Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (17. Zivilsenat) - 17 U 9/21

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 12. Februar 2021, Az. 10 O 324/20, wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch die Beklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Klägerin begehrt von der Beklagten im Wege des Schadensersatzes die Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrages aus Anlass des sog. Abgasskandals.

2

Mit Kaufvertrag vom 25. November 2015 erwarb die Klägerin einen von der Beklagten hergestellten Neuwagen des Modells Tiguan zum Kaufpreis von 35.000,00 €. Das Fahrzeug war mit dem Motortyp EA 288 ausgestattet und sollte der Euro-Norm 6 entsprechen, welcher – anders als der von der Beklagten ebenfalls hergestellte Motortyp EA 189 – nicht mit einer sog. Umschaltlogik ausgestattet ist, welche nach Bekanntwerden im Jahr 2015 Auslöser des Dieselskandals war. Eine allgemeine Rückrufaktion seitens des Kraftfahrtbundesamtes (nachfolgend: KBA) für dieses Motoraggregat erfolgte bislang nicht, obwohl Fahrzeuge mit dem Motorentyp EA 288 vom KBA über einen Zeitraum von fünf Jahren wiederholt überprüft worden waren. Das Fahrzeug der Klägerin war im Gegensatz zu einzelnen Fahrzeugen, die mit einem Motor EA 288 ausgestattet waren (so der VW-Bus T6 2.0 TDI), auch nicht individuell von einem Rückruf betroffen.

3

Der Motortyp EA 288 ist allerdings mit einem sogenannten Thermofenster ausgestattet, welches die Abgasrückführung abhängig von den Außentemperaturen durch eine Software steuert bzw. abschaltet. Die genaue Funktionsweise bzw. der Temperaturbereich des Thermofensters, dessen Notwendigkeit zum Motorschutz sowie das Vorliegen weiterer Software basierter Motorsteuerungen, namentlich eine Fahrkurvenerkennung, die Einfluss auf den Schadstoffausstoß (vornehmlich CO2) haben könnten, ist zwischen den Parteien streitig.

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Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, die in ihrem Fahrzeug installierte Motorsteuerungssoftware beinhalte (teilweise) eine verbotene Abschalteinrichtung i. S. v. Art. 5 II VO 715/2007, Art. 3 Nr. 10 VO 715/2017. Hierzu hat sie vorgetragen, die thermische Abgasrückführung funktioniere nur im Rahmen von 20° C bis 30° C, danach finde eine Abgasrückführung nicht statt. Auch werde die Abgasrückführung um bis zu 45 Prozent reduziert, wenn die Außentemperatur 7° C erreiche bzw. unterschreite, so dass das Thermofenster voll nur in einem Rahmen von 17° C bis 30° C funktioniere. Gleichermaßen werde auch der neue europäische Fahrzyklus (nachfolgend: NEFZ) genauso erkannt wie beim Motortyp EA 189. In diesem Zusammenhang sei auch das On-Board-Diagnose-System (nachfolgend: OBD) dergestalt manipuliert worden, dass es diesbezüglich keine Fehlermeldung generiere. Diese Abschalteinrichtungen seien aus den Antragsunterlagen für die Typengenehmigung für das KBA nicht erkennbar gewesen. Wohl aber sei dem Vorstand der Beklagten bekannt gewesen, dass eine illegale Abschalteinrichtung installiert worden sei.

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In Kenntnis dieser Umstände hätte sie das Fahrzeug nicht erworben. Die Klägerin hat geltend gemacht, das Fahrzeug habe nach Bekanntwerden der Softwareproblematik erheblich an Wert verloren.

6

Erstinstanzlich hat die Klägerin gemäß § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO beantragt, beim Präsidenten des KBA eine amtliche Auskunft mit folgender Fragestellung einzuholen:

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Gibt es zum streitgegenständlichen Fahrzeug oder zu Fahrzeugen mit einem ähnlichen Motortyp Erkenntnisse seitens des KBA

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a) zu einem unter realen Bedingungen gemessenen Schadstoffausstoß,

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b) zum Vorhandensein von Thermofenstern – d.h. Vorrichtungen, die bei gewissen Motor- oder Außentemperaturen zu einer Veränderung des Schadstoffausstoßes führen könnten,

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c) zu sonstigen Vorrichtungen, die im weitesten Sinne als Abschaltvorrichtung bezeichnet werden könnten, oder

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d) gibt es generell Erkenntnisse zu Abschaltvorrichtungen jeder Art bei VW Dieselmodellen mit dem Motortyp EA 288?

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Ist es zutreffend, dass bei Tests durch das KBA die zu testenden Fahrzeuge über Autohäuser bezogen werden mit Voranmeldung, wodurch es theoretisch möglich wäre, die Software von Testfahrzeugen vor der Übergabe an das KBA zu verändern?

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Die Klägerin hat ihr Vorbringen unter Beweis durch Einholung eines technischen Sachverständigengutachtens gestellt, insbesondere auch im Hinblick darauf, dass eine Nachbesserung durch ein mögliches Software-Update nicht möglich sei.

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Die Klägerin hat beantragt,

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1. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von 33.235,86 € abzüglich einer im Termin zu bestimmenden Nutzungsentschädigung nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.06.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs Volkswagen Tiguan, …, zu zahlen;

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2. festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klagantrag zu 1. genannten Fahrzeugs seit dem 13.06.2020 im Annahmeverzug befindet;

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3. die Beklagte zu verurteilen, sie von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.256,24 € freizustellen.

18

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

20

Sie hat behauptet, das Abgasnachbehandlungssystem der EA 288-Motoren arbeite im NEFZ wie auch außerhalb mit der gleichen Wirksamkeit. Die Abgasrückführung sei in einem Temperaturbereich von - 24° C bis + 70° C zu 100 Prozent aktiv. Lediglich außerhalb dieses Bereiches sei die Abgasrückführung deaktiviert; dies erfolge ausschließlich zum Motorschutz. Die Ad-Blue-Dosierung sei unabhängig vom Durchfahren des NEFZ oder der Drehzahl des Motors. Das KBA habe das Thermofenster daher für rechtlich unbedenklich eingestuft. Sie hat die Auffassung vertreten, das Vorbringen der Klägerin hinsichtlich einer vermeintlich unzulässigen Abschalteinrichtung sei mangels greifbarer Anhaltspunkte eine reine Spekulation.

21

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung oder eine Täuschung durch die Beklagte nicht schlüssig vorgetragen. Die mangelnde Schlüssigkeit hat die Kammer damit begründet, die Klägerin habe zu dem von ihr behaupteten Thermofenster insgesamt drei verschiedene Ausführungen vorgetragen, ohne erkennbar zu machen, welche dieser Varianten ihrem Vortrag zugrunde gelegt werden solle, obwohl diese sich widersprächen. Soweit die Klägerin behauptet habe, in dem Motor des Typs EA 288 sei die gleiche Abschalteinrichtung wie in den Motoren des Typs EA 189 enthalten, sei dieser Vortrag unbeachtlich, da er ohne jeden Anhaltspunkt ins Blaue hinein erfolgt sei. Zur Begründung hat die Kammer ausgeführt, die Motoren des Typs EA 288 seien durch das KBA überprüft worden, welches erklärt habe, dass eine solche Abschalteinrichtung nicht enthalten sei. Dem Beweisantritt auf Einholung eines Sachverständigengutachtens ist das Landgericht daher unter dem Gesichtspunkt des unzulässigen Ausforschungsbeweises nicht nachgegangen.

22

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin unter Abzug einer weiteren Nutzungsentschädigung ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiter.

23

Im Einzelnen trägt sie hierzu vor:

24

Ihr Anspruch ergebe sich aus §§ 826, 31 BGB, da „ein Mitarbeiter der Beklagten die Klägerin vorsätzlich sittenwidrig geschädigt“ habe und „wenigstens ein Mitglied ihres Vorstandes Kenntnis von der Entwicklung und Verwendung der die Schadstoffemission manipulierenden Software hatte“. Die Beklagte habe entgegen der sie treffenden sekundären Darlegungs- und Beweislast nicht hinreichend vorgetragen, dass das von ihr eingeräumte Thermofenster zum Schutz des Motors notwendig sei. Soweit sie sich auf eine Versottungs- und Verlackungsgefahr ohne jegliche Grundlage und ohne Vorlage von Daten berufe, sei dies als reine Schutzbehauptung einzuordnen. Die Behauptung der Beklagten, sie könne in ihren Fahrzeugen einen Temperaturrahmen von - 24° C bis + 70° C einhalten, liege außerhalb jeglicher Lebenserfahrung, dieses funktioniere vielmehr nur in Temperaturbereichen, die in Deutschland nur selten erreicht würden (20° C bis 30° C). Das Fahrzeug beinhalte darüber hinaus auch eine Fahrkurvenerkennung, bei der es sich der Sache nach ebenfalls um eine Zykluserkennung handele. Es sei damit zu rechnen, dass - Konkretes hierzu führt die Klägerin nicht aus - das Update wie beim Vorgängermodell zu negativen Folgen führen werde. Das sog. OBD, welches über den Bordcomputer einen Fehler melden solle, wenn die Abgasreinigung nicht korrekt funktioniere, sei durch mehrere interne Abschaltvorrichtungen verborgen, weshalb das KBA auch keine Abschaltvorrichtung gefunden habe. Sie beruft sich weiterhin auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

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Die sittenwidrige Schädigung seitens der Beklagten liege im Einbau einer Erkennungssoftware, die den Testlauf auf einem Abgasprüfstand erkenne, während in anderen Situationen ein Vielfaches des gesetzlich zulässigen Abgasgrenzwertes ausgestoßen werde. Ihr Schaden liege nicht nur in dem Abschluss der ungewollten Verbindlichkeit, sondern auch darin, dass ihrem Fahrzeug weitere Fahrverbote drohten.

26

Unter Zugrundelegung einer Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 500.000 km bietet die Klägerin ihr Fahrzeug der Beklagten erneut Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer angemessenen Nutzungsentschädigung an. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hatte das Fahrzeug eine Laufleistung von 40.280 km.

27

Die Klägerin hat im Berufungsrechtszug zuletzt beantragt,

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das am 12.02.2021 verkündete Urteil des Landgerichts Lübeck – 10 O 324/20 – zu ändern und wie folgt neu zu fassen:

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1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 30.684,07 € abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 3.958,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.06.2020 Zug um Zug gegen Übergabe und Rückübereignung des Fahrzeugs Volkswagen Tiguan, ..., zu zahlen;

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2. es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klagantrag zu 1. genannten Fahrzeugs seit dem 13.06.2020 im Annahmeverzug befindet;

31

3. die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von den Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von 2.256,24 € freizustellen.

32

Die Beklagte hat beantragt,

33

die Berufung zurückzuweisen.

34

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Die Klage sei nicht schlüssig, der Vortrag zur behaupteten unzulässigen Abschalteinrichtung und zur Täuschung ins Blaue hinein erfolgt.
Hinsichtlich des hier verbauten Motors liege eine Bedatung vor, aufgrund derer im Bereich - 24 ° C bis +70° C die Abgasrückrückführung zu 100 Prozent aktiv und außerhalb dieses Bereichs zu 100 Prozent inaktiv sei. Die Abschaltung der Abgasrückführung erfolge ausschließlich zum Motorschutz. Der EA 288-Motor sei über fünf Jahre in drei Phasen vom KBA untersucht worden. Eine unzulässige Abschalteinrichtung sei nicht festgestellt worden, auch nicht, soweit Fahrkurvenerkennungen enthalten seien, denn diese dienten nicht dazu, Emissionsminderungen für die Einhaltung der Prüfstand-Grenzwerte zu bewirken. Grenzwerte würden unter keinen Aspekt überschritten. Die Beklagte beruft sich auf amtliche Auskünfte des KBA (Anlage BB4).

35

Selbst wenn man von einem Thermofenster ausginge, sei dies ein technischer Standard, welcher sowohl dem KBA als auch dem BMVI bekannt gewesen sei, so dass es deshalb an einer (sittenwidrigen) Schädigung mangele, weil sie dieses für vertretbar/zulässig habe halten dürfen.

36

Schließlich läge auch kein Schaden vor, denn da der Klägerin nicht einmal abstrakt ein Rückruf o.Ä. drohe, läge keine ungewollte, objektiv wirtschaftlich nachteilige Verbindlichkeit vor.

37

Bezüglich der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien im Berufungsverfahren wird auf die Schriftsätze der Parteien und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16. Juli 2021 (Bl. 268-270 Bd. II d.A.) verwiesen und gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

II.

38

Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg, denn das Landgericht hat die Klage zu Recht - wenn auch mit einer der rechtlichen Problematik nicht mehr gerecht werdenden Begründung - abgewiesen.

39

Ein Anspruch der Klägerin hätte sich vorliegend allein aus §§ 826, 31 BGB ergeben können, denn soweit sie sich zusätzlich auch auf § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 5 und 27 Abs. 1 EG-FGV beruft, ist für die vorliegende Fallkonstellation in der Rechtsprechung höchstrichterlich hinreichend geklärt, dass diese Vorschriften mangels Drittschutz als Anspruchsgrundlage - ebenso wie auch § 38 BImSchG - ausscheiden (kein Schutzgesetzcharakter: BGH, Urteil vom 30. Juli 2020, VI ZR 5/20, Rn. 10ff; juris.; OLG München, Urteil vom 04. Dezember 2019 – 3 U 2943/19 –, juris; kein Garantievertrag: Armbrüster, ZIP 2019, 837ff.). Eine Anwendung von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB würde unbeschadet des Vorliegens der übrigen Voraussetzungen jedenfalls an der fehlenden Stoffgleichheit einer von der Beklagten beabsichtigten rechtswidrigen Bereicherung scheitern.

40

Die Klage ist unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der §§ 826, 31 BGB zwar schlüssig, allerdings liegen die Voraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs infolge einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung durch die Beklagte nicht vor.

41

Entgegen der Auffassung des Landgerichts hält der Senat das Klagebegehren für schlüssig, weshalb die Klagabweisung wegen Unschlüssigkeit der Klage rechtsfehlerhaft war. Zwar weist der klägerische Vortrag erstinstanzlich die durch das Landgericht aufgezeigte „Unschärfe“ auf und wird auch im Berufungsrechtszug nicht weiter präzisiert, allerdings lässt sich bei dessen verständiger Würdigung mit hinreichender Klarheit entnehmen, dass die Klägerin haftungsbegründend geltend machen will, der in ihrem Fahrzeug verbaute Motor EA 288 enthalte eine europarechtswidrige unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines software-gesteuerten Thermofensters und anderer Manipulationen im Rahmen der geschuldeten emissionsvermeidenden Abgasrückführung, wodurch sie durch die Beklagte infolge des Vertragsschlusses haftungsausfüllend sittenwidrig vorsätzlich geschädigt worden sei. Dies genügt den Anforderungen an ein schlüssiges Klagevorbringen, denn maßgeblich kommt es im Rahmen der Anwendung des Zivilprozessrechts auf die Verwirklichung des subjektiven (materiellen) Rechts an, weshalb dessen Vorschriften nicht als Selbstzweck, sondern als Zweckmäßigkeitsnormen zu verstehen sind (vgl. Zöller, ZPO 32. Auflage, Einleitung Rn. 92 mit zahlreichen Nachweisen). Diesen Grundsatz der materiell-rechtsfreundlichen Auslegung hat die Kammer verkannt, indem sie sich - statt eine gebotene Gesamtschau des Klagevorbringens vorzunehmen - rein formal auf Widersprüche im Tatsachenvortrag gestützt hat.

42

Dessen ungeachtet bleibt der Berufung der Erfolg versagt. Es ist bereits zweifelhaft, ob aufgrund des klägerischen Vortrags überhaupt von einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. v. Art. 5 II VO 715/2007, Art. 3 Nr. 10 VO 715/2017 (noch) ausgegangen werden kann, deren Implementierung bei Inverkehrbringen des Motors EA 288 durch die Beklagte auf Seiten der Fahrzeugerwerber zu der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit geführt haben könnte (hierzu unter 1.). Allerdings kommt es auf die abschließende technisch-rechtliche Klärung dieser Frage im Ergebnis nicht an, weil selbst bei der hypothetischen Annahme einer unzulässigen Abschalteinrichtung ein der Beklagten nach § 31 BGB zurechenbares vorsätzliches sittenwidriges Verhalten bei der Entwicklung des Motors durch Verwendung eines Thermofensters bzw. einer fraglich auch vorhandenen Fahrkurvenerkennung i. S. v. § 826 BGB nicht vorliegt (hierzu unter 2.). Schließlich ist der Klägerin durch den Kaufvertrag vom 25. November 2015 kein Schaden durch eine ungewollt eingegangene Verbindlichkeit entstanden (hierzu unter 3.).

1.

43

Die Frage, ob hinsichtlich der durch die Beklagte in Verkehr gebrachten Motoren vom Typ EA 288 jedenfalls von der Möglichkeit einer unzulässigen Abschalteinrichtung auszugehen ist und welche Anforderungen an den diesbezüglichen Vortrag klagender Fahrzeugerwerber zu stellen sind, ist gegenwärtig Gegenstand zahlreicher erst- und zweitinstanzlicher Entscheidungen. Sie ist abschließend noch nicht höchstrichterlich geklärt, da der Bundesgerichtshof noch keine - den Entscheidungen zum Motor EA 189 (Urteile vom 25. Mai und 30. Juli 2020; VI ZR 252/19 und VI ZR 5/20) vergleichbare - Grundsatzentscheidung getroffen hat. Bisher haben die Oberlandesgerichte Berufungen gegen klagabweisende Urteile zumeist zurückgewiesen (etwa OLG Bamberg, Urteil vom 15. April 2021 - 1 U 328/19 -; OLG München, Beschluss vom 10. Februar 2021 - 3 U 7524/19 -; OLG Köln, Beschluss vom 4. Juli 2019 - 3 U 148/18 -; OLG Brandenburg, Beschluss vom 20. April 2020 - 1 U 103/19 - und Urteil vom 24. September 2020 - 5 U 47/19; OLG Stuttgart, Urteil vom 19. Januar 2021 - 16a U 169/19 -; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil des 7. Zivilsenats vom 25. Mai 2021 - 7 U 188/20 -).

44

Zum einen ist anspruchsverneinend maßgeblich darauf abgestellt worden, der EA 288 sei nicht Nachfolger des EA 189, es sei kein Rückruf durch das KBA trotz wiederholter Überprüfung erfolgt und zudem lasse die Möglichkeit der Rechtmäßigkeit einer software-gesteuerten Abschalteinrichtung den Vorwurf der Sittenwidrigkeit, jedenfalls aber einen diesbezüglichen Vorsatz der Beklagten entfallen, selbst wenn sich diese im Nachhinein als unzulässig erweisen sollte. Vereinzelt ist auch entschieden worden, der klägerische Vortrag hinsichtlich einer Kombination von Abschalteinrichtung in Form der Zykluserkennung und eines Thermofensters sei denklogisch ausgeschlossen (hierzu OLG Brandenburg a.a.O.).

45

Zum anderen ist Gegenstand der Diskussion in Rechtsprechung und Schrifttum die Frage, ob es sich bei dem Vortrag der jeweiligen Klageparteien, der individuell nennenswerte Unterschiede häufig nicht aufweist, um eine reine Spekulation bzw. eine unbeachtliche Behauptung ins Blaue handelt, der nicht nachzugehen sei. Die Anforderungen an einen hinreichend substantiierten Klagevortrag werden dabei durchaus unterschiedlich beurteilt.

46

Der Senat sieht sich zu einer abschließenden Beurteilung der Frage einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht veranlasst. Angesichts der Entscheidung des EuGH vom 17. Dezember 2020 in der Sache C-693/18 mag zwar auch hinsichtlich der software-gesteuerten Abgasrückführung über ein Thermofenster im EA 288 die Annahme einer europarechtlich unzulässigen Abschalteinrichtung als nicht ausgeschlossen erscheinen. Allerdings liegt dieser Entscheidung ein strenger, sich allein an umweltschützenden und emissionsvermeidenden Kriterien orientierender Anwendungsmaßstab zugrunde. Ein anderer Maßstab ist allerdings dann geboten, wenn es im Rahmen nationalen Deliktsrechts um die Annahme einer haftungsbegründenden Schädigung geht. Dessen Grundsätze, welche auch einer uferlosen Haftung wirksam begegnen müssen, sprechen haftungsrechtlich - wie unter 2. noch auszuführen sein wird - gegen die Annahme der bewussten Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung durch die Beklagte.

47

Der Senat hatte deshalb schon wegen der haftungsrechtlichen Unbeachtlichkeit der technisch-rechtlichen Beurteilung des Thermofensters als unzulässiger Abschalteinrichtung dem Beweisangebot durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht nachzugehen. Allerdings wäre ihm - auch bei großzügiger Anwendung des § 286 ZPO - eine Beweiserhebung vorliegend ohnehin verwehrt gewesen. Zwar dürfen die Substantiierungsanforderungen auf Seiten der klagenden Fahrzeugerwerber, die weder über technische Details noch interne Abläufe bei der Beklagten Kenntnis haben können, nicht überspannt werden. Erforderlich ist allerdings ein Vorbringen, welches es - auch unter Berücksichtigung des Vorbringens der Gegenseite - wenigstens als denkbar erscheinen lässt, dass sich die Behauptungen der Klägerseite bei sachkundiger Überprüfung als nachweisbar erweisen könnten und es sich im Gegensatz dazu nicht nur um bloße - sich zu einem nicht belastbaren Massenphänomen entwickelnde - Vermutungen handelt, die Hersteller von Dieselmotoren unter einen Generalverdacht stellt.

48

So verhält es sich aber hier: Der Senat vermag bereits nicht zu erkennen, welche konkreten Beweisfragen an einen Sachverständigen zu richten und welche Anknüpfungstatsachen hierbei zugrunde zu legen wären. Die Klägerin ist nämlich nicht dem Vortrag der Beklagten entgegen getreten, innerhalb von drei Prüfzyklen über einen Zeitraum von fünf Jahren durch das KBA seien hinsichtlich des Motortyps EA 288 keine generellen Beanstandungen erfolgt, weshalb das Fahrzeug der Klägerin weder von einem Rückruf noch einem drohenden Fahrverbot aufgrund des Thermofensters bedroht war noch absehbar sein wird. Zu einer näheren Erörterung oder gar einem Rechtsgespräch sah sich ihr Terminsbevollmächtigter in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nicht in der Lage, obwohl entsprechende Informationen (so u.a. durch die Veröffentlichungen auf den Homepages des KBA und des BMVI im Internet) für jedermann zugänglich und nachprüfbar sind. Und was die Fragen anbelangt, die erstinstanzlich Gegenstand einer amtlichen Auskunft nach § 273 Abs. 2 Nr. 2 ZPO werden sollten, hätte die Klägerin sich veranlasst fühlen können, diese Fragen doch selbst einmal an das KBA zu richten. Aus anderen Verfahren ist bekannt, dass vergleichbare Auskünfte durchaus erteilt worden sind. Bei dieser Ausgangslage genügt das klägerische Vorbringen einem nachvollziehbaren Vortrag nicht mehr, weil sie die schlüssige und auch objektiv plausible Darstellung der Beklagten unter keinem tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkt erschüttert hat. Die Beklagte ist damit - anders als es die Klägerin einwenden möchte - sehr wohl ihrer sekundären Darlegungs- und Beweislast gerecht geworden. Das schlicht weitere Beharren der Klägerin auf ihrer einmal eingenommenen Rechtsposition stellt eine Verkennung nachprüfbarer Tatsachen dar, indem sie sich letztlich der Erkenntnis verschließt, dass sie ihr Fahrzeug - wie in den über fünf Jahren seit Vertragsschluss - auch weiterhin technisch wie rechtlich ohne jegliche Beeinträchtigung wird nutzen können.

2.

49

Auch bei Annahme einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Fahrzeug der Klägerin steht ihr ein Anspruch auf Rückgängigmachung des Kaufvertrages vom 25. November 2015 über §§ 826, 31 BGB nicht zu. Die Beklagte hat die Klägerin bei Inverkehrbringen des mit einem Thermofenster ausgerüsteten Motors EA 288 nicht sittenwidrig vorsätzlich geschädigt.

50

Bei der Anwendung von § 826 BGB ist ein normativer Maßstab erforderlich, der sich von reinen Werturteilen abzugrenzen hat (hierzu unter a)). Das Verhalten der Beklagten unterfällt diesem Anwendungsbereich nicht, denn es mangelt an „besonderen Umständen“, die den Vorwurf einer sittenwidrigen Schädigung, bei der die Beklagte die Schädigung einer enormen Anzahl von Fahrzeugerwerbern bewusst in Kauf genommen hat, begründen können (hierzu unter b)). Aber auch ein entsprechender Vorsatz von Verantwortlichen der Beklagten steht keineswegs fest (hierzu unter c)).

a)

51

Will man die Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit als Schaden betrachten, stellt sich vorab grundsätzlich die Frage nach dem notwendigen Eingriffsniveau deliktischer Haftung.

52

Zu einer genaueren Betrachtung sieht sich der Senat auch deshalb veranlasst, weil sich in neuerer Zeit Judikate mehren, die – wie etwa das LG Karlsruhe in einer Entscheidung vom 5. Februar 2021 (9 O 93/20, bei juris Rn. 55) - zur Haftungsbegründung allein auf die Enttäuschung „berechtigter Erwartungen“ abstellen. Dies ermöglicht ebenso den Weg in wertungsmäßige Beliebigkeit wie auch der allgemeine Vorwurf des Gewinnstrebens gegenüber dem VW-Konzern oder die Argumentation mit einer bloßen Möglichkeit der Täuschung der Erwerber. Wichtig dürfte daher sein, dass der Haftungsgrund des § 826 BGB jenseits der wenig handhabbaren und moralisierenden Formel des Verstoßes gegen das „Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden“ als ein auf der Bewertung der Zweck-Mittel-Relation beruhender „Missbrauch wirtschaftlicher oder privater Freiheit zum Nachteil anderer“ beschrieben werden kann, dies durchaus im Sinne einer Evidenzhaftung bzw. als Konflikt mit grundlegenden Ordnungsvorstellungen (vgl. hierzu: Soergel/Hönn, 13. Aufl., Rn. 17 ff., Rn. 35 ff. zu § 826 BGB; MünchKomm-Wagner, 8. Aufl., Rn. 20 ff zu § 826 BGB). Nicht zu Unrecht wird in der Literatur angesichts der beiden Momente „systematische Verschleierung“ und „Gewinnmaximierung“ die Parallele zur als Fallgruppe einer Haftung gemäß § 826 BGB anerkannten „Haftung für Auskünfte, Informationen und Empfehlungen“ nicht zuletzt auf dem Kapitalmarkt gesucht (Schaub, NJW 2020, 1028, 1029).

53

Eine Haftung aus § 826 BGB erfasst somit nicht sämtliche als unredlich oder moralisch anstößig anmutende Verhaltensweisen eines möglichen Schädigers (MünchKomm-Wagner, 8. Auflage, Rn. 5 ff. zu § 826 BGB). Bei der Haftung aus § 826 BGB handelt es sich auch nicht um eine Pönalisierung von Vorsatztätern, weil weder eine vorsätzliche Schadenszufügung - damit auch nicht eine Täuschung - noch ein bloßer Gesetzesverstoß allein hierfür ausreichen. Der Vorwurf der Sittenwidrigkeit erfasst vielmehr nur ein solches Vorgehen, bei dem sich im Rahmen einer Gesamtschau eine objektive Bewertung aufdrängt, die den grundlegenden normativen Maßstäben und Wertvorstellungen der Rechtordnung zuwiderläuft und daher dem hiervon Betroffenen einen Anspruch auf Rückgängigmachung zubilligen muss. Anderenfalls bestünde die Gefahr einer uferlosen und sich letztlich an - nicht zuletzt dem Zeitgeist unterliegenden - Werturteilen orientierenden Haftung, die rechtlich konturenlos würde (so auch schon Senatsurteil vom 22. November 2019 - 17 U 44/19 -, juris dort Rn. 28).

b)

54

Gemessen an diesem Maßstab greift der Vorwurf sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten zum Nachteil der Klägerin nicht durch. Abzustellen ist dabei auf den Zeitpunkt der Entwicklung bzw. des Inverkehrbringens des Motors EA 288, der jedenfalls vor Bekanntwerden des Dieselskandals lag, denn allein zu diesem Zeitpunkt wäre eine bewusste Schadenszufügung seitens der Beklagten überhaupt denkbar (so auch Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 19. Februar 2021 - 1 U 91/20 -, juris).

55

In einer ersten - allerdings aufgrund erfolgter Zurückverweisung nicht abschließenden Entscheidung - betreffend den Daimler-Konzern hat der Bundesgerichtshof zur Verwendung eines Thermofensters folgende Leitsätze aufgestellt (BGH, Beschluss vom 19. Januar 2021 – VI ZR 433/19 –, juris):

56

1. Das Verhalten der für einen Kraftfahrzeughersteller handelnden Personen ist nicht bereits deshalb als sittenwidrig zu qualifizieren, weil sie einen Fahrzeugtyp aufgrund einer grundlegenden unternehmerischen Entscheidung mit einer temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems (Thermofenster) ausgestattet und in den Verkehr gebracht haben. Dies gilt auch dann, wenn mit der Entwicklung und dem Einsatz dieser Steuerung eine Kostensenkung und die Erzielung von Gewinn erstrebt wird. Der objektive Tatbestand der Sittenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn weitere Umstände hinzutreten, die das Verhalten der handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen lassen.

57

2. Die Annahme objektiver Sittenwidrigkeit setzt jedenfalls voraus, dass die handelnden Personen bei der Entwicklung und/oder Verwendung der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen.

58

Die Zurückverweisung erfolgte aufgrund der Verletzung rechtlichen Gehörs der dortigen Klagepartei, die unzutreffende Angaben der dortigen Beklagten im Typgenehmigungsverfahren geltend gemacht hatte (BGH a.a.O. Rn. 22ff.).

59

Auch der 1. Zivilsenat des Schleswig-Holsteinischen Oberlandesgerichts hat in seiner zitierten Entscheidung vom 19. Februar 2021 eine Zurückverweisung in einem den Einsatz eines Thermofensters betreffenden Fall vorgenommen, weil er der Auffassung war, die klägerische Behauptung, die Parameter für die Abgasrückführung seien auf die Bedingungen des NEFZ abgestimmt, obwohl dies zum Motorschutz nicht erforderlich sei, sei hinreichend substantiiert und genüge für einen Vortrag hinsichtlich einer unzulässigen Abschalteinrichtung. Damit sei – auch wenn die dortige Herstellerin durch Erläuterung der Wirkweise der Abgasrückrückführung ihrer sekundären Darlegungslast nachgekommen sei und § 138 Abs. 3 ZPO daher nicht eingreife - eine sittenwidrige Vorgehensweise denkbar, da diese Motorsteuerung jedenfalls erklärungsbedürftig sei. Der 1. Zivilsenat ging davon aus, dass sich im Rahmen einer Beweisaufnahme herausstellen könne, dass die Herstellerin zur Gewinnoptimierung ihren Kunden bewusst Schaden zugefügt habe, weil denkbar sei, dass die Abgasrückführungsrate im Straßenverkehr anders sei als auf dem Prüfstand. Die Herstellerin könne bei der Entwicklung des Motors – es komme hierbei nicht auf die Zulässigkeit aus heutiger Sicht an – versucht haben, Ablagerungen im Motor zu vermeiden, ohne andere Möglichkeiten der Balance zwischen Motorschutz und Einhaltung der Grenzwerte zu entwickeln. Dann komme auch eine Täuschung des KBA in Betracht, weil bei der Beantragung der Typgenehmigung Einzelheiten der Steuerung der Abgasrückführungsrate nicht mitgeteilt worden seien.

60

Dieser Auffassung vermag sich der Senat für den vorliegenden Fall nur mit der Einschränkung anzuschließen, dass nicht schon bei jeder fehlerhaften Angabe, sondern erst bei gravierend unzureichenden, fehlerhaften oder gar unterlassenen Angaben eines Fahrzeugherstellers gegenüber dem KBA bei der Typgenehmigung eines Fahrzeugs „besondere Umstände“ vorliegen und den Vorwurf der Sittenwidrigkeit begründen könnten. Erst hierin läge eine von der Rechtsordnung nicht mehr zu tolerierende systemische Täuschung des Rechtsgeschäftsverkehrs, durch welche das Vertrauen der Fahrzeugerwerber unter bewusster Täuschung einer Bundesbehörde untergraben worden wäre. Ein solcher Rechtsverstoß - aber auch erst ein solcher - wäre selbst bei grundsätzlicher Akzeptanz von Gewinnerzielung und -maximierung nicht mehr hinnehmbar.

61

So liegt es hier aber gerade nicht: Die Beklagte hat - ohne dass die Klägerin dies auch nur in Abrede gestellt hätte, geschweige denn dem substantiiert entgegen getreten wäre - zutreffend dargelegt, dass gerade der Motor EA 288 Gegenstand einer nachhaltigen, langfristigen und wiederholten Überprüfung seitens des KBA gewesen ist und - von Einzelfällen abgesehen - zu keinen durchgreifenden Beanstandungen geführt hat. Insbesondere ist keine Divergenz zwischen den Abgaswerten im Prüfstand und dem Realbetrieb im Sinne einer Überschreitung von Grenzwerten festgestellt worden, die für eine Manipulation hätte sprechen können. Die von der Klägerin als unzulässige Abschalteinrichtungen angesehenen Software-Steuerungen waren dem KBA hierbei bekannt und sind von der Beklagten auch gar nicht in Abrede gestellt worden. Schon dadurch stellt sich die Frage einer annehmbaren Verschleierung und dadurch ausgelöster Fehlvorstellungen bei der Typgenehmigung gerade nicht. Hält nämlich das Vorgehen der Beklagten sogar einer nachträglichen Überprüfung stand und ist auch nicht davon auszugehen, dass das KBA bei der Typgenehmigung von anderen als den jetzt bekannten Parametern ausging, so kann erst Recht das ursprüngliche Inverkehrbringen nicht sittenwidrig gewesen sein. Der erkennende Senat ist - anders als der 1. Zivilsenat in dem von ihm entschiedenen Fall - nicht der Auffassung, dass schon die bloße und letztlich eher hypothetische Möglichkeit, dass die Beklagte bei der Entwicklung der Motorsteuerung nicht nur zum Motorschutz gehandelt habe und sie nicht hinreichend versucht haben könnte, einen Ausgleich zwischen der Einhaltung der Grenzwerte für Schadstoffemissionen und dem Motorschutz zu finden, einen Schluss auf sittenwidriges Handeln erlaubt. Mag ein solches Vorgehen auch „erklärungsbedürftig“ sein, so wird im Ergebnis allenfalls festzustellen sein, dass die Beklagte zwar möglicherweise ihrem Profit gegenüber möglicher - weitergehender - Schadstoffreduzierung den Vorrang eingeräumt hat. Dies mag moralisch fragwürdig sein und insoweit auch nachvollziehbare Erwartungen gegenüber diesem Fahrzeughersteller enttäuschen; ein schädigender und zugleich grober Rechtsverstoß läge hierin allerdings noch nicht.

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Wie bereits unter II. 2. a) ausgeführt, kann eine schlichte Enttäuschung jedweder „berechtigter Erwartungen“ allein nicht im Sinne des § 826 BGB haftungsbegründend sein. Damit würde nämlich die deliktische Haftung letztlich noch weitergehen als bei vertraglichen Gewährleistungsfällen, bei denen die vertragliche Haftung mit dem Abstellen auf eine Mangelanlage bzw. einen Mangelverdacht heute zum Teil weit nach vorne verlagert ist. Vorliegend würde allerdings noch nicht einmal das Niveau einer denkbaren Gewährleistungshaftung erreicht, denn die Gefahr einer Stilllegung des Fahrzeugs durch das KBA ist eher hypothetisch, weil der Verstoß gegen auch europarechtliche Normen keinesfalls feststeht. Zudem dürfte die „berechtigte Erwartung“ eines Kunden jedenfalls 2015 nur auf ein uneingeschränkt nutzbares Fahrzeug gerichtet gewesen sein, nicht aber auf die detaillierte Einhaltung europarechtlicher Vorschriften. Soweit aber ein Rechtsverstoß gegen Vorschriften des europäischen Rechts nicht zu spürbaren Nachteilen für den Kunden führt und er sein Fahrzeug technisch wie rechtlich nutzen kann, liegt die Annahme einer sittenwidrigen Schädigung fern.

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Dass und ggf. aus welchen Gründen die Klägerin vorliegend möglicherweise konkret eine andere - darüber hinausgehende - Vorstellung gehabt haben könnte, die auf ein der Beklagten zurechenbares Verhalten zurückzuführen wäre, vermochte der Senat nicht zu erkennen. Sie ist nämlich zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat ohne Angabe von Hinderungsgründen nicht erschienen, obwohl ihr persönliches Erscheinen nach §§ 525, 273 ZPO angeordnet worden war. Damit konnte sich der Senat durch ihre Anhörung auch keine ergänzende Vorstellung davon verschaffen, welche Vorstellungen sie bei dem Erwerb des Fahrzeuges hatte, denn auch ihr Terminsbevollmächtigter konnte hierzu Erhellendes nicht beitragen.

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Darüber hinaus mangelt es auch an einer hinreichenden Darlegung eines gemäß § 31 BGB zurechenbaren Verhaltens auf Seiten der Beklagten. Allein die Behauptung der Klägerin, dass „wenigstens ein Mitglied ihres (der Beklagten) Vorstandes Kenntnis von der Entwicklung und Verwendung der die Schadstoffemission manipulierenden Software hatte“ genügt für die Substantiierung einer systematischen Täuschung durch den Konzernvorstand nicht. War von einer verantwortlichen und strategischen Entscheidung seitens der Führungsebene der Beklagten bei der Implementierung der „Umschaltlogik“ im EA 189 nämlich auszugehen und auch als gemäß § 138 Abs. 3 und 4 ZPO prozessual zugestanden anzusehen (Senatsurteil vom 22. November 2019 - 17 U 44/19 -, dort Rn. 37ff., bei juris), liegt es vorliegend anders. Beim EA 189 stand die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung fest, allein die Kenntnis auf Seiten der Verantwortlichen war streitig. Demgegenüber stellt die Beklagte die Verwendung eines Thermofensters beim EA 288 gar nicht in Abrede, sondern lediglich die Beurteilung dieser Tatsache als bewusste Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung.

c)

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Jedenfalls aber würde es insoweit an einem diesbezüglichen Schädigungsvorsatz der Beklagten fehlen. Dieser setzt nämlich voraus, dass der mögliche Schädiger den Schadenseintritt erkannt und als mögliche Folge seines Handelns in seinen Willen aufgenommen hat. Daran fehlt es jedoch erkennbar, denn die Beklagte müsste dann gewusst und nicht nur für möglich gehalten haben, dass sie den Motor erneut mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestattet hat (zur Frage des fehlenden Schädigungsvorsatzes bei Einbau eines Thermofensters vgl. auch Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 18. September 2019, 12 U 123/18, BeckRS 2019, 23793). Während die millionenfache Täuschung von Verbrauchern im Zusammenhang mit dem Inverkehrbringen des Motors EA 189 aufgrund einer bewussten Manipulation der Abgasrückführung in Form der „Umschaltlogik“ klar auf der Hand lag, verhält es sich vorliegend genau anders: Eine etwaige zukünftige Einordnung eines Thermofensters als unzulässige Abschalteinrichtung führt nicht rückwirkend zu der Annahme eines Schädigungsvorsatzes der Beklagten. Gerade der Umstand, dass die diesbezüglichen technisch-rechtlichen Fragen streitig sind, spricht nämlich gegen die Annahme, die Beklagte habe mit der Verwendung eines Thermofensters bewusst erneut eine unzulässige Abschalteinrichtung in den Verkehr gebracht, weshalb es schon am erforderlichen Wissenselement des Vorsatzes fehlt. Ohne weitere Anhaltspunkte wird der Beklagten auch nicht zu unterstellen sein, sie habe einen Schadenseintritt jedenfalls billigend in Kauf genommen, so dass es auch am Wollenselement des Schädigungsvorsatzes mangelt. Insofern nimmt die Beklagte nach Auffassung des Senats nämlich zu Recht für sich in Anspruch, dass sie die im EA 288 implementierte Software-Steuerung zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Motors jedenfalls für zulässig halten durfte. Ihr Verhalten dürfte damit allenfalls als fahrlässig und letztlich unternehmerisch risikobehaftet zu beurteilen sein, denn die wirtschaftlichen Folgen einer möglichen Nachrüstung träfen allein sie als Unternehmerin.

3.

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Schließlich wäre ein kausal bedingter haftungsausfüllender Schaden vorliegend auch nur dann annehmbar gewesen, wenn man hierfür allein die Gefahr einer Stilllegung oder eines Rückrufs genügen ließe, weil - anders als in den EA 189-Fällen - ein verpflichtender Rückruf zur Installation eines Updates nicht erfolgt ist. Soweit es bei diesem Motortyp vereinzelt zu Rückrufen gekommen ist (ein solcher Fall - unzulässige Kühlmittel-Solltemperatur - lag der Entscheidung des OLG Naumburg vom 18. September 2020 - 8 U 8/20 -, juris, zugrunde), ist das Fahrzeug der Klägerin hiervon unstreitig nicht betroffen (gewesen).

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Zwar neigt ein Teil der Rechtsprechung dazu, das bloße „Drohen“ von behördlichen Maßnahmen, insbesondere der Stilllegung ausreichen zu lassen (exemplarisch: OLG Naumburg, 8. Zivilsenat, Urteil vom 9. April 2021 – 8 U 68/20 -, Rn. 28, Rn. 25: derartige Maßnahmen seien zu erwarten „bei rechtmäßigem Vorgehen“, eine abweichende rechtliche Bewertung des KBA sei „haltlos“; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 1. Zivilsenat - Urteile vom 19. Februar 2021 –1 U 91/20 -, und vom 9. April 2021 – 1 U 94/20 -, die es ohne weitere Konkretisierung ausreichen lassen „wenn der Bestand der Typgenehmigung in Frage steht“). Ausgangspunkt dieses Ansatzes mag der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 28. Januar 2020 (VIII ZR 57/19, bei juris Rn. 13) gewesen sein, demzufolge einerseits Substantiierungsanforderungen bei der Behauptung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht zu überspannen seien und andererseits ein entsprechender Sachmangel bereits bei einer „Mangelanlage“ vorliege, also nicht erst auf das Einschreiten des KBA gewartet werden müsse. Jedoch erging dieser Beschluss zur vertraglichen Gewährleistung für Sachmängel im Sinne des § 434 BGB, für welchen Bereich die Mangelanlage oder auch nur der Mangelverdacht als Fall der Gewährleistung wegen Sachmangels anerkannt, aber - wie unter II. 2. b) ausgeführt - auf die deliktische Haftung so nicht übertragbar ist.

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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

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Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

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Der Senat hat die Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO zugelassen, weil die Frage der nicht nur tatsächlichen, sondern auch maßstäblichen Anforderungen an die für eine Haftung aus § 826 BGB notwendige Sittenwidrigkeitsbeurteilung noch nicht hinreichend geklärt ist.


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