Urteil vom Hamburgisches Oberverwaltungsgericht (5. Senat) - 5 Bf 1/13

Tenor

Soweit die Beteiligten das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2012 ist insoweit wirkungslos. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des gesamten Verfahrens trägt die Klägerin.

Hinsichtlich der Kosten des gesamten Verfahrens ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der auf Grund des Urteils vollstreckbaren Kosten abwenden, falls nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe der zu vollstreckenden Kosten leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Kosten ihrer Abschiebung im Jahre 2010.

2

Die Klägerin ist peruanische Staatsangehörige. Sie wurde am 22. Juni 2010 von der Polizei anlässlich einer Wohnungsdurchsuchung in Hamburg angetroffen. Den Polizeibeamten gegenüber wies sich die Klägerin mit einem peruanischen Pass aus, der weder ein Visum noch einen Aufenthaltstitel enthielt. Sie wurde daraufhin wegen des Verdachts der illegalen Einreise/des illegalen Aufenthalts gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG vorläufig festgenommen, daneben wurde eine Strafanzeige erstattet. Am selben Tag wurde die Klägerin als Beschuldigte in einem Strafverfahren vernommen. Soweit ersichtlich übersandte die Polizei die Strafanzeige am 13. Juli 2010 an die zuständige Staatsanwaltschaft Hamburg (Az.: 2011 Js 609/10). Mit Verfügung vom 22. September 2010 wurde von der Erhebung der öffentlichen Klage gemäß § 154b Abs. 3 StPO abgesehen, nachdem die Klägerin am 22. Juli 2010 in ihr Heimatland abgeschoben worden war.

3

Die Beklagte wies die Klägerin mit Verfügung vom 1. Juli 2010 gemäß § 55 Abs. 1 und 2 Nr. 2 AufenthG aus und teilte mit, dass sie gemäß § 58 Abs. 3 AufenthG aus der Abschiebungshaft in ihr Heimatland (Peru) abgeschoben werde. Die Abschiebung sei ihr am 22. Juni 2010 angekündigt worden. Den von der Klägerin erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2010 zurück. Die daraufhin von der Klägerin erhobene Klage mit dem Ziel der Aufhebung der Ausweisungsverfügung wurde zurückgenommen und das gerichtliche Verfahren mit Beschluss vom 21. Juli 2011 eingestellt (Az: 9 K 2600/10).

4

Am Tag der Festnahme der Klägerin, am 22. Juni 2010, stellte die Beklagte beim Amtsgericht Hamburg einen Antrag auf Haft zur Vorbereitung der Abschiebung (Sicherungshaft). Die Klägerin gab im Rahmen ihrer Anhörung beim Amtsgericht Hamburg an, sie sei 1993 hier gewesen. Sie sei in Spanien gewesen, nachdem sie sich 2009 einen neuen Pass in Hamburg habe ausstellen lassen. Sie habe Freunde kennengelernt, im Februar sei sie hierhergekommen. Das Amtsgericht Hamburg ordnete daraufhin mit Beschluss vom 22. Juni 2010 (219g XIV 41759/10) gemäß §§ 62 Abs. 2, 106 AufenthG i.V.m. §§ 415-426 FamFG Sicherungshaft bis zu der Abschiebung der Klägerin, längstens jedoch bis zum 15. Juli 2010, an. Mit Beschluss vom 15. Juli 2010 verlängerte das Amtsgericht Hamburg die Sicherungshaft bis zum 23. Juli 2010, setzte dann aber mit Beschluss vom 16. Juli 2010 den Vollzug dieses Beschlusses gemäß § 424 FamFG unter Festsetzung von Anweisungen aus. Der Klägerin wurde u.a. die Anweisung erteilt, jeder Vorladung der Ausländerbehörde in dieser Sache pünktlich Folge zu leisten, insbesondere für Donnerstag, den 22. Juli 2010 zur Abschiebung (Ziff. 2) und das Bundesgebiet nicht unerlaubt zu verlassen (Ziff. 3).

5

Das Landgericht Hamburg stellte im Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 20. August 2010 (Az.: 329 T 71/10) fest, dass die durch Beschlüsse des Amtsgerichts vom 22. Juni 2010 und vom 15. Juli 2010 angeordnete Haft rechtswidrig war. Die von der Beklagten erhobene Rechtsbeschwerde wurde mit Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 3. Februar 2011 zurückgewiesen (BGH, NVwZ 2011, 767, juris). Der Bundesgerichtshof führt in seiner Begründung aus, dass das Landgericht Hamburg zu Recht entschieden habe, dass die Haft zur Sicherung der Abschiebung nach § 62 Abs. 2 AufenthG ohne das nach Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft weder hätte angeordnet noch verlängert werden dürfen. Vielmehr hätte der Haftantrag mangels Darlegung der Durchführbarkeit der Abschiebung als unzulässig zurückgewiesen werden müssen. Die Inhaftierung der Klägerin habe sie in ihrem Freiheitsgrundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG verletzt. Die Abschiebehaft stelle einen schwerwiegenden Eingriff in das Freiheitsgrundrecht des Betroffenen dar, daher sei dieser auch in seinen Rechten verletzt, wenn eine Abschiebehaft angeordnet würde, die bei Beachtung der einschlägigen Rechtsvorschriften nicht hätte angeordnet werden dürfen. Es bedürfe insoweit keiner Entscheidung, ob der Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu folgen sei, nach der die früher das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft regelnde Vorschrift des § 64 Abs. 3 AuslG als eine rein verfahrensrechtliche Vorschrift anzusehen sei, die nicht den Schutz des Ausländers bezwecke. Gegenstand der Feststellung des Beschwerdegerichts nach § 62 FamFG sei nicht die Verletzung der Rechte des Ausländers durch die Abschiebung, sondern die Rechtmäßigkeit des Eingriffs in das Freiheitsgrundrecht des Ausländers durch die von dem Richter veranlasste Inhaftierung. Die Verletzung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG durch eine fehlerhafte Haftanordnung sei Folge der von dem Haftrichter bei der Anordnung einer Freiheitsentziehung zu beachtenden verfassungsrechtlichen Gewährleistungen nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG und der daraus folgenden strikten Gesetzesbindung jeder Freiheitsentziehung.

6

Mit Kostenfestsetzungsbescheid vom 8. April 2011 forderte die Beklagte die Klägerin auf, Abschiebungskosten in Höhe von 1.832,41 Euro zu erstatten. Aus einem dem Bescheid beigefügten Forderungsnachweis ergab sich eine Auflistung der Kosten. Danach setzte sich der Gesamtbetrag zusammen aus Transportkosten für die Nutzung eines Dienst-Fahrzeugs (Übergabe der Abschiebepapiere bei der Bundespolizei am Flughafen Hamburg) in Höhe von 19,98 Euro, Flugkosten in Höhe von 1.734,43 Euro und Personalkosten (Übergabe der Abschiebepapiere bei der Bundespolizei am Flughafen Hamburg) in Höhe von 78,- Euro. Da bereits eine Sicherheitsleistung in Höhe von 1.837,47 Euro angeordnet und eingezogen worden war, ergab sich eine Gutschrift in Höhe von 5,06 Euro für die Klägerin.

7

Mit Schreiben vom 15. April 2011 erhob die Klägerin Widerspruch gegen den Kostenfestsetzungsbescheid. Zur Begründung machte sie geltend, der Bescheid stehe nicht im Einklang mit § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG, weil die Kosten bei richtiger Sachbehandlung der Sache - die Abschiebung hätte ohne das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nicht durchgeführt werden dürfen - nicht entstanden wären. Im Übrigen sei der Bescheid rechtswidrig, weil sie vorher nicht angehört worden sei. Der Widerspruch der Klägerin wurde mit Widerspruchsbescheid vom 29. September 2011, zugestellt am 5. Oktober 2011, zurückgewiesen.

8

Mit einem weiteren Schreiben vom 30. Mai 2011 stellte die Klägerin den Antrag, die Eintragung hinsichtlich der Einreisesperre aufgrund der Abschiebung vom 23. Juli 2010 (richtig wohl: 22. Juli 2010) zu löschen, hilfsweise die Wirkungen der Abschiebung auf den Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag zu befristen und die Wirkung der Ausweisung vom 1. Juli 2010 auf den Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag zu befristen. Mit Verfügung vom 7. Juli 2011 befristete die Beklagte daraufhin die Sperrwirkungen der am 1. Juli 2010 verfügten Ausweisung und der am 22. Juli 2010 vollzogenen Abschiebung gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG nachträglich zeitlich auf den 21. Juli 2013 und lehnte im Übrigen den Antrag der Klägerin ab. Der Widerspruch der Klägerin vom 21. Juli 2011 wurde mit Widerspruchsbescheid ebenfalls vom 29. September 2011 zurückgewiesen.

9

Mit der am 5. November 2011 erhobenen Klage (Az.: 9 K 2708/11) hat die Klägerin zunächst begehrt, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 7. Juli 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2011 zu verpflichten, über den Antrag auf Befristung der Sperrwirkung erneut unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden. Daneben hat die Klägerin die Aufhebung des Kostenfestsetzungsbescheides vom 8. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2011 begehrt und hilfsweise dazu eine Verpflichtung der Beklagten beantragt, festzustellen, dass sie die der Klägerin zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen zu erstatten habe und dass die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts im Vorverfahren notwendig gewesen sei. Hinsichtlich des Antrags auf Aufhebung des Kostenfestsetzungsbescheides hat die Klägerin ausgeführt, die Abschiebung sei rechtswidrig gewesen, weil sie im Zeitpunkt der Durchführung ohne das erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 AufenthG stattgefunden habe. Dies verletze sie auch in ihren Rechten.

10

In der mündlichen Verhandlung des Klageverfahrens vom 22. Oktober 2012 haben die Beteiligten einen Vergleich geschlossen, mit dem sich die Beklagte verpflichtete, unter Abänderung des Bescheides vom 7. Juli 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2011 die Sperrwirkung der Ausweisung und Abschiebung auf den 21. Januar 2013 zu befristen. Hinsichtlich des Hilfsantrags haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt; das Verfahren ist insoweit eingestellt worden. Hinsichtlich des ebenfalls angefochtenen Kostenfestsetzungsbescheides haben die Beteiligten keine einvernehmliche Regelung getroffen.

11

Die Klägerin hat beantragt,

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den Bescheid vom 16. (richtig: 8.) April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2011 aufzuheben.

13

Die Beklagte hat beantragt,

14

die Klage abzuweisen.

15

Die Beklagte hat an ihrer Auffassung festgehalten, die Klägerin könne sich im Rahmen der Kostenfestsetzung auf den Mangel der Abschiebung nicht berufen. Sie könne sich nur auf solche Mängel berufen, die geeignet seien, ihre Rechte zu verletzen. Daran fehle es, wenn der Mangel lediglich in dem Fehlen des Einvernehmens der Staatsanwaltschaft mit der Abschiebung bestehe. Im Ergebnis sei daher das fehlende Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 AufenthG für die Rechtmäßigkeit der Kostenfestsetzung ohne Belang.

16

Das Verwaltungsgericht Hamburg hat die Klage mit Urteil aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2012 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte sei berechtigt gewesen, die Kosten der Abschiebung von der Klägerin erstattet zu verlangen. Bereits im Einstellungsbeschluss vom 21. Juni 2011 im Verfahren 9 E 2768/10 sei darauf hingewiesen worden, dass sich ein abgeschobener Ausländer nur auf solche rechtlichen Mängel der Abschiebung berufen könne, die geeignet seien, eigene Rechte zu verletzen, und dies sei bei einer unterbliebenen Beteiligung der Staatsanwaltschaft vor der Abschiebung nach § 72 Abs. 4 AufenthG nicht der Fall. An dieser Einschätzung halte das Gericht auch unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 3. Februar 2011 fest. Der Bundesgerichtshof habe insoweit auf einen schwerwiegenden Eingriff in das Freiheitsgrundrecht durch die Anordnung der Abschiebungshaft abgestellt, aber ausdrücklich klargestellt, dass er nicht darüber entscheide, ob die von der Ausländerbehörde in unzulässiger Weise verfügte Abschiebung Rechte der Klägerin verletze.

17

Zur Begründung der mit Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. November 2013 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 124a Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zugelassenen Berufung bezieht sich die Klägerin zunächst auf ihr bisheriges Vorbringen. Sie wiederholt, dass die Abschiebung objektiv rechtswidrig gewesen sei, weil sie entgegen § 72 Abs. 4 AufenthG ohne das vorherige Einvernehmen durch die Staatsanwaltschaft durchgeführt worden sei. Die Geltendmachung von Abschiebungskosten setze aber eine rechtmäßige Abschiebung voraus, dies folge schon aus Art. 20 Abs. 3 GG. Es liege auch eine subjektive Rechtsverletzung jedenfalls in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG vor. Soweit in der erstinstanzlichen Entscheidung das Verwaltungsgericht auf die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahr 1998 hingewiesen habe, nach der die fehlende Mitwirkung der Staatsanwaltschaft vor einer Abschiebung eines Ausländers nicht zu einer subjektiven Rechtsverletzung des Ausländers führe, sei diese Entscheidung zu § 64 Abs. 3 AuslG ergangen. Eine Übernahme auf die Nachfolgervorschrift des § 72 Abs. 4 AufenthG sei insbesondere im Hinblick auf die Rückführungsrichtlinie (Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedsstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger vom 16.12.2008, Abl. Nr. L 348/98) nicht ohne Weiteres möglich. Letztlich komme es darauf aber nicht an, weil die neueren Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zumindest eine Verletzung der subjektiven Rechte des betroffenen Ausländers nach Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG feststellten, wenn im Rahmen der Haftanordnung die Voraussetzungen für eine Abschiebung zu Unrecht angenommen würden. Daraus könne gefolgert werden, dass aus der rechtswidrigen Haftanordnung auch die Rechtswidrigkeit der Abschiebung folge. Im Übrigen liege ein Eingriff in ihr Eigentumsrecht aus Art. 14 GG vor, wenn sie zur Zahlung von Abschiebungskosten für eine rechtswidrige Abschiebung herangezogen werde.

18

In der Berufungsverhandlung hat die Beklagte die streitigen Bescheide insoweit aufgehoben, als Kosten von mehr als 1.734,43 Euro (Flugkosten) festgesetzt wurden. Daraufhin haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.

19

Die Klägerin beantragt,

20

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hamburg aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 22. Oktober 2012 zu ändern und den Bescheid vom 8. April 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2011 aufzuheben.

21

Die Beklagte beantragt,

22

die Berufung zurückzuweisen.

23

Die Beklagte vertritt weiter die Auffassung, die Kosten für die Abschiebung der Klägerin am 22. Juli 2010 seien zu Recht erhoben worden. Die fehlende Zustimmung der Staatsanwaltschaft vor der Abschiebung verletze die Klägerin nicht in subjektiven Rechten.

24

Wegen der näheren Einzelheiten wird ergänzend auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die Sachakte der Beklagten, die Gerichtsakten der Verfahren 9 E 2768/10 und 9 K 2600/10 und die beigezogene Akte der Staatsanwaltschaft Hamburg, 2011 Js 609/10, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

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Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 VwGO eingestellt.

II.

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Die Berufung der Klägerin ist im Übrigen zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

27

1. Die Anfechtungsklage ist zulässig, sie wurde insbesondere mit Telefax vom 5. November 2011 binnen der Monatsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO fristgerecht erhoben, weil der Widerspruchsbescheid am 5. Oktober 2011 zugestellt wurde. Zwar hat die Kanzlei des Bevollmächtigten den Widerspruchsbescheid vom 29. September 2011 mit einem Eingangsstempel mit dem Datum 4. Oktober 2011 versehen, allerdings hat der Bevollmächtigte der Klägerin das Empfangsbekenntnis am 5. Oktober 2011 unterschrieben. Die Zustellung gegen Empfangsbekenntnis ist als bewirkt anzusehen, wenn der Rechtsanwalt das ihm zugestellte Schriftstück mit dem Willen entgegengenommen hat, es als zugestellt gegen sich gelten zu lassen und dies auch durch Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses beurkundet. Zustellungsdatum ist also der Tag, an dem der Rechtsanwalt als Zustellungsadressat vom Zugang des übermittelten Schriftstücks Kenntnis erlangt und es als empfangsbereit entgegengenommen hat; dies muss nicht unmittelbar am Tag des Zugangs geschehen sein (BGH, Beschl. v. 17.4.2007, Beschl. v. 17.4.2007, VIII ZB 100/05, juris Rn. 9). Es kommt danach nicht auf den Tag an, an dem ein Schriftstück in die Kanzlei gelangt ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 17.5.1979, BVerwGE 58, 107, juris Rn. 16).

28

Soweit die Klägerin rügt, der Kostenfestsetzungsbescheid vom 4. April 2011 sei ohne ihre vorherige Anhörung ergangen, ist dieser Verfahrensfehler nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG geheilt, nachdem im Widerspruchsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde.

29

2. Die Klage hat in der Sache keinen Erfolg. Die streitigen Bescheide – soweit sie noch Gegenstand des Verfahrens sind – sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

30

Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 8. April 2011 und des Widerspruchsbescheides vom 29. September 2011 ist die Sach- und Rechtslage bei Erlass der letzten behördlichen Entscheidung, hier: des Widerspruchsbescheids vom 29. September 2011, d.h. das Aufenthaltsgesetz – AufenthG - in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung der Zwangsheirat und zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vorschriften vom 23. Juni 2011 (BGBl. I S. 1266).

31

Rechtsgrundlage für die Kostenerhebung sind §§ 66 Abs. 1, 67 AufenthG. Nach § 66 Abs. 1 AufenthG hat ein Ausländer die Kosten, die durch die Durchsetzung einer räumlichen Beschränkung, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung entstehen, zu tragen. § 67 AufenthG regelt den Umfang der Kostenhaftung.

32

Ein Ausländer haftet für die Kosten einer Abschiebung allerdings nur dann, wenn die zu ihrer Durchsetzung ergriffenen Amtshandlungen und Maßnahmen ihn nicht in seinen Rechten verletzen. Insoweit trifft das Aufenthaltsgesetz für Maßnahmen, die selbstständig in Rechte des Ausländers eingreifen, eine eigenständige und vorrangige Regelung gegenüber den Vorschriften des Verwaltungskostengesetzes, auf die § 69 Abs. 2 Satz 2 AufenthG nur verweist, soweit das Aufenthaltsgesetz keine abweichende Regelung enthält (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.10.2012, BVerwGE 144, 326; juris Rn. 20). Anders verhält es sich nur bei „unselbstständigen Amtshandlungen“, die nicht in die Rechte des Ausländers eingreifen, wozu insbesondere unselbstständige Durchführungsakte zählen wie die Beauftragung eines Dolmetschers, die Buchung eines Flugs zur Durchführung der Abschiebung und die Begleitung des Ausländers bei einer Rückführung. Für die Kosten derartiger Amtshandlungen greift der Verweis des § 69 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf das Verwaltungskostengesetz. Für solche Amtshandlungen haftet der Kostenschuldner auch dann, wenn sie objektiv rechtswidrig sind; eine Erstattungspflicht entfällt nur dann, wenn die Amtshandlung offenkundig rechtswidrig ist und die Kosten bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.10.2012, a.a.O., juris Rn. 23).

33

a) Die Abschiebung der Klägerin am 22. Juli 2010 verletzte sie nicht in eigenen Rechten.

34

Die Klägerin kann zur Erstattung von Kosten für die Abschiebung am 22. Juli 2010 herangezogen werden, weil diese sie nicht in ihren subjektiven Rechten verletzte. Maßgeblich für die hier im Rahmen der Prüfung des Kostenbescheides inzident zu überprüfende Rechtmäßigkeit der Abschiebung ist die im Zeitpunkt der Maßnahme geltende Rechtslage (vgl. BVerwG, Urt. v. 10.12.2014, juris Rn. 8; Urt. v. 16.10.2012, a.a.O., juris Rn. 12).

35

aa) Nach § 58 Abs. 1 AufenthG (i.d.F. der Bekanntmachung vom 25.2.2008, BGBl. I S. 162) ist ein Ausländer abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar ist und die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht nicht gesichert ist oder aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung eine Überwachung der Ausreise erforderlich erscheint.

36

Die Klägerin war zum Zeitpunkt ihrer Abschiebung vollziehbar ausreisepflichtig. Nach § 50 Abs. 1 AufenthG ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er einen erforderlichen Aufenthaltstitel nicht oder nicht mehr besitzt. Nach § 58 Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist die Ausreisepflicht u.a. dann vollziehbar, wenn der Ausländer unerlaubt eingereist ist und eine Ausreisefrist nicht gewährt wurde oder diese abgelaufen ist.

37

Die Klägerin war auch nach eigenen Angaben ohne den nach § 4 AufenthG erforderlichen Aufenthaltstitel und damit unerlaubt in das Bundesgebiet eingereist (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) und sie hat einen solchen auch zu keinem Zeitpunkt beantragt oder besessen. Eine Ausreisefrist war ihr nicht gewährt worden.

38

bb) Die Klägerin konnte ohne eine Abschiebungsandrohung mit Fristsetzung nach § 59 Abs. 1 AufenthG (i.d.F. der Bekanntmachung vom 25.2.2008, BGBl. I S. 162) abgeschoben werden.

39

Eine Abschiebungsandrohung mit Fristsetzung nach § 59 Abs. 1 AufenthG war zwar vor der Abschiebung der Klägerin nicht erlassen worden. Die Klägerin konnte aber abgeschoben werden, weil die Beklagte in ihrer Ausweisungsverfügung vom 1. Juli 2010 die Abschiebung aus der Haft nach §§ 59 Abs. 5, 58 Abs. 3 AufenthG angeordnet und darauf hingewiesen hatte, dass die nach § 59 Abs. 5 Satz 2 AufenthG erforderliche Ankündigungsfrist von mindestens einer Woche durch Ankündigung der Abschiebung nach Aufgreifen der Klägerin am 22. Juni 2010 erfüllt war.

40

Die Voraussetzungen der §§ 59 Abs. 5, 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG waren zum Zeitpunkt der Abschiebung der Klägerin am 22. Juli 2010 erfüllt. Nach § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG bedarf es in den Fällen des § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG keiner Fristsetzung. Nach Satz 2 soll die Abschiebung mindestens eine Woche vorher angekündigt werden. Gemäß § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ist die Überwachung einer Ausreise insbesondere erforderlich, wenn der Ausländer sich auf richterliche Anordnung in Haft oder sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet.

41

Zwar befand sich die Klägerin zum Zeitpunkt ihrer Abschiebung nicht mehr in Sicherungshaft, sie wurde also nach tatsächlicher Betrachtungsweise nicht „aus der Haft“ abgeschoben. Vielmehr wurde der Haftverlängerungsbeschluss des Amtsgerichts Hamburg vom 15. Juli 2010 bereits einen Tag später, am 16. Juli 2010, ausgesetzt (§ 424 FamFG) und die Klägerin aus der Haft entlassen. Zur Überzeugung des Gerichts bedurfte es nach der Haftentlassung dennoch keiner erneuten Abschiebungsandrohung. Die angekündigte Abschiebung „aus der Haft“ war insbesondere nicht durch Haftentlassung verbraucht. Die Klägerin war nicht aus der Haft entlassen worden, vielmehr war der Haftbeschluss unter Weisungen, u.a. zur Abschiebung am 22. Juli 2010 zu erscheinen, lediglich außer Vollzug gesetzt worden. Ein Bedürfnis für eine Abschiebungsandrohung nach § 59 Abs. 1 AufenthG – deren Sinn und Zweck es ist, dass sich ein Ausländer auf die bevorstehende Abschiebung einstellen kann – war somit nicht gegeben.

42

Selbst wenn man davon ausginge, dass mit einer Haftentlassung aus der Sicherungshaft aufgrund eines Beschlusses, mit dem der Haftbefehl unter Weisungen außer Vollzug gesetzt wird, grundsätzlich eine Abschiebungsandrohung mit Fristsetzung erforderlich werden könnte (vgl. zur Frage der Erforderlichkeit einer Abschiebungsandrohung nach Entlassung aus der Strafhaft BVerwG, Beschl. v. 20.8.2009, NVwZ 2009, 1557, juris Rn 10; VGH Kassel, Beschl. v. 5.3.1993, 12 TG 205/93, juris Rn. 4), wäre die Abschiebung der Klägerin ohne eine solche nicht zu beanstanden. Nach der zum Zeitpunkt der Abschiebung der Klägerin geltenden Rechtslage sah § 59 Abs. 1 AufenthG vor, dass eine Abschiebungsandrohung zwar mit Fristsetzung erfolgen „soll“. Insoweit war im Falle der Klägerin jedoch ein atypischer Fall gegeben, in dem der Erlass einer Abschiebungsandrohung unter Fristsetzung nicht erforderlich war. Die Abschiebungsankündigung aus der Haft hatte die Abschiebungsandrohung ersetzt, und die berechtigten Interessen der Klägerin waren gewahrt, weil sie durch eine rechtzeitige Abschiebungsankündigung hinreichend Gelegenheit hatte, ihre Angelegenheiten im Bundesgebiet zu regeln (vgl. OVG Hamburg, Beschl. v. 15.4.1996, Bs VI 71/96, juris Rn. 16).

43

Das fehlende Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 AufenthG hat keinen Einfluss auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung bzw. –anordnung. Die Vorschrift bezieht sich ausdrücklich auf das Erfordernis eines Einvernehmens der Staatsanwaltschaft vor einer Ausweisung bzw. Abschiebung. Sie bezieht sich daher nicht auf die einer Abschiebung insoweit vorgeschaltete Abschiebungsandrohung (OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.9.2011, AuAS 2011, 268; juris Rn. 6).

44

cc) Die Abschiebung der Klägerin am 22. Juli 2010 verletzte diese auch nicht in eigenen Rechten, weil das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 AufenthG vor der Abschiebung nicht erteilt worden war.

45

Nach § 72 Abs. 4 Satz 1 AufenthG (i.d.F. der Bekanntmachung vom 25.2.2008, BGBl. I S. 162) darf ein Ausländer, gegen den öffentlich Klage erhoben oder ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet war, nur im Einvernehmen der Staatsanwaltschaft abgeschoben werden. Für die Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens reicht es aus, wenn der Betroffene durch die Polizei als Beschuldigter wegen des Verdachts einer Straftat vernommen wird (vgl. BGH, Beschl. v. 3.2.2011, NVwZ 2011, 767, juris Rn. 10). Diese Voraussetzung lag hier zum Zeitpunkt der Abschiebung vor, weil die Klägerin ausweislich der staatsanwaltlichen Akte 2011 Js 609/10 bereits am 22. Juni 2010 als Beschuldigte wegen des Verdachts des illegalen Aufenthaltes nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG vernommen worden war.

46

Das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft war von der Beklagten nicht eingeholt worden. Das Verfahren der Staatsanwaltschaft wurde auch erst nach der Abschiebung der Klägerin am 22. Juli 2010 mit Verfügung vom 22. September 2010 nach § 154b Abs. 3 StPO eingestellt.

47

Eine Verletzung eigener Rechte der Klägerin liegt dennoch nicht vor, weil das Beteiligungserfordernis der Staatsanwaltschaft nach § 72 Abs. 4 AufenthG als eine Verfahrensregelung anzusehen ist, die nicht dem Schutz des Ausländers zu dienen bestimmt ist, sondern (allein) der Wahrung des staatlichen Strafverfolgungsinteresses dienen soll. Sie soll verhindern, dass die Strafverfolgung durch ausländerrechtliche Maßnahmen erschwert oder vereitelt wird (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 8.12.2011, Beschl. v. 8.12.2011, AuAS 2012, 38, juris Rn. 4; OVG Bremen, Beschl. v. 15.11.2010, juris Rn. 8; OVG Lüneburg, Beschl. v. 28.9.2011, AuAS 2011, 268, juris Rn. 5; GK-Gutmann, AufenthG, Stand: Juli 2014, § 72 Rn. 29; Renner/Bergmann/Dienelt, 10. Aufl. 2013, § 72 Rn.15). Für die Abschiebung als solche hat auch das Bundesverwaltungsgericht im Hinblick auf die Vorgängervorschrift (§ 64 Abs. 3 AuslG) vor diesem Hintergrund entschieden, dass eine trotz fehlenden Einverständnisses der Staatsanwaltschaft durchgeführte Abschiebung keine Rechte des betroffenen Ausländers verletzt (BVerwG, Urt. v. 5.5.1998, BVerwGE 106, 351, juris Rn. 19). Dies gilt auch für die (Nachfolge-)Regelung des § 72 Abs. 4 AufenthG. Diese bezweckt nicht, den Ausländer vor ausländerbehördlichen Maßnahmen zu bewahren. Die Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG steht einer Übertragung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Rechtslage zum Zeitpunkt der Abschiebung der Klägerin schon deshalb nicht entgegen, weil diese noch nicht galt. Die Richtlinie wurde durch das Gesetz zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der EU und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex in nationales Recht - Richtlinienumsetzungsgesetz vom 22.11.2011 - mit Gültigkeit ab 26. November 2011 umgesetzt, wobei zum Zeitpunkt der Abschiebung der Klägerin auch die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen war; nach Art. 20 der Richtlinie galt insoweit eine Umsetzungsfrist bis spätestens 24. Dezember 2010 bzw. 24. Dezember 2011.

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Dem steht nicht die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Rechtswidrigkeit der Haftanordnung in Fällen des fehlenden Einvernehmens nach § 72 Abs. 4 AufenthG entgegen. Diese - wie hier im Beschluss vom 3. Februar 2011 (NVwZ 2011, 767, juris) - bezieht sich ausdrücklich auf die Rechtmäßigkeit bzw. Rechtswidrigkeit der Haftanordnung bzw. der Haft. Der Bundesgerichtshof stellt dabei maßgeblich auf die strikte Gesetzesbindung der Freiheitsentziehung nach Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ab. Die Abschiebung als solche stellt allerdings keine Freiheitsentziehung i.S.d. Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG dar (vgl. BVerwG, Urt. v. 23.6.1981, BVerwGE 62, 325, juris Rn. 12f.). Der Bundesgerichtshof führt in seiner oben genannten Entscheidung auch ausdrücklich aus, dass Gegenstand seiner Feststellung nicht die Verletzung von Rechten des Ausländers durch die von der Ausländerbehörde verfügte Abschiebung sei (BGH, a.a.O., Rn. 13). Die Folgen des fehlenden Einvernehmens der Staatsanwaltschaft für die Frage der Rechtmäßigkeit der Anordnung von Abschiebehaft sind somit maßgeblich auf die hierfür geltenden spezifischen Rechtsnormen, insbesondere auf die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für eine Freiheitsentziehung, Art. 2 Abs. 2, Art. 104 Abs. 2 GG, zurückzuführen und lassen keine Rückschlüsse für die Frage der Rechtmäßigkeit der Abschiebung zu (vgl. VGH Mannheim, Beschl. v. 8.12.2011, AUAS 2012, 38, juris Rn. 4; GK-Gutmann, Stand: Juli 2014, § 72 Rn. 38; Renner/Bergmann/Dienelt, 10. Aufl. 2013, § 72 Rn. 16; Hailbronner, Ausländerrecht, Stand: Nov. 2012, § 72 AufenthG Rn. 16).

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Diese Auffassung wird auch nicht durch das Argument der Klägerin infrage gestellt, dass eine Abschiebung ohne das erforderliche Einvernehmen nach § 72 Abs. 4 AufenthG sie jedenfalls in ihrem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG, der allgemeinen Handlungsfreiheit, verletze. Dass die objektive Rechtswidrigkeit eines Verwaltungshandelns nicht notwendigerweise zu einer subjektiven Rechtsverletzung führt, ist in der Verwaltungsgerichtsordnung angelegt und zeigt sich insbesondere in der Regelung des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, nach der ein objektiv rechtswidriger Verwaltungsakt nur aufzuheben ist, wenn er den Betroffenen in seinen Rechten verletzt. Das Bundesverwaltungsgericht hat in anderem Zusammenhang insoweit ausgeführt, dass sich der Adressat eines objektiv rechtswidrigen Verwaltungsaktes nicht auf einen „Anspruch auf objektive Fehlerfreiheit des Hoheitsakts“ mit der Rechtsfolge berufen kann, dass jeder an irgendeinem objektiven Rechtsfehler leidende belastende Verwaltungsakt die allgemeine Handlungsfreiheit in verfassungswidriger Weise beschränkt. In diesem Zusammenhang hat das Bundesverwaltungsgericht darauf hingewiesen, dass auch in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt ist, dass eine Anfechtungsklage nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur dann Erfolg haben kann, wenn der belastende Verwaltungsakt objektiv rechtswidrig ist und der Kläger dadurch in eigenen subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt wird. Ergibt sich danach aus dem einfachen Recht – hier: § 72 Abs. 4 AufenthG –, dass eine bestimmte verfahrensrechtliche Anforderung ausschließlich dem öffentlichen Interesse zu dienen bestimmt ist, dann ist ein diese verletzendes Handeln der Verwaltung zwar möglicherweise objektiv rechtswidrig. Gleichwohl fehlt es dann aber an der Verletzung eines subjektiven, dem Einzelnen zustehenden Rechts i.S.d. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, der den Verwaltungsgerichten die Aufhebung eines nur objektiv rechtswidrigen Verwaltungsaktes verwehrt und insoweit in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise auch die allgemeine Handlungsfreiheit begrenzt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 4.11.2005, Buchholz 402.25 § 73 AsylVfG Nr. 14, juris Rn. 4).

50

b) Die Kostenforderung der Beklagten ist vom Umfang der Kostenerstattungspflicht nach § 67 AufenthG erfasst und rechtlich nicht zu beanstanden.

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Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Flugkosten ist § 67 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG; danach können Beförderungskosten grundsätzlich erstattet verlangt werden. Anhaltspunkte dafür, dass die Heranziehung für Flugkosten für den Flug am 22. Juli 2010 in Höhe von 1.734,43 Euro offenkundig rechtswidrig sein könnten, liegen weder vor noch sind solche Gründe vorgetragen. Dabei geht der Senat davon aus, dass es sich bei der Buchung des Fluges um eine „unselbstständige Amtshandlung“ im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts handelt (vgl. BVerwG, Urt. v. 16.10.2012, a.a.O., juris Rn. 23). Für die Kosten derartiger Amtshandlungen greift der Verweis des § 69 Abs. 2 Satz 2 AufenthG auf das Verwaltungskostengesetz. Für solche Amtshandlungen haftet der Kostenschuldner auch dann, wenn sie objektiv rechtswidrig sind; eine Erstattungspflicht entfällt nur dann, wenn die Amtshandlung offenkundig rechtswidrig ist und die Kosten bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären, § 14 Abs. 2 Satz 1 VwKostG.

52

Ohne rechtlich zwingende Auswirkung ist in diesem Zusammenhang die Feststellung, dass die Anordnung der Sicherungshaft im Falle der Klägerin rechtswidrig war. Denn die hier geltend gemachten Kosten des Fluges stehen in keinem wechselseitigen Verhältnis zu der Sicherungshaft, vielmehr handelt es sich um jeweils gesondert zu betrachtende Vollstreckungshandlungen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 23.3.2009, AUAS 2009, 139, juris Rn. 11).

III.

53

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 3, 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Zwar trägt im Rahmen der Kostenentscheidung nach § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen die Beklagte die Kostenlast des Verfahrens insoweit, als das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt wurde. Das Gericht sieht es aber als ermessensgerecht an, die Kosten der Klägerin insgesamt aufzuerlegen, weil die Beklagte insoweit nur zu einem geringen Teil unterliegt, § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO.

54

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, §§ 711, 708 Nr. 11 ZPO.

55

Das Gericht lässt die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zu, § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die höchstrichterlich bisher nicht erfolgte Klärung der Rechtsfrage, ob eine ohne das erforderliche Einvernehmen der Staatsanwaltschaft gem. § 72 Abs. 4 AufenthG durchgeführte Abschiebung Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeit der Kostenfestsetzung für Abschiebekosten hat, die nicht die Haft-, sondern Beförderungskosten erfassen (die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts im Urteil vom 16.12.2012, a.a.O., Rn. 21 und 23 betreffen eine andere Fallkonstellation), hat wesentliche Bedeutung für die einheitliche Auslegung und Anwendung der §§ 66, 67 AufenthG.

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