Beschluss vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Ws 63/22

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde wird als unbegründet verworfen.

2. Der Verurteilte trägt die Kosten seines Rechtsmittels.

Gründe

I.

1.

1

Der Verurteilte ist durch die 2. große Strafkammer des Landgerichts Kiel - Jugendkammer - mit Urteil vom 22. November 2019 - 2 Kls … jug. - wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittel in nicht geringer Menge in sieben Fällen im Zeitraum von April bis Oktober 2018 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und einem Monat verurteilt worden. Daneben hat die Kammer die Einziehung von Wertersatz in Höhe von 53.130,00 € gegen den Verurteilten angeordnet und hierbei den annehmbaren Verkaufserlös – ausgehend von den Angaben des Verurteilten - des tatgegenständlichen Marihuanas zugrunde gelegt.

2

Der Verurteilte verbüßte in der Zeit vom 21. Februar bis zum 8. November 2019 Untersuchungs- und nach Rechtskraft des Urteils in der Zeit vom 4. Januar bis 31. August 2021 Strafhaft. Anschließend hielt er sich vom Tag seiner Entlassung bis zum 25. Oktober 2021 aufgrund einer Zurückstellung nach § 35 BtMG in der Therapieeinrichtung A. B. auf, die er allerdings vorzeitig verließ, weil er mit den dortigen Personen und Bedingungen nicht zurechtkam. Von einem zunächst erfolgten Widerruf der Zurückstellung und erneuten Strafvollstreckung sah die Staatsanwaltschaft Kiel ab, nachdem der Verurteilte Aufnahme in eine ambulante Rehabilitationsmaßnahme fand.

3

Nach den Feststellungen der Kammer wollte der Verurteilte von den Gewinnen aus den Drogengeschäften seinen Eigenkonsum finanzieren und hat hiervon auch seinen Lebensunterhalt bestritten.Im Zeitpunkt der Verurteilung verfügte der Angeklagte lediglich über einen Hauptschulabschluss. Er übte verschiedene Gelegenheitsjobs aus und bezog zeitweise auch Arbeitslosengeld

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Seit Mai 2021 zahlt der Verurteilte aufgrund einer Ratenzahlungsbewilligung seitens der Staatsanwaltschaft Kiel auf den Einziehungsbetrag monatliche Raten in Höhe von 20,00 €.

2.

5

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 25. November 2021 hat der Verurteilte beantragt, das Unterbleiben der Vollstreckung der Einziehungsentscheidung gemäß § 459g Abs. 2 und 5 S. 1 StPO anzuordnen, da die Vollstreckung unverhältnismäßig sei.

6

Zu berücksichtigen sei zunächst das Auseinanderfallen zwischen tatsächlichen Taterträgen in Höhe von maximal 15.180,00 € - entsprechend einem Gewinn von 2.000 €/kg - und dem Einziehungsbetrag. Darüber hinaus befände sich das durch die Tat Erlangte nicht mehr in seinem Vermögen. Er habe das Geld „auf Grund (jugendlichen) Leichtsinns vorrangig zur Vergnügung bzw. für Genussmittel“ ausgegeben. Er sei derzeit arbeitslos und habe ab dem 1. September 2021 ALG II beantragt. Nach Abschluss seiner Drogentherapie beabsichtige er, eine Ausbildung zum Maurer zu beginnen. Aus einer früheren Geldstrafe müsse er noch 4.500,00 € abtragen. Am 18. September 2020 sei er darüber hinaus Vater geworden und wolle für seinen Sohn gemeinsam mit seiner Partnerin auch finanziell sorgen.Die Vollstreckung erschwere daher seine Resozialisierung. Selbst nach Abschluss der Berufsausbildung sei ein zu erzielendes Arbeitseinkommen im untersten Einkommensbereich zu erwarten.

7

Die Staatsanwaltschaft ist dem Antrag entgegengetreten. Die Neuregelung des § 459g Abs. 5 StPO berücksichtige den Wegfall der Bereicherung beim Tatbeteiligten im Rahmen der Vollstreckung. Eine Unverhältnismäßigkeit im Sinne dieser Vorschrift sei nicht ersichtlich. Zu den Vermögensverhältnissen des Verurteilten lägen keine gesicherten Erkenntnisse vor. Ein Eintrag im Vollstreckungsportal sei nicht vorhanden. Laut Mitteilung der Drogenhilfe vom 7. Dezember 2021 solle der Verurteilte zusätzlich als Verkäufer in Teilzeit arbeiten. Die genauen Vermögensverhältnisse des Verurteilten und seiner Lebensgefährtin seien unklar und müssten von ihm dargelegt werden. Dem Resozialisierungsgedanken und der Gefahr erdrosselnder Wirkung der Vollstreckung könne über §§ 459a und 459c StPO hinreichend Rechnung getragen werden.

3.

8

Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Kammer den Antrag unter Anwendung von § 459g StPO in der seit dem 1. Juli 2021 geltenden Fassung abgelehnt, wonach die Entreicherung allein nicht mehr zur Annahme einer Unverhältnismäßigkeit führe. Nach dem Willen des Gesetzgebers könne der Schutz von Einziehungsadressaten hinreichend durch Pfändungsschutzvorschriften bewirkt werden. Eine denkbare Fallgruppe der Unverhältnismäßigkeit, bei der der Einsatz neu aufgebauten Vermögens oberhalb der Freigrenzen nicht erwartet werden könne, liege auch bei einer Würdigung der Gesamtumstände nicht vor. Insbesondere sei derzeit nicht ersichtlich, dass die weitere Vollstreckung der Einziehungsforderung konkret einer Wiedereingliederung entgegenstünde. Eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung könne aufgrund der gewährten Ratenzahlung nicht angenommen werden. Der Verurteilte stehe nach Erreichen des Realschulabschlusses während der Haft am Anfang einer Berufstätigkeit, weshalb zu erwarten sei, dass er zukünftig ein Einkommen erzielen könnte, welches ihm die Begleichung der Forderung im Wege der Ratenzahlung weiter ermögliche.

9

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten mit welcher er sein bisheriges Vorbringen zu seinen Vermögensverhältnissen wiederholt und vertieft und zudem hilfsweise beantragt, anzuordnen, dass die weitere Vollstreckung über einen Betrag von 4.554,00 € hinaus zu unterbleiben hat. Er ist der Auffassung, die durch die Kammer vorgenommene Auslegung des § 459g StPO n.F. verletze grundrechtswidrig das allgemeine Persönlichkeitsrecht, das Recht auf Eigentum, die allgemeine Handlungsfreiheit sowie den Schutzgedanken des Sozialstaatsprinzips. Dem könne nur dadurch begegnet werden, dass im Fall der Entreicherung, welche bei ihm vorliege, die Vollstreckung unverhältnismäßig sei, denn nur dann sei gewährleistet, dass die Vermögensabschöpfung keinen Strafcharakter bekomme. Sei der Täter entreichert, habe sich sein „Verbrechen nicht gelohnt“, mithin sei der Zweck der Vermögensabschöpfung schon erreicht, der nicht darin bestehe, dass der Täter die Tatbeute zahlen müsse. Sinn und Zweck sei nur die Rückgängigmachung der Vermögensverschiebung.

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Die Generalstaatsanwaltschaft Schleswig ist dem Rechtsmittel entgegen getreten und hat sich im Wesentlichen der Argumentation der angefochtenen Entscheidung angeschlossen. Sie vertritt ergänzend die Auffassung, der Verurteilte sei nicht entreichert.

11

Das hiergegen gerichtete Vorbringen der Verteidigung hat der Senat zur Kenntnis genommen; insoweit wird auf den Schriftsatz vom 2. Juni 2022 verwiesen.

II.

12

Die gemäß §§ 462 Abs. 1 Satz 1, 3 Satz 1, 459 g Abs. 5, 311 StPO statthafte, form- und fristgerechte eingelegte Beschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

13

Die Entscheidung richtet sich nach § 459 g Abs. 5 StPO in der seit dem 1. Juli 2021 geltenden Fassung (1.) Hiernach war eine Unverhältnismäßigkeit der weiteren Vollstreckung gegen den verurteilten auf der Grundlage des derzeitigen Sachstands nicht zu erkennen (2.).

1.

14

Für die Entscheidung ist die ab 1. Juli 2021 geltende Neufassung des § 459 g Abs. 5 Satz 1 StPO anzuwenden, derzufolge das Unterbleiben der Vollstreckung angeordnet wird, „soweit sie unverhältnismäßig wäre“. Nicht anwendbar ist damit die bis zum 30. Juni 2021 geltende Fassung, derzufolge die Vollstreckung zu unterbleiben hatte, „soweit der Wert des Erlangten nicht mehr im Vermögen des Betroffenen vorhanden ist oder die Vollstreckung sonst unverhältnismäßig wäre“.

a)

15

Die Frage der Anwendung alten oder neuen Rechts auf Fälle, in denen das Erlangte vor dem 30. Juni 2021 erworben worden ist, wird derzeit kontrovers diskutiert. Da die Reformgesetzgebung eine ausdrückliche Übergangsregelung nicht enthält, wird zum einen gefragt, ob die Vorschrift des § 459 g StPO reines Verfahrensrecht betrifft oder auch eine materiellrechtliche Komponente enthält, und zum anderen, ob deshalb gemäß § 2 Abs. 3 StGB das alte Recht als möglicherweise „mildere“ Regelung anzuwenden ist.

16

Für eine – auch – materiellrechtliche Komponente soll insbesondere nach Bittmann (NStZ 2022, 8, 17) sprechen, dass nach der 2017 erfolgten Neuregelung der Vermögensabschöpfung der Umfang der tatsächlichen Abschöpfung sich erst aus der Zusammenschau zwischen der Definition des grundsätzlich abschöpfungsfähigen Zuflusses im Erkenntnisverfahren (§ 73 d Abs. 1 StGB) unter besonderer Berücksichtigung des Bruttoprinzips einerseits und der Überprüfung des Umfangs der tatsächlichen Vollstreckbarkeit im Vollstreckungsverfahren andererseits (§ 459 g StPO) ergäbe. Insoweit sei aber die alte Fassung des § 459 g StPO deshalb das für den Betroffenen „mildere Gesetz“, weil dort für den Fall der Entreicherung das Unterbleiben der weiteren Vollstreckung zwingend angeordnet worden sei, während nach neuem Recht dies allein das Ergebnis einer Verhältnismäßigkeitsprüfung sein könne. Dieser Auffassung hat sich namentlich der 1. Strafsenat des OLG Karlsruhe angeschlossen (Beschluss vom 25. Mai 2022 - 1 Ws 122/22 -, BeckRS 2022, 11716), Rn. 10 ff). Demgegenüber hat der 2. Strafsenat des OLG Karlsruhe in einem ähnlich gelagerten Fall mit Beschluss vom 23. Dezember 2021 – 2 Ws 333/21 – allein neues Recht für anwendbar gehalten, wenn auch ohne sich mit der Gegenposition auseinander zu setzen.

b)

17

Der erkennende Senat teilt die Auffassung von Bittmann und ihm folgend des 1. Strafsenats des OLG Karlsruhe aus den nachfolgenden Erwägungen nicht:

18

So erscheint bereits nicht gesichert, dass die Ergebnisse alten und neuen Rechts im Falle einer Entreicherung generell und auch konkret differieren. Der Senat hat nämlich bereits mit Beschluss vom 30. Januar 2020 klargestellt, dass auch der Fall der Entreicherung in § 459 g Abs. 5 Satz 1 StPO a.F. lediglich einen vertypten Regelfall des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit darstellt und das Merkmal der Entreicherung selbst normativ zu verstehen ist, also gerade im Falle einer – im Strafrecht angezeigten – Nichtanwendung der verschärften Bereicherungshaftung (§§ 819, 818 Abs. 4 BGB) der Begriff der Entreicherung gleichwohl schutzzweckorientiert auszulegen ist (Senat, Beschluss vom 30. Januar 2020 – 2 Ws 69/19 -, bei juris Rn. 9). Soweit der aktuelle Reformgesetzgeber in der Rechtsprechung ein den Straftäter zu sehr privilegierendes Normverständnis vermutet (vgl. BT-Drs. 19/27654, 111 f), durch welches das Ziel einer umfassenden Vermögensabschöpfung verfehlt würde, beschreibt dies die gesetzgeberische Motivation, darf aber nicht verallgemeinert werden.

19

Dessen ungeachtet stehen sich Verfahrensrecht und materielles Recht nicht in einem Ausschließlichkeitsverhältnis gegenüber, sondern in einem Komplementaritätsverhältnis. Im Verfahrensrecht muss sich das materielle Recht bewähren. Rechtsstaatliche Grundanforderungen – wie die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – müssen zu jeder Zeit und auf jeder Ebene gewahrt werden, gerade auch im Verfahrensrecht. Allein die Wahrnehmung dieser Aufgabe wandelt das Verfahrensrecht nicht in materielles Recht.

20

Eine derartige Betrachtung ist auch nicht etwa zur Wahrung effektiven Rechtsschutzes des Verurteilten bzw. Einziehungsbetroffenen erforderlich. Denn dass der Reformgesetzgeber keine Übergangsvorschrift zur Anwendung von § 459 g Abs. 5 StPO a.F. vorgesehen hat, verdeutlicht nur, dass er dies nicht für notwendig gehalten hat. Diese Sicht ist auch für den Senat ausgesprochen plausibel, weil selbst die Neufassung des § 459 g Abs. 5 Satz 1 StPO ebenso nachvollziehbare und verfassungskonforme Ergebnisse ermöglicht wie das alte Recht in seiner vom Senat für zutreffend erachteten Auslegung. Spricht von daher nichts für einen – erkennbar dem gesetzgeberischen Willen widersprechenden - Rückgriff auf das alte Recht, hat vielmehr die Kammer auch in dem angefochtenen Beschluss völlig zu Recht das neue Recht angewendet.

2.

21

Auf der Grundlage des neuen Rechts hat die Kammer im Ergebnis zutreffend zum derzeitigen Zeitpunkt die Anordnung des Unterbleibens der weiteren Vollstreckung abgelehnt.

a)

22

Der Neufassung des § 459 g StPO liegt die Erwartung des Gesetzgebers zugrunde, die Rechtsprechung werde „Fallgruppen entwickeln, nach denen die (weitere) Vollstreckung der Einziehungsentscheidung unverhältnismäßig wäre“ (BT-Drs. a.a.O.). Wird somit nach den für die Beurteilung insoweit maßgeblichen Kriterien gefragt, ist zunächst zu bedenken, dass – obwohl § 459 g Abs. 5 StPO anders als § 73 c StGB a.F. kein Entscheidungsermessen eröffnet – bereits die gebotene tatbestandliche Verhältnismäßigkeitsprüfung eine umfassende Abwägung aller betroffenen Belange und deren Gewichtung betreffend der erzielten Vollstreckungswirkung erfordert.

23

Auch danach sind Situationen eines vollständigen Abflusses des einstmals Erlangten - also der „Entreicherung“ – denkbar. Allerdings ist das Absehen von der weiteren Vollstreckung insoweit keineswegs rechtsautomatische Folge, wie es zu § 459 g Abs. 5 StPO a.F. durchaus immer wieder angenommen worden ist (etwa noch OLG Nürnberg, Beschluss vom 13. Februar 2020 – Ws 2/20 -). Hätte hingegen richtigerweise bereits nach altem Recht auch gefragt werden müssen, „aufgrund welcher Dispositionen für ihn selbst der Betroffene den Wert des Erlangten verloren hat und ob die weitere Vollstreckung mit dem nicht repressiven Charakter der Einziehung noch im Einklang steht“ (Senat, Beschluss vom 30. Januar 2020 – 2 Ws 69/19, bei juris Rn. 9), so ist eine derartige Überprüfung nach heutigem Recht in jedem Falle obligatorisch.

24

Auch in diesem Zusammenhang spielt es durchaus eine Rolle, ob - hierauf weist die Verteidigung zu Recht hin - die weitere Vollstreckung für den Betroffenen eine „erdrosselnde Wirkung“ hat, mithin seine weitere soziale Entwicklung und Resozialisierung entscheidend erschwert, was es selbstverständlich zu vermeiden gilt, soll nicht die Vermögensabschöpfung zu einer – unzulässigen - zweiten Strafe werden (vgl. BT-Drs. 18/9525 S. 57/94). Daher ist es gesondert zu rechtfertigen, wenn nach zweifelsfrei feststehendem Abfluss des Erlangten eine weitere Vollstreckung letztlich den Verurteilten zu kontinuierlichem Neuerwerb von – sogleich wieder abzuschöpfendem - Vermögen veranlassen müsste, obwohl dieses Neuvermögen mit dem aus der Straftat Erlangten nichts zu tun hat (hierauf weisen zu Recht Bittmann NStZ 2022, 8, 15 und Ewert/Rettke, wistra 220, 312, 314 hin). Auf der anderen Seite bezweckt die Vermögensabschöpfung Rechtsgüterschutz und auch, dass sich „Verbrechen nicht lohnen“ darf. Dies schließt es aus, die Abschöpfung nach – zumeist tatsächlichem Abfluss des Erlangten in Höhe der vom Verurteilten aufgewendeten Investitionskosten – auf die Herausgabe allein des erzielten Gewinns zu beschränken. Dies wäre in der Tat eine unzulässige „Aushebelung“ des für das Erkenntnisverfahren gemäß § 73 d Abs. 1 StGB angeordneten Bruttoprinzips, welches einen derartigen Abzug grundsätzlich ausschließt (ebenso KG, Beschluss vom 7. September 2020 - 5 Ws 105/19 -, BeckRS 2020, 39454 Rn. 30).

25

Hingegen macht es einen Unterschied, ob das Erlangte im Sinne eines „Verprassens“ verwendet worden ist, ob es in den normalen Konsum geflossen und hierdurch vielleicht sogar konkrete Aufwendungen erspart worden sind, oder ob das Erlangte zu ethisch gebotenen Zwecken verwendet worden ist. Ebenso kann danach differenziert werden, ob durch die Einstellung der weiteren Vollstreckung Belange eines konkreten Geschädigten verletzt würden, oder ob es das bloße Gemeininteresse an der Vermeidung gemeinschädlicher Straftaten auch dadurch zu wahren gilt, dass ihre Begehung durch Abschöpfung finanziell unattraktiv wird. In einem solchen Fall wirken die Interessen des Betroffenen jedenfalls insoweit schwer, als der Zugriff auf sein gebildetes Neuvermögen nicht auf unabsehbare Zeit zu rechtfertigen sein wird (ähnlich Bittmann a.a.O, 16). Hierbei ist allerdings auch zu betrachten, in welchem Umfang und mit welcher Intensität tatsächlich Vollstreckungsmaßnahmen drohen; insoweit ist die Möglichkeit von Zahlungserleichterungen (§ 459a StPO) einzubeziehen.

26

In jedem Fall muss allerdings der Verurteilte selbst für Klarheit hinsichtlich der Darlegung seiner Verhältnisse sorgen. Da die weitere Vollstreckung den gesetzlichen Regelfall darstellt und das weitere Unterbleiben die Ausnahme, ist es Sache des Verurteilten, Umstände darzulegen, die ein Unterbleiben der weiteren Vollstreckung rechtfertigen sollen; eine Amtsermittlungspflicht besteht insoweit nicht (KG a.a.o.,Rn. 18; Rettke, NZWist 2019, 338, 339). In jedem Fall muss das Vollstreckungsgericht – wenn auch auf dieser Grundlage – zur Begründung seiner Entscheidung gemäß § 459 g Abs. 5 StPO eigene Feststellungen treffen; eine nicht weiter geprüfte Übernahme von Informationen aus dem Erkenntnisverfahren reicht insoweit nicht. Das Tatgericht vermag nämlich schon von seinem Erkenntnishorizont her keine vollstreckungsrelevanten Umstände festzustellen; dies soll es auch nach der 2017 erfolgten Neukonzeption der Vermögensabschöpfung überhaupt nicht mehr.

b)

27

Angewendet auf den konkreten Sachverhalt ergibt sich, dass jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt Anhaltspunkte für eine Unverhältnismäßigkeit der weiteren Vollstreckung weder hinreichend dargelegt noch ersichtlich sind.

28

Dies liegt bereits daran, dass der Verurteilte nach durchaus wechselhaftem Verlauf von Strafhaft und über § 35 BtMG eingeleiteter Therapie einschließlich insoweit aufgetretener Schwierigkeiten offenbar noch immer keinen leidlich stabilen weiteren Lebensweg eingeschlagen hat und auch noch nicht erkennbar ist, dass sich dies alsbald ändern wird. Verschiedene Gelegenheitstätigkeiten als Verkäufer oder Boxtrainer allein können hierüber nicht hinwegtäuschen.

29

Strafhaft und Therapie gestatten selbstverständlich keinen regulären Einkommenserwerb. Allerdings kann hieraus auch nicht der Schluss auf dauerhaft verbleibende Vermögenslosigkeit gezogen werden. Auch sind bisher wirkliche Schritte des Verurteilten in ein stabiles soziales Leben mit auch nur bescheidenen Einkommensverhältnissen nicht festzustellen. Anders als der Verurteilte meinen mag, legt dies indes keinesfalls den Schluss auf eine definitive Unverhältnismäßigkeit der Vollstreckung nahe, sondern nur auf die Notwendigkeit einer deutlichen Reduzierung von Vollstreckungsmaßnahmen. Dem ist die Staatsanwaltschaft durch den Abschluss der Ratenzahlungsvereinbarung als Maßnahme im Sinne des § 459a StPO aber bereits nachgekommen. Sollte die wirtschaftlich-soziale Perspektive des Verurteilten stabiler und damit überschaubarer geworden sein, mag und ggf. muss über die Frage der Verhältnismäßigkeit neu entschieden werden.

30

Hieran ändert auch nichts, dass der Verurteilte seinen Drogenhandel offenbar überwiegend auf „Kriss“, also auf Kredit, finanziert haben will. Sicherlich stellt sich in einer derartigen Konstellation die Frage, welche Vermögenswerte tatsächlich zur Disposition des Verurteilten gestanden haben. Allerdings bleibt insoweit schon der Verurteilte selbst bemerkenswert vage. Ohne genauere Informationen vermag aber auch der Senat nicht das notwendige klare Bild zu gewinnen, das die Annahme eines eindeutigen Abflusses des in den erlangten Drogen verkörperten Vermögenswertes rechtfertigen könnte. Und ohnehin wurde bereits oben ausgeführt, dass die Einziehung des Taterlangten sich keineswegs auf den erzielten Gewinn beschränkt; dies schließt das heute geltende Bruttoprinzip aus, damit sich „Verbrechen nicht lohnt“.

31

Selbst wenn dem Verurteilten tatsächlich nur die Gewinndifferenz zur Verfügung gestanden haben und diese zwischenzeitlich verbraucht worden sein sollte, führt dies folglich nicht ohne weiteres zur Unverhältnismäßigkeit der weiteren Vollstreckung. Vielmehr bedürfte es zum einen weiterer Darlegungen dazu, inwieweit - selbst wenn lediglich der allgemeine Konsum finanziert worden sein sollte - nicht doch Aufwendungen erspart wurden, so dass insoweit ein Gegenwert noch im Vermögen des Verurteilten vorhanden wäre. Zum anderen mag sich zwar die Frage stellen, in welchem sachlichen und zeitlichen Umfang in einem derartigen Fall bei Betäubungsmittelstraftaten, welche zumeist keinen unmittelbar Geschädigten kennen, auch die Einbeziehung künftigen - erst noch zu beschaffenden - Vermögens in den Vollstreckungszugriff noch verhältnismäßig ist. Insoweit kann etwa gefragt werden, ob eine Reduzierung des Vollstreckungszugriffs auf die Gewinndifferenz ausreichend, aber auch geboten sein könnte. Allerdings hat der Verurteilte auf der Grundlage der bisher von ihm seit Mai 2021 erbrachten monatlichen Leistungen von 20,00 € bisher nicht ansatzweise zur Tilgung der von ihm selbst angenommenen Gewinndifferenz von 3.036,00 € bis 6.072,00 € beigetragen.

32

Damit besteht zum derzeitigen Zeitpunkt - und soweit zunächst auch absehbar - keine Veranlassung, das weitere Unterbleiben der Vollstreckung anzuordnen.

33

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.


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