Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (7. Zivilsenat) - 7 U 130/21
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Flensburg vom 02.07.2021, Az. 3 O 303/20, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I.
- 1
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Kaufvertrages über einen Audi A5, in dem der von der Beklagten entwickelte und hergestellte Dieselmotor mit der Typenbezeichnung EA 189, Euro 5 verbaut ist.
- 2
Mit Vertrag vom 29.04.2013 kaufte der Kläger bei der M. (= Audi Vertragshändler) das streitgegenständliche Fahrzeug Audi A5 Sportback 2.0 TDI (150 PS), phantomschwarz Perleffekt zum Preis von brutto 35.653,34 € (in dem Preis waren Kosten für ein sog. Selbstabholerpaket i.H.v. netto 462,18 € und für die Zulassungsbescheinigung Teil II i.H.v. netto 16,81 € enthalten). Es handelte sich um einen Neuwagenkauf.
- 3
In den Fahrzeugen mit dem Motortyp EA 189 war eine Software zur Steuerung des Motors installiert, die erkennt, ob sich das Fahrzeug im Testlauf unter Laborbedingungen oder im normalen Straßenverkehr befindet. Während im Testlauf die Motorsteuerung dergestalt erfolgt, dass mittels einer Abgasrückführung die Abgase zusätzlich gereinigt werden und die Emissionsgrenzwerte entsprechend der genannten Verordnung eingehalten werden (Abgasrückführungsmodus 1), ist im Betriebsmodus des normalen Straßenverkehrs der Abgasrückführungsmodus 0 aktiv, in dem keine oder eine deutlich geringere Abgasrückführung stattfindet.
- 4
Im Februar 2016 informierte die Audi AG (Anlage K18) den Kläger über einen Rückruf. Die in dem Fahrzeug eingebaute Software bewirke, dass die Stickoxidwerte (NOx) im Vergleich zwischen Prüfstandlauf (NEFZ) und realem Fahrbetrieb verschlechtert würden. Man arbeite mit Hochdruck an der Organisation des Rückrufs durch autorisierte Werkstätten. Mit weiterem Schreiben aus Juli 2016 (Anlage K18) informierte die Audi AG den Kläger darüber, dass nunmehr die benötigte Software zur Verfügung stünde (Rückruf 23Q7). Die Audi AG wies den Kläger in diesem Zusammenhang darauf hin, dass bei Nichtteilnahme an der Rückrufaktion eine Betriebsuntersagung nach § 5 FZV drohe. Das entsprechende Software-Update wurde am 15.09.2016 aufgespielt.
- 5
Der Kläger, der eigentlich von der Technik seines PKW Audi „begeistert“ war, informierte sich im Internet bei der Stiftung Warentest über seine Rechte und gelangte von dort aus auf die entsprechende Seite der F. GmbH. Die F. GmbH ist eine für den außergerichtlichen Forderungseinzug im Rechtsdienstleistungsregister eingetragene Inkassodienstleisterin (§ 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 RDG). Sie ist einem externen gewerblichen Prozessfinanzierer verpflichtet, von dem sie finanziell abhängig ist. Die B., ein weltweit tätiges Finanz- und Dienstleistungsunternehmen, hatte der F. GmbH nämlich 30 Mio € für die Prozessführung zur Verfügung gestellt. Letztere ließ sich von vermeintlichen Anspruchsinhabern, insbesondere Eigentümern von Fahrzeugen mit einem VW-Dieselmotor der Baureihe EA 189, angebliche Schadensersatzansprüche gegen die Beklagte treuhänderisch abtreten (insgesamt rd. 45.000 Einzelfälle). Die F. GmbH organisiert ihr Geschäftsmodell unter der Marke MR. Sie verspricht primär die gerichtliche Durchsetzung der angeblichen Ansprüche gegen Zahlung einer Erfolgsprovision von 35 % (inklusive Umsatzsteuer) des jeweils durchgesetzten Zahlungsbetrages. Als Dienstleistung stellt sie eine von ihr angebotene „Vertretung vor Gericht“ in einer „Sammelklage“ in den Vordergrund und bewirbt sie entsprechend. Das Vertragsverhältnis der F. GmbH zu ihren Auftraggebern - darunter der Kläger - wird durch AGB geregelt. Die Verpflichtung zur gerichtlichen Tätigkeit folgt aus Nummer 1.3 der AGB, in der die F. GmbH verspricht zu „versuchen, die Ansprüche gerichtlich durchzusetzen. Die gerichtliche Durchsetzung erfolgt dabei im Wege der Klagehäufung, bei der gleichartige Ansprüche verschiedener Geschädigter in einem Verfahren zusammengefasst werden.“ Die F. GmbH ist zum Abschluss eines widerrufbaren Vergleichs in Bezug auf die von ihr geltend gemachten Ansprüche berechtigt, „wenn die Vergleichssumme nach gewissenhafter Beurteilung eines sorgfältig handelnden Kaufmanns als ausreichend erscheint“ (Ziff. 6.1 AGB). Auf diese Beurteilung haben die Zedenten der F. GmbH keinen Einfluss. Sie können den Vergleich zwar widerrufen, wenn sie mit dem Vergleich nicht zufrieden sind. Trotz Widerrufs schuldet der einzelne Auftraggeber der F. GmbH dann aber die volle Vergütung, die bei Bestand des Vergleichs angefallen wäre. Im Einzelnen regelt das Ziff. 6.1 AGB: „Wir sind zum Abschluss eines widerrufbaren Vergleichs mit einer Widerrufsfrist von zwei Wochen in Bezug auf die Entschädigungsansprüche berechtigt, wenn die Vergleichssumme nach gewissenhafter Beurteilung eines sorgfältig handelnden Kaufmanns als ausreichend erscheint. Wir werden Sie unverzüglich über den Abschluss eines Vergleichs benachrichtigen. Sie können dann den Vergleichsabschluss frei widerrufen; in dem Fall sind wir zur Kündigung dieses Vertrags berechtigt. Soweit Sie den Vergleich widerrufen, schulden Sie uns die Vergütung, die bei Bestand des Vergleichs angefallen wäre.“
- 6
Am 02.07.2016 erklärte der Kläger, er trete bestehende und künftige Ansprüche aus unerlaubter Handlung im Zusammenhang mit dem sog. VW-Abgasskandal, bezogen auf das streitgegenständliche Fahrzeug an die F. GmbH zum Zwecke des Forderungseinzugs ab. Wegen der weiteren Einzelheiten der Abtretungserklärung wird auf Anlage K 20 Bezug genommen.
- 7
Die F. GmbH erhob am 06.11.2017 bei dem Landgericht Braunschweig eine Sammelklage gegen die hiesige Beklagte. Der Rechtsstreit wird unter dem Aktenzeichen x O xxxx/17 *xxx* geführt.
- 8
Auf Empfehlung der F. GmbH meldete der Kläger seine Ansprüche zusätzlich am 28.08.2019 zu der unter dem Aktenzeichen 4 MK 1/18 beim Oberlandgericht Braunschweig bereits seit 2018 laufenden Musterfeststellungsklage an. In der Anmeldung zum Klageregister (Anlage BB 8, Bl. 594-595 GA) heißt es zum Gegenstand und Grund der Anmeldung:
- 9
“Wegen des Abgasbetruges durch VW bekomme ich mein Fahrzeug nicht zum realen Wert verkauft und fühle mich von VW als Käufer betrogen. Desweiteren leistet VW auf das Abgasupdate keine Gewährleistung auf den Fahrzeugmotor. Das Fahrzeug verbraucht seitdem deutlich mehr Kraftstoff und hat einen lauteren unruhigen Motorlauf. Ich erwarte eine sofortige Rücknahme des Fahrzeuges und erwarte eine Erstattung des Neukaufpreises! Diese Anmeldung erfolgt vorsorglich, da ich Teilnehmer der MR- Sammelklage bin“. Eine Nennung von Details zu dem Kaufvertragsschluss und dem betroffenen Fahrzeug erfolgte nicht.
- 10
Am 12.10.2020 ließ sich der Kläger die streitgegenständlichen Ansprüche von der F. GmbH zurück abtreten. Wegen der Einzelheiten dieser Erklärung wird auf Anlage K 21 Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz vom 30.10.2020 erklärten die Prozessbevollmächtigten der F. GmbH vor dem Landgericht Braunschweig u.a. die Rücknahme der Klage, soweit Ansprüche des hiesigen Klägers betroffen waren. Der Schriftsatz wurde dem Landgericht Braunschweig durch die Prozessbevollmächtigten der F. GmbH am 30.10.2020 um 11:06 Uhr übermittelt.
- 12
Die hiesige Klage ist durch elektronische Übermittlung am 30.10.2020 um 12:45 Uhr beim zuständigen Landgericht Flensburg eingegangen.
- 13
Mit der Klage verlangt der Kläger im Rahmen des Schadensersatzes die Rückzahlung des Kaufpreises unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs, hilfsweise Zahlung in Höhe von 25 % des Kaufpreises, da bei der Beklagten, selbst wenn sie sich auf Bereicherung berufen können sollte, jedenfalls insoweit Vermögensvorteile verbleiben würden. Ferner beantragt der Kläger die Feststellung des Annahmeverzugs sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
- 14
Der Kläger hat behauptet, im Rahmen des Softwareupdates zur Entfernung der ursprünglich vorhandenen Abschalteinrichtung seien neue unzulässige Abschalteinrichtungen, namentlich ein Thermofenster, eine drehmoment- bzw. drehzahlgesteuerte Abschaltung sowie eine erneute Sabotage des OBD-Systems installiert worden. Der seitens der Beklagten erhobenen Verjährungseinrede ist er entgegengetreten. Er habe keine Kenntnis gehabt von der individuellen Betroffenheit seines Fahrzeugs. Eine entsprechende Tatsachenkenntnis habe bei ihm jedenfalls im Jahr 2015 noch nicht vorgelegen. Selbst wenn der Anspruch aus § 826 BGB verjährt wäre, würde ein Schadenersatzanspruch aus § 852 BGB bestehen, dem die Beklagte die Verjährungseinrede nicht entgegenhalten könne. Die Verjährung sei zudem gehemmt sowohl durch die Teilnahme an der Musterfeststellungsklage als auch durch die Teilnahme an der Sammelklage vor dem Landgericht Braunschweig.
- 15
Mit Schriftsatz vom 20.05.2021 hat der Kläger seine ursprünglich angekündigten Anträge um den Hilfsantrag zu Ziff. 1a erweitert.
- 16
Der Kläger hat beantragt,
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1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 35.653,34 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.10.2020 abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von EUR 6.361,47 Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi A5 2.0 l mit der WAUZZZ8T5EA002812 zu zahlen,
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hilfsweise:
- 19
1a. die Beklagte zu verurteilen, an ihn EUR 8.913,33 (25 % des Kaufpreises) zu zahlen,
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2. festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 30.10.2020 mit der Rücknahme des im Klageantrag zu 1. bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet,
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3. die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung in Höhe von EUR 2.025,36 außergerichtliche Kosten nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.10.2020 zu zahlen.
- 22
Die Beklagte hat beantragt,
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die Klage abzuweisen.
- 24
Sie ist dem Vorbringen des Klägers umfassend entgegengetreten und hat nochmals die Verjährungseinrede erhoben. Die Abtretung der streitgegenständlichen Ansprüche an die F. GmbH sei unwirksam, die Anmeldung des Klägers zur Musterfeststellungsklage ebenso. Weder die Sammelklage vor dem Landgericht Braunschweig noch die Musterfeststellungsklage vor dem Oberlandesgericht Braunschweig hätten die Verjährung der Ansprüche gehemmt.
- 25
Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Deliktische Ansprüche gegen die Beklagte gemäß §§ 826, 31 BGB seien verjährt. Die dreijährige Verjährung habe bereits am 01.01.2016 begonnen und endete deshalb am 31.12.2018 (§§ 195, 199 BGB). Eine Hemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB durch Teilnahme an der Musterfeststellungsklage beim OLG Braunschweig (Az. 4 MK 1/18) sei nicht gegeben. Eine wirksame Anmeldung liege nicht vor. Auch die Sammelklage der F. GmbH beim LG Braunschweig (Az. x O xxxx/17 *xxx) vom 06.11.2017 habe nicht zur Hemmung geführt. Die treuhänderische Abtretung der Ansprüche an die F. GmbH vom 02.07.2016 (Anlage K20) sei wegen Verstoßes gegen §§ 3, 4 RDG unwirksam. Eine neue Schädigung durch das Software-Update vom 15.06.2016 sei nicht eingetreten (Thermofenster). Ansprüche aus § 852 BGB seien ebenfalls nicht gegeben, weil die Audi AG Herstellerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs gewesen sei, die Beklagte habe nur den entsprechenden Motor entwickelt und hergestellt.
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Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er vertritt die Ansicht, dass seine Ansprüche nicht verjährt seien. Die Beklagte habe im Zuge des Updates (Rückrufcode 23AO) für EA 189 Fahrzeuge weitere unzulässige Abschalteinrichtungen gegenüber dem KBA verschwiegen. Deshalb sei bereits ein Pflichtrückruf des KBA für VW-Fahrzeuge des Typs „EOS Baujahr 2010 bis 2015“ unter dem Rückrufcode 23AO erlassen worden. Der VW EOS verfüge über einen baugleichen Motor, wie er in dem streitgegenständlichen Fahrzeug installiert sei. Die unzulässige Akustikfunktion einschließlich der Fahrkurvenerkennung zur NOx-Manipulation sei bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug niemals beseitigt worden. Durch das Update sei ein erneuter Schaden entstanden. Die laufende Verjährung sei durch die Klage der F. GmbH vor dem Landgericht Braunschweig vom 06.11.2017 bis zur Klagrücknahme am 30.10.2021 gehemmt gewesen. Die Klage vom 29.10.2020 (Eingang am 30.10.2020), zugestellt am 25.11.2020, sei deshalb in unverjährter Zeit erhoben und zugestellt worden. Das Sammelklageinkasso der F. GmbH sei wirksam. Die treuhänderische Abtretung der Ansprüche vom 02.07.2016 (K20) verstoße nicht gegen §§ 3 und 4 RDG (BGH, Urteil vom 13.07.2021, II ZR 84/20 sog. „Airdeal-Urteil“). Diese Rechtsauffassung vertrete inzwischen auch das LG Braunschweig (Beschluss vom 02.12.2021, 11 O 659/21, juris; Hinweis vom 23.12.2019, Az. 3 O 5657/18 *903; Anlage BB 5). Außerdem seien dieser Auffassung - so der Kläger - inzwischen mehr als 50 Landgerichte gefolgt. Auch andere Oberlandesgerichte würden diese Ansicht teilen (OLG Nürnberg, Urteil vom 20.10.2021, 12 U 1432/20, BeckRS 2021; OLG Oldenburg, Hinweisbeschluss vom 05.01.2022, 2 U 143/21; OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 04.11.2021, 15 U 820/21, Anl. BB 7; OLG München, Verfügung vom 15.09.20210, 2 U 5311/21, Anl. BB 7; OLG Stuttgart, Hinweisbeschluss vom 19.10.2021, 12 U 14/21, Anl. BB 7). Im Übrigen sei der Lauf der Verjährung auch durch die erfolgte Anmeldung des Klägers zur Musterfeststellungsklage vor dem OLG Braunschweig vom 28.08.2019 (Anlagen K2 und BB 8) gehemmt gewesen. Für eine wirksame Anmeldung sei nicht erforderlich, dass die konkreten Daten des Kaufvertrages oder die FIN angegeben werden. Der Anspruch wäre für die Beklagte dem Grunde nach zuordbar gewesen. Eine Zuordnung wäre nämlich allein durch den Namen des Anmelders möglich gewesen, zumal die Beklagte die FIN samt Halterdaten vom KBA übermittelt bekommen habe. Der Einwand der fehlenden Zuordnung sei deshalb treuwidrig. Im Übrigen seien auch Ansprüche des Klägers nach § 852 BGB begründet. Bis zum Tag der mündlichen Verhandlung am 11.01.2022 sei das Fahrzeug 74.610 km gelaufen.
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Der Kläger beantragt, das angefochtenen Urteils des Landgerichts Flensburg vom 02.07.2021 zu ändern und
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1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 35.653,34 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.10.2020 abzgl. einer Nutzungsentschädigung i.H.v. 10.640,38 € Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs Audi A5 1968 mit der Fahrzeugidentifikationsnummer WAUZZZ8T5EA002812 zu zahlen,
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hilfsweise
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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.913,33 € (25 % des Kaufpreises) zu zahlen,
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2. festzustellen, dass sich die Beklagte seit dem 30.10.2020 mit der Rücknahme des im Klagantrag zu 1) bezeichneten Gegenstands in Annahmeverzug befindet,
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3. die Beklagte zu verurteilen, die Kosten der außergerichtlichen Rechtsverfolgung i.H.V. 2.025,36 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 30.10.2020 an den Kläger zu zahlen,
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hilfsweise:
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das angefochtene Urteil aufzuheben und zur erneuten Verhandlung an das Landgericht Flensburg zurückzuverweisen,
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hilfsweise:
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die Revision zuzulassen.
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Wegen der bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung zurückgelegten Kilometerleistung und des daraus folgenden erhöhten Nutzungsvorteils erklärt der Kläger den Rechtsstreit teilweise in der Hauptsache für erledigt.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
- 40
Sie bestreitet entsprechende Hemmungstatbestände. Hinsichtlich der Musterfeststellungsklage werde die Verjährung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB nur durch die Erhebung einer Musterfeststellungsklage und die Eintragung eines individuellen Anspruchs in das entsprechende Klageregister gehemmt. Die Verjährungshemmung ende gem. § 204 Abs. 2 S. 1 und 2 BGB 6 Monate nach der Rücknahme der Anmeldung zum Klageregister oder dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Voraussetzung für die Hemmung sei die wirksame Anmeldung zum Klageregister. Dies sei hier nicht der Fall, da die Anmeldung nicht die Voraussetzungen des § 608 Abs. 1 und 2 ZPO erfülle. Der Kläger habe nämlich in der Anmeldung keine Details zu dem Kaufvertragsschluss, dem betroffenen Fahrzeug, Verkäufer, Ort und Datum des Kaufs, Kaufpreis, FIN, Motorart, Marke und Fahrzeugmodell gemacht. Die Beteiligung an der Sammelklage der F. GmbH habe die Verjährung ebenfalls nicht gehemmt. Die F. GmbH sei nicht aktivlegitimiert gewesen, da die Forderungsabtretung wegen Verstoßes gegen §§ 3, 4 RDG nach § 134 BGB nichtig gewesen sei. Ansprüche aus § 852 BGB kämen nicht in Betracht, da sich ein wirtschaftlicher Schaden des Klägers nicht feststellen lasse.
- 41
Der Senat hat bereits vorgerichtlich mit Verfügungen vom 13.09.2021 (Bl. 320-321 GA), 11.11.2021 (B. 484 GA) und 23. Dezember 2021(Bl. 492 GA) auf die Verjährungsproblematik und insbesondere darauf hingewiesen, dass zweifelhaft sei, ob auf den hier streitgegenständlichen Sachverhalt die Rechtsprechung des BGH aus dem „Airdeal-Urteil“ vom 13.07.2021 (II ZR 84/20) Anwendung finde. Der Senat hat im Termin am 11.01.2022 den Kläger gemäß § 141 ZPO persönlich gehört.
II.
- 42
Die Berufung des Klägers ist zulässig, aber unbegründet. Die Ansprüche des Klägers sind gemäß §§ 195,199 BGB verjährt. Die Beklagte ist berechtigt, die Erfüllung der Forderungen gemäß § 214 Abs. 1 BGB zu verweigern. Verjährungshemmende Tatbestände nach § 204 BGB liegen nicht vor.
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1. Eine deliktische Haftung der Beklagten ist zwar dem Grunde nach gem. §§ 826, 31 BGB gegeben. Insoweit hat das Landgericht zu Recht ausgeführt, dass der in dem streitgegenständlichen Fahrzeug eingebaute Motor EA 189 ursprünglich eine Software enthielt (sog. Umschaltlogik), bei der es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung handelt und die im Hinblick auf das Verhalten der Beklagten vor 2015 zu Ansprüchen aus Herstellerhaftung, insbesondere solchen nach §§ 826, 31 BGB führt (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 367/19, juris; BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962). Wird der Geschädigte – wie hier – aufgrund einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung zum Abschluss eines Vertrages gebracht, den er ohne die Handlung des Schädigers nicht abgeschlossen hätte, und war die Leistung für die Zwecke des Geschädigten nicht voll brauchbar, entsteht der Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.
- 44
2. Zu Recht hat das Landgericht jedoch ausgeführt, dass die Beklagte einem entsprechenden Anspruch des Klägers jedenfalls mit Erfolg die Einrede der Verjährung entgegenhalten kann (§ 214 Abs. 1 BGB).
- 45
Die Verjährung der Ansprüche begann gem. § 199 Abs. 1 BGB allerdings nicht bereits mit dem Schluss des Jahres 2015 (so das Landgericht), sondern erst mit dem Schluss des Jahres 2016 und endete (§ 195 BGB: 3 Jahre) dementsprechend erst am 31.12.2019, 24:00 Uhr. Ein früherer Verjährungsbeginn lässt sich nicht feststellen. Der Kläger hat bei seiner Anhörung im Termin am 08.06.2021 selbst erklärt, er sei erst im Februar 2016 von der Audi AG über den Rückruf (Code 23Q7) informiert worden. Zwar habe er bereits davor von dem sog. VW-Abgasskandal gehört, aber bis dahin immer gedacht, dass sein Audi-Fahrzeug davon nicht betroffen gewesen sei. Diese Erklärung scheint dem Senat plausibel, zumal es sich bei Audi um eine andere Fahrzeugmarke und ein eigenständiges Unternehmen handelt. Um Übrigen war der Sachverhalt aus Sicht des betroffenen Klägers im Jahr 2015 noch nicht hinreichend geklärt. Bei einem weitgehend ungeklärten Sachverhalt ist eine Klageerhebung jedoch nicht zumutbar. Die Beklagte hatte mit der im September 2015 veröffentlichten Ad-hoc-Mitteilung zwar eingeräumt, dass eine "auffällige Abweichung zwischen Prüfstandwerten und realem Fahrbetrieb festgestellt" worden sei. Damit hat zwar der VW - Konzern die Mangelhaftigkeit der betroffenen Fahrzeuge etwas verklausuliert eingeräumt, jedoch nicht uneingeschränkt die Verantwortung für alle in den EA 189 - Motoren verbauten, unzulässigen Abschalteinrichtungen übernommen. Die Beklagte hat noch in diesem Prozess bestritten, dass ihr Vorstand bzw. der für eine Haftung gemäß § 826 BGB in Betracht kommende Personenkreis davon gewusst habe. Erst im Jahre 2016 sind durch Nachforschungen und Ermittlungen der Medien und Strafverfolgungsbehörden weitere Informationen zu den beteiligten Personen bekannt geworden. Belastbare Hinweise auf eine Kenntnis der Organe des VW-Konzerns verdichteten sich ab Januar 2016 durch die Aussagen der bei VW beschäftigten Ingenieure, die bei ihrer Vernehmung als Zeugen angaben, dass auch den Führungskräften des VW-Konzerns die Problematik bekannt gewesen sei. Damit konnte dem Kläger im Jahr 2015 allenfalls die Mangelhaftigkeit seines Fahrzeugs bekannt geworden sein, nicht aber die ein vorsätzliches sittenwidriges Verhalten der Beklagten begründenden Umstände. Dies war jedoch spätestens im Jahr 2016 der Fall. Für die Frage der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis im Sinne des § 199 BGB kommt es nicht darauf an, ob der Gläubiger aus den ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt gebliebenen Tatsachen die zutreffenden rechtlichen Schlüsse zieht. Entscheidend ist lediglich, ob Umstände bekannt oder infolge grob fahrlässiger Unkenntnis unbekannt sind, die sowohl die Haftung aus § 826 BGB begründen können als auch den Haftungsschuldner kennzeichnen. Die spätestens im Jahr 2016 bekannt gewordenen Umstände waren geeignet, einen Anspruch aus § 826 BGB zu begründen und auch die Beklagte als mögliche Haftungsschuldnerin zu erkennen.
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Die Klage ist erst am 30.10.2020 - und damit zu spät - eingereicht worden. Die Ansprüche des Klägers waren schon am 31.12.2019 verjährt.
- 47
3. Etwaige Hemmungstatbestände, die nach § 204 BGB zu einer Verlängerung der Verjährungsfrist führen könnten, liegen nicht vor.
- 48
a) Der Lauf der Verjährung ist nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB durch Beteiligung an der Sammelklage vom 06.11.2017 vor dem LG Braunschweig (x O xxxx/17*xxx*) gehemmt worden.
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Die verjährungshemmende Wirkung einer Klage führt grundsätzlich dazu, dass der geltend gemachte Anspruch während des Prozesses nicht verjähren kann. Die Verjährung ist dann für die Dauer der Rechtshängigkeit und einen weiteren sechsmonatigen Zeitraum nach § 204 Abs. 2 BGB gehemmt. Wird die Klage zurückgenommen, entfällt zwar die Rechtshängigkeit (§ 269 Abs. 3 ZPO), nicht aber die hemmende Wirkung.
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Die Hemmung setzt grundsätzlich eine materielle Berechtigung des Klägers zur Klageerhebung voraus. Vorliegend ist jedoch von der Nichtigkeit der treuhänderischen Abtretung der klägerischen Ansprüche an die F. GmbH vom 02.07.2016 (Anlage K 20) auszugehen, da die Rechtsdienstleistung gegen §§ 3,4 RDG verstößt und deshalb gem. § 134 BGB nichtig ist. Solche Verstöße führen auch bei registrierten Inkassodienstleistern zur Nichtigkeit der Forderungsabtretungen, wenn die Verstöße - wie hier - eindeutig und nicht nur geringfügig sind (vgl. BGH, Urteil v. 27.11.2019, VIII ZR 285/18). Hier war die gesamte Tätigkeit des prozessfinanzierten Sammelklägers F. GmbH von vornherein auf die gerichtliche Durchsetzung tausender, heterogener Forderungen gegen die Beklagte ausgelegt. Es handelt sich deshalb - wie nachfolgend im Einzelnen dargelegt wird - um eine Tätigkeit, die nicht mehr vom RDG gedeckt ist (vgl. LG Ansbach, Urteil vom 29.03.2021, 3 O 16/21, juris Rn. 67 - 70).
- 51
Der Sachverhalt, der dem BGH-Urteil vom 13.07.2021 (Az. II ZR 84/20, NJW 2021, 3046- 3057; sog. „Airdeal“-Entscheidung) zugrunde liegt, ist mit diesem Fall nicht vergleichbar. Bis dahin war die Frage um die Zulässigkeit des gerichtlichen Sammelklage-Inkassos durch die Entscheidungen des VIII. Zivilsenats vom 27. 11. 2019, VIII ZR 285/18 (BGHZ 224, 89-177, „LexFox“-Entscheidung) und vom 08.04.2020 (VIII ZR 130/19, NJW-RR 2020, 779-788) geprägt. Der VIII Senat hat die Inkassosammelklage „noch“ als zulässig angesehen, wenn vom Dienstleister auch relevante außergerichtliche Leistungen erbracht wurden. Über diese Grenze ist der II. Zivilsenat des BGH offenbar hinausgegangen, ohne sich mit den Gründen der v.g. Entscheidungen des VIII. Zivilsenats dezidiert auseinander zu setzen (vgl. Prütting, Anmerkung zu BGH II ZR 84/20 zur Zulässigkeit des Sammelklage-Inkassos, EWiR 2021, 549, 551). Der Gesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt vom 10.08.2021 auf die Entscheidungen des VIII. Zivilsenats und die dadurch entstandene Diskrepanz zwischen anwaltlichem Berufsrecht und fehlender Regulierung von Inkassodienstleistungen reagiert und das anwaltliche Berufsrecht etwas liberalisiert. Für Inkassodienstleistungen hat er die Anforderungen an die Registrierung angehoben, ohne allerdings den vorhandenen Wertungswiderspruch ernstlich zu beseitigen. Die Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH vom 13.07.2021 (a.a.O.) ignoriert die gesetzgeberische Entscheidung, dass nämlich der Inkassobegriff auch künftig „nicht über Gebühr ausgedehnt werden soll“ (vgl. Prütting, a.a.O., EWiR 2021, 549, 550).
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Nach § 3 RDG sind außergerichtliche Rechtsdienstleistungen nur in dem Umfang zulässig, in dem sie durch das RDG oder aufgrund anderer Gesetze erlaubt sind. Das RDG ist als Verbotsgesetz mit Erlaubnisvorbehalt konzipiert, das zulässige Rechtshandlungen im außergerichtlichen Bereich abschließend regelt. Die Erlaubnistatbestände sind deshalb eng auszulegen. Die Tätigkeit der F. GmbH als registrierte Inkassodienstleisterin hält sich nicht mehr im Rahmen der ihr nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG erteilten Inkassodienstleistungsbefugnis.
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Der Gesetzgeber hatte den früheren nichtanwaltlichen Vollrechtsbeistand bewusst abgeschafft und die Erlaubnistatbestände des § 10 RDG nach Inhalt und Umfang auf den außergerichtlichen Bereich beschränkt. Das lässt sich auch aus § 79 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ZPO klar entnehmen. Die Airdeal-Entscheidung des II. Zivilsenats des BGH (a.a.O.) erkennt zwar den Wertungswiderspruch zwischen Rechtsanwalt und Inkassodienstleister, sie wird aber im Ergebnis dem Schutzzweck des Verbrauchers durch das RDG nicht gerecht. Zwar darf die Zulässigkeit des Sammelklage-Inkassos nach der LexFox-Entscheidung des VIII. Zivilsenat des BGH (a.a.O.) nicht zu eng ausgelegt werden, sondern innerhalb des mit dem Rechtsdienstleistungsgesetz verfolgten Zwecks des Schutzes der Rechtssuchenden, des Rechtsverkehrs und der Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen kann sogar eine eher großzügige Betrachtung geboten sein (BGH, VIII ZR 285/18, Urteil vom 27.11.2019, Rn. 141). Daraus folgt jedoch nicht automatisch die Zulässigkeit eines jeglichen Sammelklage-Geschäftsmodells. Vielmehr ist insoweit jeder Einzelfall auf seine Vereinbarkeit hin zu prüfen. Erforderlich ist eine am Schutzzweck des RDG orientierte Würdigung aller Umstände einschließlich einer Auslegung der für die Forderungseinziehung konkret getroffenen Vereinbarungen.
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Nach § 2 Abs. 2 S. 1 RDG ist eine Inkassodienstleistung die Einziehung fremder oder zum Zweck der Einziehung auf fremde Rechnung abgetretener Forderungen, wenn die Forderungseinziehung als eigenständiges Geschäft betrieben wird. Ist eine Person - wie hier die F. GmbH - nach § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 RDG bei der zuständigen Behörde für den Bereich der Inkassodienstleistungen registriert, darf sie aufgrund besonderer Sachkunde Rechtsdienstleistungen in diesem Bereich erbringen. Den somit durch § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 RDG vorgegebenen Rahmen hat die F. GmbH hier jedoch überschritten. Zwar war ihr insoweit auch generell eine rechtliche Forderungsprüfung und substantielle Beratung ihrer Kunden über den Bestand der Forderung und die außergerichtliche Durchsetzung gestattet. Diesen Rahmen hat die F. GmbH jedoch überschritten, weil ihre Tätigkeit entgegen der in Ziffer 1.3 gewählten Formulierung von vornherein auf eine gerichtliche Durchsetzung der an sie abgetretenen Ansprüche in Form einer Sammelklage abzielte. Die F. GmbH bot den Betroffenen des sog. Abgasskandals über Legal Tech auf ihrer Internetseite nämlich ausdrücklich an, mit einer vorfinanzierten Sammelklage die Fälle gleich vor Gericht zu bringen und nur im Erfolgsfall eine Provision zu kassieren. Damit fällt ihre Tätigkeit schon nach dem Wortlaut nicht mehr unter die Ausnahmeerlaubnis für die Erbringung außergerichtlicher Rechtsdienstleistungen nach dem RDG. Auch die Erweiterung der Inkassotätigkeit durch § 79 Abs. 2 S. 2 Nr. 4 ZPO auf gerichtliche Maßnahmen in Bezug auf das Mahnverfahren und die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen ist hier nicht einschlägig.
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Der Sachverhalt, der der Airdeal-Entscheidung des BGH (Urteil vom 13.07.2021, II ZR 84/20, a.a.O.) zugrunde liegt, ist mit diesem Fall nicht vergleichbar. Dort ging es lediglich um sieben abgetretene Ansprüche im Gesamtumfang von 24.217 €. Alle sieben Kunden hatten in dem kurzen Zeitraum vom 05.05. - 06.07.2017 Flüge bei Air-Berlin (= Schuldnerin) gebucht und bezahlt, die infolge der Insolvenz nicht mehr durchgeführt wurden. Beklagter in jenem Verfahren war der Executive Director der Komplementärin der Schuldnerin. Es handelte sich mithin um einen zeitlich, wirtschaftlich und rechtlich relativ beschränkten Lebenssachverhalt, den vielleicht auch ein Inkassodienstleister noch überschauen, prüfen und adäquat beraten kann. Hier hingegen hat die F. GmbH über Legal Tech zunächst zehntausende von Kunden akquiriert, um deren Ansprüche in verschiedenen Sammelklagen mit mehreren 1.000 gebündelten Einzelforderungen gerichtlich geltend zu machen. Die F. GmbH beschränkte sich nicht auf die unproblematisch zulässige rechtliche Prüfung von Einzelforderungen, sondern traf vielmehr auch eine strategische Entscheidung darüber, welche der Ansprüche aus abgetretenem Recht sie in Einzelverfahren und welche sie in unterschiedlichen Sammelklagen gegen verschiedene Hersteller (z.B. auch gegen Audi) geltend macht. Angesichts der Vielzahl der Fallgestaltungen im sog. Abgasskandal und der Komplexität der damit verbundenen Rechtsfragen stellt sich dies als umfassende Rechtsberatung dar, die weit über den Bereich einer bloßen Forderungseinziehung hinausgeht. Es ist deshalb hier nicht gerechtfertigt, sich mit einer - im Vergleich zu Rechtsanwälten mit zwei Staatsexamen - geringeren Sachkunde des Inkassodienstleisters zufrieden zu geben. Die Sachkunde eines registrierten Inkassodienstleisters wird nach § 4 Abs. 1 RDV durch einen Lehrgang mit 120 Zeitstunden vermittelt. Die deutlich geringeren Anforderungen an die Sachkunde sind auch der Grund dafür, dass die Tätigkeit des Inkassodienstleisters normalerweise auf die außergerichtliche Forderungseinziehung beschränkt sein soll. In diesem Bereich ist nämlich die Gefahr einer rechtlichen Fehlberatung deutlich geringer.
- 57
Anders als in der LexFox-Entscheidung des BGH (a.a.O.), wo erst die außergerichtlichen Schreiben der späteren Sammelklägerin mit der Rüge nach § 556 g Abs. 2 BGB zur Entstehung des Anspruchs auf Rückzahlung zuviel gezahlter Miete führten, hat in diesem Fall die F. GmbH überhaupt keine vorgerichtlichen Bemühungen zur Forderungseinziehung entfaltet und sich damit von vornherein nicht mehr im Bereich einer üblichen Inkassodienstleistung bewegt.
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Die Überschreitung der Inkassodienstleistungsbefugnis kann auch nicht durch die Hinzuziehung eines anwaltlichen Prozessbevollmächtigten kompensiert werden. Schon nach dem alten Rechtsberatungsgesetz kam es nicht darauf an, ob der Vertragspartner des Rechtssuchenden sich zur Erfüllung seiner Beratungspflichten eines zugelassenen Rechtsanwalts als Erfüllungsgehilfen bedient (BGH, Urteil vom 03.07.2008, III ZR 260/07, NJW 2008, 3069-3071). Nichts anderes gilt im Hinblick auf den in § 1 Abs. 1 S. 2 RDG normierten Schutzzweck des RDG, nämlich die Rechtssuchenden, den Rechtsverkehr und die Rechtsordnung vor unqualifizierten Rechtsdienstleistungen zu schützen.
- 60
Nach § 4 RDG a.F (gültig v. 01.07.2008 - 30.09.2021) dürfen Rechtsdienstleistungen, die unmittelbaren Einfluss auf die Erfüllung einer anderen Leistungspflicht haben, nicht erbracht werden, wenn hierdurch die ordnungsgemäße Erbringung der Rechtsdienstleistung gefährdet wird.
- 61
Eine solche Situation liegt jedoch dem Geschäftsmodell der F. GmbH zugrunde (vgl. LG Ansbach, Urteil vom 29.03.2021, 3 O 16/21, juris Rn. 67 - 70; a.A. OLG Nürnberg, Urteil v. 20.10.2021, 12 U 1432/20, BeckRS 2021,33454, Rn. 47 ff.). Es liegt eine doppelte Interessenkollision und damit eine Gefährdung der Rechtsdienstleistung vor: Zum einen ist die F. GmbH ihrem kommerziellen Prozessfinanzierer B. zur möglichst gewinnbringenden Prozessführung und zur Zahlung eines Erfolgshonorars verpflichtet und zum anderen zugleich zigtausenden Auftraggebern zur bestmöglichen Durchsetzung ihrer vermeintlichen, heterogenen und zum Teil ungeprüften Ansprüche. Dieses Geschäftsmodell geht im Ergebnis zu Lasten ihrer Auftraggeber und ist mit § 4 RDG nicht vereinbar.
- 62
Der gewerbliche Prozessfinanzierer B. hat rechtlichen und faktischen Einfluss auf die Verfahrensführung und -beendigung. Da er nahezu sämtliche Kosten der F. GmbH trägt, ist seine faktische Einflussnahmemöglichkeit auf den Prozess, insbesondere auf die Verfahrensbeendigung und einen etwaigen Vergleichsschluss sehr hoch. Die Interessen des Prozessfinanzierers und der einzelnen Auftraggeber können strukturell und im Einzelfall durchaus divergieren. Der Prozessfinanzierer wird z.B. aus Rentabilitätsgründen eher zu einem Gesamtvergleich geneigt sein als der einzelne Auftraggeber mit guten Erfolgschancen hinsichtlich seines Einzelanspruchs (vgl. LG Ingolstadt, Urteil vom 07.08.2020, 41 O 1745/18, BeckRS 2020, 18773, Rn. 135; LG Augsburg, Urteil vom 27.10.2020, 11 O 3715/18, BeckRS 2020, 30625, Rn. 34; LG Heilbronn, Urteil vom 17.09.2021, 9 O 145/20, S. 11). In diesem konkreten Fall war außerdem keine Zustimmung der Zedenten zu einem abzuschließenden Vergleich erforderlich, sondern nur ein Widerruf des Zedenten möglich. Die F. GmbH hat nach Ziffer 6.1 ihrer Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) die Möglichkeit, einen Vergleich mit einer Widerrufsfrist von zwei Wochen abzuschließen, "wenn die Vergleichssumme nach gewissenhafter Beurteilung eines sorgfältig handelnden Kaufmanns als ausreichend erscheint." Nach unverzüglicher Benachrichtigung davon kann der Kunde anschließend den Vergleichsabschluss zwar widerrufen, doch schuldet er der zur Kündigung des Vertrages berechtigten Sammelklägerin dann die bei Bestand des Vergleiches angefallene Vergütung. Der jeweilige Kunde kann hier - anders als im LexFox-Fall des BGH - mithin nicht frei über die Erteilung seiner Zustimmung zum Vergleich entscheiden, sondern ist dadurch einem erheblichen wirtschaftlichen Druck ausgesetzt. Er muss nämlich im Fall seines Widerrufs die geschuldete Vergütung in Höhe von 35 % der Vergleichssumme zahlen, ohne hierfür einen Gegenwert zu erhalten. Gerade für die nicht rechtsschutzversicherten Zedenten, die im Internet gezielt für die Sammelklage angeworben wurden, besteht damit kein kostenneutraler Ausweg, sondern sie sind faktisch gezwungen, sich einer von der Sammelklägerin im Eigeninteresse geringer Verfahrenskosten getroffenen Vergleichsentscheidung zu beugen. Die Interessen sind somit nicht prinzipiell gleich gelagert. Ihren Auftraggebern ist die F. GmbH zur bestmöglichen Forderungsdurchsetzung im Einzelfall verpflichtet, der kommerzielle Prozessfinanzierer muss hingegen auf die Einzelinteressen der Kunden keine Rücksicht nehmen. Dies widerspricht Sinn und Zweck des § 4 RDG.
- 63
Aus der undifferenzierten Massenbündelung heterogener Ansprüche folgt für die einzelnen Auftraggeber außerdem ein ihren Interessen nicht gerecht werdendes, strukturelles Risiko der Befriedigung unter Wert. Die vermeintlichen Einzelansprüche sind hier nämlich alle unterschiedlich gelagert. Anders als in der Airdeal-Entscheidung des BGH (a.a.O) sind die Ansprüche aus der Sammelklage mit über 40.000 Einzelforderungen in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht heterogen. Die Dieselklagen umfassen einen langjährigen Zeitraum mit unterschiedlichen Erwerbsumständen, Beweismitteln, Nutzungsvorteilen, Kausalitäten, Finanzierungen und Verjährungstatbeständen. Die Erfolgsaussichten der Einzelansprüche sind fast alle unterschiedlich zu bewerten und die Ansprüche waren von vornherein nicht gleichartig. Durch die Weiternutzung der Fahrzeuge befindet sich der Schaden in vielen Fällen außerdem noch in der Entwicklung (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 354/19: Nutzungsvorteile können den Schadensersatzanspruch vollständig aufzehren). Durch die massenhafte Bündelung dieser Ansprüche in einer Sammelklage drohen Nachteile für Einzelinteressen. Dies hat offensichtlich auch der rechtsschutzversicherte Kläger - wenn auch zu spät - erkannt, als er seinen Anspruch durch Rückabtretung im Herbst 2020 wieder aus der Sammelklage herausgenommen hat.
- 64
Dass die Sammelklage von mehreren 1.000 Kunden vom 06.11.2017 vor dem Landgericht Braunschweig (x O xxxx/17) den Einzelinteressen der Recht suchenden Auftraggeber nicht gerecht wird, hat die Beklagte außerdem mit Schriftsatz vom 27.12.2021 (S. 8 ff.) eindrucksvoll belegt. Sie hat nachgewiesen, dass eine Auseinandersetzung der F. GmbH mit jedem Einzelfall in der o.g. Sammelklage nicht stattgefunden haben kann (Anlage BE 5). Dies zeigt sich insbesondere an den zahllosen Lücken, Widersprüchen und Unstimmigkeiten in dem unterbreiteten Prozessstoff. Offenbar hat die F. GmbH im Rahmen von Legal Tech die von ihren Kunden zur Verfügung gestellten Angaben und Unterlagen nur maschinell verarbeitet und z.T. ungeprüft an das Gericht weitergeleitet. Unter den in der Sammelklage vorgelegten Dokumenten befinden sich z.B. offenkundig sachfremde und überflüssige Unterlagen sowie defektes Dateimaterial (vgl. Anlage BE 5, S. 37 ff.). Die unterbliebene anwaltliche Einzelfallprüfung und die damit einhergehende Vernachlässigung der Kundeninteressen wird exemplarisch daran deutlich, dass Dokumente mit der Dateibezeichnung „Abtretungsvereinbarung“ z.B. ein französisches Arbeitsblatt oder das Ausmalbild eines Weihnachtsmannes enthalten (Anlage BE 5, S. 49: Ablichtung aus Datei 13143 Abtretungsvereinbarung).
- 65
Eine geltungserhaltende Reduktion in Form eines Entfalls der Vergütungspflicht bei Widerruf des Vergleichs ist weder möglich noch geboten (vgl. LG Ingolstadt, a.a.O., S. 260 ff.). Vielmehr hätte es der F. GmbH freigestanden, den gesetzlichen Vorschriften entsprechende wirksame vertragliche Regelungen z.B. im Rahmen einer gewillkürten Prozessstandschaft (Geltendmachung fremder Forderungen im eigenen Namen) zu treffen.
- 66
Nach alledem hat die F. GmbH den durch § 10 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, 2 Abs. 2 Satz 1 RDG bestimmten Rahmen eindeutig und angesichts der in Ziffer 6.1 ihrer AGB enthaltenen vollen Vergütungsverpflichtung im Fall des Vergleichswiderrufs auch erheblich überschritten. Die streitgegenständliche Abtretung vom 02.07.2016 ist deshalb gemäß § 134 BGB in Verbindung mit den §§ 3, 4 RDG nichtig.
- 67
b) Der Lauf der Verjährung ist auch nicht gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB durch Anmeldung des Klägers vom 28.08.2019 an der Musterfeststellungsklage vor dem Oberlandesgericht Braunschweig (4 MK 1/18) gehemmt worden.
- 68
Nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB wird die Verjährung durch die Erhebung einer Musterfeststellungsklage für einen Anspruch, den ein Gläubiger zu dem zu der Klage geführten Klageregister wirksam angemeldet hat, gehemmt, wenn dem angemeldeten Anspruch derselbe Lebenssachverhalt zugrunde liegt wie den Feststellungszielen der Musterfeststellungsklage. Die Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB setzt nicht voraus, dass die Anmeldung des Verbrauchers zur Musterfeststellungsklage noch vor dem Eintritt der Verjährung erfolgt ist. Maßgebender Zeitpunkt für den Eintritt der Hemmungswirkung ist aufgrund des eindeutigen Wortlauts der Regelung allein der Zeitpunkt der Erhebung der Musterfeststellungsklage, nicht hingegen der Zeitpunkt der Anmeldung des Anspruchs im Klageregister durch den Verbraucher (OLG Frankfurt, Urteil vom 08.07.2021, 26 U 5/21, juris Rn. 51; OLG Brandenburg, Urteil vom 08.03.2021, 1 U 56/20, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 31.03.2021, 13 U 354/20, juris; vgl. auch BT-Drs. 19/2741, S. 23). Es ist gerichtsbekannt, dass die Musterfeststellungsklage des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände gegen die Beklagte vor dem OLG Braunschweig (Az. 4 MK 1/18) noch im Jahre 2018 erhoben worden ist (www.bundesjustizamt.de). Die Hemmung der Verjährung endete gemäß § 204 Abs. 2 Satz 2 BGB erst mit Ablauf des 4. November 2020. Nach Rücknahme der Musterfeststellungsklage durch einen am 30. April 2020 eingegangenen Schriftsatz des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände und Einwilligung der Beklagten durch Schriftsatz vom 4. Mai 2020, der beim OLG Braunschweig am selben Tag einging, war das Musterfeststellungsverfahren am 4. Mai 2020 beendet.
- 69
Der Kläger hat seine Ansprüche am 28.08.2019 angemeldet (Anlage BB 8, Bl. 594-595 GA) und darüber eine Bestätigung des Bundesamtes für Justiz (BfJ) vom 10.09.2019 erhalten (K2, Bl. 109). Der Lauf der Verjährung könnte deshalb gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB durch die am 30.10.2020 erfolgte Klageeinreichung erneut gehemmt worden sein, nachdem der Beklagten die Klageschrift am 25.11.2020 (Bl. 16 R) - und damit „demnächst“ im Sinne des § 167 ZPO - zugestellt wurde.
- 70
Es liegt jedoch keine wirksame Anmeldung zu dem im Rahmen der Musterfeststellungsklage geführten Klageregister vor. Nach § 608 Abs. 2 ZPO ist die Anmeldung zur Eintragung in das Klageregister nämlich nur wirksam, wenn dies frist- und formgerecht erfolgt ist und die in Ziffern 1-5 abschließend aufgezählten Angaben enthalten sind. § 608 Abs. 2 Nr. 4 ZPO fordert dabei die Angabe des Gegenstandes und Grundes des Anspruchs oder des Rechtsverhältnisses des Verbrauchers. Dazu gehören die Darstellung des Lebenssachverhalts, aus dem der Anspruch abgeleitet wird, und das Rechtsschutzziel. Die Anforderungen entsprechen denen einer Klageschrift gem. § 253 ZPO (vgl. LG Köln, Urteil vom 12.8.2021, 14 O 212/20, juris Rn. 17 - 24). Der Anspruch ist demnach so zu individualisieren, dass er jedenfalls durch den Schuldner eindeutig zugeordnet werden kann. Die in § 3 Abs. 2 MFKRegV vorgesehene Begrenzung auf 2.500 Zeichen ist nur eine Sollvorschrift. Durch die Verordnung werden die Anforderungen des materiellen Rechts (insbesondere zur Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB) an die Individualisierung und Darstellung des Sachverhaltes nicht geändert. Die Hemmung tritt insbesondere dann nicht ein, wenn sich aus den Angaben bei der Anmeldung aus der objektivierten Sicht des Schuldners keine eindeutige Zuordnung vornehmen lässt. Es gelten die zu § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO entwickelten Grundsätze entsprechend (OLG München, Urteil vom 21.07.2020, MK 2/19, NZI 2020, 912-919). § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO fordert die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag. Während es bei der Musterfeststellungsklage auf einen bestimmten Antrag bei der Anmeldung zum Klageregister nicht ankommt, ist die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs jedoch ohne Einschränkungen erforderlich. Es sind deshalb diejenigen Tatsachen vorzutragen, die den Streitgegenstand unverwechselbar festlegen. Der Streitstoff ist nach Beteiligten, Ort und Zeit so zu konkretisieren, dass der Klageanspruch von anderen Streitgegenständen unterschieden und abgrenzbar ist, nämlich Grundlage eines der materiellen Rechtskraft fähigen Titels sein kann (LG Köln, Urteil vom 12.08.2021, a.a.O. m.H.a. Musielak/Voit/Foerste, ZPO, § 253, Rn. 25 f.).
- 71
Diesen Anforderungen wird die Anmeldung des Klägers vom 28.08.2019 (BB 8) nicht gerecht. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Herstellerin seines Fahrzeugs nicht die Beklagte, sondern die Audi AG ist. Es fehlen in der Anmeldung sämtliche Einzelheiten zum Kauf, zum Fahrzeug und zu dem eingebauten Motor. Bei fehlender Angabe der Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ist keine unzweifelhafte und unverwechselbare Festlegung des betroffenen Fahrzeugs möglich. Die Beklagte war und ist mit einer enormen Anzahl an vom sog. Abgasskandal betroffenen Fahrzeugen konfrontiert. Aufgrund der pauschalen Angaben des Klägers war keine Individualisierung und Zuordnung möglich.
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Die bloße Bestätigung der Anmeldung zur Musterfeststellungsklage durch das BfJ (K2, Bl. 109 GA) ist kein Präjudiz für die Wirksamkeit im Sinne von § 608 ZPO und § 204 Abs. 1 Nr. 1a BGB. Der Senat ist vielmehr zur eigenen Prüfung der Wirksamkeit verpflichtet. Es ist auch unerheblich, dass die FIN nicht zu den vom BfJ genannten "Pflichtangaben" bei der Anmeldung zur Musterfeststellungsklage gehört. Dies liegt nämlich daran, dass die Musterfeststellungsklage nicht nur für den sog. Abgasskandal geschaffen worden ist, sondern für eine Vielzahl verschiedenster Sachverhalte, die auch außerhalb der Automobilbranche liegen können (LG Köln, Urteil vom 12.08.2021, 14 O 212/20, juris Rn. 17 - 24)).
- 73
4) Eine erneute sittenwidrige Schädigung ist durch das Aufspielen des Softwareupdates vom 15.09.2016 nicht eingetreten. Im Übrigen wären auch diese Ansprüche nach §§ 195, 199 BGB verjährt.
- 74
Das Aufspielen des Softwareupdates beinhaltet keine erneute sittenwidrige Schädigung i.S.v. § 826 BGB. Daran fehlt es bereits deshalb, weil unstreitig die Entwicklung des Updates in enger Zusammenarbeit mit dem KBA erfolgt ist und anschließend die entsprechende Nachbesserung ausdrücklich für den Gebrauch im Straßenverkehr freigegeben worden ist. (BGH, Beschluss v. 09.03.2021, VI ZR 889/20; OLG Schleswig, 3 U 155/19, Beschluss vom 05.10.2020; OLG Schleswig, 7 U 208/19, Urteil v. 29.10.2020; OLG Schleswig, Beschluss vom 19.10.2021, 7 U 95/21). Anhaltspunkte dafür, dass sich das KBA ein weiteres Mal über die Arbeitsweise des für den Motor EA 189 entwickelten Emissionskontrollsystems im Irrtum befunden hätte, sind weder ersichtlich noch dargetan (BGH, Beschluss vom 09.03.2021, VI ZR 889/20. Rn. 24). Selbst wenn man zu Gunsten des Klägers unterstellt, mit dem Software-Update sei ein sog. Thermofenster implementiert worden, vermag auch dieser Umstand keine Schadenersatzansprüche nach §§ 823 II, 826, 31 BGB i.V.m. § 263 StGB zu begründen. Dabei kann unterstellt werden, dass eine derartige temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung i.S.v. Art. 5 Abs. 2 S.1 der VO (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist (EuGH, Urteil vom 17.12.2020, C-693/18, CelexNr. 62018CJ0693). Der darin liegende – unterstellte – Gesetzesverstoß reicht jedoch nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig und besonders verwerflich einzustufen (BGH, Beschluss v. 09.03.2021, VI ZR 889/20. Rn. 26 + 28). Das Thermofenster nach Durchführung des Softwareupdates hat nämlich auch technische Ursachen und ist mit der Verwendung der Prüfstandserkennungssoftware, wie sie dem Urteil des BGH vom 25.05.2020, VI ZR 252/19 zugrunde lag, nicht zu vergleichen. Für den behaupteten Betrugsvorsatz der verfassungsmäßigen Vertreter der Beklagten fehlt es im Übrigen an der erforderlichen Bereicherungsabsicht und der Stoffgleichheit zwischen dem erstrebten Vermögensvorteil einerseits und dem möglicherweise verursachten Vermögensschaden andererseits (OLG Schleswig, Beschluss vom 19.10.2021, 7 U 95/21).
- 75
5. Restschadensersatzansprüche aus § 852 BGB, die der Kläger in unverjährter Zeit geltend machen könnte, stehen ihm nicht zu.
- 76
Zwar wäre ein entsprechender Anspruch nicht verjährt, da insofern eine Verjährungsfrist von 10 Jahren gilt (§ 852 S. 2 BGB). Die Schadensersatzforderung scheitert hier jedoch an der Darlegung der Höhe des Ausgleichsanspruchs. Der Senat hat bereits mit Verfügung vom 13.09.2021 darauf hingewiesen, dass die Beklagte lediglich Herstellerin des in dem streitgegenständlichen Audi A5 verbauten Dieselmotors ist. Dies übersieht die textbausteinartige Argumentation des Klägers, in der u. a. die Beklagte noch als Fahrzeugherstellerin bezeichnet wird (vgl. u.a. S. 45 des Schriftsatzes vom 20.05.2021). Vor diesem Hintergrund besteht kein Anspruch des Klägers aus § 852 Satz 1 BGB, da die Beklagte aus dem oder im Zusammenhang mit dem am 29.04.2013 abgeschlossenen Kaufvertrag jedenfalls nicht den Kaufpreis für den Neuwagen erlangt hat. Erlangt hat die Beklagte wahrscheinlich als Zulieferer einige Zeit zuvor lediglich das mit der Audi AG vereinbarte Entgelt für die Lieferung des Motors EA 189; insofern korrespondiert jedoch der Vorteil der Beklagten nicht mit dem Vermögensverlust beim Kläger (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 07.06.2021, 26 U 71/20, Juris Rn. 12 ff.).
- 77
Der Kläger müsste deshalb - worauf schon das Landgericht zu Recht hingewiesen hat - darlegen, ob und inwieweit die Beklagte, die hier nicht Fahrzeugherstellerin gewesen ist, etwas aus dem Neuwagenkauf erlangt hat (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2020, VI ZR 739/20, ZfSch 2021, 199, 204). Die Schadenshöhe ist nicht plausibel dargelegt.
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6. In Ermangelung eines Anspruchs in der Hauptsache hat der Kläger weder Ansprüche auf Zinsen noch auf Feststellung des Annahmeverzugs oder auf Zahlung von Finanzierungs- bzw. außergerichtlich aufgewendeten Anwaltskosten.
- 79
Der Antrag des Klägers vom 11.01.2022 auf Schriftsatznachlass wird zurückgewiesen. Die Voraussetzungen des § 283 ZPO liegen nicht vor. Verjährungs- und Hemmungsfragen sind bereits schriftsätzlich ausführlich diskutiert worden. Der Senat hat rechtzeitig durch entsprechende Hinweise auf die Bedeutung dieser Fragen hingewiesen. Im Termin am 11.01.2022 sind neue Tatsachen und Argumente nicht vorgebracht worden.
- 80
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen hinsichtlich der Kosten auf § 97 Abs. 1 ZPO und hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10,711 ZPO.
- 81
Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO wegen der grundsätzlichen Bedeutung sowie der Tatsache, dass die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, zuzulassen. Es ist bislang nicht höchstrichterlich geklärt, ob die Inkasso-Sammelklage der F. GmbH vor dem Landgericht Braunschweig (Az. x O xxxx/17) im Hinblick auf §§ 3,4 RDG verjährungshemmende Wirkung hat. Dazu liegen im Übrigen auch widersprüchliche Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte vor (OLG Nürnberg, Urteil vom 20.10.2021, 12 U 1432/20, BeckRS 2021, 33454; OLG Oldenburg, Hinweisbeschluss vom 05.01.2022, 2 U 143/21). Insofern dürfte eine klärende Grundsatzentscheidung des Bundesgerichtshofs sinnvoll sein.
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