Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (2. Senat für Familiensachen) - 10 UF 169/15

Tenor

I. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - L. vom 13. August 2015 (121 F 64/15) wird als unzulässig verworfen.

II. Der Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Beschwerde wird zurückgewiesen.

III. Der Antragsteller hat die Kosten des Wiedereinsetzungsverfahrens zu tragen. Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt der Antragsgegner 80 % und der Antragsteller 20 %.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller nimmt den Antragsgegner auf die Zahlung von Kindesunterhalt in Anspruch.

2

Der Antragsgegner ist der Vater des am …2002 geborenen Antragstellers. Der Antragsteller lebt im Haushalt der Kindesmutter und wird von ihr betreut. Der Antragsgegner wurde mit anwaltlichem Schreiben vom 19. Mai 2014 aufgefordert, Kindesunterhalt zu zahlen.

3

Das Amtsgericht - Familiengericht - L. hat den Antragsgegner durch Beschluss vom 13. August 2015 zur Zahlung von Kindesunterhalt in wechselnder Höhe verpflichtet. Der Beschluss ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers durch Empfangsbekenntnis am 27. August 2015 zugestellt worden (Blatt 28 der Akte).

4

Durch Schriftsatz vom 31. August 2015 - beim Amtsgericht - Familiengericht - L. am 1. September 2015 eingegangen - hat der Antragsteller die Berichtigung des familiengerichtlichen Beschlusses beantragt. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt des Berichtigungsantrages (Blatt 29/30 der Akte) Bezug genommen. Nachdem der Antrag auf Berichtigung dem Antragsgegner zur Stellungnahme zugeleitet wurde, ist der Antrag auf Berichtigung durch Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - L. vom 29. September 2015 zurückgewiesen worden.

5

Mit Schriftsatz vom 23. September 2015 - beim Amtsgericht - Familiengericht - L. eingegangen am 24. September 2015 - hat der Antragsgegner gegen den Beschluss vom 13. August 2015 Beschwerde eingelegt. Diese Beschwerde hat er mit Schriftsatz vom 14. Oktober 2015 zurückgenommen.

6

Durch Schriftsatz vom 14. Oktober 2015 - beim Amtsgericht - Familiengericht - L. eingegangen am 16. Oktober 2015 - hat der Antragsteller gegen den Beschluss des Familiengerichts vom 13. August 2015 Beschwerde eingelegt und gleichzeitig beantragt, ihm wegen der Versäumung der Einspruchsfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Dieser Schriftsatz ist beim Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht am 21. Oktober 2015 (Blatt 55 der Akte) eingegangen.

7

Der Antragsteller ist der Auffassung, dass er die Beschwerdefrist schuldlos versäumt habe, da er auf eine Auskunft der erstinstanzlich zuständigen Richterin am Amtsgericht habe vertrauen dürfen. Er habe mit der zuständigen Richterin am 16. September und 24. September 2015 telefoniert. Die als Anlage 1 und 2 eingereichten Aktenvermerke des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers lauten wie folgt:

8

Aktenvermerk vom 16. September 2015:

9

„Ich habe mit Frau F. (Richterin am Amtsgericht L.) telefoniert. Diese will sich noch bis 18.09.2015 hier gemeldet haben. Ich habe ihr erklärt, dass die Rechtsmittelfrist am 27.09.2015 ausläuft. Spätestens dann muss gegen den Beschluss Berufung eingelegt werden. Diktat RA V.“

10

Aktenvermerk vom 24. September 2015:

11

„Ich habe am 24.09.2015 wiederum mit Frau F. (Richterin am Amtsgericht L.) telefoniert. Frau F. erklärte jetzt, dass sie sich den Berichtigungsantrag angesehen hat. Sie erklärte ferner, dass sie den Beschluss vom 13.08.2015 entsprechend meines Antrages vom 31.08.2015 berichtigen will. Sie erklärte ferner, dass sie allerdings noch etwas zuwarten müsse, da die Stellungnahmefrist für den Antragsgegner erst am 02.10.2015 endet. Frau F. gab in dem Telefonat auch zu, dass sie die Kinder in der Tenorierung und in den Textpassagen des Beschlusses vom 13.08.2015 vertauscht hatte. gez. V.“

12

In dem Antrag auf Wiedereinsetzung vom 14. Oktober 2015 ist die Beschwerde auch begründet worden. Der Antragsteller ist der Auffassung, dass das Gericht aufgrund einer Verwechslung hier rechtsfehlerhaft tenoriert habe.

13

Er beantragt (sinngemäß),

14

den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - L. wie folgt abzuändern:

15

Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller rückständigen Unterhalt für die Zeit von Mai 2014 bis Oktober 2014 in Höhe von insgesamt 446,00 € zu zahlen.

16

Darüber hinaus wird der Antragsgegner verpflichtet, an den Antragsteller für die Monate November 2014 und Dezember 2014 monatlich 286,00 € zu zahlen.

17

Der Antragsgegner wird verpflichtet, an den Antragsteller ab Januar 2015 65,379 % des Mindestunterhalts der jeweiligen Altersstufe von derzeit 462,00 € abzüglich Kindergeld in Höhe von 92,00 €, somit 242,00 € zu zahlen.

18

Der Antragsgegner beantragt,

19

den Antrag auf Wiedereinsetzung abzuweisen.

20

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schrift-sätze nebst Anlagen verwiesen.

21

Der Senat hat durch Verfügung des Vorsitzenden vom 21. Oktober 2015 eine dienstliche Stellungnahme der erstinstanzlich zuständigen Richterin am Amtsgericht zu dem Inhalt der mit dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers geführten Telefongespräche eingeholt. Hinsichtlich des Inhalts der dienstlichen Stellungnahme wird auf die dienstliche Stellungnahme vom 2. November 2015 (Blatt 66 der Akte) verwiesen.

II.

22

1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - L. vom 13. August 2015 ist als unzulässig zu verwerfen, da diese nicht fristgerecht beim insoweit empfangszuständigen Amtsgericht - Familiengericht - L. eingereicht worden ist, §§ 113 Abs. 1, 58 Abs. 1, 63 Abs. 1, Abs. 3, 64 Abs. 1, 117 Abs. 1 FamFG und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Versäumung der Beschwerdeeinlegungsfrist nicht gewährt werden kann.

23

2. Der Antrag des Antragstellers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist ist zurückzuweisen.

24

Der Wiedereinsetzungsantrag des Antragstellers ist schon nicht fristgerecht bei dem insoweit zuständigen Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht eingegangen. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Beschwerdefrist muss innerhalb einer zweiwöchigen Frist beantragt werden, § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Empfangszuständig für den Antrag auf Wiedereinsetzung ist gemäß § 117 Abs. 5 FamFG i.V.m. § 237 ZPO das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht. Nach § 237 ZPO ist der Antrag auf Wiedereinsetzung an das Gericht zu richten, welches auch über den Antrag auf Wiedereinsetzung entscheidet. Dies ist das Gericht, dem die Entscheidung auch über die nachgeholte Prozesshandlung - hier über die Beschwerde - zusteht. Zwar ist gemäß § 64 Abs. 1 FamFG die Beschwerde selbst beim Ausgangsgericht - hier dem Amtsgericht - Familiengericht - L. - einzulegen. Eine Entscheidung über die Beschwerde erfolgt allerdings gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1a GVG durch das jeweils zuständige Oberlandesgericht. Daraus folgt, dass der Antrag auf Wiedereinsetzung innerhalb der Frist grundsätzlich beim jeweiligen Oberlandesgericht - hier dem Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgericht - einzulegen ist (vgl. BGH FamRZ 2013, 1385; Musielak/Voit/Grandel, ZPO 12. Aufl. 2015, § 237 ZPO Rn. 1).

25

Selbst wenn man zugunsten des Antragstellers den Beginn der Wiedereinsetzungsfrist mit der Zustellung des Beschlusses über die Ablehnung der Berichtigung ansetzen würde, wäre die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist versäumt. Denn dieser Beschluss ist dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers am 5. Oktober 2015 (vergleiche Empfangsbekenntnis Blatt 64 der Akte) zugestellt worden. Der Wiedereinsetzungsantrag hat das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht erst am 21. Oktober 2015, mithin nach Ablauf der zweiwöchigen Frist, erreicht.

26

Es ergibt sich auch keine andere Bewertung im Hinblick auf die Pflicht des Familiengerichts zur unverzüglichen Weiterleitung dieses Antrages an das Schleswig - Holsteinische Oberlandesgericht (vgl. BGH FamRZ 2014, 550). Der Wiedereinsetzungsantrag ist beim Amtsgericht - Familiengericht - L. am 16. Oktober 2015, an einem Freitag, eingegangen. Innerhalb des ordentlichen Geschäftsgangs ist eine Weiterleitung derart, dass dieser Schriftsatz am Montag das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht erreicht hätte, nicht möglich gewesen. Zu Eilmaßnahmen wie zum Beispiel eine Weiterleitung per Telefax ist das Familiengericht nicht verpflichtet gewesen (vgl. BGH FamRZ 2014, 550 Rn. 15), mithin der Wiedereinsetzungsantrag als verspätet anzusehen ist.

27

3. Unabhängig von der Frage, ob die formalen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung von Amts wegen nach den §§ 117 Abs. 5 FamFG i.V.m. § 236 Abs. 2 Satz 2 ZPO vorliegen, liegen jedenfalls die materiellen Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht vor.

28

Ein Antrag auf Wiedereinsetzung ist dann begründet, wenn der Beteiligte ohne Verschulden an der rechtzeitigen Vornahme der Prozesshandlung - hier der Einlegung der Beschwerde - gehindert war. Ob ein Verschulden des Beteiligten oder seines Vertreters vorliegt, ist nach dem objektiv ab-strakten Maßstab des § 276 Abs. 2 BGB zu beurteilen; maßgeblich ist die Sorgfalt eines ordentlichen Beteiligten. Etwaiges anwaltliches Verschulden ist dem Beteiligten gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen. Hier ist dann die übliche, also die berufsbedingt strenge Sorgfalt vorauszusetzen, sodass insoweit regelmäßig eine Fristversäumung verschuldet ist, wenn sie für einen pflichtbewussten Rechtsanwalt abwendbar gewesen wäre (Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 233 Rn. 12, 13).

29

Unter Berücksichtigung dieser Umstände war die Fristversäumnis nicht unverschuldet. Nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat die Berichtigung einer gerichtlichen Entscheidung wegen offenbarer Unrichtigkeit gemäß § 319 ZPO grundsätzlich keinen Einfluss auf Beginn und Lauf von Rechtsmittelfristen. Den Beteiligten wird zugemutet, in ihrer Entschließung zur Einlegung eines Rechtsmittels die offenbare Unrichtigkeit der Entscheidung zu berücksichtigen, schon bevor sie gemäß § 319 ZPO richtiggestellt wird (BGH FamRZ 2009, 1480; BGH FamRZ 1993, 1424; BGH FamRZ 1990, 988).

30

Es liegt hier auch kein Fall eines schutzwürdigen Vertrauens vor, nachdem der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers berechtigterweise davon ausgehen durfte, dass die Berichtigung erfolgt (vgl. BGH NJW 1998, 3280). Hierbei gilt grundsätzlich, dass die Glaubhaftmachungslast der säumige Beteiligte trägt. Bleiben die Umstände, die zur Fristversäumnis geführt haben, unaufgeklärt, so ist Wiedereinsetzung jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn die Möglichkeit eines Verschuldens des Beteiligten oder seines Bevollmächtigten nicht ausgeräumt werden kann (MüKo/Gehrlein, ZPO, 4. Aufl. 2013, § 233 Rn. 17).

31

Der genaue Inhalt der Gespräche des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers mit der erstinstanzlich zuständigen Richterin am Amtsgericht konnte nicht aufgeklärt werden. Die dienstliche Stellungnahme der erstinstanzlich zuständigen Familienrichterin und die Glaubhaftmachung des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers widersprechen einander. Insbesondere hat die erstinstanzlich zuständige Richterin am Amtsgericht in Abrede gestellt, dass sie dem Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers die Berichtigung des angefochtenen Beschlusses zugesagt habe. Der Senat sieht sich nicht in der Lage, den Sachverhalt weiter aufzuklären, sodass die verbleibenden Zweifel zu Lasten des Antragstellers gehen.

32

Die Möglichkeit eines Verschuldens beim Antragsteller konnte nicht ausgeräumt werden. Insbesondere wäre er gehalten gewesen - jedenfalls so lange wie nicht die Berichtigung der familiengerichtlichen Entscheidung erfolgt ist - rein vorsorglich Rechtsmittel gegen den familiengerichtlichen Beschluss vom 13. August 2015 einzulegen. Dass über diese Möglichkeit in den Telefongesprächen gesprochen wurde, lässt sich sowohl aus der dienstlichen Stellungnahme der erstinstanzlich zuständigen Richterin am Amtsgericht wie auch aus den Aktenvermerken des Verfahrens-bevollmächtigten des Antragstellers entnehmen.

33

Die Voraussetzungen für ein schutzwürdiges Vertrauen auf eine Zusage des Familiengerichts für eine Berichtigung konnte der Antragsteller nicht hinreichend glaubhaft machen. Im Übrigen hält der Senat es für zweifelhaft, ob selbst bei einer Zusage der erstinstanzlich zuständigen Familienrichterin der Verfahrensbevollmächtigte des Antragstellers auf eine solche hätte vertrauen dürfen. Denn eine solche Zusage sieht das Verfahrensrecht nicht vor und sie dürfte in der Sache auch unzulässig sein. Erst die Auskunft des erstinstanzlichen Gerichts, dass die Berichtigung tatsächlich erfolgt ist, kann ein solches schutzwürdiges Vertrauen begründen (vgl. BGH NJW 1998, 3280).

34

Auch unter Anwendung des Grundsatzes, dass der Rechtsanwalt zur Fristwahrung den sichersten Wege zu gehen hat (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 233 Rn. 14), wäre er gehalten gewesen, jedenfalls rein vorsorglich Beschwerde einzulegen.

35

4. Aufgrund der Fristversäumnis des Antragstellers ist die Beschwerde gemäß § 117 Abs. 1 Satz 4 FamFG i.V.m. § 522 Abs. 1 Satz 2 ZPO als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdefrist von einem Monat ist für den Antragsteller mit Ablauf des 28. September 2015 verstrichen, so dass die am 16. Oktober 2015 eingelegte Beschwerde verspätet war.

36

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 113 Abs. 1 S. 1 FamFG i.V.m. § 238 Abs. 4 ZPO, § 243 FamFG. Hierbei ist insbesondere die vom Antragsgegner zurückgenommene Beschwerde zu berücksichtigen, die im Rahmen der Kostenquotelung deutlich stärker als die Beschwerde des Antragstellers ins Gewicht fällt.


Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen