Urteil vom Verwaltungsgericht Halle (4. Kammer) - 4 A 103/16

Tatbestand

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Der 1986 geborene Kläger ist nach eigenen Angaben somalischer Staatsangehöriger muslimischen Glaubens. Am 13. Dezember 2013 reiste er – ebenfalls nach seinen Angaben - auf dem Luftweg aus dem Jemen, wo er 9 Tage zuvor mit einem Boot angekommen sein will, in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 13. Januar 2014 einen Asylantrag.

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Bei der Anhörung vor dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 21. Mai 2015 trug der Kläger im Wesentlichen vor, er wisse nicht genau, welchen Clan er eigentlich zugehöre. Sein Großvater sei ein Findelkind gewesen, der vom Stamm der {A.} aufgenommen worden sei. Daher würde auch er als Nachfahre seines Großvaters keinem Clan zugehören. Er sei deswegen sein ganzes Leben diskriminiert worden. Er habe im Ort {B.} gelebt. Dieser liege etwa 30 km von {C.} entfernt in der Region {D.}. Im Jahr 2010 habe man ihn umbringen wollen, vor allem aber auch deshalb, weil er seit einem Unfall in seiner Kindheit eine kreuzförmige Narbe am Oberkörper habe. Ältere Männer hätten diese Narbe gesehen, ihn als Ungläubigen stigmatisiert und versucht, die Narbe mit einem kreisförmigen heißen Eisen wegzubrennen. Er sei gefesselt gewesen. Nachdem Schüsse gefallen und die Männer geflohen seien, habe ihn eine Frau gerettet. Nach diesem Vorfall habe er ständig Todesdrohungen erhalten. Auch der Clan {E.}, dem seine Ehefrau zugehöre, hätte ihn mit dem Leben bedroht und ihn unter Waffengewalt gezwungen, sich von seiner Ehefrau und den Kindern zu trennen. Dies sei im Januar 2013 gewesen. Sein Onkel habe dann seine Ausreise organisiert und finanziert. Vorher sei dies aufgrund der fehlenden finanziellen Mittel nicht möglich gewesen. Auch habe er seine Kinder nicht verlassen wollen. Erst als Mitglieder des Clans seiner Ehefrau auf ihn geschossen hätten, damit er sich von ihr trenne, sei ihm nichts anderes übrig geblieben, als zu fliehen.

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Nach einem Vermerk im Anhörungsprotokoll hat der Kläger eine kreuzförmige Narbe im Brustbereich der linken Seite, welche von einer kreisrunden Brandwunde umgeben ist.

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Mit Bescheid vom 15. März 2016 lehnte das Bundesamt den Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1) und auf Asylanerkennung (Nr. 2) sowie auf Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus (Nr. 3) ab und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Der Kläger wurde aufgefordert die Bundesrepublik Deutschland innerhalb von 30 Tagen nach Bekanntgabe der Entscheidung bzw. nach unanfechtbarem Abschluss des Asylverfahrens zu verlassen. Für den Fall der nicht fristgerechten Ausreise wurde die Abschiebung nach {F.} oder in einen anderen Staat angedroht, in den der Kläger einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 5). Das gesetzliche Einreise und Aufenthaltsverbot wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6). Auf den Inhalt des Bescheides wird Bezug genommen.

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Der Bescheid wurde dem Kläger am 23. März 2016 mittels Postzustellungsurkunde zugestellt.

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Der Kläger hat am 07. April 2016 beim erkennenden Gericht Klage erhoben, zu deren Begründung er im Wesentlichen auf sein Vorbringen anlässlich der Anhörung vor dem Bundesamt verweist.

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Der Kläger beantragt,

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den Bescheid der Beklagten vom 15. März 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, hilfsweise die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, hilfsweise subsidiären Schutzstatus zu gewähren, hilfsweise Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG auszusprechen und die Beklagte zu verpflichten, das gesetzliche Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 2 AufenthG auf null Monate ab dem Tag der Ausreise/Abschiebung zu befristen.

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Die Beklagte beantragt aus den Gründen ihrer Entscheidung,

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die Klage abzuweisen.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Kammer kann durch die Einzelrichterin entscheiden, weil der Rechtsstreit gemäß § 76 Abs. 1 AsylG mit Beschluss der Kammer vom 9. Februar 2017 auf die bestellte Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen wurde.

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Das Gericht kann trotz des Ausbleibens der Beklagten in der mündlichen Verhandlung zur Sache entscheiden, da diese ordnungsgemäß geladen und in der Ladung gemäß § 102 Abs. 2 VwGO darauf hingewiesen wurde, dass auch im Falle ihres Ausbleibens verhandelt und entschieden werden kann.

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Die Klage ist zulässig, insbesondere wurde sie fristgerecht erhoben.

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Zwar ist die Klage beim Verwaltungsgericht erst am 07. April 2017 und damit nicht innerhalb der hier nach § 74 Abs. 1 1. Hs. AsylG maßgeblichen Frist von zwei Wochen nach der Zustellung der Entscheidung des Bundesamts am 23. März 2016 eingegangen. Dies führt hier aber nicht zur Unzulässigkeit der Klage. Denn die zweiwöchige Klagefrist ist nicht in Gang gesetzt worden. Es fehlt an der hierfür gemäß § 58 Abs. 1 VwGO erforderlichen ordnungsgemäßen Rechtsbehelfsbelehrung. Die dem angefochtenen Bescheid beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung wurde unrichtig erteilt, so dass die Klageerhebung gemäß § 58 Abs. 2 Satz 1, 1. Hs. VwGO innerhalb eines Jahres nach Bekanntgabe zulässig ist. Diese Frist ist gewahrt.

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Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO beginnt die Frist für ein Rechtsmittel oder einen anderen Rechtsbehelf nur zu laufen, wenn der Beteiligte über den Rechtsbehelf, die Verwaltungsbehörde oder das Gericht, bei denen der Rechtsbehelf anzubringen ist, den Sitz und die einzuhaltende Frist schriftlich belehrt worden ist. Eine Belehrung über das Formerfordernis des § 81 Abs. 1 VwGO, nach dem die Klage bei dem Gericht schriftlich zu erheben ist (Satz 1), bei dem Verwaltungsgericht aber auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle erhoben werden kann (Satz 2), wird nach dem Wortlaut des § 58 Abs. 1 VwGO nicht verlangt. Auch die vom Gesetz geforderte Belehrung „über den Rechtsbehelf“ schließt eine Belehrung über das mit § 81 Abs. 1 VwGO aufgestellte Formerfordernis nicht ein (vgl. BVerwG, Urteile vom 13. Dezember 1978 - 6 C 77.78 -, juris).

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In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist allerdings geklärt, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur dann unrichtig im Sinne von § 58 Abs. 2 VwGO ist, wenn sie die in § 58 Abs. 1 VwGO zwingend geforderten Angaben nicht enthält. Sie ist es vielmehr auch dann, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1978, a.a.O., und Urteil vom 21. März 2002 - 4 C 2.01 -, juris). Versieht die Behörde die Belehrung mit nicht zwingenden Elementen, birgt dies das Risiko von Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten, die die Rechtsbehelfsbelehrung insgesamt unrichtig machen können (vgl. Meissner/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Febr. 2016, § 58 Rn. 44).

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Die dem Bescheid des Bundesamts vom 15. März 2016 beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung weist eine derartige Unrichtigkeit auf. Denn dort heißt es u.a., dass die Klage „in deutscher Sprache abgefasst sein“ muss. Mit der Formulierung „in deutscher Sprache abgefasst" wird dem Betroffenen unrichtiger Weise nahelegt, die Klage müsse schriftlich erhoben werden. Dem in diesem Satzteil verwendeten Verb „abfassen" kommt ganz überwiegend die Bedeutung einer schriftlichen Äußerung zu. Es ist gleichbedeutend mit anfertigen, aufschreiben, aufsetzen, formulieren, niederschreiben, schreiben, verfassen, zu Papier bringen, niederlegen (vgl. VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2016 – 22 K 4119/15.A –, juris Rn. 54 f. unter Verweis auf den Duden, Das Synonymwörterbuch, 4. Aufl., zum Stichwort "abfassen", Ziff. 1). Äußert sich die Rechtsbehelfsbelehrung – wie hier – über die notwendigen Angaben nach § 58 Abs. 1 VwGO hinaus auch über die Form des Rechtsbehelfs, so sind alle Möglichkeiten der Erhebung des Rechtsbehelfs, insbesondere die Möglichkeit, Klage zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle zu erheben, zu benennen. Dies ist unterblieben mit der Folge, dass ihr ein unrichtiger oder irreführender Zusatz beigefügt ist, der geeignet ist, beim Betroffenen einen Irrtum über die formellen und/oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf einzulegen bzw. rechtzeitig einzulegen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18. April 2017 – A 9 S 333/17 – juris; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 24. Juni 2016 – 3a K 4187/15.A –, juris; VG Augsburg, Beschluss vom 03. Dezember 2014 – Au 7 S 14.50321 –, juris).

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Demgegenüber äußert die Gegenauffassung (vgl. u.a. VG Berlin, Urteil vom 24. Januar 2017 – 21 K 346.16 A – juris m.w.N.) lediglich Zweifel an dem Wortverständnis von "abfassen" und stellt darauf ab, dass mit der Formulierung "in deutscher Sprache abgefasst sein" lediglich der Hinweis gewollt sei, dass der Rechtsbehelf in keiner anderen Sprache eingelegt werden könne – weil Deutsch nach § 184 Satz 1 GVG Gerichtssprache sei - und daher kein Hinweis auf die Schriftform habe erfolgen sollen. Abzustellen ist aber nicht auf das, was vielleicht gewollt gewesen ist, sondern darauf, wie ein Adressat den Inhalt nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) verstehen darf. "Abfassen" beinhaltet nach seiner Wortbedeutung unzweideutig eine Verschriftlichung. Wenn das Verwaltungsgericht Berlin auf die Verwendung der Formulierung von "schriftlich abfassen" in § 117 Abs. 1 Satz 2 VwGO und in § 41a Abs. 1 Satz 1 StPO sowie in § 84 Satz 1 ArbGG, in § 129 Abs. 1 Satz 1 BGB und in § 311 Abs. 2 Satz 3 ZPO mit dem Argument verweist, dass angesichts der ausdrücklichen Angabe des "schriftlich" dies überflüssig wäre, wenn schon dem Wort "abfassen" diese Bedeutung zukomme, so mag die Dopplung der Bedeutung in diesen Vorschriften auch schlicht eine sprachliche Tautologie zu weiteren Verdeutlichung darstellen, ohne dass dem ein weiterer eigener Sinngehalt beizumessen ist. Auch das Argument, dass der Betroffene nicht selbst für die Schriftform zu sorgen habe, trägt nicht. Denn eben darüber, dass er die Rechtsbehelfseinlegung auch zur Niederschrift des Urkundsbeamten mündlich vornehmen kann, wird er gerade nicht belehrt. Vielmehr wird der Eindruck erweckt, ein Rechtsbehelf könne nur schriftlich eingelegt werden. Zudem verweist das Verwaltungsgericht Düsseldorf zu Recht darauf, dass es für die Klageerhebung bei dem Urkundsbeamten ausreichend ist, wenn dieser erkennen kann, dass der Betroffene die Klage erheben will, etwa weil er sich mündlich in Fremdsprache auch nur rudimentär mit dem Betroffenen verständigen kann, und dann die erkennbar gewollte Klageerhebung in deutscher Sprache aufnimmt und von dem Betroffenen unterschreiben lässt. Es besteht kein Zweifel, dass eine solchermaßen erhobene Klage wirksam erhoben ist. Die Formulierung "in deutscher Sprache abgefasst sein" ist mithin generell geeignet bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (vgl. VG Halle, Beschluss vom 07. April 2017 – 3 B 245/17 -).

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Die Klage ist nur in dem tenorierten Umfang begründet. Der Kläger hat zwar keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a Abs. 1 GG (1.) oder auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft im Sinne des § 3 AsylG (2.). Soweit dem Kläger der subsidiäre Schutzstatus nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 AsylG verwehrt wurde, ist der streitbefangene Bescheid jedoch rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 und Abs. 5 VwGO (3.).

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1. Die Klage ist in ihrem Hauptantrag erfolglos. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Dies scheitert bereits an der Drittstaatenregelung in Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG.

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Nach Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 und 2 GG kann sich auf das Asylrecht nicht berufen, wer aus einem Mitgliedsstaat der Europäischen Gemeinschaften oder aus einem anderen durch Gesetz zu bestimmenden Drittstaat einreist, in dem die Anwendung des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge und der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sichergestellt ist. Da nach Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG und der Anlage I zu § 26 a AsylG alle an die Bundesrepublik Deutschland angrenzenden Staaten sichere Drittstaaten sind, ist ein auf dem Landweg einreisender Asylbewerber von der Berufung auf Art. 16 a Abs. 1 GG ausgeschlossen, auch wenn sein Reiseweg nicht im Einzelnen bekannt ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 – 2 BvR 1938/93 – juris). Daher kommt für Asylbewerber die Gewährung eines verfassungsrechtlichen Asyls im Wesentlichen nur noch dann in Betracht, wenn die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland auf dem Luftweg direkt aus dem Verfolgerstaat oder mittelbar über einen von Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG nicht erfassten Staat erfolgt.

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Die Nichterweislichkeit der Einreise auf dem Luftweg geht dabei zu Lasten des Asylbewerbers, ihn trifft hierfür die materielle Beweislast (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1999 – 9 C 36/98 – juris). Zwar trifft den Asylsuchenden keine Beweisführungspflicht hinsichtlich der Umstände seiner Einreise. Jedoch kann bei der Würdigung des Wahrheitsgehalts der behaupteten Einreise auf dem Luftweg berücksichtigt werden, dass sich der Kläger keine Beweismittel hierfür schafft, sondern im Gegenteil Beweismittel weggegeben hat. Auch kann zu seinen Lasten berücksichtigt werden, dass er Umstände seiner Einreise vorträgt, die offenkundig mit den tatsächlichen Gegebenheiten nicht vereinbar sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Juni 1999, a.a.O.; VG Augsburg, Urteil vom 12. April 2011 – Au 3 K 10.30669 – juris).

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Vorliegend ist die Behauptung des Klägers, auf dem Luftweg eingereist zu sein, nicht glaubhaft. Der Kläger hat in seiner Befragung am 19. Mai 2015 vor dem Bundesamt angegeben, niemals Personalpapiere besessen zu haben. Eine Einreise in die Bundesrepublik Deutschland über einen deutschen Flughafen ohne im Besitz von Personalpapieren zu sein, erscheint unter diesen Umständen nicht glaubhaft; solche Fluggäste können in der Regel den Transitbereich nicht verlassen, sie werden hier registriert und können hier einen Asylantrag stellen. Vorliegend hat der Kläger jedoch nicht an einem deutschen Flughafen seinen Antrag gestellt, sondern in {G.}. Es erscheint daher völlig unrealistisch, dass der Kläger völlig unbehelligt die Einreisekontrolle an einem deutschen Flughaben (oder eines anderen Flughafens an der Schengengrenze) passieren konnte. Der Kläger kann darüber hinaus weder angeben, an welchen deutschen Flughafen er gelandet sein will, noch das Land benennen, in dem er umgestiegen sein will. Die Flugroute ist daher nicht bekannt und kann – etwa durch Überprüfung von Passagierlisten - nicht nachvollzogen werden.

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2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch darauf, dass die Beklagte feststellt, dass bei ihm die Voraussetzungen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft vorliegen.

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Der Kläger ist kein Flüchtling im Sinne von § 3 Abs. 1 AsylG. Nach § 3 Abs. 4 AsylG wird einem Ausländer die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt, wenn er Flüchtling im Sinne von Abs. 1 der Regelung ist und die Voraussetzungen des § 60 Abs. 8 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen. Gemäß § 3 Abs. 1 AsylG ist einem Ausländer dann die Flüchtlingseigenschaft zuzuerkennen, wenn er sich aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Nationalität, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe außerhalb des Landes befindet, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt und dessen Schutz er nicht in Anspruch nehmen kann oder wegen dieser Furcht nicht in Anspruch nehmen will. Dabei gelten als Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG u.a. Handlungen, die auf Grund ihrer Art oder Wiederholung so gravierend sind, dass sie eine schwerwiegende Verletzung der grundlegenden Menschenrechte darstellen. Gemäß § 3a Abs. 3 AsylG muss zwischen den Verfolgungsgründen im Sinne von § 3 Abs. 1, § 3b AsylG und der Verfolgungshandlung oder dem Fehlen von Schutz vor solchen Handlungen eine Verknüpfung bestehen. Eine Verfolgung in diesem Sinne kann auch von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen, sofern der Staat bzw. Parteien oder Organisationen, die den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen, sowie internationale Organisationen erwiesenermaßen nicht in der der Lage oder willens sind, Schutz vor Verfolgung zu bieten, unabhängig davon, ob in dem Land eine staatliche Herrschaftsmacht vorhanden ist oder nicht, § 3c Nr. 3 AsylG.

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Bei der Beurteilung, ob eine Verfolgung im dargelegten Sinne droht, ist der asylrechtliche Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. April 2010 – 10 C 5/09 -, juris Rn. 20 ff.). Wer bereits Verfolgung bzw. einen ernsthaften Schaden erlitten hat bzw. davon unmittelbar bedroht war, für den streitet die tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden (Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU, sog. Qualifikationsrichtlinie). Widerlegt werden kann diese Vermutung nur, wenn stichhaltige Gründe die Wiederholungsträchtigkeit solcher Verfolgung bzw. des Eintritts eines solchen Schadens entkräften.

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Die Glaubhaftmachung der Asylgründe setzt – entsprechend der Mitwirkungspflicht des Schutzsuchenden im Asylverfahren eine schlüssige, nachprüfbare Darlegung voraus. Der Schutzsuchende muss unter Angaben genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt schildern, aus dem sich - als wahr unterstellt - ergibt, dass ihm bei verständiger Würdigung politische Verfolgung mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit droht. Jedenfalls in Bezug auf die in seine eigene Sphäre fallenden Ereignisse und persönlichen Erlebnisse hat er eine Schilderung abzugeben, die geeignet ist, seinen Anspruch lückenlos zu tragen. Daher kommt dem persönlichen Vorbringen des Ausländers und dessen Würdigung besondere Bedeutung zu (vgl. BVerwG, Urteil v.om 8.Mai 1984 – 9 C 141/83 – juris Rn. 11).

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Bei Anwendung dieser Maßgaben auf den vorliegenden Fall steht zur Überzeugung des Gerichts nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, dass der Kläger vor seiner Ausreise (hier) durch nicht staatliche Akteure (religiöse Eiferer) aus asylrelevanten Gründen verfolgt worden ist. Das Gericht folgt den Gründen des angefochtenen Bescheids, nimmt auf diesen Bezug (§ 77 Abs. 2 AsylG) und weist ergänzend auf Folgendes hin:

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Allein aus den Protokollen der Anhörungen heraus hat das Gericht Zweifel am Wahrheitsgehalt der vom dem Kläger geschilderten Umstände seiner Flucht. Die Schilderungen des Klägers sind in einem wesentlichen Punkt widersprüchlich. So erklärte er im Rahmen seines persönlichen Gesprächs zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedsstaats zur Durchführung des Asylverfahrens am 15. Januar 2014, er habe {F.} ohne Grund verlassen, er "habe einfach aus {F.} raus und nach Europa kommen" wollen. Erst in seiner Anhörung am 19. Mai 2015 hat er sich dann darauf berufen, dass religiöse Eiferer ihn hätten töten wollen. Zwar wurde in der Anhörung im Januar 2014 nicht nach Asylgründen gefragt und der Kläger hat auf die Frage, warum er aus "diesem Staat" – damit war wohl der {H.} gemeint - weiter nach Deutschland gereist sei, geantwortet, dass er einfach aus {F.} raus und nach Europa kommen wolle. Die Befragungen unter Punkt 8, 9 und 10 der Anhörung sind aber in sich widersprüchlich bzw. missverständlich. So wird unter Punkt 8 gefragt, wie der Kläger sein Heimatland verlassen hat (mit dem Boot Richtung {H.}). Unter Punkt 9 wird gefragt, wo der Kläger sich seit dem Verlassen des Heimatlandes aufgehalten hat ({H.}) und unter Punkt 10 möchte der Entscheider wissen, wie der Kläger vom Heimatland nach Deutschland gereist ist (mit dem Flugzeug, siehe Antwort zu Punkt 8 und 10). Die Frage ist nach den Fragen 8 und 9 unlogisch, da der Kläger nach seinen bisherigen Antworten nicht vom Heimatland {F.} nach Deutschland gereist ist, sondern sich zwischenzeitlich im {H.} aufgehalten hat. Richtigerweise hätte danach gefragt werden müssen, wie er vom {H.} nach Deutschland weiter gereist sei. Nur bei einer solchen Fragstellung passt die vom Kläger gegebene Antwort. Unter 10.1 wird dann gefragt, warum der Kläger diesen Staat weiter nach Deutschland verlassen hat. Seine Antwort bezieht sich nun aber wiederum auf sein Heimatland Somalia. Fragen und Antworten passen hier nicht überein. Es drängt sich der Verdacht auf, dass Missverständnisse oder Übersetzungsfehler vorliegen könnten. Diese hätte der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausräumen können und die Zweifel am Wahrheitsgehalt seiner Aussagen vor dem Bundesamt beseitigen können. Da der Kläger aber zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und damit seiner Mitwirkungspflicht nicht nachgekommen ist, entscheidet das Gericht nach Aktenlage. Den Ausführungen des Bundesamtes im streitgegenständlichen Bescheid zu diesem Punkt ist daher nichts mehr hinzuzufügen (§ 77 Abs. 2 AsylG).

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Der geschilderte Angriff auf seine Person durch den Clan seiner Ehefrau betrifft einen privaten Konflikt ohne Bezug zur Flüchtlingseigenschaft. Allein dass die Angreifer einem anderen Clan als der Kläger angehören, begründet noch keine Verfolgung wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe. Dieser Clan hat lediglich die in {F.} bestehende Rechtsstaatslosigkeit ausgenutzt.

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2. Dem Kläger steht jedoch der hilfsweise geltend gemachte Anspruch auf Feststellung zu, dass die Voraussetzungen des § 4 AsylVfG hinsichtlich Somalias vorliegen. Es liegen stichhaltige Gründe für die Annahme vor, dass ihm im Falle einer Abschiebung in sein Herkunftsland ein ernsthafter Schaden nach § 4 Absatz 1 Satz 1 AsylVfG droht. Als ernsthafter Schaden gilt nach § 4 Absatz 1 Satz 2 Nr. 2 AsylVfG auch eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung.

33

Die Auslegung des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG ist dabei an der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 3 EMRK zu orientieren (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 - 10 C 15.12 -, juris, Rn. 22 zu § 60 Abs. 2 AufenthG a.F.). Daher kann eine Verletzung des Art. 3 EMRK auch durch die Abschiebung in einen Staat begründet sein, in dem schlechte humanitäre Verhältnisse herrschen. Dies ist grundsätzlich aber nur in ganz außergewöhnlichen Fällen möglich, wenn die humanitären Gründe gegen eine Abschiebung zwingend ("compelling") sind. Soweit die schlechte humanitäre Lage nicht nur oder überwiegend auf Armut oder fehlende staatliche Mittel beim Umgang mit Naturereignissen, sondern auch auf direkte oder indirekte Aktionen von Konfliktparteien zurückzuführen ist, ist allerdings zudem die Fähigkeit der betroffenen Person zu berücksichtigen, für ihre Grundbedürfnisse – Nahrung, Hygiene, Unterkunft – zu sorgen, sowie ihre Anfälligkeit für Misshandlungen und ihre Aussicht, dass sich ihre Lage in angemessener Zeit bessert (vgl. EGMR, Urteile vom 27. Mai 2008 – 26565/05 N. v. The United Kingdom –, NVwZ 2008, 1334, Rn. 42 ff., und Urteil vom 28. Juni 2011 – 8319/07 u.a. Sulfi and Elmi v. the United Kingdom – NVwZ 2012, 681, Rn. 278 ff.; BVerwG, Urteil vom 31. Januar 2013 – BVerwG 10 C 15.12 – Juris Rn. 25).

34

Nach diesen Vorgaben liegen die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 AsylG im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor. Dies ergibt sich sowohl mit Blick auf die Sicherheitssituation in {C.} wie insgesamt in Süd- und {I.} als auch mit Blick auf die dortige humanitäre Lage, die (auch) auf die instabile Lage zurückzuführen ist (dazu unter a). Das Gericht ist davon überzeugt, dass es dem Kläger nicht gelingen wird, für seine Grundbedürfnisse Nahrung, Hygiene und Unterkunft zu sorgen (unter b).

35

a) Die allgemeine Situation in {F.} sowie die Sicherheitslage in {C.} sowie in Süd- und {I.} stellen sich wie folgt dar:

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Nach Beginn des Bürgerkriegs im Jahre 1988 und dem Sturz des Präsidenten {J.} im Jahre 1991 ist {F.} ohne einheitliche Staatsgewalt. Die Autorität der Zentralregierung wird insbesondere von der nach Unabhängigkeit strebenden Republik {K.} im Nordwesten sowie von der die Regierung bekämpfenden radikal-islamistischen {L.} in Frage gestellt. Das Land zerfällt faktisch in drei Teile, nämlich die Unabhängigkeit beanspruchende Republik {K.} im Nordwesten, die autonome Region {M.} im Nordosten und Süd- und {I.}. Während sich in {K.} und {M.} vergleichsweise stabile staatliche Strukturen etabliert haben, herrscht in Süd- und {I.} in vielen Gebieten noch immer Bürgerkrieg. Dort kämpfen somalische Sicherheitskräfte mit Unterstützung der AMISOM-Truppen gegen Kämpfer der {N.} Neben diesen Hauptkonfliktparteien sind noch einige weitere Gruppierungen - wie z.B. die religiös orientierte Ahlu Sunna Wal Jama´a (ASWJ), die im Norden Zentralsomalias operierenden Truppen der {O.}{P.}) oder die im Süden Somalias operierenden Truppen der {Q.} I{R.} - sowie Clanmilizen an den bewaffneten Auseinandersetzungen beteiligt (vgl. Auswärtiges Amt (AA), Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik {F.}, 1. Januar 2017, S. 5 f.; EASO, {F.}: Security Situation, Februar 2016, S. 17 und 23; BFA Länderinformationsblatt der Staatendokumentation {F.}, Stand: 19. Januar 2017, S. 17 ff.).

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Dementsprechend stehen Süd- und {I.} nicht unter einheitlicher Kontrolle. Die meisten größeren Städte sind in der Hand der Regierung und der mit ihr verbündeten {S.}-Truppen. Diese liegen jedoch häufig wie Inseln in von {T.} kontrollierten Gebieten, weil weite ländliche Gebiete weiterhin unter Kontrolle der {U.}stehen. Weitere Gebiete, insbesondere an den Grenzen zu {V.} im Süden und {W.} im Westen, stehen unter der Kontrolle weiterer am Konflikt beteiligter Gruppen (vgl. die Karte "{F.} - Areas of Influence as of December 2015 - abgedruckt in: EASO, {F.}: Security Situation, Februar 2016, S. 23).

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Auch nach dem Bericht des UNHCR an das Verwaltungsgericht {X.} (dortiges Az.: 5 A 288/14 MD), den dieses unter dem 28. Juli 2016 an das Bundesamt übersandt hat, bleibt die generelle Sicherheitslage in {Y.} und den Regionen in Süd- und {Z.} prekär. Es spielen sich verschiedene Konfliktsituationen ab, in die sowohl die {AA.}, die Clanmilizen als auch interne Clanstreitigkeiten einbezogen sind. Kämpfe zwischen den Clanmilizen und andere Gewalt zwischen den Bevölkerungstruppen gelten als wesentlich destabilisierender Faktor (vgl. auch EASO. {F.}: Security Situation, Februar 2016, S. 51-53). Diese Gewalt wird oft noch zusätzlich durch Auseinandersetzungen über Gebietsansprüche und politische Kontrolle geschürt. Zivilisten sind weiterhin vom Konflikt betroffen, was Berichte über getötete und verletzte Zivilisten, weitverbreitete sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und Kinder, Zwangsrekrutierung von Kindern und großflächige Vertreibung bestätigen (vgl. o.g. Bericht UNHCR an VG Magdeburg, S. 4 f.).

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Diese Konflikte haben einen nachhaltigen negativen Einfluss auf die humanitäre Situation, wobei sich die Versorgungslage in Somalia auch so schon als dramatisch darstellt.

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Periodisch wiederkehrende Dürreperioden (wie aktuell wieder) mit Hungerkrisen und die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberen Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen {F.} seit Jahrzenten zum Land mit dem größten Bedarf an internationaler Nothilfe. Schätzungsweise 4,7 Millionen Personen, d.h. fast 40 % der Bevölkerung Somalias einschließlich {K.} und {M.} sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, darunter etwa 950.000, die von Nahrungsmittelknappheit bedroht sind. Anfang 2016 waren etwa 300.000 Kinder unter fünf Jahren unterernährt, davon mehr als 58.000 schwer. Zudem gibt es keinen sozialen Wohnraum oder Sozialhilfe (vgl. BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation {F.}, Stand: 19. Januar 2017, S. 84 ff.; AA, Bericht über die asyl- und abschieberelevante Lage in der Bundesrepublik {F.}, 1. Januar 2017 S. 16; UNHCR, Position on Returns to Southern and Central {F.} (Update I), Mai 2016, S. 2 und 7).

41

Besonders prekär ist die Lage der etwa 1,1 Millionen Binnenvertriebenen, von denen etwa 370.000 - das sind etwa 20 % der dortigen Bevölkerung - im Raum {C.} leben. Etwa 70 bis 80 % der Binnenvertriebenen sind Frauen und Kinder. Die Bedingungen in Siedlungen für Binnenvertriebene sind erbärmlich, zudem sind viele ihrer Bewohner dem Risiko schwerer Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt. Ihre ausreichende Versorgung mit Nahrungsmitteln ist nicht gewährleistet; viele Binnenvertriebene leben nur knapp über der Grenze zur Unterernährung, zudem droht ihnen die Vertreibung von dem Land, auf dem sie wohnen. Allein in den ersten acht Monaten des Jahres 2015 sollen mehr als 116.000 Personen gegen ihren Willen vertrieben worden sein. In {C.} müssen viele Betroffene in die vergleichsweise unsicheren Außenbezirke ausweichen (vgl. EASO, Süd- und Zentralsomalia: Länderüberblick, August 2014, S. 39 und 125; UNHCR, Position on Returns to Southern and Central Somalia (Update I), Mai 2016, S. 8 ff.).

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Die Gesamtschau der vorliegenden Informationen gibt hinsichtlich der Erwerbsmög-lichkeiten in {C.} ein differenziertes Bild. Einerseits profitiert gerade {C.} vom Wiederaufbau und den Versorgungsleistungen durch die internationale Gemeinschaft, andererseits steht die Stadt durch die enorm hohe Anzahl von intern Vertriebenen und auch Rückkehrern vor dem Problem der adäquaten Versorgung. Während ein Teil der Rückkehrer die Möglichkeit hat, etwa im aufstrebenden Bausektor oder durch selbständige Arbeit ein Auskommen zu finden, sind andere auf ein Leben ohne gesicherte Einkommensquelle am Rande des Existenzminimums in behelfs-mäßigen Flüchtlingslagern oder informellen Siedlungen angewiesen (vgl. BFA Länder-informationsblatt Stand: 19. Januar 2017, S. 84 ff).

43

Hilfsprojekte der Vereinten Nationen oder nichtstaatlicher Hilfsorganisationen erreichen in der Regel diese Bevölkerungsgruppen bzw. die Lager der Binnenvertriebenen nicht, da lebensnotwendige humanitäre Hilfe durch bewaffnete Gruppen abgefangen und für eigene Zwecke konfisziert wird. Im Zusammenhang mit der chronischen Ernährungsunsicherheit und dem Fehlen einer ausreichenden Gesundheitsfürsorge macht es die ungewisse Sicherheitslage immer schwieriger, einen humanitären Zugang und Hilfslieferungen an vulnerable Bevölkerungsgruppen aufrechtzuerhalten. Zudem haben viele internationale Hilfsorganisationen sich aus Gebieten, die durch die {AA.} kontrolliert werden, zurückgezogen oder ihre Aktivitäten eingestellt (vgl. Bericht UNHCR an VG Magdeburg, S. 6 f.; UNHCR, Position on Returns to Southern and Central Somalia (Update I), Mai 2016, S. 7 f.).

44

Für {AB.} ist es daher heute nach dem oben Dargestellten fast unmöglich, ohne ein familiäres Netzwerk ihre Grundbedürfnisse zu sichern. Dies gilt insbesondere für unfreiwillige Rückkehrer.

45

Zwar zählen Unterstützung durch (Groß-) Familie und Clan weiterhin zu den wichtigsten Faktoren für Akzeptanz in der Gemeinschaft, Sicherheit und Befriedigung von Grundbedürfnissen wie Unterkunft und Nahrung. Dabei gilt als allgemeine Regel, dass {AB.} auch entfernte Verwandte, die aus einer anderen Gegend kommen unterstützen. Soweit Unterkunft und Nahrung betroffen sind, ist jedoch nicht der Clan, sondern die Familie der erste Ansprechpartner. Allerdings leistet die Groß- oder Kernfamilie in der Regel nur für einige Tage Unterstützung und kann nicht als langfristige Lösung für Lebensunterhalt oder Unterkunft angesehen werden. Nur wenn eine Person in einem Gebiet weder über enge Familienangehörige noch über andere Verwandte verfügt, kann der Clan um Hilfe gebeten werden. Allerdings wurde das Konzept der Clansolidarität in Zentral- und Südsomalia angesichts der Dauer des dort herrschenden Konflikts überdehnt. Dementsprechend sehen sich viele Familien- und Clannetzwerke heute nicht mehr in der Lage, vertriebenen Verwandten zu helfen. Ohne familiäre Unterstützung laufen Rückkehrer daher Gefahr, sich in einem Lager für Binnenvertriebene wiederzufinden (vgl. EASO, Süd- und {I.}: Länderüberblick, August 2014, S. 126; BFA, Länderinformationsblatt {F.}, 19. Januar 2017, S. 89; UNHCR, Position on Returns to Southern and Central {F.} (Update I), Mai 2016, S. 9).

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b) Angesichts der vorstehend beschriebenen Umstände ist das Gericht davon überzeugt, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr nach {B.} bzw. {C.} nicht in der Lage sein wird, selbst für seine Grundbedürfnisse zu sorgen. Er ist zwar mittleren Alters und arbeitsfähig sowie mit den Verhältnissen im Großraum von {C.} vertraut. Jedoch kann er bei seiner Rückkehr nicht auf die Unterstützung von Familienangehörigen (Eltern, Onkel oder Bruder) wie vor seiner Ausreise zurückgreifen, da diese allesamt verstorben oder verschollen sind. Auch hat der Kläger noch eine Schwester und eine Tante in {F.}. Aber diese Verwandten waren schon vor der Ausreise des Klägers nicht in der Lage, ihn zu unterstützen. Seinen Lebensunterhalt habe er sich damals zusammen mit seiner Mutter nur durch das Halten einer Ziegenherde sichern können. Da seine Mutter aber verstorben ist, ist davon auszugehen, dass auch die Ziegenherde nicht mehr vorhanden ist. Auf eine familiäre Unterstützung durch seine drei Kinder kann der Kläger nicht verwiesen werden, da diese allesamt noch minderjährig sind (10 bis 13 Jahre) und davon auszugehen ist, dass diese Kinder selbst noch auf Unterstützung angewiesen sind. Zudem hat der Kläger weder eine Schule besucht noch einen erlernten Beruf, der seine Existenz sichern könnte. Weil freie Arbeitsplätze oft nicht beworben werden und die Arbeitgeber den Clan oder die Verwandtschaft eher berücksichtigen als erworbene Fähigkeiten, haben Bewerber ohne Verbindungen oder aus Minderheiten sowie Frauen, Witwen und Migranten ohne Familien schlechte Chancen. Auch arbeitsuchende Hilfsarbeiter müssen auf private Netzwerke zurückgreifen, die der Kläger jedoch nicht besitzt (BFA, Länderinformationsblatt Somalia, 19. Januar 2017, S. 87 ff.). Ohne familiären Rückhalt mit entsprechenden Ressourcen oder die Möglichkeit des Rückgriffs auf Rimessen hat der Kläger keine Chance sich eine das Existenzminimum sichernde Lebensgrundlage selbst erwirtschaften zu können. Er wird in absehbarer Zeit somit seine Grundbedürfnisse nicht befriedigen können.

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Mit Aufhebung von Ziff. 3 des streitgegenständlichen Bescheids vom 16. Juni 2016 und der Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus fehlt es an den tatbestandlichen Voraussetzungen (§ 35 i. V. m. § 34 AsylG) für den Erlass der Abschiebungs-androhung in Ziff. 5, die daher ebenfalls aufzuheben ist. Entsprechendes gilt für Ziff. 4 des angefochtenen Bescheids. Darüber hinaus ist auch kein Raum für den Erlass der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, da diese an die Abschiebungs-anordnung nach § 34a AsylG geknüpft ist (§ 75 Nr. 12 AufenthG).

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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