Urteil vom Verwaltungsgericht Sigmaringen - 14 K 1888/21

Tenor

Der Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 08.06.2021 in Gestalt des Ergänzungsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 28.06.2022 wird in seinen Ziffern 2 und 4 aufgehoben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen seine Ausweisung aus dem Bundesgebiet, die Ablehnung der Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis, eine Abschiebungsandrohung und ein Einreise- und Aufenthaltsverbot.
Der am XX.XX.1991 in Aleppo (Syrien) geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger, kurdischer Volkszugehöriger und Sunnit und wuchs mit seinen Eltern, zwei Brüdern und drei Schwestern in der Provinz A. in dem zur Gemeinde A. gehörenden Dorf M. auf. Der Kläger verließ sein Heimatland im Oktober 2006 und hielt sich bis ins Jahr 2011 in Griechenland auf, bevor er über verschiedene Mitgliedstaaten der Europäischen Union in die Bundesrepublik Deutschland einreiste und am 03.04.2014 einen förmlichen Asylantrag stellte. Der Vater des Klägers ist 2015 verstorben, seine Mutter lebt nach wie vor in Syrien.
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) erkannte dem Kläger mit Bescheid vom 24.06.2014 subsidiären Schutz zu und lehnte seinen Asylantrag im Übrigen ab. Das Bundesamt nahm den mit Bescheid vom 24.06.2014 zuerkannten subsidiären Schutz mit Bescheid vom 04.09.2019 gestützt auf § 73b Abs. 3 i.V.m. § 4 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 AsylG zurück (Ziffer 1), da der Kläger eine schwere Straftat begangen habe und daher von der Gewährung subsidiären Schutzes hätte ausgeschlossen werden müssen. Das Bundesamt erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 2), stellte aber das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Syrien fest (Ziffer 3). Der Kläger erhob dagegen Klage vor dem Verwaltungsgericht Sigmaringen (Az. A 2 K 4148/19). Nachdem der Kläger sein Verfahren trotz Aufforderung länger als einen Monat nicht betrieben hatte, galt seine Klage als zurückgenommen und das Verfahren wurde mit Beschluss vom 16.03.2022 eingestellt. Der Kläger hat mit Schriftsatz vom 21.03.2022 die Fortführung des Verfahrens beantragt. Über diesen Antrag hat das Verwaltungsgericht Sigmaringen noch nicht entschieden.
Nachdem die dem Kläger zunächst gem. § 25 Abs. 2 AufenthG erteilte Aufenthaltserlaubnis mit Ablauf des 28.05.2019 ausgelaufen war, war er zunächst im Besitz einer Fiktionsbescheinigung und ihm wurden sodann Duldungen erteilt. Der Kläger ist seit 15.11.2021 mit einer syrischen Staatsangehörigen (F. A., geboren am XX.XX.1998) verheiratet, welche im Besitz einer Niederlassungserlaubnis gem. § 26 Abs. 3 Satz 1 AufenthG ist. Der Kläger und seine Ehefrau haben einen gemeinsamen Sohn (D. S. O., geboren am XX.XX.2021).
Bereits in der Nacht vom 18.03.2018 auf 19.03.2018 verübten drei dem Kläger bekannte und ebenfalls aus dem Norden Syriens stammende Männer kurdischer Abstammung (K. (Wortführer), S., A.) einen Brandanschlag auf ein Gebäude in der U. Innenstadt, in dem sich unter anderem die Moschee der islamischen Gemeinschaft Milli Görüs befindet. Sie handelten dabei, um ein politisches Signal gegen das Vorgehen der türkischen Armee in A. im nordwestlichen Syrien zu setzen. An dem Brandanschlag waren neben den vor Ort anwesenden Tätern und dem Kläger zwei weitere aus dem Norden Syriens stammende Männer kurdischer Abstammung (B. und S. A.) beteiligt. Der Tat und ihrer Planung lag zugrunde, dass die türkische Armee ab Januar 2018 im Rahmen einer Militäroffensive auf die Stadt A. vorrückte, die Stadt schließlich ab März 2018 einschloss und belagerte. Dabei kam es zu Artilleriefeuer und Luftangriffen, wodurch Zivilisten ums Leben kamen. Die Männer besuchten in der Zeit vor der Tat verschiedene kurdische Veranstaltungen im Raum U. und auch darüber hinaus. K., der Wortführer der Gruppe, fasste schließlich den Entschluss, ein Fanal gegen das Vorgehen der Türkei in A. zu setzen. Er kontaktierte den Kläger und erläuterte diesem sein Vorhaben. Hierbei offenbarte K. dem Kläger, dass er plane, einen Brandanschlag auf ein türkisches Geschäft oder Ähnliches, also ein Gebäude, zu verüben. Er bat den Kläger, ihn bei seinem Vorhaben zu unterstützen und Benzin zu besorgen, dass bei dem Brandanschlag eingesetzt werden sollte. Zudem sollte der Kläger Farbspray beschaffen, um damit Parolen gegen die Türkei im Stadtgebiet U. anbringen zu können. Der Kläger erklärte sich in Kenntnis des Vorhabens des K. mit dessen Ansinnen einverstanden und kaufte, um das Vorhaben des K. zu unterstützen, am 07.03.2018 zumindest eine gelbe Farbspraydose und zu einem unbekannten Zeitpunkt vor dem 18.03.2018 ca. 3 Liter Benzin in einem Reservekanister. Der Kläger hatte in seine Überlegungen einbezogen, dass das Benzin zum Bau von Molotow-Cocktails verwendet werden würde.
Am 18.03.2018 entschied K., dass nun die geplante Zeit für das Fanal gegen die Türkei gekommen war und berief für den Nachmittag des 18.03.2018 ein Treffen in seiner Wohnung in U.-B.ein. Der Kläger und die weiteren Beteiligten fanden sich sodann am Nachmittag des 18.03.2018 in der Wohnung des K. ein. Der Kläger brachte zu dem Treffen in einem schwarzen Rucksack die gelbe Farbspraydose und das Benzin in dem Reservekanister mit und übergab den Rucksack mitsamt den Gegenständen an K., damit das Benzin zu dem von K. angekündigten Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude eingesetzt werden konnte. In der Wohnung des K. besprachen die Männer die Situation in A. und waren sich einig, dass die Bevölkerung in Deutschland hiervon zu wenig Notiz nehme. Um Aufmerksamkeit zu erregen, verabredeten sie, um 19:30 Uhr am U. Hauptbahnhof zu demonstrieren und hierzu weitere Kurden einzuladen. K. erläuterte den weiteren Männern zudem, dass mit dem vom Kläger mitgebrachten Benzin Molotow-Cocktails hergestellt und ein Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude verübt werden sollten, um ein Fanal gegen das Vorgehen der Türkei zu setzen. Zu konkreten Planungen oder Vorbereitungshandlungen kam es zunächst nicht mehr; denn gegen 18 Uhr wurden sie gestört, als der Vermieter des K. diesen sprechen wollte, aus Sorge, die Wohnung sei überbelegt. Nachdem der Vermieter schließlich gegangen war, verblieb keine Zeit mehr, um noch Molotow-Cocktails herzustellen. Die Männer mussten aufbrechen, um rechtzeitig zum vereinbarten Zeitpunkt am U. Hauptbahnhof zu sein. Ab ca. 19:30 Uhr demonstrierten die Männer mit anderen Kurden am U. Hauptbahnhof. Der Kläger und weitere Demonstranten demonstrierten zunächst im U. Bahnhofsgebäude und später auf dem Bahnsteig. Aufgrund eines spontanen Entschlusses sprangen fünf der Männer, u.a. der Kläger, und weitere Personen auf das Gleis 1 und bildeten dort eine Menschenkette. Um 20:04 Uhr fuhr ein Intercity-Zug in den U. Hauptbahnhof ein und der Triebfahrzeugführer sah sich gezwungen, eine Schnellbremsung durchzuführen, um einen Zusammenstoß mit den Demonstranten zu vermeiden. Der Zug kam letztlich ca. 30 Meter vor der Gruppe zum Stehen, ohne dass jemand verletzt oder konkret gefährdet wurde. Nachdem der Zug angehalten hatte, rannte die Gruppe auf die Lokomotive zu, positionierte sich unmittelbar vor dieser und skandierte Parolen gegen die Türkei. Der Kläger kroch unter die Lokomotive, klammerte sich an dieser fest und erklärte, sterben zu wollen.
Die Männer wurden schließlich von hinzugeeilten Kräften der Bundespolizei in Gewahrsam genommen und zur Identitätsfeststellung zum Bundespolizeirevier verbracht. Während der Kläger wegen seiner Äußerung, sterben zu wollen, vorsorglich in die psychiatrische Station der Universitätsklinik verbracht wurde, wurden die anderen Männer nach und nach bis ca. 23:30 Uhr aus dem Polizeigewahrsam entlassen und trafen im Bereich Straßenbahnhaltestelle Hauptbahnhof U. wieder aufeinander. Dort ergriff K. das Wort und offenbarte den vier weiteren Personen den Plan, noch in dieser Nacht gemeinsam eine türkische Einrichtung, also ein Gebäude, zu „verbrennen“. Es sei eine Pflicht, dies zu tun. S. A. und B. wollten nicht mitmachen und gingen nach Hause. A. und S. erklären sich hingegen bereit. K., S. und A. begaben sich zunächst in die Wohnung des K., wo sie die Molotow-Cocktails präparierten. Spätestens zu diesem Zeitpunkt gab K. das Ziel des Brandanschlags vor. Um 00:55 Uhr führte K. ein rund zweiminütiges Telefonat mit dem Kläger. Denn K., S. und A. wussten nicht, ob sich der Kläger immer noch in der Psychiatrie befand und wollten nachfragen, ob er bei dem Brandanschlag mitmachen wolle. Der Kläger befand sich zu diesem Zeitpunkt allerdings noch immer in der Psychiatrie. Unmittelbar danach machten sich die drei Männer von der Wohnung des K. aus zu Fuß auf den Weg zum Tatobjekt. Unterwegs brachten die Männer mit von ihnen mitgeführten Spraydosen mit von ihnen mitgeführten Farbspraydosen politische Parolen gegen den türkischen Präsidenten Erdogan und für die PKK und die YPG (den bewaffneten Arm der PKK) an.
K., S. und A. erreichten schließlich das Tatobjekt, welches im Eigentum der Islamischen Gemeinschaft Mili Görüs steht und über ein Erdgeschoss, vier Obergeschosse und ein Dachgeschoss verfügt. Im Erdgeschoss befindet sich u.a. eine Teestube bzw. ein kleiner türkischer Lebensmittelladen. Im ersten und zweiten Obergeschoss befinden sich Gebetsräume, im dritten Obergeschoss Unterrichtsräume, im vierten Obergeschoss und im Dachgeschoss zwei Wohnungen, welche vorwiegend an Türken vergeben werden. In der Wohnung im vierten Obergeschoss übernachteten in der Tatnacht sechs Männer. Die Wohnung im Dachgeschoss war in der Tatnacht vom Prediger der Moschee und seiner Ehefrau bewohnt. Den Männern war nicht bekannt, wie viele Menschen sich in dem Gebäude aufhielten, sie rechneten allerdings damit, dass das Gebäude bewohnt ist. Gegen 02:53 Uhr entzündete S. die Lunte eines Brandsatzes und versuchte, diesen durch ein Fenster im Erdgeschoss zu werfen. Die Flasche durchschlug die Fensterscheibe jedoch nicht, sondern prallte daran ab und zerbarst laut klirrend am Boden, was zu einer Stichflamme führte. Daraufhin rannte S. vom Tatort weg, ohne die weiteren Brandsätze zu nutzen. A. warf die beiden Brandsätze, die er in den Händen hielt, in das entstehende und sich ausbreitende Feuer, ohne sie zu entzünden und rannte ebenfalls davon. Ein Passant entdeckte das sich ausbreitende Feuer um 03:02 Uhr und verständigte die Polizei. Dem am Tatort eingesetzten Polizeihauptmeister gelang es, das Feuer mittels eines im Streifenwagen befindlichen Feuerlöschers zu löschen. Es entstanden lediglich geringfügige Schäden am Tatobjekt. K. teilte dem Kläger um 03.53 Uhr telefonisch mit, dass der geplante Brandanschlag in die Tat umgesetzt worden war.
Der Kläger befand sich wegen dieser Tat zwischen dem 29.03.2018 und der Urteilsverkündung (05.04.2019) in Untersuchungshaft.
10 
Das Landgericht U. verurteilte den Kläger wegen Beihilfe zur versuchten Brandstiftung in Tateinheit mit Beihilfe zum vorsätzlichen Herstellen von Brandsätzen mit Urteil vom 05.04.2019 - 3 KLs 241 Js 29178/1,8 jug. -, rechtskräftig seit 22.11.2019, nach §§ 27, 306 Abs. 1 Nr. 1, 22, 23, 52, 56 Abs. 1 und 2 StGB, 52 Abs. 1 Nr. 1, 2 Abs. 3
11 
WaffG i.V.m. Anlage 2, Abschnitt 1 Nr. 1.3.4 zu der Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Landgericht führte hinsichtlich der Strafzumessung im Wesentlichen aus, dass zugunsten des Klägers zu berücksichtigen sei, dass er sich wegen der Tat über ein Jahr in Untersuchungshaft befunden habe. Insbesondere, dass es ihm aus der Haft lange Zeit nicht möglich gewesen sei, sich nach dem Schicksal seiner Mutter in Syrien zu erkundigen und mit dieser Kontakt aufzunehmen, habe den Kläger schwer belastet. Seine Empörung über das Vorgehen der Türkei in A. sei nachvollziehbar; der Kläger sei durch das unklare Schicksal seiner Mutter belastet gewesen. Zu nennenswerten Sachschäden am Brandobjekt sei es nicht gekommen. Zudem wäre es den Haupttätern auch ohne seine Unterstützung leicht möglich gewesen, an Benzin und Farbspray zu gelangen. Der Kläger habe sich zudem lediglich wegen einer Beihilfehandlung zu verantworten und die Haupttat sei im Versuchsstadium stecken geblieben. Zu seinen Lasten sei zu berücksichtigen, dass Brandanschläge auf Gebäude, die im Eigentum Unbeteiligter stünden, ein gänzlich unangemessenes Mittel politischer Auseinandersetzung darstellten, dies auch unter Berücksichtigung der nachvollziehbaren Empörung des Klägers und seiner Sorgen um das Wohlergehen naher Familienangehöriger. Von einer verminderten Schuldunfähigkeit sei nicht auszugehen. Zwar sei davon auszugehen, dass der Kläger durch die Militäroffensive in seiner Heimat, das ungewisse Schicksal seiner Mutter sowie den Tod von Angehörigen und Bekannten psychisch belastet gewesen sei und unter Einschlafstörungen, Appetitlosigkeit und einer sorgenvollen Nachdenklichkeit gelitten habe und teilweise der Arbeit ferngeblieben sei. Die Kammer teile die Auffassung des Sachverständigen, wonach der Kläger unter einer Anpassungsstörung gelitten habe. Von einer rechtserheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit bei erhaltener Einsichtsfähigkeit sei nicht auszugehen, da die Tat einen ideologischen Hintergrund gehabt habe und sich über einen längeren Zeitraum hingezogen habe. Die Tatbeteiligung des Klägers habe sich als gezielt dargestellt, nicht als Ausdruck einer spontanen Überforderungssituation. Selbst am U. Hauptbahnhof sei der Kläger noch ansprechbar und in der Lage gewesen, zielgerichtet zu agieren.
12 
Das Landgericht U. setzte die Bewährungszeit des Klägers mit Beschluss vom 05.04.2019 auf 3 Jahre ab Rechtskraft des Urteils fest (Ziffer 1), unterstellte den Kläger Aufsicht und Führung eines Bewährungshelfers, bei dem er regelmäßig Termine wahrzunehmen und dessen Anweisungen er Folge zu leisten habe (Ziffer 2) und wies den Kläger zuletzt an, jeden Wohnsitzwechsel unverzüglich mitzuteilen (Ziffer 3). Die Bewährungs- und Gerichtshilfe Baden-Württemberg gab über den Bewährungsverlauf durch Berichte vom 27.07.2020, 15.03.2021, 27.12.2021 und vom 30.06.2022 Auskunft. Nach dem Bericht vom 30.06.2022 habe beim Kläger keine politische extremistische Haltung festgestellt werden können.
13 
Das Regierungspräsidium Tübingen leitete ein Ausweisungsverfahren ein und hörte den Kläger mit Schriftsatz vom 19.05.2020 zu einer Ausweisung aus dem Bundesgebiet sowie einem Einreise- und Aufenthaltsverbot an.
14 
Der Kläger nahm dazu, vertreten durch seinen Bevollmächtigten, mit Schriftsatz vom 02.06.2020 Stellung und verwies darauf, dass keine Wiederholungsgefahr mehr bestehe. Das Landgericht U. sei davon ausgegangen, dass der Kläger auch ohne Einwirkung des Strafvollzugs künftig keine Straftaten mehr verwirklichen werde und habe die Strafe daher zu Recht zur Bewährung ausgesetzt. Der Kläger habe die vom Gericht in ihn gesetzten Erwartungen erfüllt und keine Straftaten mehr begangen. Er habe bereits vor der Untersuchungshaft eine festen Arbeitsplatz gehabt und habe diesen anschließend wieder aufgenommen.
15 
Das Polizeipräsidium U. teilte auf Anfrage des Regierungspräsidiums Tübingen mit Schreiben vom 23.02.2021 u.a. mit, dass der Kläger politisch letztmals am 18.10.2019 in Erscheinung getreten sei, als er bei einer angemeldeten Versammlung zum Thema „Türkische Armee raus aus Nordsyrien“ in U. teilgenommen habe. Der Anmelder der Versammlung habe enge Kontakte zur kurdischen Bevölkerung und in der Vergangenheit bereits ähnliche Veranstaltungen organisiert. Am 01.12.2020 sei S. aus der Haft entlassen worden. Bei einer anschließenden Observation sei festgestellt worden, dass S. vom Kläger und dem weiteren Mittäter A. abgeholt und nach B. W. gebracht worden sei. Dort seien die Personen mindestens bis am nächsten Tag geblieben. Im Rahmen eines Kontaktgesprächs hätten S. und A. angegeben, weiterhin Kontakt zum Kläger zu pflegen und eng mit ihm befreundet zu sein. Der Kläger erscheine weiterhin ideologisch gefestigt und bewege sich in denselben Strukturen wie vor dem Anschlag.
16 
Das Regierungspräsidium Tübingen wies den Kläger mit streitgegenständlichem Bescheid vom 08.06.2021 aus der Bundesrepublik Deutschland aus (Ziffer 1), ordnete infolge der Ausweisung gegen ihn ein auf 5 Jahre befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot an (Ziffer 2) und lehnte seinen Antrag auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis ab (Ziffer 3).
17 
Zur Begründung der Ziffer 1 führte das Regierungspräsidium Tübingen im Wesentlichen aus, dass der Kläger - dessen Klage gegen den Bescheid des Bundesamts vom 04.09.2019 damals noch anhängig war - sich auf den erhöhten Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3b AufenthG berufen könne, da das Widerrufsverfahren des Bundesamts noch nicht rechtskräftig abgeschlossen sei.
18 
Es sei von einer erheblichen konkreten Wiederholungsgefahr auszugehen. Vom Kläger gehe ein Risiko aus, das das Risiko der Straffälligkeit anderer Menschen bei weitem übersteige. Die Tat bzw. der Tatbeitrag des Klägers sei nicht von Spontaneität geprägt gewesen, sondern er habe die Farbspraydose und das Benzin für eine auf einen unbekannten Zeitpunkt geplante Tat besorgt. Er habe mit dem Brandanschlag sowie mit der Demonstration im Gleisbett ein politisches Signal gegen das Vorgehen der türkischen Armee setzen und die Öffentlichkeit wachrütteln wollen. Er sei dabei skrupellos vorgegangen und habe nicht davor zurückgeschreckt, die Einfahrt eines ICE zu verhindern und sich mit Fußtritten gegen seine Ingewahrsamnahme zu wehren. Zwar seien dem Kläger im Zeitpunkt seines Tatbeitrags die genauen Umstände des Brandanschlags nicht bekannt gewesen, dass der Brandsatz gegen ein türkisches Gebäude habe verwendet werden sollen, habe er aber gewusst. Der Fanatismus, der sich in diesen beiden Taten offenbare, lasse auf ein geschlossen extremistisches Weltbild schließen. Bei Anwendung praktischer Vernunft seien daher weitere Verfehlungen vom Kläger zu erwarten. Der Anlass für die Tat mit Bezug zur Kriegssituation in Syrien sei nicht derart einzigartig, dass ein solcher Anlass sich nicht wieder ergeben könne. Der Krieg in Syrien dauere an, die Türkei beteilige sich immer noch an den Kampfhandlungen und es lebten weiterhin Menschen aus der Türkei in Deutschland, die bzw. deren Gebäude zum Gegenstand der Rache des Klägers werden könnten. Es seien keine Umstände bekannt, die den Schluss rechtfertigten, dass der Kläger in vergleichbarer Lage nicht wieder zu vergleichbaren Mitteln greife. Außerdem sei nicht zu erwarten, dass die öffentliche Meinung oder die Politik in Deutschland dem Thema „Kurden in Syrien“ mehr Gewicht als in der Vergangenheit beimessen werde. Es sei nicht festzustellen, dass der Kläger sich durch die etwa einjährige Untersuchungshaft oder die Strafaussetzung zur Bewährung nachhaltig habe beeindrucken lassen. Ausweislich der Feststellungen der Polizei bewege der Kläger sich weiterhin in denselben Kreisen und unterhalte freundschaftliche Beziehungen zu den anderen Tätern der Gruppe. Dies gehe sogar so weit, dass er einen Täter nach der Entlassung aus der Strafhaft abgeholt und nach Hause begleitet habe. Es komme hinzu, dass es für den Kläger letztlich allein eine glückliche Fügung gewesen sei, dass er sich in der Tatnacht in der Psychiatrie befunden habe. Wie der nächtliche Anruf der anderen Beteiligten belege, seien diese an den Kläger herangetreten, vermutlich, um ihn zu Mitmachen zu bewegen. Wenn der Kläger sich zum Mitmachen entschieden hätte, hätte er eine deutlich höhere Strafe zu erwarten gehabt. Vor diesem Hintergrund sei es unverständlich, dass der Kläger weiterhin Kontakt zu den anderen Tätern halte.
19 
Allein die Strafaussetzung zur Bewährung vermöge nicht zu belegen, dass vom Kläger keine Wiederholungsgefahr mehr ausgehe. Denn die ausweisungsrechtliche, auf Gefahrenabwehr abstellende Prognoseentscheidung müsse nicht der strafrechtlichen Beurteilung entsprechen. Insbesondere spiele die im Strafverfahren hoch zu gewichtende Resozialisierung im Ausweisungsrecht eine lediglich untergeordnete Rolle. Hier komme es wesentlich darauf an, ob das Risiko des Misslingens der Resozialisierung von der deutschen Gesellschaft oder der Gesellschaft im Heimatstaat des Ausländers zu tragen sei. Bei der ausweisungsrechtlichen Prognoseentscheidung sei zudem ein nicht auf die Dauer der Prognosezeit beschränkter, längerer Zeithorizont in den Blick zu nehmen. Vor diesem Hintergrund habe die Strafaussetzung zur Bewährung zwar eine Indizwirkung zugunsten des Klägers und für diesen spreche weiter, dass es zu keinen nennenswerten Schäden am Brandobjekt gekommen sei und dass die Empörung des Klägers über das Vorgehen der Türkei in A. aufgrund des Schicksals seiner Mutter nachvollziehbar sei. Es sei den Tätern auch ein leichtes gewesen, ohne die Hilfe des Klägers an Benzin und eine Farbspraydose zu kommen. Höher zu gewichten sei allerdings, dass Brandanschläge ein verwerfliches Mittel politischer Auseinandersetzung seien, dass - was dem Kläger bewusst gewesen sei - Ziel des Anschlags ein Geschäft gewesen sei, sodass erkennbar Leben in Gefahr gewesen seien. Aus der Tat und dem Vorgeschehen am U. Hauptbahnhof folge ein gefestigtes ideologisches Weltbild. Wie sich aus dem Anruf der Täter beim Kläger ergebe, sei er Teil der Gruppe gewesen und er habe sich auch nach der Tat nicht von der Gruppe und ihrer radikalen Einstellung distanziert. Eine relevante psychische Ausnahmesituation sei bei dem Aufenthalt des Klägers in der Psychiatrie ebenfalls nicht festgestellt worden. Auch die - aus den Bewährungsberichten folgende - positive soziale Entwicklung vermöge die negative Prognose nicht zu ändern. Denn der Kläger habe bereits vor der Tat über eine bürgerliche Existenz sowie über gute Zukunftsperspektiven verfügt, was ihn jedoch nicht von der Tatbegehung abgehalten habe.
20 
Aufgrund der rechtskräftigen Verurteilung des Klägers bestehe ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sowie ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Aufgrund des Geschehens am U. Hauptbahnhof am 18.03.2018 und der Beteiligung des Klägers hieran bestehe auch ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG. Denn der Kläger habe hierbei zunächst mit Fußtritten verhindert, dass herbeigeeilte Bundespolizisten ihn in Gewahrsam genommen hätten. Dies habe einen tätlichen Angriff gegen Vollstreckungsbeamte dargestellt, der gemäß §§ 113 Abs. 1, 223 Abs. 1 StGB strafbar sei. Dass das diesbezügliche Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei, ändere am Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen nichts.
21 
Zu Gunsten des Klägers besehe weder ein normiertes besonders schwerwiegendes oder schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1, Abs. 2 AufenthG oder ein unbenanntes vergleichbares Bleibeinteresse. Soweit der Kläger im Besitz einer Aufenthaltserlaubnis gewesen sei, sei diese nicht verlängert worden, sodass die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 AufenthG nicht erfüllt seien. Auch ein besonderes schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG komme nicht in Betracht, da Identität und Nationalität der Partnerin des Klägers nicht geklärt seien. Im Hinblick auf § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG sei das Kind des Klägers noch nicht geboren. Diesbezüglich sei zu berücksichtigen, dass eine sog. inlandsbezogene Ausweisung vorliege, da aufgrund des vom Bundesamt hinsichtlich Syrien festgestellten Abschiebungsverbots keine Abschiebungsandrohung ergehe. Eine Ausweisung sei dennoch möglich, denn deren Rechtswirkungen zielten u.a. auf den Verlust eines bestehenden Aufenthaltstitels, die Herbeiführung der Wirkungen des Einreise- und Aufenthaltsverbots und den Verlust von Ansprüchen, die einen Aufenthaltstitel voraussetzten, ab. Dies habe zur Folge, dass sich das Bleibeinteresse verringere, da allein auf das Interesse des Klägers an einem legalen Aufenthalt im Bundesgebiet (sog. Bleiberechtsinteresse) abzustellen sei.
22 
Im Rahmen der Gesamtabwägung überwiege - entsprechend der obigen Ausführungen - das Ausweisungsinteresse. Es sei insbesondere nicht von einem langfristigen Bleiberecht des Klägers in Deutschland auszugehen und es liege auch keine völlige Entwurzelung in Syrien vor. Die Ausweisung sei auch verhältnismäßig.
23 
Die Anordnung des Einreise- und Aufenthaltsverbots in Ziffer 2 beruhe auf § 11 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Aufgrund der Verurteilung des Klägers seien die Voraussetzungen des § 11 Abs. 5 Satz 1 AufenthG erfüllt und die Frist solle 10 Jahre nicht überschreiten. Bei der Ausübung des nach § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG bestehenden Ermessens stelle sich eine Frist von fünf Jahren als verhältnismäßig, angemessen und zumutbar dar.
24 
Der Antrag des Klägers auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis sei durch Ziffer 3 abzulehnen, da allen in Betracht kommenden Aufenthaltstiteln zwingende Regelungen entgegenstünden. Mit der Bekanntgabe des Einreise- und Aufenthaltsverbots greife die Sperre nach § 11 Abs. 1 Satz 2 AufenthG. Zudem bestehe wie ausgeführt ein Ausweisungsinteresse und es fehle somit an der allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG. Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 1 oder 2 AufenthG stehe zudem entgegen, dass ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse bestehe (§ 25 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 AufenthG).
25 
Der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 AufenthG stehe jedenfalls § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 4 AufenthG entgegen. Der Ausschlusstatbestand des speziellen § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG gelte auch für die allgemeine Regelung des § 25 Abs. 5 AufenthG. Hinsichtlich eines Titels nach § 25b AufenthG fehle es an der erforderlichen nachhaltigen Integration und dem langfristigen Aufenthalt im Bundesgebiet.
26 
Auch gegen S. und A. ergingen dem streitgegenständlichen Bescheid (Ziffern 1 - 3) entsprechende Verfügungen des Regierungspräsidiums Tübingen, welche dieses durch Ergänzungsbescheide um eine nachträgliche Abschiebungsandrohung ergänzte (Ziffer 4). Diese Bescheide wurden ebenfalls durch Klagen angefochten (- 9 K 2999/20 - bzw. - 1 K 2764/20 -).
27 
Gegen den Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 08.06.2021 hat der Kläger am 17.06.2021 die vorliegende Klage beim Verwaltungsgericht Sigmaringen erhoben. Zur Begründung seiner Klage verweist der Kläger darauf, dass keine Wiederholungsgefahr bestehe. Dies ergebe sich aus dem Umstand, dass das Landgericht U. die Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt habe und seinen diesbezüglichen Ausführungen. Die vom Landgericht U. angestellte positive Prognose habe der Kläger auch bestätigt. Er sei erwerbstätig und ausweislich des vorgelegten Auszugs aus dem Heiratsregister mittlerweile verheiratet und übe hinsichtlich seines Sohnes ausweislich der vorgelegten Vaterschaftsanerkennung und der Urkunde über die gemeinsame elterliche Sorge auch seine Personensorge aus. Aufgrund der bestehenden Ehe und seiner Personensorge für seinen Sohn bestehe auch ein besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG. Es könne zudem nicht vom Vorliegen einer schweren Straftat im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 AsylG ausgegangen werden. Ob eine schwere Straftat vorliege, sei nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 13.09.2018, Az. C-369/17) aufgrund einer vollständigen Prüfung unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Nach diesen Maßgaben liege eine schwere Straftat nicht vor. Zwar stelle die Brandstiftung abstrakt betrachtet eine schwere Straftat dar. Der Kläger sei allerdings nur Gehilfe gewesen, seine tatursächliche Verzweiflung sei nachvollziehbar gewesen und die Tat sei im Versuchsstadium steckengeblieben. Zudem sei der Sachverständige im Strafverfahren vom Vorliegen einer Anpassungsstörung ausgegangen.
28 
Der Kläger beantragt,
29 
den Bescheid des Regierungspräsidiums Tübingen vom 08.06.2021 in Gestalt des Ergänzungsbescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 28.06.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu verlängern.
30 
Der Beklagte beantragt,
31 
die Klage abzuweisen.
32 
Zur Begründung verweist der Beklagte auf den angegriffenen Bescheid und führt ergänzend aus, dass zwar davon auszugehen sei, dass ein schwerwiegendes Bleibeinteresse nach § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG bestehe und dass die Trennung - wie vorliegend - von einem Säugling, der den auch nur vorübergehenden Charakter einer räumlichen Trennung nicht begreifen könne und diese Trennung rasch als endgültigen Verlust erfahre, besonders schwerwiegend sei. Das Ausweisungsinteresse überwiege jedoch auch unter Berücksichtigung dieses Bleibeinteresses und nach erneuter Abwägung nach wie vor. Soweit der Kläger darauf verweise, dass keine schwere Straftat vorliege, führe dies nicht weiter, da Gegenstand des Verfahrens vorliegend nicht der Widerruf der Zuerkennung subsidiären Schutzes sei.
33 
Das Regierungspräsidium Tübingen verbot dem Kläger mit Bescheid vom 18.02.2022 gestützt auf § 56 Abs. 4 Satz 1 AufenthG Kontakt zu K. aufzunehmen, mit ihm zu verkehren, ihn zu beschäftigen, auszubilden oder zu beherbergen. Das Verbot umfasse insbesondere die briefliche Kontaktaufnahme, elektronische Kommunikation oder indirekte Kommunikation durch Einschaltung von Mittelsmännern (Ziffer 1). Für den Fall eines Verstoßes gegen Ziffer wurde dem Kläger ein Zwangsgeld in Höhe von 100 EUR angedroht (Ziffer 2). Zur Begründung verwies das Regierungspräsidium im Wesentlichen auf das Schreiben des Polizeipräsidiums U. vom 23.02.2021 und die dort mitgeteilten Umstände in Bezug auf den weiterhin bestehenden Kontakt des Klägers zu S. und A.
34 
Das Regierungspräsidium Tübingen hat seinen Bescheid vom 08.06.2021 durch Ergänzungsbescheid vom 28.06.2022 wie folgt um eine Ziffer 4 ergänzt:
35 
„4. Ihnen wird die Abschiebung nach Syrien oder in einen anderen Staat, in den Sie einreisen dürfen oder der zu Ihrer Übernahme verpflichtet ist, auf Ihre Kosten unter Setzung einer Frist von 30 Tagen zur freiwilligen Ausreise angedroht. Sie dürfen bis zum vollziehbaren Widerruf des durch das BAMF mit Bescheid vom 04.09.2019 (Geschäftszeichen 7471920 - 475) festgestellten Abschiebungsverbots nicht nach Syrien abgeschoben werden.“
36 
Zur Begründung führte das Regierungspräsidium Tübingen aus, dass der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig sei, da sein Antrag auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis abgelehnt worden sei und damit nicht mehr als fortbestehend gelte. Die Abschiebungsandrohung und die Ausreisefrist beruhten auf §§ 59 Abs. 1, Abs. 2, 58 Abs. 3 Nr. 3, AufenthG. Die Abschiebung sei trotz des bestehenden und bestandskräftigen
37 
Abschiebungsverbots anzudrohen. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 03.06.2021, C-546/19, juris) sei ein Einreise- und Aufenthaltsverbot ohne Rückkehrentscheidung nicht mit der Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.12.2008 (EU-Rückführungsrichtlinie) vereinbar und die vorliegende inlandsbezogene Ausweisung sei daher zwingend mit einer Abschiebungsandrohung zu versehen. Der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen vom 10.02.2021 (C-546/19, Rn. 87, juris) und der EuGH in seinem Urteil (a.a.O., Rn. 59 f.) seien übereinstimmend davon ausgegangen, dass die Aufschiebung der Vollstreckung nach Art. 9 EU-Rückführungsrichtlinie ein gangbarer Weg sei. Der Aufenthalt des Klägers sei auch rechtswidrig und somit illegal im Sinne der EU-Rückführungsrichtlinie, sodass deren Anwendungsbereich eröffnet sei. Ein vorübergehendes Abschiebungshindernis, insbesondere wegen eines vorliegenden Schutzstatus, rechtfertige nicht, von einer Rückkehrentscheidung abzusehen (EuGH, a.a.O., Rn. 59; Schlussanträge des Generalanwalts, a.a.O., Rn. 87). Soweit im Bescheid vom 08.06.2021 (S. 12) davon ausgegangen worden sei, dass mit einer Abschiebung nach Syrien nicht zu rechnen sei, lägen neue Erkenntnisse zur Lage in Syrien vor (EASO, Country Guidance: Syria, November 2021, S. 41 - 43, 155 - 157, 184 - 186), woraus sich ergebe, dass im Bereich der Hauptstadt Damaskus und der Küstenregion Tartarus eine Verbesserung der bürgerkriegsbedingten Lebensumstände bereits eingetreten sei und daher in absehbarer Zeit eine Aufhebung des Abschiebungsverbots zu erwarten sei. Interne Ausweichmöglichkeiten im Zielland dürften hierbei berücksichtigt werden. Da nun nicht mehr von einer inlandsbezogenen Ausweisung auszugehen sei, seien Bleibeinteressen des Klägers jetzt gewichtiger zu bewerten; aus den ausgeführten Gründen überwögen die Ausweisungsinteressen jedoch auch trotz bestehender schwerwiegender Bleibeinteressen.
38 
Dem Gericht liegen die Akten des Beklagten, die Ausländerakte, das Bewährungsheft sowie die Akten des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge über das Asyl- und das Widerrufsverfahren vor. Auf diese sowie die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
39 
Die zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Der Kläger setzt sich ohne Erfolg gegen seine Ausweisung (dazu I.) und die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (IV.) zur Wehr. Dagegen erweisen sich die (nachträglich) verfügte Abschiebungsandrohung (dazu II.) und die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (III.) als rechtswidrig und sind daher aufzuheben.
40 
I. Die in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 08.06.2021 in Gestalt dessen Ergänzungsbescheids vom 28.06.2022 enthaltene Verfügung, wonach der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wird, ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (s. nur BVerwG, Urteil vom
41 
15.11.2007 - 1 C 45.06 -, Rn. 13; Urteil vom 27.07.2017 - 1 C 28.16 -, Rn. 16, jeweils juris) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
42 
Ermächtigungsgrundlage dieser Anordnung ist § 53 Abs. 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Bei der Abwägung sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen (§ 53 Abs. 2 AufenthG).
43 
Die vom Regierungspräsidium Tübingen verfügte Ausweisung des Klägers ist mit diesen gesetzlichen Vorgaben vereinbar. Der Kläger stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar (dazu 1.). Den durch ihn verwirklichten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen stehen je nach Betrachtungsweise ein allenfalls schwaches Bleiberechtsinteresse bzw. schwerwiegende Bleibeinteressen gegenüber (dazu 2.), sodass sich die Ausweisung auch nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls als verhältnismäßig erweist (dazu 3.). Der besondere Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3b AufenthG steht der Ausweisung nicht entgegen (dazu 4.). Die Ausweisung ist schließlich mit unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar (dazu 5.).
44 
1. Die vom Kläger begangenen erheblichen Straftaten, seine damit zum Ausdruck gekommene Persönlichkeit und seine sonstigen prägenden persönlichen Umstände lassen befürchten, dass er auch in Zukunft erhebliche Straftaten begehen wird.
45 
a) Nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen liegt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG vor, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der betroffenen Schutzgüter eintreten wird (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 - Rn. 23, juris). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist
46 
(vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris). Bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr haben die Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen eine eigenständige Prognose zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.2013 - 1 C 10.12 - Rn. 18, juris). Bei dieser Prognoseentscheidung sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, aber auch die Persönlichkeit des Täters, seine Entwicklung und Lebensumstände (BVerwG, Beschluss vom 16.11.2000 - 9 C 6.00 - Rn. 16, juris). Dabei gelten nicht an Resozialisierungsgesichtspunkten, sondern an strengeren Kriterien orientierte und darüber hinaus eine längerfristige Gefahrenprognose erfordernde gefahrenabwehrrechtliche Maßstäbe (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.07.2008 - 18 A 1145/07 -, jeweils juris).
47 
b) Der Kläger hat Ausweisungsinteressen nach § 54 AufenthG verwirklicht, die einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung indizieren. Die Beteiligung des Klägers an dem in der Nacht vom 18.03. auf den 19.03.2018 verübten Brandanschlag, aufgrund dessen der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, begründet ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 AufenthG sowie ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Die Beteiligung des Klägers an dem Brandanschlag diente - wie noch auszuführen sein wird - politischen Zielen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 AufenthG. Die „Beteiligung“ im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 AufenthG ist nach Maßgabe der §§ 25 ff. StGB festzustellen, sodass Täterschaft nicht verlangt ist und Beihilfe ausreicht (Bergmann/Dienelt/Bauer, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 54 Rn. 60). Von einer rechtskräftigen Verurteilung im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ist auch dann auszugehen, wenn die Vollstreckung der Strafe - wie hier - nach § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt wird (Bergmann/Dienelt/Bauer, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 54 Rn. 67). Ob auch die Voraussetzungen des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG erfüllt sind, kann vorliegend dahinstehen. Denn § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG stellt einen allgemeinen Auffangtatbestand dar, der gegenüber den anderen Tatbeständen nachrangig ist (Bergmann/Dienelt/Bauer, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 54 Rn. 91).
48 
c) Das Gericht hat die Überzeugung gewonnen, dass vom Kläger eine Wiederholungs-gefahr für die Begehung vergleichbar schwerer Straftaten ausgeht.
49 
aa) Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Stattgebender Kammerbeschluss vom 06.12.2021 - 2 BvR 860/21 -, juris) kommt der Entscheidung des Landgerichts U. (Urteil vom 05.04.2019), die Freiheitsstrafe des Klägers zur Bewährung auszusetzen, Indizwirkung dahingehend zu, dass vom Kläger keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Sofern die Verwaltungsgerichte, die an die tatsächlichen Feststellungen und Beurteilungen des Strafgerichts rechtlich nicht gebunden sind, im Rahmen der ihnen obliegenden aufenthaltsrechtlichen Prognose, insbesondere mit Blick auf den unterschiedlichen Gesetzeszweck des Ausländerrechts, zu einer von dieser Indizwirkung abweichenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr kommen, bedarf es hierfür einer substantiierten, das heißt eigenständigen Begründung. Solche Gründe können zum Beispiel dann gegeben sein, wenn der Ausländerbehörde umfassenderes Tatsachenmaterial zur Verfügung steht, das genügend zuverlässig eine andere Einschätzung der Wiederholungsgefahr erlaubt (BVerfG, a.a.O., Rn. 19, juris m.w.N.).
50 
bb) Auch unter Zugrundelegung dieser Maßgaben geht das Gericht von einer vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr aus.
51 
(1) Für eine Wiederholungsgefahr spricht wesentlich die Verurteilung des Klägers durch das Landgericht U. und die der Verurteilung zugrunde liegende Tat. Das Strafmaß der - zur Bewährung ausgesetzten - Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten deutet bereits darauf hin, dass der Kläger Beihilfe zu einer schwerwiegenden Straftat begangen hat. Brandstiftung wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft (§ 306 Abs. 1, Nr. 1 StGB), wobei der Versuch nach § 23 Abs. 2 StGB milder bestraft werden kann als die vollendete Tat.
52 
Ebenso wiegt die Tat unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls schwer. Dem Täter war nach den Feststellungen des Landgerichts U. und auch zur Überzeugung des Gerichts bekannt, dass das von ihm besorgte Benzin zu einem Brandanschlag auf ein Gebäude genutzt werden sollte und dass die von ihm besorgten Spraydosen dazu dienen sollten, Parolen gegen die Türkei im U. Stadtgebiet anzubringen. Nach den entsprechenden Feststellungen des Landgerichts U. offenbarte K. seine Absicht dem Kläger - in groben Zügen - bereits vor dem 07.03.2018 und der Kläger besorgte die Benzinkanister und die Farbspraydose bereits am 07.03.2018 in Billigung des Planes des K.. Dass ein Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude verübt werden sollte, offenbarte K. den übrigen Männern und dem Kläger sodann zudem (erneut) am Nachmittag des 18.03.2018. Somit war dem Kläger der Tatplan, einen Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude zu verüben, bereits im Vorfeld der Tat hinreichend bekannt. Dass der Kläger aufgrund der Verbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus nicht anwesend war, als K. um ca. 23:30 Uhr die entsprechende Planung und den entsprechenden Tatentschluss erneut äußerte und schließlich A. und S. in seiner Wohnung beim Vorbereiten der Molotow-Cocktails das konkrete Tatobjekt offenbarte, fällt vor diesem Hintergrund nicht ins Gewicht. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung geäußert hat, es sei ihm nicht bekannt und vom ihm nicht gewollt gewesen, dass ein Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude habe verübt werden sollen, und das Benzin sei nach seiner Auffassung allein dazu gedacht gewesen, eine türkische Fahne in Brand zu setzen, folgt das Gericht dem nicht und ordnet dies als bloße Schutzbehauptung ein. Dass er K. das Benzin in dem Wissen besorgt hatte, dass dieses zu einem Brandanschlag verwendet werden sollte, räumte der Kläger dem Landgericht U. gegenüber ein. Er bestritt hier lediglich, bereits von einem näher konkretisierten Plan gewusst zu haben. Diese Abweichung in seinen Ausführungen vermochte der Kläger nicht zur Überzeugung des Gerichts zu plausibilisieren. Auch darüber hinaus hält das Gericht die abweichende Darstellung in des Klägers in der mündlichen Verhandlung für lebensfern und vorgeschoben. Zur Entzündung einer Fahne stellt sich ein Molotow-Cocktail als Tatmittel bereits als völlig ungeeignet dar, zumal die Gefahr besteht, sich bei einem solchen Unterfangen selbst zu verletzen. Zudem lässt sich das Ziel des Brandanschlags, Aufmerksamkeit zu erregen und somit die Luftangriffe der türkischen Luftwaffe auf A. in den öffentlichen Fokus zu bringen, nicht mit einem Brandanschlag auf eine Fahne vereinbaren, der - selbst bei erfolgreicher Durchführung - keinerlei öffentliche Reaktion provozieren würde. Die Behauptung des Klägers, er habe lediglich die Inbrandsetzung einer Fahne unterstützen wollen, lässt sich zudem mit seinen übrigen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung nicht in Einklang bringen. Aus den Ausführungen des Klägers ergeben sich nämlich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Inbrandsetzung einer Fahne geplant gewesen sein sollte. Der Kläger konnte insbesondere nicht darlegen, dass dies der Inhalt der Verabredung mit K. gewesen sein sollte, der ihn beauftragte, das Benzin zu besorgen.
53 
An den Inhalt der Unterredung vermochte der Kläger sich vielmehr nicht zu erinnern.
54 
Es kommt weiterhin erschwerend hinzu, dass der Kläger die Tat aus der politischen Überzeugung, ein Zeichen bzw. ein Fanal gegen das Vorgehen der Türkei in A. setzen zu wollen, beging. Hiervon ist das Gericht - wie auch das Landgericht U. - überzeugt aufgrund der persönlichen Betroffenheit des Klägers, dessen Mutter und Familie zum Tatzeitpunkt in A. lebten und dessen Tante durch die Bombardierungen der türkischen Armee ums Leben kam, sowie dessen politischer Betätigung im Vorfeld der Tat und am Tattag selbst. Soweit der Kläger sich diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung abweichend einließ, wertet das Gericht dies als reine Schutzbehauptung und folgt dem nicht. So führte der Kläger etwa aus, dass er im Vorfeld der Tat zwar regelmäßig Demonstrationen besucht habe, dies jedoch kein Ausdruck einer politischen Überzeugung gewesen sei. Es sei vielmehr das Mindeste gewesen, was er als Kurde habe tun können und er sei ausschließlich als Kurde auf diese Demonstrationen gegangen. Diese Einlassung und insbesondere die Differenzierung zwischen politischer Überzeugung und ethnischer Zugehörigkeit erachtet das Gericht als nicht nachvollziehbar und lebensfremd. Selbst wenn innerer Antrieb des Klägers ausschließlich Solidarität mit den Kurden in Syrien gewesen sein sollte, ändert dies nichts daran, dass der Kläger nicht nur an politischen Demonstrationen teilgenommen, sondern darüber hinaus auch die Tat durch seine Beihilfehandlung willentlich unterstützt hat, deren Ziel gerade darin bestand, ein politisches Zeichen zu setzen. Dies gilt nicht nur hinsichtlich des Brandanschlags, sondern insbesondere auch hinsichtlich der von den Mittätern gesprayten politischen Parolen. Der Kläger konnte nicht darlegen, wieso er die Farbdose besorgt haben sollte, wenn er nicht gerade das Anbringen politischer Parolen unterstützen wollte. Der Kläger hat vielmehr - zeitgleich zu seinen obigen Einlassungen - eingeräumt hat, dass er die Farbdose besorgt habe, da dem Volk etwas übermittelt habe werden sollen. Auch die weitere Einlassung des Klägers, die Teilnahme an der Demonstration am U. Hauptbahnhof am Tattag habe von seiner Seite aus keine politische Betätigung dargestellt, sondern er habe aufgrund seines psychischen Befindens (Verzweiflung, Machtlosigkeit) Suizid begehen wollen, überzeugt das Gericht nicht. Der Kläger mag zwar - wie von ihm betont - als einziger Teilnehmer der Demonstration unter die Lokomotive gekrochen sein und Selbstmordabsichten geäußert haben. Dass dies jedoch von Anfang an sein Plan war, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Der Kläger plante vielmehr mit den anderen Mittätern bereits am Nachmittag des Tattags die Demonstration am U. Hauptbahnhof und auch das Betreten der Gleise erfolgte als kollektive Handlung der Teilnehmer der Demonstration. Die Ankündigung eines Suizidversuchs durch den Kläger stellt sich zur Überzeugung des Gerichts vielmehr als Kurzschluss-Handlung dar, die seine kurzfristige Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus zur Folge hatte und damit eine weitergehende Tatbeteiligung des Klägers unmöglich machte. Dafür, dass der Kläger die politische Überzeugung seiner Mittäter teilte, spricht auch der Umstand, dass er von K. in der Nacht der Tatbegehung zweimal (einmal vor, einmal nach Tatbegehung) angerufen wurde. Obwohl der Inhalt der Gespräche nicht bekannt ist und auch der Kläger sich hieran nicht zu erinnern vermochte, belegt allein dieser Umstand, dass der Kläger innerhalb der Gruppe eine wesentliche Rolle spielte und nicht lediglich ein Mitläufer war. Denn die Anrufe belegen, dass seine Anwesenheit bei der Tat gewünscht war und dass ihm der Ausgang der Tat mitgeteilt werden sollte.
55 
Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Kläger im Zeitpunkt der Tatbegehung nach der Einschätzung des im strafgerichtlichen Verfahrens herangezogenen Sachverständigen an einer Anpassungsstörung litt. Wie auch das Landgericht U., das dennoch vom Erhalt der Einsichtsfähigkeit ausging und auch eine rechtserhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit ausschloss, geht das Gericht jedoch nicht davon aus, dass diese ihn in seinem bewussten Tatentschluss wesentlich beeinträchtigte.
56 
(2) Die Situation in Syrien und insbesondere in der Gegend um A., woher der Kläger stammt, die den Kläger nachvollziehbarerweise in Sorge um seine Familie versetzte, hat sich auch nicht derart verändert, dass zur Sorge des Klägers kein berechtigter Grund mehr bestünde. Zwar ist die Tante des Klägers nach dessen Angaben bereits bei den Angriffen ums Leben gekommen, seine Mutter und weitere Mitglieder seiner Familie leben allerdings nach wie vor in A.. Die Bombardierung von A. durch die türkische Luftwaffe, die der Tat als Auslöser zugrunde lag, besteht aktuell zwar nicht fort, diese oder eine andere Gefahr für die Familienmitglieder des Klägers dort kann nach Ansicht der Kammer jedoch jederzeit bzw. jedenfalls in absehbarer Zeit wieder entstehen, da sich die Lage dort im Speziellen bzw. in Syrien allgemein keineswegs soweit stabilisiert hat, dass dies vernünftigerweise als ausgeschlossen zu erachten wäre.
57 
(3) Auch der Kläger hat sich nach Ansicht der Kammer nicht derart stabilisiert, dass er auf eine erneute Gefahr für seine in Syrien bzw. A. lebenden Familienmitglieder nicht wieder in ähnlicher Weise reagieren würde.
58 
Soweit der Kläger die erneute Begehung einer ähnlichen Tat kategorisch ausgeschlossen hat, hält das Gericht seine Angaben für wenig überzeugend. Diesbezüglich ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht in vollem Umfang zu seinem Tatbeitrag steht. Während der Kläger gegenüber dem Landgericht U. noch einräumte, dass er K. das Benzin in dem Wissen besorgt habe, dass dieses zu einem Brandanschlag verwendet werden sollte, bestritt er dies in der mündlichen Verhandlung und zog sich - entsprechend der obigen Ausführungen in unglaubhafter Weise - darauf zurück, das Benzin sei allein dazu gedacht gewesen, um eine türkische Fahne in Brand zu setzen. Soweit der Kläger die erneute Begehung einer ähnlichen Tat wiederholt mit der Begründung ausschloss, dass er allein auf seine Arbeit und seine Familie konzentriert sei, vermag dies das Gericht nicht zu überzeugen. Eine Arbeitsstelle hatte der Kläger bereits im Zeitpunkt der Tatbegehung, ohne dass dies ihn an der Tat gehindert hätte. Richtig ist, dass sich die Lebenssituation des Klägers mittlerweile signifikant verändert hat, da er nun verheiratet ist, einen Sohn hat und zusammen mit seiner Ehefrau ein weiteres Kind erwartet. Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger den Unterhalt seiner Familie sichern will und dass dies eine starke Motivation darstellt, straffrei zu leben und eine weitere Inhaftierung zu vermeiden. Dies allein rechtfertigt nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht die Annahme, dass der Kläger sich - wie von ihm dargelegt - nicht erneut an vergleichbaren Taten beteiligen könnte. Denn nach der Überzeugung des Gerichts fehlt es an einer Aufarbeitung der Tat und einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser vollständig und der Kläger hat sich in keiner Weise erkennbar von seiner politischen Überzeugung distanziert. Das Gericht hat bereits erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger - wie von ihm dargestellt - seit seiner Entlassung aus der U-Haft Kontakt zu seinen Mittätern kategorisch unterbindet und sich von jeglichen kurdischen Demonstrationen fernhält. So erachtet das Gericht die Darstellung des Klägers, wie es zu dem Kontakt zu S. und A. am 01.12.2020 gekommen sei, für zweifelhaft. Weiter waren die Ausführungen des Klägers zu seinem Kontakt mit A. nicht konsistent. Zunächst gab der Kläger an, A. habe mehrfach auch über seine Freund versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Er habe diese Kontaktversuche aber stets unterbunden. Dafür, wieso A. wiederholt versucht haben sollte, mit ihm in Kontakt zu treten, konnte der Kläger keine Erklärung liefern. Später räumte er dann ein, er folge A. auf Instagram und es habe eventuell ein Telefonat zwischen ihnen gegeben. Zweifel bestehen auch an der vom Kläger geltend gemachten Abstinenz von kurdischen Demonstrationen. Soweit der Kläger angab, sich am 21.03., dem Tag des Newroz-Fests, rein zufällig mit seiner Familie in U. aufgehalten zu haben und sodann beiläufig dem Ende der Veranstaltung beigewohnt zu haben, überzeugt dies das Gericht allein aufgrund des Stellenwertes des Newroz-Festes für die Kurden nicht. Lebensfern erscheint dem Gericht ferner die Erklärung des Klägers dafür, dass er nach seiner Haftentlassung am 05.05.2019 bei einer kurdischen Demo am 18.10.2019 in U. gesehen wurde. Der Kläger verwies auch diesbezüglich darauf, dass er jedenfalls nicht bewusst an der Demonstration teilgenommen und sich wenn überhaupt rein zufällig vor Ort aufgehalten habe. Selbst wenn der Kläger Kontakt zu seinen Mittätern konsequent unterbinden und keine kurdischen Demonstrationen mehr besuchen sollte, stellt dies allein eine äußerliche Distanzierung dar. An einer inneren Distanzierung fehlt es hingegen völlig. So hat der Kläger keinerlei Behandlung oder Beratung besucht, um das Tatgeschehen aufzuarbeiten. Er ließ auch nicht erkennen, dass er mittlerweile verstanden hätte, dass es falsch war, fremdes Eigentum bzw. sogar unbeteiligte Personen zu gefährden, um ein politisches Zeichen zu setzen. Wenn der Kläger überhaupt Anzeichen für ein Bedauern seines Tuns erkennen ließ, waren diese egoistischer Natur: so räumte der Kläger etwa ein, dass er ohne die Tat mittlerweile bereits die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben könnte. Vor diesem Hintergrund erscheint die vom Kläger wiederholt geäußerte Reue vorgeschoben. Auch die vom Kläger geschilderte Motivation, keinen Kontakt zu seinen Mittätern mehr haben zu wollen, war rein egoistischer Natur. Er wolle keinen Ärger mehr und brauche nun, da er verheiratet sei und eine Familie habe, nicht mehr so viele Freunde wie früher, insbesondere keine ledigen Männer.
59 
(4) Etwas Anderes folgt auch nicht aus den Stellungnahmen der Bewährungs- und Gerichtshilfe und den Ausführungen des Landgerichts U. im Urteil vom 05.04.2019 hinsichtlich der Aussetzung der Vollziehung der Freiheitsstrafe des Klägers zur Bewährung.
60 
Soweit aus den Berichten der Bewährungs- und Gerichtshilfe hervorgeht, dass der Kläger seine Tat bedauere, die Hintergründe der Tat und seine damalige Tatmotivation nicht mehr nachvollziehen könne, mit seiner privaten und familiären Lebenssituation zufrieden sei sowie insbesondere (vgl. Bericht vom 30.06.2022), dass bei ihm keine politisch extremistische Haltung habe festgestellt werden können und dass Rechtfertigungen von Gewaltäußerungen zum Erreichen eigener oder politischer Ziele von ihm nicht geäußert worden seien, wurden diese Umstände vom Gericht berücksichtigt, aber abweichend gewertet. Auch das Gericht geht nicht davon aus, dass der Kläger derzeit eine politisch extremistische Haltung hat, hält es aber für hinreichend wahrscheinlich, dass eine solche im Falle einer - ebenfalls als hinreichend wahrscheinlich zu betrachtenden - Verschlechterung der Lage in Syrien erneut auftritt. Soweit das Landgericht U. die geständige Einlassung des Klägers strafmildernd berücksichtigt hat, hat er sich hiervon - wie ausgeführt - mittlerweile distanziert. Dass es zu keinen nennenswerten Schäden kam und sich die Mittäter auch anderweitig leicht Benzin hätten besorgen können, ist zwar richtig, verringert aber nicht die Wiederholungsgefahr, da beide Umstände letztlich überwiegend dem Zufall geschuldet waren. Das Gericht geht - wie ausgeführt - insbesondere davon aus, dass allein die zeitweilige Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus eine weitere Tatbeteiligung des Klägers verhinderte.
61 
Das Gericht erachtet es - wie dargelegt - für geboten, von der Indizwirkung des Urteils des Landgerichts U. vom 05.04.2019 abzuweichen. Die Ausführungen des Landgerichts U. betreffen allein die strafrechtliche Prognose der Legalbewährung und stehen der vom Gericht getroffenen öffentlich-rechtlichen Gefahrenprognose somit nicht per se entgegen.
62 
2. Da das Gericht die nachträgliche Abschiebungsandrohung - wie noch auszuführen sein wird - für rechtswidrig erachtet, sind Bleibeinteressen im engeren Wortsinne (des § 54 AufenthG) nicht zu berücksichtigen. Dies folgt daraus, dass auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung möglich ist, weil ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht und eine Beeinträchtigung möglicher Bleibeinteressen daher nicht konkret droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, Rn. 28, juris). In der Folge ist - da es sich nach Aufhebung der Abschiebungsandrohung faktisch um eine inlandsbezogene Ausweisung handelt - nur das Interesse des Klägers zu berücksichtigen, ausländerrechtliche Folgewirkungen der Ausweisung zu vermeiden, etwa Aufenthaltsbeschränkungen und Meldeauflagen (vgl. § 56 AufenthG; vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, Rn. 130, juris).
63 
Selbst wenn - trotz der Rechtswidrigkeit der nachträglichen Abschiebungsandrohung - eine fiktive Ausreise des Klägers unterstellt und Bleibeinteressen im engeren Wortsinne berücksichtigt würden (so VG Sigmaringen, Urteile vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 - und vom 28.03.2022 - 9 K 2999/20 -, jeweils n.v.), könnte der Kläger sich allenfalls auf ein schwerwiegendes Bleibeinteresse gem. § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG berufen. Die Voraussetzungen für das Vorliegen der besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen nach § 55 Abs. 1 Nr. 2, 3 und Nr. 4 AufenthG sind hingegen nicht erfüllt. Die erstmals am 07.08.2014 erteilte Aufenthaltserlaubnis ist mit Ablauf des 28.05.2019 erloschen, und ein Anspruch auf Verlängerung besteht - wie noch darzulegen sein wird - nicht, sodass der volljährige Kläger sich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der Ausweisungsentscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 -, Rn. 24, juris) nicht im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthG auf den „Besitz“ einer Aufenthaltserlaubnis berufen konnte. Auch die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sind nicht erfüllt, da weder die Ehefrau des Klägers noch sein Sohn die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG sind hingegen erfüllt, da der Kläger - ausweislich der vorgelegten Urkunden über die Vaterschaftsanerkennung und die gemeinsame elterliche Sorge - sein Personensorgerecht für seinen Sohn ausübt und dieser sich aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis auch rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.
64 
3. Die gebotene Abwägung der betroffenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen fällt - auch unter Anwendung des für den Kläger günstigsten Maßstabs - vorliegend zulasten des Klägers aus.
65 
a) § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Insbesondere ist der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe – etwa auch solche rechtlicher Art – ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren. Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso wie eine „mathematische" Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (vgl. VGH Baden–Württemberg, Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 - Rn. 30; Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 - Rn. 142, jeweils juris). In die Abwägung sollen insbesondere folgende vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten, nicht abschließenden, Kriterien einbezogen werden: Art und Schwere der Straftat, Dauer des Aufenthalts im Gastland, seit der Tatzeit verstrichene Zeitspanne und Verhalten des Ausländers in dieser Zeit, Staatsangehörigkeit der Betroffenen, familiäre Situation und Dauer einer etwaigen Ehe, etwaige Kenntnis des Ehegatten von der Straftat bei Aufnahme der Beziehung, etwaige aus der Ehe hervorgegangene Kinder, ihr Alter und das Maß an Schwierigkeiten, denen der Ehegatte und/oder die Kinder im Abschiebezielland begegnen können, sowie die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Abschiebezielland (vgl. BT–Drs. 18/4097, S. 49 f.; EGMR, Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 -, NVwZ 2007, 1279; Urteil vom 21.03.2007 - 1683/03 -, InfAuslR 2007, 221 –, Urteil vom 23.06.2008 - 1683/03 -, InfAuslR 2008, 333 –; Urteil vom 12.01.2010 - 47486/06 -, InfAuslR 2010, 369).
66 
b) Ausgehend von diesen Maßstäben überwiegt das öffentliche Ausweisungsinteresse das Interesse des Klägers an der Vermeidung der ausländerrechtlichen Folgewirkungen der Auswirkung, hilfsweise auch die festgestellten Bleibeinteressen des Klägers. Die ausländerrechtlichen Folgen der Ausweisung hat sich der Kläger, der in der Vergangenheit über einen Aufenthaltstitel verfügte, selbst zuzuschreiben und das Gericht erkennt nicht, dass und inwiefern mögliche ausländerrechtliche Folgen für den Kläger unzumutbar sein sollten. Auch das festgestellte schwerwiegende Bleibeinteresse des Klägers weist kein mit dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse vergleichbares Gewicht auf. Dies ergibt sich bereits indiziell daraus, dass dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse (allenfalls) ein normiertes schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenübersteht. Dies ergibt sich weiter auch aus den Umständen des Einzelfalls. Das Gericht verkennt nicht, dass eine hypothetische Rückkehr des Klägers nach Syrien dazu führen könnte, dass es zu einer Trennung von seiner Ehefrau und seinem Sohn kommt, welche sich aufgrund ihrer Aufenthaltserlaubnisse weiterhin in der Bundesrepublik aufhalten dürften. Das Gericht verkennt weiter nicht, dass der Sohn des Klägers aufgrund seines Alters in besonderem Maß auf die körperliche Anwesenheit seines Vaters angewiesen ist und sich der Kontakt schwerlich aus der Ferne (etwa durch (Video-)Anrufe oÄ) aufrechterhalten lässt. Allerdings stellt sich eine Rückkehr des Klägers nach Syrien - wie noch auszuführen sein wird - derzeit als äußerst unwahrscheinlich dar, während die Gefahr, dass der Kläger erneut vergleichbare und schwerwiegende Straftaten begeht - wie ausgeführt - hoch erscheint. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Ehefrau des Klägers und sein Sohn den Kläger aufgrund ihrer syrischen Staatsangehörigkeit im Fall seiner hypothetischen Rückkehr nach Syrien dort problemlos besuchen könnten. Es liegen auch keine nennenswerten ungeschriebenen Bleibeinteressen des Klägers vor. Denn bis auf seine Familienangehörigen weist der Kläger keine nennenswerten verfestigten Beziehungen im Bundesgebiet auf. Die von ihm begangene Beihilfe zur Brandstiftung überschattet jedenfalls seine schwachen integrativen Leistungen und lässt aufgrund der auch sonst ungünstigen Umstände (latente extremistische politische Ansichten) erwarten, dass er in Zukunft straffällig werden wird. Demgegenüber ist der Kläger in Syrien geboren, wuchs dort auf und wurde dort sozialisiert. Seine wesentliche Prägung und Entwicklung hat er im Ausland erfahren. Es erscheint möglich und zumutbar, dass er sich im Fall einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien dort eine Existenz aufbauen kann, zumal seine Mutter und weitere Familienangehörigen noch dort leben. Vor diesem Hintergrund ist die Ausweisung des Klägers verhältnismäßig.
67 
4. Dem Kläger kommt kein besonderer Ausweisungsschutz gemäß § 53 Abs. 3b AufenthG zu. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer, der die Rechtsstellung eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, nur ausgewiesen werden, wenn er eine schwere Straftat begangen hat oder er eine Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
68 
a) Der Kläger dürfte sich schon deshalb nicht auf die Vorschrift des § 53 Abs. 3b AufenthG berufen können, weil er nicht mehr subsidiär Schutzberechtigter ist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den ihm zuerkannten subsidiären Schutzstatus mit Bescheid vom 04.09.2019 zurückgenommen. Die Rücknahme entfaltet aufgrund der Regelung des § 75 Abs. 2 S. 2 AsylG ihre rechtlichen Wirkungen, obwohl der Kläger hiergegen Klage erhoben hat, welche Gegenstand des Verfahrens A 2 K 4148/19 ist. Nach der genannten Vorschrift hat eine Klage gegen die Rücknahme der Gewährung subsidiären Schutzes wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Das ist hier der Fall. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat die Rücknahme auf § 4 Abs. 2 AsylG gestützt. Nachdem der Kläger sich gegen diesen Bescheid nicht im Eilrechtsschutz zur Wehr gesetzt hat, ist die Vollziehung der Rücknahme nicht gehemmt und daher zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beachtlich. An dieser Rechtslage ändert auch der Umstand, dass der Kläger im Asylverfahren - nach der Einstellung des Verfahrens gem. § 81 AsylG durch Beschluss vom 16.03.2022 - die Fortsetzung des Verfahrens beantragt hat, nichts. Denn ein Fortsetzungsantrag führt zwar dazu, dass die ursprüngliche Klage bis zur unanfechtbaren Entscheidung über den Fortsetzungsrechtsstreit weiterhin aufschiebende Wirkung entfaltet, soweit diese Kraft Gesetz bestand (BeckOK AuslR/Neundorf, 34. Ed. 1.1.2021, AsylG § 81 Rn. 11). Wie ausgeführt entfaltete die Klage des Klägers jedoch gem. § 75 Abs. 2 Satz 2 AsylG von Anfang an keine aufschiebende Wirkung.
69 
b) Unabhängig hiervon sind auch die materiellen Voraussetzungen des § 53 Abs. 3b AufenthG erfüllt.
70 
aa) Die Vorschrift des § 53 Abs. 3b AufenthG knüpft an die Regelungen der Art. 16 und 17 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes an (Qualifikationsrichtlinie, im Folgenden: QRL) (BT-Drs. 17/13063 S. 23) an. Art. 17 Abs. 1 lit. b) und lit. d) QRL enthält nahezu wortgleich die Voraussetzungen, die auch Gegenstand der nationalen Regelung sind. Die Begriffe der „schweren Straftat“ und der „Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit des Mitgliedsstaats“ werden indes weder vom Aufenthaltsgesetz noch von der Qualifikationsrichtlinie definiert.
71 
bb) Nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Regelung des Art. 17 Abs. 1 lit. b) QRL – danach ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat – ist ihr Sinn darin zu sehen, dass sich Personen in diesen Fällen des Schutzes als unwürdig erwiesen haben. Dem Strafmaß, welches das Gericht eines Mitgliedstaates für die Tat ausgesprochen hat, kommt eine gehobene, aber nicht ausschließliche Bedeutung bei der Beurteilung der „Schwere“ der Straftat zu. In jedem Fall ist eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich. Als Kriterien können unter anderem die Art der Straftat, die verursachten Schäden, die Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens oder der Umstand herangezogen werden, ob die fragliche Straftat in den anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen wird (EuGH, Urteil vom 13.09.2018 - C-369/17 -, Rn. 45 ff., juris). Der Ausschlusstatbestand ist dabei nicht gefahren- oder präventionsabhängig konzipiert. Die allein aus der Begehung einer schweren Straftat folgende Unwürdigkeit führt zu einem dauerhaften Ausschluss von einem qualifizierten Aufenthaltstitel und besteht auch dann fort, wenn keine Wiederholungsgefahr zu erwarten ist und von dem Ausländer keine aktuellen Gefahren für den Aufenthaltsstaat ausgehen (vgl. zu der ähnlich lautenden Vorschrift des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 AufenthG, BVerwG, Urteil vom 25.03.2015 – 1 C 16.14 –, Rn. 29, juris m.w.N.).
72 
Was den Ausschlusstatbestand des Art. 17 Abs. 1 lit. d) QRL angeht, welcher eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit des Mitgliedstaats erfordert, spricht ausgehend vom gesetzgeberischen Willen, die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus anzugleichen (siehe etwa Erwägungsgründe 13 und 39 der Richtlinie), viel für eine Auslegung, die sich an den ähnlich lautenden Ausschlusstatbestand des Art. 14 Abs. 4 QRL anlehnt. Die für diesen Ausschlusstatbestand erforderliche Gefahr für die Allgemeinheit muss – im Gegensatz zur „schweren Straftat“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b) QRL – mit Blick auf die Zukunft weiterhin bestehen. Hintergrund der Regelung ist insoweit nicht, dass sich der Ausländer des subsidiären Schutzes als „unwürdig“ erwiesen hat, sondern dass es dem Empfängerstaat nicht zuzumuten ist, einem gefährlichen Ausländer Schutz zu gewähren. Für die Beurteilung, ob eine Gefahr für die Allgemeinheit vorliegt, ist dabei eine zukunftsgerichtete Prognose anzustellen. Von dem Ausländer muss zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen. Eine solche Gefahr liegt vor, wenn in Zukunft neue vergleichbare Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen (zum Ganzen: VG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2019 - 12 K 6087/19.A -, Rn. 64, juris; VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 21.10.2020 - 7 K 2047/20 -, Rn. 49 – 53, juris jeweils m. w. N.).
73 
cc) Ausgehend von diesen Maßgaben rechtfertigen die bereits getroffenen Feststellungen das Vorliegen auch der erhöhten Ausweisungsvoraussetzungen einer „Gefahr für die Allgemeinheit“ im Sinne des § 53 Abs. 3b AufenthG. Hierzu wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zur Würdigung der Tat und der Prognose einer Wiederholungsgefahr verwiesen (siehe oben I. 1. c)). Es spricht - entsprechend der obigen Ausführungen zur Wiederholungsgefahr - zwar viel dafür, dass auch die vom Kläger verübte Tat die Voraussetzungen einer „schweren Straftat“ erfüllt. Letztlich kann die Frage jedoch offenbleiben und es bedarf somit keiner vertieften Auseinandersetzung mit der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage, ob nicht nur der von den Tätern verübte Brandanschlag, der vom Landgericht U. mit Urteil vom 05.04.2019 als versuchter Mord (§ 211 Abs. 2, 2. Gruppe, 1. Alternative, 2. Gruppe, 3. Alternative StGB) gewertet wurde, sondern gerade auch die vom Kläger verübte Tat (Beihilfe zur versuchten Brandstiftung) entsprechend der obigen Maßgaben eine „schwere Straftat“ darstellt.
74 
5. Die Ausweisungsverfügung – welche aufgrund der aufgehobenen Rückkehrentscheidung in Form einer Abschiebungsandrohung (siehe unten III.) eine „inlandsbezogene Ausweisung“ darstellt – ist mit den Vorgaben der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie, im Folgenden: RFRL) vereinbar.
75 
Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat diesbezüglich ausgeführt (Urteil vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 -, n.v.):
76 
„a) Die Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG und dessen Rechtsfolgen stehen nicht unmittelbar im Widerspruch mit den Regelungen der Rückführungsrichtlinie. Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 RFRL sieht vor, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich gegen alle Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung erlassen, die nicht oder nicht mehr die Voraussetzungen erfüllen, in einen Mitgliedstaat einzureisen oder sich dort aufzuhalten. Die Regelung in Art. 3 Nr. 4 RFRL definiert eine Rückkehrentscheidung als behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit welcher der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Nach nationalem Verständnis erfüllt eine Abschiebungsandrohung gemäß § 59 AufenthG die Funktion einer Rückkehrentscheidung im Sinne der genannten Vorschriften und muss daher die Garantien der Rückführungsrichtlinie beachten. Dahingegen stellt eine Ausweisungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 AufenthG keine solche Rückführungsentscheidung dar, da sie lediglich die Legalität des Aufenthalts des Ausländers beendet (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 50 Abs. 1 AufenthG) und – mittelbar über das nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG zwingend anzuordnende Einreise- und Aufenthaltsverbot – eine Verfestigung des Aufenthalts verhindern soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 2019 – 1 C 14.19 –, juris Rn. 30 ff.). Eine Ausweisungsentscheidung fällt damit nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie und muss sich damit nicht unmittelbar an deren Vorgaben messen lassen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2021 – 12 S 2505/20 –, juris Rn. 146).
77 
b) Eine inlandsbezogene Ausweisung ist auch nicht deshalb mit den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie unvereinbar, weil sie nach nationalem Recht dazu führt, dass der betroffene Ausländer in einen „Zwischenstatus“ ohne legalen Aufenthalt, aber ohne eine Rückkehrentscheidung fallen könnte.
78 
Nach der zu Art. 6 RFRL ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union müssen die Mitgliedstaaten aufgrund dieser Vorschrift prüfen, ob sie illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel erteilen; tun sie dies nicht, so müssen sie gegen diesen eine Rückkehrentscheidung erlassen. Hieraus folgert der EuGH, dass es dem Gegenstand der Rückführungsrichtlinie als auch dem Wortlaut von Art. 6 RFRL zuwiderläuft, das Bestehen eines Zwischenstatus von Drittstaatsangehörigen zu dulden, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung und ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats befinden und gegebenenfalls einem Einreiseverbot unterliegen, gegen die aber keine wirksame Rückkehrentscheidung mehr besteht. Dies soll auch für solche Drittstaatsangehörige gelten, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten, die aber nicht abgeschoben werden können, weil der Grundsatz der Nichtzurückweisung dem entgegensteht (EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 – C-546/19 „BZ“ –, juris Rn. 55 ff.). Ausgehend hiervon könnte eine Ausweisungsverfügung deshalb mit Art. 6 Abs. 1 RFRL unvereinbar sein, weil sie mittelbar über das nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG zwingend anzuordnende Einreise- und Aufenthaltsverbot zu einer Titelerteilungssperre führt (§ 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG) und in Fällen, in denen keine Abschiebungsandrohung erlassen wird oder werden kann, dazu führt, dass der Ausländer aufgrund der Titelerteilungssperre sich allenfalls geduldet (§ 60a AufenthG) im Bundesgebiet aufhalten darf (andeutend Fleuß, in: BeckOK Ausländerrecht, 31. Edition 01.07.2021, § 53 AufenthG Rn. 6, siehe hierzu auch Bauer/Hoppe, NVwZ 2021, 1207).
79 
Das Gericht hält es im vorliegenden Fall jedoch nicht für erforderlich, die Vorschrift des § 53 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf die oben geschilderten unionsrechtlichen Maßgaben unangewendet zu lassen. Dies folgt zum einen daraus, dass Art. 6 RFRL die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, und dies aus kompetenzrechtlichen Gründen auch nicht kann. Die Rückführungsrichtlinie beruht auf Art. 63 Nr. 3 lit. b) EGV, der einwanderungspolitische Maßnahmen in den Bereichen illegale Einwanderung und illegaler Aufenthalt, einschließlich der Rückführung solcher Personen, die sich illegal im Mitgliedstaat aufhalten, vorsieht. Kompetenziell erfasst diese Regelung gesetzgeberische und operative Maßnahmen zur Unterbindung der illegalen Einwanderung ebenso wie inhaltliche Vorgaben zur Beendigung des illegalen Aufenthalts, wenn Drittstaatsangehörige sich unrechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten; die Regelungsbefugnis zum illegalen Aufenthalt umfasst auch die Abschiebung und Rückführung. Ausgehend von dieser Kompetenznorm sieht die Rückführungsrichtlinie keine Regelungen zur Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2021 – 12 S 2505/20 – , juris Rn. 141 ff. m. w. N.). Ebenso ist die Richtlinie nicht auf die Kompetenznorm des Art. 63 Nr. 3 lit. a) EGV (jetzt: Art. 79 Abs. 2 lit. a) AEUV) gestützt, welche unter anderem Regelungen zu materiellen Aufenthaltsrechten ermöglicht (vgl. Thym, in: BeckOK Ausländerrecht, 31. Edition 01.07.2020, Art. 79 AEUV Rn. 9). Mit anderen Worten dürfte die Rückführungsrichtlinie die Mitgliedstaaten nicht zwingen, einem Ausländer in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung allein deshalb eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, weil er nicht auf absehbare Zeit abgeschoben werden kann (ähnlich Kluth, Die Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH zur EU-Rückführungsrichtlinie auf das Rechtsinstitut der Duldung nach dem Aufenthaltsgesetz, ZAR 2021, 416).
80 
Zum anderen verlangt der Anwendungsvorrang der einschlägigen Vorschriften der Rückführungsrichtlinie nicht, dass in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung die Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG unterbleiben muss. Eine hierfür erforderliche Kollision der nationalen und unionsrechtlichen Vorschriften (ausführlich hierzu Ruffert, in: Calliess/Ruffert, 6. Auflage 2022, Art. 1 AEUV Rn. 22) besteht nicht. Wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt, führt eine Ausweisung als solche nicht zu Rechtsfolgen, die mit der Rückführungsrichtlinie unvereinbar sind. Im Übrigen – und zwar soweit der Erlass eines nach nationalem Recht zwingend anzuordnenden Einreise- und Aufenthaltsverbots mit unionsrechtlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren ist (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 – C-546/19 „BZ“ –, juris Rn. 60, siehe unten IV.) – kann die Effektivität der Rückführungsrichtlinie dadurch gewährleistet werden, dass in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung allein die Vorschrift des § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG unangewendet bleibt.“
81 
Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht nach eingehender eigener Überprüfung vollumfänglich an.
82 
Nach alledem ist die Ausweisungsverfügung in Ziffer 1 des Bescheids vom 08.06.2021 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 28.06.2022 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
83 
II. Die mit Ergänzungsbescheid vom 28.06.2022 nachträglich erlassene Abschiebungsandrohung ist dagegen rechtswidrig (so im Ergebnis auch VG Sigmaringen, Urteile vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 - und vom 28.03.2022 - 9 K 2999/20 -).
84 
Anlass für den vom Beklagten erlassenen Ergänzungsbescheid war die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 03.06.2021 - C546/19 „BZ“-, juris), wonach die RFRL dahingehend auszulegen ist, dass sie der Aufrechterhaltung eines von einem Mitgliedstaat gegen einen Drittstaatsangehörigen verhängten Einreise- und Aufenthaltsverbots entgegensteht, wenn nicht auch eine gegen den Drittstaatsangehörigen gerichtete Rückkehrentscheidung des Mitgliedstaats vorliegt. Um eine Aufhebung des ohne gleichzeitige Rückkehrentscheidung rechtswidrigen Einreise- und Aufenthaltsverbots zu vermeiden, sah sich der Beklagte gezwungen, der Rechtsprechung des EuGH durch den Erlass der nachträglichen Abschiebungsandrohung nachzukommen. Soweit der Beklagte damit argumentiert, dass der EuGH (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 „BZ“ -, Rn. 59, juris) und der Generalanwalt (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 10.02.2021 in der Rechtssache C-546/19, Rn. 87, juris) in einer Konstellation wie der hier gegebenen eine Rückkehrentscheidung für zulässig ansehen und darauf verweisen, dass es aus Sicht des Unionsrechts als ausreichend zu erachten sei, die Rückkehrentscheidung „auszusetzen“ (Generalanwalt) bzw. „die Abschiebung [des Drittstaatsangehörigen] in Vollstreckung dieser Entscheidung aufzuschieben“, könnte dies für die europarechtliche Zulässigkeit einer Abschiebungsandrohung sprechen. Allerdings hat der EuGH in seinem ebenfalls zur RFRL ergangenen Urteil vom 14.01.2021 (- C-441/19 -, Rn 80 f., juris) entschieden, dass eine Abschiebung innerhalb „kürzester Frist“ durchzuführen ist, und eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden darf, wenn der Betroffene anschließend nicht abgeschoben werden soll.
85 
Die Kammer lässt ausdrücklich offen, ob die hier ergangene Abschiebungsandrohung mit Europarecht vereinbar ist. Denn die Umsetzung der Rückkehrentscheidung unterliegt dem nationalen Recht des Mitgliedstaats, und die vorliegende Umsetzung des Beklagten ist nach deutschem Recht rechtswidrig.
86 
Rechtliche Grundlage der angefochtenen Abschiebungsandrohung ist die Vorschrift des § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach ist eine Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Die Abschiebungsandrohung ist nach der Systematik des nationalen Ausländerrechts eine vorbereitende Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung und knüpft an die gesetzliche Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 und 2 AufenthG an. Sie verfolgt den Zweck, den betroffenen Ausländer auf seine Ausreisepflicht hinzuweisen, ihn vor einer möglichen Abschiebung zu warnen und ihm zu ermöglichen, seine persönlichen Angelegenheiten zeitnah zu ordnen und die freiwillige Ausreise vorzubereiten (zum Ganzen: Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 59 AufenthG Rn 2 ff.). Eine Abschiebungsandrohung ist daher rechtswidrig, wenn feststeht, dass die zwangsweise Abschiebung ebenso wie eine freiwillige Rückkehr in den bestimmten Zielstaat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich ist (vgl. Huber/Mantel AufenthG/Gordzielik, 3. Aufl. 2021, AufenthG § 59 Rn 20, unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 10.07.2003 - 1 C 21.02 -, juris).
87 
Hier sind sowohl die gesetzte Ausreisefrist wie auch die Abschiebungsandrohung als solche rechtswidrig.
88 
Die Ausreisefrist, die den Zweck hat, dem Ausländer eine ausreichende Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise, zur Einlegung von Rechtsmitteln, zur Geltendmachung von Abschiebungshindernissen und zur „Abwicklung“ seiner persönlichen und beruflichen Lebensverhältnisse zu geben, muss hinreichend klar, d.h. für den Adressaten leicht und eindeutig verstehbar übermittelt werden. Er muss insbesondere erkennen, ab wann er mit einer Abschiebung zu rechnen hat (BeckOK AuslR/Kluth, AufenthG (33. Edition; Stand 01.04.2022), § 59 Rn. 18; GK-AufenthG/Funke-Kaiser, § 59, Rn. 101 f.; Haedicke, HTK-AuslR / Stand: 25.09.2020 / § 59 AufenthG / zu Abs. 1 / Rn. 27). Diesen Maßgaben wird die vorliegende Ausreisefrist nicht gerecht, denn sie begann mit Bekanntgabe der Abschiebungsandrohung zu laufen, während es - wie noch auszuführen sein wird - völlig offen ist, ob und ggf. wann der Kläger nach Syrien abgeschoben werden kann. Nicht vergleichbar ist die vorliegende Konstellation mit der, in der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Ausreisefrist von einer Woche ab Bekanntgabe seiner Entscheidung erlassen hat, welche nicht im Einklang mit Unionsrecht steht (vgl. EuGH, Urteil vom 19.06.2018 - C-181/16 „Gnandi“ -, juris), und das Bundesamt in Reaktion darauf und höchstrichterlich gebilligt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2020 - 1 C 19.19 -, juris) die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und auch den Lauf der Ausreisefrist bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt hat bzw. nach wie vor aussetzt. Denn in der „Gnandi-Konstellation“ geht das Bundesamt davon aus, dass eine Abschiebung in den Herkunftsstaat grundsätzlich möglich ist, wobei die Aussetzung nur dazu dient, den Aufenthalt bis zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu sichern.
89 
Da die Rechtswidrigkeit der Ausreisefrist nicht zwingend zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung im Ganzen führt (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.04.2001 - 9 C 22.00 -, juris), ist auch auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einzugehen, welche ebenfalls Rechtsfehler erkennen lässt. Denn die vorliegende Abschiebungsandrohung ist mit dem gesetzlichen Zweck der Abschiebungsandrohung nicht vereinbar. Zwar steht dem Erlass der Androhung das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Sofern allerdings die konkrete Abschiebungsandrohung ihren Zweck, den Kläger zu warnen und ihm ausreichend Zeit für eine freiwillige Ausreise zu gewähren, gleichwohl auf Dauer, jedenfalls auf unabsehbare Zeit nicht erfüllen kann, ergibt eine Abschiebungsandrohung keinen Sinn und ist ausschließlich geeignet, die Betroffenen in Verwirrung zu stürzen. In solchen Fällen ist die Vorschrift teleologisch zu reduzieren, und es ist vom Erlass einer Abschiebungsandrohung abzusehen (GK-AufenthG/Funke-Kaiser, § 59, Rn. 60).
90 
So liegt der Fall hier. Nach Auffassung des Gerichts kann derzeit nicht hinreichend sicher prognostiziert werden, ob und ggf. wann das zugunsten des Klägers vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellte und auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gestützte Abschiebungsverbot hinsichtlich Syrien widerrufen werden wird. An die im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wirksame Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist die Ausländerbehörde gemäß § 42 Satz 1 AsylG derzeit gebunden. Das Gericht verkennt nicht, dass das Regierungspräsidium Tübingen in seinem Ergänzungsbescheid vom 28.06.2022 substantiiert zur Lage in Syrien ausführt und darlegt, dass die Lage in der Hauptstadt Damaskus und in der Küstenregion von Tartus (S. 7 f.) sich zwischenzeitlich soweit gebessert habe, dass diese beiden Regionen nicht mehr als generell unsicher einzustufen seien. Nicht dargelegt und auch im Übrigen nicht ersichtlich ist hingegen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diese Rechtsauffassung teilt. Auch unabhängig von der bindenden Feststellung des Bundesamts ist nach Auffassung des Gerichts die Situation in Syrien nach wie vor zu volatil ist, als dass diesbezüglich hinreichend belastbare Prognosen für die nähere Zukunft getroffen werden könnten. Damit unterscheidet sich die vorliegende Konstellation von der bereits erwähnten, vom Bundesamt praktizierten Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung, in der der Zeitpunkt des Endes der Aussetzung der Vollziehung (Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht) von Fall zu Fall und von Gericht zu Gericht zwar ebenfalls gewissen zeitlichen Schwankungen unterliegen mag, insgesamt jedoch hinreichend absehbar ist.
91 
Im Übrigen begegnet auch rechtlichen Bedenken, dass hier derselbe Staat (Syrien) zugleich als Zielstaat der Abschiebung (vgl. § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) und als Staat, in den nicht abgeschoben werden darf (vgl. § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) benannt wird. Auch dies ist geeignet, den Betroffenen in Verwirrung zu stürzen. Jedenfalls die Zielstaatsbezeichnung Syrien ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtswidrig und aufzuheben, da diesbezüglich ein Abschiebungsverbot (mit der dargelegten Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylG) besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.09.2007 - 10 C 8.07 -, Rn. 18, juris). Ein anderer Zielstaat der Ausreise oder Abschiebung ist weder ersichtlich noch vom Beklagten vorgetragen worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine isolierte Aufhebung der Zielstaatsbezeichnung schon deshalb ausscheidet, weil die verbleibende Abschiebungsandrohung ohne Zielstaatsbezeichnung mit der RFRL unvereinbar wäre (vgl. VG Freiburg, Urteil vom 13.04.2022 - 7 K 2089/20 -, Rn. 41 ff., juris). Jedenfalls verbliebe im Falle einer isolierten Aufhebung der Zielstaatsbezeichnung im vorliegenden Fall lediglich eine Abschiebungsandrohung, die - wie oben ausgeführt - auf unabsehbare Zeit nicht vollzogen werden und ihren Zweck nicht erfüllen kann. Daher ist hier die Abschiebungsandrohung insgesamt aufzuheben.
92 
III. Da es somit an einer Rückkehrentscheidung in Form einer Abschiebungsandrohung gegen den Kläger fehlt, verstößt das mit Ziffer 2 des Bescheids vom 06.08.2020 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 11.03.2022 verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 „BZ“ -, a.a.O.) gegen Unionsrecht und ist somit aufzuheben.
93 
IV. Die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 08.06.2021 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 28.06.2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO. Er hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
94 
Unabhängig davon, auf welche konkrete Anspruchsgrundlage aus Abschnitt 5 (§§ 22 - 26 AufenthG) er sich beruft – in Betracht käme aufgrund des zu seinen Gunsten festgestellten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK insbesondere die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage des § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG oder auf Grundlage des § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG sowie ggf. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG –, steht einem Anspruch entgegen, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG vorliegend nicht erfüllt sind. Es liegt bereits ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor (siehe oben), das der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegensteht. Angesichts der angenommenen Wiederholungsgefahr und den im Vergleich dazu schwächer ausgeprägten Bleibeinteressen bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen vom Regelfall abweichenden Sachverhalt (zu den hier zu berücksichtigenden Umständen vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, Rn. 15, juris m.w.N.). Zusätzlich dürften auch die Ausschlussgründe des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG vorliegen, deren Voraussetzungen mit denen des § 53 Abs. 3b AufenthG vergleichbar sind und zu denen sich das Gericht bereits oben geäußert hat. Dass die Ausschlussgründe des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG erfüllt sind, steht auch der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG entgegen, da die Spezialität des § 25 Abs. 3 AufenthG nicht dadurch unterlaufen werden darf, dass auf das allgemeine Gesetz zurückgegriffen wird (vgl. Zeitler, HTK-AusIR (Stand: 20.03.2022) / § 25 AufenthG / Abs. 5 / Rn. 23).
95 
Auch einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen (§§ 29, 30 AufenthG) steht das bestehende Ausweisungsinteresse und somit § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen. Die Möglichkeit eines Absehens von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen besteht allein hinsichtlich § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (vgl. § 29 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AufenthG).
96 
Nach alledem hat die Klage im tenorierten Umfang Erfolg.
97 
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO. Danach sind die Kos-ten verhältnismäßig zu teilen, wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt. Der Kläger unterliegt, soweit er sich gegen die Ausweisung und die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wehrt. Der Beklagte unterliegt in Bezug auf die von ihm verfügte Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot. Der Kläger erreicht nicht sein vorrangiges Ziel, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet dauerhaft zu legalisieren. Andererseits kann er sich mit Erfolg gegen Anordnungen zur Wehr setzen, die eine Beendigung und Verfestigung seines Aufenthalts verhindern sollten. Angesichts dieser Interessenlage hält das Gericht eine Kostenaufhebung für angemessen.
98 
VI. Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 124a Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
99 
Eine Sache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.10.2005 - 12 S 1558/05 -, Rn. 11, juris).
100 
Das ist hier der Fall. Die entscheidungserhebliche Frage, ob und inwieweit inlandsbezogene Ausweisungen europarechtskonform verfügt werden können, ist vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 03.06.2021 in der Sache C-546/19 „BZ“ bislang ungeklärt und stellt sich in einer Vielzahl weiterer vergleichbarer Fälle, insbesondere bei syrischen Staatsangehörigen, die sich nach derzeitiger Rechtspraxis zumindest auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG berufen können und auf absehbare Zeit faktisch nicht abgeschoben werden können. Ebenso ist ungeklärt, ob eine Abschiebungsandrohung erlassen werden kann, wenn der betreffende Ausländer zum maßgeblichen Zeitpunkt (und auf unabsehbare Zeit) aufgrund eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in den einzigen realistischerweise in Betracht kommenden Staat nicht abgeschoben werden kann.

Gründe

 
39 
Die zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Der Kläger setzt sich ohne Erfolg gegen seine Ausweisung (dazu I.) und die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung seiner Aufenthaltserlaubnis (IV.) zur Wehr. Dagegen erweisen sich die (nachträglich) verfügte Abschiebungsandrohung (dazu II.) und die Anordnung und Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots (III.) als rechtswidrig und sind daher aufzuheben.
40 
I. Die in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 08.06.2021 in Gestalt dessen Ergänzungsbescheids vom 28.06.2022 enthaltene Verfügung, wonach der Kläger aus dem Bundesgebiet ausgewiesen wird, ist zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (s. nur BVerwG, Urteil vom
41 
15.11.2007 - 1 C 45.06 -, Rn. 13; Urteil vom 27.07.2017 - 1 C 28.16 -, Rn. 16, jeweils juris) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
42 
Ermächtigungsgrundlage dieser Anordnung ist § 53 Abs. 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift wird ein Ausländer, dessen Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland gefährdet, ausgewiesen, wenn die unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles vorzunehmende Abwägung der Interessen an der Ausreise mit den Interessen an einem weiteren Verbleib des Ausländers im Bundesgebiet ergibt, dass das öffentliche Interesse an der Ausreise überwiegt. Bei der Abwägung sind nach den Umständen des Einzelfalles insbesondere die Dauer seines Aufenthalts, seine persönlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Bindungen im Bundesgebiet und im Herkunftsstaat oder in einem anderen zur Aufnahme bereiten Staat, die Folgen der Ausweisung für Familienangehörige und Lebenspartner sowie die Tatsache, ob sich der Ausländer rechtstreu verhalten hat, zu berücksichtigen (§ 53 Abs. 2 AufenthG).
43 
Die vom Regierungspräsidium Tübingen verfügte Ausweisung des Klägers ist mit diesen gesetzlichen Vorgaben vereinbar. Der Kläger stellt eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar (dazu 1.). Den durch ihn verwirklichten besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteressen stehen je nach Betrachtungsweise ein allenfalls schwaches Bleiberechtsinteresse bzw. schwerwiegende Bleibeinteressen gegenüber (dazu 2.), sodass sich die Ausweisung auch nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls als verhältnismäßig erweist (dazu 3.). Der besondere Ausweisungsschutz nach § 53 Abs. 3b AufenthG steht der Ausweisung nicht entgegen (dazu 4.). Die Ausweisung ist schließlich mit unionsrechtlichen Vorgaben vereinbar (dazu 5.).
44 
1. Die vom Kläger begangenen erheblichen Straftaten, seine damit zum Ausdruck gekommene Persönlichkeit und seine sonstigen prägenden persönlichen Umstände lassen befürchten, dass er auch in Zukunft erhebliche Straftaten begehen wird.
45 
a) Nach den im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht entwickelten Grundsätzen liegt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Sinne des § 53 Abs. 1 AufenthG vor, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch die weitere Anwesenheit des Ausländers im Bundesgebiet ein Schaden an einem der betroffenen Schutzgüter eintreten wird (BVerwG, Urteil vom 22.02.2017 - 1 C 3.16 - Rn. 23, juris). An die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts sind umso geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist
46 
(vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 04.10.2012 - 1 C 13.11 -, juris). Bei der Prüfung der Wiederholungsgefahr haben die Verwaltungsgerichte bei spezialpräventiven Ausweisungsentscheidungen eine eigenständige Prognose zu treffen (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.01.2013 - 1 C 10.12 - Rn. 18, juris). Bei dieser Prognoseentscheidung sind die besonderen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Höhe der verhängten Strafe, die Schwere der konkreten Straftat, die Umstände ihrer Begehung und das Gewicht des bei einem Rückfall bedrohten Rechtsguts, aber auch die Persönlichkeit des Täters, seine Entwicklung und Lebensumstände (BVerwG, Beschluss vom 16.11.2000 - 9 C 6.00 - Rn. 16, juris). Dabei gelten nicht an Resozialisierungsgesichtspunkten, sondern an strengeren Kriterien orientierte und darüber hinaus eine längerfristige Gefahrenprognose erfordernde gefahrenabwehrrechtliche Maßstäbe (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 -; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.07.2008 - 18 A 1145/07 -, jeweils juris).
47 
b) Der Kläger hat Ausweisungsinteressen nach § 54 AufenthG verwirklicht, die einen Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung indizieren. Die Beteiligung des Klägers an dem in der Nacht vom 18.03. auf den 19.03.2018 verübten Brandanschlag, aufgrund dessen der Kläger zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, begründet ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 AufenthG sowie ein schwerwiegendes Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG. Die Beteiligung des Klägers an dem Brandanschlag diente - wie noch auszuführen sein wird - politischen Zielen im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 AufenthG. Die „Beteiligung“ im Sinne des § 54 Abs. 1 Nr. 4 Var. 1 AufenthG ist nach Maßgabe der §§ 25 ff. StGB festzustellen, sodass Täterschaft nicht verlangt ist und Beihilfe ausreicht (Bergmann/Dienelt/Bauer, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 54 Rn. 60). Von einer rechtskräftigen Verurteilung im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 1 AufenthG ist auch dann auszugehen, wenn die Vollstreckung der Strafe - wie hier - nach § 56 StGB zur Bewährung ausgesetzt wird (Bergmann/Dienelt/Bauer, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 54 Rn. 67). Ob auch die Voraussetzungen des § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG erfüllt sind, kann vorliegend dahinstehen. Denn § 54 Abs. 2 Nr. 9 AufenthG stellt einen allgemeinen Auffangtatbestand dar, der gegenüber den anderen Tatbeständen nachrangig ist (Bergmann/Dienelt/Bauer, 13. Aufl. 2020, AufenthG § 54 Rn. 91).
48 
c) Das Gericht hat die Überzeugung gewonnen, dass vom Kläger eine Wiederholungs-gefahr für die Begehung vergleichbar schwerer Straftaten ausgeht.
49 
aa) Nach der jüngsten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Stattgebender Kammerbeschluss vom 06.12.2021 - 2 BvR 860/21 -, juris) kommt der Entscheidung des Landgerichts U. (Urteil vom 05.04.2019), die Freiheitsstrafe des Klägers zur Bewährung auszusetzen, Indizwirkung dahingehend zu, dass vom Kläger keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ausgeht. Sofern die Verwaltungsgerichte, die an die tatsächlichen Feststellungen und Beurteilungen des Strafgerichts rechtlich nicht gebunden sind, im Rahmen der ihnen obliegenden aufenthaltsrechtlichen Prognose, insbesondere mit Blick auf den unterschiedlichen Gesetzeszweck des Ausländerrechts, zu einer von dieser Indizwirkung abweichenden Einschätzung der Wiederholungsgefahr kommen, bedarf es hierfür einer substantiierten, das heißt eigenständigen Begründung. Solche Gründe können zum Beispiel dann gegeben sein, wenn der Ausländerbehörde umfassenderes Tatsachenmaterial zur Verfügung steht, das genügend zuverlässig eine andere Einschätzung der Wiederholungsgefahr erlaubt (BVerfG, a.a.O., Rn. 19, juris m.w.N.).
50 
bb) Auch unter Zugrundelegung dieser Maßgaben geht das Gericht von einer vom Kläger ausgehenden Wiederholungsgefahr aus.
51 
(1) Für eine Wiederholungsgefahr spricht wesentlich die Verurteilung des Klägers durch das Landgericht U. und die der Verurteilung zugrunde liegende Tat. Das Strafmaß der - zur Bewährung ausgesetzten - Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten deutet bereits darauf hin, dass der Kläger Beihilfe zu einer schwerwiegenden Straftat begangen hat. Brandstiftung wird mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren bestraft (§ 306 Abs. 1, Nr. 1 StGB), wobei der Versuch nach § 23 Abs. 2 StGB milder bestraft werden kann als die vollendete Tat.
52 
Ebenso wiegt die Tat unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls schwer. Dem Täter war nach den Feststellungen des Landgerichts U. und auch zur Überzeugung des Gerichts bekannt, dass das von ihm besorgte Benzin zu einem Brandanschlag auf ein Gebäude genutzt werden sollte und dass die von ihm besorgten Spraydosen dazu dienen sollten, Parolen gegen die Türkei im U. Stadtgebiet anzubringen. Nach den entsprechenden Feststellungen des Landgerichts U. offenbarte K. seine Absicht dem Kläger - in groben Zügen - bereits vor dem 07.03.2018 und der Kläger besorgte die Benzinkanister und die Farbspraydose bereits am 07.03.2018 in Billigung des Planes des K.. Dass ein Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude verübt werden sollte, offenbarte K. den übrigen Männern und dem Kläger sodann zudem (erneut) am Nachmittag des 18.03.2018. Somit war dem Kläger der Tatplan, einen Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude zu verüben, bereits im Vorfeld der Tat hinreichend bekannt. Dass der Kläger aufgrund der Verbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus nicht anwesend war, als K. um ca. 23:30 Uhr die entsprechende Planung und den entsprechenden Tatentschluss erneut äußerte und schließlich A. und S. in seiner Wohnung beim Vorbereiten der Molotow-Cocktails das konkrete Tatobjekt offenbarte, fällt vor diesem Hintergrund nicht ins Gewicht. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung geäußert hat, es sei ihm nicht bekannt und vom ihm nicht gewollt gewesen, dass ein Brandanschlag auf ein türkisches Gebäude habe verübt werden sollen, und das Benzin sei nach seiner Auffassung allein dazu gedacht gewesen, eine türkische Fahne in Brand zu setzen, folgt das Gericht dem nicht und ordnet dies als bloße Schutzbehauptung ein. Dass er K. das Benzin in dem Wissen besorgt hatte, dass dieses zu einem Brandanschlag verwendet werden sollte, räumte der Kläger dem Landgericht U. gegenüber ein. Er bestritt hier lediglich, bereits von einem näher konkretisierten Plan gewusst zu haben. Diese Abweichung in seinen Ausführungen vermochte der Kläger nicht zur Überzeugung des Gerichts zu plausibilisieren. Auch darüber hinaus hält das Gericht die abweichende Darstellung in des Klägers in der mündlichen Verhandlung für lebensfern und vorgeschoben. Zur Entzündung einer Fahne stellt sich ein Molotow-Cocktail als Tatmittel bereits als völlig ungeeignet dar, zumal die Gefahr besteht, sich bei einem solchen Unterfangen selbst zu verletzen. Zudem lässt sich das Ziel des Brandanschlags, Aufmerksamkeit zu erregen und somit die Luftangriffe der türkischen Luftwaffe auf A. in den öffentlichen Fokus zu bringen, nicht mit einem Brandanschlag auf eine Fahne vereinbaren, der - selbst bei erfolgreicher Durchführung - keinerlei öffentliche Reaktion provozieren würde. Die Behauptung des Klägers, er habe lediglich die Inbrandsetzung einer Fahne unterstützen wollen, lässt sich zudem mit seinen übrigen Ausführungen in der mündlichen Verhandlung nicht in Einklang bringen. Aus den Ausführungen des Klägers ergeben sich nämlich keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Inbrandsetzung einer Fahne geplant gewesen sein sollte. Der Kläger konnte insbesondere nicht darlegen, dass dies der Inhalt der Verabredung mit K. gewesen sein sollte, der ihn beauftragte, das Benzin zu besorgen.
53 
An den Inhalt der Unterredung vermochte der Kläger sich vielmehr nicht zu erinnern.
54 
Es kommt weiterhin erschwerend hinzu, dass der Kläger die Tat aus der politischen Überzeugung, ein Zeichen bzw. ein Fanal gegen das Vorgehen der Türkei in A. setzen zu wollen, beging. Hiervon ist das Gericht - wie auch das Landgericht U. - überzeugt aufgrund der persönlichen Betroffenheit des Klägers, dessen Mutter und Familie zum Tatzeitpunkt in A. lebten und dessen Tante durch die Bombardierungen der türkischen Armee ums Leben kam, sowie dessen politischer Betätigung im Vorfeld der Tat und am Tattag selbst. Soweit der Kläger sich diesbezüglich in der mündlichen Verhandlung abweichend einließ, wertet das Gericht dies als reine Schutzbehauptung und folgt dem nicht. So führte der Kläger etwa aus, dass er im Vorfeld der Tat zwar regelmäßig Demonstrationen besucht habe, dies jedoch kein Ausdruck einer politischen Überzeugung gewesen sei. Es sei vielmehr das Mindeste gewesen, was er als Kurde habe tun können und er sei ausschließlich als Kurde auf diese Demonstrationen gegangen. Diese Einlassung und insbesondere die Differenzierung zwischen politischer Überzeugung und ethnischer Zugehörigkeit erachtet das Gericht als nicht nachvollziehbar und lebensfremd. Selbst wenn innerer Antrieb des Klägers ausschließlich Solidarität mit den Kurden in Syrien gewesen sein sollte, ändert dies nichts daran, dass der Kläger nicht nur an politischen Demonstrationen teilgenommen, sondern darüber hinaus auch die Tat durch seine Beihilfehandlung willentlich unterstützt hat, deren Ziel gerade darin bestand, ein politisches Zeichen zu setzen. Dies gilt nicht nur hinsichtlich des Brandanschlags, sondern insbesondere auch hinsichtlich der von den Mittätern gesprayten politischen Parolen. Der Kläger konnte nicht darlegen, wieso er die Farbdose besorgt haben sollte, wenn er nicht gerade das Anbringen politischer Parolen unterstützen wollte. Der Kläger hat vielmehr - zeitgleich zu seinen obigen Einlassungen - eingeräumt hat, dass er die Farbdose besorgt habe, da dem Volk etwas übermittelt habe werden sollen. Auch die weitere Einlassung des Klägers, die Teilnahme an der Demonstration am U. Hauptbahnhof am Tattag habe von seiner Seite aus keine politische Betätigung dargestellt, sondern er habe aufgrund seines psychischen Befindens (Verzweiflung, Machtlosigkeit) Suizid begehen wollen, überzeugt das Gericht nicht. Der Kläger mag zwar - wie von ihm betont - als einziger Teilnehmer der Demonstration unter die Lokomotive gekrochen sein und Selbstmordabsichten geäußert haben. Dass dies jedoch von Anfang an sein Plan war, ist für das Gericht nicht ersichtlich. Der Kläger plante vielmehr mit den anderen Mittätern bereits am Nachmittag des Tattags die Demonstration am U. Hauptbahnhof und auch das Betreten der Gleise erfolgte als kollektive Handlung der Teilnehmer der Demonstration. Die Ankündigung eines Suizidversuchs durch den Kläger stellt sich zur Überzeugung des Gerichts vielmehr als Kurzschluss-Handlung dar, die seine kurzfristige Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus zur Folge hatte und damit eine weitergehende Tatbeteiligung des Klägers unmöglich machte. Dafür, dass der Kläger die politische Überzeugung seiner Mittäter teilte, spricht auch der Umstand, dass er von K. in der Nacht der Tatbegehung zweimal (einmal vor, einmal nach Tatbegehung) angerufen wurde. Obwohl der Inhalt der Gespräche nicht bekannt ist und auch der Kläger sich hieran nicht zu erinnern vermochte, belegt allein dieser Umstand, dass der Kläger innerhalb der Gruppe eine wesentliche Rolle spielte und nicht lediglich ein Mitläufer war. Denn die Anrufe belegen, dass seine Anwesenheit bei der Tat gewünscht war und dass ihm der Ausgang der Tat mitgeteilt werden sollte.
55 
Das Gericht verkennt dabei nicht, dass der Kläger im Zeitpunkt der Tatbegehung nach der Einschätzung des im strafgerichtlichen Verfahrens herangezogenen Sachverständigen an einer Anpassungsstörung litt. Wie auch das Landgericht U., das dennoch vom Erhalt der Einsichtsfähigkeit ausging und auch eine rechtserhebliche Einschränkung der Steuerungsfähigkeit ausschloss, geht das Gericht jedoch nicht davon aus, dass diese ihn in seinem bewussten Tatentschluss wesentlich beeinträchtigte.
56 
(2) Die Situation in Syrien und insbesondere in der Gegend um A., woher der Kläger stammt, die den Kläger nachvollziehbarerweise in Sorge um seine Familie versetzte, hat sich auch nicht derart verändert, dass zur Sorge des Klägers kein berechtigter Grund mehr bestünde. Zwar ist die Tante des Klägers nach dessen Angaben bereits bei den Angriffen ums Leben gekommen, seine Mutter und weitere Mitglieder seiner Familie leben allerdings nach wie vor in A.. Die Bombardierung von A. durch die türkische Luftwaffe, die der Tat als Auslöser zugrunde lag, besteht aktuell zwar nicht fort, diese oder eine andere Gefahr für die Familienmitglieder des Klägers dort kann nach Ansicht der Kammer jedoch jederzeit bzw. jedenfalls in absehbarer Zeit wieder entstehen, da sich die Lage dort im Speziellen bzw. in Syrien allgemein keineswegs soweit stabilisiert hat, dass dies vernünftigerweise als ausgeschlossen zu erachten wäre.
57 
(3) Auch der Kläger hat sich nach Ansicht der Kammer nicht derart stabilisiert, dass er auf eine erneute Gefahr für seine in Syrien bzw. A. lebenden Familienmitglieder nicht wieder in ähnlicher Weise reagieren würde.
58 
Soweit der Kläger die erneute Begehung einer ähnlichen Tat kategorisch ausgeschlossen hat, hält das Gericht seine Angaben für wenig überzeugend. Diesbezüglich ist zunächst zu berücksichtigen, dass der Kläger nicht in vollem Umfang zu seinem Tatbeitrag steht. Während der Kläger gegenüber dem Landgericht U. noch einräumte, dass er K. das Benzin in dem Wissen besorgt habe, dass dieses zu einem Brandanschlag verwendet werden sollte, bestritt er dies in der mündlichen Verhandlung und zog sich - entsprechend der obigen Ausführungen in unglaubhafter Weise - darauf zurück, das Benzin sei allein dazu gedacht gewesen, um eine türkische Fahne in Brand zu setzen. Soweit der Kläger die erneute Begehung einer ähnlichen Tat wiederholt mit der Begründung ausschloss, dass er allein auf seine Arbeit und seine Familie konzentriert sei, vermag dies das Gericht nicht zu überzeugen. Eine Arbeitsstelle hatte der Kläger bereits im Zeitpunkt der Tatbegehung, ohne dass dies ihn an der Tat gehindert hätte. Richtig ist, dass sich die Lebenssituation des Klägers mittlerweile signifikant verändert hat, da er nun verheiratet ist, einen Sohn hat und zusammen mit seiner Ehefrau ein weiteres Kind erwartet. Das Gericht verkennt nicht, dass der Kläger den Unterhalt seiner Familie sichern will und dass dies eine starke Motivation darstellt, straffrei zu leben und eine weitere Inhaftierung zu vermeiden. Dies allein rechtfertigt nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht die Annahme, dass der Kläger sich - wie von ihm dargelegt - nicht erneut an vergleichbaren Taten beteiligen könnte. Denn nach der Überzeugung des Gerichts fehlt es an einer Aufarbeitung der Tat und einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser vollständig und der Kläger hat sich in keiner Weise erkennbar von seiner politischen Überzeugung distanziert. Das Gericht hat bereits erhebliche Zweifel daran, dass der Kläger - wie von ihm dargestellt - seit seiner Entlassung aus der U-Haft Kontakt zu seinen Mittätern kategorisch unterbindet und sich von jeglichen kurdischen Demonstrationen fernhält. So erachtet das Gericht die Darstellung des Klägers, wie es zu dem Kontakt zu S. und A. am 01.12.2020 gekommen sei, für zweifelhaft. Weiter waren die Ausführungen des Klägers zu seinem Kontakt mit A. nicht konsistent. Zunächst gab der Kläger an, A. habe mehrfach auch über seine Freund versucht, Kontakt zu ihm aufzunehmen. Er habe diese Kontaktversuche aber stets unterbunden. Dafür, wieso A. wiederholt versucht haben sollte, mit ihm in Kontakt zu treten, konnte der Kläger keine Erklärung liefern. Später räumte er dann ein, er folge A. auf Instagram und es habe eventuell ein Telefonat zwischen ihnen gegeben. Zweifel bestehen auch an der vom Kläger geltend gemachten Abstinenz von kurdischen Demonstrationen. Soweit der Kläger angab, sich am 21.03., dem Tag des Newroz-Fests, rein zufällig mit seiner Familie in U. aufgehalten zu haben und sodann beiläufig dem Ende der Veranstaltung beigewohnt zu haben, überzeugt dies das Gericht allein aufgrund des Stellenwertes des Newroz-Festes für die Kurden nicht. Lebensfern erscheint dem Gericht ferner die Erklärung des Klägers dafür, dass er nach seiner Haftentlassung am 05.05.2019 bei einer kurdischen Demo am 18.10.2019 in U. gesehen wurde. Der Kläger verwies auch diesbezüglich darauf, dass er jedenfalls nicht bewusst an der Demonstration teilgenommen und sich wenn überhaupt rein zufällig vor Ort aufgehalten habe. Selbst wenn der Kläger Kontakt zu seinen Mittätern konsequent unterbinden und keine kurdischen Demonstrationen mehr besuchen sollte, stellt dies allein eine äußerliche Distanzierung dar. An einer inneren Distanzierung fehlt es hingegen völlig. So hat der Kläger keinerlei Behandlung oder Beratung besucht, um das Tatgeschehen aufzuarbeiten. Er ließ auch nicht erkennen, dass er mittlerweile verstanden hätte, dass es falsch war, fremdes Eigentum bzw. sogar unbeteiligte Personen zu gefährden, um ein politisches Zeichen zu setzen. Wenn der Kläger überhaupt Anzeichen für ein Bedauern seines Tuns erkennen ließ, waren diese egoistischer Natur: so räumte der Kläger etwa ein, dass er ohne die Tat mittlerweile bereits die deutsche Staatsangehörigkeit erworben haben könnte. Vor diesem Hintergrund erscheint die vom Kläger wiederholt geäußerte Reue vorgeschoben. Auch die vom Kläger geschilderte Motivation, keinen Kontakt zu seinen Mittätern mehr haben zu wollen, war rein egoistischer Natur. Er wolle keinen Ärger mehr und brauche nun, da er verheiratet sei und eine Familie habe, nicht mehr so viele Freunde wie früher, insbesondere keine ledigen Männer.
59 
(4) Etwas Anderes folgt auch nicht aus den Stellungnahmen der Bewährungs- und Gerichtshilfe und den Ausführungen des Landgerichts U. im Urteil vom 05.04.2019 hinsichtlich der Aussetzung der Vollziehung der Freiheitsstrafe des Klägers zur Bewährung.
60 
Soweit aus den Berichten der Bewährungs- und Gerichtshilfe hervorgeht, dass der Kläger seine Tat bedauere, die Hintergründe der Tat und seine damalige Tatmotivation nicht mehr nachvollziehen könne, mit seiner privaten und familiären Lebenssituation zufrieden sei sowie insbesondere (vgl. Bericht vom 30.06.2022), dass bei ihm keine politisch extremistische Haltung habe festgestellt werden können und dass Rechtfertigungen von Gewaltäußerungen zum Erreichen eigener oder politischer Ziele von ihm nicht geäußert worden seien, wurden diese Umstände vom Gericht berücksichtigt, aber abweichend gewertet. Auch das Gericht geht nicht davon aus, dass der Kläger derzeit eine politisch extremistische Haltung hat, hält es aber für hinreichend wahrscheinlich, dass eine solche im Falle einer - ebenfalls als hinreichend wahrscheinlich zu betrachtenden - Verschlechterung der Lage in Syrien erneut auftritt. Soweit das Landgericht U. die geständige Einlassung des Klägers strafmildernd berücksichtigt hat, hat er sich hiervon - wie ausgeführt - mittlerweile distanziert. Dass es zu keinen nennenswerten Schäden kam und sich die Mittäter auch anderweitig leicht Benzin hätten besorgen können, ist zwar richtig, verringert aber nicht die Wiederholungsgefahr, da beide Umstände letztlich überwiegend dem Zufall geschuldet waren. Das Gericht geht - wie ausgeführt - insbesondere davon aus, dass allein die zeitweilige Einweisung in ein psychiatrisches Krankenhaus eine weitere Tatbeteiligung des Klägers verhinderte.
61 
Das Gericht erachtet es - wie dargelegt - für geboten, von der Indizwirkung des Urteils des Landgerichts U. vom 05.04.2019 abzuweichen. Die Ausführungen des Landgerichts U. betreffen allein die strafrechtliche Prognose der Legalbewährung und stehen der vom Gericht getroffenen öffentlich-rechtlichen Gefahrenprognose somit nicht per se entgegen.
62 
2. Da das Gericht die nachträgliche Abschiebungsandrohung - wie noch auszuführen sein wird - für rechtswidrig erachtet, sind Bleibeinteressen im engeren Wortsinne (des § 54 AufenthG) nicht zu berücksichtigen. Dies folgt daraus, dass auf absehbare Zeit keine Aufenthaltsbeendigung möglich ist, weil ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK besteht und eine Beeinträchtigung möglicher Bleibeinteressen daher nicht konkret droht (vgl. BVerwG, Urteil vom 09.05.2019 - 1 C 21.18 -, Rn. 28, juris). In der Folge ist - da es sich nach Aufhebung der Abschiebungsandrohung faktisch um eine inlandsbezogene Ausweisung handelt - nur das Interesse des Klägers zu berücksichtigen, ausländerrechtliche Folgewirkungen der Ausweisung zu vermeiden, etwa Aufenthaltsbeschränkungen und Meldeauflagen (vgl. § 56 AufenthG; vgl. hierzu VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15.04.2021 - 12 S 2505/20 -, Rn. 130, juris).
63 
Selbst wenn - trotz der Rechtswidrigkeit der nachträglichen Abschiebungsandrohung - eine fiktive Ausreise des Klägers unterstellt und Bleibeinteressen im engeren Wortsinne berücksichtigt würden (so VG Sigmaringen, Urteile vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 - und vom 28.03.2022 - 9 K 2999/20 -, jeweils n.v.), könnte der Kläger sich allenfalls auf ein schwerwiegendes Bleibeinteresse gem. § 54 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG berufen. Die Voraussetzungen für das Vorliegen der besonders schwerwiegenden Bleibeinteressen nach § 55 Abs. 1 Nr. 2, 3 und Nr. 4 AufenthG sind hingegen nicht erfüllt. Die erstmals am 07.08.2014 erteilte Aufenthaltserlaubnis ist mit Ablauf des 28.05.2019 erloschen, und ein Anspruch auf Verlängerung besteht - wie noch darzulegen sein wird - nicht, sodass der volljährige Kläger sich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Ergehens der Ausweisungsentscheidung (vgl. BVerwG, Urteil vom 15.11.2007 - 1 C 45.06 -, Rn. 24, juris) nicht im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 2, 3 AufenthG auf den „Besitz“ einer Aufenthaltserlaubnis berufen konnte. Auch die Voraussetzungen des § 55 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG sind nicht erfüllt, da weder die Ehefrau des Klägers noch sein Sohn die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen. Die Voraussetzungen des § 55 Abs. 2 Nr. 3 AufenthG sind hingegen erfüllt, da der Kläger - ausweislich der vorgelegten Urkunden über die Vaterschaftsanerkennung und die gemeinsame elterliche Sorge - sein Personensorgerecht für seinen Sohn ausübt und dieser sich aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis auch rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält.
64 
3. Die gebotene Abwägung der betroffenen Ausweisungs- und Bleibeinteressen fällt - auch unter Anwendung des für den Kläger günstigsten Maßstabs - vorliegend zulasten des Klägers aus.
65 
a) § 53 Abs. 1 AufenthG verlangt ein Überwiegen des Interesses an der Ausreise, das unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles im Rahmen einer umfassenden Verhältnismäßigkeitsprüfung festzustellen ist, wobei in die hierbei vorzunehmende Abwägung des Interesses an der Ausreise mit dem Bleibeinteresse die in § 53 Abs. 2 AufenthG niedergelegten Umstände in wertender Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. Insbesondere ist der Frage nachzugehen, ob und in welchem Maße die konkreten Umstände des Einzelfalles von vertypten gesetzlichen Wertungen abweichen. Sind im konkreten Fall keine Gründe – etwa auch solche rechtlicher Art – ersichtlich, die den gesetzlichen Wertungen der §§ 54, 55 AufenthG entgegenstehen, wird regelmäßig kein Anlass bestehen, diese Wertungen einzelfallbezogen zu korrigieren. Eine schematische und alleine den gesetzlichen Typisierungen und Gewichtungen verhaftete Betrachtungsweise, die einer umfassenden Bewertung der den Fall prägenden Umstände, jeweils entsprechend deren konkreten Gewicht, zuwiderlaufen würde, verbietet sich ebenso wie eine „mathematische" Abwägung im Sinne eines bloßen Abzählens von Umständen, die das Ausweisungsinteresse einerseits und das Bleibeinteresse andererseits begründen (vgl. VGH Baden–Württemberg, Beschluss vom 11.04.2016 - 11 S 393/16 - Rn. 30; Urteil vom 13.01.2016 - 11 S 889/15 - Rn. 142, jeweils juris). In die Abwägung sollen insbesondere folgende vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK entwickelten, nicht abschließenden, Kriterien einbezogen werden: Art und Schwere der Straftat, Dauer des Aufenthalts im Gastland, seit der Tatzeit verstrichene Zeitspanne und Verhalten des Ausländers in dieser Zeit, Staatsangehörigkeit der Betroffenen, familiäre Situation und Dauer einer etwaigen Ehe, etwaige Kenntnis des Ehegatten von der Straftat bei Aufnahme der Beziehung, etwaige aus der Ehe hervorgegangene Kinder, ihr Alter und das Maß an Schwierigkeiten, denen der Ehegatte und/oder die Kinder im Abschiebezielland begegnen können, sowie die Festigkeit der sozialen, kulturellen und familiären Bindungen zum Gastland und zum Abschiebezielland (vgl. BT–Drs. 18/4097, S. 49 f.; EGMR, Urteil vom 02.08.2001 - 54273/00 -, InfAuslR 2001, 476, Urteil vom 18.10.2006 - 46410/99 -, NVwZ 2007, 1279; Urteil vom 21.03.2007 - 1683/03 -, InfAuslR 2007, 221 –, Urteil vom 23.06.2008 - 1683/03 -, InfAuslR 2008, 333 –; Urteil vom 12.01.2010 - 47486/06 -, InfAuslR 2010, 369).
66 
b) Ausgehend von diesen Maßstäben überwiegt das öffentliche Ausweisungsinteresse das Interesse des Klägers an der Vermeidung der ausländerrechtlichen Folgewirkungen der Auswirkung, hilfsweise auch die festgestellten Bleibeinteressen des Klägers. Die ausländerrechtlichen Folgen der Ausweisung hat sich der Kläger, der in der Vergangenheit über einen Aufenthaltstitel verfügte, selbst zuzuschreiben und das Gericht erkennt nicht, dass und inwiefern mögliche ausländerrechtliche Folgen für den Kläger unzumutbar sein sollten. Auch das festgestellte schwerwiegende Bleibeinteresse des Klägers weist kein mit dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse vergleichbares Gewicht auf. Dies ergibt sich bereits indiziell daraus, dass dem besonders schwerwiegenden Ausweisungsinteresse (allenfalls) ein normiertes schwerwiegendes Bleibeinteresse gegenübersteht. Dies ergibt sich weiter auch aus den Umständen des Einzelfalls. Das Gericht verkennt nicht, dass eine hypothetische Rückkehr des Klägers nach Syrien dazu führen könnte, dass es zu einer Trennung von seiner Ehefrau und seinem Sohn kommt, welche sich aufgrund ihrer Aufenthaltserlaubnisse weiterhin in der Bundesrepublik aufhalten dürften. Das Gericht verkennt weiter nicht, dass der Sohn des Klägers aufgrund seines Alters in besonderem Maß auf die körperliche Anwesenheit seines Vaters angewiesen ist und sich der Kontakt schwerlich aus der Ferne (etwa durch (Video-)Anrufe oÄ) aufrechterhalten lässt. Allerdings stellt sich eine Rückkehr des Klägers nach Syrien - wie noch auszuführen sein wird - derzeit als äußerst unwahrscheinlich dar, während die Gefahr, dass der Kläger erneut vergleichbare und schwerwiegende Straftaten begeht - wie ausgeführt - hoch erscheint. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Ehefrau des Klägers und sein Sohn den Kläger aufgrund ihrer syrischen Staatsangehörigkeit im Fall seiner hypothetischen Rückkehr nach Syrien dort problemlos besuchen könnten. Es liegen auch keine nennenswerten ungeschriebenen Bleibeinteressen des Klägers vor. Denn bis auf seine Familienangehörigen weist der Kläger keine nennenswerten verfestigten Beziehungen im Bundesgebiet auf. Die von ihm begangene Beihilfe zur Brandstiftung überschattet jedenfalls seine schwachen integrativen Leistungen und lässt aufgrund der auch sonst ungünstigen Umstände (latente extremistische politische Ansichten) erwarten, dass er in Zukunft straffällig werden wird. Demgegenüber ist der Kläger in Syrien geboren, wuchs dort auf und wurde dort sozialisiert. Seine wesentliche Prägung und Entwicklung hat er im Ausland erfahren. Es erscheint möglich und zumutbar, dass er sich im Fall einer hypothetischen Rückkehr nach Syrien dort eine Existenz aufbauen kann, zumal seine Mutter und weitere Familienangehörigen noch dort leben. Vor diesem Hintergrund ist die Ausweisung des Klägers verhältnismäßig.
67 
4. Dem Kläger kommt kein besonderer Ausweisungsschutz gemäß § 53 Abs. 3b AufenthG zu. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer, der die Rechtsstellung eines subsidiär Schutzberechtigten genießt, nur ausgewiesen werden, wenn er eine schwere Straftat begangen hat oder er eine Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland darstellt.
68 
a) Der Kläger dürfte sich schon deshalb nicht auf die Vorschrift des § 53 Abs. 3b AufenthG berufen können, weil er nicht mehr subsidiär Schutzberechtigter ist. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat den ihm zuerkannten subsidiären Schutzstatus mit Bescheid vom 04.09.2019 zurückgenommen. Die Rücknahme entfaltet aufgrund der Regelung des § 75 Abs. 2 S. 2 AsylG ihre rechtlichen Wirkungen, obwohl der Kläger hiergegen Klage erhoben hat, welche Gegenstand des Verfahrens A 2 K 4148/19 ist. Nach der genannten Vorschrift hat eine Klage gegen die Rücknahme der Gewährung subsidiären Schutzes wegen Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 AsylG keine aufschiebende Wirkung. Das ist hier der Fall. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat die Rücknahme auf § 4 Abs. 2 AsylG gestützt. Nachdem der Kläger sich gegen diesen Bescheid nicht im Eilrechtsschutz zur Wehr gesetzt hat, ist die Vollziehung der Rücknahme nicht gehemmt und daher zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung beachtlich. An dieser Rechtslage ändert auch der Umstand, dass der Kläger im Asylverfahren - nach der Einstellung des Verfahrens gem. § 81 AsylG durch Beschluss vom 16.03.2022 - die Fortsetzung des Verfahrens beantragt hat, nichts. Denn ein Fortsetzungsantrag führt zwar dazu, dass die ursprüngliche Klage bis zur unanfechtbaren Entscheidung über den Fortsetzungsrechtsstreit weiterhin aufschiebende Wirkung entfaltet, soweit diese Kraft Gesetz bestand (BeckOK AuslR/Neundorf, 34. Ed. 1.1.2021, AsylG § 81 Rn. 11). Wie ausgeführt entfaltete die Klage des Klägers jedoch gem. § 75 Abs. 2 Satz 2 AsylG von Anfang an keine aufschiebende Wirkung.
69 
b) Unabhängig hiervon sind auch die materiellen Voraussetzungen des § 53 Abs. 3b AufenthG erfüllt.
70 
aa) Die Vorschrift des § 53 Abs. 3b AufenthG knüpft an die Regelungen der Art. 16 und 17 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.12.2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes an (Qualifikationsrichtlinie, im Folgenden: QRL) (BT-Drs. 17/13063 S. 23) an. Art. 17 Abs. 1 lit. b) und lit. d) QRL enthält nahezu wortgleich die Voraussetzungen, die auch Gegenstand der nationalen Regelung sind. Die Begriffe der „schweren Straftat“ und der „Gefahr für die Allgemeinheit oder die Sicherheit des Mitgliedsstaats“ werden indes weder vom Aufenthaltsgesetz noch von der Qualifikationsrichtlinie definiert.
71 
bb) Nach der hierzu ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union zur Regelung des Art. 17 Abs. 1 lit. b) QRL – danach ist ein Drittstaatsangehöriger oder ein Staatenloser von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass er eine schwere Straftat begangen hat – ist ihr Sinn darin zu sehen, dass sich Personen in diesen Fällen des Schutzes als unwürdig erwiesen haben. Dem Strafmaß, welches das Gericht eines Mitgliedstaates für die Tat ausgesprochen hat, kommt eine gehobene, aber nicht ausschließliche Bedeutung bei der Beurteilung der „Schwere“ der Straftat zu. In jedem Fall ist eine Würdigung der Umstände des Einzelfalls erforderlich. Als Kriterien können unter anderem die Art der Straftat, die verursachten Schäden, die Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens oder der Umstand herangezogen werden, ob die fragliche Straftat in den anderen Rechtsordnungen ebenfalls überwiegend als schwere Straftat angesehen wird (EuGH, Urteil vom 13.09.2018 - C-369/17 -, Rn. 45 ff., juris). Der Ausschlusstatbestand ist dabei nicht gefahren- oder präventionsabhängig konzipiert. Die allein aus der Begehung einer schweren Straftat folgende Unwürdigkeit führt zu einem dauerhaften Ausschluss von einem qualifizierten Aufenthaltstitel und besteht auch dann fort, wenn keine Wiederholungsgefahr zu erwarten ist und von dem Ausländer keine aktuellen Gefahren für den Aufenthaltsstaat ausgehen (vgl. zu der ähnlich lautenden Vorschrift des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 AufenthG, BVerwG, Urteil vom 25.03.2015 – 1 C 16.14 –, Rn. 29, juris m.w.N.).
72 
Was den Ausschlusstatbestand des Art. 17 Abs. 1 lit. d) QRL angeht, welcher eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit des Mitgliedstaats erfordert, spricht ausgehend vom gesetzgeberischen Willen, die Flüchtlingseigenschaft und den subsidiären Schutzstatus anzugleichen (siehe etwa Erwägungsgründe 13 und 39 der Richtlinie), viel für eine Auslegung, die sich an den ähnlich lautenden Ausschlusstatbestand des Art. 14 Abs. 4 QRL anlehnt. Die für diesen Ausschlusstatbestand erforderliche Gefahr für die Allgemeinheit muss – im Gegensatz zur „schweren Straftat“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b) QRL – mit Blick auf die Zukunft weiterhin bestehen. Hintergrund der Regelung ist insoweit nicht, dass sich der Ausländer des subsidiären Schutzes als „unwürdig“ erwiesen hat, sondern dass es dem Empfängerstaat nicht zuzumuten ist, einem gefährlichen Ausländer Schutz zu gewähren. Für die Beurteilung, ob eine Gefahr für die Allgemeinheit vorliegt, ist dabei eine zukunftsgerichtete Prognose anzustellen. Von dem Ausländer muss zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen. Eine solche Gefahr liegt vor, wenn in Zukunft neue vergleichbare Straftaten des Ausländers ernsthaft drohen (zum Ganzen: VG Düsseldorf, Urteil vom 14.11.2019 - 12 K 6087/19.A -, Rn. 64, juris; VG Freiburg (Breisgau), Urteil vom 21.10.2020 - 7 K 2047/20 -, Rn. 49 – 53, juris jeweils m. w. N.).
73 
cc) Ausgehend von diesen Maßgaben rechtfertigen die bereits getroffenen Feststellungen das Vorliegen auch der erhöhten Ausweisungsvoraussetzungen einer „Gefahr für die Allgemeinheit“ im Sinne des § 53 Abs. 3b AufenthG. Hierzu wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich auf die obigen Ausführungen zur Würdigung der Tat und der Prognose einer Wiederholungsgefahr verwiesen (siehe oben I. 1. c)). Es spricht - entsprechend der obigen Ausführungen zur Wiederholungsgefahr - zwar viel dafür, dass auch die vom Kläger verübte Tat die Voraussetzungen einer „schweren Straftat“ erfüllt. Letztlich kann die Frage jedoch offenbleiben und es bedarf somit keiner vertieften Auseinandersetzung mit der vom Kläger aufgeworfenen Rechtsfrage, ob nicht nur der von den Tätern verübte Brandanschlag, der vom Landgericht U. mit Urteil vom 05.04.2019 als versuchter Mord (§ 211 Abs. 2, 2. Gruppe, 1. Alternative, 2. Gruppe, 3. Alternative StGB) gewertet wurde, sondern gerade auch die vom Kläger verübte Tat (Beihilfe zur versuchten Brandstiftung) entsprechend der obigen Maßgaben eine „schwere Straftat“ darstellt.
74 
5. Die Ausweisungsverfügung – welche aufgrund der aufgehobenen Rückkehrentscheidung in Form einer Abschiebungsandrohung (siehe unten III.) eine „inlandsbezogene Ausweisung“ darstellt – ist mit den Vorgaben der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie, im Folgenden: RFRL) vereinbar.
75 
Das Verwaltungsgericht Sigmaringen hat diesbezüglich ausgeführt (Urteil vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 -, n.v.):
76 
„a) Die Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG und dessen Rechtsfolgen stehen nicht unmittelbar im Widerspruch mit den Regelungen der Rückführungsrichtlinie. Die Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 RFRL sieht vor, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich gegen alle Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung erlassen, die nicht oder nicht mehr die Voraussetzungen erfüllen, in einen Mitgliedstaat einzureisen oder sich dort aufzuhalten. Die Regelung in Art. 3 Nr. 4 RFRL definiert eine Rückkehrentscheidung als behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit welcher der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird. Nach nationalem Verständnis erfüllt eine Abschiebungsandrohung gemäß § 59 AufenthG die Funktion einer Rückkehrentscheidung im Sinne der genannten Vorschriften und muss daher die Garantien der Rückführungsrichtlinie beachten. Dahingegen stellt eine Ausweisungsentscheidung nach § 53 Abs. 1 AufenthG keine solche Rückführungsentscheidung dar, da sie lediglich die Legalität des Aufenthalts des Ausländers beendet (§ 51 Abs. 1 Nr. 5 i. V. m. § 50 Abs. 1 AufenthG) und – mittelbar über das nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG zwingend anzuordnende Einreise- und Aufenthaltsverbot – eine Verfestigung des Aufenthalts verhindern soll (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Mai 2019 – 1 C 14.19 –, juris Rn. 30 ff.). Eine Ausweisungsentscheidung fällt damit nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie und muss sich damit nicht unmittelbar an deren Vorgaben messen lassen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2021 – 12 S 2505/20 –, juris Rn. 146).
77 
b) Eine inlandsbezogene Ausweisung ist auch nicht deshalb mit den Vorgaben der Rückführungsrichtlinie unvereinbar, weil sie nach nationalem Recht dazu führt, dass der betroffene Ausländer in einen „Zwischenstatus“ ohne legalen Aufenthalt, aber ohne eine Rückkehrentscheidung fallen könnte.
78 
Nach der zu Art. 6 RFRL ergangenen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union müssen die Mitgliedstaaten aufgrund dieser Vorschrift prüfen, ob sie illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel erteilen; tun sie dies nicht, so müssen sie gegen diesen eine Rückkehrentscheidung erlassen. Hieraus folgert der EuGH, dass es dem Gegenstand der Rückführungsrichtlinie als auch dem Wortlaut von Art. 6 RFRL zuwiderläuft, das Bestehen eines Zwischenstatus von Drittstaatsangehörigen zu dulden, die sich ohne Aufenthaltsberechtigung und ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats befinden und gegebenenfalls einem Einreiseverbot unterliegen, gegen die aber keine wirksame Rückkehrentscheidung mehr besteht. Dies soll auch für solche Drittstaatsangehörige gelten, die sich illegal in einem Mitgliedstaat aufhalten, die aber nicht abgeschoben werden können, weil der Grundsatz der Nichtzurückweisung dem entgegensteht (EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 – C-546/19 „BZ“ –, juris Rn. 55 ff.). Ausgehend hiervon könnte eine Ausweisungsverfügung deshalb mit Art. 6 Abs. 1 RFRL unvereinbar sein, weil sie mittelbar über das nach § 11 Abs. 1 S. 1 AufenthG zwingend anzuordnende Einreise- und Aufenthaltsverbot zu einer Titelerteilungssperre führt (§ 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG) und in Fällen, in denen keine Abschiebungsandrohung erlassen wird oder werden kann, dazu führt, dass der Ausländer aufgrund der Titelerteilungssperre sich allenfalls geduldet (§ 60a AufenthG) im Bundesgebiet aufhalten darf (andeutend Fleuß, in: BeckOK Ausländerrecht, 31. Edition 01.07.2021, § 53 AufenthG Rn. 6, siehe hierzu auch Bauer/Hoppe, NVwZ 2021, 1207).
79 
Das Gericht hält es im vorliegenden Fall jedoch nicht für erforderlich, die Vorschrift des § 53 Abs. 1 AufenthG im Hinblick auf die oben geschilderten unionsrechtlichen Maßgaben unangewendet zu lassen. Dies folgt zum einen daraus, dass Art. 6 RFRL die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet, illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel zu erteilen, und dies aus kompetenzrechtlichen Gründen auch nicht kann. Die Rückführungsrichtlinie beruht auf Art. 63 Nr. 3 lit. b) EGV, der einwanderungspolitische Maßnahmen in den Bereichen illegale Einwanderung und illegaler Aufenthalt, einschließlich der Rückführung solcher Personen, die sich illegal im Mitgliedstaat aufhalten, vorsieht. Kompetenziell erfasst diese Regelung gesetzgeberische und operative Maßnahmen zur Unterbindung der illegalen Einwanderung ebenso wie inhaltliche Vorgaben zur Beendigung des illegalen Aufenthalts, wenn Drittstaatsangehörige sich unrechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhalten; die Regelungsbefugnis zum illegalen Aufenthalt umfasst auch die Abschiebung und Rückführung. Ausgehend von dieser Kompetenznorm sieht die Rückführungsrichtlinie keine Regelungen zur Ausweisung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 15. April 2021 – 12 S 2505/20 – , juris Rn. 141 ff. m. w. N.). Ebenso ist die Richtlinie nicht auf die Kompetenznorm des Art. 63 Nr. 3 lit. a) EGV (jetzt: Art. 79 Abs. 2 lit. a) AEUV) gestützt, welche unter anderem Regelungen zu materiellen Aufenthaltsrechten ermöglicht (vgl. Thym, in: BeckOK Ausländerrecht, 31. Edition 01.07.2020, Art. 79 AEUV Rn. 9). Mit anderen Worten dürfte die Rückführungsrichtlinie die Mitgliedstaaten nicht zwingen, einem Ausländer in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung allein deshalb eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, weil er nicht auf absehbare Zeit abgeschoben werden kann (ähnlich Kluth, Die Auswirkungen der Rechtsprechung des EuGH zur EU-Rückführungsrichtlinie auf das Rechtsinstitut der Duldung nach dem Aufenthaltsgesetz, ZAR 2021, 416).
80 
Zum anderen verlangt der Anwendungsvorrang der einschlägigen Vorschriften der Rückführungsrichtlinie nicht, dass in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung die Anwendung des § 53 Abs. 1 AufenthG unterbleiben muss. Eine hierfür erforderliche Kollision der nationalen und unionsrechtlichen Vorschriften (ausführlich hierzu Ruffert, in: Calliess/Ruffert, 6. Auflage 2022, Art. 1 AEUV Rn. 22) besteht nicht. Wie sich aus vorstehenden Ausführungen ergibt, führt eine Ausweisung als solche nicht zu Rechtsfolgen, die mit der Rückführungsrichtlinie unvereinbar sind. Im Übrigen – und zwar soweit der Erlass eines nach nationalem Recht zwingend anzuordnenden Einreise- und Aufenthaltsverbots mit unionsrechtlichen Vorgaben nicht zu vereinbaren ist (vgl. EuGH, Urteil vom 3. Juni 2021 – C-546/19 „BZ“ –, juris Rn. 60, siehe unten IV.) – kann die Effektivität der Rückführungsrichtlinie dadurch gewährleistet werden, dass in Fällen einer inlandsbezogenen Ausweisung allein die Vorschrift des § 11 Abs. 1 S. 2 AufenthG unangewendet bleibt.“
81 
Diesen überzeugenden Ausführungen schließt sich das Gericht nach eingehender eigener Überprüfung vollumfänglich an.
82 
Nach alledem ist die Ausweisungsverfügung in Ziffer 1 des Bescheids vom 08.06.2021 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 28.06.2022 rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
83 
II. Die mit Ergänzungsbescheid vom 28.06.2022 nachträglich erlassene Abschiebungsandrohung ist dagegen rechtswidrig (so im Ergebnis auch VG Sigmaringen, Urteile vom 16.11.2021 - 4 K 4530/20 - und vom 28.03.2022 - 9 K 2999/20 -).
84 
Anlass für den vom Beklagten erlassenen Ergänzungsbescheid war die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union - EuGH - (Urteil vom 03.06.2021 - C546/19 „BZ“-, juris), wonach die RFRL dahingehend auszulegen ist, dass sie der Aufrechterhaltung eines von einem Mitgliedstaat gegen einen Drittstaatsangehörigen verhängten Einreise- und Aufenthaltsverbots entgegensteht, wenn nicht auch eine gegen den Drittstaatsangehörigen gerichtete Rückkehrentscheidung des Mitgliedstaats vorliegt. Um eine Aufhebung des ohne gleichzeitige Rückkehrentscheidung rechtswidrigen Einreise- und Aufenthaltsverbots zu vermeiden, sah sich der Beklagte gezwungen, der Rechtsprechung des EuGH durch den Erlass der nachträglichen Abschiebungsandrohung nachzukommen. Soweit der Beklagte damit argumentiert, dass der EuGH (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 „BZ“ -, Rn. 59, juris) und der Generalanwalt (vgl. Schlussanträge des Generalanwalts vom 10.02.2021 in der Rechtssache C-546/19, Rn. 87, juris) in einer Konstellation wie der hier gegebenen eine Rückkehrentscheidung für zulässig ansehen und darauf verweisen, dass es aus Sicht des Unionsrechts als ausreichend zu erachten sei, die Rückkehrentscheidung „auszusetzen“ (Generalanwalt) bzw. „die Abschiebung [des Drittstaatsangehörigen] in Vollstreckung dieser Entscheidung aufzuschieben“, könnte dies für die europarechtliche Zulässigkeit einer Abschiebungsandrohung sprechen. Allerdings hat der EuGH in seinem ebenfalls zur RFRL ergangenen Urteil vom 14.01.2021 (- C-441/19 -, Rn 80 f., juris) entschieden, dass eine Abschiebung innerhalb „kürzester Frist“ durchzuführen ist, und eine Rückkehrentscheidung nicht erlassen werden darf, wenn der Betroffene anschließend nicht abgeschoben werden soll.
85 
Die Kammer lässt ausdrücklich offen, ob die hier ergangene Abschiebungsandrohung mit Europarecht vereinbar ist. Denn die Umsetzung der Rückkehrentscheidung unterliegt dem nationalen Recht des Mitgliedstaats, und die vorliegende Umsetzung des Beklagten ist nach deutschem Recht rechtswidrig.
86 
Rechtliche Grundlage der angefochtenen Abschiebungsandrohung ist die Vorschrift des § 59 Abs. 1 Satz 1 AufenthG. Danach ist eine Abschiebung unter Bestimmung einer angemessenen Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise anzudrohen. Die Abschiebungsandrohung ist nach der Systematik des nationalen Ausländerrechts eine vorbereitende Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung und knüpft an die gesetzliche Ausreisepflicht nach § 50 Abs. 1 und 2 AufenthG an. Sie verfolgt den Zweck, den betroffenen Ausländer auf seine Ausreisepflicht hinzuweisen, ihn vor einer möglichen Abschiebung zu warnen und ihm zu ermöglichen, seine persönlichen Angelegenheiten zeitnah zu ordnen und die freiwillige Ausreise vorzubereiten (zum Ganzen: Dollinger, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 13. Auflage 2020, § 59 AufenthG Rn 2 ff.). Eine Abschiebungsandrohung ist daher rechtswidrig, wenn feststeht, dass die zwangsweise Abschiebung ebenso wie eine freiwillige Rückkehr in den bestimmten Zielstaat praktisch auf unabsehbare Zeit unmöglich ist (vgl. Huber/Mantel AufenthG/Gordzielik, 3. Aufl. 2021, AufenthG § 59 Rn 20, unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 10.07.2003 - 1 C 21.02 -, juris).
87 
Hier sind sowohl die gesetzte Ausreisefrist wie auch die Abschiebungsandrohung als solche rechtswidrig.
88 
Die Ausreisefrist, die den Zweck hat, dem Ausländer eine ausreichende Gelegenheit zur freiwilligen Ausreise, zur Einlegung von Rechtsmitteln, zur Geltendmachung von Abschiebungshindernissen und zur „Abwicklung“ seiner persönlichen und beruflichen Lebensverhältnisse zu geben, muss hinreichend klar, d.h. für den Adressaten leicht und eindeutig verstehbar übermittelt werden. Er muss insbesondere erkennen, ab wann er mit einer Abschiebung zu rechnen hat (BeckOK AuslR/Kluth, AufenthG (33. Edition; Stand 01.04.2022), § 59 Rn. 18; GK-AufenthG/Funke-Kaiser, § 59, Rn. 101 f.; Haedicke, HTK-AuslR / Stand: 25.09.2020 / § 59 AufenthG / zu Abs. 1 / Rn. 27). Diesen Maßgaben wird die vorliegende Ausreisefrist nicht gerecht, denn sie begann mit Bekanntgabe der Abschiebungsandrohung zu laufen, während es - wie noch auszuführen sein wird - völlig offen ist, ob und ggf. wann der Kläger nach Syrien abgeschoben werden kann. Nicht vergleichbar ist die vorliegende Konstellation mit der, in der das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Ausreisefrist von einer Woche ab Bekanntgabe seiner Entscheidung erlassen hat, welche nicht im Einklang mit Unionsrecht steht (vgl. EuGH, Urteil vom 19.06.2018 - C-181/16 „Gnandi“ -, juris), und das Bundesamt in Reaktion darauf und höchstrichterlich gebilligt (vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2020 - 1 C 19.19 -, juris) die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und auch den Lauf der Ausreisefrist bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt hat bzw. nach wie vor aussetzt. Denn in der „Gnandi-Konstellation“ geht das Bundesamt davon aus, dass eine Abschiebung in den Herkunftsstaat grundsätzlich möglich ist, wobei die Aussetzung nur dazu dient, den Aufenthalt bis zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes zu sichern.
89 
Da die Rechtswidrigkeit der Ausreisefrist nicht zwingend zur Rechtswidrigkeit der Abschiebungsandrohung im Ganzen führt (vgl. BVerwG, Urteil vom 03.04.2001 - 9 C 22.00 -, juris), ist auch auf die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung einzugehen, welche ebenfalls Rechtsfehler erkennen lässt. Denn die vorliegende Abschiebungsandrohung ist mit dem gesetzlichen Zweck der Abschiebungsandrohung nicht vereinbar. Zwar steht dem Erlass der Androhung das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG nicht entgegen. Sofern allerdings die konkrete Abschiebungsandrohung ihren Zweck, den Kläger zu warnen und ihm ausreichend Zeit für eine freiwillige Ausreise zu gewähren, gleichwohl auf Dauer, jedenfalls auf unabsehbare Zeit nicht erfüllen kann, ergibt eine Abschiebungsandrohung keinen Sinn und ist ausschließlich geeignet, die Betroffenen in Verwirrung zu stürzen. In solchen Fällen ist die Vorschrift teleologisch zu reduzieren, und es ist vom Erlass einer Abschiebungsandrohung abzusehen (GK-AufenthG/Funke-Kaiser, § 59, Rn. 60).
90 
So liegt der Fall hier. Nach Auffassung des Gerichts kann derzeit nicht hinreichend sicher prognostiziert werden, ob und ggf. wann das zugunsten des Klägers vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge festgestellte und auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK gestützte Abschiebungsverbot hinsichtlich Syrien widerrufen werden wird. An die im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung wirksame Feststellung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge ist die Ausländerbehörde gemäß § 42 Satz 1 AsylG derzeit gebunden. Das Gericht verkennt nicht, dass das Regierungspräsidium Tübingen in seinem Ergänzungsbescheid vom 28.06.2022 substantiiert zur Lage in Syrien ausführt und darlegt, dass die Lage in der Hauptstadt Damaskus und in der Küstenregion von Tartus (S. 7 f.) sich zwischenzeitlich soweit gebessert habe, dass diese beiden Regionen nicht mehr als generell unsicher einzustufen seien. Nicht dargelegt und auch im Übrigen nicht ersichtlich ist hingegen, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge diese Rechtsauffassung teilt. Auch unabhängig von der bindenden Feststellung des Bundesamts ist nach Auffassung des Gerichts die Situation in Syrien nach wie vor zu volatil ist, als dass diesbezüglich hinreichend belastbare Prognosen für die nähere Zukunft getroffen werden könnten. Damit unterscheidet sich die vorliegende Konstellation von der bereits erwähnten, vom Bundesamt praktizierten Aussetzung der Vollziehung der Abschiebungsandrohung, in der der Zeitpunkt des Endes der Aussetzung der Vollziehung (Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht) von Fall zu Fall und von Gericht zu Gericht zwar ebenfalls gewissen zeitlichen Schwankungen unterliegen mag, insgesamt jedoch hinreichend absehbar ist.
91 
Im Übrigen begegnet auch rechtlichen Bedenken, dass hier derselbe Staat (Syrien) zugleich als Zielstaat der Abschiebung (vgl. § 59 Abs. 2 Satz 1 AufenthG) und als Staat, in den nicht abgeschoben werden darf (vgl. § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) benannt wird. Auch dies ist geeignet, den Betroffenen in Verwirrung zu stürzen. Jedenfalls die Zielstaatsbezeichnung Syrien ist im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung rechtswidrig und aufzuheben, da diesbezüglich ein Abschiebungsverbot (mit der dargelegten Bindungswirkung des § 42 Satz 1 AsylG) besteht (vgl. BVerwG, Urteil vom 11.09.2007 - 10 C 8.07 -, Rn. 18, juris). Ein anderer Zielstaat der Ausreise oder Abschiebung ist weder ersichtlich noch vom Beklagten vorgetragen worden. Es kann dahingestellt bleiben, ob eine isolierte Aufhebung der Zielstaatsbezeichnung schon deshalb ausscheidet, weil die verbleibende Abschiebungsandrohung ohne Zielstaatsbezeichnung mit der RFRL unvereinbar wäre (vgl. VG Freiburg, Urteil vom 13.04.2022 - 7 K 2089/20 -, Rn. 41 ff., juris). Jedenfalls verbliebe im Falle einer isolierten Aufhebung der Zielstaatsbezeichnung im vorliegenden Fall lediglich eine Abschiebungsandrohung, die - wie oben ausgeführt - auf unabsehbare Zeit nicht vollzogen werden und ihren Zweck nicht erfüllen kann. Daher ist hier die Abschiebungsandrohung insgesamt aufzuheben.
92 
III. Da es somit an einer Rückkehrentscheidung in Form einer Abschiebungsandrohung gegen den Kläger fehlt, verstößt das mit Ziffer 2 des Bescheids vom 06.08.2020 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 11.03.2022 verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (Urteil vom 03.06.2021 - C-546/19 „BZ“ -, a.a.O.) gegen Unionsrecht und ist somit aufzuheben.
93 
IV. Die Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in Ziffer 3 des angefochtenen Bescheids des Regierungspräsidiums Tübingen vom 08.06.2021 in Gestalt des Ergänzungsbescheids vom 28.06.2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO. Er hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung keinen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
94 
Unabhängig davon, auf welche konkrete Anspruchsgrundlage aus Abschnitt 5 (§§ 22 - 26 AufenthG) er sich beruft – in Betracht käme aufgrund des zu seinen Gunsten festgestellten Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK insbesondere die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis auf Grundlage des § 25 Abs. 3 S. 1 AufenthG oder auf Grundlage des § 25 Abs. 5 S. 1 AufenthG sowie ggf. die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25b AufenthG –, steht einem Anspruch entgegen, dass die allgemeinen Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AufenthG vorliegend nicht erfüllt sind. Es liegt bereits ein besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse vor (siehe oben), das der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis entgegensteht. Angesichts der angenommenen Wiederholungsgefahr und den im Vergleich dazu schwächer ausgeprägten Bleibeinteressen bestehen auch keine Anhaltspunkte für einen vom Regelfall abweichenden Sachverhalt (zu den hier zu berücksichtigenden Umständen vgl. BVerwG, Urteil vom 12.07.2018 - 1 C 16.17 -, Rn. 15, juris m.w.N.). Zusätzlich dürften auch die Ausschlussgründe des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG vorliegen, deren Voraussetzungen mit denen des § 53 Abs. 3b AufenthG vergleichbar sind und zu denen sich das Gericht bereits oben geäußert hat. Dass die Ausschlussgründe des § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2 und Nr. 4 AufenthG erfüllt sind, steht auch der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG entgegen, da die Spezialität des § 25 Abs. 3 AufenthG nicht dadurch unterlaufen werden darf, dass auf das allgemeine Gesetz zurückgegriffen wird (vgl. Zeitler, HTK-AusIR (Stand: 20.03.2022) / § 25 AufenthG / Abs. 5 / Rn. 23).
95 
Auch einem Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen (§§ 29, 30 AufenthG) steht das bestehende Ausweisungsinteresse und somit § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG entgegen. Die Möglichkeit eines Absehens von den allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen besteht allein hinsichtlich § 5 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG (vgl. § 29 Abs. 2 Sätze 1 und 2 AufenthG).
96 
Nach alledem hat die Klage im tenorierten Umfang Erfolg.
97 
V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 S. 1 VwGO. Danach sind die Kos-ten verhältnismäßig zu teilen, wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt. Der Kläger unterliegt, soweit er sich gegen die Ausweisung und die Ablehnung seines Antrags auf Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis wehrt. Der Beklagte unterliegt in Bezug auf die von ihm verfügte Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot. Der Kläger erreicht nicht sein vorrangiges Ziel, seinen Aufenthalt im Bundesgebiet dauerhaft zu legalisieren. Andererseits kann er sich mit Erfolg gegen Anordnungen zur Wehr setzen, die eine Beendigung und Verfestigung seines Aufenthalts verhindern sollten. Angesichts dieser Interessenlage hält das Gericht eine Kostenaufhebung für angemessen.
98 
VI. Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, § 124a Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
99 
Eine Sache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn mit ihr eine grundsätzliche, bisher höchstrichterlich oder obergerichtlich nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine im Bereich der Tatsachenfeststellungen bisher obergerichtlich nicht geklärte Frage von allgemeiner Bedeutung aufgeworfen wird, die sich in dem erstrebten Berufungsverfahren stellen würde und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Fortentwicklung des Rechts berufungsgerichtlicher Klärung bedarf (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.10.2005 - 12 S 1558/05 -, Rn. 11, juris).
100 
Das ist hier der Fall. Die entscheidungserhebliche Frage, ob und inwieweit inlandsbezogene Ausweisungen europarechtskonform verfügt werden können, ist vor dem Hintergrund der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 03.06.2021 in der Sache C-546/19 „BZ“ bislang ungeklärt und stellt sich in einer Vielzahl weiterer vergleichbarer Fälle, insbesondere bei syrischen Staatsangehörigen, die sich nach derzeitiger Rechtspraxis zumindest auf Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 AufenthG berufen können und auf absehbare Zeit faktisch nicht abgeschoben werden können. Ebenso ist ungeklärt, ob eine Abschiebungsandrohung erlassen werden kann, wenn der betreffende Ausländer zum maßgeblichen Zeitpunkt (und auf unabsehbare Zeit) aufgrund eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG in den einzigen realistischerweise in Betracht kommenden Staat nicht abgeschoben werden kann.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen