Beschluss vom Verwaltungsgericht Freiburg - PB 12 K 766/20

Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Gegenstandswert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

 
I.
Das Verwaltungsgericht Freiburg ist örtlich zuständig. Nach § 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 82 Satz 1 ArbGG ist im Beschlussverfahren das Gericht zuständig, in dessen Bezirk die Dienststelle liegt. Daraus folgt, dass bei der Verselbständigung einer Nebenstelle oder eines Teils einer Dienststelle nach § 6 Abs. 3 Satz 1 BPersVG in der Regel der Sitz der Nebenstelle oder des Teils der Dienststelle für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit entscheidend ist. Neben der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts am Sitz der Nebenstelle oder des Dienststellenteils ist (auch) von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts an dem Sitz der Dienststelle auszugehen. Bei einer örtlichen Zuständigkeit mehrerer Verwaltungsgerichte besteht ein Wahlrecht des jeweiligen Antragstellers, welches Gericht er anruft (OVG Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.03.2002 - 1 A 1118/01.PVB - juris). Dieses Wahlrecht haben die Antragsteller im vorliegenden Verfahren dergestalt ausgeübt, dass sie das Verwaltungsgericht Freiburg angerufen haben.
Eine Vorabentscheidung über die örtliche Zuständigkeit gemäß § 17a Abs. 3 GVG erfolgt nicht, da im vorliegenden Einzelfall eine schnelle Entscheidung geboten ist (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 02.03.2000 - 2 M 105/99 - NVwZ 2001, 446; VG Neustadt, Beschluss vom 20.02.2006 - 4 L 210/06.NW - juris).
Die Kammer entscheidet wegen der Dringlichkeit des vorliegenden Eilverfahrens ohne mündliche Verhandlung (§ 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. §§ 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG, 937 Abs. 2 ZPO). Ferner kann gemäß § 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. §§ 85 Abs. 2 Sätze 1 und 2 ArbGG und 944 ZPO deshalb auch der Vorsitzende alleine entscheiden. Allerdings gilt nach § 83 Abs. 2 BPersVG i.V.m. § 85 Abs. 2 Satz 2 ArbGG für den Erlass einer einstweiligen Verfügung das Achte Buch der Zivilprozessordnung über die einstweilige Verfügung entsprechend mit der Maßgabe, dass die Entscheidung durch Beschluss der Kammer ergeht. Das schließt aber nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (vgl. VGH Bad.-Württ. Beschluss vom 21.02.2005 - PL 15 S 434/05 - PersV 2005, 435 - juris) die Anwendung der zum Achten Buch gehörende Vorschrift des § 944 ZPO nicht aus. Danach kann der Vorsitzende über Gesuche auf Erlass einstweiliger Verfügungen, sofern deren Erledigung nach § 937 Abs. 2 ZPO eine mündliche Verhandlung nicht erfordert, in dringenden Fällen anstatt des Gerichts entscheiden (ebenso: VG Ansbach, Beschluss vom 16.03.2016 - AN 7 PE 16.00379 - juris-Rn. 40; VG Mainz, Beschluss vom 13.06.2007 - 2 L 412/07.MZ - juris). Dem entspricht es auch, dass nach § 53 Abs. 1 ArbGG bei Entscheidungen außerhalb der mündlichen Verhandlung der Vorsitzende allein entscheidet.
Vorliegend ist ein dringender Fall gegeben. Spätester Termin für den Erlass des Wahlausschreibens ist nach dem unbestrittenen Vortrag der Antragsteller der 19.02.2020. In der Kürze der Zeit ist ein sachgerechtes Tätigwerden des gesamten Spruchkörpers, dessen Einberufung und Beschlussfassung mit erheblichen Zeitverlusten verbunden wäre, schon aus organisatorischen Gründen nicht mehr möglich.
II.
Die Antragsteller begehren, im Wege der einstweiligen Verfügung festzustellen, dass am 02.04.2020 ein Örtlicher Personalrat der gemeinsam verselbständigten Dienstorte Freiburg, Offenbach und Friedberg der Generalzolldirektion zu wählen sei, und den Wahlvorstand zu verpflichten, das Ergebnis der - auf der Grundlage des § 6 Abs. 3 BPersVG abgehaltenen - Vorabstimmung zu berücksichtigen.
Dieser Antrag bleibt indes ohne Erfolg. Dabei kann dahinstehen, ob alle Antragsteller antragsbefugt sind und alle weiteren Beteiligten die Beteiligteneigenschaft besitzen. Denn der Antrag kann jedenfalls in der Sache keinen Erfolg haben. Im Einzelnen:
1. Nach § 92 Abs. 2 LPVG i.V.m. § 85 Abs. 2 Satz 1 ArbGG ist der Erlass einer einstweiligen Verfügung in Personalvertretungssachen grundsätzlich statthaft. Dabei müssen entsprechend den §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO Verfügungsanspruch und Verfügungsgrund glaubhaft gemacht werden. Das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes ist jedoch auf vorläufige Regelungen beschränkt; eine Vorwegnahme der Entscheidung in der Hauptsache ist grundsätzlich ausgeschlossen. Eine Vorwegnahme der Hauptsache ist nur ausnahmsweise aufgrund des Gebotes des effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG zulässig, wenn ein wirksamer Rechtsschutz im Hauptsacheverfahren nicht mehr erreichbar wäre und dies für den Antragsteller zu schlechthin unzumutbaren Folgen führen würde, insbesondere wenn die Versagung der Anordnung zu einem irreparablen Zustand führen würde (vgl. Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG, 13. Aufl., § 83 Rn. 25g).
Im vorliegenden Verfahren ist zu beachten, dass der Antrag vorbeugend im Vorfeld einer Personalratswahl gestellt ist und der gerügte Fehler zugleich einen Wahlanfechtungsgrund gemäß § 25 BPersVG darstellen würde. Grundsätzlich hat das Wahlanfechtungsverfahren Vorrang, sodass Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Hinblick auf eine erst noch bevorstehende Wahl nur unter engen Voraussetzungen zulässig sind. Denn um Wahlverstöße zu rügen, hat der Gesetzgeber ausdrücklich das Anfechtungsverfahren in § 25 BPersVG vorgesehen. Damit hat er zum Ausdruck gebracht, dass im Regelfall nicht in eine bevorstehende oder bereits laufende Wahl mittels eines Rechtsmittels eingegriffen werden soll. Allerdings sind auch Ausnahmen denkbar, wenn der Verstoß gegen Wahlgrundsätze derart eklatant ist, dass es letztlich nicht hinnehmbar und unzumutbar wäre, sehenden Auges eine Wahl mit einem solchen offenkundigen Fehler durchführen zu lassen (VG Mainz, Beschluss vom 13.06.2007 - 2 L 412/07.MZ - - juris; VG Berlin, Beschluss vom 13.05.2014 - 72 L 4.14 PVB - juris; vgl. auch VG Ansbach, Beschluss vom 16.03.2016 - AN 7 PE 16.00379 - juris; Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG, 13. Aufl., § 25 Rn. 43; Altvater/Hamer/Ohnesorg/Peiseler; BPersVG, 5. Aufl., § 25 Rn. 24f.).
2. Einen Verfügungsanspruch, der diesen Anforderungen genügen würde, haben die Antragsteller nicht glaubhaft gemacht. Die hier im Streit stehende Wahl leidet nicht unter - schon jetzt feststellbaren - eindeutigen Fehlern, die derart gravierend sind, dass die weitere Durchführung der Wahl aus Sicht der Antragsteller nicht hingenommen werden kann. Im Gegenteil spricht Überwiegendes dafür, dass eine gemeinsame Verselbständigung der Dienstorte Freiburg, Offenbach und München nicht zulässig wäre.
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a) Schon nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 BPersVG ist eine gemeinsame Verselbständigung mehrerer Nebenstellen und Teile einer Dienststelle nicht vorgesehen (vgl. Altvater/Hamer/Ohnesorg/Peiseler; BPersVG, 5. Aufl., § 6 Rn. 12). Nach dieser Vorschrift gelten Nebenstellen und Teile einer Dienststelle, die räumlich weit von dieser entfernt sind, als selbständige Dienststellen, wenn die Mehrheit der Beschäftigten dies in geheimer Abstimmung beschließt. Eine Ermächtigung, mehrere Nebenstellen und Teile einer Dienststelle gemeinsam zu verselbständigen, sie also in personalvertretungsrechtlicher Hinsicht zusammen wie eine selbständige Dienststelle zu behandeln, lässt sich der Vorschrift nicht entnehmen. Darin unterscheidet sich im Übrigen die Regelung des Bundespersonalvertretungsgesetzes vom baden-württembergischen Landesrecht, das die gemeinsame Verselbständigung ausdrücklich zulässt (§ 5 Abs. 3 und Abs. 4 LPVG).
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b) Allerdings wird in der Rechtsprechung teilweise vertreten, dass eine gemeinsame Verselbständigung mehrere Nebenstellen oder Teile einer Dienststelle dann zulässig sein soll, wenn diese einen Dienststellenleiter haben, bei dem alle Kompetenzen liegen, die dort für deren Beschäftigte wahrgenommen werden können (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 08.02.2000 - 4 B 10148/00 - juris). Diese Voraussetzung ist hier indes nicht erfüllt. Es ist nicht dargetan, dass die Dienstorte Freiburg, Offenbach und Friedberg einen gemeinsamen Dienststellenleiter in diesem Sinne hätten.
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Diese Rechtsprechung steht im Übrigen nicht im Widerspruch zu der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach eine wirksame Verselbständigung nicht voraussetzt, dass dem Leiter der Nebenstelle oder des Dienststellenteils ein Minimum an personalvertretungsrechtlich relevanten Befugnissen zusteht (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 29.05.1991 - 6 P 12.89 - BVerwGE 88, 233 und vom 26.11.2008 - 6 P 7.08 - BVerwGE 132, 276). Denn diesen Entscheidungen liegt jeweils die Verselbständigung einer einzelnen Nebenstelle oder eines Teils einer Dienststelle zugrunde. In diesem Fall fordert § 6 Abs. 3 BPersVG lediglich eine weite räumliche Entfernung zur Hauptdienststelle und einen entsprechenden Beschluss der Mehrheit der wahlberechtigten Beschäftigten. Anders liegt es im vorliegenden Fall, in dem es nicht um die Frage geht, ob eine Nebenstelle oder ein Dienststellenteil verselbständigt werden darf, sondern darum, ob mehrere Nebenstellen oder Teile einer Dienststelle über den Gesetzeswortlaut hinaus ausnahmsweise gemeinsam verselbständigt werden können.
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c) Gegenteiliges lässt sich schließlich auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts Köln (VG Köln, Beschluss vom 13.03.2009 - 33 K 3590/08.PVB - juris) nicht entnehmen, auf die sich die Antragsteller berufen. Selbst wenn man eine gemeinsame Verselbständigung mehrerer Dienstellenteile oder Nebenstellen grundsätzlich für zulässig halten wollte, steht hier die große Entfernung zwischen den Dienstorten Freiburg, Offenbach und Friedberg einer gemeinsamen Verselbständigung entgegen.
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Die Dienstorte Freiburg, Offenbach und Friedberg befinden sich noch nicht einmal im selben Bundesland. Von Freiburg aus gesehen liegen die weiteren Dienstorte Offenbach und Friedberg über 270 bzw. knapp 300 Kilometer entfernt. Legt man die Angaben der Antragsteller zugrunde, beträgt die Fahrzeit von Freiburg nach Offenbach etwa 2 Stunden und 30 Minuten und nach Friedberg etwa 3 Stunden.
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Bei derart großen Entfernungen zwischen Nebenstellen oder Teilen einer Dienststelle würde eine gemeinsame Verselbständigung dem Gesetzeszweck des § 6 Abs. 3 BPersVG zuwiderlaufen. Die Verselbständigung nach § 6 Abs. 3 BPersVG setzt voraus, dass die Nebenstelle oder der Dienststellenteil von der Hauptdienststelle räumlich weit entfernt liegt und dass die Beschäftigten einen Verselbständigungsbeschluss fassen. In diesem Fall gelten die Nebenstellen bzw. Dienststellenteile als Dienststellen, ohne dass die strengen organisatorischen Maßstäbe angelegt werden, die sonst gemäß § 6 Abs. 1 und 2 BPersVG für die Personalratsfähigkeit von Dienststellen zu beachten sind. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass bei räumlich weit entfernt liegenden Nebenstellen und Dienststellenteilen die Kommunikation der Beschäftigten untereinander und der Kontakt zur Hauptdienststelle sowie zum dortigen Personalrat erheblich erschwert wird. Mit der Verselbständigung auf Wunsch der Beschäftigten sollen diese Mängel verringert werden. Durch die danach geschaffene räumliche Nähe zwischen Personalrat und Beschäftigten soll nicht nur der Kontakt untereinander verbessert, sondern auch eine gute und ausreichende Betreuung der Beschäftigten gewährleistet werden (BVerwG, Beschlüsse vom 29.05.1991 - 6 P 12.89 - BVerwGE 88, 233 und vom 26.11.2008 - 6 P 7.08 - BVerwGE 132, 276; VG Köln, Beschluss vom 13.03.2009 - 33 K 3590/08.PVB - juris).
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Dieser Zweck kann ersichtlich nicht erreicht werden, wenn wie hier Nebenstellen oder Teile einer Dienststelle gemeinsam verselbständigt werden sollen, die bis zu ca. 300 Kilometer voneinander entfernt liegen und nur nach mehrstündigen Fahrten erreicht werden können. Damit würde das Ziel des § 6 Abs. 3 BPersVG verfehlt werden. Eine räumliche Nähe zwischen Personalrat und Beschäftigten, durch die der Kontakt untereinander verbessert und eine gute und ausreichende Betreuung der Beschäftigten gewährleistet werden kann, kann in einem solchen Fall durch eine gemeinsame Verselbstständigung nicht geschaffen werden.
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Dies verdeutlicht die folgende Hilfserwägung: Wenn es sich bei dem Dienstort Freiburg um den Sitz der Hauptdienststelle handeln würde, läge nach Offenbach und Friedberg ein weite Entfernung im Sinne des § 6 Abs. 3 BPersVG vor, die es diesen Nebenstellen oder Teilen einer Dienststelle ermöglichen würde, sich zu verselbständigen. Denn schon bei einer Entfernung von mehr als 20 Kilometern spricht eine allgemeine Vermutung dafür, dass der Kontakt zwischen der Personalvertretung und den Beschäftigten nicht mehr in dem gebotenen Umfang möglich ist (vgl. Altvater/Hamer/Ohnesorg/Peiseler; BPersVG, 5. Aufl., § 6 Rn. 11). Jedenfalls aber ab einer Entfernung von mehr als 80 Kilometern und einer Fahrzeit von mehr als einer Stunde ist es grundsätzlich nicht mehr möglich, den „Wegeaufwand“ in angemessenen Grenzen zu halten (vgl. Ilbertz/Widmaier/Sommer, BPersVG, 13. Aufl., § 6 Rn. 21). Diese noch als zumutbar angesehenen Werte sind hier mit Entfernungen von ca. 270 bzw. 300 Kilometern und Fahrzeiten von ca. 2,5 bzw. 3 Stunden deutlich überschritten.
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Die Festsetzung des Gegenstandswerts beruht auf §§ 33 Abs. 1 und 8, 23 Abs. 3 Satz 2 RVG. Anhaltspunkte für eine Erhöhung oder Herabsetzung dieses Wertes bestehen nicht.
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Eine Kostenentscheidung entfällt im personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren.

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