Urteil vom Verwaltungsgericht Minden - 7a K 877/21
Tenor
Das beklagte Land wird unter entsprechender Aufhebung des Bescheids des M. X. -M1. vom 16. Februar 2021 verpflichtet, der Klägerin für den Mitarbeiter W. B. für den Zeitraum vom 20. Juni bis zum 29. Juni 2020 eine Erstattung in Höhe von 357,76 Euro (Netto-Verdienstausfall) zuzüglich 237,06 Euro geleisteter Sozialabgaben zu bewilligen.
Das beklagte Land trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Das beklagte Land darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Die Klägerin begehrt die Erstattung der an ihren Arbeitnehmer W. B. gezahlten Verdienstausfallentschädigung infolge behördlich angeordneter Quarantäne. Sie betreibt eine Zeitarbeits- und Personalüberlassungsfirma mit Sitz in Q. .
3Ausweislich des Arbeitsvertrages vom 19. Mai 2020 begann die Beschäftigung des Arbeitnehmers B. bei der Klägerin am 27. Mai 2020 und endete am 28. Februar 2021. Er sollte im Kundenbetrieb als Industriehilfskraft eingesetzt werden. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 Arbeitsvertrag bestimmten sich die Rechte und Pflichten der Arbeitsvertragsparteien nach den Tarifverträgen in der jeweils gültigen Fassung, die der Arbeitgeberverband iGZ mit einer oder mehreren der Gewerkschaften IG BCE, NGG, IG Metall, GEW, ver.di, IG Bau, GdP, EVP abgeschlossen hat oder zukünftig abschließen wird. Überdies bestimmte § 1 Abs. 2 Satz 3 i.V.m. Abs. 3 bis 5 Arbeitsvertrag, dass nicht sämtliche vom Arbeitgeberverband iGZ abgeschlossenen Tarifverträge gleichzeitig auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden, sondern nur die einschlägigen Tarifverträge nach der in den Absätzen 3 bis 5 genannten Maßgabe. Danach finden jeweils diejenigen in Absatz 2 genannten Tarifverträge Anwendung, an denen die Gewerkschaft, aus deren Satzung sich die Zuständigkeit für den zugewiesenen Kundenbetrieb ergibt, als Vertragspartei beteiligt ist. Soweit nach dem Vorstehenden die satzungsmäßige Zuständigkeit mehrerer Gewerkschaften begründet ist, finden die Tarifverträge mit derjenigen in Absatz 2 genannten zuständigen Gewerkschaft Anwendung, die im Verhältnis zu der oder den anderen zuständigen Gewerkschaft/Gewerkschaften in Absatz 2 zuerst genannt wird (Absatz 3). Bis zum Beginn des ersten Einsatzes finden diejenigen mit dem iGZ abgeschlossenen Tarifverträge Anwendung, an denen ver.di als Vertragspartei beteiligt ist. Ab Beginn des ersten Einsatzes gelten diejenigen nach Maßgabe des Absatzes 3 ermittelten Tarifverträge solange, bis ein anderer Einsatz beginnt (Absatz 4). Soweit der Arbeitnehmer an einen Kundenbetrieb überlassen wird, für den sich keine satzungsmäßige Zuständigkeit für den jeweiligen Kundenbetrieb ergibt, finden diejenigen mit dem iGZ abgeschlossenen Tarifverträge Anwendung, an denen ver.di als Vertragspartei beteiligt ist (Absatz 5).
4§ 5 des Manteltarifvertrages vom 18. Juli 2019 (in Kraft getreten am 1. April 2020) zwischen dem Arbeitgeberverband iGZ und den unterzeichnenden Mitgliedsgewerkschaften des DGB (IG BCE, NGG, IG Metall, GEW, ver.di, IG BAU, EVG und GdP) trifft Regelungen über die Arbeitsbefreiung, es heißt dort:
5„5.1. Soweit dieser Tarifvertrag nichts anderes bestimmt, gilt der Grundsatz, dass nur geleistete Arbeit vergütet wird.
65.2. In unmittelbarem Zusammenhang mit den nachstehenden Ereignissen ist dem Arbeitnehmer bezahlte Freistellung von der Arbeit ohne Anrechnung auf den Urlaub zu gewähren:
7a) bei eigener Eheschließung oder Eintragung einer eingetragenen Lebensgemeinschaft: 1 Tag
8b) bei Niederkunft der Ehefrau oder der eingetragenen Lebenspartnerin: 1 Tag
9c) bei Tod des mit dem Arbeitnehmer in häuslicher Gemeinschaft lebenden Ehegatten oder eingetragenen Lebenspartners: 2 Tage
10d) bei Tod eines Elternteils oder eines Kindes: 1 Tag
11e) bei Umzug auf Veranlassung des Arbeitgebers: 1 Tag
12f) bei Erfüllung gesetzlich auferlegter Pflichten aus öffentlichen Ehrenämtern sowie bei Teilnahme als Tarifkommissionsmitglied einer DGB-Mitgliedsgewerkschaft an den Sitzungen der Tarifkommission: die notwendige ausfallende Arbeitszeit. Soweit ein Erstattungsanspruch besteht, entfällt in dieser Höhe der Anspruch auf das Arbeitsentgelt.
13Bezüglich der Buchstaben b), c) und d) gelten die Regelungen entsprechend auch für Arbeitnehmer in eheähnlicher Lebensgemeinschaft.
14Die Ansprüche auf Freistellung nach Buchstaben a) bis d) bestehen nach einer Betriebszugehörigkeit von 6 Monaten.
15Bezahlte Freistellung wird auf vorherigen schriftlichen Antrag gewährt und ist vom Arbeitnehmer mit Dokumenten nachzuweisen. Der Nachweis ist spätestens innerhalb von zwei Wochen nach dem Ereignis beizubringen.
16Damit sind alle Anlässe aus § 616 BGB kompensiert.“
17Ausweislich der Einsatzanweisung vom 26. Mai 2020 sollte der Arbeitnehmer B. ab dem 27. Mai 2020 bei der Firma I. .I. . N. GmbH & Co. KG (im Folgenden: I. .I. . N. ) mit Sitz in Q. als „Hilfskraft Holzverarbeitung, Verpackungsarbeiten, Sichtkontrolle“ eingesetzt werden, als Einsatzstelle wurde die Firma S. I1. GmbH & Co. KG (im Folgenden: G. ) in I2. benannt.
18Im Juni 2020 lebte der Arbeitnehmer (u.a.) mit seiner Ehefrau N1. -D. C. . in einer Wohnung unter der Adresse M2.-------straße 1 in W1. . Das Gebäude steht im Eigentum der Stadt W1. und ist Teil eines Hochhauskomplexes.
19Mit Verfügung vom 20. Juni 2020 ordnete die Stadt W1. - aufgrund der hohen Anzahl an Coronainfektionen bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Firma U. zur Reduzierung der Ausbreitung des Virus - u.a. für alle Bewohnerinnen und Bewohner der Häuser M2.-------straße 1-7 eine 14-tägige Quarantäne ab dem 20. Juni 2020 an.
20Mit Schreiben vom 30. Juni 2020 teilte die Stadt W1. dem Arbeitnehmer C. . mit, dass die Quarantäneverfügung vom 20. Juni 2020 zum 29. Juni 2020 aufgehoben worden sei.
21Der Arbeitnehmer befand sich vom 20. Juni bis zum 29. Juni 2020 in häuslicher Absonderung.
22Am 22. Juli 2020 stellte die Klägerin unter der Vorgangsnummer „20-SE- -000-759-220-722“ beim M3. X. -M1. ( ) einen „Antrag auf Ausgleich des Verdienstausfalls aufgrund eines behördlich angeordneten Tätigkeitsverbots oder einer Absonderung nach § 56 Abs. 1 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG)“ für den Arbeitnehmer C. . für den Zeitraum vom 20. Juni bis zum 29. Juni 2020. Als Name des Unternehmens wurde in dem Antrag „T3. N2. “ angegeben, als Anschrift des Unternehmenssitzes „G1. 26 in Q. “. Frau N2. - Personaldisponentin bei der Klägerin - wurde ebenfalls als Kontaktperson angegeben.
23Die dem Antrag beigefügten Lohnabrechnungen für Mai und Juni 2020 wurden von der „Q1. .Q1. .S. Q2. Q3. “ mit Sitz „G1. 26 in Q. “ - also der Klägerin - erstellt. Ebenso bezog sich der seit November/Dezember 2020 zwischen dem und dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin geführte und vom ausweislich des beigezogenen Verwaltungsvorgangs (auch) dem hiesigen Verfahren zugeordneten Schriftverkehr ausschließlich auf den „von der Q1. .Q1. .S. Q2. Q3. “ gestellten Erstattungsantrag von Arbeitgeberaufwendungen.
24In dem Antrag erklärte Frau N2. für die Klägerin u.a., dass der Arbeitnehmer in der „M2.-------straße 1 in W1. “ lebe. Als Betriebsstätte wurde „Unternehmenssitz“ angegeben. Zudem bestätigte sie, dass der vorgenannte Arbeitnehmer während des Tätigkeitsverbots bzw. der Absonderung keine Möglichkeit gehabt habe, die Arbeit in Gänze von zu Hause auszuüben. Er habe eine Entgeltfortzahlung nach § 616 BGB vom 22. Juni 2020 bis zum 29. Juni 2020 für acht Tage erhalten. Überdies habe der Arbeitnehmer keine Lohnfortzahlung nach § 19 BBiG erhalten, sei während der Absonderung nicht arbeitsunfähig erkrankt gewesen, habe im Vorfeld keinen genehmigten Urlaub gehabt und sei auch nicht arbeitsbefreit aufgrund eines kranken Kindes nach § 45 SGB V gewesen.
25Der Lohnanspruch für Juni 2020 habe 1.777,98 Euro betragen, der Verdienstausfall betrage 647,44 Euro. Über das Einkommen hinaus habe der Arbeitnehmer kein weiteres Einkommen aus Arbeitslosengeld I, Zuschuss-Wintergeld, Ersatztätigkeit, Kurzarbeitergeld oder Arbeitgeber-Zuschüssen bezogen. Andere Arbeitstätigkeiten hätten im betreffenden Zeitraum nicht durchgeführt werden können und es seien keine Möglichkeiten zu anderen Arbeitstätigkeiten böswillig unterlassen worden.
26Unterschrift und Datum fehlten auf dem online ausgefüllten und eingereichten Antrag.
27Vom 12. August 2020 bis zum 28. August 2020 befand sich Herr C. . erneut in Absonderung. Für diesen Zeitraum erstattete der der Klägerin mit Bescheid vom 1. April 2021 die Verdienstausfallentschädigung.
28Mit Bescheid vom 16. Februar 2021 - adressiert an die „Q1. .Q1. .S. Q2. Q3. Service GmbH“ - lehnte der M4. den Antrag auf Erstattung von Verdienstausfallentschädigung für den Zeitraum vom 20. Juni bis zum 29. Juni 2020 für den Arbeitnehmer W. C. . ab. Zur Begründung führte der aus, dass die Klägerin beim Einsatz ihres Arbeitnehmers und bei der Unterbringung Gesundheits- und Arbeitsschutzvorschriften, insbesondere Hygienevorgaben verletzt habe. Aus diesem Grund habe der Arbeitnehmer einen Lohnfortzahlungsanspruch gegen die Klägerin als Arbeitgeber, sodass ein Verdienstausfall i.S.v. § 56 Abs. 1 IfSG und damit ein entsprechender Erstattungsanspruch nicht vorlägen.
29Die Klägerin hat am 11. März 2021 Klage erhoben.
30Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, der Arbeitnehmer sei an die Firma I. .I. . N. überlassen worden. Diese habe einen Werkvertrag mit der Firma G. abgeschlossen. Zur Erfüllung dieses Werkvertrages sei der Arbeitnehmer C. . im Juni 2020 bei der Firma G. eingesetzt worden. In dieser Firma seien keine Hygienevorgaben, Arbeitsschutzvorschriften oder Gesundheitsvorschriften verletzt worden. Kein einziger von der Absonderungsmaßnahme in W1. betroffener Mitarbeiter sei je bei der Firma U. eingesetzt gewesen, auch nicht im Rahmen von Zeitarbeit oder Arbeitnehmerüberlassung. Es gebe keine vertragliche Verbindungen zwischen ihr - der Klägerin - und der Firma U. . Ihre Mitarbeiter seien dort weder in der Vergangenheit eingesetzt gewesen noch sei dies gegenwärtig der Fall. Auch bei der Unterbringung des Arbeitnehmers C. . seien derartige Vorschriften nicht von ihr - der Klägerin - verletzt worden. Sie selbst habe keine Wohnungen in den von der Absonderungsverfügung betroffenen Straßenzügen in W1. für Mitarbeiter angemietet, an diese vermietet oder vermittelt. Auch die Wohnung in der M2.-------straße sei von ihrem damaligen Arbeitnehmer persönlich angemietet worden. Sie habe ihm diese nicht vermittelt oder zur Verfügung gestellt. Es handele sich dabei nicht um eine Sammel- oder Gemeinschaftsunterkunft.
31Die Klägerin beantragt,
32das beklagte Land unter Aufhebung des Ablehnungsbescheides vom 16. Februar 2021 zu verpflichten, ihr für den Mitarbeiter W. C. . für den Zeitraum vom 20.06. bis zu dem 29.06.2020 eine Entschädigung in Höhe von 357,76 Euro (Netto-Verdienstausfall) zuzüglich 237,06 Euro geleisteter Sozialabgaben zu bewilligen.
33Das beklagte Land beantragt,
34die Klage abzuweisen.
35Es trägt im Wesentlichen vor, dass es keine Kenntnis über den Einsatzort des Arbeitnehmers habe. Aus der vorgelegten Einsatzanweisung ergebe sich nur, dass dieser am 27. Mai 2020 bei der Firma G. eingesetzt gewesen sei. Der Anweisung lasse sich aber nicht entnehmen, wie lange der Einsatz dort gedauert habe und ob der Arbeitnehmer nicht (auch) auf dem Betriebsgelände der U. -Unternehmensgruppe eingesetzt gewesen sei. Der Einsatzort sei auch deswegen unklar, weil in dem Erstattungsantrag als Betriebsstätte des Arbeitnehmers „Unternehmenssitz“ angegeben worden sei. An dem Unternehmenssitz der Klägerin seien viele Unternehmen ansässig, die für oder mit der U. -Unternehmensgruppe (zusammen) u.a. als Subunternehmen, Werkvertragsunternehmen oder Leiharbeitsunternehmen arbeiteten. Es bleibe daher unklar, in welchem Betrieb der Arbeitnehmer eingesetzt worden sei. Ebenso unklar sei der Einsatzort der weiteren Mitarbeiter der Klägerin, für die sie ebenfalls im Klagewege die Erstattung von Leistungen begehre. So sei z.B. . nicht geklärt, ob die Ehefrau des Arbeitnehmers C. . auf dem Betriebsgelände der Firma U. in eingesetzt gewesen sei. Gleiches gelte für weitere unter der Adresse M2.-------straße 1 in W1. gemeldete Mitarbeiter der Klägerin. Die Einsatzanweisung enthalte nicht nachvollziehbare Angaben. Dort werde angegeben, dass der Arbeitsbeginn bei der Firma I. .I. . N. mit Firmensitz „G1. 26 in Q. “ stattfinde. Einsatzstelle sei die Firma „G. “. Die Verbindung zwischen der Klägerin und der Firma I. .I. . N. erschließe sich nicht. Zudem seien die Angaben in dem Erstattungsantrag in sich widersprüchlich, offensichtlich unzutreffend und wahrheitswidrig. Der Name des antragstellenden Unternehmens sei mit der Angabe „T3. N2. “ unzutreffend angegeben worden. Als Betriebsstätte des Arbeitnehmers werde auf den „Unternehmenssitz“ der Klägerin verwiesen. Der Arbeitnehmer habe in einer Gemeinschaftsunterkunft gelebt, in der auch Mitarbeiter der Firma U. untergebracht gewesen seien. Er habe dort auf engem Raum mit auf dem Betriebsgelände der Firma U. in tätigen Personen gelebt. Jedenfalls habe der Arbeitnehmer aber in einer Werkswohnung gelebt. Das ergebe sich aus folgendem:
36In den von der Absonderung der Stadt W1. betroffenen Gebäuden lebten zu zirka 77 % Personen, die für die Firma U. gearbeitet hätten. Es erscheine lebensfremd, dass diese Wohnungen diesen Personen ohne Zutun der Arbeitgeber vermittelt worden seien. Dies gelte einmal mehr, soweit in den Wohnungen mehrere Personen ohne familiäre oder sonstige Verbindung zusammen lebten. Ferner sei zu berücksichtigen, dass unter der Adresse M2.-------straße 1 neben dem Ehepaar C. . weitere Arbeitnehmer der Klägerin lebten. So hätten in Wohnung Nr. 16 in der M2.-------straße 1 F. N3. , Q4. T4. und W2. T4. gelebt. Obgleich es sich bei Q4. und W2. T4. um Eheleute handeln könnte, sei eine familiäre Verbindung zu dem ebenfalls in Wohnung Nr. 16 wohnhaften F. N3. nicht erkennbar. Überdies habe in Wohnung Nr. 01 H1. -J1. Q5. , ebenfalls Arbeitnehmerin der Klägerin, gelebt. Auch J. T5. sei in der M2.-------straße 1 in Wohnung Nr. 25 wohnhaft gewesen und bei der Klägerin beschäftigt gewesen. Es widerspreche der allgemeinen Lebenserfahrung, dass die Arbeitnehmer ohne Zutun der Klägerin diese Wohnungen angemietet hätten. An den Briefkästen des Hauses in der M2.-------straße 1 tauche eine Vielzahl von unterschiedlichen Nachnamen, teilweise an einem Briefkasten, der einer Wohnung zuzuordnen sein dürfte, auf. Auch in diesen Wohnungen seien nicht nur Familien, sondern mehrere Arbeitnehmer untergebracht, was dafür spreche, dass die Arbeitnehmer nicht ohne Mitwirkung oder Zutun dort untergebracht seien.
37Aus der Auskunft des Einwohnermelderegisters der Stadt W1. betreffend den Zeitraum vom 16. Juni 2020 bis zum 17. Juli 2020 ergebe sich, dass in der M2.-------straße 1 insgesamt 86 Personen gemeldet gewesen seien. Da das Haus über nur 16 Briefkästen verfüge, sei offenkundig, dass dort eine Vielzahl von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern wohnten, die - nicht einem üblichen Familienverbund zugehörig - in den vorhandenen Wohnungen untergebracht sein konnten. Rein rechnerisch komme man zu dem Ergebnis, dass eine einer Sammelunterkunft/Gemeinschaftsunterkunft übliche Überbelegung des vorhandenen Wohnraums erfolgt sein müsse, da andernfalls die 73 dort gemeldeten (volljährigen) Personen und 13 minderjährigen Personen nicht untergekommen sein könnten. Ermittlungen vor Ort hätten ergeben, dass z.B. . Wohnungen von Arbeitnehmern in den Gebäuden A.-------weg 27 und 29 sowie H2.------straße 49 überbelegt seien. Beispielsweise lebten in Wohnungen mit drei Zimmern und einem Wohnzimmer bis zu sieben Personen. Am A.-------weg 9 sei die Beratungsstelle für Menschen aus Ost- und Südosteuropa ansässig. Solche Beratungsstellen würden regelmäßig an Standorten mit hohem Bedarf an Beratungsleistungen eingerichtet.
38Der Lohnanspruch des Arbeitnehmers C. . sei wegen § 615 Sätze 1 und 3 BGB nicht verloren gegangen. Das Betriebsrisiko der Klägerin habe sich realisiert, da sie gegen ihre Fürsorgepflichten im Sinne des § 618 BGB i.V.m. § 36 Abs. 1 IfSG und der Arbeitsstättenverordnung verstoßen habe. Es genüge, dass die Klägerin dem Arbeitnehmer die Wohnung vermittelt bzw. organisiert habe. Sie müsse nicht Mieterin sein und sei dennoch nach § 618 Abs. 2 BGB verantwortlich. Die Unterkünfte seien in einem desolaten Zustand. Die Unterbringung von mehreren Personen in einem Zimmer, obgleich familiär verbunden, hätte aus infektionsschutzrechtlichen Gründen nicht vorgenommen werden dürfen.
39Dem Arbeitnehmer stehe zudem ein Lohnanspruch gegen die Klägerin nach § 616 Satz 1 BGB zu. Eine Abbedingung der Vorschrift sei nicht substantiiert dargelegt worden. Im Übrigen seien die Voraussetzungen des § 616 Satz 1 BGB erfüllt. Insbesondere stelle die Dauer der Verhinderung von 10 Kalendertagen eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit dar. Die Absonderung sei mit einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbar, sodass nach dem Rechtsgedanken des Entgeltfortzahlungsgesetzes ein Fortzahlungsanspruch von bis zu sechs Wochen bestehe. Die gesetzgeberischen Motive stellten klar, dass ein Quarantäne-Pflichtiger in ähnlicher Weise betroffen sei wie eine erkrankte Person.
40Auch sei fraglich, ob die Klägerin überhaupt der „richtige Arbeitgeber“ sei.
41Schließlich sei der Erstattungsanspruch nach Sinn und Zweck des § 56 IfSG ausgeschlossen. Für den Arbeitnehmer der Klägerin sei wegen der hohen Zahl von Infektionen mit dem Coronavirus unter den Mitarbeitern der Firma U. eine Absonderungsverfügung erlassen worden. Die Klägerin könne gegen die U. -Unternehmensgruppe einen Schadensersatzanspruch auf Erstattung des Lohns geltend machen.
42Zuletzt sei die Höhe des Erstattungsanspruchs von der Klägerin nicht korrekt angegeben, dieser betrage lediglich 357,76 Euro zuzüglich Sozialversicherungsabgaben in Höhe von 237,06 Euro.
43Unter dem 19. Januar 2021 bestätigte die Stadt W1. , dass sie seit dem Jahr 2019 Eigentümerin des Hauses M2.-------straße 1 in W1. ist. Bestehende Mietverträge habe sie übernommen. Neue Mietverträge schließe sie in eigener Verantwortung ab.
44Die Kammer hat den Arbeitnehmer C. . als Zeugen gehört. Wegen des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom heutigen Tage verwiesen.
45Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs.
46Entscheidungsgründe:
47Die zulässige Klage ist begründet.
48Der Bescheid des beklagten Landes vom 16. Februar 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Ihr steht ein Anspruch auf Erstattung der an ihren Arbeitnehmer W. C. . gezahlten Verdienstausfallentschädigung in Höhe von 357,76 Euro (Netto-Verdienstausfall) zuzüglich Sozialversicherungsabgaben in Höhe von 237,06 Euro für den Zeitraum vom 20. Juni bis zum 29. Juni 2020 zu (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 VwGO).
49Die Voraussetzungen von § 56 Abs. 1 Sätze 1 und 2 i.V.m. Abs. 5 IfSG liegen vor.
50Maßgeblich ist insoweit die ab dem 23. Mai 2020 gültige Gesetzesfassung, dem Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Entschädigung.
51Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ergibt sich für die Frage des richtigen Zeitpunkts für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage aus dem Prozessrecht nur, dass ein Kläger im verwaltungsgerichtlichen Rechtsstreit ebenso mit einem Aufhebungsbegehren wie mit einem Verpflichtungsbegehren nur dann Erfolg haben kann, wenn er im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Entscheidung einen Anspruch auf die erstrebte Aufhebung des Verwaltungsakts bzw. auf die erstrebte Leistung hat. Ob ein solcher Anspruch jedoch besteht, d.h. ob ein belastender Verwaltungsakt den Kläger im Sinne des § 113 Abs. 1 VwGO rechtswidrig in seinen Rechten verletzt oder die Ablehnung eines begehrten Verwaltungsakts im Sinne des § 113 Abs. 5 VwGO rechtswidrig ist, beurteilt sich nach dem materiellen Recht, dem nicht nur die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Ermächtigungsgrundlage oder eines Anspruchs selbst, sondern auch die Antwort auf die Frage zu entnehmen ist, zu welchem Zeitpunkt diese Voraussetzungen erfüllt sein müssen.
52Vgl. nur BVerwG, Urteil vom 31. März 2004 - 8 C 5.03 -, juris Rn. 35; VG Bayreuth, Urteil vom 21. Juni 2021 - C. 7 K 21.110 -, juris Rn. 22, jeweils m.w.N.; vgl. auch Eckart/Kruse, in: BeckOK Infektionsschutzrecht, 10. Edition, Stand: 15. Januar 2022, IfSG § 56 Rn. 20a, m.w.N. zum Streitstand.
53Nach diesen Grundsätzen ist hier § 56 IfSG in der vom 23. Mai bis zum 18. November 2020 gültigen Fassung anzuwenden, denn der insoweit maßgebliche Anspruch des Arbeitnehmers, der hier durch die Klägerin als Arbeitgeberin geltend gemacht wird (§ 56 Abs. 5 Sätze 1 und 2 IfSG), war jedenfalls zu diesem Zeitpunkt bereits entstanden. Dies ergibt sich aus der damals gültigen Fassung des § 56 Abs. 6 Satz 1 IfSG, der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung auch unverändert fort gilt. Danach richtet sich die Fälligkeit der Entschädigungsleistungen bei Arbeitnehmern nach der Fälligkeit des aus der bisherigen Tätigkeit erzielten Arbeitsentgelts. § 614 BGB bestimmt dabei, dass die Vergütung nach der Leistung der Dienste zu entrichten ist (Satz 1) und dass, soweit die Vergütung nach Zeitabschnitten bemessen ist, diese nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten ist (Satz 2). Die Klägerin hatte mit ihrem Arbeitnehmer einen Stundenlohn und eine regelmäßige Arbeitszeit pro Monat vereinbart (§ 3 Arbeitsvertrag), die Fälligkeit tritt spätestens bis zum 15. Bankarbeitstag des auf den Abrechnungsmonat folgenden Monats ein (§ 5 Abs. 6 Arbeitsvertrag).
54Vgl. auch: Maties, in: BeckOGK BGB, Stand: 1. August 2021, § 614 Rn. 54 f.
55Da der letzte Absonderungstag, für den hier noch Erstattung beansprucht wird, der 29. Juni 2020 (Dienstag) gewesen ist, war der Anspruch spätestens am 15. Juli 2020 fällig und damit auch jedenfalls entstanden. Insoweit braucht nicht entschieden werden, ob der Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers bereits zum Zeitpunkt der Absonderung entstanden sein könnte, da die im Zeitpunkt der Fälligkeit gültige Fassung bereits während der Absonderung galt.
56Nach § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG erhält eine Entschädigung in Geld, wer auf Grund dieses Gesetzes als Ausscheider, Ansteckungsverdächtiger, Krankheitsverdächtiger oder als sonstiger Träger von Krankheitserregern im Sinne von § 31 Satz 2 IfSG Verboten in der Ausübung seiner bisherigen Erwerbstätigkeit unterliegt oder unterworfen wird und dadurch einen Verdienstausfall erleidet. Das Gleiche gilt nach § 56 Abs. 1 Satz 2 IfSG für Personen, die als Ausscheider, Ansteckungsverdächtige oder Krankheitsverdächtige abgesondert wurden oder werden, bei Ausscheidern jedoch nur, wenn sie andere Schutzmaßnahmen nicht befolgen können. Satz 3 von § 56 Abs. 1 IfSG bestimmt zudem, dass eine Entschädigung nach den Sätzen 1 und 2 nicht erhält, wer durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung oder anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben ist oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Betroffenen öffentlich empfohlen wurde, ein Verbot in der Ausübung seiner bisherigen Tätigkeit oder eine Absonderung hätte vermeiden können.
57Gemäß § 56 Abs. 5 IfSG hat der Arbeitgeber bei Arbeitnehmern für die Dauer des Arbeitsverhältnisses, längstens für sechs Wochen, die Entschädigung für die zuständige Behörde auszuzahlen (Satz 1). Die ausgezahlten Beträge werden dem Arbeitgeber auf Antrag von der zuständigen Behörde erstattet (Satz 2). Im Übrigen wird die Entschädigung von der zuständigen Behörde auf Antrag gewährt (Satz 3).
58A. Die Voraussetzungen des § 56 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 IfSG sind erfüllt. Der für den Erstattungsanspruch der Klägerin primär erforderliche ursprüngliche Entschädigungsanspruch des W. C. . gegen das beklagte Land besteht.
591. Der Arbeitnehmer unterlag ausweislich der Verfügung der Stadt W1. vom 20. Juni 2020 und dem Schreiben vom 30. Juni 2020 als Bewohner des Hauses M2.-------straße 1 im Zeitraum vom 20. Juni bis zum 29. Juni 2020 einer behördlich angeordneten Absonderung (i.S.d. § 30 IfSG). Es ist auch davon auszugehen, dass Herr C. . als Ansteckungsverdächtiger (§ 2 Nr. 7 IfSG) galt. Die Stadt W1. erließ die Absonderungsverfügung (ausweislich des Schreibens vom 30. Juni 2020) auf Grundlage von § 30 Abs. 1 IfSG, der mindestens einen Ansteckungsverdacht bei dem Adressaten voraussetzt. Diesen Verdacht begründete die Behörde in der Ordnungsverfügung vom 20. Juni 2020 mit der - gerichtsbekannten - hohen Anzahl an Coronainfektionen bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Firma U. in S1. -X1. . Überdies bekunden die Beteiligten übereinstimmend, dass in dem Gebäude sowie den Nachbarhäusern in dem streitgegenständlichen Zeitraum auch (eine Vielzahl von) Personen wohnten, die auf dem Betriebsgelände der Firma U. tätig waren. Dies ergibt sich zudem aus der Verfügung des Bürgermeisters der Stadt W1. vom 23. Juni 2020 zur Absonderung in sog. häusliche Quarantäne (vgl. Amtsblatt W1. 16/2020, Seite 120 ff.). Infektionsrechtlich relevante Kontakte der Hausbewohner zu mit dem Coronavirus infizierten Personen, vor allem im Hausflur, Keller oder den Gemeinschaftsräumen, sind daher mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
60Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. März 2012 - 3 C 16.11 -, juris Rn. 31 ff.
61Da § 56 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Satz 1 IfSG das Erfordernis der Rechtmäßigkeit der Absonderungsverfügung nicht voraussetzt, genügt tatbestandlich eine wirksame Maßnahme.
62Vgl. zum Streitstand: Eckart/Kruse, in: BeckOK, Infektionsschutzrecht, 9. Edition, 20. Dezember 2021, IfSG, § 56 Rn. 34, m.w.N.; Kümper, in: Kießling, IfSG, 2. Auflage 2021, § 56 Rn. 20, m.w.N.
63Gegen die Wirksamkeit der Verfügung bestehen keine Bedenken, solche wurden von den Beteiligten auch nicht vorgetragen.
64Ungeachtet dessen bestehen - unter Berücksichtigung der o.g. Umstände - auch keine (durchgreifenden) Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Absonderungsanordnung.
65Der Anspruch ist auch nicht nach § 56 Abs. 1 Satz 3 IfSG ausgeschlossen. Es ist nicht ersichtlich, dass der Arbeitnehmer C. . die Absonderung im Juni 2020 durch Inanspruchnahme einer Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben war oder im Bereich des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Betroffenen öffentlich empfohlen wurde, hätte vermeiden können.
662. Der Arbeitnehmer hat in dem Zeitraum vom 20. Juni bis zum 29. Juni 2020 einen Verdienstausfall erlitten.
67Nach dem Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ stand dem Arbeitnehmer im Zeitraum der Absonderung, in der er seine Wohnung nicht verlassen durfte, kein Anspruch aus seinem Arbeitsvertrag i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB auf Zahlung seines Arbeitslohns zu.
68Vgl. dazu z.B. .: Maties, in: BeckOGK, 1. August 2021, BGB, § 611a Rn. 1670 ff.; Fandel/Kock, in: Herberger/Martinek u.a., jurisPK-BGB, 9. Auflage 2020, § 611a Rn. 198.
69Er konnte seine Tätigkeit „im Kundenbetrieb als Industriehilfskraft“ offenkundig auch nicht im Home-Office erbringen und hat dies nach den Angaben der Klägerin im Antragsformular auch im Wege einer Ersatztätigkeit nicht getan.
70Vgl. zur arbeitsorganisatorischen Umstellung auch: Eckart/Kruse, in: BeckOK, Infektionsschutzrecht, 10. Edition, 15. Januar 2021, IfSG, § 56 Rn. 35.
71Ein Fall, in dem die Klägerin gegenüber dem Arbeitnehmer nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen gleichwohl zur Lohnfortzahlung trotz nicht geleisteter Arbeit verpflichtet gewesen wäre, ist nicht gegeben.
72a. Ein Vergütungsanspruch folgt nicht aus § 3 EFZG. Danach hat ein Arbeitnehmer, der durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft, Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen.
73Ausweislich der Angaben der Klägerin im Erstattungsantrag vom 22. Juli 2020 war der Arbeitnehmer im streitgegenständlichen Zeitraum nicht arbeitsunfähig erkrankt. Dieser Vortrag wurde auch vom beklagten Land nicht (durchgreifend) in Frage gestellt.
74b. Ebenso liegen die Voraussetzungen des § 326 Abs. 2 Satz 1 BGB - ungeachtet der Anwendbarkeit der Regelung in Abgrenzung zu § 615 BGB - nicht vor. Danach behält der Arbeitnehmer den Anspruch auf die Gegenleistung, wenn der Arbeitgeber für den Umstand, auf Grund dessen der Arbeitnehmer nach § 275 Abs. 1 bis 3 BGB nicht zu leisten braucht, allein oder weit überwiegend verantwortlich ist (Var. 1) oder dieser vom Arbeitnehmer nicht zu vertretende Umstand zu einer Zeit eintritt, zu welcher der Arbeitgeber im Verzug der Annahme ist (Var. 2).
75Es ist zunächst nicht davon auszugehen, dass die Klägerin allein oder weit überwiegend verantwortlich ist für den Grund der - wegen des Fixschuldcharakters der nach wöchentlicher Arbeitszeit bemessenen Arbeitsleistung -,
76vgl. z.B. . BAG, Urteile vom 17. März 1988 - 2 AZR 576/87 -, juris Rn. 47, und vom 23. September 2015 - 5 AZR 146/14 -, juris Rn. 26; Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, BGB, 22. Auflage 2022, § 611a Rn. 675; Fandel/Kock, in: Herberger/Martinek u.a. jurisPK-BGB, 9. Auflage 2020, § 611a Rn. 198; Ernst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 275 Rn. 49, 52, zur Enzelfallbetrachtung,
77absonderungsbedingten Unmöglichkeit (§ 326 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 BGB). Verantwortlichkeit im Sinne der Norm erfasst jedenfalls ein Vertretenmüssen i.S.d. §§ 276, 278 BGB, d.h. mindestens fahrlässiges Handeln.
78Vgl. z.B. . BAG, Urteil vom 19. August 2015 - 5 AZR 975/13 -, juris Rn. 29.
79Anhaltspunkte für einen vorsätzlichen oder fahrlässigen Pflichtenverstoß mit Blick auf die beim Arbeitnehmer eingetretene Unmöglichkeit bestehen nicht. Zwar hat der M4. in dem Bescheid vom 16. Februar 2021 ausgeführt, dass die Klägerin beim Einsatz ihres Arbeitnehmers und bei der Unterbringung Gesundheits- und Arbeitsschutzvorschriften, insbesondere Hygienevorgaben verletzt habe. Es fehlen dazu aber sowohl ein schlüssiger Vortrag als auch Belege.
80Der Zeuge C. . war ausweislich seiner glaubhaften Bekundungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung, der überzeugenden Angaben der Frau T3. N2. sowie der vorliegenden Unterlagen von Ende Mai bis zum Beginn der häuslichen Absonderung im Juni 2020 als Industriehilfskraft (konkret: Hilfskraft Holzverarbeitung, Verpackungsarbeiten, Sichtkontrolle) bei der Firma G. in I2. eingesetzt. Dass die Klägerin als Verleiherin, die Firma I. .I. . als Entleiherin oder die Firma G. als Bestellerin Arbeitsschutzvorschriften (insbesondere § 3 ArbSchG und § 618 BGB i.V.m. SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard) verletzt haben könnten, ist weder nachvollziehbar vorgetragen worden noch anderweitig ersichtlich. Frau N2. hat dazu in der mündlichen Verhandlung im Übrigen glaubhaft ausgeführt, dass die Mitarbeiter der Klägerin zu Beginn der Coronapandemie auf die sog. AHA-Regeln und weitere Hygienevorschriften hingewiesen worden seien. In der Firma G. seien die Schichten getrennt und damit Kontakte reduziert worden. Ausbruchsgeschehen bei der Firma I. .I. . oder der Firma G. habe es im Jahr 2020 nicht gegeben. Eine Zusammenarbeit mit der „U. -Unternehmensgruppe“ in S1. -X1. hat entgegen der Mutmaßung des beklagten Landes nicht stattgefunden. Das hat auch Frau N2. in der mündlichen Verhandlung noch einmal bestätigt.
81Es ist auch nicht ansatzweise nachvollziehbar vorgetragen, belegt oder erkennbar, dass die Klägerin für die Wohnverhältnisse ihrer Arbeitnehmer, insbesondere i.S.d. § 618 Abs. 2 BGB, § 36 IfSG oder § 576 BGB verantwortlich sein könnte. Nach den schlüssigen Bekundungen der Klägerin, konkretisiert durch die Angaben der Frau N2. im Rahmen der mündlichen Verhandlung, hat sie an ihre Mitarbeiter keine Wohnungen vermittelt oder diese für ihre Arbeitnehmer organisiert. Sie betreibt keine Sammel- oder Gemeinschaftsunterkunft. Überdies konnte Frau N2. überzeugend darlegen, dass der Abzug einer „Kaution“ i.I. .v. 50 Euro in der Gehaltsabrechnung Mai 2020 des Herrn C. . für die zur Verfügung gestellten Arbeitsmittel, wie Arbeitsschuhe, erfolgt ist und sich die Position „Abschlag“ i.I. .v. 29,14 Euro in der Gehaltsabrechnung Juni 2020 auf die Kosten für einen durchgeführten Coronatest bezieht. Dieser sei erforderlich gewesen, um Herrn C. . nach Aufhebung der Absonderung bei einzusetzen. Die Testung wurde auch von dem betroffenen Arbeitnehmer bestätigt. Die Positionen stehen damit offensichtlich in keinem Zusammenhang zur Wohnsituation des Arbeitnehmers.
82In Übereinstimmung mit den Angaben der Klägerin hat der Zeuge C. . zudem glaubhaft erläutert, bereits seit dem 19. Juli 2019 - also vor Abschluss des Arbeitsvertrages mit der Klägerin - unter der Adresse M2.-------straße 1 in W1. zu wohnen. Den Mietvertrag habe er mit der Stadt W1. abgeschlossen. Die Wohnung habe ihm ein Bekannter namens „D1. H3. “ vermittelt. U.a. mit diesem Bekannten und seiner Ehefrau lebe er auch heute noch - nach Beendigung der Tätigkeit bei der Klägerin - in dieser Wohnung.
83Für den Wahrheitsgehalt dieser Angaben spricht, dass die Stadt W1. auf gerichtliche Anfrage am 19. Januar 2022 bestätigt hat, dass sie seit 2019 Eigentümerin des Hauses M2.-------straße 1 in W1. ist, sie die neuen Mietverträge für die Wohnungen in eigener Verantwortung abschließe und bestehende Mietverträge bei Eigentumsübertragung übernommen habe. Allein der Umstand, dass mehrere Arbeitnehmer der Klägerin und eine Vielzahl von Personen, die auf dem Betriebsgelände der U. Gruppe beschäftigt sind, unter der Adresse M2.-------straße 1 bzw. im Ortsteil T6. leben, belegt keine Verantwortlichkeit der Klägerin.
84Auch wenn die Klägerin in der Vergangenheit ihre (künftigen) Mitarbeiter auf freistehende Wohnungen oder Wohngemeinschaften im Ortsteil T6. /W1. hingewiesen haben sollte, ist der Sachverhalt nicht anders zu beurteilen. Eine irgendwie geartete Zurechnung scheidet aus, weil weder Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Wohnsitznahme dort verpflichtend gewesen sein könnte, noch ersichtlich ist, wie es der Klägerin möglich gewesen sein sollte, Einfluss auf die Wohnverhältnisse der dortigen Mieter zu nehmen. Wenn das beklagte Land meint, der Arbeitgeber müsse im Rahmen seiner Fürsorgepflicht darüber belehren oder gar darauf hinwirken, dass in der häuslichen Umgebung (erforderliche) Schutzmaßnahmen gegen die Verbreitung des Coronavirus eingehalten werden, folgt die Kammer dieser Auffassung nicht. Im Übrigen könnte eine ggf. anzunehmende Obliegenheitsverletzung schon deshalb nicht zur Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 326 Abs. 2 Satz 1 Var. 1 BGB führen, da jedenfalls kein Kausalzusammenhang zur Absonderungsverpflichtung ersichtlich ist.
85Ebenso wenig liegen triftige Hinweise vor, nach denen u.a. im Haus M2.-------straße 1 - von oder in Verantwortung der Klägerin - Hygienevorgaben verletzt worden sein könnten, die für die Absonderungsverfügung und damit die Unmöglichkeit auf Seiten des Arbeitnehmers ursächlich sein könnten. Auf einen solchen Hygieneverstoß stellt im Übrigen auch die Stadt W1. - die Vermieterin - zur Begründung der Absonderung nicht ab.
86Ein Zusammenhang zwischen der hier streitgegenständlichen Absonderung und der vom beklagten Land behaupteten Überbelegung in einzelnen Wohnungen der Häuser A.-------weg 27 und 29 sowie H2.------straße 48 ist mangels Verantwortlichkeit der Klägerin nicht gegeben.
87Soweit darüber hinaus vertreten wird, dass sich eine (auch verschuldensunabhängige) Verantwortlichkeit des Arbeitgebers, für bestimmte Risiken einzustehen, auch aus dem Arbeitsvertrag oder gesetzlichen Vorschriften ergeben kann,
88vgl. z.B. . Ulber, in: Erman, BGB, 16. Auflage 2020, § 326 Rn. 26 ff.; Ernst, Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 326 Rn. 53 ff., jeweils m.w.N.,
89muss vorliegend nicht entschieden werden, wie der Begriff der Verantwortlichkeit i.S.d. § 326 Abs. 2 BGB im Einzelnen auszulegen ist. Dass die Klägerin einer besonderen Risikoübernahme unterliegt, ist nicht ersichtlich.
90c. Die Absonderungsverpflichtung des Arbeitnehmers - als Grund seiner Leistungsunmöglichkeit - ist ersichtlich nicht zu einer Zeit eingetreten, zu welcher sich die Klägerin im Verzug der Annahme befand (§ 326 Abs. 2 Satz 1 Var. 2 BGB i.V.m. §§ 293 ff. BGB).
91d. Aus diesem Grunde scheidet ebenfalls ein Lohnfortzahlungsanspruch nach § 615 Satz 1 BGB aus, der ebenso den Annahmeverzug des Arbeitgebers tatbestandlich voraussetzt.
92e. Auch die Voraussetzungen des § 615 Satz 3 i.V.m. Satz 1 BGB liegen nicht vor. Hiernach kann der Arbeitnehmer die vereinbarte Vergütung auch dann verlangen, wenn die Arbeit ausfällt und der Arbeitgeber das Risiko des Arbeitsausfalls trägt. Voraussetzung des Anspruchs ist - jedenfalls -, dass eine Pflicht zur Arbeitsleistung besteht und die Arbeit infolge von Umständen ausfällt, für die der Arbeitgeber das Risiko trägt.
93Vgl. z.B. BAG, Urteil vom 9. Juli 2008 - 5 AZR 810/07 -, juris Rn. 13; VG Karlsruhe, Urteil vom 10. Mai 2021 - 9 K 67/21 -, juris Rn. 69.
94Das - angesprochene - Betriebsrisiko betrifft die Frage, ob der Arbeitgeber zur Lohnzahlung verpflichtet ist, wenn er ohne eigenes Verschulden zur Beschäftigung der Belegschaft aus betriebstechnischen Gründen nicht imstande ist. Zum Betriebsrisiko gehören die mit der Entscheidungsbefugnis des Arbeitgebers im Zusammenhang stehenden und die Führung des Betriebes betreffenden Ereignisse. Die Feststellung, in wessen Gefahrenkreis das störende Ereignis fällt, hat in erster Linie nach dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu erfolgen.
95Vgl. Eckart/Kruse, in: BeckOK, Infektionsschutzrecht, 10. Edition, 15. Januar 2022, IfSG, § 56 Rn. 37.3; Henssler, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2019, § 615 Rn. 96; BAG, Urteil vom 30. Mai 1963 - 5 AZR 282/62 -, juris Rn. 8; OLG Hamm, Urteil vom 29 Oktober 2021 - I-11 U 60/21 -, Abdruck S.8; VG Karlsruhe, Urteil vom 10. Mai 2021 - 9 K 67/21 -, juris Rn. 57.
96Die Voraussetzung ist nicht erfüllt, da die Absonderung allein an die Wohnanschrift des Arbeitnehmers anknüpft und nicht an im Betrieb der Klägerin liegende Gründe. Ein Zusammenhang zu seiner Tätigkeit bei der Klägerin oder dem Einsatzort ihres Arbeitnehmers besteht nicht.
97f. Dem Arbeitnehmer stand ferner gegen die Klägerin kein Anspruch auf Lohnfortzahlung nach § 616 Satz 1 BGB zu. Nach dieser Regelung wird der zur Dienstleistung Verpflichtete des Anspruchs auf die Vergütung nicht dadurch verlustig, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird.
98Die Voraussetzungen des § 616 Satz 1 BGB liegen nicht vor. Zwar handelt es sich nach Auffassung der Kammer bei der Absonderung, die für den Arbeitnehmer als Ansteckungsverdächtigten angeordnet worden ist, um einen in seiner Person liegenden Grund. Allerdings bestand seine Leistungsunfähigkeit nicht für einen nur unerheblichen Zeitraum. Im Übrigen dürfte die Anwendbarkeit von § 616 Satz 1 wirksam abbedungen worden sein.
99Ein in der Person des Arbeitnehmers liegender Grund liegt in Abgrenzung zu einem objektiven Leistungshindernis vor, wenn das Leistungshindernis in der persönlichen Sphäre des Arbeitnehmers begründet ist oder aus dessen individuellen Lebensumständen resultiert. Ein Zusammenhang mit seinen persönlichen Eigenschaften ist nicht erforderlich, steht der Anwendung von § 616 Satz 1 BGB aber auch nicht entgegen.
100Vgl. z.B. BAG, Urteile vom 19. April 1978 - 5 AZR 834/76 -, juris Rn. 19, und vom 8. September 1982 - 5 AZR 283/80 -, juris Rn. 23, sowie vom 8. Dezember 1982 - 4 AZR 134/80 -, juris Rn. 21 f.; Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 22. Auflage 2022, BGB, § 616 Rn. 3; Bieder, in: BeckOGK, Stand: 1. Februar 2020, BGB, § 616 Rn. 14; Henssler, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 616 Rn. 19; Oetker, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2019, § 616 Rn. 54.
101Der Umstand, dass von dem Verhinderungsgrund eine Vielzahl von Arbeitnehmern betroffen ist, stellt (lediglich) ein Indiz für das Vorliegen eines objektiven Leistungshindernisses dar. Entscheidend ist insoweit keine quantitativ-reale, sondern eine normativ-hypothetische Betrachtung dergestalt, ob das Hindernis nach seiner Art und Beschaffenheit grundsätzlich geeignet ist, eine Vielzahl von Personen von der Erfüllung ihrer Dienstleistungspflichten abzuhalten, und daher als objektives Leistungshindernis zu qualifizieren ist.
102Vgl. BAG, Urteile vom 24. März 1982 - 5 AZR 1209/79 -, juris Rn. 11, und vom 8. September 1982 - 5 AZR 283/80 -, juris Rn. 24; OLG Hamm, Urteil vom 29. Oktober 2021 - 11 U 60/21 -, juris Rn. 25; Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 22. Auflage 2022, BGB, § 616 Rn. 6a; Bieder, in: BeckOGK, Stand: 1. Februar 2020, BGB, § 616 Rn. 15; Legleitner, in: Herberger/Martinek u.a. jurisPK-BGB, 9. Auflage, Stand: 1. Februar 2020, § 616 Rn. 4.
103Nach dieser Maßgabe ist - im Grundsatz - mit Blick auf die Corona-Pandemie zu berücksichtigen, dass es sich dabei zwar um ein weltweites Ereignis handelt, welches ein Leistungshindernis zur selben Zeit für mehrere Arbeitnehmer verursachen kann. Für die Einordnung als subjektiv persönliches Hindernis spricht aber, dass der die Absonderung begründende Gefahrenverdacht (in der Regel) für jeden Betroffenen variiert und abhängig vom Einzelfall sowie subjektiven Faktoren - wie dem Aufenthaltsort, dem eigenen Verhalten und Kontakten des Betroffenen - ist. Dass in erster Linie Interessen der Allgemeinheit durchgesetzt werden, ist für die Einordnung des Leistungshindernisses kein entscheidendes Kriterium. Im Übrigen bestünde während einer Pandemie, die schwankende Infektionszahlen und unterschiedlich stark durchseuchte Gebiete mit sich bringen kann, erhebliche Rechtsunsicherheit, in welchem Gebiet und bei welchen Infektionszahlen wegen hoher Wahrscheinlichkeit, als ansteckungsverdächtig eingestuft zu werden, die Arbeitsverhinderung infolge einer Absonderung von einem subjektiven zu einem objektiven Leistungshindernis wird.
104Vgl. speziell zur Absonderung/Quarantäne in der Pandemie: Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 22. Auflage 2022, BGB, § 616 Rn. 6a; Henssler, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 616 Rn. 25; Oetker, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2019, § 616 Rn. 75 zum Tätigkeitsverbot nach § 31 IfSG; Hohenstatt/Krois, Lohnrisiko und Entgeltfortzahlung während der Corona-Pandemie, in: NZA 2020, 413 (414 f.); Stöß/Putzer, Entschädigung von Verdienstausfall während der Corona-Pandemie, in: NJW 2020, 1465 (1464 f.); BGH, Urteil vom 30. November 1978 - III ZR 43/77 -, juris Rn. 20, zum seuchenpolizeilichen Tätigkeitsverbot; Nds. OVG, Beschluss vom 2. Juli 2021 - 13 LA 258/21 -, juris Rn. 10, zum Krankheitsverdacht; VG Karlsruhe, Urteil vom 10. Mai 2021 - 9 K 67/21 -, juris Rn. 84 f. und insbesondere Rn. 91 zum Verhältnis von § 616 BGB und § 56 IfSG; VG Koblenz, Urteil vom 10. Mai 2021 - 3 K 107/21.KO -, juris Rn. 26; vgl. auch VG Bayreuth, Gerichtsbescheide vom 5. Mai 2021 - C. 7 K 21.210 -, juris Rn. 30, und vom 7. Juli 2021 - C. 7 K 21.222 -, juris Rn. 18 ff.; a.M. z.B. Klein, Arbeitsrechtliche Problem- und Fragestellungen der Corona-Pandemie, in: NJ 2020, 377 (378), mit Verweis auf die allgemeinen Ausführungen zum objektiven Leistungshindernis bei größeren gleichzeitig betroffenen Personenkreises von Henssler, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 616 Rn. 59; Weller/Lieberknecht/Habrich, Virulente Leistungsstörungen - Auswirkungen der Corona-Krise auf die Vertragsdurchführung, in: NJW 2020, 1017 (1018 f.); Kraayvanger/Schrader, Erstattungsanspruch des Arbeitgebers nach § 56 V 2 IfSG bei COVID-19?, in: NZA-RR 2020, 623 (625 f.).
105Danach ist maßgebliches Abgrenzungskriterium der Grund für das Leistungshindernis (hier: Ansteckungsverdacht als vom Arbeitnehmer ausgehendes Infektionsrisiko), nicht der Grund für die Absonderung (hier: Corona-Pandemie oder Ausbruchsgeschehen).
106Vgl. VG Koblenz, Urteil vom 10. Mai 2021 - 3 K 107/21.KO -, juris Rn. 26; VG Karlsruhe, Urteil vom 10. Mai 2021 - 9 K 67/21 -, juris Rn. 84; Eufinger, § 56 IfSG - Coronavirus SARS-CoV-2 und die Entdeckung einer Norm, in: DB 2020, 1121 (1123).
107Dies vorangestellt handelt es sich bei der - streitgegenständlichen - Absonderungsanordnung aufgrund eines an das Wohnumfeld des Arbeitnehmers anknüpfenden Ansteckungsverdachts mit dem SARS-CoV-2 Coronavirus um ein subjektiv persönliches Hindernis.
108Allerdings ist ungeachtet der Frage, ob zur Beurteilung der zeitlichen (Un-)Erheblichkeitsschwelle (eher) eine belastungs- oder ereignisbezogene Abwägung bzw. als Konkretisierungshilfe eine Stafflung (Beschäftigungszeit von bis zu 6 Monaten = 3 Tage, von 6 bis 12 Monaten = 1 Woche, ab 1 Jahr = 2 Wochen, ggf. ab 2 Jahren = 4 Wochen) bevorzugt wird,
109vgl. dazu z.B. BGH, Urteil vom 30. November 1978 - III ZR 43/77 -, juris Rn. 37; BAG, Urteile vom 20. Juli 1977 - 5 AZR 325/76 -, juris Rn. 12, und vom 11. August 1988 - 8 AZR 721/85 -, juris Rn. 43; VG Bayreuth, Gerichtsbescheid vom 5. Mai 2021 - C. 7 K 21.210 -, juris Rn. 31 ff.; VG Koblenz, Urteil vom 10. Mai 2021 - 3 K 107/21.KO -, juris Rn. 30; Eckart/Kruse, in: BeckOK, Infektionsschutzrecht, 10. Edition, 15. Januar 2022, IfSG, § 56 Rn. 37.1; Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 22. Auflage 2022, BGB, § 616 Rn. 10a f.; Linck, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 19. Auflage 2021, § 97 Rn. 14 ff.; Grimm, in: Tschöpe, Arbeitsrecht Handbuch, 12. Auflage 2021, C. . Entgeltfortzahlung, Rn. 87; Joussen, in: Beck Onlinekommentar Arbeitsrecht, 62. Edition, 1. Dezember 2021, BGB, § 616 Rn. 46 ff.; Henssler, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 616 Rn. 66 ff.; Legleitner, in: Herberger/Martinek u.a., jurisPK-BGB, 9. Auflage, Stand: 1. Februar 2020, § 616 Rn. 16; Krause, in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Auflage 2020, § 616 BGB, Rn. 40 f.; Bieder, in: BeckOGK, Stand: 1. Februar 2020, BGB, § 616 Rn. 36 ff.; Schmitt, in: Schmitt, Entgeltfortzahlungsgesetz, 8. Auflage 2018, BGB, § 616 Rn. 39 f.; Oetker, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2019, § 616 Rn. 99 ff.; Besgen/Jüngst u.a., in: Handbuch Betrieb und Q3. , 248. Lieferung 2021 (Stand: 204. Lieferung 05/16), ZWEITES KAPITEL Arbeitsentgelt ohne Arbeitsleistung, Rn. 271 f.; Hexel, in: Henssler/Moll/Bepler, Der Tarifvertrag, 2. Auflage 2016, Teil 4 Inhalt des Tarifvertrages, Rn. 34; Eufinger, § 56 IfSG - Coronavirus SARS-CoV-2 und die Entdeckung einer Norm, in: DB 2020, 1121 (1123); Stöß/Putzer, Entschädigung von Verdienstausfall während der Corona-Pandemie, in: NJW 2020, 1465 (1468); N2. /Becker, Pandemiebedingte Leistungshindernisse in der Arbeitsrechtspraxis, in: COVuR 2020, 126 (127),
110der hier maßgebliche Absonderungszeitraum von zehn Tagen (20. Juni bis 29. Juni 2020) bzw. von acht Tagen - wie im Erstattungsantrag der Klägerin unter Beachtung der Tatsache, dass der 20. Juni 2020 ein Samstag und der 21. Juni 2020 ein Sonntag waren -,
111vgl. zum Zeitraum der tatsächlichen Verhinderung: VG Freiburg, Urteil vom 2. Juli 2021 - 10 K 547/21 -, juris Rn. 22,
112hinsichtlich des erst am 27. Mai 2020 begonnenen und bis zum 28. Februar 2021 (~ 9 Monate) befristeten Arbeitsverhältnisses als eine erhebliche Zeit zu qualifizieren.
113Etwas anderes ergibt sich - jedenfalls im vorliegenden Fall - nicht aus der Erwägung, dass der Arbeitnehmer als Ansteckungsverdächtiger einem erkrankten Arbeitnehmer mit Blick auf die Länge eines Lohnfortzahlungsanspruchs gleichgestellt werden könnte.
114Vgl. z.B. . Stöß/Putzer, Entschädigung von Verdienstausfall während der Corona-Pandemie, in: NJW 2020, 1465 (1468), und N2. /Becker, Pandemiebedingte Leistungshindernisse in der Arbeitsrechtspraxis, in: COVuR 2020, 126 (127), die eine Übertragung der 6-Wochen-Frist des § 3 EFZG jedenfalls bei bereits länger bestehenden Arbeitsverhältnissen bzw. langjährig beschäftigten Arbeitnehmern erwägen; VG Koblenz, Urteil vom 10. Mai 2021 - 3 K 107/21.KO -, juris Rn. 32; BT-Drs. 3/1888, S. 10, 27 zu § 48 BSeuchG: Da Ausscheider, Ausscheidungsverdächtige und Ansteckungsverdächtige vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen sind wie Kranke, erscheint es angezeigt, ihnen Leistungen zu gewähren, wie sie sie als Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten würden, und BT-Drs. III/2662, S. 3 zu § 48 BSeuchG: Da der betroffene Personenkreis in etwa den Kranken gleichgestellt werden kann […]; vgl. auch Eufinger, § 56 IfSG - Coronavirus SARS-CoV-2 und die Entdeckung einer Norm, in: DB 2020, 1121 (1123), der eine Übertragung der Frist zumindest bei einer Erkrankung des Arbeitnehmers für möglich hält; ebenso: Preis, in: Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 22. Auflage 2022, BGB, § 616 Rn. 10b.
115Ungeachtet der Kritik,
116vgl. z.B. Linck, in: Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 19. Auflage 2021, § 97 Rn. 15; Oetker, in: Staudinger, BGB, Neubearbeitung 2019, § 616 Rn. 103, m.w.N.,
117an der Fortgeltung dieser Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs,
118vgl. Urteil vom 30. November 1978 - III ZR 43/77 -, juris Rn. 37 -,
119bezüglich der Heranziehung der 6-Wochen-Frist des § 3 Abs. 1 EFZG auf den Lohnfortzahlungsanspruch nach § 616 Satz 1 BGB, ist diese - hier - schon deshalb nicht übertragbar, weil einschränkend ein länger andauerndes unbefristetes und ungekündigtes Arbeitsverhältnis gefordert wird. Das bei Anordnung der Absonderung erst gut drei Wochen andauernde und auf etwa 9 Monate befristete Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Arbeitnehmer C. . erfüllt dieses Kriterium nicht.
120Ebenso wenig wird das gefundene Ergebnis dadurch beeinflusst, dass es sich bei der Arbeitgeberin um eine Verleiherin im Sinne des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes handelt. § 616 BGB ist entgegen der Auffassung des beklagten Landes nicht im Wege einer Billigkeitsüberlegung dahingehend auszulegen, dass hier der (Un-)Erheblichkeitszeitraum anders zu bemessen ist, weil eine bei Unternehmen dieser Art möglicherweise vorhandene Fluktuation von Arbeitnehmern dazu führen könnte, dass § 616 BGB keine Anwendung fände. Dagegen spricht schon, dass § 616 BGB sogar gänzlich abbedungen werden kann. Zudem handelt es sich bei der Arbeitnehmerüberlassung um eine vom Gesetzgeber anerkannte Vertragsgestaltung, die umfassend im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz geregelt ist. Der Gesetzgeber sah aber offenbar kein Erfordernis, auch bei der Anwendung des § 616 BGB regelnd tätig zu werden. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass in § 1 Abs. 1b AÜG lediglich die Überlassungsdauer zeitlich befristet ist. Dass Zeitarbeits- und Personalüberlassungsfirmen regelhaft eine Privilegierung mit Blick auf die Anwendung des § 616 BGB erfahren, ist dadurch nicht belegt.
121Im Übrigen dürfte die Anwendbarkeit von § 616 BGB wirksam abbedungen sein.
122Grundsätzlich kann § 616 BGB durch Einzelvertrag und Tarifvertrag ausdrücklich oder konkludent aufgehoben und beschränkt werden.
123Vgl. z.B. . jeweils m.w.N: Henssler, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Auflage 2020, § 616 Rn. 74; Legleitner, in: Herberger/Martinek u.a., jurisPK-BGB, 9. Auflage, Stand: 1. Februar 2020, § 616 Rn. 17; Besgen/Jüngst u.a., in: Handbuch Betrieb und Q3. , 248. Lieferung 2021 (Stand: 204. Lieferung 05/16), ZWEITES KAPITEL Arbeitsentgelt ohne Arbeitsleistung, Rn. 265 ff.
124Unproblematisch können Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Arbeitsvertrag (durch dynamische Verweisung) auch vereinbaren, dass tarifvertragliche Bestimmungen Anwendung finden.
125Eine solche Beschränkung durch Verweisung wurde in dem zwischen der Klägerin und dem Arbeitnehmer C. . geschlossenen Arbeitsvertrag vom 19. Mai 2020 verabredet, da gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 Arbeitsvertrag u.a. auf § 5 des Manteltarifvertrages zwischen dem Interessenverband iGZ und den unterzeichnenden Mitgliedsgewerkschaften des DGB (IG BCE, NGG, IG Metall, GEW, ver.di, IG BAU, EVG und GdP) vom 18. Juli 2019 Bezug genommen wird, der eine Lohnfortzahlung nach § 616 BGB auf näher aufgelistete Fälle beschränkt. Die Regelung ist abschließend. Die hier relevante Abwesenheit des Arbeitnehmers C. . wegen behördlicher Absonderung ist nicht aufgeführt.
126Ob die Firma S. I1. GmbH & Co.KG als holzverarbeitender Betrieb ggf. in die satzungsmäßige Zuständigkeit der IG Metall fällt oder die mit ver.di geschlossenen Tarifverträge subsidiär Anwendung finden, bedarf keiner Klärung, da beide Gewerkschaften den vorbenannten Manteltarifvertrag unterzeichnet haben (arg. E. § 1 Abs. 2 Satz 1 Arbeitsvertrag).
127Der Umstand, dass die Klägerin in ihrem Antragsformular ausgeführt hat, dem Arbeitnehmer eine Lohnfortzahlung nach § 616 BGB gewährt zu haben, führt zu keinem anderen Ergebnis. Eine unzutreffende Angabe im Erstattungsantrag führt weder dazu, dass der Arbeitnehmer einen solchen Anspruch nach § 616 BGB erworben hat, noch werden die Erstattungsregeln nach § 56 IfSG allein dadurch ausgeschlossen. Im Übrigen wurde die Auszahlung ausweislich der eingereichten Lohnabrechnung für den Monat Juni 2020 eindeutig als „Entschädigung § 56 Abs. 1“ bezeichnet.
128Weitere anspruchserhaltende Normen sind nicht ersichtlich.
1293. Die Kausalität („dadurch“),
130vgl. dazu Eckart/Kruse, in: BeckOK, Infektionsschutzrecht, 10. Edition, 15. Januar 2022, IfSG, § 56 Rn. 38,
131zwischen Absonderung und Verdienstausfall ist gegeben. Andere Gründe für den Wegfall des Lohnanspruchs sind weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich.
1324. Ein Mitverschulden, das in entsprechender Anwendung von § 254 BGB ggf. über die gesetzlich geregelten Fälle insbesondere in § 56 Abs. 1 Satz 3 IfSG und § 56 Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 IfSG anspruchsmindernd zu berücksichtigen sein könnte,
133vgl. zum Streitstand: Eckart/Kruse, in: BeckOK Infektionsschutzrecht, 10. Edition, 15. Januar 2022, IfSG, § 56 Rn. 41 ff., m.w.N.; Kümper, in: Kießling, 2. Auflage 2021, IfSG, § 56 Rn. 27 ff., m.w.N.,
134ist dem Arbeitnehmer nicht vorzuwerfen oder zuzurechnen. Insbesondere hat er nicht schuldhaft versäumt, ein Rechtmittel gegen die Absonderungsverfügung einzulegen, da dieses - wie dargelegt - nicht erfolgsversprechend gewesen wäre.
135C. . Auch die Voraussetzungen von § 56 Abs. 5 IfSG sind erfüllt.
136Die Klägerin ist Arbeitgeberin i.S.d. § 56 Abs. 5 IfSG. Insbesondere verstößt die Arbeitnehmerüberlassung des Herrn C. . an die I. .I. . N. und der daran anschließende Einsatz bei der Firma G. nicht gegen das Verbot des Kettenverleihs nach § 1 Abs. 1 Satz 3 AÜG, mit den in § 10a i.V.m. §§ 9, 10 AÜG geregelten Folgen. Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 3 AÜG ist die Überlassung und das Tätigwerdenlassen von Arbeitnehmern als Leiharbeitnehmer nur zulässig, soweit zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer ein Arbeitsverhältnis besteht.
137Vgl. dazu im Einzelnen: Pickenhahn, in: Henssler/Grau, Arbeitnehmerüberlassung, Solo-Selbstständige und Werkverträge, 2. Auflage 2020, § 5 Rn. 8 f., 29 ff.
138Ein Fall der illegalen Arbeitnehmerüberlassung - des Kettenverleihs - liegt nicht vor, denn zwischen der Firma I. .I. . N. und der Firma G. wurde ein Werkvertrag und kein Arbeitnehmerüberlassungsvertrag geschlossen.
139Die Abgrenzung dieser beiden Vertragstypen erfolgt anhand einer Gesamtwürdigung im Einzelfall. Zentrale Frage ist dabei, welchem Arbeitgeber der Arbeitnehmer zuzuordnen ist. Die Antwort dieser Frage richtet sich wiederum u.a. danach, wessen Weisungen das eingesetzte Q3. tatsächlich unterliegt. Nur bei der Arbeitnehmerüberlassung erhält der Entleiher durch den Überlassungsvertrag das Recht, den Leiharbeitnehmer wie ein Arbeitgeber anzuweisen. Die Tätigkeit des Arbeitgebers (Verleihers) erschöpft sich bei dieser Form der Personalgestellung darin, seine Pflicht aus dem Überlassungsvertrag zu erfüllen, indem er dem Entleiher zur Förderung von dessen Betriebszwecken geeignete Arbeitnehmer zur Verfügung stellt. Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen dadurch, dass beide Formen der Personalgestellung in der Außenwirkung aufgrund der Drei-Personen-Beziehung große Ähnlichkeiten aufweisen. Zudem erteilt der Auftraggeber auch beim Werkvertrag durchaus Weisungen, nämlich solche, die sich auf das Werk beziehen (werkbezogene Weisungen).
140Vgl. dazu z.B. . Henssler, in: Henssler/Grau, Arbeitnehmerüberlassung, Solo-Selbstständige und Werkverträge, 2. Auflage 2020, § 5 Rn. 14 ff.
141Nach dieser Maßgabe handelt es sich bei dem zwischen der Firma I. .I. . N. und der Firma G. geschlossenen Vertrag nach einer Gesamtwürdigung der vertraglichen Ausgestaltung und deren Umsetzung um einen Werkvertrag. Geschuldet ist zunächst ein abgrenzbares, abnahmefähiges und der Firma I. .I. . N. als Auftragnehmerin zurechenbares Werk. Gegenstand des Vertrages ist nämlich die Verpackung von IKEA Komplement, Stuva und Besta Schubladen (§ 1 Werkvertrag), entsprechend den vorgegebenen Verpackungs-, Arbeits- und Prüfanweisungen. Die Leistung wird zwar auf dem Betriebsgelände der Firma G. ausgeführt (§ 2 Werkvertrag), diese bei On-Site-Werkverträgen übliche Vorgehensweise spricht aber nicht für eine Arbeitnehmerüberlassung. Die örtliche Eingliederung ergibt sich schon aus der Natur der Sache, da die geschuldete Leistung in der Verpackung von auf dem Betriebsgelände der Auftraggeberin gefertigten Materialen besteht. Eine Eingliederung in die Arbeitsprozesse der Firma G. findet hingegen nicht statt. Z.B. müssen die Mitarbeiter der Firma I. .I. . N. als solche erkennbar gekleidet sein (§ 7 Ziffer 1 Werkvertrag). Eine Einplanung von Dienst- und Urlaubsplänen der Belegschaft der Auftraggeberin erfolgt nicht. Es bleibt der Auftragnehmerin auch überlassen, welche Mitarbeiter und wie viele Mitarbeiter sie zur Erfüllung der vertraglich geschuldeten Verpflichtung einsetzt (§ 5 Ziffer 1 Werkvertrag). Gegen die Annahme eines personalisierten Einsatzes spricht insoweit, dass Herr C. . im Mai und Juni 2020 bei der Firma G. eingesetzt worden ist, danach aber bei der Firma Wiesenhof. Darüber hinaus verbleiben auch die Weisungsrechte gegenüber den eingesetzten Mitarbeitern bei der Firma I. .I. . N. , lediglich ein „werkvertragliches Weisungsrecht“ ist der Auftraggeberin eingeräumt (§ 5 Werkvertrag). In diesem Sinne hat auch der Zeuge C. . bestätigt, dass während seiner Tätigkeit bei der Firma G. ein verantwortlicher Mitarbeiter der Firma I. .I. . N. die Aufsicht ausgeübt hat. Als weitere Indizien für einen Werkvertrag sprechen die Vereinbarung einer erfolgsabhängigen Inrechnungstellung (§ 3 Werkvertrag), die Haftungsverteilung bei der Gewährleistung sowie die Haftung der Auftragnehmerin für durch ihr Q3. verübte Schäden (§§ 8, 7 Ziffer 3 Satz 4 Werkvertrag). Die Haftpflichtversicherung der Auftragnehmerin ist insoweit ausdrücklich erwähnt (§ 8 Ziffer 9 Werkvertrag). Ebenso wie die Dauer der bereits seit mindestens März 2018 bestehenden vertraglichen Beziehungen spricht die Verantwortlichkeit der Auftragnehmerin für die Ausstattung ihrer Mitarbeiter mit Arbeits- und Sicherheitskleidung sowie Sicherheitsschuhen für eine werkvertragliche Abrede (§ 7 Ziffer 1 Werkvertrag). Die Bereitstellung von Arbeits- und Verbrauchsmitteln durch die Auftraggeberin (§ 2 Ziffer 2 Werkvertrag) ist dagegen maßgeblich dem Umstand geschuldet, dass die Leistung in deren Räumen erbracht wird.
142Die Überlassung des Herrn C. . an die Firma I. .I. . N. und der daran anschließende Einsatz bei der Firma G. verstoßen auch nicht gegen den zwischen der Klägerin und ihrem Mitarbeiter geschlossenen Arbeitsvertrag. Dieser schließt ein solches Vorgehen jedenfalls nicht aus. Nach § 1 Abs. 1 Unterabs. 2 Arbeitsvertrag wird der Mitarbeiter an wechselnden Einsatzstellen bei Kunden und bei wechselnden Kunden eingesetzt. Der Einsatz bei einem Kunden erfolgt vorübergehend. Der Arbeitgeber informiert den Mitarbeiter vor jeder Übertragung darüber, dass er als Zeitarbeitnehmer tätig wird. Der Mitarbeiter kann - gerade - auch im Rahmen von Werk- oder Dienstverträgen eingesetzt werden. Unabhängig davon hätte ein Verstoß gegen den arbeitsvertraglich vereinbarten Rechtscharakter des Einsatzes keinen Einfluss auf die Arbeitgeberstellung der Klägerin.
143Ein Schriftsatznachlass nach § 173 VwGO i.V.m. § 283 ZPO war dem beklagten Land zur Wahrung des rechtlichen Gehörs nicht zu gewähren. Zwar hat die Klägerin erst am 24. Januar 2022 ihre vertraglichen Beziehungen zur Firma I. .I. . N. aufgeklärt und im Rahmen der mündlichen Verhandlung die Vertragsunterlagen vorgelegt. Die Sitzung wurde aber unterbrochen, um den Beteiligten Gelegenheit zur Durchsicht der Unterlagen zu geben, anschließend wurden die wesentlichen Aspekte erörtert. Insoweit war das beklagte Land auch in der Lage, im Rahmen der mündlichen Verhandlung zu diesem Sachverhalt Stellung zu nehmen.
144Unstreitig hat die Klägerin die Entschädigung während des streitgegenständlichen Zeitraums an den Arbeitnehmer ausgezahlt, § 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG.
145Einen (formwirksamen) Erstattungsantrag (§ 56 Abs. 5 Satz 3 IfSG) hat sie am 22. Juli 2020 beim M4. (§ 54 IfSG i.V.m. § 11 Abs. 1 IfSBG-NRW) gestellt. Aus dem Antrag ergibt sich in der Zusammenschau mit den eingereichten Lohnabrechnungen zudem, dass die Klägerin Antragstellerin ist. Überdies wurde dies im Rahmen des Schriftverkehrs zwischen dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin und dem M4. ab November/Dezember 2020 auch klargestellt. Schließlich hat der M4. auch den streitgegenständlichen Ablehnungsbescheid an die Klägerin - und nicht etwa an Frau N2. - adressiert. Wenn das beklagte Land aus den unzutreffenden bzw. ungenauen Angaben in dem Antrag die Glaubhaftigkeit der Einlassungen der Klägerin im Übrigen in Frage stellen möchte, so ist dem nicht zu folgen.
146C. Der Anspruch ist entgegen der Auffassung des beklagten Landes auch nicht - nach Sinn und Zweck der Entschädigungsregelung - ausgeschlossen, weil der Klägerin ggf. ein Schadensersatzanspruch in Höhe des gezahlten Lohns gegenüber der „U. -Unternehmensgruppe“ zustehen könnte, weil auch deren Mitarbeiter in dem Haus M2.-------straße 1 gewohnt hätten.
147Einer solchen Auslegung steht schon entgegen, dass die Klägerin keinen Lohn an Herrn C. . gezahlt hat, sondern den für diesen Arbeitnehmer entstandenen Entschädigungsanspruch infolge eines Verdienstausfalls. Der Lohnanspruch bestand im hier maßgeblichen Zeitraum der Absonderung - wie dargelegt - nach dem Grundsatz „Ohne Arbeit kein Lohn“ nicht.
148Aber auch mit Blick auf einen etwaigen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen einen Dritten wegen der gezahlten Entschädigungsleistung scheidet eine teleologische Reduktion des § 56 Abs. 3 IfSG aus. Die Klägerin fungiert hier nämlich allein als Auszahlungsstelle. Dieses Verfahren soll eine schnelle und unbürokratische Entschädigungsgewährung sicherstellen.
149Vgl. Eckart/Kruse, in: BeckOK Infektionsschutzrecht, 10. Edition, 15. Januar 2022, IfSG § 56 Rn. 73; Gerhardt, in: Gerhardt, Infektionsschutzgesetz, 5. Auflage 2021, IfSG, § 56 Rn. 25.
150Dieser gesetzgeberische Wille ergibt sich auch im Umkehrschluss aus der Legalzession des § 56 Abs. 10 IfSG, da insoweit nur Schadensersatzansprüche des „Entschädigungsberechtigten“ auf das Land übergehen. In diesem Sinne sind in § 56 Abs. 3 Satz 2 und Abs. 8 IfSG auch nur Leistungen benannt, die „auf die Entschädigung“ anzurechnen sind.
151Das vorbenannte System würde unterlaufen, ließe man darüber hinaus auch im Verhältnis zwischen entschädigungspflichtigem Land und auszahlungsverpflichtetem Arbeitgeber weitere „Anrechnungstatbestände“ zu. In diese Überlegung ist einzustellen, dass der Erstattungsantrag fristgebunden ist (vgl. § 56 Abs. 11 IfSG). Bei der vom beklagten Land vertretenen Vorgehensweise wird dem Arbeitgeber nicht nur das Prozess- und Insolvenzrisiko auferlegt, sondern auch das Erfordernis bei einem ggf. langwierigen Zivilprozess mit Instanzenzug vorsorglich entsprechende Erstattungsansprüche beim M4. zu stellen, sodass weitere - ggf. unnötige - Kosten auf beiden Seiten entstehen und für die Bearbeitung Arbeitskraft gebunden wird.
152Diese Erwägungen gelten erst Recht im vorliegenden Fall, in dem die Klägerin nach Auffassung des beklagten Landes an einen bisher nicht näher konkretisierten Schuldner und auf einen nicht ansatzweise dargelegten Schadensersatzanspruch verwiesen werden soll.
153Ob der Klägerin möglicherweise weitere Schadensersatzansprüche, wie z.B. . wegen entgangenen Gewinns, gegen einen Dritten zustehen, ist unerheblich. Neben den vorbenannten Erwägungen steht einer irgendwie gearteten Berücksichtigung dieser Ansprüche im vorliegenden Verfahren entgegen, dass diese ggf. möglichen Schadensersatzansprüche der Arbeitgeberin in keinem direkten Zusammenhang zum Entschädigungsanspruch wegen Verdienstausfalls nach behördlicher Absonderung stehen. Allein der Umstand, dass „Grundlage“ dieser Ansprüche dasselbe Infektionsgeschehen ist, rechtfertigt kein anderes Ergebnis.
154D. Die Höhe des Erstattungsbetrages von 594,82 Euro (Nettoverdienstausfall zzgl. Sozialabgaben) ist von den Beteiligten unter Berücksichtigung von §§ 56 Abs. 3, 57 Abs. 1 IfSG in der mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt worden. Die Kammer hat keine Veranlassung, von sich aus an der Richtigkeit der zugrunde liegenden Berechnung zu zweifeln.
155Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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