Beschluss vom Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken - Ss 15/2005 (25/05); Ss 15/05 (25/05)

Tenor

Das Urteil des Amtsgerichts Saarbrücken vom 20. Juli 2004 wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Saarbrücken zurückverwiesen.

Gründe

Das Amtsgericht hat die Angeklagte wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung im minderschweren Fall zum Nachteil des Nebenklägers zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 10,-- Euro verurteilt.

Gegen dieses Urteil hat die Angeklagte form- und fristgerecht Rechtsmittel eingelegt und dieses fristgerecht zur Revision bestimmt (§§ 345, 335 StPO). Die Revision führt bereits aufgrund der in zulässiger Form ausgeführten (§ 344 Abs. 2 S. 2 StPO) und bewiesenen (Bl. 38, 42, 49 bis 57 d.A.) Verfahrensrüge, mit der beanstandet wird, das Gericht habe der Angeklagten entgegen § 140 Abs. 2 StPO i.V.m. § 338 Nr. 5 StPO keinen Pflichtverteidiger bestellt, zu einem vorläufigen Erfolg.

Die Mitwirkung eines Verteidigers in der Hauptverhandlung war vorliegend in Anwendung der Generalklausel des § 140 Abs. 2 StPO notwendig.

Nach § 140 Abs. 2 HS 2 StPO ist die Mitwirkung eines Verteidigers u.a. dann notwendig, wenn ersichtlich ist, dass sich der Beschuldigte nicht selbst verteidigen kann, namentlich, weil dem Verletzten nach §§ 397a, 406g Abs. 3 und 4 StPO ein Rechtsanwalt beigeordnet worden ist. Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass im Strafverfahren kein Ungleichgewicht zwischen Beschuldigtem und Verletzten entstehen soll, wenn ein Opferanwalt auftritt (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zum Opferschutzgesetz, BT-Drucks. 10/6124, S. 12). Ein solches Ungleichgewicht wird im Falle einer entsprechenden Beiordnung auf Opferseite vermutet. Die Vermutung beruht darauf, dass der Beschuldigte sich einem am Verfahren beteiligten Verletzten gegenübersieht, der sich des fachkundigen Rats eines Rechtsanwalts bedienen kann, während er auf sich gestellt ist.

Vorliegend war der Nebenkläger und Hauptbelastungszeuge in der Hauptverhandlung anwaltlich vertreten, ohne dass ihm ein Rechtsanwalt durch das Gericht beigeordnet worden war, sodass der in § 140 Abs. 2 HS 2 StPO ausdrücklich geregelte Fall nicht gegeben ist.

Der dieser Regelung zugrunde liegende, letztlich auf die Grundsätze der Waffengleichheit und des fairen Verfahrens zurückzuführende Rechtsgedanke kann die Vertretung des Angeklagten durch einen Verteidiger nach der herrschenden Meinung in Literatur und Rechtsprechung jedoch auch dann erfordern, wenn der Opferanwalt - wie hier - auf Kosten des Verletzten tätig wird (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. A., § 140 Rn. 31; KK-Laufhütte, StPO, 5. A., § 140 Rn. 24; einschr. Löwe-Rosenberg-Lüderssen, StPO, 25. A., § 140 Rn. 101, 129; bejahend OLG Zweibrücken, NStZ-RR 2002, 112; StraFo 2005, 28; OLG Hamm NStZ-RR 1997, 78; OLG Köln StV 1989, 100 und 469; OLG Bremen StV 2004, 585; OLG Koblenz ZAP EN-Nr. 206/2004 zit. nach juris KORE506052004 ).

Keiner abschließenden Entscheidung bedarf dabei die Frage, ob hierfür auch - wie im Geltungsbereich der gesetzlichen Vermutung des § 140 Abs. 2 HS 2 StPO - die abstrakte Gefahr eines Ungleichgewichts genügt, wofür spricht, dass die Fähigkeit zur Eigenverteidigung beim Tätigwerden eines anwaltlichen Verletztenbeistands unabhängig von der Kostentragungspflicht beeinträchtigt sein dürfte und sich die konkrete Beeinträchtigung der Verteidigungsfähigkeit vor der Hauptverhandlung schwerlich abschätzen lässt.

Denn nach Auffassung des Senats begründen der Verfahrensgegenstand und die nicht unproblematische Sach- und Rechtslage vorliegend auch die konkrete Gefahr eines Ungleichgewichts zwischen dem anwaltlich vertretenen Nebenkläger und der sich selbst verteidigenden Angeklagten:

Der bisher unbescholtenen Angeklagten wurde auf der Grundlage einer von dem Nebenklägervertreter gefertigten schriftlichen Strafanzeige die (versuchte) Begehung einer qualifizierten Körperverletzung vorgeworfen, eines Straftatbestandes, der - unbeschadet der Milderungsmöglichkeit nach §§ 23 Abs. 2, 49 Abs. 1 StGB - mit mindestens 6 Monaten Freiheitsstrafe bedroht ist.

In der Hauptverhandlung wurde die Angeklagte nach Wiedereintritt in die Beweisaufnahme gemäß § 265 Abs. 1 StPO auf eine Änderung des rechtlichen Gesichtspunktes hingewiesen; ungeachtet dieses Hinweises erfolgte die Verurteilung jedoch in Anwendung der im Strafbefehl bezeichneten (härteren) Strafvorschriften. Gegenstand der Urteilsfindung war u.a. die Abgrenzung zwischen dolus eventualis und bewusster Fahrlässigkeit. Auch Beweiserhebung und Beweiswürdigung boten Schwierigkeiten: Weder die drei Tatzeugen noch die Angeklagte waren vor der Hauptverhandlung vernommen worden, weshalb der Tätigkeit des Nebenklägervertreters in der Hauptverhandlung besondere Bedeutung zukam. Einer der beiden Opferzeugen war trotz ordnungsgemäßer Ladung zur Hauptverhandlung nicht erschienen. Auf Vernehmung dieses Zeugen wurde allseits verzichtet, wobei fraglich ist, ob sich die sich selbst verteidigende Angeklagte der Tragweite eines solchen Verzichts bewusst war.

Schließlich sprechen auch Umstände in der Person der Angeklagten für ihre eingeschränkte Fähigkeit zur Selbstverteidigung: Gegen die Angeklagte wurde wegen ihres Verhaltens während der Vernehmung der Zeugin Z. - zu Unrecht (Bl. 92 d.A.) - ein Ordnungsgeld verhängt; zu ihren Lasten wurde ausweislich der schriftlichen Urteilsgründe ihre nur allzu offensichtliche Unbelehrbarkeit berücksichtigt.

Aus der Gesamtheit der vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass vorliegend die Mitwirkung eines Verteidigers in der Hauptverhandlung gemäß § 140 Abs. 2 StPO geboten war, sodass der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 5 StPO durchgreift. Das Urteil unterliegt daher gemäß §§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO der Aufhebung und Zurückverweisung. Eines Eingehens auf die weiteren Revisionsrügen bedarf es nicht. Sie hätten der Revision zu keinem weitergehenden Erfolg verhelfen können.

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