Urteil vom Verwaltungsgericht Schwerin (4. Kammer) - 4 A 3037/17 SN

Tenor

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

1

Die Klägerin ficht einen Bescheid über einen Schmutzwasseranschlussbeitrag an.

2

Sie war zum Zeitpunkt des Erlasses des nachfolgend dargestellten streitgegenständlichen Beitragsbescheids Eigentümerin zweier Grundstücke in der Gemeinde G. S., jeweils eingetragen im Grundbuch von G. S., Blatt Z.

3

Zum einen handelt es sich um das unter der laufenden Nummer 1 grundbuchlich eingetragene Grundstück, damals bestehend aus dem 34.629 m² großen Flurstück a, Flur y, Gemarkung G. S. Im Jahr 2015 wurde dieses Grundstück u. a. in die Flurstücke b bis e zerlegt, ein Jahr später das Flurstück c in die Flurstücke f und g, jeweils der genannten Flur und Gemarkung. Am 10. Mai 2016 wurde das 693 m² große Flurstück f durch grundbuchliche Eintragung an Dritte veräußert.

4

Zum anderen geht es um das seit dem 29. September 2014 im Grundbuch unter der laufenden Nummer 2 eingetragene Grundstück, bestehend aus dem 693 m² großen Flurstück h, Flur y, Gemarkung G. S. Dieses Grundstück verkaufte die Klägerin durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht mit notariellem Vertrag vom 18. August 2014 an zwei Erwerber, die – offenbar nach Genehmigung dieses Handelns – am 9. Januar 2015 als Miteigentümer zu je ½ Anteil eingetragen wurden.

5

Die Flächen beider Grundstücke befinden sich jedenfalls im in Anspruch genommenen Umfang im räumlichen Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 2 „Wohngebiet G. S.“ der Gemeinde G. S. vom 14. April 1999 in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 1. März 2006.

6

Die Beklagte erhob von der Klägerin für die beiden Grundstücke mit Bescheid über den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser vom 21. November 2014, Bescheidnummer S2014000237, einen solchen Beitrag in Höhe von 118.003,05 €, offenbar in der Annahme, es handle sich nur um ein Buchgrundstück. Sie legte eine „anrechenbare Grundstücksfläche“ von 25.377 m² zugrunde. Die „beitragspflichtige Fläche“ ist in der Anlage zu diesem Bescheid schraffiert dargestellt.

7

Am 22. Dezember 2014 legte die Klägerin mit Schreiben vom 21. Dezember 2014 Widerspruch ein, der auch trotz Aufforderung der Beklagten vom 29. Dezember 2014 nicht – weder in der gesetzten dreiwöchigen Frist noch später – begründet wurde.

8

Am 20. Januar 2015 teilten die heutigen Prozessvertreter die anwaltliche Vertretung der Klägerin mit und beantragten Akteneinsicht. Zugleich kündigten sie an, nach Einsicht in die Verfahrensakten den Widerspruch innerhalb von drei Wochen umfassend zu begründen.

9

Mit Schreiben vom 29. April 2015 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass vorgeschlagen werde, das Widerspruchsverfahren im Hinblick auf die Konsequenzen der Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2015 (9 C 15.10 u. a.) einstweilen ruhen zu lassen. Im Übrigen werde sie unaufgefordert das Verfahren zu dem späteren Zeitpunkt, sofern der Landesgesetzgeber die entsprechende Regelung erlassen habe, weiterführen.

10

Die Beklagte wies den Widerspruch, der auch bis dahin nicht begründet worden war, mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2017 zurück. Sie behauptete darin u. a., zum Zeitpunkt der Bescheiderstellung hätten sich beide Flurstücke im Grundbuch auf einem Grundbuchblatt und auf einer laufenden Nummer befunden.

11

Am 19. Juli 2017 hat die Klägerin daraufhin Klage erhoben.

12

Mit Schriftsatz vom 11. Juni 2018 hat die Beklagte das Grundstück Flurstück h aus der Veranlagung herausgenommen und deshalb den Beitragsbescheid auf 114.780,60 € reduziert. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.

13

Die Klägerin trägt vor:

14

Ohne Vorwarnung und ohne auf eine Beendigung des Ruhens des Widerspruchsverfahrens hinzuweisen, habe die Beklagte mit dem Widerspruchsbescheid entschieden.

15

Die Rechtsgrundlage für den Erlass des Bescheids sei weiterhin verfassungsrechtlich bedenklich und genüge nicht dem Grundsatz der Rechtssicherheit.

16

Unabhängig davon hätte die Mitteilung über die Fortsetzung des Widerspruchsverfahrens auch Einfluss auf die Entscheidung in der Sache gehabt. Sie, die Klägerin, hätte auf die neue Flurstücksgestaltung hingewiesen, ebenso auf die sonstigen rechtlichen Bedenken. Bei Erlass des Widerspruchsbescheids hätte die Beklagte dies sowie die Veräußerung des Flurstücks f berücksichtigen müssen. Hinsichtlich der Aufteilung der Flurstücke sei zu berücksichtigen, dass das Flurstück e nicht mehr an eine öffentliche Straße mit Schmutzwasserleitung grenze und das Flurstück d zu schmal für eine Bebauung sei. Für beide Flurstücke könne somit kein Anschlussbeitrag mehr geltend gemacht werden.

17

Die Klägerin sei ein Unternehmen der O. D. Gruppe. Sie habe die Flurstücke h und a im Jahr 2007 von den damaligen Gesellschaftern dieser Gruppe erworben. Das später gebildete Flurstück b habe einer Spielplatzerweiterung der Gemeinde dienen sollen. Das Flurstück d diene der Sicherung eines Grünstreifens.

18

Leitungen für die Schmutzwasserentsorgung von den fraglichen Flurstücken hätten bereits vor der Wende bestanden. Eine Anschlussmöglichkeit der streitgegenständlichen Flurstücke an die Schmutzwasserbeseitigungsanlage habe bereits bestanden.

19

Wie genau die anrechenbare Grundstücksfläche ermittelt worden sei und wie sich diese auf die Flurstücke verteile, lasse sich dem streitbefangenen Bescheid nicht entnehmen.

20

Die angefochtenen Bescheide seien formell rechtswidrig wegen fehlender Anhörung. Eine Heilung des Verfahrensfehlers sei bislang ebenfalls nicht erfolgt.

21

Die formelle Rechtswidrigkeit ergebe sich auch wegen der Fortsetzung des ruhenden Widerspruchsverfahrens ohne Mitteilung. Es sei auf § 12 Abs. 3 Satz 6 KAG M-V hinzuweisen. Dieser Verfahrensfehler könne auch nicht nachträglich geheilt werden. Der Fehler sei auch erheblich, denn sie, die Klägerin, habe weder vor Erlass der angefochtenen Bescheide noch vor Erlass der Widerspruchsbescheide Gelegenheit gehabt, sich zu äußern. De facto sei ihr das rechtliche Gehör sowohl im Verwaltungs- als auch Widerspruchsverfahren verwehrt worden. Auch der Grundsatz eines fairen Verfahrens gebiete es, dass die Verfahrensbeteiligten über die Fortführung eines Widerspruchsverfahrens informiert würden, wenn das Verfahren geruht habe. Der Verfahrensfehler sei auch nicht gem. § 127 AO unbeachtlich, da er nicht gem. § 126 AO geheilt werden könne.

22

Außerdem beruhe die Erhebung des Schmutzwasserbeitrages auf § 9 Abs. 1 KAG M-V, einer Soll-Regelung, die zumindest ein Ermessen für Ausnahmefälle eröffne. Auch im Hinblick darauf, wann die Beklagte eine Erhebung des Anschlussbeitrags vornehme, bestehe ein Entscheidungsspielraum. Unabhängig davon, hätte die Mitteilung über die Fortsetzung des Widerspruchsverfahrens auch Einfluss auf die Entscheidung in der Sache gehabt.

23

Die Bescheide seien aber auch materiell rechtswidrig.

24

Zum einen verletzten sie das Recht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG über Art. 20 Abs. 3 GG und § 91 AO. Dabei sei besonders zu berücksichtigen, dass die Beklagte die Verfahrensrechte zum Recht auf rechtliches Gehör gezielt verletzt habe und nicht versehentlich. Es dürfte das Kalkül der Beklagten gewesen sein, sie, die Klägerin, mit dem überraschenden Erlass der Widerspruchsbescheide zu überrumpeln. Eine solch gezielte Verletzung des Rechts auf rechtliches Gehör führe ohne weiteres zur Rechtswidrigkeit der angefochtenen Bescheide.

25

Außerdem seien die Grundstücksflächen falsch berechnet worden. Die Beklagte habe bei Erlass des Widerspruchsbescheids die neue Flurstückgestaltung sowie die Veräußerung der Flurstücke h und f bei der Berechnung der anrechenbaren Grundstücksfläche berücksichtigen müssen.

26

Es komme vorliegend nicht auf die Situation zum Zeitpunkt der Erstellung des Bescheids an, sondern allenfalls auf den Zeitpunkt der Änderung des Kommunalabgabengesetzes durch den Gesetzgeber im Juli 2016. Bis dahin sei der Bescheid rechtswidrig gewesen, da § 9 Abs. 3 KAG M-V verfassungswidrig gewesen sei. Soweit der Beklagten eingeräumt werde, dass die Änderung des Landesrechts den rechtswidrigen Bescheid heile, so gelte dies frühestens ab dem Zeitpunkt des 14. Juli 2016. Es gelte daher, dass allein die Sach- und Rechtslage zu diesem Zeitpunkt („zum 21. Dezember 2014“?) entscheidungsrelevant sei.

27

Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass das Flurstück e nicht mehr an eine öffentliche Straße mit Schmutzwasserleitung grenze und das Flurstück d zu schmal sei, um bebaut zu werden. Ein Beitrag könne daher nicht mehr geltend gemacht werden.

28

Der Bescheid über dieses Grundstück sei zudem inhaltlich unbestimmt und verstoße gegen das allgemeine Bestimmtheitsgebot von Verwaltungsakten aus § 119 Abs. 1 AO. Es erfolge keine hinreichend genaue Angabe, für welches Flurstück welcher Betrag genau festgesetzt worden sei, noch wie die anrechenbare Grundstücksfläche von 25.377 m² im Ausgangsbescheid ermittelt worden sei.

29

Darüber hinaus sei vor Erlass der Bescheide Festsetzungsverjährung eingetreten. Die vierjährige Frist sei vorliegend spätestens mit dem Ende des Jahres 2003 abgelaufen, nachdem der Bebauungsplan aus dem Jahr 1999 stamme.

30

Nach § 9 Abs. 3 2. Halbsatz KAG M-V entstehe die sachliche Beitragspflicht frühestens mit dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Satzung. Diese Regelung begegne, soweit sie auf das Inkrafttreten einer „wirksamen“ Satzung abstelle, weiterhin verfassungsrechtlichem Bedenken. Die in den Entscheidungen des angerufenen Gerichts und des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vertretene Auslegung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 (Az. 1 BvR 296/14 und 1 BvR 3051/14) sei im Hinblick auf den konkreten Fall falsch. Der entscheidende Unterschied zwischen der Rechtslage, die dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zugrunde liege, und der vorliegenden Rechtslage in Mecklenburg-Vorpommern werde nicht in den einschlägigen Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes gesehen, die im Wesentlichen auch in der Vergangenheit deckungsgleich gewesen seien, sondern allein in den Unterschieden der jeweiligen Landesrechtsprechung. Es könne aber im Hinblick auf die Frage der Festsetzungsverjährung im vorliegenden Fall nicht darauf ankommen, ob eine wirksame oder eine unwirksame Satzung vorliege. Zwar möge es vertretbar erscheinen, dass eine formell oder materiell rechtswidrige und damit nichtige Beitragssatzung wegen ihrer Nichtigkeit nicht ausreiche, um die sachliche Beitragspflicht im Sinne des § 9 KAG M-V entstehen zu lassen. Ihr Erlass sei aber für den Zeitpunkt bedeutsam, zu dem die sachliche Beitragspflicht überhaupt noch durch eine nachfolgende wirksame Satzung zur Entstehung gebracht werden könne. Durch den Erlass der ersten Satzung, unabhängig von ihrer Wirksamkeit, werde der Wille des Satzungsgebers zum Ausdruck gebracht, die sachliche Beitragspflicht für alle anschließbaren Grundstücke zur Entstehung zu bringen. Aus der Sicht aller Rechtsunterworfenen, deren Grundstück angeschlossen werden könne, könne nur das Datum der ersten Satzung für die Frage der Festsetzungsverjährung entscheidend sein, denn diese könnten grundsätzlich darin vertrauen, dass der Gesetzgeber wirksame Satzungen erlasse.

31

Dabei sei zu berücksichtigen, dass die Rechtsunterworfenen in ihrer großen Mehrheit nicht beurteilen könnten, ob eine Satzung unwirksam sei oder nicht. Der Satzungsgeber werde hingegen seine Satzung immer als wirksam erachten und somit annehmen, dass damit eine sachliche Beitragspflicht entstanden sei sowie die Festsetzungsverjährungsfrist begonnen habe. Durch den Erlass der ersten Satzung und auch jeweils nachfolgender Satzungen sei somit ein Vertrauenstatbestand dahingehend geschaffen worden, dass der Satzungsgeber eine wirksame Satzung erlassen habe, die dann auch eine sachliche Beitragspflicht auslöse. Eine Überprüfung der Wirksamkeit einer Satzung könne im Ergebnis nur durch Gerichte erfolgen. Diese Kontrolle erfolge aber nicht umgehend bei Erlass der Satzung. Zudem sei es möglich, dass eine Satzung erlassen werde, deren Wirksamkeit durch die Gerichte nicht überprüft werde, weil kein Betroffener ein entsprechendes Verfahren angestrengt habe und im Anschluss die zunächst wirksame Satzung so geändert werde, dass sie unwirksam werde. In einem solchen Fall ließe sich der Beginn der Festsetzungsverjährung, sobald man ihn an die Wirksamkeit der Satzung knüpfe, nur noch inzident feststelle. Zwar könne eine gerichtliche Entscheidung die Unwirksamkeit der Satzung feststellen und somit das bis zu diesem Zeitpunkt bestehende Vertrauen in die Wirksamkeit im Nachhinein aufheben. Es bleibe aber dabei, dass der Erlass der unwirksamen Satzung zunächst einen Vertrauenstatbestand in das erlassene Recht schaffe.

32

Entscheidend sei nun, ob das geschaffene Vertrauen in die Wirksamkeit einer letztlich unwirksamen Satzung dazu führe, dass die Festsetzungsverjährung bereits mit Erlass der Satzung unabhängig von ihrer Wirksamkeit beginne. Soweit im Einzelfall ein schutzwürdiges Vertrauen in die Wirksamkeit einer Satzung bestehe, müsse die Norm des § 9 Abs. 3 KAG M-V i. V. m. §§ 169, 170 AO verfassungsgemäß so ausgelegt werden, dass die Festsetzungsverjährung mit dem Datum beginne, in dem dieses Vertrauen in eine wirksame Satzung bestanden habe.

33

Das angerufene Verwaltungsgericht habe in seiner Entscheidung vom 30. Januar 2017 (Az. 4 A 1352/12) sich umfassend mit der Frage beschäftigt, ob der „Rechtsschein“ der unwirksamen Satzungen der Beklagten in der Vergangenheit für Kläger einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand geschaffen habe. Dies sei von dem Gericht u. a. damit verneint worden, dass die Kläger in den fraglichen Verfahren aufgrund der unwirksamen Satzungen keine „Vertrauensinvestitionen“ getätigt hätten. Im vorliegenden Fall sei dies anders zu bewerten. Hierzu sei anzumerken, dass die Klägerin davon ausgegangen sei, dass eine Heranziehung des Anschlussbeitrages nicht mehr möglich sein werde, weil eine Anschlussmöglichkeit bereits seit der Wende bestanden habe und eine Bebauung der Flurstücke teilweise seit dem Jahr 1999 möglich gewesen sei. Es sei daher davon auszugehen, dass dies bereits den Kaufpreis der Grundstücke mitbestimmt habe. Die Klägerin habe deshalb auch davon abgesehen, die fraglichen Flurstücke zu parzellieren bzw. weiter zu veräußern. Hätte sie mit einer Heranziehung eines Anschlussbeitrages noch gerechnet, so hätte sie entsprechende Maßnahmen ergriffen, um sicherzustellen, dass die anrechenbare Grundstücksfläche geringer ausfalle. Es liege auf der Hand, dass das Flurstück a vor einer Bebauung hätte unterteilt werden müssen. Sie, die Klägerin, habe davon abgesehen, weil das Interesse an entsprechenden Baugrundstücken aktuell sehr gering sei und ein Verkauf aktuell ausgeschlossen erscheine. Eine Unterteilung dieser großen Flurstücke sei vorliegend nur deshalb nicht erfolgt, weil die Klägerin darin vertraut habe, dass kein Herstellungsbeitrag mehr erhoben werden könne. Anderenfalls hätte sie das Flurstück in etwa so unterteilt, wie sich die Flurstücksituation aktuell darstelle, um die anrechenbare Grundstücksfläche zu reduzieren. Sie müsse nämlich befürchten, dass es ihr langfristig nicht gelingen werde, die fraglichen Grundstücke zu veräußern bzw. dort eine Bebauung zu realisieren. Insofern habe diese in die Festsetzungsverjährung des Herstellungsbeitrages vertraut. Nun werde sie zu einem Herstellungsbeitrag für eine Grundstücksfläche herangezogen, deren Bebauung derzeit mehr als fraglich sei. Es bestehe daher im vorliegenden Fall ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin in die Festsetzungsverjährung. Ohne dieses Vertrauen hätte sie in der Vergangenheit anders gehandelt und andere Dispositionen getroffen. Sie habe zudem der Annahme unterlegen, eine für sie günstige Rechtsposition erworben zu haben, nämlich Grundstücke, für die der Herstellungsbeitrag eben nicht mehr geltend gemacht werden könne.

34

Soweit man ihr, der Klägerin, einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand zubillige, greife wiederum die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aus dem Beschluss vom 12. November 2015. Im Ergebnis wäre dann von einer 2003 eingetretenen Festsetzungsverjährung auszugehen, die nun nicht mehr nachträglich zu ihren Lasten durch eine Neuregelung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V ausgehebelt werden könne. Es handele sich um eine echte verfassungswidrige Rückwirkung.

35

Schließlich sei die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid rechtswidrig. Sie werde mit Verweis auf § 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO und § 80 des Landesverwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG M-V) begründet. Aufgrund von § 2 Abs. 1 Nr. 1 VwVfG M-V seien die Vorschriften des ersten Hauptteils dieses Gesetzes nicht anwendbar, daher auch § 80 VwVfG M-V nicht, soweit das fragliche Verfahren nach den Vorschriften der Abgabenordnung durchzuführen sei. Vermutlich meine die Beklagte auch nicht § 73 Abs. 3 Satz 2 VwGO, sondern Satz 3 dieser Vorschrift. Hieraus ergebe sich aber keine Kostenlastentscheidung zu Ungunsten der Klägerin, sondern lediglich die Maßgabe, dass im Widerspruchsbescheid eine Kostenentscheidung getroffen werden müsse. Die Kostenentscheidung könne dabei auch lauten, dass für das Widerspruchsverfahren keine Kosten veranschlagt würden. Dies wäre vorliegend die richtige Entscheidung gewesen, denn für ein Verfahren, welches nach den Vorschriften der Abgabenordnung geführt werde, gelte keine dem § 80 VwVfG M-V analoge Kostenlastregelung. Auch für die vorliegenden Widerspruchsverfahren gelte daher, dass die Klägerin die Kosten des Verfahrens nicht zu tragen habe (vgl. hierzu z. B. Bundesverwaltungsgericht, Urt. v. 27. Sept. 1989 – 8 C 88.88 –, VG Frankfurt am Main, Urt. v. 20. April 2005 – 10 E 4884/02 –).

36

Die Beklagte habe mit den Eingangsbestätigungen nicht nur die fristgerechte Erhebung der Widersprüche bestätigt, sondern sich auch in der Sache eingelassen und somit auch aus diesem Grund einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand geschaffen. Von einer Anhörung vor Erlass der streitigen Beitragsbescheide habe auch nicht auf der Grundlage des § 91 Abs. 2 Nr. 4 AO abgesehen werden dürfen.

37

Die Regelung des § 12 Abs. 3 Satz 6 KAG M-V ergänze § 363 Abs. 2 AO. Nach ständiger finanzgerichtlicher Rechtsprechung zu der vergleichbaren Regelung des § 363 Abs. 2 Satz 3 AO handele es sich bei der Mitteilung über die Fortsetzung des Widerspruchsverfahrens nicht um eine bloße verfahrensfördernde Benachrichtigung, sondern habe auf die Beendigung des Ruhens und auf die Fortsetzung des Verfahrens gerichtete Rechtswirkung. Deshalb handele es sich bei dieser Mitteilung um einen Verwaltungsakt. Einen solchen habe die Beklagte pflichtwidrig nicht erlassen und bereits deshalb verfahrensfehlerhaft und somit rechtswidrig gehandelt.

38

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs erfordere der Bescheid über die Fortsetzung eines Einspruchsverfahrens darüber hinaus eine Ermessensentscheidung. Diese Rechtsprechung sei auf § 12 Abs. 3 Satz 6 KAG M-V und die Fortsetzung eines Widerspruchsverfahrens übertragbar. Eine solche Ermessensentscheidung habe die Beklagte nicht getroffen und auch deshalb seien die angefochtenen Bescheide rechtswidrig.

39

Dieser Fehler könne auch nicht geheilt werden.

40

Selbst wenn § 80 VwVfG M-V vorliegend Anwendung fände, sei die getroffene Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid fehlerhaft. Nach § 80 Abs. 1 Satz 2 dieser Vorschrift habe die Beklagte die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen auch dann zu erstatten, wenn die Verletzungen einer Verfahrens- oder Formvorschrift gem. § 45 VwVfG M-V geheilt worden sei. Unstreitig sei die gesetzlich vorgeschriebene Anhörung der Klägerin unterblieben und dieser Verfahrensfehler sei bisher noch nicht geheilt worden. Selbst wenn aber eine Heilung erfolgt sei und man unterstelle, dass die angefochtenen Bescheide rechtmäßig seien, wäre § 80 Abs. 1 VwVfG M-V bei der Kostenentscheidung zu berücksichtigen gewesen.

41

Die Klägerin beantragt,

42

den Bescheid der Beklagten über den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser vom 21. November 2014, Bescheidnummer S2014000237, und ihren Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2017 in der Gestalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 11. Juni 2018 aufzuheben.

43

Die Beklagte beantragt,

44

die Klage abzuweisen,

45

und trägt dazu vor:

46

Erst durch die Erschließungsmaßnahme im Jahre 2010 sei für das (verbleibende) Grundstück die Anschlussmöglichkeit geschaffen worden, welche die Beitragspflicht auslösen könne.

47

Es sei zwar zuvor auch eine Schmutzwasserleitung in der Straße vorhanden gewesen, diese habe aber lediglich die vorhandenen bebauten Grundstücke versorgt. Die damals unbebauten Grundstücke, die erst durch den Bebauungsplan Baulandqualität erhalten hätten, seien schmutz- und trinkwasserseitig nicht erschlossen gewesen.

48

Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 8. Mai 2018 zur Entscheidung auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen.

Entscheidungsgründe

49

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war das Verfahren entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen.

50

Die verbleibende und zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet.

51

Der Bescheid der Beklagten über den Anschaffungs- und Herstellungsbeitrag Schmutzwasser vom 21. November 2014, Bescheidnummer S2014000237, und ihr Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2017 in der Gestalt ihres Schriftsatzes vom 11. Juni 2018 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

A)

52

I. Der Widerspruchsbescheid ist formell rechtmäßig. Er leidet insbesondere nicht an einem durchschlagenden Verfahrensfehler.

53

Das Gericht erkennt schon nicht den von Klägerseite vorgetragenen Mangel im Hinblick auf die ankündigungslose Fortführung des Vorverfahrens nach vorheriger Ruhendstellung als Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Vorverfahren. Immerhin hatte die Klägerin auf die sinngemäße Aufforderung der Beklagten zur Vorlage einer Widerspruchsbegründung binnen drei Wochen im Schreiben vom 29. Dezember 2014 weder fristgerecht noch überhaupt reagiert. Die danach eingeschalteten Rechtsanwälte der Klägerin kündigten mit Schreiben vom 20. Januar 2015 an, den Widerspruch drei Wochen nach Akteneinsicht umfassend zu begründen. Es ist nach Aktenlage nichts dafür ersichtlich und auch von der Klägerin nicht vorgetragen worden, dass die Akteneinsicht aus von der Beklagten zu vertretenden Umständen nicht vollzogen worden ist. Zudem war der von der Beklagten im Schreiben vom 29. April 2015 mitgeteilte Grund für das Ruhen des Vorverfahrens auch für die Klägerin ersichtlich bereits zum Zeitpunkt der Widerspruchsentscheidung seit langem entfallen, hatte der Landesgesetzgeber doch das maßgebliche, bislang verfassungsrechtlich vermisste Handeln im Sommer 2016 vorgenommen. Bereits in der Ruhensentscheidung hatte die Beklagte aber ausdrücklich mitgeteilt, dass eine Entscheidung über den Widerspruch danach „unaufgefordert“ vorgenommen werde. Warum die Klägerin dennoch mindestens seit Ende Juli 2016 nicht aus eigenem Antrieb eine Begründung des Widerspruchs vorgenommen hatte, wird von ihr nicht mitgeteilt; ebenso wenig ist ersichtlich, dass sie seither der Beklagten die Vorlage einer Begründung angekündigt hatte und deren Vorlage unter entsprechender Mitteilung an die Beklagte ggf. mehrfach hat verschieben müssen. Immerhin hatte sie zur Begründung ihres Widerspruchs faktisch nahezu noch ein Jahr Zeit, bevor die „überraschende“ Widerspruchsentscheidung getroffen wurde. Hier hätte jedenfalls die anwaltliche Vertretung der Klägerin bereits seit Mitte oder Ende Juli 2016 und damit fast ein Jahr alarmiert sein müssen, dass eine Entscheidung über den Widerspruch nunmehr jederzeit drohte. Ein (faktisches) Zuwarten von fast einem Jahr muss in einem solchen Fall aber auch ohne Ankündigung, nunmehr aber („endlich“) entscheiden zu wollen, genügen, um der Klägerin als damaliger Widerspruchsführerin mehr als hinreichend Gelegenheit – Anlass bestand seit Sommer 2016 – zur Begründung ihres Widerspruchs zu geben. Zudem gibt es keine Pflicht oder Obliegenheit, einen Widerspruch gegen einen Verwaltungsakt zu begründen. Wer dies trotzdem – was auch regelmäßig ratsam erscheint – machen will, sollte sich schon an die eigene Ankündigung halten oder um Fristverlängerung bemühen, wozu, wie gesagt, spätestens seit Sommer 2016 dringender Anlass gegeben war.

54

Selbst wenn dies anders zu betrachten sein könnte, wäre ein etwaiger Verfahrensfehler zumindest nach § 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. § 127 AO unbeachtlich. Nach der letztgenannten Norm kann die Aufhebung eines Verwaltungsakts, der nicht nach § 125 AO nichtig ist, nicht allein deshalb beansprucht werden, weil er unter Verletzung von Vorschriften über das Verfahren, die Form oder die örtliche Zuständigkeit zustande gekommen ist, wenn keine andere Entscheidung in der Sache hätte getroffen werden können. So liegen die Dinge hier. Ein Heranziehungsbescheid zu einem Anschlussbeitrag ist keine Ermessensentscheidung der Beklagten (vgl. Urteile des Gerichts v. 4. Dez. 2017 – 4 A 1979/13 –, S. 21 des amtlichen Umdrucks, und v. 13. November 2012 – 4 A 467/08 -, S. 6 f. des amtlichen Umdrucks). Der Hinweis der Klägerin auf § 9 Abs. 1 KAG M-V geht schon deshalb fehl, weil sich die Soll-Vorschrift auf die Frage bezieht, ob der Aufgabenträger insoweit Anschlussbeiträge erheben will; hat er sich – wie hier – durch den Erlass einer Beitragssatzung dazu entschlossen, ist der Anwendungsbereich dieser Vorschrift erschöpft. Er bezieht sich nicht auf die nachfolgende Frage der konkreten Heranziehung der Beitragspflichtigen durch die Behörde des Aufgabenträgers. Sollte der Beitragsbescheid aus materiell-rechtlicher Sicht rechtswidrig sein, so kann und muss dies im Übrigen im vorliegenden Klageverfahren geklärt und entschieden werden.

55

Dagegen überzeugt auch nicht der Einwand der Klägerin, dieser – unterstellte – Verfahrensfehler sei nicht nach § 126 AO (i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V) heilbar und könne deshalb auch nicht nach den vorgenannten Vorschriften unbeachtlich sein. Ein Anhörungsfehler wird ausdrücklich in § 126 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V genannt. Die von der Klägerin mit Blick auf § 12 Abs. 3 Satz 6 KAG M-V aufgemachte Kategorie einer Pflicht bzw. Obliegenheit der Behörde zur Mitteilung über die Fortsetzung des Widerspruchsverfahrens ist keine eigenständige (und dann neue, gesetzlich nicht geregelte), sondern diese Frage ist nach den bestehenden formell-rechtlichen Grundsätzen für den Erlass eines Bescheids bzw. Widerspruchsbescheids zu beantworten, wobei dies hier nur einen Fehler im Rahmen der Anhörung vor Erlass eines Widerspruchsbescheids darstellen kann (s. o.).

56

II. Auch der zunächst begangene Verfahrensfehler mangelnder Anhörung der Klägerin vor Erlass des sie belastenden Beitragsbescheids nach § 91 Abs. 1 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V ist bereits im Vorverfahren nach § 126 Abs. 1 Nr. 3 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V geheilt worden, jedenfalls aber im Rahmen des vorliegenden Klageverfahrens, § 126 Abs. 2 AO i. V. m. § 12 Abs. 1 KAG M-V. Im Übrigen wäre er nach § 127 AO i. V. § 12 Abs. 1 KAG M-V unbeachtlich.

B)

57

Der Schmutzwasseranschlussbeitragsbescheid vom 21. November 2014 und der Widerspruchsbescheid vom 14. Juni 2017 in der hier maßgeblichen Gestalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 11. Juni 2018 sind aber auch materiell-rechtlich rechtmäßig.

58

I. Im Hinblick auf die „multiple“ verfassungsrechtliche Problematik des hiesigen Anschlussbeitragsrechts verweist das Gericht zunächst auf das Urteil der Kammer vom 21. November 2016 in der Sache 4 A 94/11, an dessen Ausführungen es – in ständiger Rechtsprechung und auch im vorliegenden Fall – festhält:

59

„... Die Kammer hat keine Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit der Rechtsgrundlagen der dem hier angegriffenen Beitragsbescheid zugrunde liegenden Schmutzwasserbeitragssatzung im Kommunalabgabengesetz, weder im Hinblick auf § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V in der Fassung des Ersten Änderungsgesetzes vom 14. März 2005 (dazu unter I.) noch im Hinblick auf § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V in der Fassung des – nach Neubekanntmachung des Gesetzes vom 12. April 2005 – Ersten Änderungsgesetzes vom 14. Juli 2016 (dazu unter II.).

60

I. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V in der seit dem 31. März 2005 geltenden Fassung ist verfassungsgemäß.

61

... Dem zwei Verfassungsbeschwerden stattgebenden Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 – 1 BvR 2961/14, 1 BvR 3051/14 – (NVwZ 2016, 300 und etwa juris) zum Kommunalabgabengesetz des Landes Brandenburg liegt eine andere Sach- und Rechtslage zugrunde und er bindet die Kammer allein deswegen schon nicht. Dort ging es um Fragen der gesetzlichen Rückwirkung einer Änderung des Brandenburgischen Kommunalabgabengesetzes. Das hiesige Landesrecht beinhaltet aber im Hinblick auf die Änderung des Kommunalabgabengesetzes durch Einfügung des Wortes „wirksam(en)“ keine – weder eine echte noch eine unechte – Rückwirkung.

62

Die hiesige zuvor geltende gesetzliche Vorschrift des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 wurde nicht mit dem Ersten Änderungsgesetz vom 14. März 2005 im nunmehr geltenden § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V in dem Sinne geändert, dass dadurch („wieder“) Anschlussbeiträge erhoben werden konnten, die nach der vormals geltenden Vorschrift bzw. deren Auslegung – etwa wegen zwischenzeitlich bereits eingetretener Festsetzungsverjährung – nicht mehr hätten erhoben werden dürfen. Ebenso wenig wurde in eine laufende Frist, etwa in den Lauf der Festsetzungsverjährung, eingegriffen.

63

a) Anders als im Kommunalabgabenrecht des Landes Brandenburg entsprach es schon vor dem genannten Ersten Änderungsgesetz vom 14. März 2005 der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (und der erstinstanzlichen Gerichte), die sachliche Anschlussbeitragspflicht unter der Geltung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 frühestens dann entstehen zu lassen, wenn eine wirksame Anschlussbeitragssatzung vorliegt (obergerichtlich, soweit ersichtlich, erstmals im Beschluss vom 8. April 1999 – 1 M 41/99 – ausgesprochen, siehe danach etwa OVG Greifswald, Urteil vom 13. November 2001 – 4 K 16/00 –, juris Rn. 65, Urteil vom 2. Juni 2004 – 4 K 38/02 –, juris Rn. 76 m. w. N.; vgl. die weiteren obergerichtlichen Rechtsprechungsnachweise bei Aussprung, in: ders./Siemers/Holz/Seppelt, Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern, 33. Ergänzungslieferung November 2015, § 9 Erl. 7.2).

64

Soweit man juristisch überhaupt davon sprechen kann, wäre mithin schon zuvor durch die (ober)verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung die Rechtslage geprägt gewesen. Der Landesgesetzgeber hat lediglich zur („wahren“, wenngleich – dazu sogleich – juristisch überflüssigen) Klarstellung ausdrücklich in den seit Ende März 2005 geltenden § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V das hineingeschrieben, was nach der landesobergerichtlichen Rechtsprechung gegolten hat (ebenso für das Kommunalabgabengesetz des Landes Sachsen-Anhalt das OVG Magdeburg, Beschl. v. 17. Febr. 2016 – 4 L 119/15 -, LKV 2016, 186, 191; OVG Weimar, Urt. v. 12. Januar 2016 – 4 KO 850/09 –, juris Rn. 48-56 für das Kommunalabgabengesetz des Landes Thüringen).

65

Das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hat in dem nach hiesiger Urteilsfällung entschiedenen Normenkontrollurteil vom 5. Dezember 2016 (a. a. O., S. 12 f. des amtlichen Umdrucks) ergänzend Folgendes ausgeführt:

66

„... Dass das Kommunalabgabenrecht in Mecklenburg-Vorpommern die sachliche Anschlussbeitragspflicht nicht vor dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung entstehen lässt, liegt im rechtlichen Charakter der sachlichen Beitragspflicht begründet. Das Landesrecht geht davon aus, dass der beitragsrelevante Vorteil mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der öffentlichen Einrichtung bereits vollständig ausgebildet ist und die Erhebung des Beitrags in voller Höhe rechtfertigt. Das setzt voraus, dass der Beitrag, mit dem das bevorteilte Grundstück zu den Herstellungskosten herangezogen wird und der als öffentliche Last auf dem Grundstück (§ 7 Abs. 6 KAG M-V) ruht, auch der Höhe nach ausgeprägt ist. Die sachliche Beitragspflicht steht der Höhe nach unveränderlich fest und begründet mit diesem Inhalt ein abstraktes Beitragsschuldverhältnis. Da die Höhe des Beitrags unter anderem von den Maßstabsregeln und dem Beitragssatz abhängt, die in der Beitragssatzung normiert sind, ist ein Entstehen der sachlichen Beitragspflicht vor dem Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung ausgeschlossen (vgl. OVG Greifswald, Urt. v. 15.12.2009 - 1 L 323/06 -, juris Rn. 50 f.). Zu einem früheren Zeitpunkt kann die sachliche Beitragspflicht nicht entstehen. Es ist rechtlich zwingend, das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht tatbestandlich vom Inkrafttreten der ersten wirksamen Beitragssatzung abhängig zu machen ...“

67

b) Aber nicht einmal um die Frage einer durch Rechtsprechung zu klärenden Gesetzesauslegung und ihrem späteren textlichen Einfließen in das ausgelegte Gesetz ging und geht es hier bei genauerer Betrachtung des geltenden Landesrechts im Lichte des Grundgesetzes wie auch der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern letztlich.

68

Das Kommunalabgabengesetz ist – wie wohl mindestens ganz überwiegend auch die entsprechenden Gesetze anderer Bundesländer - dadurch geprägt, dass es nicht bereits auf der Ebene dieses Parlamentsgesetzes das Entstehen der sachlichen („abstrakten“) Beitragspflicht normiert, sondern dazu zwingend eine satzungsrechtliche Entscheidung des Ortsgesetzgebers fordert (§ 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V, so auch in den Vorgängerfassungen, vorliegend i. V. m. § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V).

69

Letztlich hat der Landesgesetzgeber – wie bereits zuvor mit ebensolcher Selbstverständlichkeit und deshalb wohl ohne nähere Darlegung der dahinstehenden juristischen Dogmatik die Verwaltungsgerichte – schlicht einen verfassungsrechtlichen Allgemeinplatz in das Kommunalabgabengesetz geschrieben, der auch ohne ausdrückliche einfachgesetzliche Vorschrift gilt; wohl treffender, wenn er denn unbedingt gesetzlich – im Sinne eines Pleonasmus, vergleichbar etwa mit einer Zeitungsmeldung über eine „tote Leiche“ – erwähnt werden soll, wäre der Hinweis auf die erforderliche Gültigkeit einer Abgabensatzung in § 2 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V zu geben: Abgaben dürfen nur aufgrund einer wirksamen Satzung erhoben werden (vgl. auch das erst nach hiesiger Urteilsfällung ergangene Normenkontrollurteil des OVG Greifswald vom 5. Dez. 2016, a. a. O., S. 7 des amtlichen Umdrucks, wo ebenfalls betont wird, dass „... ohne eine wirksame Satzung gemeindliche Abgaben gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 ... KAG M-V ... nicht erhoben werden dürfen ...“).

70

Aus dem Rechtsstaatsprinzip und vor allem dem Wesen der Grundrechte, soweit dies im jeweiligen Grundrecht nicht sogar explizit gefordert wird, ist die rechtliche Selbstverständlichkeit, dass die sachliche Beitragspflicht eine gültige Beitragssatzung erfordert, wie folgt abzuleiten: Ein staatlicher Eingriff in den Schutzbereich eines Grundrechts muss durch Schranken dieses Grundrechts legitimiert sein. Mit anderen Worten muss eine Behörde, will sie den Schutzbereich des Grundrechtsträgers beeinträchtigen, dafür eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung haben. Ein staatlicher Eingriff in das hier einschlägige Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 (1. HS) GG, vorliegend verkörpert durch den erlassenen Beitragsbescheid der Beklagten, ist daher nur legitimiert, wenn er Ausdruck der verfassungsrechtlichen Schranke dieses Grundrechts ist.

71

Eine Schranke der Freiheit eines jeden im Geltungsbereich des Grundgesetzes lebenden Menschen, mit seinen Vermögenswerten im Sinne einer wirtschaftlichen Handlungsfreiheit tun und lassen zu können, was er will, setzt bei dem hier einschlägigen Grundrecht (neben den Rechten anderer und dem Sittengesetz) insbesondere die „verfassungsmäßige Ordnung“ (Art. 2 Abs. 1 [HS 2] GG). Stützt sich ein die allgemeine Handlungsfreiheit berührender Akt der öffentlichen Gewalt auf eine Rechtsnorm, so ist zu prüfen, ob diese Norm zur verfassungsmäßigen Ordnung gehört, d. h. formell und materiell mit den Normen der Verfassung in Einklang steht (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, etwa BVerfG, Beschl. v. 6. Juni 1989 – 1 BvR 921/85 –, BVerfGE 80, 137 ff., juris Rn. 62 m. w. N.). Nur, wenn dies bei der – hier – den Grundrechtseingriff rechtfertigenden Beitragssatzung mit seinen materiell-rechtlichen Regelungen der Fall ist und auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt wird, bildet die wirksame Satzung eine wirksame Schranke für die Grundrechtsausübung. Mit anderen Worten zwingt das höherrangige Verfassungsrecht auch im Rahmen von Anfechtungsklagen gegen Beitragsbescheide zur Prüfung, ob die Beitragssatzung formell und materiell (gesamt-)wirksam ist, da die in dem Grundrecht beschriebene Freiheit des Grundrechtinhabers nur mit einem Verwaltungsakt, der sich auf eine wirksame Rechtsgrundlage stützen kann, eingeengt werden darf und kann.

72

Dass dies nichts stets in dieser Ausführlichkeit ausdrücklich angesprochen wird, ändert nichts. Von daher ist auch eine etwaige Begründung des Landesgesetzgebers, in dem der verfassungsrechtliche Umstand einer wirksamen/gültigen Beitragssatzung nicht ausdrücklich erwähnt wird, ohne Bedeutung ...

73

c) Divergierende Auslegungen des jeweiligen Landesrechts durch andere Verwaltungsgerichte anderer Bundesländer ... führ(en) auch nicht zur Annahme, es habe bundesweit Verwirrungen im Recht gegeben, die der (hiesige) Landesgesetzgeber zum Anlass für eine Änderung seines Landesrechts genommen habe, die dann auf dem Prüfstand einer gesetzlichen Rückwirkung zu stellen wäre.

74

Wie bereits im Aussetzungs- und Vorlagebeschluss vom 31. März 2016 ausgeführt, verkennen die Kläger insoweit, dass es in Mecklenburg-Vorpommern – und nur darauf kommt es an – vor dem Ersten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. März 2005 keine Divergenzen in der Auslegung des zuvor geltenden § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG 1993 bzw. 1991 gegeben hat; insoweit kann auf die vorstehenden Ausführungen verwiesen werden. Vorliegend handelt es sich um Landesrecht. Zur Auslegung von Landesrecht, hier des Kommunalabgabengesetzes des Bundeslands Mecklenburg-Vorpommern, sind die dortigen Landesfachgerichte, insoweit vorliegend die beiden Verwaltungsgerichte in Schwerin und Greifswald und vor allem das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern in Greifswald berufen, niemals aber die Verwaltungsgerichte anderer Bundesländer. Der Hinweis, wie andere (Ober-)Ge-richte anderer Bundesländer „ihr“ dort jeweils geltendes Landesrecht, mag es auch wortlautidentisch sein, auslegen, ist nicht geeignet, eine kontroverse Auslegungslage in Mecklenburg-Vorpommern für das nur hier geltende Kommunalabgabengesetz (dieses Bundeslandes) herbeizureden. Die Kläger ignorieren den föderalen Staatsaufbau der Bundesrepublik nach Art. 20 Abs. 1 GG („Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“, Hervorhebung durch die Kammer). Eine „länderübergreifende“ Übereinstimmung oder Homogenität in der Auslegung wortgleichen Landesrechts mehrerer Bundesländer ist von Verfassungs wegen grundsätzlich nicht erforderlich. Dies gilt auch mit Blick auf das Grundrecht in Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. Krieger, in: Schmidt-Bleibtreu et al., GG Kommentar zum Grundgesetz, 13. Aufl. 2014, Art. 3 Rn. 27 m. w. N.). Der allgemeine Gleichheitssatz wird nicht deshalb verletzt, weil ein Bundesland den gleichen Sachverhalt anders behandelt als ein anderes Bundesland, eine Landesbehörde „ihr“ Landesrecht anders anwendet als Landesbehörden anderer Bundesländer „ihr“ jeweiliges Landesrecht oder ein Gericht das dort geltende Landesrecht nicht so auslegt, wie es andere Gerichte in anderen Bundesländern für deren Landesrecht judizieren (vgl. Jarass, in: ders./Pieroth, GG, 14. Aufl. 2014, Rn. 9 m. w. N. aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts). Das Grundrecht fordert die Einhaltung des allgemeinen Gleichheitssatzes nur innerhalb der (hier: Landes-)Grenzen des jeweiligen Rechtssystems bzw. bindet – aus grundrechtlicher Perspektive betrachtet – nur den jeweiligen Träger öffentlicher Gewalt innerhalb des von ihm geschaffenen oder anzuwendenden (hier: Landes-)Rechts für den Kreis der dadurch rechtsunterworfenen Grundrechtsträger.

75

d) Auch die von den Klägern suggerierte Verknüpfung der Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2015 zum hiesigen Kommunalabgabengesetz mit den angeblich „bis dahin“ (korrekt: auch weiterhin) in den einzelnen Bundesländern existierenden unterschiedlichen Auslegungen des einfachen (korrekt: Landes-)Rechts ist juristisch aus den dargelegten Gründen nicht tragfähig.

76

II. Die Kammer hat auch keine Bedenken gegen die Verfassungsgemäßheit des Kommunalabgabengesetzes in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 14. Juli 2016, insbesondere soweit es die Neufassung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V betrifft.

77

1. Zwar hatte die Kammer nach den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. April 2015 (veröffentlicht ist beispielhaft die Sache 9 C 19.14, NVwZ-RR 2015, 786 = juris) zwischenzeitlich die Vorschrift des § 9 Abs. 3 Satz 1 Halbsatz 2 KAG M-V in Beitragsfällen nach dem Jahr 2008 als verfassungswidrig angesehen und auch ein konkretes Normenkontrollverfahren beim Bundesverfassungsgericht eingeleitet (Beschl. v. 31. März 2016, a. a. O.).

78

2. Diese Auffassung ist aber nicht mehr aufrecht zu erhalten, nachdem der Landesgesetzgeber mit dem sog. Ersten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Juli 2016 (GVOBl. S. 584), in Kraft getreten am 30. Juli 2016, in dem geänderten § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V die verfassungsrechtlich geforderte absolute zeitliche Obergrenze für eine Beitragserhebung gesetzt hat:

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79

Die vormals bestehende verfassungswidrige Unvollständigkeit des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern ist dadurch beseitigt worden. Dem Gebot der Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit nach Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG (BVerfG, Beschl. v. 5. März 2013 – 1 BvR 2457/08 –, BVerfGE 133, 143 ff.; ebenso etwa Beschl. v. 21. Juli 2016 – 1 BvR 3092/15 –, NVwZ-RR 2016, 889 ff., Rn. 5 f.) ist damit Genüge getan.

80

3. Gegen die vom Landesgesetzgeber getroffene zeitliche Obergrenze einer Beitragserhebung in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V n. F. hat das Gericht keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken (ebenso OVG Greifswald, Urteile v. 6. September 2016 – 1 L 212/13 und 1 L 217/13 –, juris, Rn. 75 ff. bzw. 74 ff., noch einmal bestätigt in dem nach hiesiger Urteilsfällung entschiedenen Normenkontrollurteil vom 5. Dezember 2016 – 1 K 8/13 –, S. 12 f. des amtlichen Umdrucks; zur ähnlichen Regelung in Sachsen, § 3a Abs. 3 SächsKAG, ebenso OVG Bautzen, Beschl. v. 21. April 2016 – 5 A 493/14 –, LKV 2016, 313 ff. = juris Rn. 12; ebenso für die – allerdings kürzere – Obergrenze nach §§ 13b, 18 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes des Landes Sachsen-Anhalt das OVG Magdeburg, Beschl. v. 17. Febr. 2016, a. a. O., S. 189; vgl. auch für das Kommunalabgabengesetz des Freistaats Thüringen OVG Weimar, Urt. v. 12. Januar 2016, a. a. O., Rn. 44 ff.).

81

a) Der Landesgesetzgeber hat insoweit einen weiten Regelungs- und Gestaltungsspielraum, um die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Vorteilsausgleich und der Einzelnen an Rechtssicherheit bei kommunalabgabenrechtlichen Vorteilslagen durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 21. Juli 2016, a. a. O., Rn. 8). Diesen Spielraum überschreitet der Landesgesetzgeber nicht, mag er für die seit dem 3. Oktober 1990 bzw. dem – wohl maßgeblichen – Inkrafttreten des (ersten) Kommunalabgabengesetzes vom 11. April 1991 (KAG 1991) möglichen Anschlussbeitragserhebungsfälle mit den „10+20“-Jahren auch am äußeren (aber „diesseitigen“) zeitlichen Rand der gesetzgeberischen Regelungsalternativen liegen. Hierbei sind – gerade mit Blick auf die circa ersten zehn Jahre vom 3. Oktober 1990 bzw. Mitte Mai 1991 (Inkrafttreten des KAG 1991) bis Ende des Jahres 2000, die nach der gesetzlichen Vorschrift noch nicht den Lauf der 20jährigen Obergrenze für eine Beitragserhebung in Gang setzen sollen – die besonderen Herausforderungen der Wiedervereinigung zu berücksichtigen, die nicht nur durch einen vollständigen Wechsel des Rechtsregimes, sondern auf kommunaler Ebene zusätzlich durch eine Vielzahl von gleichzeitig und mit beschränkten kommunalen Ressourcen zu bewältigenden Aufgaben (grundlegender Verwaltungsumbau, Herstellung kommunaler Strukturen und dafür nötiger Rechtsgrundlagen, Instandhaltung, Sanierung und Fortentwicklung der Infrastruktur) geprägt waren (vgl. BVerwG, Urt. v. 15. April 2015 – 9 C 19/14 u. a. – juris Rn. 17; OVG Bautzen, Beschl. v. 21. April 2016, a. a. O., juris Rn. 13; OVG Magdeburg, Beschl. v. 17. Febr. 2016, a. a. O., S. 189). Exemplarisch hervorzuheben sind etwa die in den Anfangsjahren des Landes Mecklenburg-Vorpommern landauf landab vielfach missglückten Versuche der Kommunen, rechtswirksam einen Zweckverband nach den §§ 150 ff. der Kommunalverfassung (KV M-V) in den Aufgabenbereichen der Trinkwasserversorgung und Abwasserbeseitigung zu gründen bzw. ihm beizutreten, die den Landesgesetzgeber veranlasst haben, die umfangreichen §§ 170a, 170b KV M-V zur Unbeachtlichkeit von dort aufgeführten Rechtsfehlern bei der Bildung von Zweckverbänden und dem Beitritt zu einem solchen einschließlich der Fiktionen bei Unvollständigkeit der Verbandssatzung zu schaffen.

82

b) Das Gericht hegt auch keine (landes- oder bundes)verfassungsrechtlichen Bedenken mit Blick auf das ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten entwickelte Rückwirkungsverbot, soweit § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V n. F. – wie vorliegend – auch Vorteilslagen vor dem 30. Juli 2016 bis zurück zum 3. Oktober 1990 bzw. Mitte Mai 1991 betrifft.

83

aa) Die Bestimmung des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V in der Fassung seit dem 30. Juli 2016 beinhaltet zwar wohl nicht nur eine Begünstigung für die seit 3. Oktober 1990 (erster Geltungstag des Grundgesetzes in dem damals zugleich neu/wieder entstandenen Bundesland Mecklenburg-Vorpommern) bzw. Mitte Mai 1991 in Mecklenburg-Vorpommern Betroffenen durch Beseitigung einer bis dahin bestehenden verfassungswidrigen Rechtslage, sondern dürfte auch grundrechtsbelastend sein, soweit es den frühestmöglichen Zeitpunkt des Eintritts der zeitlichen Obergrenze einer (Anschluss-)Beitragserhebung seit dem 3. Oktober 1990 bzw. Mitte Mai 1991 auf den Ablauf des Jahres 2020 bestimmt.

84

bb) Art. 1 Nr. 2 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes Mecklenburg-Vorpommern vom 14. Juli 2016 stellt in diesem Fall insoweit eine sog. unechte Rückwirkung dar. Die unechte Rückwirkung eines Gesetzes ist gegeben, wenn eine tatbestandliche Rückanknüpfung stattfindet, die den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm betrifft. Hier wirkt die belastende Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte oder Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein und entwertet zugleich die bisherige Rechtsposition nachträglich im Ganzen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 2. Mai 2012 – 2 BvL 5/10 –, BVerfGE 131, 20-47 = juris Rn. 66 m. w. N.). Die Rechtsfolgen eines Gesetzes treten also erst nach Verkündung der Norm ein, deren Tatbestand erfasst aber Sachverhalte, die bereits vor Verkündung „ins Werk gesetzt“ worden sind. Dies trifft hier auf die seit Oktober 1990/Mai 1991 gegebenenfalls schon vorliegenden Vorteilslagen, also damals schon bestehenden Anschlüssen oder Anschlussmöglichkeiten an das faktisch vorhandene Trinkwasser- oder Abwassernetz aus DDR- oder gar noch „Reichs“-Zeiten zu.

85

Ein Eingriff in einen abgeschlossenen Tatbestand und damit eine echte Rückwirkung liegt dagegen mit Blick auf das Änderungsgesetz nicht vor, auch nicht bei den sich selbst so titulierenden „Altanschließern“, deren Grundstücke also schon vor Mitte Mai 1991 in Mecklenburg-Vorpommern oder vor dem 3. Oktober 1990 in der DDR oder gar dem Deutschen Reich an ein öffentliches Wasser- oder Abwassernetz angeschlossen waren. Sie sind aus den dargelegten Gründen nicht „sakrosankt“; ihre Nichteinbeziehung in die Anschlussbeitragserhebung würde sogar nach ständiger Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Greifswald den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verletzen, da auch sie einen (erstmaligen) Vorteil i. S. des § 7 Abs. 1 KAG M-V haben (vgl. etwa Urt. v. 6. Sept. 2016 – 1 L 212/13 –, juris Rn. 48; auch das BVerwG, Urteile vom 15. April 2015 – 9 C 19/14 u. a. –, juris Rn. 16, hat gegen diese Rechtsauffassung keine bundesrechtlichen Bedenken geltend gemacht).

86

Die unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (BVerfG, Beschl. v. 16. Dez. 2015 – 2 BvR 1958/13 –, juris Rn. 43 m. w. N.). Dabei ist das durch das Rechtsstaatsprinzip gewährleistete Vertrauen auf die geltende Rechtslage nur schutzwürdig, wenn die gesetzliche Regelung generell geeignet ist, ein Vertrauen auf ihr Fortbestehen zu begründen und darauf gegründete Entscheidungen herbeizuführen, die sich bei Änderung der Rechtslage als nachteilig erweisen. Ist das Vertrauen des Bürgers auf den Fortbestand einer bestimmten Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und daher nicht schutzwürdig, ist ein rückwirkender belastender Eingriff ausnahmsweise zulässig. Das ist etwa dann der Fall, wenn das rückwirkend geänderte Recht unklar und verworren oder ein Zustand allgemeiner und erheblicher Rechtsunsicherheit eingetreten war und für eine Vielzahl Betroffener Unklarheit darüber herrschte, was rechtens sei (BVerfG, Beschl. v. 16. Dez. 2015, a. a. O., Rn. 44 m. w. N.).

87

So liegen die Dinge auch hier, wie weiter oben dargelegt worden ist. Auch in Anbetracht des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, den das Bundesverfassungsgericht auch bei der Problematik rückwirkender Gesetze zunehmend stärker betont, ist es (noch) angemessen, die Obergrenze für eine Beitragserhebung von 20 Jahren zu normieren und zugleich diese „Frist“ in Mecklenburg-Vorpommern erst ca. zehn Jahre nach der Deutschen Einheit bzw. dem Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes vom 11. April 1991 zu laufen beginnen zu lassen. Insoweit kann auf die oben dargestellten besonderen Verhältnisse in den „Gründerjahren“ des neuen Bundeslands verwiesen werden (vgl. im Ergebnis ebenso OVG Bautzen, Beschl. v. 21. April 2016, a. a. O., juris Rn. 15 und 18).

88

c) Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass eine solche „Heilung“ eines verfassungswidrig unvollständigen Landesgesetzes kraft (Landes- oder Bundes-)Verfassungs-rechts von vornherein („nie“) oder jedenfalls jetzt nicht mehr („zu spät“) möglich gewesen wäre. Bereits in der „Mutter“-Entscheidung zu dieser Problematik hat das Bundesverfassungsgericht Folgendes ausgeführt (Beschl. v. 5. März 2013 - 1 BvR 2457/08 -, juris Rn. 49 f.):

89

„... Die Verfassungswidrigkeit einer gesetzlichen Vorschrift führt in der Regel zu ihrer Nichtigkeit (§ 95 Abs. 3 Satz 2 BVerfGG). Hier kommt zunächst jedoch nur eine Unvereinbarkeitserklärung in Betracht, da dem Gesetzgeber mehrere Möglichkeiten zur Verfügung stehen, den verfassungswidrigen Zustand zu beseitigen (vgl. BVerfGE 130, 240 <260 f.>; stRspr).

90

Es bleibt ihm überlassen, wie er eine bestimmbare zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme der Beitragsschuldner gewährleistet, die nach Maßgabe der Grundsätze dieses Beschlusses der Rechtssicherheit genügt. So könnte er etwa eine Verjährungshöchstfrist vorsehen, wonach der Beitragsanspruch nach Ablauf einer auf den Eintritt der Vorteilslage bezogenen, für den Beitragsschuldner konkret bestimmbaren Frist verjährt. Er könnte auch das Entstehen der Beitragspflicht an die Verwirklichung der Vorteilslage anknüpfen oder den Satzungsgeber verpflichten, die zur Heilung des Rechtsmangels erlassene wirksame Satzung rückwirkend auf den Zeitpunkt des vorgesehenen Inkrafttretens der ursprünglichen nichtigen Satzung in Kraft zu setzen, sofern der Lauf der Festsetzungsverjährung damit beginnt (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 -, NVwZ-RR 2000, S. 535 <536 f.>). Er kann dies mit einer Verlängerung der Festsetzungsfrist, Regelungen der Verjährungshemmung oder der Ermächtigung zur Erhebung von Vorauszahlungen auch in Fällen unwirksamer Satzungen verbinden (zur derzeitigen Rechtslage gemäß Art. 5 Abs. 5 BayKAG vgl. BayVGH, Urteil vom 31. August 1984 - 23 B 82 A.461 -, BayVBl 1985, S. 211; Driehaus, in: Driehaus, Kommunalabgabenrecht, § 8 Rn. 128 ) ...“

91

d) Ebenso wenig hat der hiesige Landesgesetzgeber, soweit es einen solchen verfassungsrechtlichen Ansatz geben sollte, auch nicht das Recht verwirkt, seine bisherige Untätigkeit seit Bekanntwerden des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 5. März 2013 nach etwas mehr als drei Jahren aufzugeben und die verfassungsrechtlich erforderliche zeitliche Obergrenze für die Inanspruchnahme eines Beitragspflichtigen zu schaffen, zumal die zuständigen hiesigen Landesgerichte bis hin zum Oberverwaltungsgericht des Landes Mecklenburg-Vorpommern (Urteile vom 1. April 2014, etwa 1 L 142/13, juris) zunächst aus verschiedenen Gründen eine solche legislative Obliegenheit zum Handeln für den hiesigen Landesgesetzgeber verneint hatten.

92

Der bereits erwähnte Kammerbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 12. November 2015 in den Verfahren 1 BvR 2961/14 und 1 BvR 3051/14 zum Kommunalabgabengesetz des Landes Brandenburg entfaltet mangels eines vergleichbaren Sachverhalts nach § 31 Abs. 1 BVerfGG keine Bindungswirkung für den vorliegenden Fall. Dort ging es um diffizile verfassungsrechtliche Fragen der Rückwirkung eines Gesetzes, dagegen nicht um verfassungsrechtliche Fragen zu den sog. Altanschließern, mögen diese auch neben sog. Neuanschließern davon betroffen worden sein...“

93

Mit den vorstehenden Ausführungen wird deutlich, dass es letztlich verfassungsrechtlich geboten ist, für das Entstehen der sachlichen Anschlussbeitragspflicht eine wirksame Beitragssatzung zu fordern, und zwar nicht nur als gerichtlicher Prüfungsmaßstab in einem Klageverfahren, dessen Voraussetzungen nur bis zur gerichtlichen Entscheidung vorliegen müssen, sondern als inhaltliches Erfordernis, das auch Auswirkungen auf den Beginn des Laufs der Festsetzungsverjährung hat.

94

Es kann offen bleiben, ob mit Blick auf die Grundsätze einer Rückwirkung verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf die frühere Regelung in § 12 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V, wonach bei der Erhebung eines Anschlussbeitrags nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KAG M-V die (vierjährige) Festsetzungsverjährungsfrist frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2008 endete, bestanden. Die mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes vom 14. März 2005 eingeführte Vorschrift dürfte jedenfalls nicht generell verfassungsrechtlich bedenklich sein, sondern nur in den Fällen, in denen zuvor bereits u. a. aufgrund einer wirksamen Anschlussbeitragssatzung die vierjährige Festsetzungsfrist zu laufen begonnen und bis zum Inkrafttreten dieses Änderungsgesetzes schon abgelaufen gewesen ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 12. Nov. 2015, a. a. O.). Ein Fall bereits damals mindestens zu laufen begonnener bzw. gar schon abgelaufener Festsetzungs(verjährungs)frist liegt beim Zweckverband Wismar im Bereich des Anschlussbeitragsrechts nicht vor, da die aktuelle Beitragssatzung die erste wirksame ist (siehe unten).

95

Die von der Klägerin gewollte Übernahme der Rechtsprechung aus Brandenburg, die sie entweder selbst mit einer Begründung unterlegt oder (mangels Offenlegung der Fundstelle unerkannt) zitiert, geht aus den bereits genannten Gründen von vornherein fehl. Diese „fremde“ Rechtsprechung aus einem anderen Bundesland ist für das Gericht rechtlich befremdlich, rechtlich nicht nachvollziehbar und rechtlich nicht tragfähig. Hier bemüht das Gericht am Rande einmal – wenngleich auch grundsätzlich zu seinen eigenen Ungunsten – ein recht bekanntes Zitat keines Juristen, sondern eines Diplomaten und Schriftstellers: „Die Phantasie trainiert man am besten durch juristische Studien. Nie hat ein Dichter die Natur so frei ausgelegt wie ein Jurist die Wirklichkeit.“ (Jean Giraudoux, Der Trojanische Krieg findet nicht statt, 1935).

96

Die Klägerin beruft sich im Weiteren auf das Urteil des Gerichts vom 30. Januar 2017 in der Sache 4 A 1352/12 und meint, dort habe sich das Gericht umfassend mit der Frage beschäftigt, ob der „Rechtsschein“ der unwirksamen Beitragssatzungen in der Vergangenheit für Kläger einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand geschaffen habe. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht nur die Argumentation der Klägerseite aufgenommen und sich in diese juristische Gedankenwelt begeben und weiter gedacht hat. Es hat aber nicht etwa den Rechtssatz aufgestellt, dass aus einem schutzwürdigen Vertrauenstatbestand, sollte er bestehen, mit Blick auf vorangegangene unwirksame Anschlussbeitragssatzungen in irgendeiner relevanten Art und Weise Honig gesaugt werden könne für die Frage der Rechtswidrigkeit eines Anschlussbeitragsbescheids, der sich auf eine nunmehr wirksame Beitragssatzung stützen kann.

97

Im Übrigen wäre aber auch im vorliegenden Fall kein solcher Vertrauenstatbestand erkennbar. Er kann sich nicht auf eine Anschlussmöglichkeit oder einen faktischen Anschluss des Grundstücks der Klägerin bereits vor der Deutschen Einheit (3. Oktober 1990) oder der (politischen) Wende in der damaligen DDR (ab 9. November 1989) oder einer seit Inkrafttreten des Bebauungsplans „teilweise“ bestehenden Bebauungsmöglichkeit dieses Grundstücks gründen. Ob die Kosten von Anschlussbeiträgen bei der Vereinbarung des Kaufpreises des Grundstücks bzw. den Vertragsverhandlungen eine Rolle gespielt haben, ist ebenfalls ohne Belang für die Beurteilung der vorliegenden öffentlich-rechtlichen Angelegenheit und kann keinen öffentlich-rechtlichen Vertrauenstatbestand begründen. Ob nicht vielmehr Anlass zur Klärung dieser potentiellen Kosten vor Eingehung des Grundstückskaufvertrags bestanden hätte, müsste der Kaufgeneigte in Mecklenburg-Vorpommern sich wohl eher fragen lassen. Dies wäre auch durch eine „Anliegerbescheinigung“ (so die Bezeichnung in Niedersachsen) bzw. einen „Antrag auf Ausstellung einer Erschließungskostenbescheinigung“ (so die hiesige Bezeichnung) oder eine entsprechende formlose Anfrage gegenüber dem Zweckverband ohne weiteres möglich gewesen. Aus einem etwaigen zivilrechtlichen Versäumnis nun aber einen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand im öffentlichen Recht zu gestalten, erscheint dem Gericht rechtlich nicht möglich. Auch eine frühere bloße Parzellierung des Grundstücks in viele Flurstücke vor Erlass des Beitragsbescheids hätte der Klägerin anschlussbeitragsrechtlich nicht geholfen, jedenfalls, solange sie weiterhin Eigentümerin des Buchgrundstücks geblieben wäre. Erst die Veräußerung solcher BGB-Grundstücke vor Erlass des Anschlussbeitragsbescheids hätte sie öffentlich-rechtlich entlastet; ob und wie sich die spätere Beitragsheranziehung der Käufer und Erwerber solcher Grundstücke im zivilrechtlichen Verhältnis zur Klägerin als Verkäuferin ausgewirkt hätte, kann dabei dahingestellt bleiben.

98

Die parlamentarisch gewählte Grenze einer Beitragserhebung in § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V ist, wie bereits dargelegt, auch nicht bei Betrachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verfassungsrechtlich unangemessen. Soweit die Klägerin insoweit sogar noch die Zeit vor der Deutschen Einheit „einrechnet“, weil sie eine Anschlussmöglichkeit ihres Grundstücks an die Schmutzwasserentsorgungsleitungen bereits zu DDR-Zeiten sieht, geht dies von vornherein fehl. Das heutige bundesdeutsche Rechtssystem (ggf. in der Gestalt des Einigungsvertrags) hatte vor dem 3. Oktober 1990 auf dem Gebiet der früheren DDR keine Geltung. Eine verfassungsrechtlich bedeutsame „Vorteilslage“ im Anschlussbeitragsrecht kann vor dem 3. Oktober 1990 nicht abgeleitet werden, abgesehen davon, dass es zuvor keine öffentliche Einrichtung der Schmutzwasserentsorgung im bundesdeutschen Rechtssinne gab. Denn auch das Grundgesetz galt nicht in der DDR.

99

Auch das Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern hält an seiner (mittlerweile schon „ständigen“) Rechtsauffassung zur Verfassungsgemäßheit des § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V n. F. fest (etwa Beschl. v. 1. Aug. 2017 – 1 L 214/14 –, Beschl. v. 7. Dez. 2017 – 1 LZ 545/17 –, dort auch ebenso zur Verfassungsgemäßheit des § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V, Beschl. v. 7. Dez. 2017 – 1 LZ 599/17, 1 LZ 600/17, 11 LZ 601/17 und LZ 602/17 –, Beschl. v. 14. Dez. 2017 – 1 LZ 557/17 –, Beschl. v. 27. April 2018 – 1 L 498/16 –, S. 5 des amtlichen Umdrucks).

100

Mangels näherer Ausführungen, warum § 12 Abs. 2 Nr. 1 KAG M-V in der Fassung des Ersten Änderungsgesetzes vom 14. Juli 2016 nach Meinung der Klägerin immer noch nicht oder aus anderen Gründen nicht dem Grundsatz der Rechtssicherheit genüge, kann das Gericht dazu nicht Stellung nehmen, sondern nur auf das bereits Ausgeführte verweisen.

101

II. Die Beitragssatzung Schmutzwasser vom 3. März 2010 in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 25. April 2012 bildet die Rechtsgrundlage des hier angefochtenen Beitragsbescheids. Sie ist nach derzeitiger Erkenntnis des Gerichts die erste wirksame Beitragssatzung in diesem Bereich (siehe zuletzt etwa Urt. v. 15. Mai 2018 – 4 A 1214/16 SN – m. w. N.). Da die Klägerin insoweit keine dezidierten Einwände erhebt, sieht das Gericht von weiteren Ausführungen dazu ab.

102

III. Auch die Heranziehungsentscheidung der Beklagten im angegriffenen Beitragsbescheid und ihres Widerspruchsbescheids in der Gestalt ihres Schriftsatzes vom 11. Juni 2018 ist rechtmäßig.

103

1. Die Konstruktion der Überleitung des – unterstellten – formell-rechtlichen Fehlers beim Anspruch auf rechtliches Gehör im Vorverfahren in einen zugleich materiell-rechtlichen Fehler vermag das Gericht nicht nachzuvollziehen, abgesehen davon, dass er nicht einmal formell-rechtlich vorliegt (s. o.).

104

2. Der Beitragsbescheid ist auch inhaltlich hinreichend bestimmt. Ein kommunaler Abgabenbescheid muss die festgesetzte kommunale Abgabe nach Art und Betrag bezeichnen und angeben, wer die kommunale Abgabe schuldet, § 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. § 157 Abs. 1 Satz 2 AO. Ebenso muss ein Anschlussbeitragsbescheid, um dem allgemeinen Bestimmtheitsgebot von Verwaltungsakten nach § 12 Abs. 1 KAG M-V i. V. m. § 119 Abs. 1 AO zu genügen, darüber hinaus auch eine hinreichend bestimmte Aussage dazu treffen, für welches Grundstück ein solcher – eben grundstücksbezogener - Beitrag festgesetzt wird (vgl. Urteile des Gerichts vom 23. Febr. 2018 – 4 A 467/15 – S. 8 des amtlichen Umdrucks, vom 20. Febr. 2017 – 4 A 485/13 – und 21. Nov. 2011 – 4 A 652/08 –, S. 5 des amtlichen Umdrucks; Aussprung, in: ders. et al., Kommunalabgabengesetz Mecklenburg-Vorpommern, Stand: Dezember 2017, § 2 Erl. 12.3.2 m. w. N.).

105

Diesen Anforderungen genügt der hier streitgegenständliche Beitragsbescheid, nachdem die Beklagte das zweite Grundstück aus der Veranlagung herausgenommen hat. Wie sich „der Beitrag auf das (verbleibende) Flurstück verteilt“ bzw. die Lage der „anrechenbaren Grundstücksfläche“ und deren Ermittlung ist, ergibt sich für das verbleibende Grundstück Flurstück a der Flur y, Gemarkung G. S., größtenteils schon aus der dem Ausgangsbescheid beigefügten Anlage. Dort ist die der Beitragsberechnung zugrunde gelegte Teilfläche des Grundstücks schraffiert eingezeichnet. Näher erläutert der Widerspruchsbescheid der Beklagten dazu dann, dass zur „Beitragspflicht ... die sich innerhalb des Bebauungsplanes Nr. 2 [der Gemeinde G. S.] befindliche Fläche (25.377 m²) herangezogen (wurde)“, nunmehr abzüglich des 693 m² großen Grund- und Flurstücks h, das zunächst in den Bescheiden vollumfänglich mit eingerechnet worden war, wie sich aus der entsprechenden Schraffierung in der Anlage zum Ausgangsbescheid ergibt.

106

3. Auch die Veräußerung des Flurstücks f als Teils des dem Beitragsbescheid zugrunde liegenden Grundstücks im Mai 2016, also nach Erlass des Bescheids und vor der Schließung der mutmaßlich verfassungswidrigen Lücke des Kommunalabgabengesetzes durch das Erste Änderungsgesetz vom 14. Juli 2016, macht den angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 11. Juni 2018 nicht (mehr) rechtswidrig.

107

Der maßgebliche Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage wird nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch das jeweils einschlägige materielle Recht bestimmt (vgl. den Nachweis in OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20. März 2018 – 1 L 292/15 –, juris Rn. 21). Im Anschlussbeitragsrecht ist dies mit Blick auf die persönliche Beitragspflicht nach § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Beitragsbescheids: Wer zu diesem Zeitpunkt – hier – Eigentümer des bevorteilten Grundstücks ist, ist persönlich beitragspflichtig. Eine nachfolgende teil- oder vollumfängliche Veräußerung des Grundstücks während des Vor- oder Klageverfahrens ändert daran nichts, jedenfalls soweit auch die sachliche Beitragspflicht zum genannten Zeitpunkt entstanden war. In der Beurteilung der Rechtmäßigkeit eines Anschlussbeitragsbescheids ist die Rechtsprechung im Hinblick auf die Frage der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht (mangels gesetzlicher Vorgaben) demgegenüber „flexibel“, d. h. auch ein zunächst mangels wirksamer Beitragssatzung rechtswidriger Anschlussbeitragsbescheid kann nachträglich durch Erlass einer wirksamen Satzung bis zum Schluss der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen „geheilt“ werden; insoweit gibt es keinen fixen Zeitpunkt zur abschließenden und „unumkehrbaren“ Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Beitragsverwaltungsakts (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 20. März 2018, a. a. O., Rn. 22).

108

Daran hat auch der Zeitraum der mutmaßlichen temporären Verfassungswidrigkeit des Kommunalabgabengesetzes im Bereich des Anschlussbeitragsrechts nichts geändert. Maßgeblich ist dabei, dass der streitgegenständliche Beitragsbescheid die persönliche Beitragspflicht der Klägerin bereits wirksam statuiert hatte, mag er sich damals auch nicht auf eine verfassungsgemäße Rechtsgrundlage in § 7 Abs. 2 Satz 1 KAG M-V (und eine wirksame, den Anforderungen der jedenfalls insoweit wohl verfassungswidrigen Vorschriften des Kommunalabgabengesetzes entsprechenden Beitragssatzung) hat stützen können und damit zunächst rechtswidrig gewesen sein. Insoweit beurteilt das Gericht die Rechtmäßigkeit eines Anschlussbeitragsbescheids wie die Sach- und Rechtslage bei jedem Fehlen einer Rechtsgrundlage, sei es nun wegen einer zunächst unwirksamen Beitragssatzung oder sei es aufgrund eines zunächst wohl verfassungswidrigen Parlamentsgesetzes wie dem Kommunalabgabengesetz. Die deshalb zunächst bestehende Rechtswidrigkeit des vorliegenden Beitragsbescheids wurde aber mit Inkrafttreten des Ersten Änderungsgesetzes vom 14. Juli 2016 am 30. Juli 2016 beseitigt, da seither nicht nur für Anschlussbeitragssatzungen, sondern auch für darauf fußende Anschlussbeitragsbescheide eine wirksame parlamentarische Rechtsgrundlage vorliegt.

109

4. Soweit auch das nunmehrige Flurstück d der Flur y, Gemarkung G. S., bei der Berechnung des Anschlussbeitrags berücksichtigt worden ist, weil es sich im räumlichen Geltungsbereich des kommunalen Bebauungsplans befindet, ist dies zu Recht geschehen. Es hat sich weder bei Erlass des angegriffenen Beitragsbescheids (damals war diese Fläche noch Bestandteil des Flurstücks a) noch später beitragsrechtlich etwas geändert. Es war und ist (jedenfalls im Zeitpunkt des letzten aktenkundigen Grundbuchauszugs vom 14. Juni 2017) Bestandteil des entsprechenden Buchgrundstücks, eingetragen im genannten Grundbuchblatt. Gegenstand der Veranlagung zu einem Anschlussbeitrag ist aber grundsätzlich nur das Buch- oder BGB-Grundstück mit seinen Flurstücken, nicht aber einzelne Flurstücke eines Grundstücks im bürgerlich-rechtlichen Sinne, soweit die sonstigen Voraussetzungen für eine anschlussbeitragsrechtliche Berücksichtigung dieser Flächen vorliegen. Deshalb spielt es auch keine Rolle, ob ein Flurstück für sich genommen zu schmal für eine Bebauung ist. Denn das über 3 ha große Buchgrundstück ist es nicht, auch nicht in dem immerhin noch über 2 ha großen Bereich, welcher der Beitragsveranlagung (nach Herausnahme des Grundstücks Flurstück h) zugrunde liegt.

110

5. Irrelevant ist insoweit auch, dass das nunmehrige Flurstück e nicht mehr an eine öffentliche Straße mit Schmutzwasserleitung grenze. Maßgeblich ist allein, dass das Buchgrundstück – was von der Klägerin nicht bestritten wird – an die öffentliche Einrichtung der Schmutzwasserbeseitigung angeschlossen ist (oder die Möglichkeit dazu hat), wo auch immer bzw. auf welchem Flurstück des Grundstücks der Grundstücksanschluss im Einzelnen auch liegen mag.

111

6. Schließlich ist der Anschlussbeitragsbescheid und der Widerspruchsbescheid in der Fassung des Schriftsatzes der Beklagten vom 11. Juni 2018 nicht festsetzungsverjährt.

112

Wie bereits dargelegt, ist die Schmutzwasserbeitragssatzung vom 3. März 2010 in der Fassung der 1. Änderungssatzung vom 25. April 2012 nach derzeitiger Erkenntnis des Gerichts die erste wirksame Satzung i. S. nicht nur des (verfassungsgemäßen) § 9 Abs. 3 Satz 1 KAG M-V, sondern auch im Sinne der Schranke des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG bzw. des entsprechenden Landesgrundrechts nach Art. 5 Abs. 3 LVerf M-V. Erst ihre Wirksamkeit lässt die sachliche Beitragspflicht entstehen. Entgegen der Auffassung der Klägerin spielt der Zeitpunkt des Erlasses des Bebauungsplans im Jahre 1999 dagegen bei der Frage, wann die Festsetzungsverjährung zu laufen beginnt, keine Rolle.

113

Daran gemessen war die vierjährige Festsetzungsfrist nach § 12 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 2 KAG M-V i. V. m. §§ 169 Abs. 2 Satz 1, 170 Abs. 1 AO bei Erlass des hier streitgegenständlichen Beitragsbescheids vom 21. November 2014 noch nicht abgelaufen, unbeschadet der Frage, ob die mutmaßliche Verfassungswidrigkeit des Kommunalabgabengesetzes nicht auch diese Normen – soweit es die (ggf. modifiziert) anwendbaren Normen der Abgabenordnung betrifft, gelten sie in Mecklenburg-Vorpommern als Landesrecht – erfasst hat, sodass eine solche Frist erst ab Ende Juli 2016 hätte zu laufen beginnen können.

114

7. Der Angriff der Klägerin auf die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid im Rahmen der vorliegenden Anfechtungsklage geht ins Leere. Die Kostenentscheidung im – wie hier – den Widerspruch vollumfänglich zurückweisenden Widerspruchsbescheid wird durch diejenige im vorliegenden Urteil, das aufgrund einer Anfechtungsklage gegen den Ausgangsbescheid und den Widerspruchsbescheid (hier in der Gestalt des Schriftsatzes der Beklagten vom 11. Juni 2018) ergeht, überholt bzw. verdrängt. Nach § 162 Abs. 1 VwGO sind Kosten die Gerichtskosten und die notwendigen Aufwendungen der Beteiligten „einschließlich der Kosten des Vorverfahrens“. Die Kostengrundentscheidung des Gerichts bestimmt danach auch, wer als Teil der Kosten des Verfahrens die Kosten des Vorverfahrens zu tragen hat. Mit der gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache steht regelmäßig fest, wie im Widerspruchsverfahren in der Sache richtigerweise hätte entschieden werden müssen. Die Kosten des Vorverfahrens sind deshalb in Konsequenz der §§ 154 ff. VwGO von demjenigen zu tragen, der im gerichtlichen Verfahren unterliegt. Folgt dem Widerspruchsverfahren ein Klageverfahren nach und sind die Verfahrensgegenstände identisch, verdrängt die gerichtliche Kostenentscheidung mithin die Kostenentscheidung im Widerspruchsbescheid (zum Vorstehenden Neumann, in: Sodan/Ziekow, Verwaltungsgerichtsordnung, 4. Aufl. 2014, § 162 Rn. 15 f., 17a, 94 m. w. N. aus der Rechtsprechung; BVerwG, Urt. v. 29. Juni 2006 – 7 C 14/05 –, juris Rn. 13 m. w. N.; anders, wenn dem Widerspruch teilweise stattgegeben wird und deshalb nur im Umfang der Zurückweisung Klage erhoben worden war).

115

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus den §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 2 VwGO. Im Hinblick auf den erledigten Teil entspricht es billigem Ermessen, der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzulegen. Zwar hat sich die Beklagte insoweit in die Rolle der Unterlegenen begeben. Dennoch ist der Umfang im Hinblick auf die verbleibende streitig zu entscheidende Klage derart gering, dass eine Kostenquotelung im Rahmen der einheitlichen Kostenentscheidung unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO nicht opportun erscheint.

116

Von Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit der Kosten dieses Verfahrens sieht das Gericht ab (vgl. die „Kann“-Bestimmung des § 167 Abs. 2 VwGO), da die obsiegende Beklagte mangels anwaltlicher Vertretung nur sehr geringe außergerichtliche Kosten (anteilige Reisekosten zum Termin sowie die Post- und Telekommunikationspauschale) vorläufig vollstrecken könnte.

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