| Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung und damit verbundene Regelungen und begehrt die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis. |
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| Der Kläger ist nach seinen eigenen Angaben am XXX1997 in Asmara, Eritrea geboren und eritreischer Staatsangehöriger. Nach den Feststellungen des Amtsgerichts XXX im Urteil vom 29.07.2019 - 1 Ls 21 Js 2614/19 - wuchs er mit drei älteren Schwestern in Eritrea bei seinen Eltern auf. Der Vater sei verstorben, als der Kläger fünf Jahre alt gewesen sei. Er habe die Schule bis zur fünften Klasse besucht und als Kind unter gesundheitlichen Problemen gelitten. Nach der Schulzeit habe er in der Landwirtschaft der Eltern gearbeitet. Im April 2014 habe er Eritrea verlassen, um dem Wehrdienst zu entgehen. |
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| Der Kläger reiste nach Lage der Akten entweder am 01.08.2014 oder am 05.08.2014 erstmals in das Bundesgebiet ein und stellte am 03.09.2014 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einen Asylantrag. Mit Bescheid vom 06.01.2016 erkannte das Bundesamt dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zu. Ab dem 01.03.2016 bis zum 28.02.2019 war der Kläger im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis. Am 10.01.2019 stellte er den Antrag, seine Aufenthaltserlaubnis zu verlängern. Am 11.02.2019 wurde ihm eine Fiktionsbescheinigung ausgestellt. |
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| Der Kläger machte bei seiner Einreise gegenüber der Bundespolizei andere Angaben zu seinem Geburtsdatum und der Schreibweise seines Namens als gegenüber dem Bundesamt. In der Folge wurde er im Ausländerzentralregister unter zwei verschiedenen Registernummern (AZR-Nr. XXX und AZR-Nr. XXX) geführt. Mit Bescheid vom 02.01.2017 wies das Regierungspräsidium Karlsruhe den - mit seinem alias-Namen bezeichneten - Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer I), befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf fünf Jahre ab dem Zeitpunkt der Ausreise und für den Fall der Abschiebung auf zwei Jahre (Ziffer 2.). Schließlich wurde der Kläger zur Ausreise innerhalb zwei Wochen nach Zustellung aufgefordert und ihm die Abschiebung nach Eritrea angedroht (Ziffer 3.). Dem Bescheid wurde die Annahme zu Grunde gelegt, der Kläger sei nach seiner Einreise am 01.08.2014 nach Schweden weitergereist, ohne einen Asylantrag gestellt zu haben. Die Ausweisung und ihre Rechtsfolgen wurden im Wesentlichen auf §§ 53, 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG gestützt. Der Kläger sei entgegen § 14 AufenthG ohne Aufenthaltstitel in Form eines Sichtvermerks (Visum) in das Bundesgebiet eingereist, habe entgegen §§ 13, 14 AsylG kein Asylverfahren betrieben und sei seiner Meldepflicht nach § 22 Abs. 1 AsylG nicht nachgekommen. Daher sei der nachfolgende Aufenthalt illegal gewesen und der Tatbestand des § 95 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG verwirklicht. Mit Bescheid vom 13.05.2022 nahm das Regierungspräsidium Karlsruhe den Bescheid vom 02.01.2017 zurück. |
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| Nach den weiteren Feststellungen des Amtsgerichts XXX aus dem Urteil vom 29.07.2019 (a.a.O.) besuchte der Kläger nach der Anerkennung der Flüchtlingseigenschaft verschiedene Sprachkurse und ein Berufsvorbereitungsjahr. Die Hauptschule schloss er nicht ab. Er habe Probleme mit dem Lesen und Schreiben, nehme weder Medikamente noch Drogen, trinke an den Wochenenden jedoch öfters Alkohol. Seit November 2018 sei er über eine Zeitarbeitsfirma in einem größeren Betrieb in XXX als Arbeiter beschäftigt gewesen. |
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| Ausweislich des Urteils des Amtsgerichts XXX vom 29.07.2019 (a.a.O.) und des Bundeszentralregisterauszugs vom 02.05.2022 (trat der Kläger bislang wie folgt strafrechtlich in Erscheinung: |
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| - Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 10 Tagessätzen zu je 10,00 EUR wegen Diebstahls durch das Amtsgericht XXX mit Strafbefehl vom 23.03.2018 - 6 Cs 16 Js 1535/18 -, rechtskräftig seit 28.04.2018. Der Verurteilung lag der Diebstahl von 13 Flaschen Bier am 05.01.2018 in einem Lebensmittelmarkt zu Grunde. |
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| - Verurteilung zu einer Geldstrafe in Höhe von 50 Tagessätzen zu je 10,00 EUR wegen sexueller Belästigung durch das Amtsgericht XXX mit Strafbefehl vom 22.01.2019 - 1 Cs 21 Js 14899/18 300 VRs -, rechtskräftig seit 12.03.2019. Der Verurteilung lag der folgende Sachverhalt zu Grunde: |
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| Der Kläger setzte sich am 14.09.2018 neben die im Schneidersitz auf einer Bank am Busbahnhof XXX sitzende Geschädigte. Nachdem diese das Angebot, ihn näher kennenzulernen, zurückwies, fasste er die Geschädigte zunächst an ihren Fuß und sodann an ihren rechten Oberschenkel. Nachdem die Geschädigte aufstand und weggehen wollte, fasste er ihr mit der Hand zwischen die Beine in den Schritt, um sie wieder zu sich zu ziehen. Die Geschädigte fühlte sich hierdurch belästigt und flüchtete hilfesuchend in ein nahegelegenes Café. |
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| Der Kläger wurde am 03.03.2019 vorläufig festgenommen und mit Haftbefehl des Amtsgerichts XXX vom 04.03.2019 wegen der Tat, die der streitgegenständlichen Ausweisung zu Grunde liegt, am selben Tage in Untersuchungshaft genommen. Das Amtsgericht XXX verurteilte ihn wegen sexuellen Übergriffs und Vergewaltigung mit Urteil vom 29.07.2019 (a.a.O.), rechtskräftig seit 06.08.2019, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten, die der Kläger bis zu seiner Entlassung am 26.08.2021 in vollem Umfang in der Justizvollzugsanstalt XXX verbüßte. Der Verurteilung ging eine Verständigung nach § 257c StPO voraus, in deren Rahmen der Kläger die Tat gestand und die Geschädigte nicht als Zeugin gehört werden musste. Dem Urteil lag der folgende Sachverhalt zu Grunde: |
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| In der Nacht vom 02. auf den 03.03.2019 - dem Fastnachtswochenende - traf der Kläger nachts gegen 02:30 Uhr in der Innenstadt von T. auf die damals 23 Jahre alte Geschädigte, die an einer psychischen Erkrankung litt und unter gesetzlicher Betreuung stand. Die Geschädigte trug einem Schlafanzug ähnliche Kleidung und Sandalen. Der Kläger und die Geschädigte kamen ins Gespräch und nahmen auf einer Bank an der Donau Platz. Er hatte Gefallen an der Geschädigten gefunden und wollte sexuelle Handlungen mit ihr vornehmen. Auf der Bank zog er ihr die Hose herunter, fasste mit seiner Hand in ihre Unterhose hinein und berührte sie im Scheidenbereich. Die Geschädigte erklärte mehrfach, dass sie das nicht wolle. Der Kläger nahm daraufhin seine Hand zurück. Die Geschädigte und der Kläger begaben sich dann zu einem nahegelegenen Fußballfeld. Dort entschloss sich der Kläger, mit der Geschädigten den Geschlechtsverkehr zu vollziehen. Als er sich der Geschädigten näherte, versuchte diese erfolglos, ihn abzuwehren. Er entkleidete sich und zog der Geschädigten Hose, Unterhose und Sweatshirt aus. Die Geschädigte versuchte weiterhin, sich gegen den Kläger zu wehren und geriet dabei in Rückenlage. Aufgrund der erheblichen Gegenwehr, gelang es dem Kläger nicht, mit seinem Penis in ihre Scheide einzudringen. Kurzzeitig führte er jedoch seinen Finger in ihren After ein. Aufgrund der Hilferufe wurde ein Zeuge auf die Geschädigte aufmerksam und eilte ihr zu Hilfe. Der Kläger ließ daraufhin von der Geschädigten ab, weil er erkannte, dass er den Geschlechtsverkehr nicht mehr mit ihr vollziehen konnte. Er flüchtete und wurde kurze Zeit später von der Polizei in der Innenstadt vorläufig festgenommen. |
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| Mit Schreiben vom 10.10.2019 hörte das Regierungspräsidium Freiburg den Kläger zur beabsichtigten Ausweisung an. Mit handschriftlichem Schreiben, am 29.10.2019 beim Regierungspräsidium Freiburg eingegangen, führte der Kläger - soweit les- und nachvollziehbar - aus, er wolle nicht abgeschoben werden. Er habe keine Lebensgrundlage in Eritrea. Es gebe dort für ihn keine Zukunft und keine Freiheit. Die Polizei habe dort nach ihm gesucht. Er sei nun fünf Jahre in Deutschland und habe alles versucht. |
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| Mit Bescheid vom 11.12.2019 wies das Regierungspräsidium Freiburg den Kläger aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer I), lehnte den Antrag auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis vom 11.02.2019 ab (Ziffer II) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot auf sieben Jahre ab der Ausreise bzw. der Abschiebung (Ziffer III). Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, aufgrund der Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten durch das Amtsgericht XXX liege nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor. Durch die begangenen Straftaten habe er die öffentliche Sicherheit und Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland in besonders schwerwiegender Weise beeinträchtigt. Aufgrund der ihm zuerkannten Flüchtlingseigenschaft seien die erhöhten Anforderungen des § 53 Abs. 3a AufenthG zu beachten. Er dürfe daher nur ausgewiesen werden, wenn er aus schwerwiegenden Gründen als eine Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eine terroristische Gefahr anzusehen sei oder er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle, weil er wegen einer schweren Straftat rechtskräftig verurteilt worden sei. Die Ausweisung ohne Abschiebungsandrohung verfolge das Ziel, eine Titelerteilungssperre und eine Einreisesperre zu begründen. Eine entsprechende Regelung finde sich in Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie). Einem Ausländer, dem die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden sei, müsse eine Aufenthaltserlaubnis dann nicht erteilt werden, wenn zwingende Gründe der nationalen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung dem entgegenstehen. Dies setze indes nicht das Vorliegen einer besonders schweren Straftat voraus. Unter Rückgriff auf § 60 Abs. 1 Satz 2, Abs. 8 Satz 1 AufenthG könne unter den dort genannten Voraussetzungen auch eine inlandsbezogene Ausweisung gerechtfertigt werden. Von der Anwendung des § 60 Abs. 1 AufenthG könne danach abgesehen werden, wenn der Ausländer eine Gefahr für die Allgemeinheit bedeute, weil er wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die sexuelle Selbstbestimmung, das Eigentum oder wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden sei, sofern die Straftat mit Gewalt, unter Anwendung von Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben oder mit List begangen worden sei oder eine Straftat nach § 177 StGB sei. Sei unter diesen Voraussetzungen selbst eine Abschiebung möglich, sei erst recht eine inlandsbezogene Ausweisung gerechtfertigt. Diese Voraussetzungen seien durch die Verurteilung u.a. wegen des Verbrechens der Vergewaltigung erfüllt. Diese stelle eine schwere Straftat i.S.d. § 53 Abs. 3a AufenthG dar. |
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| Im Falle des Klägers sei auch von einer hinreichend wahrscheinlichen Wiederholungsgefahr auszugehen, weil er innerhalb kurzer Zeit nach der Verurteilung wegen sexueller Belästigung aufgrund eines ähnlichen Sachverhalts wieder wegen eines massiven sexuellen Übergriffs straffällig geworden sei. Dies begründe eine erhebliche kriminelle Energie, welche die Annahme rechtfertige, dass er auch in Zukunft Straftaten ähnlicher Art und Schwere begehen werde. Das strafmildernd berücksichtigte Geständnis könne - auch auf Grund der erdrückenden Beweislage - das kriminelle Gewicht des Fehlverhaltens nicht relativieren und die Wiederholungsgefahr nicht ausräumen oder mindern. Das Gleiche gelte für die die vom Gericht angenommene überdurchschnittliche Haftempfindlichkeit und das zu seinen Gunsten angenommene ambivalente Opferverhalten. Der Kläger habe sich unter Anwendung von Gewalt über den eindeutigen Willen der Geschädigten hinweggesetzt. Dies offenbare eine von Rücksichtslosigkeit geprägte Persönlichkeitsstruktur, die auch unter der von einer längeren Inhaftierung möglicherweise ausgehenden positiven Wirkungen die Annahme begründe, dass er wieder Straftaten ähnlicher Art und Schwere begehen werde. Eine besondere, einmalige Ausnahmesituation bei Begehung der Tat sei nicht ersichtlich. Im Übrigen seien an eine drohende Wiederholungsgefahr aufgrund der bedrohten Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit und der sexuellen Selbstbestimmung keine allzu hohen Anforderungen zu stellen. Der Kläger habe in seiner Stellungnahme im Wesentlichen Asylgründe geschildert, jedoch keine Umstände, die im Hinblick auf die Ausweisung eine andere Wertung zuließen. Im Rahmen der nach § 53 Abs. 1 AufenthG vorzunehmenden Abwägung, bei der die nach § 53 Abs. 2 AufenthG aufgeführten Umstände einzubeziehen seien, überwiege das Ausweisungsinteresse ebenfalls das Bleibeinteresse. Es liege weder ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 AufenthG noch ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 AufenthG vor. Aufgrund der Ablehnung des Verlängerungsantrags vom 11.02.2019 könne der gegenwärtige Aufenthalt nicht mehr als rechtmäßig i.S.d. § 55 Abs. 3 AufenthG gewertet werden. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 AufenthG lägen daher nicht vor. |
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| Im Übrigen sei zur Abwägung auszuführen, dass der Kläger sich seit 2014 als anerkannter Flüchtling in Deutschland aufhalte und durch eine sozialversicherungspflichtige Tätigkeit eine gewisse wirtschaftliche Integration erfolgt sei. Er könne sich auch auf Deutsch verständigen. Er sei aber mit intensiven Prägungen seines Herkunftslandes aufgewachsen. Dort habe er auch den Großteil seines Lebens verbracht und es lebten auch noch Familienangehörige dort. Dem relativ kurzen Aufenthalt im Bundesgebiet stehe die Schwere des abgeurteilten Fehlverhaltens entgegen. Die mit der Ausweisung verbundenen Nachteile stünden nicht in einem unangemessenen Verhältnis zum bezweckten Erfolg. Die Ausweisung sei auch mit dem Schutz des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK vereinbar. Bei der insoweit nach Art. 8 Abs. 2 EMRK vorzunehmenden Abwägung erscheine der Eingriff in den Schutz des Privat- und Familienlebens nicht als unverhältnismäßig. Der Kläger habe keine familiären Bindungen in Deutschland. Auch im Übrigen sei die Ausweisung angesichts der vom Kläger ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geeignet, erforderlich und angemessen. |
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| Aufgrund der zuerkannten Flüchtlingseigenschaft werde auf den Erlass einer Abschiebungsandrohung verzichtet, was eine Ausweisung indes nicht ausschließe. Die Ausweisung sei auch nicht deshalb zu unterlassen, weil die Abschiebung unmöglich sei. Eine Ausweisung könne nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ihren ordnungsrechtlichen Zweck auch dann erreichen, wenn sie nicht zu einer Abschiebung des Ausländers führe, sondern nur eine Verschlechterung seiner aufenthaltsrechtlichen Position im Bundesgebiet bewirke. Die Rechtswirkungen einer bestehenden Ausreisepflicht bei gleichzeitiger Duldung seien angesichts der damit einhergehenden Einschränkungen durchaus geeignet, auch Ausländern, die nicht abgeschoben werden könnten, deutlich vor Augen zu führen, dass ihr strafbares Verhalten nicht folgenlos bleibe. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit werde schließlich durch die Befristung der Wirkungen der Ausweisung Rechnung getragen. |
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| Mit der Ausweisungsentscheidung sei zugleich auch die am 11.02.2019 beantragte Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis wegen der Sperrwirkung des § 11 Abs. 1 AufenthG abzulehnen. Die Voraussetzungen des Kapitels 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes, die zur Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 AufenthG führten oder gar ein Absehen von der Ausweisung gebieten würden, lägen ebenfalls nicht vor. |
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| Hinsichtlich des Einreise- und Aufenthaltsverbots führte das Regierungspräsidium Freiburg aus, dass die verhängte Sperrfrist erforderlich und angemessen sei, um dem in der Person des Klägers liegenden Gefahrenpotential Rechnung tragen zu können. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bedürfe es in einem ersten Schritt der prognostischen Einschätzung im jeweiligen Einzelfall, wie lange das Verhalten des Betroffenen, das der zu spezialpräventiven Zwecken verfügten Ausweisung zugrunde liegt, das öffentliche Interesse an der Gefahrenabwehr zu tragen vermöge. Die so zu ermittelnde Höchstfrist müsse sich dann an höherrangigem Recht messen lassen und sei ggf. zu reduzieren. Die Höchstfrist von fünf Jahren aus § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG sei wegen der verhängten Strafe ohne Bedeutung. Vom Kläger gehe gegenwärtig eine besonders schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus. Insoweit werde auf die Ausführungen zum Ausweisungsinteresse, zu der von ihm ausgehenden Wiederholungsgefahr und zu der vorgenommenen Interessenabwägung Bezug genommen. Um dem Gefahrenpotenzial Rechnung tragen zu können, sei eine Sperrfrist von sieben Jahren erforderlich und angemessen. |
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| Mit Bescheid vom 11.02.2021 widerrief das Bundesamt die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Die hiergegen beim Verwaltungsgericht Sigmaringen erhobene Klage nahm der Kläger teilweise zurück. Im Übrigen verpflichtete das Verwaltungsgericht Sigmaringen mit rechtskräftigem Urteil vom 25.01.2022 - A 1 K 2305/21 - die Bundesrepublik Deutschland, ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG bezüglich Eritrea festzustellen. Dieser Verpflichtung kam das Bundesamt mit Bescheid vom 16.03.2022 nach. |
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| Das Regierungspräsidium Freiburg hörte den Kläger mit Schreiben vom 20.04.2022 zu einer beabsichtigten ergänzenden Abschiebungsandrohung an. Mit Bescheid vom 11.05.2022 ergänzte das Regierungspräsidium Freiburg den Bescheid vom 11.12.2019 um eine Abschiebungsandrohung unter Ziffer IV.: |
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| „Ihnen wird die Abschiebung in einen beliebigen Staat, in den Sie einreisen dürfen oder der zu Ihrer Übernahme verpflichtet ist, auf Ihre Kosten ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht. Sie dürfen jedoch nicht nach Eritrea abgeschoben werden. Für den Fall, dass das durch Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.03.2022 festgestellte Abschiebungsverbot in Bezug auf Eritrea vollziehbar widerrufen wird, wird Ihnen die Abschiebung nach Eritrea angedroht. Für diesen Fall werden Sie darauf hingewiesen, dass Sie auch in einen anderen Staat abgeschoben werden können, in den Sie einreisen dürfen oder der zu Ihrer Übernahme verpflichtet ist.“ |
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| Zur Begründung führte es aus, die nachträgliche Abschiebungsandrohung finde ihre Rechtsgrundlage in § 59 AufenthG i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG. Unschädlich sei die fehlende Angabe eines Zielstaats. Es handele sich auch nicht um eine Abschiebungsandrohung auf Vorrat. Es sei dem Kläger die Abschiebung nach Eritrea lediglich für den Fall angedroht worden, dass das festgestellte Abschiebungsverbot in Bezug auf Eritrea vollziehbar widerrufen werde. Auch sei im Falle des Klägers eine freiwillige Ausreise nach Eritrea nicht ausgeschlossen. Soweit die Abschiebungsandrohung keinen Zielstaat bestimme, verstoße sie nicht gegen § 59 Abs. 2 1. HS AufenthG. Dies sei nur eine Soll-Vorschrift. Vorliegend seien Gründe gegeben, die eine Bezeichnung des Zielstaats ausnahmsweise entbehrlich machten. Die Entscheidung sei nur wegen der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ergangen. Mit der vorliegenden Abschiebungsandrohung werde „nicht das Ziel verfolgt, die Voraussetzungen für eine Abschiebung zu schaffen“, da der Kläger bereits ausreisepflichtig sei. |
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| Der Kläger hat bereits am 31.12.2019 Klage gegen den Bescheid vom 11.12.2019 erhoben. Er trägt im Wesentlichen vor, für den Fall einer Abschiebung nach Eritrea werde er voraussichtlich zum Militärdienst eingezogen werden und müsse dann in den Krieg ziehen. Im Falle einer Wehrdienstverweigerung drohe ihm Haft. Auch seinen Angehörigen drohten dann Repressalien. Er könne keine Waffengewalt gegen andere Personen ausüben. Nach seiner Einreise nach Deutschland habe er versucht, so schnell wie möglich die deutsche Sprache zu lernen, einen Abschluss zu machen und zu arbeiten. Inzwischen spreche er so gut Deutsch, dass es kaum Verständigungsschwierigkeiten gebe. Seinen Hauptschulabschluss wolle er nachholen, um anschließend eine Berufsausbildung zu erlernen. In Eritrea gebe es für ihn weder eine berufliche noch eine private Zukunft. |
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| den Bescheid des Regierungspräsidiums Freiburg vom 11.12.2019 in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 11.05.2022 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm die erteilte Aufenthaltserlaubnis zu verlängern. |
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| Der Kläger habe keine neuen Umstände vorgetragen, die nicht schon in der Ausweisungsverfügung hinreichend berücksichtigt worden seien. Nach dem rechtskräftigen Widerruf der Flüchtlingseigenschaft und der Feststellung, dass im Hinblick auf Eritrea Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG vorliegen, sei von Seiten des Regierungspräsidiums Freiburg aufgrund der jüngsten Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen. Diese Verpflichtung bestehe nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch dann, wenn - wie hier - ein temporäres Rückführungshindernis vorliege. Es sei nach wie vor von einer Wiederholungsgefahr auszugehen. Bis heute sei weder eine Tat- noch eine Persönlichkeitsaufarbeitung erfolgt. Die Aufenthaltserlaubnis sei nicht zu erteilen, da aufgrund des Einreise- und Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG die Titelerteilungssperre gelte. |
|
| Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung vom 17.05.2022 informatorisch angehört worden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. |
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| Dem Gericht liegen die Akten des Regierungspräsidiums Karlsruhe, des Regierungspräsidiums Freiburg und der Ausländerbehörde der Stadt XXX (jeweils ein Band) vor, ferner die Gefangenenakten der Justizvollzugsanstalt XXX und die Akten des Verwaltungsgerichts Sigmaringen zum Verfahren A 1 K 2305/21. Diese Akten sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des wechselseitigen Vortrags wird auf diese Akten, die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift vom 17.05.2022 Bezug genommen. |
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| |
| Die im Hinblick auf die Ziffern I. und III. des Bescheids vom 11.12.2019 sowie die Ziffer IV. des Ergänzungsbescheids vom 11.05.2022 als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO und im Hinblick auf Ziffer II. des Bescheids vom 11.12.2019 als Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthafte Klage ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere konnte der Kläger den Ergänzungsbescheid vom 11.05.2022 im Wege der nach § 91 Abs. 1 VwGO zulässigen Klageänderung in seine Klage einbeziehen (vgl. hierzu Pietzcker, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 41. EL Juli 2021, § 79 Rn. 7). Denn der Beklagte hat sich, ohne der Klageänderung zu widersprechen, in der mündlichen Verhandlung auf die geänderte Klage eingelassen, womit seine Einwilligung anzunehmen ist, § 91 Abs. 2 VwGO. Im Übrigen ist die Einbeziehung des Ergänzungsbescheids auch sachdienlich. Auch hinsichtlich des Ergänzungsbescheids bedarf es - wie für den Bescheid vom 11.12.2019 - keiner erfolglosen Durchführung eines Vorverfahrens, weil das Regierungspräsidium Freiburg die Bescheide erlassen hat, § 68 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO. |
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| Hinsichtlich der Ziffern III. und IV. ist die Klage auch begründet, weil der Bescheid vom 11.12.2019 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 11.05.2022 insoweit rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (I. und II.). Im Übrigen ist die Anfechtungsklage unbegründet, weil die unter Ziffer I. erlassene Ausweisung des Klägers rechtmäßig ist und ihn nicht in seinen Rechten verletzt (III.). |
|
| Die gegen die Ziffer II. des Bescheids vom 11.12.2019 gerichtete und als Verpflichtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthafte Klage ist ebenfalls zulässig, jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Denn die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist rechtswidrig und verletzt den Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag. Da die Sache nicht spruchreif ist, ist der Beklagte lediglich zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO (IV.). |
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| Die mit Bescheid vom 11.05.2022 erlassene Abschiebungsandrohung ist aufzuheben, denn sie ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO |
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| 1. Das Regierungspräsidium Freiburg hat mit Bescheid vom 11.05.2022 unter Ziffer IV. ergänzend zunächst das Folgende verfügt: |
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| „Ihnen wird die Abschiebung in einen beliebigen Staat, in den Sie einreisen dürfen oder der zu Ihrer Übernahme verpflichtet ist, auf Ihre Kosten ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht. Sie dürfen nicht nach Eritrea abgeschoben werden.“ |
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| Diese Abschiebungsandrohung enthält keine Zielstaatsbestimmung und ist bereits aus diesem Grund rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Gemäß § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG soll in der Abschiebungsandrohung der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Eine Ausnahme hiervon gilt nach älterer Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn besondere Umstände vorliegen, die ein Absehen von der Zielstaatsbestimmung rechtfertigen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn die Staatsangehörigkeit des Ausländers ungeklärt ist und kein anderer aufnahmebereiter Staat erkennbar ist. Dementsprechend sollte es auch möglich sein, bei Aufhebung einer rechtswidrigen Zielstaatsbezeichnung die Abschiebungsandrohung im Übrigen unberührt zu lassen (§ 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 25.07.2000 - 9 C 42.99 -, juris Rn. 13, und vom 10.07.2003 - 1 C 21.02 -, juris Rn. 13; Hailbronner, AuslR, Stand: Dezember 2021, § 59 AufenthG Rn. 55; Berlit, GK-AuslR, Stand: 01.12.2016, § 59 AufenthG Rn. 63). |
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| Nach Inkrafttreten der Richtlinie 2008/115/EG - im Folgenden: Rückführungsrichtlinie - am 13.01.2009 bzw. dem Ablauf der Umsetzungsfrist am 24.12.2010 darf jedoch im Anwendungsbereich der Richtlinie nicht mehr offengelassen werden, in welches Land der Betroffene abgeschoben werden soll (EuGH, Urteil vom 24.02.2021 - C-673/19 -, juris Rn. 39; VG Freiburg, Urteil vom 13.04.2022 - 7 K 2079/20 -, in juris unter dem Az. 2089/20, Rn. 43; in diesem Sinne auch Anm. von Hoppe/Bauer zu EuGH, Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, NVwZ 2021, 1207, 1211; Berlit, GK-AuslR, Stand: 01.12.2016, § 59 AufenthG Rn. 65). Die Abschiebungsandrohung stellt nach einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung eine Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 Rückführungsrichtlinie dar (BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 41 und EuGH-Vorlage vom 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 31 f., auch Urteil vom 20.02.2020 - 1 C 1.19 -, juris Rn. 14 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 -, juris Rn. 246, m.w.N., und Beschluss vom 15.10.2013 - 11 S 2114/13 -, juris Rn. 6 f., m.w.N.). Eine Rückkehrentscheidung ist danach die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Eine Rückkehrverpflichtung bezieht sich gemäß Art. 3 Nr. 3 Rückführungsrichtlinie auf das Herkunftsland des Drittstaatsangehörigen, ein Transitland oder ein anderes Drittland, in das der betreffende Drittstaatsangehörige freiwillig zurückkehren will und in dem er aufgenommen wird. Kommt nach den konkreten Umständen des Einzelfalls keines der in Art. 3 Nr. 3 Rückführungsrichtlinie genannten Länder als Zielort für die Rückkehr in Frage, ist es dem jeweiligen Mitgliedstaat rechtlich unmöglich, die ihm nach Art. 6 Abs. 2 Rückführungsrichtlinie obliegende Pflicht zu erfüllen, gegenüber einem illegal in seinem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen (EuGH, Urteil vom 24.02.2021 - C-673/19 -, juris Rn. 42). |
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| Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass ungeachtet der oben aufgeführten Vorgaben der Rückführungsrichtlinie nach der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof auch nach der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine besonderen Umstände vorliegen, die ein Absehen von der Zielstaatsbezeichnung rechtfertigen (in diesem Sinne bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.06.1996 - 13 S 1281/95 -, juris). Die Staatsangehörigkeit des Klägers ist geklärt. Weder in dem Asylverfahren beim Bundesamt noch im asylrechtlichen Klageverfahren gegen den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen war zweifelhaft, dass der Kläger eritreischer Staatsangehöriger ist. Ferner steht ausweislich des Urteils des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 25.01.2022 - A 1 K 2305/21 - fest, dass dieser in sein Herkunftsland nicht abgeschoben werden kann. Dementsprechend wäre auch das Bundesamt nicht befugt, eine Abschiebungsandrohung zu erlassen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Zudem ist derzeit kein anderer Staat ersichtlich, in den er in absehbarer Zeit abgeschoben werden könnte (dazu auch Hocks, in: NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, § 59 AufenthG Rn. 8; Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 59 AufenthG Rn. 52). Das Regierungspräsidium hat vielmehr die Abschiebungsandrohung offensichtlich nur aus dem Grund erlassen, das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufrechtzuerhalten. Eine tatsächliche Abschiebung des Klägers ist dagegen unstreitig nicht geplant. |
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| Die Bezeichnung des Zielstaates in der Abschiebungsandrohung dient dem Ausländer dazu, etwaige der Ausländerbehörde oder dem Bundesamt nicht bekannte Abschiebungsverbote im Hinblick auf den ausdrücklich genannten Staat geltend zu machen und ihm daher auch effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.06.1996 - 13 S 1281/95 -, juris Rn. 8). Das rechtswidrige Fehlen einer Zielstaatsbestimmung verletzt den Kläger daher auch in seinen Rechten. |
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| 2. Ferner hat das Regierungspräsidium Freiburg im Ergänzungsbescheid vom 11.05.2022 unter Ziffer IV. weiter verfügt: |
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| „Für den Fall, dass das durch Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.03.2022 festgestellte Abschiebungsverbot in Bezug auf Eritrea vollziehbar widerrufen wird, wird Ihnen die Abschiebung nach Eritrea angedroht. Für diesen Fall werden Sie darauf hingewiesen, dass Sie auch in einen anderen Staat abgeschoben werden können, in den Sie einreisen dürfen oder der zu Ihrer Übernahme verpflichtet ist.“ |
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| Diese Abschiebungsandrohung ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Es ist rechtlich nicht zulässig, eine Abschiebungsandrohung nach Eritrea zu erlassen für „den Fall, dass das durch den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.03.2022 festgestellte Abschiebungsverbot in Bezug auf Eritrea vollziehbar widerrufen wird“. |
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| Zwar sind nach Maßgabe des § 36 Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG auch bei belastenden Verwaltungsakten Bedingungen möglich. Danach darf ein Verwaltungsakt nach pflichtgemäßem Ermessen erlassen werden mit einer Bestimmung, nach der der Eintritt oder der Wegfall einer Vergünstigung oder einer Belastung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängt. § 36 Abs. 1 LVwVfG sieht auch vor, dass eine Nebenbestimmung auch unabhängig davon, ob sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist, erlassen werden darf, wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Der Erlass eines Verwaltungsaktes mit einer Nebenbestimmung setzt indes voraus, dass im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung eine Regelung des Entscheidungsgegenstands im Wesentlichen überhaupt fehlerfrei getroffen werden kann (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.03.2001 - 11 S 2374/99 -, juris Rn. 32). Der Erlass einer Abschiebungsandrohung darf nur erfolgen, wenn auch die Abschiebung selbst rechtlich zulässig ist (Gordzielik, in: Huber/Mantel, AufenthG, 3. Auflage 2021, § 59 Rn. 8). Gegenwärtig steht der angedrohten Abschiebung nach Eritrea auf unabsehbare Zeit das vom Bundesamt festgestellte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK entgegen. Zum jetzigen Zeitpunkt könnte daher eine Abschiebungsandrohung nach Eritrea nicht rechtsfehlerfrei erlassen werden. Das Regierungspräsidium verlagert damit wesentliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen seiner Abschiebungsandrohung auf die getroffene Nebenbestimmung. Dies ist unzulässig (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.03.2001 - 11 S 2374/99 -, juris Rn. 31). Denn § 36 Abs. 2 LVwVfG enthält keine allgemeine Ermächtigung der Behörde, nach Ermessen vom Vorliegen oder der genaueren Prüfung zwingender Voraussetzungen abzusehen und stattdessen auf Nebenbestimmungen auszuweichen. |
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| Die vom Regierungspräsidium Freiburg gewählte Gestaltung der Abschiebungsandrohung ist auch nicht mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in seiner Entscheidung vom 03.06.2021 in Einklang zu bringen. Dieser hat zwar ausgeführt, dass eine Rückkehrentscheidung auch gegen Drittstaatsangehörige ergehen könne, die wegen des Grundsatzes der Nichtzurückweisung nicht abgeschoben werden dürften, weil der Vollzug der Abschiebung nach Maßgabe des Art. 9 Abs. 1 lit. a Rückführungsrichtlinie aufgeschoben werden könne (EuGH, Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 58 f.). Ungeachtet der Frage, ob und wie die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs mit seiner früheren Rechtsprechung und der Rückführungsrichtlinie in Einklang zu bringen ist (krit. hierzu VG Freiburg, Urteil vom 13.04.2022, a.a.O., Rn. 47; Anm. von Hoppe/Bauer zu EuGH, Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, NVwZ 2021, 1207, 1211), wird durch die konkrete Gestaltung der Abschiebungsandrohung des Regierungspräsidiums vom 11.05.2022 aber gerade nicht die Abschiebung, also die Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung, d.h. die tatsächliche Verbringung aus dem Mitgliedstaat (Art. 3 Nr. 5 Rückführungsrichtlinie) i.S.d. Art. 9 Abs. 1 lit. a Rückführungsrichtlinie aufgeschoben. Vielmehr bedingt die gewählte rechtliche Gestaltung, nämlich die Verbindung mit einer aufschiebenden Bedingung, den Aufschub der Abschiebungsandrohung als Rückkehrentscheidung i.S.d. Art. 3 Nr. 4 Rückführungsrichtlinie selbst. Dies ist in der Richtlinie indes gerade nicht vorgesehen. |
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| c) Die Abschiebungsandrohung ist schließlich auch deshalb rechtswidrig, weil sie dem Kläger ermessensfehlerhaft keine Frist zur freiwilligen Ausreise einräumt (§ 114 VwGO). |
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| Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, dem Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Rückführungsrichtlinie zugrunde liegt, ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Abgesehen von Fällen, in denen sich der Betroffene auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet (§ 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG), kann von einer Frist auch dann gemäß § 59 Abs. 1 Satz 2 AufenthG abgesehen werden, wenn der begründete Verdacht besteht, dass sich der Ausländer der Abschiebung entziehen will (Nr. 1), oder von ihm eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (Nr. 2; vgl. auch Art. 7 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie). Auf eine Fristsetzung darf danach nur dann verzichtet werden, wenn aus dringenden öffentlichen Interessen noch nicht einmal eine kurze Ausreisefrist eingeräumt werden kann und auch die sofortige Abschiebung durchführbar ist (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.12.2020 - 12 S 3065/20 -, juris Rn. 29; Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 59 AufenthG Rn. 17 und 29; Berlit, in: GK-AuslR, Stand: 01.12.2016, § 59 Rn. 103, m.w.N.). |
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| Vorliegend hat das Regierungspräsidium offensichtlich von seinem Ermessen keinen Gebrauch gemacht. Im angegriffenen Bescheid vom 11.12.2019 in Gestalt der Ergänzung vom 11.05.2022 finden sich keine Ausführungen dazu, aus welchem Grund es nicht zumutbar sein soll, dem Kläger eine Frist zur freiwilligen Ausreise einzuräumen. Dies gilt umso mehr, als dass eine Abschiebung weder nach Eritrea noch in irgendeinen anderen Staat derzeit faktisch durchführbar ist (vgl. oben). |
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| Das mit Bescheid vom 11.12.2019 unter Ziffer III. angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. |
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| 1. Der Tatbestand des § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist erfüllt. Hiernach ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. |
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| 2. Allerdings ist diese Vorschrift aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts insoweit unanwendbar (vgl. auch VG Freiburg, Urteil vom 26.01.2022 - 7 K 826/20 -, und Urteil vom 13.04.2022, a.a.O., beide juris). |
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| a) Ein nationales Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden hat, ist gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen |
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| oder abwarten müsste (EuGH, Urteil vom 07.02.1991 - C-184/89 -, Rn. 19, und vom 09.03.1978 - C-106/77 -, Rn. 17/18, beide juris). |
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| Gemäß Art. 3 Nr. 6 Rückführungsrichtlinie geht ein Einreiseverbot „mit einer Rückkehrentscheidung einher“. Es stellt damit eine Ergänzung der Rückkehrentscheidung dar (EuGH, Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 52) und kann ohne eine solche nicht aufrechterhalten werden (EuGH Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 54 und 61; vgl. diesbezüglich auch BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 53; OVG Bremen, Beschluss vom 28.09.2021 - 2 LA 206/21 -, juris Rn. 12, sowie etwa VG Karlsruhe, Urteil vom 01.10.2021 - A 19 K 2563/21 -, juris Rn. 70). In der (deutschen) Rechtsprechung besteht Einigkeit darüber, dass die Abschiebungsandrohung - und nicht etwa die Ausweisung - als eine Rückkehrentscheidung zu verstehen ist (dazu etwa BVerwG, EuGH-Vorlage vom 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 31 f., auch Urteil vom 20.02.2020 - 1 C 1.19 -, juris Rn. 14 ff., und Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 41; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 -, juris Rn. 246, m.w.N., und Beschluss vom 15.10.2013 - 11 S 2114/13 -, juris Rn. 6 f., m.w.N.; VG Freiburg, Urteil vom 26.01.2022 - 7 K 826/20 -, juris Rn. 41; a.A. etwa Oberhäuser, in: NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, § 11 AufenthG Rn. 9). |
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| Für die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG reicht es dagegen aus, wenn der Ausländer - wie hier - ausgewiesen wurde. Eine Abschiebungsandrohung muss danach nicht erlassen werden. |
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| c) Auch ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das nur mit einer Ausweisung aus Gründen der Gefahrenabwehr verfügt wurde, ist nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -) am Maßstab der Rückführungsrichtlinie zu messen (BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 53; a.A. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris). |
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| Die Rückführungsrichtlinie ist danach generell auf Personen anwendbar, die über keinen Aufenthaltstitel oder keine sonstige Aufenthaltsberechtigung im Aufnahmestaat verfügen (siehe Art. 6 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie). |
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| Nach Art. 2 Abs. 1 Rückführungsrichtlinie findet die Richtlinie Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Illegaler Aufenthalt wird gemäß Art. 3 Nr. 2 Rückführungsrichtlinie als die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat bezeichnet, wenn die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in diesen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllt werden. Damit reicht es aus, wenn der Betreffende (aktuell) die Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder für den dortigen Aufenthalt nicht erfüllt und „schon allein deswegen“ dort illegal aufhältig ist (vgl. EuGH, Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 43 f.). Von der in Art. 2 Abs. 2 lit. b Rückführungsrichtlinie vorgesehenen Möglichkeit, die Richtlinie auf Drittstaatsangehörige, die aufgrund oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind, nicht anzuwenden, hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht (BVerwG, Beschluss vom 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 37, und vom 06.05.2020 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 2 sowie Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 54; bereits zuvor VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 83, und vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, juris Rn. 87; zuletzt a.A. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20, juris Rn. 152 ff.). |
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| Im Falle des Klägers ist schon deshalb von einem „illegalen Aufenthalt“ in diesem Sinne auszugehen, weil er keinen Aufenthaltstitel (mehr) besitzt. Im Übrigen hat die Ausweisung (vgl. hierzu unten, B.III.) zur Folge, dass nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG der für den Aufenthalt in Deutschland erforderliche Aufenthaltstitel erlischt und der Ausländer kraft Gesetzes (§ 50 AufenthG) zur Ausreise verpflichtet wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 42). |
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| d) Dies gilt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch dann, wenn der Ausländer - wie hier der Kläger - tatsächlich nicht abgeschoben werden darf (siehe § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK). |
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| Auch unter Berücksichtigung der hieraus resultierenden Folgen für die Wirksamkeit der Ausweisung als ausländerrechtliches Instrument der Gefahrenabwehr und der hieran anknüpfenden Kritik des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris Rn. 139 ff.; vgl. auch Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 83, und vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, juris Rn. 87) kann die Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie im vorliegenden Fall nicht verneint werden. Denn der Europäische Gerichtshof hat auf die ausdrückliche Frage des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschluss vom 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris) deutlich gemacht, dass auch ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf der Grundlage einer früheren strafrechtlichen Verurteilung zu „nichtmigrationsbedingten Zwecken“ verhängt wurde, unter den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt (EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 48, vgl. nunmehr auch BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 53). |
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| Die unter Ziffer I. des Bescheids vom 11.12.2019 verfügte Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland ist zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris, und vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.03.2017 - 11 S 2029/16 -, juris) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. |
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| 1. Rechtsgrundlage für die Ausweisung ist der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 Auf-enthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit dem Interesse an dem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Im Hinblick auf den unanfechtbaren Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt dem Kläger der besondere Ausweisungsschutz des § 53 Abs. 3a AufenthG zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht (mehr) zu. |
|
| Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 2 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, Urteil vom 25.07.2017 - 1 C 12.17 -, juris). |
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| 2. Die Verfügung ist formell rechtmäßig. Der Kläger wurde zu der beabsichtigten Ausweisung nach § 28 Abs. 1 LVwVfG angehört. Ferner wurde die Entscheidung durch das gemäß §§ 3, 6 Abs. 1 Nr. 1 AAZuVO zuständige Regierungspräsidium Freiburg getroffen. |
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| 3. Der Kläger erfüllt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (a) und gefährdet dadurch auch noch im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die öffentliche Sicherheit und Ordnung (b). |
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| a) Beim Kläger liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, der voraussetzt, dass der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist. Der Kläger ist mit Urteil des Amtsgerichts XXX vom 29.07.2019 - 1 Ls 21 Js 2614/19 -, das seit dem 06.08.2019 rechtskräftig ist, wegen sexuellen Übergriffs und Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. |
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| b) Der Aufenthalt des Klägers gefährdet auch die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG, da von ihm weiterhin die Gefahr der Begehung von Straftaten ausgeht. |
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| aa) Bei Ausweisungen aus Gründen der Spezialprävention haben die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, Urteil vom 15.01.2013 - 1 C 10.12 -, juris). Bei der aufenthaltsrechtlichen Gefahrenprognose sind die Verwaltungsgerichte an die Entscheidungen der Strafgerichte über eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung nicht gebunden (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.2012 - 1 C 20.11. -, juris), jedoch kommt dieser Entscheidung eine Indizwirkung zu (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.02.2019 - 12 S 2789/18 -, juris). Bei der Prognoseentscheidung sind der Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen und die Art und das Ausmaß möglicher Schäden zu ermitteln und zueinander in Bezug zu setzen. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris). Bei dieser Prognoseentscheidung sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, aber auch die Gesamtpersönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt, der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, Urteil v. 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris; Beschluss vom 16.11.2000 - 9 C 6.00 -, juris; Bayerischer VGH, Beschluss vom 09.05.2017 - 10 ZB 16.57 -, juris). |
|
| bb) Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Kammer aus den Akten und dem persönlichen Eindruck vom Kläger in der mündlichen Verhandlung die Überzeugung gewonnen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass nach wie vor eine erhebliche Wiederholungsgefahr besteht. |
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| Gefahren, die von Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und die körperliche Integrität ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein. Daher sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nach den vorangestellten Ausführungen geringere Anforderungen zu stellen. |
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| Für eine erhebliche Wiederholungsgefahr spricht zunächst, dass der Kläger, nachdem er mit Strafbefehl vom 22.01.2019, ihm zugestellt am 26.02.2019, durch das Amtsgericht XXX wegen einer sexuellen Belästigung am 14.09.2018 zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, in der Nacht vom 02. auf den 03.03.2019 die Anlasstat begangen hat. In beiden Fällen drängte sich der Kläger ihm zuvor nicht bekannten jungen Frauen auf und setzte sich mit Gewalt über den ausdrücklichen Willen, mit dem Kläger keinen (sexuellen) körperlichen Kontakt haben zu wollen, hinweg. Er ist mithin kein Ersttäter und hat sich die Ahndung der Tat vom 14.09.2018, die ein ähnliches Gepräge aufweist, nicht zur Mahnung und Besserung gereichen lassen. |
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| Auf eine erhebliche Wiederholungsgefahr deutet auch die vollständige Verbüßung der Freiheitsstrafe hin. Eine nach § 57 Abs. 1 StGB grundsätzlich mögliche Aussetzung der Vollstreckung des Rests einer Freiheitsstrafe zur Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Haftzeit ist nicht erfolgt. Auf der Grundlage des forensisch-psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen PD Dr. med. XXX vom 25.09.2020 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts XXX mit Beschluss vom 23.10.2020 - 1 StVK 499/20 - die Voraussetzung des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB - nämlich die Verantwortbarkeit der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit - als nicht gegeben angesehen. Der Sachverständige kam auf der Grundlage der Strafverfahrensakten, der Gefangenenakten der Justizvollzugsanstalt XXX, einer psychiatrischen Exploration des Klägers am 04.09.2020 und am 24.09.2020 und im Wege des Verfahrens zum Risikoassessment zu der Einschätzung, dass eine ausreichend positive Prognose bei baldiger Bewährungsentlassung nicht möglich sei. Eine Relativierung der sich aus dem Delikttyp und der Tatmerkmale ableitenden Gefährdungsvorhersage liege nicht vor. Die Delikts- und Persönlichkeitsaufarbeitung sei noch nicht abgeschlossen. Der Kläger habe zum Zeitpunkt der Begutachtung jenseits der enthemmenden Wirkung des konsumierten Alkohols keine Erklärung für sein Verhalten in der Tatnacht entwickeln können. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit seiner Sichtweise auf Frauen, z.B. als Objekte sexueller Verfügbarkeit, und der Respektierung körperlicher Grenzen und einer ablehnenden Haltung seitens der betroffenen Frauen, sei dem Kläger bislang nicht gelungen. Auch ein Hineinversetzen in die Rolle der betroffenen Frauen sei ihm nur bedingt möglich gewesen. Im Vordergrund stünden vielmehr selbstbezogene Affekte (vor allem Scham). In Kombination sowohl mit klinischen als auch aktuarisch ermittelten Gesichtspunkten ergebe sich ein gegenüber der (wenngleich heterogenen) statistischen Basisrate weiterhin gleichbleibend erhöhtes strukturelles Rückfallrisiko für Sexualdelikte. |
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| Ferner hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 16.07.2021 - 1 StVK 499/20 - entschieden, dass die nach § 68f Abs. 1 StGB nach der Haftentlassung eintretende Führungsaufsicht nicht entfalle und auch nicht abgekürzt werde. Sie hat dabei als maßgeblich angesehen, dass sich aus Alkoholkonsum und dem Leben in einem nicht sozial-kontrollierten Raum eine Rückfallgefahr ergeben könne. Der soziale Empfangsraum des Klägers nach der Haftentlassung sei noch völlig unklar. Ferner sei seine aufenthaltsrechtliche Situation ungeklärt. Aus diesem Grund sei eine engmaschige Kontrolle erforderlich, um eine Rückfallgefahr so gering wie möglich zu halten. |
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| Eine Wiederholungsgefahr nimmt auch das Landeskriminalamt im Ergebnis seiner am 27.05.2021 nach Aktenlage vorgenommenen Risikobewertung an. Diese Bewertung stützt sich ebenfalls im Wesentlichen darauf, dass der Kläger die Tat(en) und die Gründe für ihre Begehung bislang nicht hinreichend aufgearbeitet habe. Der Kläger selbst stelle als wesentliche Ursache den Konsum von Alkohol in den Vordergrund. Auch die Behandlung des Alkoholkonsums werde vom Kläger nicht mit hinreichendem Nachdruck verfolgt. Der Kläger sei unter Abwägung der Prognoseparameter nach der Gefahreneinstufung KURS (Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern) in der Gefahrenkategorie 2 - hohes Gefahrenpotential - einzuordnen. |
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| Zu Gunsten des Klägers ist zu berücksichtigen, dass sich dieser nach Lage der Akten in der Haft weitgehend beanstandungsfrei, kooperativ, freundlich, fleißig und hilfsbereit verhalten hat. Es ist ausweislich der Gefangenenpersonalakten (nur) zu zwei Disziplinarmeldungen im Zusammenhang mit einer verbal-körperlichen Auseinandersetzung bzw. mit der Verweigerung, der Arbeit nachzugehen, gekommen. |
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| Ferner hält sich der Kläger nach telefonischer Auskunft des zuständigen Richters der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts XXX vom 11.05.2022 bislang an die Auflagen, die ihm im Rahmen der Führungsaufsicht auferlegt worden sind. Insbesondere ist er ausweislich mehrerer Screenings jedenfalls seit seiner Haftentlassung abstinent. Nach seinen eigenen Angaben hat er seit Beginn der Untersuchungshaft keinen Alkohol mehr getrunken. |
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| Ausweislich der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Stellungnahme des Zentrums für Psychiatrie XXX vom 09.05.2022 befindet er sich seit dem 30.09.2021 entsprechend der führungsaufsichtsrechtlichen Weisung in der ambulanten forensisch-psychiatrischen Nachsorge und nimmt die 14-tägigen Termine „ganz überwiegend zuverlässig wahr“. Im Abgleich mit einer Normstichprobe von Sexualstraftätern ergebe sich ein durchschnittliches Risiko. Das statistische Rückfallrisiko im Vergleich zu einer Stichprobe von Sexualstraftätern für neuerliche Sexualdelikte in einem 5-Jahreszeitraum liege bei 5 %. Der Kläger zeige sich interessiert, die Deliktumstände zu besprechen und es werde eine klare Änderungsmotivation deutlich. Sein Blick auf die Tat sei von Reue und Scham geprägt. Die Abstinenz halte er zuverlässig ein. Es werde eine reale Chance gesehen, dass mit Wiederaufnahme einer Arbeit, den Kontakten zur Bewährungshilfe und der forensischen Ambulanz sowie weiterer Abstinenz langfristig eine Legalbewährung gelinge. |
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| Die Bewährungshilfe geht in ihrem Bericht vom 15.11.2021 davon aus, dass ein geringes Rückfallrisiko bestehe. Der Kläger halte zuverlässig Kontakt zur Bewährungshilfe und befolge die gegen ihn ergangenen Weisungen. |
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| Seit März 2022 absolviert der Kläger beim Verein „XXX e.V.“ nach einer Vermittlung durch seinen Bewährungshelfer ein Berufsorientierungspraktikum. Er wohnt gegenwärtig gemeinsam mit anderen Ausländern in einer Wohngemeinschaft. |
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| Unter Berücksichtigung der vorstehenden Einschätzungen und Umstände geht die Kammer auch auf der Grundlage des persönlichen Eindrucks, den sie vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewinnen konnte, davon aus, dass gegenwärtig noch eine erhebliche Wiederholungsgefahr von ihm ausgeht. Die fachlich fundierten und nachvollziehbaren Bewertungen, die die Strafvollstreckungskammer und das Landeskriminalamt unter anderem auf der Grundlage eines ausführlichen und überzeugenden forensisch-psychiatrischen Gutachtens vorgenommen haben, werden durch die Entwicklungen seit der Haftentlassung am 26.08.2021 nicht durchgreifend wiederlegt. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass sich der Kläger bislang an die Weisungen der Führungsaufsicht hält und ernsthaft bemüht ist, ein straffreies Leben zu führen. Zugleich hat sie aber auch in der mündlichen Verhandlung nicht die Überzeugung gewinnen können, dass der Kläger die Tatbegehung, ihre Ursachen und die Folgen für das Opfer bereits hinreichend aufgearbeitet hat. Nach wie vor stehen für ihn Scham und Reue - auch im Hinblick auf seine Familie - im Vordergrund. Dies entspricht auch dem Verhalten und den Einlassungen des Klägers, die er in der Vergangenheit gemacht hat: |
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| In der Stellungnahme zur beabsichtigten Ausweisung und in der Klagebegründung hat er eine selbstkritische Reflektion der Taten und ihrer Folgen für die Geschädigten nicht erkennen lassen, sondern jeweils allein zielstaatsbezogene Aspekte angeführt, die einer Ausweisung entgegenstehen sollen. Auch seine Angaben bei der fachpsychiatrischen Begutachtung durch PD Dr. med. XXX und in der mündlichen Verhandlung über seine asylrechtliche Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen vom 25.01.2022 lassen erkennen, dass er nach wie vor versucht, die Taten und sein Verhalten zu relativieren. Die sexuelle Belästigung vom 14.09.2018 an einem Busbahnhof zum Nachteil einer Schülerin hat er dort als Missverständnis dargestellt. Vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen hat er zudem abgestritten, die junge Frau überhaupt angefasst zu haben, während er gegenüber dem fachpsychiatrischen Gutachter noch eingeräumt hatte, die junge Frau am Schenkel berührt zu haben. Der Kläger stellt auch die Anlasstat nach wie vor relativierend dar. In der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht Sigmaringen hat er im Wesentlichen angegeben, der Austausch von Zärtlichkeiten sei - mit Ausnahme des Geschlechtsverkehrs - einvernehmlich erfolgt. |
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| Die Abstinenz scheint für ihn ein wesentlicher Umstand zu sein, der einen Rückfall verhindern kann. Andere Faktoren, die zur Tat geführt haben, kann er für sich noch nicht hinreichend konkret benennen. Die Folgen der Tat für sein Opfer beschreibt er nur sehr abstrakt. Auch scheint er seine durchaus glaubhafte Änderungsmotivation noch nicht auf die Probe gestellt zu haben. Er bewegt sich in einem engen sozialen Umfeld, das teilweise aus Landsleuten besteht. Er hat außerhalb dieses Umfelds bislang keinen Kontakt mehr zu jungen Frauen gehabt. Allein das Praktikum zur Berufsorientierung stellt gegenwärtig einen verlässlichen stabilisierenden Faktor dar. Zugleich ist dem Kläger aufgrund der nicht geklärten Identität gegenwärtig keine Erwerbstätigkeit gestattet. |
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| Das Geständnis, das zudem Gegenstand einer strafprozessualen Verständigung war, ist zwar strafmildernd berücksichtigt worden. Es kann indes die Wiederholungsgefahr nicht verringern oder ausschließen. Es ist angesichts der Beweislage nicht erkennbar, dass diesem Geständnis eine Einsicht in das begangene Unrecht und eine aufrichtige Reue zu Grunde liegen. |
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| cc) Nach dem Widerruf der Flüchtlingseigenschaft können auch generalpräventive Gründe die Ausweisung stützen. |
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| Vor allem bei besonders schwerwiegenden Straftaten besteht ein dringendes Bedürfnis dafür, im Rahmen einer kontinuierlichen Ausweisungspraxis andere Ausländer von der Begehung derartiger Straftaten abzuhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 -, juris Rn. 17, und Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 -, juris Rn. 17). Denn vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann unabhängig vom Vorliegen einer Wiederholungsgefahr auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen, wenn im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, juris Rn. 16). |
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| Aufgrund des Prinzips der Verhältnismäßigkeit ist eine solche generalisierende Betrachtungsweise zwar nur dann zulässig, wenn ein dringendes Bedürfnis besteht, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch die Ausweisung andere Ausländer von der Begehung von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Dies ist in Fällen von besonders schwerwiegenden Straftaten anzunehmen, von denen eine besonders hohe Gefahr für den Staat oder die Gesellschaft ausgeht (BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 -, juris). Außerdem ist erforderlich, dass das Ausweisungsinteresse noch aktuell ist, denn jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse verliert mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an ein strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist eine Orientierung an den Fristen der Strafverfolgungsverjährung nach §§ 78 ff. StGB angezeigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, und Urteil vom 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, beide juris). |
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| Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Von der zuletzt beim Kläger abgeurteilten Tat - sexueller Übergriff und Vergewaltigung - geht eine hohe Gefahr für den Staat und die Gesellschaft aus. Dieser Bewertung liegen die oben festgestellten und individuell gewürdigten Umstände zugrunde. Schließlich ist das an die letzte Straftat des Klägers anknüpfende generalpräventive Ausweisungsinteresse noch aktuell. Der hier verwirklichte Straftatbestand des Verbrechens der Vergewaltigung § 177 Abs. 5, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB unterliegt gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB einer Verjährungsfrist von zwanzig Jahren (siehe auch § 38 Abs. 2 StGB). Dieser Zeitraum ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht verstrichen. |
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| Unbeachtlich ist insoweit, ob der Kläger einen Anspruch darauf hat, dass die Aufenthaltserlaubnis verlängert oder erteilt wird. Durch die Verwendung des Wortes „besitzt“ in § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wurde zum Ausdruck gebracht, dass eine Aufenthaltserlaubnis tatsächlich vorhanden, also dem jeweiligen Ausländer erteilt sein muss. Das entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Dieser hat in Bezug auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung klargestellt, dass nur der Inhaber einer Niederlassungserlaubnis geschützt werden soll (s. BT-Drs. 18/4097, S. 53). Das lässt sich auf § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen, da beide Vorschriften den Begriff „besitzt“ verwenden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23.10.2018 - 7 A 10866/18 -, juris Rn. 29 m.w.N.). Demnach reicht es auch nicht aus, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt die Aufenthaltserlaubnis nur beantragt ist oder die Erteilungsvoraussetzungen vorliegen (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 55 Rn. 6; Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 55 Rn. 10; Fleuß, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 01.05.2022, § 55 Rn. 22). |
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| Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Beklagte den Antrag des Klägers auf Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig abgelehnt hat (vgl. hierzu Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 55 Rn. 10). Denn der Kläger hat keinen gebundenen Anspruch auf die Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, der durch die rechtswidrige und nicht bestandskräftige Ablehnung verletzt worden wäre. Nur unter diesen Voraussetzungen könnten es die Garantie eines effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 Abs. 4 GG, und die Gewährleistung eines fairen Verfahrens, Art. 20 Abs. 3 GG, gebieten, den Kläger so zu stellen, als hätte die Ausländerbehörde von Anfang an rechtmäßig gehandelt (OVG Bremen, Urteil vom 10.05.2011 - 1 A 306/10 -, juris Rn. 76). Der Kläger hat indes lediglich einen Anspruch gegen den Beklagten auf ermessensfehlerfreie Bescheidung seines Antrags (vgl. unten, B.IV.) |
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| Bereits das Nichtvorliegen eines typisierten besonders schwerwiegenden oder schwerwiegenden Bleibeinteresses nach § 55 Abs. 1 oder 2 AufenthG als Gegengewicht zu dem hier vorliegenden besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse indiziert das Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Ausweisung. Bei der gleichwohl noch vorzunehmenden Abwägung sind nach § 53 Abs. 2 AufenthG insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Klägers, seine persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Zudem sind die Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG sowie die des Art. 8 EMRK zu berücksichtigten. |
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| a) Kann eine Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG mangels einer effektiven Rückkehrentscheidung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, juris) nicht mit einem befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden (vgl. ausführlich oben, B.II.), kann sich im Rahmen der Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG auch die Frage stellen, worin im konkreten Einzelfall das öffentliche Ausweisungsinteresse begründet liegt (vgl. auch VG Freiburg, Urteil vom 13.04.2022, a.a.O., Rn. 35). Die Unionsrechtswidrigkeit eines Einreise- und Aufenthaltsverbots, das nicht mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht, hat „wiederum nach nationalem Recht Auswirkungen auf die Prüfungsinhalte der Abwägung im Rahmen der Entscheidung über eine Ausweisung“ (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris Rn. 149). |
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| Vor dem Hintergrund des gefahrenabwehrrechtlichen Schwerpunktes der inlandsbezogenen Ausweisung muss daher geprüft werden, inwiefern sie - ohne ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG - die Abwehr oder Reduzierung der Wiederholungsgefahr durch ihren Regelungsgehalt und die an sie knüpfenden Rechtsfolgen überhaupt noch leisten kann. |
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| In den Blick zu nehmen sind dabei die ausländerrechtlichen Rechtsfolgen und sonstigen Wirkungen, die eine Ausweisung ohne ein rechtmäßiges befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot entfalten kann. Diese Rechtsfolgen sind an dem Ziel der Ausweisung zu messen, durch sie die vom Ausländer ausgehende gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland abzuwehren |
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| oder zumindest zu verringern. |
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| Kommt einer Ausweisung ohne befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot nach den konkreten Umständen des Einzelfalls im Hinblick auf ihre gefahrenabwehrrechtliche Zielrichtung überhaupt keine zur Gefahrenabwehr oder -verringerung taugliche Wirkung mehr zu, könnte das öffentliche Ausweisungsinteresse deutlich gemindert sein oder gar entfallen. In der Folge ginge dann die nach § 53 Abs. 1 AufenthG auf der Tatbestandsseite vorausgesetzte Abwägung zu Gunsten des Bleibeinteresses des Ausländers aus bzw. die Tatbestandsvoraussetzung für die Ausweisung entfiele. Dies bedarf im vorliegenden Fall indes keiner abschließenden Entscheidung, weil jedenfalls im konkreten Einzelfall des Klägers noch von hinreichenden Wirkungen der Ausweisung auszugehen ist. |
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| aa) Die hier verfügte Ausweisung ändert nichts an dem Umstand, dass der Kläger vorerst im Bundesgebiet bleibt, da er derzeit wegen des vom Verwaltungsgericht Sigmaringen mit Urteil vom 25.01.2022 - A 1 K 2305/21 - aufgrund der Wertungen des Art. 3 EMRK festgestellten Abschiebungsverbots nicht in sein Herkunftsland Eritrea abgeschoben werden darf. |
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| Damit könnte er bis zu dem Zeitpunkt, in dem seine Abschiebung wieder möglich sein wird, weiterhin Straftaten begehen. Dennoch geht von der Ausweisung insoweit eine - gefahrenabwehrrechtlich grundsätzlich gebotene - verhaltenssteuernde Wirkung aus. |
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| Eine Ausweisung ohne Abschiebungsandrohung - die sogenannte inlandsbezogene Ausweisung - hat grundsätzlich den Zweck, eine Aufenthaltsverfestigung des Ausländers zu verhindern und soll nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.2017 - 1 C 12.16 -, juris Rn. 23, und vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 48; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 -, juris Rn. 60; Bayerischer VGH, Urteil vom 28.06.2016 - 10 B 15.1854 -, Rn. 41). Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs 03.06.2021 (- C-546/19 -, juris), steht nach Auffassung der Kammer (zuletzt offengelassen von BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6/21 -, juris Rn. 42) dem rechtmäßigen Erlass einer sog. inlandsbezogenen Ausweisung grundsätzlich nicht ohne Weiteres entgegen, weil die Ausweisung selbst keine Rückkehrentscheidung darstellt (BVerwG, Beschluss vom 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris) und daher nicht an der Rückführungsrichtlinie zu messen ist (BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 41). |
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| bb) Der Zweck, die Aufenthaltsverfestigung des Ausländers zu verhindern, wurde bei der sog. inlandsbezogenen Ausweisung bislang durch die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erreicht, das seine Wirkungen unabhängig von der tatsächlichen Ausreise aus dem Bundesgebiet entfaltet (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris Rn. 140). |
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| Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, juris) und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach auch ein allein an eine Ausweisung geknüpftes Einreise- und Aufenthaltsverbot im Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie mit einer Rückführungsentscheidung einhergehen muss (BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 51 ff.), führt eine sog. inlandsbezogene Ausweisung - wie auch hier (vgl. unten, B.II.) - nicht mehr zu einer sog. „Titelerteilungssperre“ nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. |
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| Die Ausweisung kann jedoch in der Zukunft nach einem Widerruf der mit Bescheid des Bundesamts vom 16.03.2022 getroffenen Feststellung eines Abschiebungsverbots dazu führen, dass mit Erlass einer Rückkehrentscheidung in Gestalt einer Abschiebungsandrohung auch ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen wäre, welches dann eine Titelerteilungssperre zur Folge hätte. Unter diesem Gesichtspunkt kommt der Ausweisung eine - wenn auch nur latent - verhaltenssteuernde Wirkung in Richtung auf den Kläger zu. |
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| Ferner führt die zusätzliche Berücksichtigung generalpräventiver Erwägungen dazu, dass der Ausweisung weitere Wirkungen zukommen, die geeignet sind, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorzubeugen. Denn sie kann auch bei Vorliegen von Abschiebungsverboten oder -hindernissen insofern eine selbständige Bedeutung haben, als dass sie andere Ausländer im Sinne generalpräventiver Erwägungen von weiterer Straftatenbegehung abschrecken kann (BVerwG, Beschluss vom 18.08.1995 - 1 B 55.95 -, juris Rn. 9, auch Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 -, juris Rn. 15; vgl. auch Bayerischer VGH, Urteil vom 28.06.2016 - 10 B 15.1854 -, Rn. 42). |
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| Diese Wirkungen sind - unabhängig von den begrenzten rechtlichen Wirkungen der inlandsbezogenen Ausweisung im vorliegenden Fall - nach Auffassung der Kammer noch ausreichend, um überhaupt von einem berechtigten öffentlichen Interesse an der Ausweisung ausgehen zu können. In diese Wertung fließt auch ein, dass der Gesetzgeber die Ausweisung als gebundene Entscheidung ausgestaltet hat, die von der Ausländerbehörde zu treffen ist, wenn der Tatbestand erfüllt ist. Eine Ermessensentscheidung, in deren Rahmen auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und damit der Grad der Eignung im Verhältnis zur Intensität der Rechtsbeeinträchtigung zu prüfen wäre, ist gerade nicht vorgesehen. |
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| Offen bleiben kann nach alledem, ob eine inlandsbezogene Ausweisung auch dann als rechtmäßig anzusehen wäre, wenn sie nicht (auch) auf generalpräventive Gründe gestützt werden kann. |
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| b) Auch im Übrigen überwiegt das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse etwaige Bleibeinteressen des Klägers. Zwar ist zu seinen Gunsten auf Grund seiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit in der Vergangenheit von einer gewissen wirtschaftlichen Integration auszugehen. Diese Tätigkeit ist aber durch die Haftzeit unterbrochen worden und wird auch gegenwärtig nicht mehr fortgesetzt. Das Berufsorientierungspraktikum hat der Kläger erst im März 2022 aufgenommen. Zudem erhält er hierfür keine Vergütung, so dass eine wirtschaftliche Integration dadurch nicht wieder begründet werden kann. Er hat keine familiären Bindungen im Bundesgebiet. Demgegenüber stehen - mit hoher Rückfallgeschwindigkeit - zwei Sexualdelikte gegen junge Frauen, wobei es bei der zweiten Tat zu einer Vergewaltigung kam. Im Übrigen wird auf die obigen Ausführungen und die Begründung des angefochtenen Bescheides verwiesen, § 117 Satz 1 VwGO. |
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| Die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis unter Ziffer II. des Bescheids vom 11.12.2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil er zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG hat, § 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO. |
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| Der Klageantrag umfasst bei sachdienlicher Auslegung (§ 88 VwGO) nicht nur die Verlängerung der vormals bestehenden und ausgelaufenen Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 2 AufenthG, sondern auch die Erteilung einer neuen Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach jeder in Betracht kommenden Vorschrift des Aufenthaltsgesetzes (BVerwG, Urteil vom 27.06.2006 - 1 C 14.05 -, juris Rn. 11). |
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| Soweit der Kläger mit seiner Klage die Verpflichtung des Beklagten zur Verlängerung bzw. Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis verfolgt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) ist die Klage insoweit teilweise abzuweisen, da er keinen gebundenen Anspruch hierauf hat. |
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| 2. Der Kläger hat ferner keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG. |
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| Hiernach soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Zwar hat das Bundesamt auf das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 25.01.2022 - A 1 K 2305/21 - hin mit Bescheid vom 16.03.2022 festgestellt, dass ein Abschiebungsverbot mit Blick auf Eritrea vorliegt. Indes verwirklicht der Kläger den zwingenden Ausschlussgrund des § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG. Danach wird die Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat. Dies ist hier im Hinblick auf das Verbrechen der Vergewaltigung der Fall (vgl. zur Einordnung der Vergewaltigung als Straftat von erheblicher Bedeutung etwa Bayerischer VGH, Beschluss vom 03.04.2019 - 10 C 18.2425 -, juris Rn. 10). |
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| 3. Der Kläger hat indes nach § 25 Abs. 5 AufenthG zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Hiernach kann einem Ausländer, der - wie der Kläger - vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. |
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| a) Voraussetzung ist, dass die Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Maßgeblich ist, ob der Kläger in einen anderen Staat, insbesondere seinen Herkunftsstaat, einreisen kann (Röcker, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 25 Rn. 104). Eine freiwillige Ausreise ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse in der Person des Ausländers - für die Reise oder im Zielstaat - entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen (Röcker, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 25 Rn. 104). Ausreisehindernisse können sich auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ergeben (BVerwG, Urteil vom 27.06.2006 - 1 C 14.05 -, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 04.04.2014 - 10 C 12.497 -, juris Rn. 22; Röcker, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 25 Rn. 107; krit. Maaßen/Kluth, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 33. Edition, Stand: 01.04.2022, § 25 AufenthG Rn. 131, 138). Bei Bestehen solcher Abschiebungsverbote hat nach dem Gesetzeskonzept die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben. Dann aber ist ihm in aller Regel auch eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland aus denselben rechtlichen Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich i.S. des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (BVerwG, Urteil vom 27.06.2006 - 1 C 14.05 -, juris Rn. 17). |
|
| Diese Voraussetzungen sind mit der Feststellung des Bestehens eines Abschiebungsverbots für den Herkunftsstaat Eritrea nach § 60 Abs. 5 AufenthG mit Bescheid des Bundesamts vom 16.03.2022 erfüllt. Hieran ist der Beklagte nach § 42 Satz 1 AsylG gebunden. |
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| b) § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG steht dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Hiernach darf eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden liegt nach § 25 Abs. 4 Satz 4 AufenthG insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt. Zwar liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger bei seiner Einreise jedenfalls über sein Geburtsdatum und damit sein Alter falsche Angaben gemacht hat. Eine solche Täuschung ist indes nicht (mit-)ursächlich für die Hinderung an der Ausreise (vgl. hierzu Maaßen/Kluth, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 33. Edition, Stand: 01.04.2022, § 25 AufenthG Rn. 147; Röcker, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 25 Rn. 125). Diese beruht nämlich auf der verbindlichen Feststellung des Bestehens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG durch das Bundesamt und nicht auf der Täuschung über das Geburtsdatum. |
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| c) Zwar liegen die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 AufenthG im Falle des Klägers nicht vor. Denn seine Identität ist nicht geklärt und es besteht ein Ausweisungsinteresse. Ferner ist er auch nicht mit dem erforderlichen Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist jedoch u.a. in den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu prüfen, ob von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden kann. Die Entscheidung steht damit im Ermessen des Beklagten. Der Kläger kann daher lediglich eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG beanspruchen. Dementsprechend kann nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO das Verwaltungsgericht den Beklagten nur verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. |
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| Der Beklagte hat bislang überhaupt kein Ermessen ausgeübt, sondern ist von einer Sperrwirkung der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ausgegangen. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes lägen nicht vor. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot war indes wegen des Verstoßes gegen Unionsrecht aufzuheben. |
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| Bei der Ermessensentscheidung, ob nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von den Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG abgesehen wird, wird der Beklagte neben den Gesichtspunkten, die es nahelegen, an diesen Voraussetzungen festzuhalten, auch die Aspekte zu berücksichtigen habe, die dafür sprechen, auf ihre Einhaltung zu verzichten und die begehrte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Insbesondere wird abzuwägen sein, welches Gewicht dem öffentlichen Interesse an der Erfüllung der jeweiligen Regelerteilungsvoraussetzung gegenüber dem privaten Interesse des Ausländers an der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zukommt (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 19.12.2013 - 11 LA 139/13 -, juris Rn. 8). Darüber hinaus werden die Wertungen des Gesetzgebers in Erwägung zu ziehen sein, die der Schaffung der Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG zugrunde liegen und die sich aus dem systematischen Zusammenhang ergeben, in dem diese Regelung steht (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 19.12.2013 - 11 LA 139/13 -, juris Rn. 8; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 04.04.2014 - 10 C 12.497 -, juris Rn. 29). |
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| Die Berufung ist zuzulassen, soweit die Klage gegen die Ziffern I., III. und IV. des Bescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 11.12.2019 in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 11.05.2022 gerichtet ist. Dies beruht auf § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 3 VwGO. Insoweit hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung. Denn die Rechtmäßigkeit einer inlandsbezogenen Ausweisung nach nationalem Recht, die weder mit einer Rückkehrentscheidung in Gestalt einer Abschiebungsandrohung noch mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot einhergeht, ist bislang nicht geklärt. |
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| Die im Hinblick auf die Ziffern I. und III. des Bescheids vom 11.12.2019 sowie die Ziffer IV. des Ergänzungsbescheids vom 11.05.2022 als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO und im Hinblick auf Ziffer II. des Bescheids vom 11.12.2019 als Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthafte Klage ist auch im Übrigen zulässig. Insbesondere konnte der Kläger den Ergänzungsbescheid vom 11.05.2022 im Wege der nach § 91 Abs. 1 VwGO zulässigen Klageänderung in seine Klage einbeziehen (vgl. hierzu Pietzcker, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand: 41. EL Juli 2021, § 79 Rn. 7). Denn der Beklagte hat sich, ohne der Klageänderung zu widersprechen, in der mündlichen Verhandlung auf die geänderte Klage eingelassen, womit seine Einwilligung anzunehmen ist, § 91 Abs. 2 VwGO. Im Übrigen ist die Einbeziehung des Ergänzungsbescheids auch sachdienlich. Auch hinsichtlich des Ergänzungsbescheids bedarf es - wie für den Bescheid vom 11.12.2019 - keiner erfolglosen Durchführung eines Vorverfahrens, weil das Regierungspräsidium Freiburg die Bescheide erlassen hat, § 68 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 1 AGVwGO. |
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| Hinsichtlich der Ziffern III. und IV. ist die Klage auch begründet, weil der Bescheid vom 11.12.2019 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 11.05.2022 insoweit rechtswidrig ist und den Kläger in seinen Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO (I. und II.). Im Übrigen ist die Anfechtungsklage unbegründet, weil die unter Ziffer I. erlassene Ausweisung des Klägers rechtmäßig ist und ihn nicht in seinen Rechten verletzt (III.). |
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| Die gegen die Ziffer II. des Bescheids vom 11.12.2019 gerichtete und als Verpflichtungsklage im Sinne des § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthafte Klage ist ebenfalls zulässig, jedoch nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Denn die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ist rechtswidrig und verletzt den Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag. Da die Sache nicht spruchreif ist, ist der Beklagte lediglich zu verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden, § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO (IV.). |
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| Die mit Bescheid vom 11.05.2022 erlassene Abschiebungsandrohung ist aufzuheben, denn sie ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO |
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| 1. Das Regierungspräsidium Freiburg hat mit Bescheid vom 11.05.2022 unter Ziffer IV. ergänzend zunächst das Folgende verfügt: |
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| „Ihnen wird die Abschiebung in einen beliebigen Staat, in den Sie einreisen dürfen oder der zu Ihrer Übernahme verpflichtet ist, auf Ihre Kosten ohne Setzung einer Frist zur freiwilligen Ausreise angedroht. Sie dürfen nicht nach Eritrea abgeschoben werden.“ |
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| Diese Abschiebungsandrohung enthält keine Zielstaatsbestimmung und ist bereits aus diesem Grund rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Gemäß § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG soll in der Abschiebungsandrohung der Staat bezeichnet werden, in den der Ausländer abgeschoben werden soll. Eine Ausnahme hiervon gilt nach älterer Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wenn besondere Umstände vorliegen, die ein Absehen von der Zielstaatsbestimmung rechtfertigen. Dies kann etwa dann der Fall sein, wenn die Staatsangehörigkeit des Ausländers ungeklärt ist und kein anderer aufnahmebereiter Staat erkennbar ist. Dementsprechend sollte es auch möglich sein, bei Aufhebung einer rechtswidrigen Zielstaatsbezeichnung die Abschiebungsandrohung im Übrigen unberührt zu lassen (§ 59 Abs. 3 Satz 3 AufenthG; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 25.07.2000 - 9 C 42.99 -, juris Rn. 13, und vom 10.07.2003 - 1 C 21.02 -, juris Rn. 13; Hailbronner, AuslR, Stand: Dezember 2021, § 59 AufenthG Rn. 55; Berlit, GK-AuslR, Stand: 01.12.2016, § 59 AufenthG Rn. 63). |
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| Nach Inkrafttreten der Richtlinie 2008/115/EG - im Folgenden: Rückführungsrichtlinie - am 13.01.2009 bzw. dem Ablauf der Umsetzungsfrist am 24.12.2010 darf jedoch im Anwendungsbereich der Richtlinie nicht mehr offengelassen werden, in welches Land der Betroffene abgeschoben werden soll (EuGH, Urteil vom 24.02.2021 - C-673/19 -, juris Rn. 39; VG Freiburg, Urteil vom 13.04.2022 - 7 K 2079/20 -, in juris unter dem Az. 2089/20, Rn. 43; in diesem Sinne auch Anm. von Hoppe/Bauer zu EuGH, Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, NVwZ 2021, 1207, 1211; Berlit, GK-AuslR, Stand: 01.12.2016, § 59 AufenthG Rn. 65). Die Abschiebungsandrohung stellt nach einhelliger Auffassung in der Rechtsprechung eine Rückkehrentscheidung im Sinne des Art. 3 Nr. 4 Rückführungsrichtlinie dar (BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 41 und EuGH-Vorlage vom 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 31 f., auch Urteil vom 20.02.2020 - 1 C 1.19 -, juris Rn. 14 ff.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 -, juris Rn. 246, m.w.N., und Beschluss vom 15.10.2013 - 11 S 2114/13 -, juris Rn. 6 f., m.w.N.). Eine Rückkehrentscheidung ist danach die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Eine Rückkehrverpflichtung bezieht sich gemäß Art. 3 Nr. 3 Rückführungsrichtlinie auf das Herkunftsland des Drittstaatsangehörigen, ein Transitland oder ein anderes Drittland, in das der betreffende Drittstaatsangehörige freiwillig zurückkehren will und in dem er aufgenommen wird. Kommt nach den konkreten Umständen des Einzelfalls keines der in Art. 3 Nr. 3 Rückführungsrichtlinie genannten Länder als Zielort für die Rückkehr in Frage, ist es dem jeweiligen Mitgliedstaat rechtlich unmöglich, die ihm nach Art. 6 Abs. 2 Rückführungsrichtlinie obliegende Pflicht zu erfüllen, gegenüber einem illegal in seinem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen, eine Rückkehrentscheidung zu erlassen (EuGH, Urteil vom 24.02.2021 - C-673/19 -, juris Rn. 42). |
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| Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass ungeachtet der oben aufgeführten Vorgaben der Rückführungsrichtlinie nach der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof auch nach der genannten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts keine besonderen Umstände vorliegen, die ein Absehen von der Zielstaatsbezeichnung rechtfertigen (in diesem Sinne bereits VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.06.1996 - 13 S 1281/95 -, juris). Die Staatsangehörigkeit des Klägers ist geklärt. Weder in dem Asylverfahren beim Bundesamt noch im asylrechtlichen Klageverfahren gegen den Widerruf der Flüchtlingseigenschaft vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen war zweifelhaft, dass der Kläger eritreischer Staatsangehöriger ist. Ferner steht ausweislich des Urteils des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 25.01.2022 - A 1 K 2305/21 - fest, dass dieser in sein Herkunftsland nicht abgeschoben werden kann. Dementsprechend wäre auch das Bundesamt nicht befugt, eine Abschiebungsandrohung zu erlassen (§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 AsylG). Zudem ist derzeit kein anderer Staat ersichtlich, in den er in absehbarer Zeit abgeschoben werden könnte (dazu auch Hocks, in: NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, § 59 AufenthG Rn. 8; Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 59 AufenthG Rn. 52). Das Regierungspräsidium hat vielmehr die Abschiebungsandrohung offensichtlich nur aus dem Grund erlassen, das Einreise- und Aufenthaltsverbot aufrechtzuerhalten. Eine tatsächliche Abschiebung des Klägers ist dagegen unstreitig nicht geplant. |
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| Die Bezeichnung des Zielstaates in der Abschiebungsandrohung dient dem Ausländer dazu, etwaige der Ausländerbehörde oder dem Bundesamt nicht bekannte Abschiebungsverbote im Hinblick auf den ausdrücklich genannten Staat geltend zu machen und ihm daher auch effektiven Rechtsschutz zu ermöglichen (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 18.06.1996 - 13 S 1281/95 -, juris Rn. 8). Das rechtswidrige Fehlen einer Zielstaatsbestimmung verletzt den Kläger daher auch in seinen Rechten. |
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| 2. Ferner hat das Regierungspräsidium Freiburg im Ergänzungsbescheid vom 11.05.2022 unter Ziffer IV. weiter verfügt: |
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| „Für den Fall, dass das durch Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.03.2022 festgestellte Abschiebungsverbot in Bezug auf Eritrea vollziehbar widerrufen wird, wird Ihnen die Abschiebung nach Eritrea angedroht. Für diesen Fall werden Sie darauf hingewiesen, dass Sie auch in einen anderen Staat abgeschoben werden können, in den Sie einreisen dürfen oder der zu Ihrer Übernahme verpflichtet ist.“ |
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| Diese Abschiebungsandrohung ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Es ist rechtlich nicht zulässig, eine Abschiebungsandrohung nach Eritrea zu erlassen für „den Fall, dass das durch den Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 16.03.2022 festgestellte Abschiebungsverbot in Bezug auf Eritrea vollziehbar widerrufen wird“. |
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| Zwar sind nach Maßgabe des § 36 Abs. 2 Nr. 2 LVwVfG auch bei belastenden Verwaltungsakten Bedingungen möglich. Danach darf ein Verwaltungsakt nach pflichtgemäßem Ermessen erlassen werden mit einer Bestimmung, nach der der Eintritt oder der Wegfall einer Vergünstigung oder einer Belastung von dem ungewissen Eintritt eines zukünftigen Ereignisses abhängt. § 36 Abs. 1 LVwVfG sieht auch vor, dass eine Nebenbestimmung auch unabhängig davon, ob sie durch Rechtsvorschrift zugelassen ist, erlassen werden darf, wenn sie sicherstellen soll, dass die gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsaktes erfüllt werden. Der Erlass eines Verwaltungsaktes mit einer Nebenbestimmung setzt indes voraus, dass im Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung eine Regelung des Entscheidungsgegenstands im Wesentlichen überhaupt fehlerfrei getroffen werden kann (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.03.2001 - 11 S 2374/99 -, juris Rn. 32). Der Erlass einer Abschiebungsandrohung darf nur erfolgen, wenn auch die Abschiebung selbst rechtlich zulässig ist (Gordzielik, in: Huber/Mantel, AufenthG, 3. Auflage 2021, § 59 Rn. 8). Gegenwärtig steht der angedrohten Abschiebung nach Eritrea auf unabsehbare Zeit das vom Bundesamt festgestellte Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK entgegen. Zum jetzigen Zeitpunkt könnte daher eine Abschiebungsandrohung nach Eritrea nicht rechtsfehlerfrei erlassen werden. Das Regierungspräsidium verlagert damit wesentliche Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen seiner Abschiebungsandrohung auf die getroffene Nebenbestimmung. Dies ist unzulässig (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 13.03.2001 - 11 S 2374/99 -, juris Rn. 31). Denn § 36 Abs. 2 LVwVfG enthält keine allgemeine Ermächtigung der Behörde, nach Ermessen vom Vorliegen oder der genaueren Prüfung zwingender Voraussetzungen abzusehen und stattdessen auf Nebenbestimmungen auszuweichen. |
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| Die vom Regierungspräsidium Freiburg gewählte Gestaltung der Abschiebungsandrohung ist auch nicht mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in seiner Entscheidung vom 03.06.2021 in Einklang zu bringen. Dieser hat zwar ausgeführt, dass eine Rückkehrentscheidung auch gegen Drittstaatsangehörige ergehen könne, die wegen des Grundsatzes der Nichtzurückweisung nicht abgeschoben werden dürften, weil der Vollzug der Abschiebung nach Maßgabe des Art. 9 Abs. 1 lit. a Rückführungsrichtlinie aufgeschoben werden könne (EuGH, Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 58 f.). Ungeachtet der Frage, ob und wie die Ausführungen des Europäischen Gerichtshofs mit seiner früheren Rechtsprechung und der Rückführungsrichtlinie in Einklang zu bringen ist (krit. hierzu VG Freiburg, Urteil vom 13.04.2022, a.a.O., Rn. 47; Anm. von Hoppe/Bauer zu EuGH, Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, NVwZ 2021, 1207, 1211), wird durch die konkrete Gestaltung der Abschiebungsandrohung des Regierungspräsidiums vom 11.05.2022 aber gerade nicht die Abschiebung, also die Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung, d.h. die tatsächliche Verbringung aus dem Mitgliedstaat (Art. 3 Nr. 5 Rückführungsrichtlinie) i.S.d. Art. 9 Abs. 1 lit. a Rückführungsrichtlinie aufgeschoben. Vielmehr bedingt die gewählte rechtliche Gestaltung, nämlich die Verbindung mit einer aufschiebenden Bedingung, den Aufschub der Abschiebungsandrohung als Rückkehrentscheidung i.S.d. Art. 3 Nr. 4 Rückführungsrichtlinie selbst. Dies ist in der Richtlinie indes gerade nicht vorgesehen. |
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| c) Die Abschiebungsandrohung ist schließlich auch deshalb rechtswidrig, weil sie dem Kläger ermessensfehlerhaft keine Frist zur freiwilligen Ausreise einräumt (§ 114 VwGO). |
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| Nach § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG, dem Art. 7 Abs. 1 Satz 1 Rückführungsrichtlinie zugrunde liegt, ist die Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Abgesehen von Fällen, in denen sich der Betroffene auf richterliche Anordnung in Haft oder in sonstigem öffentlichen Gewahrsam befindet (§ 59 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG), kann von einer Frist auch dann gemäß § 59 Abs. 1 Satz 2 AufenthG abgesehen werden, wenn der begründete Verdacht besteht, dass sich der Ausländer der Abschiebung entziehen will (Nr. 1), oder von ihm eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgeht (Nr. 2; vgl. auch Art. 7 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie). Auf eine Fristsetzung darf danach nur dann verzichtet werden, wenn aus dringenden öffentlichen Interessen noch nicht einmal eine kurze Ausreisefrist eingeräumt werden kann und auch die sofortige Abschiebung durchführbar ist (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 07.12.2020 - 12 S 3065/20 -, juris Rn. 29; Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, AuslR, 13. Aufl. 2020, § 59 AufenthG Rn. 17 und 29; Berlit, in: GK-AuslR, Stand: 01.12.2016, § 59 Rn. 103, m.w.N.). |
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| Vorliegend hat das Regierungspräsidium offensichtlich von seinem Ermessen keinen Gebrauch gemacht. Im angegriffenen Bescheid vom 11.12.2019 in Gestalt der Ergänzung vom 11.05.2022 finden sich keine Ausführungen dazu, aus welchem Grund es nicht zumutbar sein soll, dem Kläger eine Frist zur freiwilligen Ausreise einzuräumen. Dies gilt umso mehr, als dass eine Abschiebung weder nach Eritrea noch in irgendeinen anderen Staat derzeit faktisch durchführbar ist (vgl. oben). |
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| Das mit Bescheid vom 11.12.2019 unter Ziffer III. angeordnete Einreise- und Aufenthaltsverbot ist ebenfalls rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. |
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| 1. Der Tatbestand des § 11 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 AufenthG ist erfüllt. Hiernach ist gegen einen Ausländer, der ausgewiesen worden ist, ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gemeinsam mit der Ausweisungsverfügung zu erlassen. |
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| 2. Allerdings ist diese Vorschrift aufgrund des Vorrangs des Unionsrechts insoweit unanwendbar (vgl. auch VG Freiburg, Urteil vom 26.01.2022 - 7 K 826/20 -, und Urteil vom 13.04.2022, a.a.O., beide juris). |
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| a) Ein nationales Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden hat, ist gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen |
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| oder abwarten müsste (EuGH, Urteil vom 07.02.1991 - C-184/89 -, Rn. 19, und vom 09.03.1978 - C-106/77 -, Rn. 17/18, beide juris). |
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| Gemäß Art. 3 Nr. 6 Rückführungsrichtlinie geht ein Einreiseverbot „mit einer Rückkehrentscheidung einher“. Es stellt damit eine Ergänzung der Rückkehrentscheidung dar (EuGH, Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 52) und kann ohne eine solche nicht aufrechterhalten werden (EuGH Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 54 und 61; vgl. diesbezüglich auch BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 53; OVG Bremen, Beschluss vom 28.09.2021 - 2 LA 206/21 -, juris Rn. 12, sowie etwa VG Karlsruhe, Urteil vom 01.10.2021 - A 19 K 2563/21 -, juris Rn. 70). In der (deutschen) Rechtsprechung besteht Einigkeit darüber, dass die Abschiebungsandrohung - und nicht etwa die Ausweisung - als eine Rückkehrentscheidung zu verstehen ist (dazu etwa BVerwG, EuGH-Vorlage vom 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 31 f., auch Urteil vom 20.02.2020 - 1 C 1.19 -, juris Rn. 14 ff., und Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 41; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 12.12.2018 - A 11 S 1923/17 -, juris Rn. 246, m.w.N., und Beschluss vom 15.10.2013 - 11 S 2114/13 -, juris Rn. 6 f., m.w.N.; VG Freiburg, Urteil vom 26.01.2022 - 7 K 826/20 -, juris Rn. 41; a.A. etwa Oberhäuser, in: NK-AuslR, 2. Aufl. 2016, § 11 AufenthG Rn. 9). |
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| Für die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG reicht es dagegen aus, wenn der Ausländer - wie hier - ausgewiesen wurde. Eine Abschiebungsandrohung muss danach nicht erlassen werden. |
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| c) Auch ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das nur mit einer Ausweisung aus Gründen der Gefahrenabwehr verfügt wurde, ist nach der aktuellen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -) am Maßstab der Rückführungsrichtlinie zu messen (BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 53; a.A. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris). |
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| Die Rückführungsrichtlinie ist danach generell auf Personen anwendbar, die über keinen Aufenthaltstitel oder keine sonstige Aufenthaltsberechtigung im Aufnahmestaat verfügen (siehe Art. 6 Abs. 4 Rückführungsrichtlinie). |
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| Nach Art. 2 Abs. 1 Rückführungsrichtlinie findet die Richtlinie Anwendung auf illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältige Drittstaatsangehörige. Illegaler Aufenthalt wird gemäß Art. 3 Nr. 2 Rückführungsrichtlinie als die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen in einem Mitgliedstaat bezeichnet, wenn die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 des Schengener Grenzkodex oder andere Voraussetzungen für die Einreise in diesen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllt werden. Damit reicht es aus, wenn der Betreffende (aktuell) die Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder für den dortigen Aufenthalt nicht erfüllt und „schon allein deswegen“ dort illegal aufhältig ist (vgl. EuGH, Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 43 f.). Von der in Art. 2 Abs. 2 lit. b Rückführungsrichtlinie vorgesehenen Möglichkeit, die Richtlinie auf Drittstaatsangehörige, die aufgrund oder infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind, nicht anzuwenden, hat der deutsche Gesetzgeber keinen Gebrauch gemacht (BVerwG, Beschluss vom 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 37, und vom 06.05.2020 - 1 C 14.19 -, juris Rn. 2 sowie Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 54; bereits zuvor VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 83, und vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, juris Rn. 87; zuletzt a.A. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20, juris Rn. 152 ff.). |
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| Im Falle des Klägers ist schon deshalb von einem „illegalen Aufenthalt“ in diesem Sinne auszugehen, weil er keinen Aufenthaltstitel (mehr) besitzt. Im Übrigen hat die Ausweisung (vgl. hierzu unten, B.III.) zur Folge, dass nach § 51 Abs. 1 Nr. 5 AufenthG der für den Aufenthalt in Deutschland erforderliche Aufenthaltstitel erlischt und der Ausländer kraft Gesetzes (§ 50 AufenthG) zur Ausreise verpflichtet wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 42). |
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| d) Dies gilt nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs auch dann, wenn der Ausländer - wie hier der Kläger - tatsächlich nicht abgeschoben werden darf (siehe § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK). |
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| Auch unter Berücksichtigung der hieraus resultierenden Folgen für die Wirksamkeit der Ausweisung als ausländerrechtliches Instrument der Gefahrenabwehr und der hieran anknüpfenden Kritik des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg (Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris Rn. 139 ff.; vgl. auch Urteil vom 07.12.2011 - 11 S 897/11 -, juris Rn. 83, und vom 10.02.2012 - 11 S 1361/11 -, juris Rn. 87) kann die Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie im vorliegenden Fall nicht verneint werden. Denn der Europäische Gerichtshof hat auf die ausdrückliche Frage des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, Beschluss vom 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris) deutlich gemacht, dass auch ein Einreise- und Aufenthaltsverbot, das aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung auf der Grundlage einer früheren strafrechtlichen Verurteilung zu „nichtmigrationsbedingten Zwecken“ verhängt wurde, unter den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie fällt (EuGH, Urt. v. 03.06.2021 - C-546/19 -, juris Rn. 48, vgl. nunmehr auch BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 53). |
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| Die unter Ziffer I. des Bescheids vom 11.12.2019 verfügte Ausweisung des Klägers aus der Bundesrepublik Deutschland ist zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung (vgl. BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris, und vom 30.07.2013 - 1 C 9.12 -, juris; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.03.2017 - 11 S 2029/16 -, juris) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. |
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| 1. Rechtsgrundlage für die Ausweisung ist der Grundtatbestand des § 53 Abs. 1 Auf-enthG. Danach wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitlich-demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit dem Interesse an dem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Im Hinblick auf den unanfechtbaren Widerruf der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft kommt dem Kläger der besondere Ausweisungsschutz des § 53 Abs. 3a AufenthG zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht (mehr) zu. |
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| Die in § 54 AufenthG fixierten Tatbestände erfüllen zwei Funktionen: Sie sind gesetzliche Umschreibungen spezieller öffentlicher Interessen an einer Ausweisung im Sinne von § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG und weisen diesen Ausweisungsinteressen zugleich ein besonderes Gewicht für die durch § 53 Abs. 1 Halbs. 2 und Abs. 2 AufenthG geforderte Abwägung zu. Ein Rückgriff auf die allgemeine Formulierung eines öffentlichen Ausweisungsinteresses in § 53 Abs. 1 Halbs. 1 AufenthG ist deshalb entbehrlich, wenn der Tatbestand eines besonderen Ausweisungsinteresses nach § 54 AufenthG verwirklicht ist. Allerdings bedarf es auch bei Verwirklichung eines Tatbestandes nach § 54 AufenthG stets der Feststellung, dass die von dem Ausländer ausgehende Gefahr im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt fortbesteht (BVerwG, Urteil vom 25.07.2017 - 1 C 12.17 -, juris). |
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| 2. Die Verfügung ist formell rechtmäßig. Der Kläger wurde zu der beabsichtigten Ausweisung nach § 28 Abs. 1 LVwVfG angehört. Ferner wurde die Entscheidung durch das gemäß §§ 3, 6 Abs. 1 Nr. 1 AAZuVO zuständige Regierungspräsidium Freiburg getroffen. |
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| 3. Der Kläger erfüllt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse (a) und gefährdet dadurch auch noch im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung die öffentliche Sicherheit und Ordnung (b). |
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| a) Beim Kläger liegt ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse im Sinne von § 54 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG vor, der voraussetzt, dass der Ausländer wegen einer oder mehrerer vorsätzlicher Straftaten rechtskräftig zu einer Freiheits- oder Jugendstrafe von mindestens zwei Jahren verurteilt worden ist oder bei der letzten rechtskräftigen Verurteilung Sicherungsverwahrung angeordnet worden ist. Der Kläger ist mit Urteil des Amtsgerichts XXX vom 29.07.2019 - 1 Ls 21 Js 2614/19 -, das seit dem 06.08.2019 rechtskräftig ist, wegen sexuellen Übergriffs und Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. |
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| b) Der Aufenthalt des Klägers gefährdet auch die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG, da von ihm weiterhin die Gefahr der Begehung von Straftaten ausgeht. |
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| aa) Bei Ausweisungen aus Gründen der Spezialprävention haben die Ausländerbehörden und Verwaltungsgerichte eine eigenständige Prognose zur Wiederholungsgefahr zu treffen (BVerwG, Urteil vom 15.01.2013 - 1 C 10.12 -, juris). Bei der aufenthaltsrechtlichen Gefahrenprognose sind die Verwaltungsgerichte an die Entscheidungen der Strafgerichte über eine Aussetzung der Strafe zur Bewährung nicht gebunden (vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.2012 - 1 C 20.11. -, juris), jedoch kommt dieser Entscheidung eine Indizwirkung zu (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.02.2019 - 12 S 2789/18 -, juris). Bei der Prognoseentscheidung sind der Grad der Wahrscheinlichkeit neuer Verfehlungen und die Art und das Ausmaß möglicher Schäden zu ermitteln und zueinander in Bezug zu setzen. An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris). Bei dieser Prognoseentscheidung sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, aber auch die Gesamtpersönlichkeit des Täters und seine Entwicklung und Lebensumstände bis zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt, der Entscheidung des Gerichts (vgl. BVerwG, Urteil v. 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris; Beschluss vom 16.11.2000 - 9 C 6.00 -, juris; Bayerischer VGH, Beschluss vom 09.05.2017 - 10 ZB 16.57 -, juris). |
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| bb) Bei Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Kammer aus den Akten und dem persönlichen Eindruck vom Kläger in der mündlichen Verhandlung die Überzeugung gewonnen (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO), dass nach wie vor eine erhebliche Wiederholungsgefahr besteht. |
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| Gefahren, die von Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und die körperliche Integrität ausgehen, sind schwerwiegend und berühren ein Grundinteresse der Gesellschaft. Die betroffenen Schutzgüter nehmen in der Hierarchie der in den Grundrechten enthaltenen Wertordnung einen hohen Rang ein. Daher sind an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nach den vorangestellten Ausführungen geringere Anforderungen zu stellen. |
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| Für eine erhebliche Wiederholungsgefahr spricht zunächst, dass der Kläger, nachdem er mit Strafbefehl vom 22.01.2019, ihm zugestellt am 26.02.2019, durch das Amtsgericht XXX wegen einer sexuellen Belästigung am 14.09.2018 zu einer Geldstrafe verurteilt worden war, in der Nacht vom 02. auf den 03.03.2019 die Anlasstat begangen hat. In beiden Fällen drängte sich der Kläger ihm zuvor nicht bekannten jungen Frauen auf und setzte sich mit Gewalt über den ausdrücklichen Willen, mit dem Kläger keinen (sexuellen) körperlichen Kontakt haben zu wollen, hinweg. Er ist mithin kein Ersttäter und hat sich die Ahndung der Tat vom 14.09.2018, die ein ähnliches Gepräge aufweist, nicht zur Mahnung und Besserung gereichen lassen. |
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| Auf eine erhebliche Wiederholungsgefahr deutet auch die vollständige Verbüßung der Freiheitsstrafe hin. Eine nach § 57 Abs. 1 StGB grundsätzlich mögliche Aussetzung der Vollstreckung des Rests einer Freiheitsstrafe zur Bewährung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Haftzeit ist nicht erfolgt. Auf der Grundlage des forensisch-psychiatrischen Gutachtens des Sachverständigen PD Dr. med. XXX vom 25.09.2020 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts XXX mit Beschluss vom 23.10.2020 - 1 StVK 499/20 - die Voraussetzung des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB - nämlich die Verantwortbarkeit der Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit - als nicht gegeben angesehen. Der Sachverständige kam auf der Grundlage der Strafverfahrensakten, der Gefangenenakten der Justizvollzugsanstalt XXX, einer psychiatrischen Exploration des Klägers am 04.09.2020 und am 24.09.2020 und im Wege des Verfahrens zum Risikoassessment zu der Einschätzung, dass eine ausreichend positive Prognose bei baldiger Bewährungsentlassung nicht möglich sei. Eine Relativierung der sich aus dem Delikttyp und der Tatmerkmale ableitenden Gefährdungsvorhersage liege nicht vor. Die Delikts- und Persönlichkeitsaufarbeitung sei noch nicht abgeschlossen. Der Kläger habe zum Zeitpunkt der Begutachtung jenseits der enthemmenden Wirkung des konsumierten Alkohols keine Erklärung für sein Verhalten in der Tatnacht entwickeln können. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit seiner Sichtweise auf Frauen, z.B. als Objekte sexueller Verfügbarkeit, und der Respektierung körperlicher Grenzen und einer ablehnenden Haltung seitens der betroffenen Frauen, sei dem Kläger bislang nicht gelungen. Auch ein Hineinversetzen in die Rolle der betroffenen Frauen sei ihm nur bedingt möglich gewesen. Im Vordergrund stünden vielmehr selbstbezogene Affekte (vor allem Scham). In Kombination sowohl mit klinischen als auch aktuarisch ermittelten Gesichtspunkten ergebe sich ein gegenüber der (wenngleich heterogenen) statistischen Basisrate weiterhin gleichbleibend erhöhtes strukturelles Rückfallrisiko für Sexualdelikte. |
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| Ferner hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 16.07.2021 - 1 StVK 499/20 - entschieden, dass die nach § 68f Abs. 1 StGB nach der Haftentlassung eintretende Führungsaufsicht nicht entfalle und auch nicht abgekürzt werde. Sie hat dabei als maßgeblich angesehen, dass sich aus Alkoholkonsum und dem Leben in einem nicht sozial-kontrollierten Raum eine Rückfallgefahr ergeben könne. Der soziale Empfangsraum des Klägers nach der Haftentlassung sei noch völlig unklar. Ferner sei seine aufenthaltsrechtliche Situation ungeklärt. Aus diesem Grund sei eine engmaschige Kontrolle erforderlich, um eine Rückfallgefahr so gering wie möglich zu halten. |
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| Eine Wiederholungsgefahr nimmt auch das Landeskriminalamt im Ergebnis seiner am 27.05.2021 nach Aktenlage vorgenommenen Risikobewertung an. Diese Bewertung stützt sich ebenfalls im Wesentlichen darauf, dass der Kläger die Tat(en) und die Gründe für ihre Begehung bislang nicht hinreichend aufgearbeitet habe. Der Kläger selbst stelle als wesentliche Ursache den Konsum von Alkohol in den Vordergrund. Auch die Behandlung des Alkoholkonsums werde vom Kläger nicht mit hinreichendem Nachdruck verfolgt. Der Kläger sei unter Abwägung der Prognoseparameter nach der Gefahreneinstufung KURS (Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern) in der Gefahrenkategorie 2 - hohes Gefahrenpotential - einzuordnen. |
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| Zu Gunsten des Klägers ist zu berücksichtigen, dass sich dieser nach Lage der Akten in der Haft weitgehend beanstandungsfrei, kooperativ, freundlich, fleißig und hilfsbereit verhalten hat. Es ist ausweislich der Gefangenenpersonalakten (nur) zu zwei Disziplinarmeldungen im Zusammenhang mit einer verbal-körperlichen Auseinandersetzung bzw. mit der Verweigerung, der Arbeit nachzugehen, gekommen. |
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| Ferner hält sich der Kläger nach telefonischer Auskunft des zuständigen Richters der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts XXX vom 11.05.2022 bislang an die Auflagen, die ihm im Rahmen der Führungsaufsicht auferlegt worden sind. Insbesondere ist er ausweislich mehrerer Screenings jedenfalls seit seiner Haftentlassung abstinent. Nach seinen eigenen Angaben hat er seit Beginn der Untersuchungshaft keinen Alkohol mehr getrunken. |
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| Ausweislich der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Stellungnahme des Zentrums für Psychiatrie XXX vom 09.05.2022 befindet er sich seit dem 30.09.2021 entsprechend der führungsaufsichtsrechtlichen Weisung in der ambulanten forensisch-psychiatrischen Nachsorge und nimmt die 14-tägigen Termine „ganz überwiegend zuverlässig wahr“. Im Abgleich mit einer Normstichprobe von Sexualstraftätern ergebe sich ein durchschnittliches Risiko. Das statistische Rückfallrisiko im Vergleich zu einer Stichprobe von Sexualstraftätern für neuerliche Sexualdelikte in einem 5-Jahreszeitraum liege bei 5 %. Der Kläger zeige sich interessiert, die Deliktumstände zu besprechen und es werde eine klare Änderungsmotivation deutlich. Sein Blick auf die Tat sei von Reue und Scham geprägt. Die Abstinenz halte er zuverlässig ein. Es werde eine reale Chance gesehen, dass mit Wiederaufnahme einer Arbeit, den Kontakten zur Bewährungshilfe und der forensischen Ambulanz sowie weiterer Abstinenz langfristig eine Legalbewährung gelinge. |
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| Die Bewährungshilfe geht in ihrem Bericht vom 15.11.2021 davon aus, dass ein geringes Rückfallrisiko bestehe. Der Kläger halte zuverlässig Kontakt zur Bewährungshilfe und befolge die gegen ihn ergangenen Weisungen. |
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| Seit März 2022 absolviert der Kläger beim Verein „XXX e.V.“ nach einer Vermittlung durch seinen Bewährungshelfer ein Berufsorientierungspraktikum. Er wohnt gegenwärtig gemeinsam mit anderen Ausländern in einer Wohngemeinschaft. |
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| Unter Berücksichtigung der vorstehenden Einschätzungen und Umstände geht die Kammer auch auf der Grundlage des persönlichen Eindrucks, den sie vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gewinnen konnte, davon aus, dass gegenwärtig noch eine erhebliche Wiederholungsgefahr von ihm ausgeht. Die fachlich fundierten und nachvollziehbaren Bewertungen, die die Strafvollstreckungskammer und das Landeskriminalamt unter anderem auf der Grundlage eines ausführlichen und überzeugenden forensisch-psychiatrischen Gutachtens vorgenommen haben, werden durch die Entwicklungen seit der Haftentlassung am 26.08.2021 nicht durchgreifend wiederlegt. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass sich der Kläger bislang an die Weisungen der Führungsaufsicht hält und ernsthaft bemüht ist, ein straffreies Leben zu führen. Zugleich hat sie aber auch in der mündlichen Verhandlung nicht die Überzeugung gewinnen können, dass der Kläger die Tatbegehung, ihre Ursachen und die Folgen für das Opfer bereits hinreichend aufgearbeitet hat. Nach wie vor stehen für ihn Scham und Reue - auch im Hinblick auf seine Familie - im Vordergrund. Dies entspricht auch dem Verhalten und den Einlassungen des Klägers, die er in der Vergangenheit gemacht hat: |
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| In der Stellungnahme zur beabsichtigten Ausweisung und in der Klagebegründung hat er eine selbstkritische Reflektion der Taten und ihrer Folgen für die Geschädigten nicht erkennen lassen, sondern jeweils allein zielstaatsbezogene Aspekte angeführt, die einer Ausweisung entgegenstehen sollen. Auch seine Angaben bei der fachpsychiatrischen Begutachtung durch PD Dr. med. XXX und in der mündlichen Verhandlung über seine asylrechtliche Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen vom 25.01.2022 lassen erkennen, dass er nach wie vor versucht, die Taten und sein Verhalten zu relativieren. Die sexuelle Belästigung vom 14.09.2018 an einem Busbahnhof zum Nachteil einer Schülerin hat er dort als Missverständnis dargestellt. Vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen hat er zudem abgestritten, die junge Frau überhaupt angefasst zu haben, während er gegenüber dem fachpsychiatrischen Gutachter noch eingeräumt hatte, die junge Frau am Schenkel berührt zu haben. Der Kläger stellt auch die Anlasstat nach wie vor relativierend dar. In der mündlichen Verhandlung beim Verwaltungsgericht Sigmaringen hat er im Wesentlichen angegeben, der Austausch von Zärtlichkeiten sei - mit Ausnahme des Geschlechtsverkehrs - einvernehmlich erfolgt. |
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| Die Abstinenz scheint für ihn ein wesentlicher Umstand zu sein, der einen Rückfall verhindern kann. Andere Faktoren, die zur Tat geführt haben, kann er für sich noch nicht hinreichend konkret benennen. Die Folgen der Tat für sein Opfer beschreibt er nur sehr abstrakt. Auch scheint er seine durchaus glaubhafte Änderungsmotivation noch nicht auf die Probe gestellt zu haben. Er bewegt sich in einem engen sozialen Umfeld, das teilweise aus Landsleuten besteht. Er hat außerhalb dieses Umfelds bislang keinen Kontakt mehr zu jungen Frauen gehabt. Allein das Praktikum zur Berufsorientierung stellt gegenwärtig einen verlässlichen stabilisierenden Faktor dar. Zugleich ist dem Kläger aufgrund der nicht geklärten Identität gegenwärtig keine Erwerbstätigkeit gestattet. |
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| Das Geständnis, das zudem Gegenstand einer strafprozessualen Verständigung war, ist zwar strafmildernd berücksichtigt worden. Es kann indes die Wiederholungsgefahr nicht verringern oder ausschließen. Es ist angesichts der Beweislage nicht erkennbar, dass diesem Geständnis eine Einsicht in das begangene Unrecht und eine aufrichtige Reue zu Grunde liegen. |
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| cc) Nach dem Widerruf der Flüchtlingseigenschaft können auch generalpräventive Gründe die Ausweisung stützen. |
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| Vor allem bei besonders schwerwiegenden Straftaten besteht ein dringendes Bedürfnis dafür, im Rahmen einer kontinuierlichen Ausweisungspraxis andere Ausländer von der Begehung derartiger Straftaten abzuhalten (vgl. BVerwG, Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 -, juris Rn. 17, und Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 -, juris Rn. 17). Denn vom Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann unabhängig vom Vorliegen einer Wiederholungsgefahr auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen, wenn im Fall des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, juris Rn. 16). |
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| Aufgrund des Prinzips der Verhältnismäßigkeit ist eine solche generalisierende Betrachtungsweise zwar nur dann zulässig, wenn ein dringendes Bedürfnis besteht, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch die Ausweisung andere Ausländer von der Begehung von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten. Dies ist in Fällen von besonders schwerwiegenden Straftaten anzunehmen, von denen eine besonders hohe Gefahr für den Staat oder die Gesellschaft ausgeht (BVerwG, Urteil vom 14.02.2012 - 1 C 7.11 -, juris). Außerdem ist erforderlich, dass das Ausweisungsinteresse noch aktuell ist, denn jedes generalpräventive Ausweisungsinteresse verliert mit zunehmendem Zeitabstand an Bedeutung. Für die zeitliche Begrenzung eines generalpräventiven Ausweisungsinteresses, das an ein strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, ist eine Orientierung an den Fristen der Strafverfolgungsverjährung nach §§ 78 ff. StGB angezeigt (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, und Urteil vom 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, beide juris). |
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| Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Von der zuletzt beim Kläger abgeurteilten Tat - sexueller Übergriff und Vergewaltigung - geht eine hohe Gefahr für den Staat und die Gesellschaft aus. Dieser Bewertung liegen die oben festgestellten und individuell gewürdigten Umstände zugrunde. Schließlich ist das an die letzte Straftat des Klägers anknüpfende generalpräventive Ausweisungsinteresse noch aktuell. Der hier verwirklichte Straftatbestand des Verbrechens der Vergewaltigung § 177 Abs. 5, Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB unterliegt gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB einer Verjährungsfrist von zwanzig Jahren (siehe auch § 38 Abs. 2 StGB). Dieser Zeitraum ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht verstrichen. |
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| Unbeachtlich ist insoweit, ob der Kläger einen Anspruch darauf hat, dass die Aufenthaltserlaubnis verlängert oder erteilt wird. Durch die Verwendung des Wortes „besitzt“ in § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG wurde zum Ausdruck gebracht, dass eine Aufenthaltserlaubnis tatsächlich vorhanden, also dem jeweiligen Ausländer erteilt sein muss. Das entspricht dem Willen des Gesetzgebers. Dieser hat in Bezug auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG in der Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung klargestellt, dass nur der Inhaber einer Niederlassungserlaubnis geschützt werden soll (s. BT-Drs. 18/4097, S. 53). Das lässt sich auf § 55 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG übertragen, da beide Vorschriften den Begriff „besitzt“ verwenden (vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23.10.2018 - 7 A 10866/18 -, juris Rn. 29 m.w.N.). Demnach reicht es auch nicht aus, wenn im maßgeblichen Zeitpunkt die Aufenthaltserlaubnis nur beantragt ist oder die Erteilungsvoraussetzungen vorliegen (vgl. Bauer, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 55 Rn. 6; Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 55 Rn. 10; Fleuß, in: BeckOK Ausländerrecht, Kluth/Heusch, Stand 01.05.2022, § 55 Rn. 22). |
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| Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass der Beklagte den Antrag des Klägers auf Verlängerung bzw. Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis rechtswidrig abgelehnt hat (vgl. hierzu Cziersky-Reis, in: Hofmann, Ausländerrecht, 2. Auflage 2016, § 55 Rn. 10). Denn der Kläger hat keinen gebundenen Anspruch auf die Verlängerung oder Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis, der durch die rechtswidrige und nicht bestandskräftige Ablehnung verletzt worden wäre. Nur unter diesen Voraussetzungen könnten es die Garantie eines effektiven Rechtsschutzes, Art. 19 Abs. 4 GG, und die Gewährleistung eines fairen Verfahrens, Art. 20 Abs. 3 GG, gebieten, den Kläger so zu stellen, als hätte die Ausländerbehörde von Anfang an rechtmäßig gehandelt (OVG Bremen, Urteil vom 10.05.2011 - 1 A 306/10 -, juris Rn. 76). Der Kläger hat indes lediglich einen Anspruch gegen den Beklagten auf ermessensfehlerfreie Bescheidung seines Antrags (vgl. unten, B.IV.) |
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| Bereits das Nichtvorliegen eines typisierten besonders schwerwiegenden oder schwerwiegenden Bleibeinteresses nach § 55 Abs. 1 oder 2 AufenthG als Gegengewicht zu dem hier vorliegenden besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse indiziert das Überwiegen des öffentlichen Interesses an der Ausweisung. Bei der gleichwohl noch vorzunehmenden Abwägung sind nach § 53 Abs. 2 AufenthG insbesondere die Dauer des Aufenthalts des Klägers, seine persönlichen, wirtschaftlichen oder sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen. Zudem sind die Schutzwirkungen des Art. 6 Abs. 1 GG sowie die des Art. 8 EMRK zu berücksichtigten. |
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| a) Kann eine Ausweisung nach § 53 Abs. 1 AufenthG mangels einer effektiven Rückkehrentscheidung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, juris) nicht mit einem befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen werden (vgl. ausführlich oben, B.II.), kann sich im Rahmen der Abwägung nach § 53 Abs. 1 AufenthG auch die Frage stellen, worin im konkreten Einzelfall das öffentliche Ausweisungsinteresse begründet liegt (vgl. auch VG Freiburg, Urteil vom 13.04.2022, a.a.O., Rn. 35). Die Unionsrechtswidrigkeit eines Einreise- und Aufenthaltsverbots, das nicht mit einer Rückkehrentscheidung einhergeht, hat „wiederum nach nationalem Recht Auswirkungen auf die Prüfungsinhalte der Abwägung im Rahmen der Entscheidung über eine Ausweisung“ (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris Rn. 149). |
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| Vor dem Hintergrund des gefahrenabwehrrechtlichen Schwerpunktes der inlandsbezogenen Ausweisung muss daher geprüft werden, inwiefern sie - ohne ein Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG - die Abwehr oder Reduzierung der Wiederholungsgefahr durch ihren Regelungsgehalt und die an sie knüpfenden Rechtsfolgen überhaupt noch leisten kann. |
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| In den Blick zu nehmen sind dabei die ausländerrechtlichen Rechtsfolgen und sonstigen Wirkungen, die eine Ausweisung ohne ein rechtmäßiges befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot entfalten kann. Diese Rechtsfolgen sind an dem Ziel der Ausweisung zu messen, durch sie die vom Ausländer ausgehende gegenwärtige Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland abzuwehren |
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| oder zumindest zu verringern. |
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| Kommt einer Ausweisung ohne befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot nach den konkreten Umständen des Einzelfalls im Hinblick auf ihre gefahrenabwehrrechtliche Zielrichtung überhaupt keine zur Gefahrenabwehr oder -verringerung taugliche Wirkung mehr zu, könnte das öffentliche Ausweisungsinteresse deutlich gemindert sein oder gar entfallen. In der Folge ginge dann die nach § 53 Abs. 1 AufenthG auf der Tatbestandsseite vorausgesetzte Abwägung zu Gunsten des Bleibeinteresses des Ausländers aus bzw. die Tatbestandsvoraussetzung für die Ausweisung entfiele. Dies bedarf im vorliegenden Fall indes keiner abschließenden Entscheidung, weil jedenfalls im konkreten Einzelfall des Klägers noch von hinreichenden Wirkungen der Ausweisung auszugehen ist. |
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| aa) Die hier verfügte Ausweisung ändert nichts an dem Umstand, dass der Kläger vorerst im Bundesgebiet bleibt, da er derzeit wegen des vom Verwaltungsgericht Sigmaringen mit Urteil vom 25.01.2022 - A 1 K 2305/21 - aufgrund der Wertungen des Art. 3 EMRK festgestellten Abschiebungsverbots nicht in sein Herkunftsland Eritrea abgeschoben werden darf. |
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| Damit könnte er bis zu dem Zeitpunkt, in dem seine Abschiebung wieder möglich sein wird, weiterhin Straftaten begehen. Dennoch geht von der Ausweisung insoweit eine - gefahrenabwehrrechtlich grundsätzlich gebotene - verhaltenssteuernde Wirkung aus. |
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| Eine Ausweisung ohne Abschiebungsandrohung - die sogenannte inlandsbezogene Ausweisung - hat grundsätzlich den Zweck, eine Aufenthaltsverfestigung des Ausländers zu verhindern und soll nicht zu einer Aufenthaltsbeendigung führen (vgl. BVerwG, Urteil vom 25.07.2017 - 1 C 12.16 -, juris Rn. 23, und vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 -, juris Rn. 48; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 21.04.2010 - 11 S 200/10 -, juris Rn. 60; Bayerischer VGH, Urteil vom 28.06.2016 - 10 B 15.1854 -, Rn. 41). Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs 03.06.2021 (- C-546/19 -, juris), steht nach Auffassung der Kammer (zuletzt offengelassen von BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6/21 -, juris Rn. 42) dem rechtmäßigen Erlass einer sog. inlandsbezogenen Ausweisung grundsätzlich nicht ohne Weiteres entgegen, weil die Ausweisung selbst keine Rückkehrentscheidung darstellt (BVerwG, Beschluss vom 09.05.2019 - 1 C 14.19 -, juris) und daher nicht an der Rückführungsrichtlinie zu messen ist (BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 41). |
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| bb) Der Zweck, die Aufenthaltsverfestigung des Ausländers zu verhindern, wurde bei der sog. inlandsbezogenen Ausweisung bislang durch die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG erreicht, das seine Wirkungen unabhängig von der tatsächlichen Ausreise aus dem Bundesgebiet entfaltet (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, juris Rn. 140). |
|
| Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 -, juris) und unter Berücksichtigung der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach auch ein allein an eine Ausweisung geknüpftes Einreise- und Aufenthaltsverbot im Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie mit einer Rückführungsentscheidung einhergehen muss (BVerwG, Urteil vom 16.02.2022 - 1 C 6.21 -, juris Rn. 51 ff.), führt eine sog. inlandsbezogene Ausweisung - wie auch hier (vgl. unten, B.II.) - nicht mehr zu einer sog. „Titelerteilungssperre“ nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. |
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| Die Ausweisung kann jedoch in der Zukunft nach einem Widerruf der mit Bescheid des Bundesamts vom 16.03.2022 getroffenen Feststellung eines Abschiebungsverbots dazu führen, dass mit Erlass einer Rückkehrentscheidung in Gestalt einer Abschiebungsandrohung auch ein befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot zu erlassen wäre, welches dann eine Titelerteilungssperre zur Folge hätte. Unter diesem Gesichtspunkt kommt der Ausweisung eine - wenn auch nur latent - verhaltenssteuernde Wirkung in Richtung auf den Kläger zu. |
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| Ferner führt die zusätzliche Berücksichtigung generalpräventiver Erwägungen dazu, dass der Ausweisung weitere Wirkungen zukommen, die geeignet sind, Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorzubeugen. Denn sie kann auch bei Vorliegen von Abschiebungsverboten oder -hindernissen insofern eine selbständige Bedeutung haben, als dass sie andere Ausländer im Sinne generalpräventiver Erwägungen von weiterer Straftatenbegehung abschrecken kann (BVerwG, Beschluss vom 18.08.1995 - 1 B 55.95 -, juris Rn. 9, auch Urteil vom 31.08.2004 - 1 C 25.03 -, juris Rn. 15; vgl. auch Bayerischer VGH, Urteil vom 28.06.2016 - 10 B 15.1854 -, Rn. 42). |
|
| Diese Wirkungen sind - unabhängig von den begrenzten rechtlichen Wirkungen der inlandsbezogenen Ausweisung im vorliegenden Fall - nach Auffassung der Kammer noch ausreichend, um überhaupt von einem berechtigten öffentlichen Interesse an der Ausweisung ausgehen zu können. In diese Wertung fließt auch ein, dass der Gesetzgeber die Ausweisung als gebundene Entscheidung ausgestaltet hat, die von der Ausländerbehörde zu treffen ist, wenn der Tatbestand erfüllt ist. Eine Ermessensentscheidung, in deren Rahmen auch die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne und damit der Grad der Eignung im Verhältnis zur Intensität der Rechtsbeeinträchtigung zu prüfen wäre, ist gerade nicht vorgesehen. |
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| Offen bleiben kann nach alledem, ob eine inlandsbezogene Ausweisung auch dann als rechtmäßig anzusehen wäre, wenn sie nicht (auch) auf generalpräventive Gründe gestützt werden kann. |
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| b) Auch im Übrigen überwiegt das besonders schwerwiegende Ausweisungsinteresse etwaige Bleibeinteressen des Klägers. Zwar ist zu seinen Gunsten auf Grund seiner sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit in der Vergangenheit von einer gewissen wirtschaftlichen Integration auszugehen. Diese Tätigkeit ist aber durch die Haftzeit unterbrochen worden und wird auch gegenwärtig nicht mehr fortgesetzt. Das Berufsorientierungspraktikum hat der Kläger erst im März 2022 aufgenommen. Zudem erhält er hierfür keine Vergütung, so dass eine wirtschaftliche Integration dadurch nicht wieder begründet werden kann. Er hat keine familiären Bindungen im Bundesgebiet. Demgegenüber stehen - mit hoher Rückfallgeschwindigkeit - zwei Sexualdelikte gegen junge Frauen, wobei es bei der zweiten Tat zu einer Vergewaltigung kam. Im Übrigen wird auf die obigen Ausführungen und die Begründung des angefochtenen Bescheides verwiesen, § 117 Satz 1 VwGO. |
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| Die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis unter Ziffer II. des Bescheids vom 11.12.2019 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, weil er zum maßgeblichen Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG hat, § 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO. |
|
| Der Klageantrag umfasst bei sachdienlicher Auslegung (§ 88 VwGO) nicht nur die Verlängerung der vormals bestehenden und ausgelaufenen Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 2 AufenthG, sondern auch die Erteilung einer neuen Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach jeder in Betracht kommenden Vorschrift des Aufenthaltsgesetzes (BVerwG, Urteil vom 27.06.2006 - 1 C 14.05 -, juris Rn. 11). |
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| Soweit der Kläger mit seiner Klage die Verpflichtung des Beklagten zur Verlängerung bzw. Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis verfolgt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO) ist die Klage insoweit teilweise abzuweisen, da er keinen gebundenen Anspruch hierauf hat. |
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| 2. Der Kläger hat ferner keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG. |
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| Hiernach soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegt. Zwar hat das Bundesamt auf das rechtskräftige Urteil des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 25.01.2022 - A 1 K 2305/21 - hin mit Bescheid vom 16.03.2022 festgestellt, dass ein Abschiebungsverbot mit Blick auf Eritrea vorliegt. Indes verwirklicht der Kläger den zwingenden Ausschlussgrund des § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG. Danach wird die Aufenthaltserlaubnis nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat. Dies ist hier im Hinblick auf das Verbrechen der Vergewaltigung der Fall (vgl. zur Einordnung der Vergewaltigung als Straftat von erheblicher Bedeutung etwa Bayerischer VGH, Beschluss vom 03.04.2019 - 10 C 18.2425 -, juris Rn. 10). |
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| 3. Der Kläger hat indes nach § 25 Abs. 5 AufenthG zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG. Hiernach kann einem Ausländer, der - wie der Kläger - vollziehbar ausreisepflichtig ist, eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist. |
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| a) Voraussetzung ist, dass die Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist. Maßgeblich ist, ob der Kläger in einen anderen Staat, insbesondere seinen Herkunftsstaat, einreisen kann (Röcker, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 25 Rn. 104). Eine freiwillige Ausreise ist aus rechtlichen Gründen unmöglich, wenn ihr rechtliche Hindernisse in der Person des Ausländers - für die Reise oder im Zielstaat - entgegenstehen, welche die Ausreise ausschließen oder als unzumutbar erscheinen lassen (Röcker, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 25 Rn. 104). Ausreisehindernisse können sich auch aus zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG ergeben (BVerwG, Urteil vom 27.06.2006 - 1 C 14.05 -, juris; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 04.04.2014 - 10 C 12.497 -, juris Rn. 22; Röcker, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 25 Rn. 107; krit. Maaßen/Kluth, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 33. Edition, Stand: 01.04.2022, § 25 AufenthG Rn. 131, 138). Bei Bestehen solcher Abschiebungsverbote hat nach dem Gesetzeskonzept die zwangsweise Rückführung des betroffenen Ausländers zu unterbleiben. Dann aber ist ihm in aller Regel auch eine freiwillige Rückkehr in sein Heimatland aus denselben rechtlichen Gründen nicht zuzumuten und damit unmöglich i.S. des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG (BVerwG, Urteil vom 27.06.2006 - 1 C 14.05 -, juris Rn. 17). |
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| Diese Voraussetzungen sind mit der Feststellung des Bestehens eines Abschiebungsverbots für den Herkunftsstaat Eritrea nach § 60 Abs. 5 AufenthG mit Bescheid des Bundesamts vom 16.03.2022 erfüllt. Hieran ist der Beklagte nach § 42 Satz 1 AsylG gebunden. |
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| b) § 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG steht dem Anspruch des Klägers nicht entgegen. Hiernach darf eine Aufenthaltserlaubnis nur erteilt werden, wenn der Ausländer unverschuldet an der Ausreise gehindert ist. Ein Verschulden liegt nach § 25 Abs. 4 Satz 4 AufenthG insbesondere vor, wenn er falsche Angaben macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt. Zwar liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger bei seiner Einreise jedenfalls über sein Geburtsdatum und damit sein Alter falsche Angaben gemacht hat. Eine solche Täuschung ist indes nicht (mit-)ursächlich für die Hinderung an der Ausreise (vgl. hierzu Maaßen/Kluth, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 33. Edition, Stand: 01.04.2022, § 25 AufenthG Rn. 147; Röcker, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 25 Rn. 125). Diese beruht nämlich auf der verbindlichen Feststellung des Bestehens eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG durch das Bundesamt und nicht auf der Täuschung über das Geburtsdatum. |
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| c) Zwar liegen die allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Nr. 1a, Nr. 2 und Abs. 2 Nr. 1 AufenthG im Falle des Klägers nicht vor. Denn seine Identität ist nicht geklärt und es besteht ein Ausweisungsinteresse. Ferner ist er auch nicht mit dem erforderlichen Visum in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG ist jedoch u.a. in den Fällen der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 5 AufenthG zu prüfen, ob von der Anwendung der Absätze 1 und 2 abgesehen werden kann. Die Entscheidung steht damit im Ermessen des Beklagten. Der Kläger kann daher lediglich eine ermessensfehlerfreie Entscheidung über seinen Antrag auf Erteilung der Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG beanspruchen. Dementsprechend kann nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO das Verwaltungsgericht den Beklagten nur verpflichten, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. |
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| Der Beklagte hat bislang überhaupt kein Ermessen ausgeübt, sondern ist von einer Sperrwirkung der Ausweisung nach § 11 Abs. 1 AufenthG ausgegangen. Die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des Aufenthaltsgesetzes lägen nicht vor. Das Einreise- und Aufenthaltsverbot war indes wegen des Verstoßes gegen Unionsrecht aufzuheben. |
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| Bei der Ermessensentscheidung, ob nach § 5 Abs. 3 Satz 2 AufenthG von den Voraussetzungen von § 5 Abs. 1 und 2 AufenthG abgesehen wird, wird der Beklagte neben den Gesichtspunkten, die es nahelegen, an diesen Voraussetzungen festzuhalten, auch die Aspekte zu berücksichtigen habe, die dafür sprechen, auf ihre Einhaltung zu verzichten und die begehrte Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Insbesondere wird abzuwägen sein, welches Gewicht dem öffentlichen Interesse an der Erfüllung der jeweiligen Regelerteilungsvoraussetzung gegenüber dem privaten Interesse des Ausländers an der Erteilung der Aufenthaltserlaubnis zukommt (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 19.12.2013 - 11 LA 139/13 -, juris Rn. 8). Darüber hinaus werden die Wertungen des Gesetzgebers in Erwägung zu ziehen sein, die der Schaffung der Möglichkeit der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 5 AufenthG zugrunde liegen und die sich aus dem systematischen Zusammenhang ergeben, in dem diese Regelung steht (vgl. Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 19.12.2013 - 11 LA 139/13 -, juris Rn. 8; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 04.04.2014 - 10 C 12.497 -, juris Rn. 29). |
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| Die Berufung ist zuzulassen, soweit die Klage gegen die Ziffern I., III. und IV. des Bescheids des Regierungspräsidiums Freiburg vom 11.12.2019 in der Fassung des Ergänzungsbescheids vom 11.05.2022 gerichtet ist. Dies beruht auf § 124a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 1 Nr. 3 VwGO. Insoweit hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung. Denn die Rechtmäßigkeit einer inlandsbezogenen Ausweisung nach nationalem Recht, die weder mit einer Rückkehrentscheidung in Gestalt einer Abschiebungsandrohung noch mit einem Einreise- und Aufenthaltsverbot einhergeht, ist bislang nicht geklärt. |
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