Beschluss vom Verwaltungsgericht Göttingen (3. Kammer) - 3 B 90/17

Gründe

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Der Antrag,

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die aufschiebende Wirkung der Klage (3 A 89/17) der Antragsteller gegen die Anordnung der Abschiebung nach Dänemark im Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 22.11.2016 anzuordnen,

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hat keinen Erfolg. Er ist unzulässig, da die Antragsteller die Klagefrist des § 74 Abs. 1 AsylG versäumt und Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht glaubhaft gemacht haben. Es fehlt damit an einem zulässigen Rechtsbehelf gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO in der Hauptsache, dessen aufschiebende Wirkung angeordnet werden könnte. Ebenfalls ist die einwöchige Antragsfrist gemäß § 34a Abs. 2 AsylG versäumt. Deshalb überwiegt bei der im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 80 Abs. 5 VwGO durchzuführenden Abwägung zwischen dem Interesse der Antragsteller, von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen vorläufig verschont zu bleiben, und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin bei summarischer Prüfung das öffentliche Vollzugsinteresse.

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Die einwöchige Klage- und Antragsfrist, über die das Bundesamt im angefochtenen Bescheid zutreffend belehrt hat, ist nicht eingehalten worden. Denn die Antragsteller gestehen zu, dass der Bescheid am 24.11.2016 zugestellt wurde; Klage und Eilantrag sind jedoch erst am 10.01.2017 bei Gericht eingegangen.

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Dagegen kann nicht mit Erfolg eingewandt werden, dass die Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig und deshalb die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO maßgeblich sei. Der Einzelrichter teilt die vorgetragenen rechtlichen Bedenken gegen die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung nicht. Dies gilt insbesondere für die Worte „Die Klage muss … in deutscher Sprache abgefasst sein“.

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Eine Rechtsbehelfsbelehrung ist unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht oder einen zusätzlichen unrichtigen oder irreführenden Hinweis enthält, der generell geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen und materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 03.03.2016 - 3 PKH 5.15 -, juris Rn. 6 m.w.N.). Die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung zum angefochtenen Bescheid besteht aus zwei selbständigen Teilen. Sie weist in ihrem ersten Absatz alle nach § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben zur Erhebung der Klage und im vierten Absatz diejenigen für die Erhebung des Eilantrags auf. Der Hinweis auf die deutsche Sprache ist in dem für den Eilantrag maßgeblichen vierten Absatz der Belehrung nicht enthalten und auch nicht in Bezug genommen worden; die geltend gemachten Zweifel betreffen also gar nicht die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung für den Eilantrag und könnten damit allenfalls die Klagefrist, nicht aber diejenige für den Eilantrag gemäß § 58 Abs. 2 VwGO auf ein Jahr verlängern.

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Außerdem ist der Hinweis auf die deutsche Sprache zwar nicht erforderlich, jedoch inhaltlich richtig. Gemäß § 55 VwGO i.V.m. § 184 GVG ist die Gerichtssprache Deutsch. Eingaben in anderer Sprache können danach keine fristwahrende Wirkung entfalten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 05.02.1990 - 9 B 506.89 -, juris, Rn 2); die Einlegung des Rechtsbehelfs und der zwingende Inhalt nach § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO müssen einer deutschsprachigen Formulierung zu entnehmen sein.

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Soweit die Antragsteller die Auffassung vertreten, das Wort „abgefasst“ sei ein Synonym für eine schriftliche Äußerung und durch seine Verwendung in der Rechtsbehelfsbelehrung werde in irreführender Weise der Eindruck erweckt, der Rechtssuchende müsse „selbst“ in Schriftform die Klage bzw. den Eilantrag erheben (so auch VG Meiningen, Beschluss vom 27.12.2016 - 8 E 21331/ 16/ME -, S. 4; VG Hannover, Beschluss vom 15.09.2016 - 3 B 4870/16 -, juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 24.06. 2016 - 3a K 4187/15.A -, juris), ist dem bereits entgegenzuhalten, dass die Schriftform in § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgeschrieben ist und auch die Niederschrift nach § 81 Abs. 1 Satz 2 VwGO sowie die elektronische Erhebung gemäß § 55a Abs. 1 VwGO i.V.m. § 2 Abs. 2 Nds. ERVVO-Justiz (vom 21.10.2011, Nds. GVBl. S. 367) dieser Formvorschrift entsprechen, begrifflich also von ihr mit umfasst sind. Das VG Gelsenkirchen (Beschluss vom 15.11.2016 - 14a L 2496/16.A -, juris, Rn 22ff) und das VG Berlin (Beschluss vom 15.12.2016 - 28 L 409.16 A -, juris. Rn 7ff.) weisen zu Recht darauf hin, dass ein derartiges Sprachverständnis des Wortes „abfassen“ zu eng ist, weil zum einen der Semantik des Begriffs ein Zwang zur Schriftform nicht zu entnehmen ist und zum anderen auch der Gesetzgeber durch die Kombination „schriftlich abzufassen“ in § 117 Abs. 1 Satz 2 VwGO, § 41a Abs. 1 Satz 1 StPO und § 84 Satz 1 ArbGG, bzw. „schriftlich abgefasst“ in § 129 Abs. 1 Satz 1 BGB und § 311 Abs. 2 Satz 3 ZPO (ebenso: § 30 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG, § 105 Abs. 1 Satz 2 FGO, 30 Abs. 2 Satz 1 GWB, § 18 lit. b HAG, § 49 Abs. 5 Satz 1 SUG, § 77a Abs. 1 Satz 3 IRG, § 110a Abs. 1 Satz 1 OWiG, § 55 Abs. 2 Satz 1 NJAVollzG, § 98 Abs. 3 Satz 1 NJVollzG, § 102 Abs. 3 Satz 1 SVVollzG § 21 Abs. 4 Satz 2 NArchtG), von der Möglichkeit des Abfassens in anderer als schriftlicher Form ausgeht, weil der Zusatz sonst überflüssig wäre.

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Selbst wenn jedoch die Begrifflichkeit des Abfassens einer schriftlichen Fixierung entspräche, ließe sich der verwendeten Rechtsbehelfsbelehrung trotzdem nicht entnehmen, dass der Rechtssuchende „selbst“ für die Schriftform zu sorgen hat. Denn auch ein mündlich zur Niederschrift erhobener Rechtsbehelf wird vom Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (in deutscher Sprache) schriftlich abgefasst (vgl. VG Berlin, aaO.), und auch der gerichtsintern zur Papierakte vorgenommen Ausdruck eines elektronisch erhobenen Rechtsbehelfs ist ein Schriftstück. Daraus ergibt sich, dass sich der fragliche Passus der Rechtsbehelfsbelehrung zur Abfassung in deutscher Sprache nicht zur Form der Klageerhebung äußert, sondern lediglich beschreibt, dass die Erhebung des Rechtsbehelfs dem Gericht in deutscher Sprache vorliegen muss, um wirksam zu sein (i.E. ebenso VG Oldenburg, Beschluss vom 20.10.2016 - 15 B 5090/16 -, juris, Rn 10).

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Den Antragstellern ist gegen die versäumte Antragsfrist auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 60 Abs. 1 VwGO zu gewähren (vgl. § 60 Abs. 4 VwGO), weil innerhalb der Zweiwochenfrist des § 60 Abs. 2 VwGO keine Glaubhaftmachung (vgl. § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO, § 294 Satz 1 ZPO) von Begründungstatsachen erfolgt ist. Darüber hinaus ist die vorgebrachte Begründung auch nicht glaubhaft. Die Prozessbevollmächtigten der Antragsteller haben im Wesentlichen vorgetragen, der Auftrag zur Erhebung von Klage und Eilantrag sei am 29.11.2016 erteilt und eine Handakte mit allen erforderlichen Unterlagen angelegt worden. Außerdem sei die Anweisung erteilt worden, die Handakte zum Fristablauf am 01.12.2016 wieder vorzulegen. Die zuverlässige, gut ausgebildete, erfahrene und seit Jahren tätige Fachanwaltsangestellte habe die Handakte auf den noch zu bearbeitenden Stapel auf ihrem Arbeitsplatz abgelegt. Nachdem etliche weitere Handakten auf diesen Stapel gelegt worden seien, sei die fragliche Akte in Vergessenheit geraten. Die Kanzlei sei vom 23.12.2016 bis zum 02.01.2017 geschlossen gewesen; erst am 03.01.2017 sei das Büroversehen aufgefallen.

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Diese Angaben erklären schon nicht, warum die sachbearbeitende Prozessbevollmächtigte - wenn sie schon die kurze Klage- und Antragsfrist bis zum letzten Tag ausnutzt - bereits am übernächsten Tag nach der Annahme des Mandats und ihrer Verfügung vergessen haben sollte, dass sie diese Terminsache noch zu erledigen hatte. Unverständlich ist auch, warum die Klage- und Antragsschrift erst eine Woche nach dem Aufdecken des angeblichen Büroversehens am 10.01.2017 per Fax übersandt wurde. Ferner ist nicht nachvollziehbar, dass in einer ordnungsgemäß organisierten Rechtsanwaltskanzlei auf dem Schreibtisch einer Angestellten über Wochen Handakten aufgetürmt werden, ohne dass Bearbeitungen umverteilt würden und der Stapel zumindest in kurzen Abständen nach Relevanz umgeschichtet würde. Völlig unglaubhaft ist schließlich, dass eine Rechtsanwaltskanzlei über den Jahreswechsel hinweg geschlossen in Urlaub geht, obwohl auf mindestens einem Schreibtisch ein unbearbeiteter Stapel von Handakten liegt, ohne dass ein Rechtsanwalt überprüfen würde, ob sich in dem Aktenstapel Vorgänge befinden, bei denen der Ablauf einer gesetzlichen Frist mit dem Jahreswechsel eintreten wird. Wäre dieser Vortrag jedoch wahr, so lägen gravierende Organisationsmängel vor, welche sich die Antragsteller als Verschulden ihrer Bevollmächtigten zurechnen lassen müssten (vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 60 Rn 20).

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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylG.

 


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