Urteil vom Verwaltungsgericht Schwerin (6. Kammer) - 6 A 3831/16 SN

Tenor

Der Bescheid vom 2. Juni 2016 (Anordnung zur Eintragung in das zentrale Schuldnerverzeichnis) in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2016 wird aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger zu 2/3 und der Beklagte zu 1/3.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger wendet sich gegen die Vollstreckung von Rundfunkbeitragsfestsetzungsbescheiden.

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Mit Vollstreckungsersuchen vom 2. Januar 2015 bat der Norddeutsche Rundfunk den beklagten Oberbürgermeister einer Hansestadt um Durchführung der Zwangsvollstreckung im Hinblick auf die „Gebühren-/Beitragsbescheide“ vom 1. Juni 2014 und 4. Juli 2014 sowie den Festsetzungsbescheid vom 1. Oktober 2014, mit denen gegenüber dem Kläger Rundfunkbeiträge für den Zeitraum 01/2013 – 09/2014 in Höhe von insgesamt 409,08 Euro festgesetzt wurden, um Veranlassung einer Forderungspfändung, wenn eine Sachpfändung keine Aussicht auf Erfolg hat.

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Mit Bescheid vom 18. April 2016 lud der Beklagte den Kläger zur Abgabe der Vermögensauskunft, und nach mehrfachen fruchtlosen Aufforderungen hierzu erging gegenüber dem Kläger mit Bescheid vom 2. Juni 2016 eine Anordnung zur Eintragung in das zentrale Schuldnerverzeichnis. Im letztgenannten Bescheid forderte der Beklagte den Kläger letztmalig auf, die Vermögensauskunft bis zu einem bestimmten Termin abzugeben. Weiter heißt es: „Sollten Sie diese Frist nicht einhalten, werde ich die Eintragung im zentralen Schuldnerverzeichnis vornehmen.“ Die Bescheide waren nicht mit einer Rechtsbehelfsbelehrung versehen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf ihren Inhalt Bezug genommen.

4

Mit Schreiben vom 21. Juni 2016 machte der Kläger u.a. geltend, dass die Vollstreckungsvoraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis erfolgte im Juli 2016. Mit Schreiben vom 14. November 2016 widersprach der Kläger ausdrücklich der Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft und der Anordnung zur Eintragung in das zentrale Schuldnerverzeichnis.

5

Mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2016, zugestellt am 18. November 2016, wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers gegen die Bescheide vom 18. April 2016 und 2. Juni 2016 als zulässig, aber unbegründet zurück. Zur Eintragungsanordnung wird allein ausgeführt: „Leider sind Sie zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht erschienen, was zum Eintrag in das zentrale Schuldnerregister führte.“ Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Widerspruchsbescheid Bezug genommen.

6

Mit der am 19. Dezember 2016, einem Montag, erhobenen Klage wendet sich der Kläger gegen die vorgenannten Vollstreckungsmaßnahmen. Er macht unter anderem geltend, dass die Vollstreckungsvoraussetzungen nicht erfüllt gewesen seien und das Vollstreckungsersuchen fehlerhaft sei. Zudem stehe ihm ein Anspruch auf Aushändigung eines Ausdrucks oder einer Kopie der Eintragung in das zentrale Schuldnerverzeichnis zu. Ungeachtet des Umstands, dass die Eintragung elektronisch erfolgt sei, erwarte er, dass die Behörde ihn umgehend und unaufgefordert informiere, dass ein Eintrag erfolgt sei, welche Angaben hinterlegt seien und wer darauf Zugriff habe.

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Der Kläger beantragt schriftsätzlich,

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- den Beklagten zur Aufhebung der Verwaltungsakte vom 18. April 2016 und 2. Juni 2016 sowie des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2016 zu verurteilen;
9
- den Beklagten zu verurteilen, ihm einen Ausdruck der Eintragung in das zentrale Schuldnerverzeichnis auszuhändigen.
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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen,

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und tritt dem klägerischen Vorbringen im Einzelnen entgegen.

13

Auf den Hinweis des Beklagten, ihm fehle die Befugnis, die Erteilung eines Ausdrucks der Eintragung in das zentrale Schuldnerverzeichnis zu beantragen, erklärte der Kläger, insoweit seine Klage zurückzuziehen, sollte es richtig sein, dass er selbst einen entsprechenden Ausdruck beantragen müsse. Er sei jedoch weiterhin der Meinung, dass die von ihm geforderten Informationen einem rechtlichen Laien doch zumindest umgehend und ohne Aufforderung von der Behörde mitzuteilen seien.

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Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 16. Januar 2018 auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze der Beteiligten, und den vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgang sowie auf die Gerichtsakte des parallelen Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes 6 B 3480/17 SN und den dort ergangenen Beschluss vom 24. Januar 2018 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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I. Das Gericht konnte trotz Ausbleibens des Klägers im Verhandlungstermin verhandeln und entscheiden, weil der Kläger mit der Ladung auf diese Folgen des Ausbleibens im Termin hingewiesen worden ist (vgl. § 102 Abs. 2 VwGO).

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II. Die Klage hat teilweise Erfolg.

18

1. Sie ist zulässig und begründet, soweit sie gegen den Bescheid vom 2. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2016 gerichtet ist, nicht jedoch, soweit sich der Kläger gegen den Bescheid vom 18. April 2016 und insoweit den Widerspruchsbescheid wendet.

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Das gegen die Bescheide gerichtete Klagebegehren ist als Anfechtungsklage auszulegen (vgl. § 88 VwGO), mit der im Wege der gemäß § 44 VwGO zulässigen Klagehäufung die Aufhebung der beiden Verwaltungsakte und des Widerspruchsbescheides durch das Gericht begehrt wird (vgl. § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO).

20

Soweit sich die Klage gegen den Bescheid vom 18. April 2016 (Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft) richtet, ist sie bereits mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig. Das für die Klage erforderliche Rechtsschutzbedürfnis fehlt, wenn sich das Verfahren in der Hauptsache erledigt hat, was hier der Fall ist. Die Erledigung ist jedenfalls aufgrund der mit Schriftsatz vom 25. April 2017 mitgeteilten Haltung des Beklagten eingetreten, aus dem Bescheid nicht weiter vorgehen zu können und zu wollen. Damit hat sich der Bescheid auf andere Weise erledigt, und dessen Aufhebung kann im vorliegenden Klageverfahren nicht mehr erreicht werden. Unter diesen Umständen fehlt es dem Kläger, der trotz der Hinweise des Beklagten sein ursprüngliches Klagebegehren aufrechterhalten und es unterlassen hat, prozessual auf die veränderten Verhältnisse zu reagieren, insoweit an einem Rechtsschutzbedürfnis.

21

Demgegenüber steht der bereits erfolgte Vollzug des Bescheides vom 2. Juni 2016 mit der Eintragung in das zentrale Schuldnerverzeichnis der Zulässigkeit der gegen den Bescheid gerichteten Klage nicht entgegen. Insbesondere ist dadurch keine Erledigung des Verwaltungsaktes eingetreten, weil die daraus folgenden Belastungen fortbestehen (vgl. auch § 882e Abs. 3 Nr. 3 ZPO; VG Köln, Beschl. v. 27.03.2015 – 14 L 2004/14 –, juris Rn. 3; Hergenröder, DZWIR 2017, 351, 355).

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Insoweit ist die Anfechtungsklage zudem begründet, weil der Bescheid vom 2. Juni 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. November 2016 rechtswidrig ist und den Kläger demgemäß auch in seinen Rechten verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dies folgt schon daraus, dass der Bescheid auch in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid erhalten hat, an einem Ermessensfehler leidet.

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Zwar wird hier die Eintragung in das Schuldnerverzeichnis gemäß § 284 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 AO in Betracht gekommen sein, weil der Kläger als Vollstreckungsschuldner seiner Pflicht zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht nachgekommen ist. Der Rundfunkbeitragsstaatsvertrag – RBStV – (GVOBl. M-V 2011, S. 766), der durch Zustimmungsgesetz zum Fünfzehnten Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 4. Juli 2011 (GVOBl. M-V S. 766), d.h. auf der Grundlage eines entsprechenden Gesetzesbeschlusses des Landtages Mecklenburg-Vorpommern als der gewählten Vertretung des Volkes (vgl. Art. 20 Abs. 1 Satz 1, Art. 55 Abs. 2 der Landesverfassung), in hiesiges Landesrecht umgesetzt wurde (in den anderen Bundesländern, d.h. von den Vertragspartnern des Landes Mecklenburg-Vorpommern, ist der Staatsvertrag in entsprechender Weise in Landesrecht transformiert worden), befasst sich auch mit der Vollstreckung der Rundfunkbeitragsfestsetzungsbescheide. Diese werden gemäß § 10 Abs. 6 Satz 1 RBStV im Verwaltungsvollstreckungsverfahren vollstreckt. Zuständig für die Vollstreckung von Bescheiden über rückständige Rundfunkbeiträge ist im vorliegenden Fall nach § 3 Satz 1 der Vollstreckungszuständigkeits- und -kostenlandesverordnung (VollstrZustKLVO M-V) vom 6. Oktober 2004 (GVOBl. M-V S. 485), zuletzt geändert durch Artikel 2 der Verordnung vom 2. Februar 2017 (GVOBl. M-V S. 14), der Beklagte. Für die hier beabsichtigte Vollstreckung von öffentlich-rechtlichen Geldforderungen einer sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts durch eine Vollstreckungsbehörde des Landes gelten gemäß § 111 Abs. 1 des hiesigen Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG M-V), das auf die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit des Norddeutschen Rundfunks in Mecklenburg-Vorpommern anwendbar ist (vgl. zu letzterem OVG Greifswald, Beschl. v. 19.05.2016 – 2 M 31/16 –, juris Rn. 19; VG Schwerin, Urt. v. 30.12.2009 – 6 A 857/07 –, juris Rn. 26), die §§ 1 bis 3 und 5 des Verwaltungs-Vollstreckungsgesetzes (VwVG) einschließlich der in § 5 Abs. 1 VwVG aufgeführten §§ 77, 250 bis 258, 260, 262 bis 267, 281 bis 317, 318 Abs. 1 bis 4, §§ 319 bis 327 der Abgabenordnung (AO).

24

Der Beklagte hat jedoch bei der Entscheidung über den Erlass der Eintragungsanordnung das ihm durch die gesetzliche Ermächtigung eingeräumte Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt. Die gesetzlichen Grenzen des Ermessens werden insbesondere dann überschritten, wenn die Vollstreckungsbehörde das ihr eingeräumte Ermessen gar nicht ausübt (sog. Ermessensnichtgebrauch bzw. Ermessensausfall). Davon ist hier auszugehen. Weder dem Bescheid vom 2. Juni 2016 noch dem Widerspruchsbescheid vom 16. November 2016 lassen sich Ansätze für eine Ermessensentscheidung entnehmen. Im Widerspruchsbescheid heißt es zur Eintragungsanordnung allein: „Leider sind Sie zum Termin zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht erschienen, was zum Eintrag in das zentrale Schuldnerregister führte.“

25

Von einem Ermessensfehler ist hier selbst dann auszugehen, wenn der Vollstreckungsbehörde – wie der Beklagte meint – bei der Ausübung ihrer Befugnisse aus § 284 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 AO grundsätzlich ein sog. intendiertes Ermessen zusteht. Ein solches liegt vor, wenn die einschlägige Norm das Ermessen in eine bestimmte Richtung vorprägt, dass sie für den Regelfall von einer Ermessensausübung in einem bestimmten Sinne ausgeht. Versteht sich das Ergebnis von selbst, so bedarf es insoweit auch keiner das Selbstverständliche darstellenden Begründung. Sofern also ein Vollstreckungsschuldner auf die Ladung zur Abgabe der Vermögensauskunft nicht reagiert und den Termin verstreichen lässt, unterläge es danach keinem Zweifel, dass die Vollstreckungsbehörde sogleich eine Eintragungsanordnung erlässt. Ein rechtsfehlerhafter Gebrauch des Ermessens wäre dann nur anzunehmen, wenn der Behörde außergewöhnliche Umstände des Falles bekannt geworden oder erkennbar sind, die eine andere als die vorgeprägte Entscheidung möglich erscheinen lassen, und diese Umstände von der Behörde nicht erwogen worden sind. Danach ist selbst bei Annahme intendierten Ermessens aller Voraussicht nach von einem Ermessensfehler auszugehen, weil hier zumindest ein außergewöhnlicher Umstand bekannt war, der den Beklagten hätte veranlassen müssen zu erwägen, von der Eintragungsanordnung zunächst abzusehen. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

26

Nach der geltenden Fassung des § 284 AO, der durch das am 1. Januar 2013 in Kraft getretene Gesetz zur Reform der Sachaufklärung in der Zwangsvollstreckung vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2258) maßgeblich geändert worden ist, setzt die Ladung zur Vermögensauskunft keinen vorherigen erfolglosen Pfändungsversuch voraus. Auch kann sich der Vollstreckungsschuldner in der Regel nicht mit Erfolg darauf berufen, dass die Ladung wegen der Geringfügigkeit der geltend gemachten Forderung unverhältnismäßig sei (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 10.11.2016 – 9 B 298/16 –, juris Rn. 10). Gemäß § 284 AO kann die Vollstreckungsbehörde die Auskunft über die Vermögensverhältnisse des Vollstreckungsschuldners daher nach pflichtgemäßem Ermessen bereits zu Beginn des Vollstreckungsverfahrens anfordern. Die Auskunft stellt nunmehr eine zentrale vollstreckungsrechtliche Mitwirkungspflicht des Vollstreckungsschuldners dar, die der Informationsbeschaffung für den Gläubiger dient. Liegen die Voraussetzungen des § 284 Abs. 9 AO vor, entscheidet die Vollstreckungsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen über die Eintragung des Vollstreckungsschuldners in das Schuldnerverzeichnis nach §§ 882b, 882h ZPO. Entsprechend dem Bedeutungswandel der eidesstattlichen Versicherung ist das bislang auf der Stufe vor der Abnahme der eidesstattlichen Versicherung insoweit auszuübende Ermessen auf eine spätere Stufe verlagert worden, bei der die Vollstreckungsbehörde zu entscheiden hat, ob sie die Eintragung des Vollstreckungsschuldners in das Schuldnerverzeichnis anordnet (vgl. BFH, Beschl. v. 08.02.2016 - VII B 60/15 -, juris Rn. 8; Zeller-Müller in Beermann/Gosch, AO/FGO, 136. Lfg. bei juris, Juli 2015, § 284 AO Rn. 17; Werth in Klein, AO, 13. Aufl., § 284 Rn. 35). Die Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde muss spätestens in der Einspruchs- oder Widerspruchsentscheidung dargelegt werden (vgl. auch FG Köln v. 15.07.2014 - 15 V 778/14 -, juris Rn. 17, 21 f., wonach die Einspruchsbehörde insoweit Dauer und Höhe der Rückstände, die Erfolglosigkeit bisheriger Vollstreckungsmaßnahmen sowie den Zweck der Eintragung, dem Gläubiger ein Informations- und Druckmittel an die Hand zu geben, in nicht zu beanstandender Weise berücksichtigt habe; vgl. ferner Potowski in: AO - eKommentar bei juris, Fassung v. 01.01.2015, § 284 Rn.38). Dabei wird zu beachten sein, dass sich Voraussetzungen und Bedeutung der Eintragung ins Schuldnerverzeichnis mit der seit Januar 2013 geltenden gesetzlichen Neukonzeption erheblich verändert haben. Angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Folgen einer Eintragung für den Schuldner, die durch online-gestützte Einsichtsmöglichkeiten nach § 882f ZPO, §§ 5, 6 der Schuldnerverzeichnisführungsverordnung (SchuFV) verstärkt werden, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung von besonderer Bedeutung (vgl. auch VG Köln, Beschl. v. 27.03.2015 – 14 L 2004/14 –, juris Rn. 31; Baldauf, Anm. zu FG Köln, Beschl. v. 15.07.2014 – 15 V 778/14 –, juris, EFG 2014, 1848-1851).

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Davon ausgehend ist selbst dann, wenn der Vollstreckungsbehörde auch bei der Ausübung ihrer Befugnisse aus § 284 Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 AO grundsätzlich ein sog. intendiertes Ermessen zusteht, von einem Ermessensfehler auszugehen, weil hier zumindest im Hinblick auf die Höhe der zu vollstreckenden Forderung ein außergewöhnlicher Umstand bekannt war, den der Beklagte vor Erlass einer Eintragungsanordnung in eine Ermessensentscheidung hätte einbeziehen müssen. Da selbst der zu vollstreckende Gesamtbetrag in Höhe von 435,08 Euro noch einen vergleichsweise geringen Betrag darstellt, hätte der Beklagte angesichts der weitreichenden Folgen einer Eintragung in das Schuldnerverzeichnis insoweit Ermessenserwägungen anstellen und dies auch manifestieren müssen (vgl. auch Koenig, AO, 3. Aufl., § 284 Rn. 5 zu der Erwägung, bis zu einer Wertgrenze von 600,-- Euro grundsätzlich von einer Eintragungsanordnung abzusehen; Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, 150. Lfg. 10.2017, § 284 AO Rn. 6 schon zur Einholung einer Auskunft über die Vermögensverhältnisse).

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2. Soweit der Kläger zudem – auch insoweit im Wege der gemäß § 44 VwGO zulässigen Klagehäufung – die Verurteilung des Beklagten als Vollstreckungsbehörde begehrt, ihm einen Ausdruck der ihn betreffenden und auf der Grundlage des Bescheides vom 2. Juni 2016 vorgenommenen Eintragung in das zentrale Schuldnerverzeichnis auszuhändigen, hat die Klage ebenfalls keinen Erfolg.

29

Sie ist vom Kläger ungeachtet der Erklärung, insoweit seine Klage zurückzuziehen, sollte es richtig sein, dass er selbst einen entsprechenden Ausdruck beantragen müsse, nicht wirksam zurückgenommen worden. Als Prozesshandlung kann eine Klagerücknahme grundsätzlich nicht unter einer Bedingung erfolgen. Dies gilt auch für die vorliegende Konstellation, in der sie gleichsam für den Fall erklärt wird, dass die Prüfung des klageweise geltend gemachten Anspruchs ergibt, dass Klage insoweit erfolglos ist.

30

Der Kläger hat auch unter dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung keinen Anspruch, dass der Beklagte für ihn beim zentralen Vollstreckungsgericht einen Ausdruck der Eintragung in das zentrale Schuldnerverzeichnis abruft und ihm zur Verfügung stellt. Dies folgt schon daraus, dass es für einen solchen Abruf an der erforderlichen Rechtsgrundlage fehlt.

31

§ 802g ZPO scheidet insoweit als Rechtsgrundlage von vornherein aus, weil es im vorliegenden Fall nicht um den laufenden Bezug von Abdrucken aus dem Schuldnerverzeichnis geht. Aber auch nach § 882f ZPO kommt hier eine entsprechende Informationsgewinnung durch Einsicht in das Schuldnerverzeichnis für den Beklagten nicht in Betracht. Einschlägig könnte hier allein § 882f Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO (Einsicht zu Vollstreckungszwecken) sein, dessen Voraussetzungen jedoch nicht erfüllt sind. Die Erfüllung eines berechtigten Informationsinteresses des Schuldners an den ihn selbst betreffenden Eintragungen dient nämlich keinem Vollstreckungszweck (so AG Dresden, Beschl. v. 21.05.2015 – 501 M 5932/15 –, juris Rn. 6 im Zusammenhang mit der verneinten Verpflichtung eines Gerichtsvollziehers zum Abruf des Vermögensverzeichnisses für den Schuldner). Demgegenüber ist der Schuldner selbst nach § 882f Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 ZPO, § 5 Nr. 6 SchFV zur Einsicht in das vom zentralen Vollstreckungsgericht geführte Schuldnerverzeichnis berechtigt, um Auskunft über die ihn betreffenden Eintragungen erhalten zu können.

32

Auf die Beseitigung der Folgen einer rechtswidrigen Anordnung zielt demgegenüber § 882e Abs. 3 Nr. 3 ZPO ab, wonach eine Eintragung im Schuldnerverzeichnis gelöscht wird, wenn dem zentralen Vollstreckungsgericht die Ausfertigung einer vollstreckbaren Entscheidung vorgelegt wird, aus der sich ergibt, dass die Eintragungsanordnung aufgehoben ist. Eine entsprechende Entscheidung ist dem zentralen Vollstreckungsgericht nach § 882h Abs. 1 ZPO u.a. durch die Vollstreckungsbehörde elektronisch zu übermitteln (§ 284 Abs. 11 Satz 1 AO).

33

Soweit der Kläger das Fehlen einer umgehenden und unaufgeforderten Mitteilung durch den Beklagten beanstandet, dass ein Eintrag erfolgt sei, welche Informationen hinterlegt seien und wer darauf Zugriff habe, können sich daraus auch unter dem Gesichtspunkt der Folgenbeseitigung ebenfalls keine Aushändigungs- oder Auskunftsansprüche ergeben. Für die Auskunft, ob eine Eintragung und mit welchen Angaben erfolgt ist, gelten wiederum die vorstehenden Ausführungen. Etwas anderes würde sich aber auch dann nicht ergeben, wenn von dem Begehren eine Auskunft über die im Juli 2016 vom Beklagten zur Eintragung mitgeteilten Daten eingeschlossen sein sollte, was dem Begehren des Klägers ohnehin nicht entsprechen würde, einen Abdruck oder eine Kopie der Eintragung im zentralem Schuldnerverzeichnis zu erhalten. Die Eintragungsanordnung selbst hat gemäß § 284 Abs. 9 Satz 4 AO in Verbindung mit § 882c Abs. 3 Satz 1 ZPO die in § 882b Abs. 2 und 3 ZPO genannten Angaben zu enthalten, hier insbesondere den Namen und Vornamen sowie Geburtsdatum und Wohnsitz des Schuldners (§ 882b Abs. 2 ZPO), zudem die Bezeichnung der Vollstreckungsbehörde nebst Aktenzeichen, das Datum der Eintragungsanordnung und den gemäß § 284 Abs. 9 Satz 1 AO zur Eintragung führenden Grund (§ 882b Abs. 3 Nr. 1 und 3 ZPO). Auch soweit die Eintragungsanordnung eine dieser Angaben im vorliegenden Fall nicht enthielt, hat der Kläger keinen auf Auskunft über die hinterlegten Informationen, d.h. über die ihn selbst betreffenden Eintragungen im Schuldnerverzeichnis gerichteten Folgenbeseitigungsanspruch. Das vom Kläger insoweit geltend gemachte Informationsdefizit ist nämlich nicht Folge der aufgehobenen Eintragungsanordnung vom 2. Juni 2016, sondern allenfalls fehlender Angaben in der Eintragungsanordnung selbst. Wer Zugriff auf die den Kläger betreffenden Eintragungen im Schuldnerverzeichnis hat, ist demgegenüber gesetzlich geregelt (§§ 882f f. ZPO), so dass der Beklagte insoweit ebenfalls nicht zu Auskünften verpflichtet sein kann.

34

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.

 

35

Beschluss
vom 12. Februar 2018:

36

Der Streitwert wird auf 1.305,24 Euro festgesetzt.

37

Gründe:

38

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, 3 GKG. Das Gericht hat für jede der beiden angefochtenen Vollstreckungsmaßnahmen und für den Auskunftsanspruch jeweils den zu vollstreckenden Gesamtbetrag, d.h. diesen insgesamt 3-fach zugrunde gelegt.

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