Urteil vom Amtsgericht Ludwigslust - 5 F 144/09

Tenor

I. Die am 05.04.2002 vor dem Standesbeamten in Dannenberg/Elbe zur Heiratsregisternummer ... geschlossene Ehe der Parteien wird geschieden.

II. Der Antrag der Antragstellerin auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für das Kind H D, geboren am ..., wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

IV. Der Streitwert wird auf bis zu 6.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

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I. Ehescheidung

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Die Parteien haben am 05.04.2002 in Dannenberg/Elbe geheiratet. Beide sind deutsche Staatsangehörige. Im März 2007 zog die Antragstellerin aus der ehelichen Wohnung aus; die Parteien haben seither dauerhaft getrennt voneinander gewohnt. Versöhnungsversuche gab es in dem Zeitraum seit Juni 2007 nicht mehr. Beide Parteien sind neue Beziehungen eingegangen und der Antragsgegner wohnt bereits mit seiner neuen Partnerin zusammen. Die Parteien beantragen übereinstimmend,

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die am 05.04.2002 vor dem Standesbeamten in Dannenberg/Elbe zur Heiratsregisternummer ... geschlossene Ehe der Parteien zu scheiden.

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Das durchschnittliche Nettoeinkommen der Antragstellerin betrug bei Antragseingang 1.229,60 €; der Antragsgegner hatte sich nach seinem Umzug nach Spanien im Herbst des Jahres 2007 dort selbständig gemacht mit einer Firma, die er im weiteren Verlauf aufgrund einer Insolvenz wieder einstellte.

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II. Versorgungsausgleich

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Die Parteien haben eine Durchführung des Versorgungsausgleiches im Rahmen einer am 24.04.2002 notariell beurkundeten Vereinbarung ausgeschlossen; der Scheidungsantrag ging am 19.03.2008 bei Gericht ein.

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III. Elterliche Sorge

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Die Antragstellerin hat einen Antrag auf Übertragung der elterlichen Sorge für das am 13.02.2004 geborene gemeinsame Kind der Parteien H D gestellt.

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Nach der Trennung der Parteien verblieb das Kind bei der Antragstellerin, bei der es seither durchgehend gelebt hat. Nachdem sich die Parteien getrennt hatten, wurde der Antragsgegner im Rahmen eines Unterhaltsrechtsstreits zu dem Aktenzeichen 5 F 56/07 des Amtsgerichtes Ludwigslust durch ein Versäumnisurteil zur Zahlung von Kindesunterhalt für H in Höhe von 100 % des Regelbetrages verurteilt; einen gegen das Versäumnisurteil eingelegten Einspruch nahm er in einer mündlichen Verhandlung vom 04.09.2007 zurück. Als es in der Folge zu Rückständen bei der Unterhaltszahlung kam, erstattete die Antragstellerin noch im Jahre 2007 Strafanzeige gegen den Antragsteller gemäß § 170 Abs. 1 StGB; aktuell erfolgen ebenfalls keine Unterhaltszahlungen durch den Antragsgegner für H. Noch im Jahr 2007 übersiedelte der Antragsgegner nach Spanien, wo er sich noch immer aufhält. Ab Mitte des Jahres 2008 kam es verschiedentlich zu auch mehrtägigen Umgängen zwischen dem Antragsgegner und H, wenn ersterer sich in Deutschland aufhielt, zuletzt im Juli 2009. Zwischen den Parteien bestehen Unstimmigkeiten bezüglich der Umstände, unter denen der Antragsgegner Deutschland verlassen hat, und hinsichtlich ihrer vermögensrechtlichen Auseinandersetzung mit Bezug auf ein gemeinsam erworbenes und fremdfinanziertes Eigenheim. Im Zusammenhang mit Telephonaten kam es zu Beleidigungen und Beschimpfungen.

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Die Antragstellerin behauptet, sie habe längere Zeit nicht über die Anschrift und die Telephonnummer des Antragsgegners in Spanien verfügt; wenn er sich in Deutschland aufhalte, sei sie über die betreffende Adresse nicht immer informiert. Eine Kommunikation und Kooperation der Parteien zum Wohle des Kindes sei nicht mehr möglich. Die Antragstellerin ist der Auffassung, dies ergebe sich schon daraus, dass der Antragsgegner die Erziehungseignung der Antragstellerin und die Betreuungseignung der Großeltern mütterlicherseits in Frage stelle. Der Antragsgegner habe sich nicht im Sinne des Kindes verhalten, als er seine Anstellung in Deutschland aufgegeben habe und nach Spanien gegangen sei, zumal er jetzt keinen Unterhalt zahle und vor seiner Ausreise zur Erlangung von Startkapital auch Sachen von H veräußert habe; dies werde auch deutlich, wenn er bei Umgangskontakten H im Auto mitnehme, ohne sie auf einem Kindersitz anzuschnallen. Ein Bemühen des Antragstellers um das Kind sei auch insoweit fraglich, als nur sporadisch ein Umgang stattfinde. Die Antragstellerin beantragt,

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das Sorgerecht für ..., geboren am ..., auf die Antragstellerin zu übertragen,

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hilfsweise,

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das Aufenthaltsbestimmungsrecht für ..., geboren am ..., auf die Antragstellerin zu übertragen.

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Der Antragsgegner beantragt,

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die Anträge zurückzuweisen.

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Der Antragsgegner behauptet, eine Kommunikation mit der Antragstellerin sei auch deshalb schwierig, weil diese Gespräche abbreche oder verletzend und unsachlich werde. Der Antragsgegner ist der Auffassung, es bestehe eine Konsensverpflichtung der Eltern, aufgrund derer ein Elternteil nicht besser stehen könne, wenn er Konflikte mit dem anderen Elternteil nicht im Interesse des Kindes zurückstelle.

Entscheidungsgründe

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II. Ehescheidung:

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Die Ehe der Parteien war gemäß § 1565 Abs. 1 BGB zu scheiden, weil sie gescheitert ist, was nach dem Ergebnis der persönlichen Anhörung der Parteien zur Überzeugung des Gerichtes feststeht. Nach der genannten Vorschrift kann die Ehe geschieden werden, wenn die Lebensgemeinschaft der Ehegatten nicht mehr besteht und nicht erwartet werden kann, daß die Ehegatten sie wieder herstellen.

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Die Parteien leben seit März 2007 und damit bereits zweieinhalb Jahre getrennt. Beide lehnen die Fortsetzung der ehelichen Lebensgemeinschaft ab und sind neue Beziehungen eingegangen.

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Die mehr als einjährige Trennung der Parteien ist bereits ein wesentliches Indiz dafür, dass mit der Wiederherstellung der ehelichen Lebensgemeinschaft nicht mehr zu rechnen ist, das mit der Annäherung an die gemäß § 1566 Abs. 2 BGB zu der unwiderlegbaren Vermutung der Scheiterns der Ehe führenden dreijährigen Trennungsdauer ein umso stärkeres Gewicht bekommt. Weiterhin spricht der Umstand, dass die Parteien jeweils neue Beziehungen eingegangen sind, die sich im Falle des Antragsgegners so weit verfestigt hat, dass er mit seinen neuen Partnerin schon zusammen wohnt, dafür, dass die Ehegatten sich endgültig voneinander abgewendet haben. Letztlich kann unter diesen Umständen bereits die über einjährige Trennung, der beiderseitige Entschluß zur Scheidung und die Tatsache der Einleitung des Scheidungsverfahrens ergeben, dass die Ehe gescheitert ist, zumal wenn man bedenkt, dass es kaum ein ehewidrigeres Verhalten geben kann als selbst die unbegründete Weigerung, weiter mit dem anderen Ehegatten zusammenzuleben (Rebmann/Säcker/Rixecker-Wolf, Münchener Kommentar zum BGB, Band 7: Familienrecht I (§§ 1297- 1588), 4. Aufl., 2000, § 1565 Rn. 50 ff. m. w. N.).

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2. Versorgungsausgleich:

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Eine Entscheidung zum Versorgungsausgleich war nicht veranlasst, weil die Parteien dessen Durchführung im Rahmen einer länger als ein Jahr vor Stellung des Antrages auf Ehescheidung getroffenen und der Form des § 1410 BGB entsprechenden Vereinbarung gemäß § 1408 Abs. 2 BGB ausgeschlossen haben.

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3. Elterliche Sorge:

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Der Antrag der Antragstellerin auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge für das Kind H D, geboren am 13.02.2004, war zurückzuweisen.

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a. Gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB kann jeder Elternteil beantragen, wenn die Eltern nicht nur vorübergehend getrennt leben, dass ihm die elterliche Sorge allein übertragen wird, soweit zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf ihn dem Kindeswohl am besten entspricht.

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aa. Wenn geschiedene oder getrennt lebende Eltern sich dabei nicht darüber einigen können, wer von ihnen die elterliche Sorge für ihr gemeinsames Kind ausüben soll, folgt schon aus der allgemeinen Aufgabe des Staates, die Rechtsordnung und den Rechtsfrieden zu wahren, dass er befugt ist, selbst über den Ausgleich der widerstreitenden Interessen der Eltern zu entscheiden. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Elternrechts gilt dabei einerseits in erster Linie dem Schutz des Kindes; sie beruht auf dem Grundgedanken, dass in aller Regel Eltern das Wohl des Kindes mehr am Herzen liegt als irgendeiner anderen Person oder Institution. Das Elternrecht ist andererseits Freiheitsrecht im Verhältnis zum Staat, der in das Erziehungsrecht der Eltern grundsätzlich nur eingreifen darf, wenn das ihm nach Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG zukommende Wächteramt dies gebietet (BVerfG NJW 1983, 101).

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bb. Die seit dem Kindschaftsrechtsreformgesetz in Ausgestaltung dieser Grundsätze geltenden Regelungen zur elterlichen Sorge haben deshalb nicht nur die Rechtsposition des Kindes hervorgehoben, sondern auch die elterliche Autonomie betont und gefordert. Um dem Kind möglichst viel an Elternschaft zu bewahren, obliegt es den Eltern gemäß § 1627 BGB, die elterliche Sorge in eigener Verantwortung und in gegenseitigem Einvernehmen zum Wohl des Kindes auszuüben, sowie sich bei Meinungsverschiedenheiten zu einigen. Nur ein Defizit, das nicht beseitigt werden kann, macht einen Eingriff erforderlich. Eine Entscheidung durch das Familiengericht ist daher subsidiär. Vorher ist festzustellen und zu begründen, dass und warum eine Kooperation unter den Eltern ausgeschlossen ist. Das ergibt sich schon aus § 1671 Abs. 2 Nr. 1 BGB, weil eine Einigung der Eltern die Regelung durch das Familiengericht überhaupt entbehrlich macht oder dessen Entscheidung daraufhin nur eine an den Elternwillen gebundene Kontrollentscheidung darstellt. Auch wenn sich die Eltern nicht in allen das Kind betreffenden Fragen einigen, kann es das Gericht in Form einer Negativentscheidung bei der gemeinsamen elterlichen Sorge belassen. Inhaltlich müssen sich die Eltern bei der gemeinsamen elterliche Sorge in der Form der §§ 1671 Abs. 2 i. V. m. 1687 BGB nämlich nicht mehr wie früher in fast allen Belangen des Kindes einigen. Mit der geänderten Familienstruktur nach der Trennung orientiert sie sich nicht allein an der geordneten Versorgung des Kindes, sondern auch an der Verantwortlichkeit, die sich von der in der Kernfamilie erheblich unterscheidet. Die gesetzliche Rollenverteilung, die einem einvernehmlichen Sorgeplan nicht entgegensteht, knüpft nach den Umständen in der Nachscheidungsfamilie äußerlich an eine Aufenthaltsregelung oder einen einverständlichen elterlichen Willen an (OLG Zweibrücken FamRZ 2000, 1042). Wenn der Gesetzgeber den tatsächlichen Verhältnissen und Schwierigkeiten auf diese Weise Rechnung trägt, kann es danach im Grunde genommen dahinstehen, ob die Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge durch das Kindschaftsrechtsreformgesetz kein Regel- Ausnahme- Verhältnis in dem Sinn enthalte, dass eine Priorität zugunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge bestehen und die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als ultima ratio in Betracht kommen sollte, oder dass sich elterliche Gemeinsamkeit in der Realität nicht verordnen lasse (so BGH NJW 2000, 203; siehe auch BVerfG FamRZ 2004, 354). Den mit jeder Trennung und Scheidung ihrer Eltern verbundenen Beeinträchtigungen der Kinder wird am besten durch eine Lösung entgegengewirkt, bei der das größtmögliche Maß an erlebter Elternschaft erhalten wird (OLG Bamberg FamRZ 1999, 1005 unter Hinweis auf BVerfG NJW 1959, 1483, BVerfG NJW 1971, 1447 und BVerfG FamRZ 2004, 354); dieser sich aus der Schutzfunktion des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG ergebende Anspruch richtet sich nicht nur an den Staat dahingehend, Eingriffe in die Erziehungsfreiheit der Eltern nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beschränken, sondern gerade auch an die Eltern mit der Maßgabe, ihre Differenzen zum Wohle des Kindes zu überwinden.

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cc (1) Wenn die Eltern nach den vorstehenden Ausführungen grundsätzlich zur Konsensfindung verpflichtet sind, kann es unter der Geltung dieser Vorschrift nicht hingenommen werden, wenn ein Elternteil eine Streitfront über weniger wichtige Angelegenheiten eröffnet und dann mit der Begründung, er könne mit dem anderen Elternteil nicht mehr zusammenarbeiten, die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf sich zum Wohle des Kindes beansprucht (OLG Bamberg a. a. O.).

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Nur formelhafte Äußerungen, dass die Eltern nicht miteinander reden oder nur noch über ihre Anwälte kommunizieren könnten, sind für eine Übertragung des alleinigen Sorgerechts daher nicht ausreichend (OLG Naumburg FamRZ 2002, 564; OLG Schleswig NJW-RR 2000, 813). Ebenso können hierfür Meinungsverschiedenheiten in einzelnen oder in einer bestimmten Art von Angelegenheiten genügen; vielmehr kommt dann eine Entscheidung des Familiengerichtes nach § 1628 BGB in Betracht. An einer Grundlage für die gemeinsame elterliche Sorge fehlt es erst dann, wenn die Eltern in grundsätzlichen Erziehungsfragen unterschiedlicher Meinung sind oder wenn ihnen aufgrund eines tiefgreifenden Zerwürfnisses die Fähigkeit abhanden gekommen ist, auf die Belange der Kinder in angemessener Weise Rücksicht zu nehmen, also insbesondere ihre wechselseitigen Aversionen von den Kindern fernzuhalten und wichtige Probleme in einer für die Kinder schonenden Weise zu lösen (OLG Düsseldorf FamRZ 1999, 1157). Bei einer solchen Beurteilung ist zum einen wiederum zu berücksichtigen, dass auch in intakten Ehen oder Beziehungen bestimmte, das Kind betreffende Fragen durchaus kontrovers diskutiert werden. Aufgrund der dann nach wie vor bestehenden Elternverantwortung werden beide Parteien notwendigerweise eine Lösung für das Kind gemeinsam finden müssen, die sich am Wohl des Kindes orientieren wird. Dabei kann es durchaus auch vorkommen, dass man seine eigene Meinung im Interesse des Kindes einmal aufgeben muß. Zudem mag die durch die Beteiligung des anderen Elternteiles an der Meinungsbildung hervorgerufene Meinungsvielfalt unter Umständen ebenfalls dazu führen, dass das Für und Wider einer Maßnahme besser eingeschätzt werden kann, als dies der Fall ist, wenn ein Elternteil alleine die maßgeblichen Entscheidungen zu treffen hat (AG Bad Schwalbach FamRZ 1999, 1158). Zum anderen kann die in diesem Zusammenhang vorzunehmende Prognose naturgemäß nur auf der Grundlage des bisherigen Verhaltens der Eltern erfolgen, wobei zu beachten ist, dass trennungsbedingte Spannungen zwischen den Eltern in der Regel schneller abgebaut werden und somit der gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge nicht grundsätzlich entgegenstehen (OLG Hamm 1999, 38; OLG Frankfurt FamRZ 2002, 187; OLG Karlsruhe FamRZ 2002, 1209). Im Ergebnis setzt eine Sorgerechtsübertragung nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf einen Elternteil allein damit voraus, dass Anstrengungen für eine gemeinsame Wahrnehmung der Elternverantwortung gescheitert sind und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft scheitern werden. Es bedarf deshalb konkreten Vortrags dazu, dass und bei welchem Anlass und auf welche Weise der das alleinige Sorgerecht erstrebende, betreuende Elternteil sich bemüht hat, in das Kindeswohl berührenden Fragen mit dem anderen Elternteil ein vernünftiges, sachbezogenes Gespräch zu führen, hierbei aber an dessen Verweigerungshaltung gescheitert ist; der nur allgemein gehaltene Hinweis des betreuenden Elternteils, aus persönlichen Gründen würden Gespräche mit dem anderen Elternteil abgelehnt, genügt nicht (OLG Hamm FamRZ 2005, 537). Wie sonst könnten sich beide Elternteile auf ihre verfassungsrechtlichen Garantien aus Art. 6 GG berufen, nach denen in Elternrechte gerichtlich nur eingegriffen werden kann, wenn dies unbedingt und zum Wohl des Kindes erforderlich ist (vgl. so auch Säcker/Rixecker-Finger, Münchener Kommentar zum BGB, Band 8: Familienrecht II (§§ 1589-1921), 5. Aufl., 2008, § 1671 Rn. 72).

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Im übrigen macht auch eine größere räumliche Entfernung zwischen den Eltern die gemeinsame Sorge deshalb nicht unpraktikabel, weil durch § 1687 BGB sichergestellt ist, dass der betreuende Elternteil in den Angelegenheiten des täglichen Lebens allein entscheidungsbefugt und keine umständliche Abstimmung mit dem anderen Elternteil erforderlich ist (OLG Dresden FamRZ 2000, 501).

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(2) Letztlich muss die Übertragung der alleinigen Sorge auf den antragstellenden Elternteil gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB in jedem Fall gerade das Beste für das Kind sein, wobei nach dem zuvor Gesagten auch die Möglichkeiten von § 1687 BGB mit in die vorzunehmende Abwägung einzubeziehen sind (OLG Naumburg a. a. O.). Deshalb sind immer die Auswirkungen der in Frage kommenden Sorgerechtentscheidungen auf das Kindeswohl miteinander zu vergleichen; verspräche das gemeinsame Sorgerecht keine Nachteile gegenüber der Übertragung auf einen Elternteil, hat es nach der Vorgabe der Subsidiarität des staatlichen Eingriffes bei der gemeinsamen elterlichen Sorge zu verbleiben (OLG Karlsruhe FamRZ 1987, 89; OLG Frankfurt FamRZ 1996, 889; OLG Bamberg FamRZ 1997, 48; OLG Naumburg FamRZ 2003, 1947). Es ist deshalb bei der Frage, ob es bei der gemeinsamen elterlichen Sorge bleiben kann oder ob diese im Hinblick auf das Kindeswohl gerade und schon zum jetzigen Zeitpunkt einem Elternteil allein zu übertragen ist, auch von Bedeutung, ob in absehbarer Zeit sorgerechtsrelevante Entscheidungen gemeinsam zu treffen sind (OLG Brandenburg FamRZ 2003, 1952).

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b. Übertragen auf den vorliegenden Fall rechtfertigt sich eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf die Antragstellerin danach nicht.

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aa. Anhaltspunkte für Umstände, die ein Zusammenwirken der Parteien bei der Ausübung der elterlichen Sorge nachvollziehbar ausschließen könnten, sind nicht ersichtlich.

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(1) So war auch aufgrund des Verlaufes der mündlichen Verhandlung ersichtlich, dass Konfliktlagen zwischen den Parteien durchaus bestehen. Diese beziehen sich aber vornehmlich auf die vermögensrechtliche Auseinandersetzung hinsichtlich des gemeinsam angeschafften Eigenheimes sowie auf die Umstände in Folge der Trennung und die Übersiedlung des Antragsgegners nach Spanien; es lässt sich aufgrund der Verbindung diesbezüglicher Argumentationspunkte mit der Frage der elterlichen Sorge durch die Antragstellerin der Eindruck nicht vollständig vermeiden, dass sie das alleinige Sorgerecht zumindest mit wegen durch den Antragsgegner erlittener oder als solcher empfundener Verletzungen erstrebt.

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(2) Dass sich die Parteien jedoch gerade im Hinblick auf die Belange ihres gemeinsamen Kindes in irgendeiner Weise uneinig wären oder sich hierzu nicht verständigen könnten, ist im Verlaufe des gesamten Verfahrens nicht erkennbar geworden.

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(a) So sind zum einen konkrete Konfliktpunkte in Angelegenheiten von wesentlicher Bedeutung bereits nicht ersichtlich. Die Parteien haben sich gegenüber der Verfahrenspflegerin ausweislich deren schriftlicher Stellungnahme dahingehend geäußert, dass die Vermögenssorge für H unproblematisch sei. Der Antragsgegner hat in der mündlichen Verhandlung sodann glaubhaft bekundet, einen Aufenthaltswechsel H's zu ihm nicht anzustreben, weil er dies dem Kind aus nachvollziehbaren Gründen nicht zumuten wolle; das Aufenthaltsbestimmungsrecht ist damit zwischen den Parteien ebenfalls nicht streitig. Ob bezüglich der Personensorge bereits einmal wesentliche Entscheidungen, etwa im Bereich der Gesundheitsfürsorge, für H zu treffen waren, und dass oder woran diese in einem Zusammenwirken der Parteien gescheitert wären, ergibt sich aus dem beiderseitigen Vortrag nicht. Die Antragstellerin selbst hat die Möglichkeit einer von dem Antragsgegner angesprochenen Uneinigkeit ausgeräumt, indem sie in Abrede stellte, dass sie eine von dem Antragsgegner abgelehnte Teilnahme H's an einem Religionsunterricht nach der Einschulung wolle. Anzumerken ist im Übrigen, dass Unterhaltsstreitigkeiten oder eine nicht erfolgende Unterhaltszahlung in diesem Zusammenhang unbeachtlich sind, weil insoweit kein unmittelbarer Bezug zur Ausübung des Sorgerechtes vorliegt und die Kindesbetreuung hiervon nicht berührt wird (vgl. nur OLG Nürnberg EzFamR aktuell 1999, 116).

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(b) Zum anderen kann eine Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit der Parteien für ihre Tochter vor diesem Hintergrund auch nicht ausgeschlossen werden. Hiergegen spricht schon der Umstand, dass es ihnen jedenfalls möglich war, die zustande gekommenen Umgangskontakte zwischen dem Antragsgegner und Henna selbständig zu organisieren, nachdem aus der Stellungnahme des Jugendamtes deutlich wird, dass die Antragstellerin eine dortige Vermittlungstätigkeit ablehnte. Dabei mag es für die Antragstellerin wie für H misslich sein, dass es zweifellos mit aufgrund der weiten Entfernung seines Wohnsitzes in Spanien nur unregelmäßig zu Treffen zwischen dem Antragsgegner und H kommt; dies ist jedoch nichts, was sich durch eine Übertragung der elterlichen Sorge ganz oder in Teilen auf die Antragstellerin beheben ließe, wobei die Bereitschaft des Antragsgegners, für ihn kostspielige und weite Reisen auf sich zu nehmen, um den Kontakt mit H über dann immer mehrere mit ihr verbrachte Tage aufrecht zu erhalten, andererseits indiziert, dass er die gemeinsame Verantwortung für das Kind wahrnehmen will (vgl. OLG Köln FamRZ 2003, 1036 m. w. N.). Gleiches gilt, soweit der Antragsgegner sich gegebenenfalls teilweise kritisch mit der Erziehungs- und Betreuungssituation H's auseinandersetzt. Dass hier unterschiedliche Auffassungen zwischen Elternteilen bestehen können, kann bereits in andauernden Beziehungen vorkommen und ist nach einer Trennung der Eltern wohl noch eher zu erwarten; dies muss aber nach dem oben unter lit. a cc(1) Gesagten einer weiteren gemeinsamen Ausübung der elterlichen Sorge eben weder entgegenstehen, die gerade nicht voraussetzt, dass der nicht betreuende Elternteil widerspruchslos mit allen Maßnahmen des betreuenden Elternteiles einverstanden ist, noch lassen sich daraus Nachteile für das Kind folgern.

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bb. Auch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist nach all dem nicht ersichtlich, dass eine Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf die Antragstellerin geboten wäre.

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(1) Es ist zu bedenken, dass der Antragstellerin, bei der sich das Kind gewöhnlich aufhält, gemäß § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB die Befugnis zusteht, in Angelegenheiten des täglichen Lebens für das Kind allein zu entscheiden. Die Regelung von Angelegenheiten, die für das Kind von erheblicher Bedeutung sind und deshalb im gegenseitigen Einvernehmen der Parteien getroffen werden müssen, steht zur Zeit – wohl auch im Hinblick auf das Alter des Kindes – nicht an. Eine echte Erprobung der gemeinsamen Sorge wird daher erst in der Zukunft stattfinden (vgl. in diesem Sinne OLG München NJWE-FER 2000, 54).

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(2) Während im Zeitalter moderner Kommunikations- und Reisetechnik die räumliche Entfernung als solche grundsätzlich kein Hindernis für elterliche Kooperation sein kann (vgl. Palandt-Diederichsen, Kommentar zum BGB, 65. Aufl., 2006, § 1671 Rn. 17 m. w. N.), könnte sich einzig problematisch für eine Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge der Parteien letztlich die von der Antragstellerin geltend gemachte mangelhafte Erreichbarkeit des Antragsgegners darstellen.

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(a) Abgesehen davon, dass der Umstand einer regelmäßigen Mitteilung seiner Adressänderungen durch den Antragsgegner an die Antragstellerin zwischen den Parteien streitig ist, der Antragstellerin insoweit die objektive Beweislast zukommen und das Ergebnis der Anhörung der Parteien bei einem Fehlen weiterer Ermittlungsansätze nicht zu ihren Gunsten gesprochen haben dürfte, verfügte sie aber zwischenzeitlich jedenfalls bei Schluss der mündlichen Verhandlung über die nun aktuelle Anschrift des Antragsgegners.

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(b) Zudem haben sich die Gerichte bei der Übertragung der elterlichen Sorge oder eines Teils davon nach dem der notwendigen gesetzlichen Ausgestaltung des Elternrechts dienenden § 1671 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 Satz 2 BGB jedoch nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes als milderes Mittel mit Teilentscheidungen zu begnügen, wo immer dies dem Kindeswohl Genüge tut (vgl. BVerfG FamRZ 2004, 1015); umso mehr muss dieses Prinzip gelten, wenn es um die Entscheidung geht, ob nach den genannten Vorschriften überhaupt im Sinne von deren Übertragung auf einen Elternteil allein in die elterliche Sorge eingegriffen werden muss.

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Dies ist aber bei längerer Unerreichbarkeit eines Elternteiles wegen unbekannten Aufenthaltes nicht der Fall, weil unter derartigen Umständen gemäß § 1674 BGB die elterliche Sorge des Elternteils ruht, wenn das Familiengericht feststellt, dass er auf längere Zeit die elterliche Sorge tatsächlich nicht ausüben kann (vgl. Palandt-Diederichsen, a. a. O., § 1674 Rn. 1 m. w. N.). Es handelt sich hierbei gegenüber dem Entzug bzw. entsprechend einer Übertragung der elterlichen Sorge auf den anderen Elternteil minderschweren Eingriff in das Elternrecht, weshalb die Antragstellerin gegebenenfalls vorrangig diesen Weg zu beschreiten hätte; gleichzeitig wären auf diese Weise unter solchen Umständen sowohl ihre als auch die Interessen des Kindes ausreichend gewahrt, weil die Antragstellerin gemäß § 1678 Abs. 1, 1. Halbsatz BGB die elterliche Sorge dann ebenfalls allein ausüben könnte, während das Elternrecht des Antragsgegners als solches unangetastet fortbestünde (vgl. in diesem Sinne zu § 1666 BGB OLG Dresden FamRZ 2003, 1038).

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Müssten dagegen dringende Entscheidung getroffen werden und wäre der Antragsgegner nur kurzfristig nicht erreichbar, was sich im Übrigen auch im Falle des Zusammenlebens von Elternteilen nicht immer ausschließen lässt, könnte die Antragstellerin wiederum gemäß § 1629 Abs. 1 Satz 4 BGB ebenfalls allein handeln. Danach ist bei Gefahr im Verzug jeder Elternteil dazu berechtigt, alle Rechtshandlungen vorzunehmen, die zum Wohl des Kindes notwendig sind; der andere Elternteil ist unverzüglich zu unterrichten. In weniger dringenden Angelegenheiten könnte eine lediglich vorübergehende Nichterreichbarkeit des Antragsgegners einen Eingriff in seine elterliche Sorge demgegenüber schon unter Erforderlichkeitsgesichtspunkten nicht rechtfertigen.

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Nach dem eingangs erläuterten Verhältnismäßigkeitsprinzip ginge es jedenfalls nicht an, für die angesprochenen Situationen gleichsam im Wege eines Vorratsbeschlusses in das Elternrecht des Antragsgegners einzugreifen.

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II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 93 a Abs. 1 Satz 1, 1. Halbsatz ZPO.

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III. Der Streitwert war gemäß § 48 Abs. 3 Satz 1 und 3 GKG auf bis zu 6.000,00 € festzusetzen.

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1. Ausschlaggebend war für den Streitwert hinsichtlich der Scheidung das dreifache monatliche Nettoeinkommen der Parteien bei Eingang des Scheidungsantrages. Dieses war für die Antragstellerin in Höhe von monatlich 1.229,60 € anzusetzen; für den Antragsgegner war aufgrund seiner damals bestehenden selbständigen Tätigkeit ein Betrag in Höhe von 400,00 € monatlich zu schätzen. Abzuziehen war ein pauschaler Unterhaltsbetrag in Höhe von monatlich 200,00 € für das gemeinsame minderjährige Kind der Parteien (Zöller-Herget, Kommentar zur ZPO, 26. Aufl., 2007, § 3 Rn. 16 Stichwort: Ehesachen m. w. N.). Es ergibt sich danach ein dreifacher Monatsbetrag in Höhe von 4.288,80 €.

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2. Des weiteren war ein Streitwertbetrag in Höhe von 900,00 € für die Folgesachen Elterliche Sorge zu berücksichtigen.

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3. Der sich ergebende Gesamtstreitwert fiel in die festgesetzte Gebührenstufe.

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