Urteil vom Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (8. Senat) - 8 A 10236/12


Tenor

Unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Mainz vom 25. Januar 2012 werden der Bescheid des Beklagten vom 29. November 2010 und der Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2011 aufgehoben.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge zu tragen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Klägerin wendet sich gegen die Anordnung der Beklagten über die Verwertung zweier von ihr ordnungsbehördlich sichergestellter Häuser.

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Die Klägerin ist ausweislich des Grundbuchs der Stadt M Miteigentümerin der in der Innenstadt gelegenen Mehrfamilienhäuser K.straße … (zu …) und N.straße 1 (zu …).

3

Die Bauaufsichtsbehörde der Beklagten hatte in beiden Anwesen in mehrfacher Hinsicht Verstöße gegen baurechtliche Vorschriften zur Trinkwasserversorgung (§ 41 Abs. 1 LBauO) und zum Brandschutz (§ 34 LBauO – Treppenraum – und §§ 3 Abs. 1, 15 LBauO – Elektroinstallation -) festgestellt und mit Verfügungen vom 21. Mai, 23. Mai und 21. Oktober 2008 gegenüber Herrn K. H. (Kläger des Verfahrens 8 A 10253/12.OVG) die Sanierung der Trinkwasserleitungen, des Treppenhauses und der Elektroinstallation angeordnet und dies mit entsprechenden Duldungsverfügungen gegenüber der Klägerin begleitet. Am 20. Oktober 2008 verfügte die Beklagte gegenüber Herrn H. und der Klägerin Nutzungsuntersagungen für beide Anwesen ab dem 05. November 2008, 7.00 Uhr. Zuvor waren bereits am 16. Oktober 2008 entsprechende Nutzungsuntersagungsverfügungen gegen die Bewohner der Häuser ergangen.

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Ebenfalls am 20. Oktober 2008 erließ das Rechts- und Ordnungsamt der Beklagten gegenüber Herrn H. und der Klägerin eine ordnungsrechtliche Verfügung, wonach die beiden Anwesen gemäß § 22 Nr. 1 POG ab 05. November 2008, 7.00 Uhr sichergestellt wurden (Pflicht zur Herausgabe von Schlüsseln und Betretungsverbot, ausgenommen zur Durchführung von Instandsetzungsarbeiten nach Absprache mit der Stadtverwaltung); ferner wurde ihnen auferlegt, zusätzliche Sicherungsmaßnahmen wie das Anbringen von Baustellentüren und der Einbau von Schließzylindern zu dulden. Zur Begründung der Sicherstellungsverfügung wurde ausgeführt, dass die Sicherstellung zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für die Rechtsgüter Leben und Gesundheit erfolge. Deshalb würden die Gebäude am 05. November 2008 geräumt. Die Sicherstellung verfolge den Zweck, eine erneute Nutzung der Grundstücke zu Wohnzwecken danach zu verhindern. Eine Neubelegung der Gebäude müsse auf jeden Fall ausgeschlossen werden. Nach den Erfahrungen in der Vergangenheit sei dieses Ziel mit bloßen Kontrollen, ob die Nutzungsuntersagung befolgt werde, nicht zu erreichen. Die von der Klägerin gegen die Sicherstellungsverfügung nach erfolglosem Eilverfahren erhobene Klage wurde durch Urteil des Verwaltungsgerichts Mainz vom 19. August 2009 – 3 K 159/09 – rechtskräftig abgewiesen.

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Nach vorheriger Anhörung ordnete die Beklagte gegenüber der Klägerin durch Bescheid vom 29. November 2010 die Verwertung der beiden sichergestellten Häuser gemäß § 24 Abs. 2 und Abs. 3 POG i.V.m. § 24 Abs. 1 Nrn. 2, 3 und 4 POG an. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Häuser auch nach Ablauf eines Jahres nicht an die Berechtigten herausgegeben werden könnten. Nach den Erfahrungen in der Vergangenheit sei davon auszugehen, dass die Häuser bei einer Freigabe umgehend erneut vermietet würden, ohne dass vorher eine Sanierung erfolge (§ 24 Abs. 1 Nr. 4 POG). Die Verwertung sei aber auch deshalb zulässig, weil eine weitere Verwahrung ohne Behebung der Brandschutzmängel zu gefährlich sei (§ 24 Abs. 1 Nr. 3 POG) und die Verwahrung zu unverhältnismäßig hohen Kosten führe (§ 24 Abs. 1 Nr. 2 POG). Mildere Mittel kämen nicht in Betracht. Insbesondere scheide die Sanierung der Häuser im Wege der Ersatzvornahme aus. Aufgrund der Vermögenssituation der Klägerin sei nicht davon auszugehen, dass die Kosten der Ersatzvornahme erstattet würden. Die Verwertung werde durch öffentliche Versteigerung erfolgen. Eine Mitteilung über Zeit und Ort der Verwertung werde allerdings nicht erfolgen, weil zu befürchten sei, dass beim Auftreten von Herrn H. oder seines Sohnes der Erfolg des Versteigerungstermins gefährdet sei.

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Die Klägerin hat zur Begründung ihrer nach erfolglosem Widerspruchsverfahren erhobenen Klage im Wesentlichen vorgetragen: Bereits die Sicherstellung der beiden Häuser sei rechtswidrig gewesen, da die Anwesen keine baurechtlichen Mängel aufgewiesen hätten und deshalb auch keine Gefahr für die Bewohner bestanden habe. Auch habe sie nie gegen die von der Beklagten ausgesprochenen Nutzungsuntersagungen verstoßen. Sie habe mehrfach versichert, dass sie die Häuser nicht zu Wohnzwecken vermieten werde. Die Häuser müssten daher nicht weiter verwahrt werden. Die Verwertung sei nicht notwendig. Im Übrigen hätte die Beklagte wegen zahlreicher im Laufe der Verwahrung eingetretener Schäden zu haften.

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Das Verwaltungsgericht hat die Klage durch das aufgrund mündlicher Verhandlung vom 25. Januar 2012 ergangene Urteil mit der Begründung abgewiesen, dass die angefochtene Verwertungsanordnung rechtmäßig sei. Rechtsgrundlage sei § 24 Abs. 1 Nr. 4 POG. Die Vorschrift sei anwendbar. Die polizeirechtlichen Ermächtigungen in §§ 22 ff. POG würden nicht durch bauordnungsrechtliche Eingriffsermächtigungen verdrängt. Beide Normkomplexe verfolgten unterschiedliche Zielrichtungen. Während es einerseits um die Abwehr baurechtlicher Mängel von Gebäuden gehe, stehe im Polizeirecht die Abwehr gegenwärtiger Gefahren für Individualrechtsgüter im Mittelpunkt. § 24 POG sei auch auf Immobilien anwendbar. Die Vorschriften in §§ 22 ff. POG beträfen allgemein Sachen, wozu auch unbewegliche Sachen gehörten. Die Anwendung der Sicherstellungsverfügung auf unbewegliche Sachen sei in der Rechtsprechung und Literatur anerkannt. Die Vorschrift in § 23 Abs. 1 Satz 2 POG über die anderweitige Sicherung als die auf bewegliche Sachen zugeschnittene „Verwahrung“ mache keinen Sinn, wenn die Vorschriften nicht auf Immobilien Anwendung fänden. Die Voraussetzungen des § 24 Abs. 1 Nr. 4 POG lägen vor. Insbesondere sei die Prognose der Beklagten nicht zu beanstanden, dass bei einer Herausgabe der sichergestellten Häuser erneut mit deren Vermietung und damit erneut mit dem Entstehen einer gegenwärtigen Gefahr zu rechnen sei. Aufgrund der besonderen Umstände sei es auch nicht zu beanstanden, dass die Beklagte der Klägerin Zeit und Ort der beabsichtigten Verwertung vorenthalten wollten. Die Anordnung der Zwangsversteigerung der beiden Häuser stehe der beabsichtigten Verwertung nicht entgegen, da die Beklagte selbst das Zwangsversteigerungsverfahren betreibe. Die Verwertungsanordnung sei auch nicht unverhältnismäßig. Ein milderes, aber gleich geeignetes Mittel sei nicht ersichtlich. Insbesondere seien baurechtliche Eingriffsbefugnisse nicht gleich geeignet. Nutzungsuntersagungen wären auf unabsehbare Zeit angelegt, ohne die Verwertung der Sache zu ermöglichen. Auch sei es angemessen, dass die Beklagte versuche, die hohen Verwahrungskosten aus dem Erlös der Verwertung zu decken, seien sie doch ansonsten von der Allgemeinheit zu tragen.

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Zur Begründung der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung führt die Klägerin im Wesentlichen aus: Das Ordnungsamt sei zur Überwachung baulicher Anlagen nicht zuständig. Das Polizei- und Ordnungsbehördengesetz sei im vorliegenden Fall unanwendbar. Während § 23 Abs. 1 Satz 2 POG evtl. noch auf Grundstücke anwendbar sei, könne dies für die Verwertungsvorschrift in § 24 POG nicht angenommen werden. Dort werde mit dem Verweis auf die öffentliche Versteigerung, insbesondere von Fundsachen, ausschließlich auf Vorschriften für bewegliche Sachen Bezug genommen. Eine Bezugnahme auf das Zwangsversteigerungsgesetz sei unterblieben. Es sei verfehlt, wenn „Schrottimmobilien“ ordnungsrechtlich zur Verfolgung städtebaulicher Ziele verwertet würden. Das Baurecht lasse in § 85 BauGB eine entsprechende Enteignung nicht zu. Den von der Beklagten gesehenen Gefahren einer erneuten Nutzung der Häuser ohne vorherige Sanierung könne durch baurechtliche Maßnahmen einschließlich Vollstreckungsmaßnahmen begegnet werden. Wegen der von der Beklagten eingeleiteten Zwangsversteigerungsverfahren sei eine anderweitige Verwertung auch nicht mehr erforderlich. Die Verwertungsanordnung sei auch unverhältnismäßig. Es drohe die Verschleuderung der Grundstücke. Zudem sei die Durchführung der beabsichtigten Verwertung unsicher. § 24 Abs. 3 POG berechtige nicht zum Abschluss eines Notarvertrages. Im Übrigen sei der beabsichtigte Verkauf mittlerweile unmöglich, da die Grundstücke inzwischen mit notariellen Verträgen vom 05. September 2011 (N.straße …) und 12. September 2011 (K.straße …) verkauft worden seien. Schließlich sei es mit dem Eigentumsrundrecht unvereinbar, sie von der Information über die Verwertung auszuschließen.

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Die Klägerin beantragt,

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unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils den Bescheid der Beklagten vom 29. November 2010 und den Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2011 aufzuheben,

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hilfsweise,

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die Beklagte zu verpflichten, unter Würdigung des Art. 14 GG erneut über die angeordnete Verwertung zu entscheiden.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

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Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus: Die Verwaltung sei zum Erlass der angegriffenen ordnungsrechtlichen Verfügung zuständig. Das Polizei- und Ordnungsbehördengesetz sei anwendbar. Die Vorschrift über die Sicherstellung gelte auch für unbewegliche Sachen; dies habe auch der Senat bestätigt. Die Bedenken gegenüber dem Verfahren der Verwertung seien unbegründet. Bislang sei lediglich die Verwertung dem Grunde nach angeordnet. Sollte hinsichtlich der öffentlichen Versteigerung eine gesetzliche Lücke bestehen, könne diese ohne weiteres durch Analogie zum Zwangsversteigerungsgesetz behoben werden. Daneben eröffne § 24 Abs. 3 POG auch die Möglichkeit des freihändigen Verkaufs. Die eventuell verweigerte Willenserklärung der Eigentümerin könne durch entsprechende zivilgerichtliche Klagen auf Abgabe einer Willenserklärung ersetzt werden (§ 894 ZPO). Der Gesetzgeber könne nicht gewollt haben, dass Immobilien zwar sichergestellt, nicht aber verwertet werden können. Bei Unanwendbarkeit des § 24 POG müssten die Sachen „auf immer und ewig“ in Verwahrung bleiben. Das nach dem Baurecht mögliche Vorgehen gegen „Schrottimmobilien“ oder „Gammelhäuser“ habe man ausgeschöpft. Baupolizeiliche Maßnahmen, insbesondere Nutzungsuntersagungsverfügungen, hätten nicht zum Ziel geführt. Der Zwangsversteigerungsvermerk hindere die ordnungsrechtliche Verwertung nicht. Die Verwertung sei auch nach den (Schein-) Verkäufen an Herrn T weiterhin möglich. Auch bei der Herausgabe an diesen ehemaligen Mieter einer Wohnung der Klägerin würden die früher festgestellten Zustände erneut wieder auftreten. Für die Häuser gäbe es zahlreiche Kaufinteressenten mit Kaufangeboten in Höhe von ….. bzw. … . Es sei auch zweifelhaft, ob die Grundstücke wirklich überschuldet seien. Die hohen Grundschulden der Landesbausparkasse valutierten lediglich noch mit … . Die übrigen Grundschulden seien „familienintern“ begründet worden. Schließlich sei die Verwertungsanordnung auch verhältnismäßig. Durch die Verwahrung und notwendige Sanierungsmaßnahmen entstünden hohe Kosten. Ohne die Verwertung fielen diese Kosten der Allgemeinheit zur Last.

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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten sowie die beigezogenen Behördenakten und die Gerichtsakten 3 L 1009/08.MZ, 3 L 1024/08.MZ, 3 K 10/09.MZ, 3 K 159/09.MZ, 3 K 1571/10.MZ und 3 K 1572/10.MZ verwiesen, die sämtlich Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist begründet.

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Das Verwaltungsgericht hätte der Klage stattgeben müssen, denn die Verwertungsanordnung vom 29. November 2010 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.

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In formell-rechtlicher Hinsicht ist der Bescheid vom 29. November 2010 allerdings nicht zu beanstanden, weil die Beklagte nach § 89 Abs. 1 des Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes (POG) zum Erlass ordnungsbehördlicher Verfügungen zuständig ist.

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Der Bescheid vom 29. November 2010 ist materiell rechtswidrig Die Beklagte kann sich auf die allein in Betracht kommende Ermächtigungsgrundlage nach § 24 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 POG nicht stützen. Denn die danach eröffnete Verwertung sichergestellter Sachen ist auf Immobilien - einschließlich des Eigentumsanteils an Grundstücken - nicht anwendbar.

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1. Ob die Sicherstellungsvorschriften nach §§ 22 bis 25 POG bereits insgesamt keine Anwendung auf unbewegliche Sachen finden, kann hier ebenso dahingestellt bleiben wie die Frage, ob eine polizeirechtliche Sicherstellung von Hausgrundstücken zur Vermeidung bauordnungswidriger Zustände nicht aufgrund des Vorrangs des Bauordnungsrechts ausgeschlossen ist. Denn die der Verwertungsanordnung vom 29. November 2010 zugrundeliegende Sicherstellungsverfügung vom 20. Oktober 2008 ist bestandskräftig.

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Insofern ist allerdings in der polizeirechtlichen Literatur anerkannt, dass unter Sache im Sinne von § 22 POG nicht nur bewegliche Sachen (z.B. Waffen, bissige Hunde oder aufgebrochene Kraftfahrzeuge), sondern auch Grundstücke, Räume oder Gebäude zu verstehen sind (vgl. Roos/Lenz, Polizei- und Ordnungsbehördengesetz Rh-Pf, 4. Aufl., 2011, § 22 Rn. 3; Rühle, Polizei- und Ordnungsrecht Rheinland-Pfalz, 3. Aufl. 2004, G Rn. 62; Rachor, in: Lisken/Denninger, Handbuch des Polizeirechts, 5. Aufl. 2012, E Rn. 671; Drews/Wacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986 S. 209). Als Beispiel wird etwa die Sicherstellung von Häusern im Falle eines Wohnungseinbruchs bei urlaubsbedingter Abwesenheit des Hauseigentümers genannt (vgl. Rühle/Suhr, Polizei- und Ordnungsbehördengesetz Rheinland-Pfalz, 2. Aufl. 2005, S. 291).

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Was die mögliche Spezialität bauordnungsrechtlicher Eingriffsbefugnisse anbelangt, ist der Ermächtigung in § 81 S. 1 LBauO zum Erlass von - evtl. durch unmittelbaren Zwang (Versiegelung oder andere Sicherungsmittel) zu vollstreckenden - Nutzungsuntersagungen nicht zu entnehmen, dass hierdurch jeglicher Rückgriff auf das allgemeine Ordnungsrecht ausgeschlossen sein sollte. Zwecks Ermöglichung einer effektiven Gefahrenabwehr spricht mehr dafür, dass die Ermächtigungen nach dem Bauordnungsrecht und dem Polizei- und Ordnungsrecht nebeneinander gelten (vgl. Lang, in: Jeromin, LBauO, 3. Aufl. 2012, § 81 Rn. 3; Schmidt, ebenda, § 59 Rn. 20) und das allgemeine Polizeirecht zumindest subsidiär anwendbar bleibt (so: Drews/Wacke/Vogel/Martens, a.a.O., S. 155). Auch der Hessische Verwaltungsgerichtshof hat die polizeirechtlichen Vorschriften über die Sicherstellung neben Maßnahmen der Vollstreckung bauaufsichtlicher Nutzungsuntersagungen für anwendbar erklärt (vgl. Beschluss vom 20. Januar 1981 - IV TH 1/81 -, NJW 1981, 2270 [Versiegelungsanordnung für illegale Hütte]; Beschluss vom 9. März 1993 - III TH 563/93 -, BRS 55, Nr. 204; a.A. OVG MVP, Beschluss vom 19. Juli 1994 - 3 M 12/94 -, NVwZ 1996, 488 und juris Rn. 19).

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Im vorliegenden Fall erging die Sicherstellungsverfügung vom 20. Oktober 2008 im Vorgriff auf die beabsichtigte Räumung der Häuser am 5. November 2008, die auch aus eigener Zuständigkeit der Ordnungsbehörde zur Abwehr unmittelbarer Gefahren für die Bewohner erfolgte. Gerade insofern lag es nahe, für diese Maßnahme eine polizeirechtliche Grundlage zu schaffen, um deren effektive Durchsetzung zu ermöglichen.

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2. Die wirksam vorgenommene Sicherstellung der beiden Hausgrundstücke berechtigt indessen nicht zu deren Verwertung. Die hierzu erforderliche ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung ist in § 24 POG nicht enthalten.

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a) Zwar erklärt § 24 Abs. 1 POG die Verwertung einer sichergestellten Sache unter näher aufgeführten Voraussetzungen für zulässig, ohne eine Beschränkung auf bewegliche Sachen besonders vorzusehen. Diese Auslegung ist jedoch aus systematischen Gründen geboten. Denn die Verwertungsermächtigung in § 24 Abs. 1 POG - mit der hierauf bezogenen Verpflichtung zur Anordnung der Verwertung in § 24 Abs. 2 Satz 2 POG - kann nicht unabhängig von der Regelung zur Durchführung der Verwertung ausgelegt werden. Fehlen hinreichende Verfahrensregelungen zur Durchführung der Immobiliarverwertung, macht eine dahingehende Anordnung keinen Sinn. Denn sie dürfte nicht ausgeführt werden.

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Die Durchführungsbestimmung in § 24 Abs. 3 POG ist nur auf bewegliche Sachen zugeschnitten. Wenn § 24 Abs. 3 Satz 1 HS 1 POG als Hauptverwertungsart die „öffentliche Versteigerung“ nennt, wird auf die Legaldefinition dieses Begriffs in § 383 Abs. 3 BGB verwiesen. Dabei handelt es sich um eine Vorschrift für die Versteigerung hinterlegungsunfähiger beweglicher Sachen durch den Gerichtsvollzieher oder einen anderen zur Versteigerung befugten Beamten oder öffentlich angestellten Versteigerer. Der Bezug lediglich zu beweglichen Sachen in § 24 Abs. 3 Satz 1 POG wird noch deutlicher, wenn in dessen Halbsatz 2 die Regelung in § 979 Abs. 1 BGB für entsprechend anwendbar erklärt wird. Diese Vorschrift betrifft die Verwertung von in Behörden gefundenen (beweglichen) Sachen im Wege öffentlicher Versteigerung, wobei den Behörden erlaubt wird, die Versteigerung auch durch einen ihrer Beamten vorzunehmen. Die Verweisung auf die Verwertung beweglicher Fundsachen kam im früheren Polizeirecht noch deutlicher zum Ausdruck, wenn es in § 13 Abs. 1 Satz 1 Polizeiverwaltungsgesetz RhPf vom 29. Juni 1973 (GVBl. S. 180) hieß: „Die Verwertung erfolgt durch Versteigerung gemäß § 979 Abs. 1 BGB.“ Neben der in Bezug genommenen öffentlichen Versteigerung weist schließlich auch der in § 24 Abs. 3 Satz 2 POG alternativ ermöglichte freihändige Verkauf der Sache Parallelen zum Mobiliarsachenrecht auf, etwa zu § 1221 BGB, der den freihändigen Verkauf des Pfandes anstelle des Verkaufs durch öffentliche Versteigerung (§ 1235 BGB) erlaubt.

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Sofern die Beklagte vorträgt, es sei widersprüchlich, einerseits die Sicherstellung unbeweglicher Sachen zu erlauben, dann jedoch deren Verwertung trotz Fortbestehens der Sicherstellungsvoraussetzungen auszuschließen, ist darauf hinzuweisen, dass eine dahingehende Verknüpfung nicht zwingend ist. So kann durchaus ein Anwendungsbedarf für die Sicherstellung von Hausgrundstücken angenommen werden, ohne damit zugleich die Möglichkeit eines zwangsweisen Eigentumsentzugs eröffnen zu wollen. Denn eine solche Sicherstellung kommt gerade als zeitlich begrenzte Maßnahme in Betracht, wenn etwa nach einem Hauseinbruch bei Abwesenheit des Hauseigentümers gegenwärtige Gefahren für die Immobilie abgewendet werden sollen. Bei einem derart vorübergehenden Zugriff auf das Grundstück scheidet ein Bedürfnis für dessen Verwertung von vornherein aus. Die Beschränkung der Verwertungsermächtigung auf bewegliche Sachen steht damit nicht in einem unüberbrückbaren Widerspruch zur - auch unbewegliche Sachen erfassenden - Ermächtigung zur Sicherstellung.

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b) Die Ermächtigung zur Verwertung sichergestellter Sachen in § 24 POG kann aber vor allem deshalb nicht auf bewegliche Sachen erstreckt werden, weil es hierzu einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung einschließlich der notwendigen Durchführungsbestimmungen bedürfte, an der es in § 24 Abs. 3 POG fehlt.

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Eine solche ausdrückliche Ermächtigung unter Einschluss der näheren Ausgestaltung der Immobiliarverwertung ist aufgrund der verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Eigentums geboten.

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Während die Sicherstellung von Sachen lediglich deren Besitz betrifft, bewirkt deren Verwertung den endgültigen Entzug des Eigentumsobjekts. Wenn dieser Entzug auch keine Enteignung darstellt, weil er nicht als Akt der Güterbeschaffung zur Erfüllung bestimmter öffentlicher Aufgaben dient (vgl. zum Enteignungsbegriff: BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 2001 - 1 BvR 1512/97 -, BVerfGE 104, 1 [9 f.] - Baulandumlegung -), so handelt es sich bei der Verwertung doch um einen massiven Eingriff in grundrechtlich geschütztes Eigentum, der in seiner Wirkung einer Enteignung gleichkommt. Dieser besonderen Wirkung des Grundrechtseingriffs ist bei der Ausgestaltung des einfachen Rechts Rechnung zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Januar 1991 - 1 BvR 929/89 - BVerfGE 83, 201 und juris Rn. 50).

32

Die Gewährleistung des Eigentums ist ein elementares Grundrecht. Es will den konkreten Bestand des Eigentums in der Hand des Eigentümers sichern. Es entspricht langjähriger, anfangs gerade für den hoheitlichen Eigentumsentzug im Wege der Zwangsversteigerung entwickelten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass die Garantiefunktion des Eigentumsgrundrechts nicht nur die Ausgestaltung des materiellen Rechts beeinflusst, sondern auch auf das zugehörige Verfahrensrecht einwirkt. Demgemäß folgt bereits unmittelbar aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG ein Anspruch auf eine faire Verfahrensführung. So ist der im Zwangsversteigerungsverfahren erfolgende schwerwiegende Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Eigentum des Schuldners zwar im Interesse der Gläubiger grundsätzlich gerechtfertigt. Im Rahmen des Verfahrens sind zugleich aber auch die Belange des Schuldners zu wahren, für den zumindest die Möglichkeit erhalten bleiben muss, sich gegenüber einer unverhältnismäßigen Verschleuderung seines Grundvermögens zu wehren (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. März 2012 - 2 BvR 2537/11 -, NJW 2012, 2500 und juris Rn. 14; Kammerbeschluss vom 7. Januar 2009 - 1 BvR 312/08 -, NJW 2009, 1259 und juris Rn. 12, jeweils mit umfangreichen Nachweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG). Der Gesetzgeber ist verpflichtet, die für die Grundrechtsausübung und -sicherung wesentlichen Fragen selbst zu regeln, dies gilt insbesondere für intensive Eingriffe in den grundrechtlich geschützten Bereich (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. August 1978 - 2 BvL 8/77 -, BVerfGE 49, 89 [127]; Jarass/Pieroth, GG, 11. Aufl. 2011, Art. 20 Rn. 48 m.w.N.).

33

§ 24 Abs. 3 POG lässt wesentliche Regelungen zum Ablauf des Verfahrens zum zwangsweisen Entzug von Grundstückseigentum vermissen. Dies macht ein Vergleich mit dem ebenfalls den zwangsweisen Entzug von Grundstückseigentum betreffenden Zwangsversteigerungsgesetz deutlich, das neben zentralen Regeln zum Gang des Verfahrens auch vielfältige Vorschriften enthält, die die Belange der Betroffenen, einschließlich derjenigen des Schuldners, wahren sollen: angefangen bei der Zuständigkeit eines Gerichts (§ 1 ZVG) über Regelungen zum Ablauf des Verfahrens (etwa die öffentliche Bekanntmachung und Ladung der Beteiligten zum Versteigerungstermin [§§ 39, 41 ZVG] mit der - dem Gläubigerschutz dienenden - Aufforderung zur Anmeldung nicht eingetragener Rechte [§ 37 Nr. 4 ZVG]), die dem Schutz des Eigentümers vor Verschleuderung des Grundstückseigentums dienende Vorschrift zum Mindestgebot (§ 85a ZVG) bis hin zu Regelungen über die Zuschlagsverhandlung (§ 74 ZVG), die Wirkung des Zuschlags (Grundstückserwerb außerhalb des Grundbuchs kraft Hoheitsakts [§ 90 ZVG]) und das Erlöschen von Rechten (§ 91 ZVG).

34

Die von der Beklagten zur Heilung des Regelungsdefizits in § 24 Abs. 3 POG vorgeschlagene analoge Anwendung der Vorschriften des Zwangsversteigerungsgesetzes verbietet sich bereits wegen der Pflicht des Gesetzgebers zur Regelung der wesentlichen Durchführungsbestimmungen für eine Immobiliarverwertung im Rahmen des polizeilichen Sicherstellungsrechts. Will man die deutliche Bezugnahme auf die Regelungen zur Verwertung beweglicher Sachen in § 24 Abs. 3 POG nicht bereits als „beredtes“ Schweigen des Gesetzgebers im Sinne des Ausschlusses der Ermächtigung für die Verwertung unbeweglicher Sachen verstehen, ist die analoge Anwendung des komplexen Regelungsgeflechts des Zwangsversteigerungsgesetzes aber auch deshalb ausgeschlossen, weil die darin enthaltenen Regelungen in zum Teil deutlichem Widerspruch zu Detailregelungen in § 24 POG stehen, der nur durch eine gesetzgeberische Entscheidung aufgelöst werden kann. Dies betrifft einmal die in § 24 Abs. 2 eröffnete Möglichkeit, den betroffenen Grundstückseigentümern die Anordnung sowie Zeit und Ort der Verwertung vorzuenthalten, soweit die Umstände und der Zweck der Maßnahme es erlauben. Die Beklagte hat angekündigt, von dieser Regelung hinsichtlich Zeit und Ort Gebrauch zu machen, um den Verwertungstermin unbeeinflusst von der Klägerin und ihren Angehörigen durchführen zu können. Diese Ermächtigung, die wiederum Parallelen im Mobiliarsachenrecht hat (§ 1237 S. 2 HS 2 BGB), ist im Zwangsversteigerungsgesetz unbekannt. Nach § 41 Abs. 1 ZVG ist der Versteigerungstermin allen Beteiligten, einschließlich des Eigentümers, bekanntzumachen (vgl. zum Recht des Schuldners auf Anwesenheit und Wahrnehmung seiner Verfahrensrechte im Versteigerungstermin: BVerfG, Kammerbeschluss vom 8. März 2012, a.a.O., juris Rn. 18). Ein die Analogie hindernder und gegebenenfalls nur vom Gesetzgeber aufzulösender Widerspruch zwischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetz und Zwangsversteigerungsgesetz besteht auch insofern, als das Zwangsversteigerungsgesetz die in § 24 Abs. 3 Satz 2 POG alternativ eröffnete Möglichkeit des freihändigen Verkaufs der sichergestellten Sache nicht kennt. Im Zwangsversteigerungsgesetz ist der zwangsweise Zugriff auf das Eigentumsobjekt auf das Verfahren der Versteigerung durch das Amtsgericht beschränkt, wobei eventuell mehrere Versteigerungstermine durchzuführen sind.

35

3. Durch die Versagung einer Verwertungsmöglichkeit für die sichergestellten Hausgrundstücke ist die Beklagte im Kern auf die Befugnisse zurückgeworfen, die ihr nach derzeitiger Rechtslage aufgrund baurechtlicher Ermächtigungen zur Verfügung stehen. Dabei handelt es sich einmal um den Erlass von Beseitigungs- und Nutzungsuntersagungsverfügungen nach § 81 LBauO mit der Möglichkeit der zwangsweisen Durchsetzung nach den Regeln des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes, die Anordnung sonstiger bauaufsichtlicher Maßnahmen nach § 59 Abs. 1 LBauO sowie den Erlass einer Abbruchverfügung, soweit das Gebäude „im Verfall begriffen“ ist (§ 82 LBauO). Schließlich kommt nach Bauplanungsrecht der Erlass eines Instandsetzungsgebots nach § 177 BauGB in Betracht. All diese Eingriffsermächtigungen leiden daran, dass im Falle von nicht kooperativen und nicht sanierungswilligen Eigentümern - wie hier - die Beseitigung der Missstände letztlich nur im Wege der Ersatzvornahme vorgenommen werden kann mit der Gefahr, dass die Allgemeinheit deren Kosten zu tragen hat, wenn ein Regress bei den Sanierungspflichtigen nicht möglich ist. Die bislang fehlende Möglichkeit des zwangsweisen Zugriffs auf verwahrloste Immobilien („Schrottimmobilien“) kann indes nicht durch Rückgriff auf eine hierfür nicht vorgesehene und von ihrem Regelungsgehalt her unangemessene Vorschrift des Polizeirechts eröffnet werden. Vielmehr ist der Gesetzgeber berufen, über derartige Eingriffsbefugnisse zu befinden. Die dahingehende Diskussion wird lebhaft geführt, bis hin zu dem Vorschlag, auf Bundesebene ein Enteignungsrecht zur Durchsetzung des bauplanungsrechtlichen Instandsetzungsgebots einzuführen, etwa auch in der Form der transitorischen Enteignung mit der Verpflichtung der Gemeinde zur alsbaldigen Weiterveräußerung der verwahrlosten Immobilie (so: Schmitz, ZfBR 2011, 641 [647]; umfassend: Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, Leitfaden zum Einsatz von Rechtsinstrumenten beim Umgang mit verwahrlosten Immobilien [„Schrottimmobilien“], 2009).

36

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

37

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils wegen der Kosten beruht auf §§ 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.

38

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

39

Beschluss

40

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Berufungsverfahren auf 114.749,99 € festgesetzt (§§ 47, 52 Abs. 1 GKG).

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