g) Auch die zeitlichen Abläufe auf der Intensivstation lassen fehlerhaftes Verhalten nicht erkennen. Auf der Basis der Stellungnahme von Prof. R. hat der Sachverständige eine pflichtwidrige Verzögerung verneint. Er hat das Zeitfenster zwischen Operation und Korrektur der Sonde plausibel dargelegt. Anders als die Berufung glauben machen will (III, 44), steht das Schlichtungsgutachten zu den Feststellungen des Gerichtssachverständigen nicht im Widerspruch. Der Kläger zitiert den Sachverständigen richtig, denn dieser hat ausgeführt, dass die „intrabronchiale Position der Magensonde bei Herrn G. relativ schnell[rasch] auf der Intensivstation bemerkt und korrigiert wurde“ (Seite 24 des Gutachtens - II, 64). Dass „es nach dem ärztlichen Verlaufsbericht der Intensivstation am ersten Tag noch eine Weile gedauert“ habe, bis dies überprüft worden sei, können selbst die Schlichtungsgutachter nicht bestätigen. Dass sich Handlungsbedarf „auf dem Weg zur Intensivstation“ ergeben hat, trägt der Kläger selbst vor. Das ist unstreitig. Die Ärzte der Beklagten reagierten auf der Intensivstation auch umgehend: Zum einen mit der Bronchoskopie, nachdem die Beatmungsprobleme auftragen. Auch fand eine Beobachtung statt. Der Sachverständige hat aus der Tageskurve der Intensivstation zitiert, in der verschiedene Messwerte eingetragen sind (Seite 15 des Gutachtens - II, 55). Das Schlichtungsgutachten bemängelt den Zeitpunkt der ärztlichen Reaktion ebenfalls nicht (was das Klägervorbringen ignoriert). Auf den Seiten 5 bis 10 bemängelt das Schlichtungsgutachten wohl die Vollständigkeit und Nachvollziehbarkeit der (den Schlichtungsgutachtern vorliegenden) Dokumentation. Belastbare Hinweise auf eine zu späte Reaktion in der Intensivstation finden sich darin aber nicht. Die Schlichtungsgutachter bleiben dazu vielmehr nebulös-spekulativ (I, 31), wenn sie pauschal angeben:

91

„Eine zusätzliche Schädigung des Patienten durch die (intraoperativ) trotz nachweislicher Beatmungsprobleme nicht bemerkte Magensonden-Fehllage ist nicht auszuschließen.“

92

Diese Aussage ist unzutreffend, soweit sie fälschlich unterstellt, die Fehllage sei nicht bemerkt worden. Zudem sieht der Senat auch keinen hinreichenden Beleg für eine behandlungsfehlerhafte Verzögerung. Es kommt nicht darauf an, was "nicht auszuschließen" ist, sondern auf das, was sich belegen lässt.

93

h) Der Beklagten ist auch kein Behandlungsfehler im Hinblick auf die "erst" ab dem 03. November 2008 unternommene Befunderhebung durch CT anzulasten. Zwar gelangt das Schlichtungsgutachten zu der vagen Einschätzung, dass es klinische Symptome für Posteriorinfarkte bereits am 30. Oktober 2008 gegeben habe, eine Computertomographie dagegen erst am 03. November 2008 durchgeführt worden sei (I, 29). Der Sachverständige hat sich in der Anhörung vor dem Senat dazu eindeutig erklärt, indem er nach Durchsicht der Behandlungsunterlagen keine belastbaren Hinweise gefunden hat, nach denen ein CT schon vor dem 03. November 2008 hätte durchgeführt werden müssen. Beim Kläger seien gewisse neurologische Veränderungen festzustellen gewesen; es habe aber ein wechselhaftes Krankheitsbild bestanden, so dass nicht zu erkennen sei, dass es trotz des Vorliegens klinischer Symptome zu einer fehlerhaft verspäteten Befunderhebung gekommen sei (Seite 6 des Protokolls vom 06. Februar 2017). Der Senat schließt sich dieser überzeugenden Einschätzung an.

94

i) Allerdings liegt ein Behandlungsfehler der behandelnden Ärzte darin, dass sie erst ab dem 02. November 2008 - und nicht schon mit Abschluss der Operation - neben der mechanischen auch eine medikamentöse Thromboseprophylaxe veranlassten. Mit dem Landgericht ist darin jedoch lediglich ein "einfacher" Behandlungsfehler zu sehen, der keine Beweiserleichterung zugunsten des Klägers begründet.

95

Schlichtungsgutachter und Gerichtssachverständiger stimmen überein, dass eine Indikation zur medikamentösen Thromboseprophylaxe seit dem 11. Oktober 2008 bestanden hatte und die unterlassene medikamentöse Prophylaxe einen Behandlungsfehler begründet. Im Schlichtungsgutachten heißt es auf Seite 8 (I, 29):

96

„Die während der ersten 21 Tage der Behandlung unterbliebene medikamentöse Thromboseembolieprophylaxe ist als Behandlungsfehler [...] anzusehen.“

97

Im Sachverständigengutachten vom 22. Juni 2015 führt Prof. H. aus (II, 68, 75):

98

„Zusammengefasst lag bei Herrn G. seit dem 11.10.2008 die Indikation zur medikamentösen Thromboseprophylaxe mit Heparin vor.“

99

„Bei schwerer Sepsis und beim septischen Schock wurde nach seinerzeit geltenden nationalen und internationalen Leitlinien die intravenöse Gabe von Heparin empfohlen. Dieses schwere Krankheitsbild lag bei Herrn G. zweifellos vor, so dass nach Aufnahme auf der Intensivstation eine medikamentöse Thromboseprophylaxe indiziert war. Daher stellt die unstreitige Tatsache, dass eine medikamentöse Thromboseprophylaxe mittels Enoxaparin (Clexane®) erst ab dem 02.11.2008 erfolgte, einen Behandlungsfehler dar.“

100

An dieser Einschätzung hat der Gerichtssachverständige auch in der Folgezeit festgehalten. Er hat dem Ausgangsgericht im Einzelnen erläutert, weshalb die Behandlung mit Heparin geboten war (Protokoll vom 20. November 2015 - II, 134). In seiner Anhörung vor dem Senat hat er dies wiederholt und vertieft und betont, dass die Heparingabe an einen solch intensivmedizinisch zu versorgenden Patienten (bereits) 2008 Standard gewesen sei. Zugleich hat er seine bereits in erster Instanz vertretene Einschätzung bekräftigt, dass aus seiner fachmedizinischen Sicht die Voraussetzungen für eine Einstufung als grober Behandlungsfehler hingegen nicht vorlägen. Folgende Überlegungen hat der Sachverständige in den Mittelpunkt seiner Erwägungen gerückt (vgl. Seite 5 des Sitzungsprotokolls vom 06. Februar 2017):

101

"Im Bereich des internistischen Patientengutes ist die Gabe modernen Heparins ein die Überlebenschancen erhöhender Faktor. Hier hatten wir es aber nicht mit einem internistischen, sondern mit einem operativen Patienten zu tun. Aussagekräftiges Datenmaterial für solche Patienten liegt nicht vor. Bei einem septischen Patienten, wie es der Kläger war, sind Gerinnungsstörungen prinzipiell in beide Richtungen denkbar. Was ich damit sagen will: Es gibt nicht die eine Therapie, die allen denkbaren Entwicklungen von Gerinnungsstörungen (in alle denkbaren Richtungen) entgegenzuwirken vermag. Die Empfehlung ging schon 2008 dahin, für Fälle wie dem Vorliegenden Heparin zu geben. Wenn man auf einer Skala zwischen starken, mittelstarken und eher schwachen Empfehlungen unterscheidet, dann war das hier eine mittelstarke Empfehlung. Man soll also Heparin geben.

102

Wenn ich auf die durchgeführte mechanische Prophylaxe angesprochen werde:

103

Sie zeigt, dass es nicht so ist, dass man auf Seiten der Beklagten eine Thromboseprophylaxe überhaupt nicht im Blick hatte. Die mechanische Thromboseprophylaxe erfolgt über den Druck an den Beinen, der dem Entstehen von Thromben entgegenwirkt bzw. wirken soll. Für den unfallchirurgischen Bereich gibt es Studien, wonach das keinesfalls völlig wirkungslos ist. Für den intensivmedizinischen Bereich sind mir solche Studien nicht bekannt. Dafür gibt es zu wenig Daten. Wenn ich die Gesamtsituation des Klägers und die dokumentierten Maßnahmen betrachte, dann stellt sich das Bild für mich so dar, dass man auf Beklagtenseite eine Abwägung vornahm (allerdings aus meiner Sicht mit dem falschen Abwägungsergebnis): Man hat das Blutungsrisiko bei Heparingabe in den Mittelpunkt gerückt und sich offenbar deshalb für eine nur mechanische Prophylaxe entschieden."

104

"Über die Nähe zu großen Gefäßen hinaus hatten es die Behandler mit einem Operationsgebiet zu tun, von dem man annehmen musste, dass es im Wundbereich zu Blutungen kommen könnte, sodass prinzipiell die Überlegung, mit der Heparingabe ungewollte Gerinnungsprobleme hervorzurufen, durchaus - im Ausgangspunkt - ihre Berechtigung hatte."

105

Diese fachmedizinischen Bewertungen des Sachverständigen zeigen dem Senat, dass das Operationsgebiet im Hals- und Rachenbereich und das befürchtete Risiko ungewollter Gerinnungsprobleme in der Nähe großer Gefäße bei der Abwägung, ob es neben der mechanischen Prophylaxe auch zur Heparingabe kommen musste, im Ausgangspunkt durchaus eine berechtigte Rolle spielten und spielen durften. Auf der anderen Seite ist zu sehen, dass die Wirkung der mechanischen Prophylaxe im intensivmedizinischen Bereich nicht durch Studien belegt war, also auch im konkreten Fall eine ausreichende Vorsorge nicht gesichert schien. Tätigt man eine Gesamtschau auf die vorstehend zitierten fachmedizinischen Einschätzungen des Gerichtssachverständigen, insbesondere auf die vom Senat im Fettdruck hervorgehobenen Erwägungen, und nimmt man in den Blick, dass es letztlich - wenngleich verzögert - zu einer Heparingabe ab dem 2. November 2008 kam, so erweist sich die rechtliche Bewertung des Landgerichts als richtig, in dem Behandlungsfehler des Beklagten lediglich einen "einfachen" und nicht einen groben Behandlungsfehler zu sehen. Auf der Grundlage der Überlegungen des Sachverständigen liegt kein Fehler vor, der aus objektiv ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler einem Arzt schlechterdings nicht unterlaufen darf (u. a. Geiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl. 2014, Rn. B 252 m. w. N.). Nach allem kommt dem Kläger als Beweiserleichterung zwischen Behandlungsfehler und primärem Gesundheitsschaden auch keine Beweislastumkehr zugute, von der der Bundesgerichtshof in ständiger Rechtsprechung ausgeht (u. a. BGH, Urteil vom 19. Juni 2012, VI ZR 77/11; Rn. 6 m.N. - zitiert nach juris).

106

2. Primärer Gesundheitsschaden

107

Der Nachweis eines primären Gesundheitsschadens, der kausal auf dem erwiesenen Behandlungsfehler der Beklagten (vorstehend unter Ziff. 1. Buchst. i) zurückgeht, ist dem Kläger nicht gelungen. Es steht nicht fest (§ 286 Abs. 1 ZPO), dass die Hirninfarkte, die Becken- und Beinvenenthrombosen oder weitere angeführte Dauerbeeinträchtigungen des Klägers ihre Ursache in der zwischen dem 11. Oktober und dem 01. November 2008 unterlassenen Heparinphrophylaxe haben.

108

a) Zwar hat der Gerichtssachverständige ausgeführt, dass bei einer Heparinprophylaxe die Becken- und Beinvenenthrombosen „wahrscheinlich nicht aufgetreten“ wären (II, 78). Nach ausführlicher Erläuterung der medizinischen Zusammenhänge hat er in der Anhörung vor dem Senat (vgl. Seite 6 des Protokolls vom 06. Februar 2017) seine Angaben dahin präzisiert, dass die Becken- und Beinvenenthrombosen bei einer Heparingabe "mit einer Wahrscheinlichkeit von mehr als 50 %" nicht aufgetreten wären. Zu einer höheren Wahrscheinlichkeitsangabe hat er sich nicht in der Lage gesehen, zum einen deshalb nicht, weil die Heparingabe nur bei einem der drei das Auftreten von Venenthrombosen beeinflussenden Faktoren ansetzt; die beiden anderen Faktoren bleiben davon also unbeeinflusst (vgl. Absatz 4 auf Seite 6 des Sitzungsprotokolls vom 06. Februar 2017). Zum anderen hatte der Gerichtssachverständige bereits auf Seite 26 seines Gutachtens (II, 66) deutlich gemacht, auch eine anderen Ursache für das Auftreten von Thrombosen für möglich zu halten:

109

"Bei intensivmedizinischen Patienten ist grundsätzlich das Risiko für Thrombosen erhöht. Eine neuere Studie des American College of Surgeons [...] zeigt, dass auch eine präoperativ bestehende Sepsis im postoperativen Verlauf zu deutlich häufigeren arteriellen und venösen Thrombosen führt."

110

Diese Einschätzung stimmt mit der Bewertung durch die Schlichtungsgutachter überein, die auf Seite 10 des Schlichtungsgutachtens die Frage nach der Kausalität zwischen der verzögerten Heparingabe einerseits und Thrombosen/Hirninfarkten - dabei nicht nach Schadensbildern differenzierend - andererseits vergleichbar zurückhaltend beantworten (I, 31):

111

"Ein Zusammenhang zwischen unterbliebener medikamentöser Thromboembolieprophylaxe, den Beckenvenenthrombosen und den Hirninfarkten erscheint prinzipiell möglich, lässt sich aber angesichts der unabhängig vom Behandlungsfehler bestehenden Umstände (Abszesse retropharyngeal und mediastinal, fehlender Nachweis eines offenen Foramen ovale) und zusätzlichen Risikofaktoren (schwere Sepsis, (notwendige) Katheteranlagen in den Vv femorales) nicht mit hinreichender Sicherheit beweisen."

112

Angesichts dieser Einschätzungen lässt sich darauf eine volle richterliche Überzeugung nicht stützen. Für den Senat bleiben bei einem derart niedrigen Grad an Gewissheit weiterhin vernünftige Zweifel daran, dass eine rechtzeitige Heparingabe die Becken- und Beinvenenthrombosen verhindert hätte. Anders als der Kläger mit der Berufung anführt (III, 41), genügt eine bloße überwiegende Wahrscheinlichkeit nicht, um einen Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte begründen zu können.

113

b) Auch ein Kausalzusammenhang zwischen der unterlassenen Heparingabe und den diagnostizierten Hirninfarkten in den hinteren Hirnschlagadern ist nicht erwiesen. Nach den überzeugenden Ausführungen des Gerichtssachverständigen ist ein solcher Zusammenhang sogar ausgeschlossen.

114

Das Schlichtungsgutachten hält einen ursächlichen Zusammenhang "nicht mit hinreichender Sicherheit" für bewiesen (s. o.). Dem hat sich der Gerichtssachverständige auf Seite 31 seines Gutachtens angeschlossen (II, 71):

115

"Im vorliegenden Fall waren durch die ausgedehnte Abszedierung im Halsbereich, den septischen Schock und das Multiorganversagen mehrere Faktoren vorhanden, die allein oder in Kombination zu schweren zerebralen Perfusionsstörungen führen können. Ein kausaler Zusammenhang zwischen der vom 11.10.2008 bis 02.11.2008 fehlerhaft nicht durchgeführten Thromboseprophylaxe mit Heparin und den Hirninfarkten im Bereich der rechten und linken Arteria cerebri posterior ist daher nicht eindeutig herzustellen."

116

Bereits diese Einschätzungen genügen für einen Kausalitätsnachweis nicht. In seiner Anhörung vor dem Landgericht ist der Sachverständige noch deutlicher geworden:

117

"Ein Kausalzusammenhang zwischen der unterlassenen Thromboseprophylaxe mit Heparin und dem später erlittenen Schlaganfall kann definitiv ausgeschlossen werden. Dies habe ich auch schriftlich schon erläutert. Die Thrombose, die zum Schlaganfall geführt hat, hat in einer Arterie stattgefunden. Die Prophylaxe mit Heparin kann nur Thrombosen in den Venen verhindern. [...]."

118

An dieser einen Kausalzusammenhang ausschließenden Bewertung hat Prof. H. in seiner Anhörung vor dem Senat festgehalten. Er hat den medizinischen Zusammenhang zwischen der Heparingabe und der Entstehung von Schlaganfällen im arteriellen System gut verständlich und ausführlich dargelegt (vgl. Seite 6 des Protokolls) und mit der Einschätzung geendet:

119

"Ich bleibe dabei, dass ein Kausalzusammenhang zwischen der unterlassenen Thromboseprophylaxe mittels Heparin und den Hirninfarkten auszuschließen ist."

120

Hierbei hat der Gerichtssachverständige auch die bereits im Schlichtungsgutachten (I, 28) erörterte Frage nach einer Verbindung zwischen dem Arterien- und Venenkreislauf berücksichtigt. Mithilfe eines Echokardiogramms sei ausgeschlossen worden, dass beim Kläger eine venöse Thrombe in den arteriellen Kreislauf gelangt sein könnte. Angesichts dieser Feststellungen bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die unterlassene Heparingabe die Hirninfarkte ausgelöst haben könnte.

121

c) Im Übrigen lässt sich aus den Feststellungen der Sachverständigen auch wegen anderer angeführter Dauerbeeinträchtigungen des Klägers ein Kausalzusammenhang zum oben beschriebenen Behandlungsfehler nicht herstellen.

122

Nach allem war die Berufung zurückzuweisen, weil das angefochtene Urteil richtig ist.

III.

123

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit resultiert aus §§ 708 Nr. 10 Satz 1 und 2, 711, 709 Satz 2 ZPO.

124

Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

125

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren folgt aus §§ 47, 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit §§ 3, 9 ZPO.

126

Der Gebührenstreitwert für das Berufungsverfahren war auf die Stufe bis 230.000 Euro festzusetzen. Mit Blick auf den Feststellungsantrag unter Ziff. 3 ist auszuführen, dass die Basis der klägerischen Berechnung für den Gebührenstreitwert unrichtig ist, wie bereits mit Beschluss des Einzelrichters vom 14. Juli 2016 in dem Beschwerdeverfahren Az. 1 W 4/16 ausgeführt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird verwiesen. Danach wendet der Kläger zu Unrecht § 42 Abs. 1 GKG an und gelangt zum fünffachen Jahresbetrag, vom dem er dann einen 20-Prozent-Abschlag vornimmt. Zutreffend kommt aber § 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit §§ 3, 9 ZPO zur Anwendung, und es ist nur mit dem 3,5-fachen Jahresbetrag zu rechnen. Fernab davon wäre die festzusetzende Stufe nach beiden Berechnungen gleich.

127

gez. Dr. Holthaus               gez. Haberland               gez. Dr. Hoppe


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