Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (12. Zivilsenat) - 12 U 110/21

Tenor

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Kiel vom 03.09.2021, Az. 17 O 271/20 wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Dieses und das unter Ziffer 1. genannte Urteil des Landgerichts Kiel sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages oder durch Hinterlegung abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

4. Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 29.883,00 € festgesetzt (Antrag zu 1a.: 26.883,67 €, Antrag zu 1b.: 2.000,00 €, Antrag zu 1c.:1.000,00 €).

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um Schadensersatz im Rahmen des sogenannten Dieselabgasskandals. Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde am 25.10.2016 erstmalig zugelassen. Die Klägerin hat das Fahrzeug, in dem ein Motor des Typs 651 verbaut ist, am 29.03.2019 zu einem Preis von 29.640,00 € und mit einer Laufleistung von 18.626 km erworben.

2

Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 06.08.2021 wies es einem Kilometerstand von 44.792 auf. Bezüglich des Sachverhaltes wird auf das Urteil des Landgerichts vom 03.09.2021 Bezug genommen.

3

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der als Hauptantrag gestellte Klagantrag zu 1. sei unzulässig. Es fehle das erforderliche Feststellungsinteresse der Klägerin (Urteil Seite 6-7).

4

Der hilfsweise gestellte Hauptantrag zu 1a. sei unbegründet. Der Klägerin stehe unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zahlung von 29.640,00 € Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu.

5

Der Vortrag der Klägerin, das Fahrzeug sei mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form des sogenannten Thermofensters versehen, begründe keinen Anspruch aus § 826 BGB. Es liege keine vorsätzliche sittenwidrige Schädigungshandlung der Beklagten vor.

6

Der Einsatz eines sogenannten Thermofensters unterscheide sich von der beim Motor EA 189 eingesetzten Manipulationssoftware grundlegend. Das Thermofenster sei nicht auf eine Überlistung der Prüfungssituation ausgelegt. Die von der Beklagten vorgenommene Auslegung, wonach ein Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung darstelle, sei angesichts der vorliegenden Umstände vertretbar (Urteil Seite 8-10).

7

Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB komme mangels Täuschung der Beklagten nicht in Betracht. Ebenso scheide ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 Abs. 1 EG - FGV aus (Urteil Seite 10-11).

8

Soweit die Klägerin eine unzulässige Abschalteinrichtung in Form einer Kühlmittel- Solltemperaturregelung bzw. eines geregelten Kühlmittelthermostats behaupte, sei dieser Vortrag unschlüssig (Urteil Seite 11-12).

9

Der Vortrag der Klägerin zu einer etwaigen Manipulation des SCR -Systems sei unsubstantiiert (Urteil Seite 12-13). Soweit die Klägerin vortrage, die Beklagte habe auch über das On-Bord-Diagnosesystem getäuscht, sei dieser Vortrag nicht geeignet, einen Anspruch zu begründen (Urteil Seite 13-14).

10

Schließlich lasse sich auch nicht aus einer Überschreitung der NOx-Werte im Straßenbetrieb herleiten, dass die Beklagte unzulässige Abschalteinrichtungen benutze (Urteil Seite 14-17).

11

Soweit sich die Klägerin auf einen Verstoß gegen das Qualitätsmanagementsystem berufe, sei dies unerheblich (Urteil Seite 17).

12

Letztlich ergebe sich eine Haftung der Beklagten auch nicht aus weiteren in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen (Urteil Seite 17-19).

13

Die Klägerin trägt zur Begründung der Berufung unter anderem vor:

14

Der Klageantrag Ziffer 1b. sei – entgegen der Ansicht des Landgerichts – als unbezifferter Klageantrag gemäß § 253 ZPO zulässig. Grundsätzlich sei zwar gemäß § 253 BGB ein bezifferter Leistungsantrag zu stellen, die Rechtsprechung lasse hiervon jedoch eine Ausnahme zu, wenn die Bestimmung des Betrages von einer gerichtlichen Schätzung nach § 287 ZPO oder vom billigen Ermessen des Gerichts abhängig sei.

15

Genau dies sei hier der Fall. Bei der Nutzungsentschädigung nach Rückabwicklung eines Pkw-Kaufs habe das Gericht die Höhe der Nutzungsentschädigung typischerweise gemäß § 287 ZPO zu schätzen. In diesem Fall könne also ein unbezifferter Klageantrag gestellt werden. Die Klägerpartei habe im Rahmen der Replik die Berechnungsgrundlage für die Berechnung der Nutzungsentschädigung geliefert. Damit seien die Voraussetzungen für den unbezifferten Klageantrag erfüllt.

16

Unzutreffend sei das Landgericht davon ausgegangen, die Klägerin habe zu den verbauten Abschalteinrichtungen nicht hinreichend substantiiert vorgetragen. In dem Fahrzeug sei unstreitig ein Thermofenster verbaut, ebenso habe die Daimler AG nicht in Abrede gestellt, dass eine Aufwärmstrategie verbaut sei (Berufungsbegründung Seite 14, Blatt 298).

17

Außerdem sei eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung eingebaut.

18

Die Klägerin beantragt, das beim Landgericht Stuttgart im Verfahren 27 O 230/18 eingeholte Gutachten gemäß § 411 a ZPO im hiesigen Verfahren zu verwenden (Seite 15, Blatt 299).

19

Das KBA habe bei einem dem streitgegenständlichen Fahrzeug vergleichbaren Fahrzeug festgestellt, dass im Emissionskontrollsystem (SCR-Katalysator) verschiedene Strategien verwendet würden, mit denen die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems in unzulässiger Weise reduziert werde, obwohl normale Betriebsbedingungen vorlägen. Dabei wähle das Fahrzeug für die Abgasnachbehandlung per SCR-Katalysator zwei unterschiedliche Regel-Strategien (Modi) hinsichtlich der Eindüsung von AdBlue, welches die Stickoxide (NOx) reduziere, sog. „Strategie A“ oder auch „BIT 13“-Aktivierung in der Motorsteuersoftware. Die Modi hätten eine signifikant unterschiedliche Effektivität.

20

Während unter Bedingungen, wie sie auch für die Typprüfung vorgegeben seien, nach Motorstart ein vergleichsweise effektiver Modus („sauberer Modus“) geschaltet sei, werde nach dem Erreichen einer bestimmten Stickoxidmasse nach Ablauf des Prüfzyklus dauerhaft in einen weniger effektiven Modus („schmutziger Modus“) geschaltet.

21

Ein Zurückschalten in den effektiven Modus erfolge danach nicht mehr, sondern erst nach Motorneustart. Die Beklagte habe dem KBA nicht ansatzweise erklären können, warum damit nach einer Zeitdauer, die nicht nur zufällig so lange wie das NEFZ Prüfverfahren dauere, anschließend in den „schmutzigen Modus“ geschaltet werde. Zumindest habe die Beklagte den Sachverhalt aber aus technischer Sicht eingeräumt.

22

Im „schmutzigen Modus“ könne es bei der gesamten Betriebsdauer des Fahrzeuges bei schon zufällig hinzukommenden Passanten zu gesundheitlichen Beschwerden kommen, wie die Verantwortlichen der Beklagten gewusst hätten.

23

Erst nach dem Erlass des erstinstanzlichen Urteils sei durch Presseberichte des Nachrichtenmagazins Spiegel der Klägerin und der Prozessbevollmächtigten bekannt geworden, dass der IT-Experte D. 8 unzulässige Abschalteinrichtungen in einem Mercedes-Benz 350 mit Motor des Typs OM 642 entdeckt habe (Berufungsbegründung Seite 18, Blatt 302).

24

Die Analyse des Experten zeige, dass sich 6 der 8 gefundenen Abschalteinrichtungen auf die Reinigung der Abgase durch den Katalysator auswirkten. Die Eindüsung des Harnstoffs AdBlue werde dadurch drastisch reduziert, was laut Gutachten einen wesentlich höheren NOx-Ausstoß nach sich ziehe.

25

Die vorstehend beschriebenen Abschalteinrichtungen seien auch in dem streitgegenständlichen Fahrzeug verbaut. Es sei vorgetragen worden, dass in dem Fahrzeug eine Softwarefunktion verbaut sei, bei der die Motorsteuerung nach 1200 Sekunden in den „schmutzigen“ Abgasmodus wechsele. Dies sei genau der Zeitraum, nach dem der Testzyklus auf dem Rollenprüfstand ende. Eine weitere Abschalteinrichtung liege in dem installierten On-Board-Diagnosesystem (wird vertieft: Berufungsbegründung Seite 21-23, Blatt 305-307).

26

Durch die – wohl unstreitige aber jedenfalls vom KBA entdeckte – vorliegende Manipulation der Motorsteuerungssoftware im streitgegenständlichen Fahrzeug habe das streitgegenständliche Fahrzeug erheblich an Wert verloren. Die potentiellen Käufer würden annehmen – wie vergleichbar einer Leistungssteigerung des Motors durch sog. „Chiptuning“ –, dass die Bauteile des Fahrzeuges nicht die vorgesehene Lebensdauer erreichten, da die Bauteile durch das verpflichtende Software-Update einer bei Konzeption des Fahrzeugs/Motors nicht vorgesehene Dauerbelastung ausgesetzt würden.

27

Letztendlich komme es darauf aber gar nicht an, denn der Bundesgerichtshof habe mit Urteil vom 30. Juli 2020 (VI ZR 367/19) deutlich gemacht, dass es auf den Softwarestand zum Zeitpunkt des Kaufes ankomme.

28

Bekanntlich habe sich in der Rechtsprechung für die bis zu 2,0l-Motoren des Volkswagen-Konzerns eine Gesamtfahrleistung von 250.000 km bis 300.000 km etabliert. Für den streitgegenständlichen Premium-Motor sei entsprechend mit zumindest 400.000 km zu rechnen. Der Schaden berechne sich derzeit wie folgt:

29

Kaufpreis

29.640,00 €

Gesamtlaufleistung

300.000

Km bei Kauf

18.626

Km aktuell

44.792

Restfahrleistung

281.374

Nutzungsentschädigung

2.756,33 €

Verkaufspreis

Schadensersatzanspruch 

26.883,67 €

30

Die Verantwortlichen der Beklagten hätten, um den Profit der Beklagten auf Kosten der Gesundheit unschuldiger Menschen zu steigern, ihre Ingenieure angehalten, zur Steigerung des Profites gegen Gesetze zu verstoßen. Das Landgericht habe verkannt, dass die Klägerseite substantiiert zur Täuschung des KBA vorgetragen habe. So sei dargelegt worden, dass von der Beklagten die Typgenehmigung erschlichen worden sei, da sie unter anderem falsche Angaben zum Stickoxidausstoß, zum Geräuschpegel und zu vorhandenen Abschalteinrichtungen gegenüber der Prüfbehörde gemacht habe. Auf Anordnung des Kraftfahrtbundesamtes sei die Motorsteuerungssoftware geändert und die Fahrzeughalter seien verpflichtet worden, ein entsprechendes Software-Update aufzuspielen. Es werde bestritten, dass das KBA das Update freigegeben und bestätigt habe, dass das Update keinen Einfluss auf den Kraftstoffverbrauch und Co2-Emissionswerte, Motorleistung und maximales Drehmoment, Geräuschemissionen sowie Dauerhaltbarkeit der emissionsmindernden Einrichtungen habe.

31

Die Klägerin beantragt,

32

das Urteil des Landgerichts Kiel vom 03.09.2021, Az. 17 O 271/20 wie folgt abzuändern:

33

1a. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, an die Klagepartei 26.883,67 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.07.2020 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW Mercedes-Benz E 220 T Bluetec, FIN ....

34

1b. Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu bezahlen für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei das Fahrzeug Mercedes-Benz E 220 T Bluetec, FIN ... dahingehend beeinflusst hat, dass dieses hinsichtlich der Abgasstoffmenge im Prüfstandbetrieb einen geringeren Ausstoß aufweist als im regulären Betrieb im Straßenverkehr.

35

1c. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagtenpartei mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. genannten PKW im Annahmeverzug befindet.

36

2. Die Beklagtenpartei wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.025,36 freizustellen.

37

Die Beklagte beantragt,

38

die Berufung zurückzuweisen.

39

Die Beklagte erwidert:

40

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes scheide Sittenwidrigkeit grundsätzlich aus, wenn die verwendete Software nicht danach unterscheide, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand oder im normalen Fahrbetrieb befinde; dies sei vorliegend der Fall (Blatt 339).

41

Maßgeblich komme es für die Sittenwidrigkeit darauf an, dass in dem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung aktiv sei und die für die Beklagte handelnden Personen in dem Bewusstsein gehandelt hätten, eine eben solche zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf genommen hätten. Für das Vorliegen eines Unrechtsbewusstseins stelle der Bundesgerichtshof hohe Hürden auf und verlange beispielsweise bei den Angaben im Typgenehmigungsverfahren, dass das Kraftfahrtbundesamt nicht nur wissentlich nicht oder falsch informiert wurde, sondern dies auch zusätzlich auf ein heimliches und manipulatives Vorgehen oder eine Überlistung des Kraftfahrtbundesamtes hindeute.

42

Das streitgegenständliche Fahrzeug sei nicht von einem Rückruf betroffen (Blatt 343). Im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin zu ihren angeblichen Kaufmotiven erkläre sich die Beklagte mit Nichtwissen (Blatt 344). Der neue Vortrag der Klägerin über angebliche 8 zusätzliche unzulässige Abschalteinrichtungen sei nicht zuzulassen und unzutreffend. Es liege eine bestandskräftige und uneingeschränkt wirksame Typgenehmigung vor. Der Vortrag der Klägerin im Zusammenhang mit der temperaturabhängigen Steuerung der Abgasrückführung (AGR) gehe ins Leere. Dem Kraftfahrtbundesamt sei deren Einsatz bekannt gewesen.

43

Dem KBA seien sämtliche von Herrn D. diskutierten Funktionen bekannt.

44

Jedenfalls Ansprüche aus sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB) würden die Ausführungen von Herrn D. – insbesondere im Lichte der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des BGH – nach Auffassung der Beklagten nicht stützen können.

45

Darüber hinaus seien die Feststellungen des Gutachtens auf das streitgegenständliche Fahrzeug schon deshalb nicht übertragbar, weil dieses (nur) einen Mercedes-Benz E 350 BlueTec 4MATIC betreffe.

46

Der Vortrag der Klägerin zum geregelten Kühlmittelthermostat liege ebenfalls neben der Sache. Nach dem Urteil des europäischen Gerichtshofes vom 17.12.2020 liege bereits begrifflich keine Abschalteinrichtung vor. Inzwischen habe der Bundesgerichtshof bei einem wegen des geregelten Kühlmittelthermostats zurückgerufenen Fahrzeug Sittenwidrigkeit verneint, da diese Funktionalität auf dem Prüfstand und im normalen Fahrbetrieb im Grundsatz in gleicher Weise arbeite und deshalb keine Prüfstandbezogenheit vorliege (Hinweisbeschluss des BGH vom 29.9.2021, VII ZR 126/21).

47

Die von der Klägerin angeführten freiwilligen Servicemaßnahme, die die Beklagte seit 2017 anbiete, stehe in keinem Zusammenhang mit angeblich unzulässigen Abschalteinrichtungen.

48

Ein Anspruch aus § 826 BGB scheitere auch deshalb, weil objektiv keine unzulässige Abschalteinrichtung vorliege und die Beklagte auch keine unzutreffenden Angaben gegenüber dem Kraftfahrtbundesamt gemacht habe.

49

Der Senat hat die Klägerin als Partei vernommen; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.06.2022 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

50

Die Berufung ist unbegründet; das Landgericht hat die Klage zutreffend abgewiesen.

51

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Klägerin bei Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug, welches am 25.10.2016 erstmalig zugelassen worden war, durch eine falsche, von der Beklagten hervorgerufene Vorstellung über Eigenschaften und die Beschaffenheit der Kaufsache getäuscht wurde und sie dies zum Abschluss eines nachteiligen Vertrages veranlasst hat.

52

Seit dem Jahr 2018 wurde in den Medien darüber berichtet, dass auch in Fahrzeugen der Beklagten manipulierte Abgassysteme verbaut worden sein sollen und das Kraftfahrtbundesamt den Rückruf einer erheblichen Anzahl von Fahrzeugen durch das Kraftfahrtbundesamt angeordnet habe.

53

Die Klägerin hat im Rahmen der Anhörung vor dem Landgericht am 06.08.2021 erklärt, sie habe vor dem in Rede stehenden Kauf ein Fahrzeug einer anderen Marke gefahren, dass vom Dieselskandal betroffen gewesen sei (Protokoll Seite 1, Blatt 237). Sie habe überlegt, welches neue Fahrzeug dafür anzuschaffen sei, die Marken VW und BMW und auch Mercedes seien ja betroffen vom Dieselskandal (Protokoll Seite 2, Blatt 238). In ihrer Vernehmung durch den Senat hat die Klägerin diese Angaben bestätigt und dahin ergänzt, dass sie wegen ihres ehemaligen Fahrzeugs Post vom Kraftfahrtbundesamt wegen eines Rückrufes bekommen habe (Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.06.2022, Seite 2). Sie habe daraufhin ein besonders umweltfreundliches Fahrzeug gesucht. Auf die Frage, welche Kenntnisse sie von der Betroffenheit der Beklagten hinsichtlich des sog. Dieselabgasskandals gehabt habe, erklärte sie, sie habe das gewusst, was damals allgemein in der Presse zu lesen gewesen sei. Es habe abgastechnische Veränderungen gegeben, um die Werte zu reduzieren. Zum Zeitpunkt des Kaufvertragsabschlusses seien ihr konkrete Rückrufe, die Firma der Beklagten betreffend, nicht bekannt gewesen (Protokoll Seite 2 und 3). Sie habe nicht gewusst, welche Modelle des Herstellers Mercedes-Benz damals vom Dieselabgasskandal betroffen gewesen seien (Protokoll Seite 4).

54

Wenngleich die Klägerin nach ihrer glaubhaften Einlassung keinerlei Kenntnisse von der konkreten Betroffenheit ihres Fahrzeugs bezüglich des Dieselskandals hatte, musste sie jedoch gerade im Hinblick auf die allgemeine Kenntnis von der Betroffenheit verschiedener Fahrzeuge der hiesigen Beklagten davon ausgehen, dass Zweifel an der Einhaltung der gesetzlichen Abgaswerte für das in Rede stehende Fahrzeug angebracht waren. Dies gilt umso mehr, als sie damals auf der Suche nach einem besonders umweltfreundlichen Auto war (Protokoll Seite 2).

55

Die Klägerin hat zwar erst nach einer umfassenden Recherche und dreier Besuche des Händlers den Kaufvertrag vom 29.3.2019 abgeschlossen, allerdings wäre es im Hinblick auf ihre dargestellten Kenntnisse nach Ansicht des Senates erforderlich gewesen zu prüfen, ob das in Rede stehende und letztlich erworbene Fahrzeug vom Dieselabgasskandal betroffen war. Eine solche Prüfung hat die Klägerin indes nicht gestellt.

56

Sie gab an gewusst zu haben, dass eben viele Fahrzeughersteller vom Dieselskandal betroffen waren und sie die „Qual der Wahl“ gehabt habe, für welches „Elend“ sie sich entscheide und letztlich auf den Premiumhersteller zurückgegriffen. Auf die Frage, weshalb nicht andere Hersteller, z. B. aus dem Ausland in Betracht gekommen wären, bekundete sie, diese Hersteller hätten eben nicht die Qualität wie die hiesige Beklagte (Protokoll Seite 3).

57

Im Hinblick auf die dargelegten Kenntnisse der Klägerin und die Begründung ihrer Kaufentscheidung kann der Senat danach nicht mit der erforderlichen Sicherheit feststellen, dass eine mögliche Täuschung der Beklagten über Eigenschaften des streitgegenständlichen Fahrzeugs ursächlich für den Abschluss des Kaufvertrages war. Ansprüche aus § 826 BGB bestehen infolgedessen nicht.

58

Bezüglich möglicher, in Betracht kommende Ansprüche aus §§ 280, 241, 414, 443, 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit der Richtlinie Nummer 2007/46/GG i.V.m. §§ 4, 6, 25, 27 EG-FGV sowie aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2, 311 Abs. 2, 3 BGB schließt sich der Senat den zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Urteil (Seite 17 -18) an.

59

Eine Haftung aus §§ 311, 280 BGB kommt ebenfalls nicht in Betracht. Zutreffend hat das Landgericht festgestellt, dass die Beklagte an den Vertragsverhandlungen nicht beteiligt war (Urteil Seite 18).

60

Schließlich vermag auch die von der Klägerin wiedergegebene Erklärung des Fahrzeughändlers, das streitgegenständliche Fahrzeug sei im Hinblick auf das Alter vom Dieselskandal nicht betroffen (Protokoll der Anhörung vom 06.08.2021, Seite 2) keine Haftung gegenüber der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu begründen. Eine etwaig in Betracht kommende Täuschungshandlung ist der Beklagten nicht zuzurechnen.

61

Dem Aussetzungsantrag der Klägerin war nicht zu stattzugeben. Selbst wenn der EuGH zur drittschützenden Wirkung der Kraftfahrzeugrahmenrichtlinien kommen sollte und damit ein Schadensersatzanspruch der Klägerin unter den Voraussetzungen des § 823 Abs. 2 BGB in Betracht käme, so wäre dies für den hier zu entscheidenden Fall unbeachtlich. Insofern fehlt es an der erforderlichen Kausalität bezüglich einer Verwirklichung des Tatbestands des § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. einer Schutzgesetzverletzung für den in Rede stehenden Schaden.

62

Dass die Klägerin hier gerade im Vertrauen auf die Einhaltung der entsprechenden Schutzgesetze den streitgegenständlichen Pkw erworben hat, ist im Hinblick auf das bereits Ausgeführte nicht festzustellen. Insofern fehlt es bereits an einem kausal eingetretenen ersatzfähigen Schaden.

63

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

64

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

65

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 709, 711 ZPO.


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