Urteil vom Arbeitsgericht Freiburg - 4 Ca 40/04

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 43.708,84 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 01.01.2004 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Die Widerklage wird abgewiesen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Der Streitwert wird auf 69.506,59 EUR festgesetzt.

Tatbestand

 
Die Parteien streiten um einen Steuererstattungsanspruch.
Der Kläger ist schwedischer Staatsangehöriger und wohnt in Frankreich. Er war vom 01.07.1999 bis 31.12.2003 als Leiter Markt-Management bei der Beklagten angestellt. Auf das Arbeitsverhältnis fanden die "Allgemeinen Vertragsbestandteile für AT-Angestellte" (Anlage K 2, Aktenseite 11- 14) Anwendung. Dort heißt es unter Nr. 21:
"Verfallfristen. Alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, sind von den Vertragsparteien binnen einer Frist von 3 Monaten mit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu machen und im Fall der Ablehnung durch eine Partei binnen einer Frist von 2 Monaten einzuklagen."
Das Finanzamt E. erteilte dem Kläger mit Bescheiden vom 26.08.1996 bzw. 22.12.1998 eine Grenzgängerfreistellungsbescheinigung gemäß § 39b Abs. 6 EStG für die Jahre 1996 bis 2001. Im Hinblick darauf zahlte der Kläger für diesen Zeitraum nicht in Deutschland, sondern in Frankreich Lohnsteuer. Nach dem Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und Frankreich ist die Freistellung von der deutschen Steuerzahlungspflicht nur möglich, wenn der Arbeitnehmer im Kalenderjahr an nicht mehr als 45 Arbeitstagen nicht in seinen Wohnort zurückkehrt. Das Finanzamt E. stellte bei einer Lohnsteueraußenprüfung in den Jahren 2001/02 fest, dass diese Voraussetzung in den Jahren 1998 bis 2001 nicht erfüllt gewesen war. Das Finanzamt teilte dies der Beklagten im vorläufigen Prüfungsbericht vom 25.04.2002 mit und erließ einen Haftungsbescheid hinsichtlich der Lohnsteuer des Klägers für die Jahre 1998 bis 2001 gegen die Beklagte. Die Lohnsteuer, die der Kläger für diesen Zeitraum zu entrichten hatte, beträgt 148.567,99 EUR. Die Beklagte zahlte diesen Betrag im August 2002 an das Finanzamt E.
Im Juli 2002 informierte die Mitarbeiterin der Personalabteilung der Beklagten Frau W. den Kläger über das Ergebnis des vorläufigen Prüfungsberichts. Sie erklärte, dass der Kläger die vom deutschen Finanzamt nachgeforderten Steuern im Ergebnis zu tragen haben werde und seine in Frankreich gezahlten Steuern zurückfordern könne. Sie teilte dem Kläger mit, dass die endgültige Höhe der vom Kläger zu bezahlenden Steuerforderung davon abhänge, in welcher Höhe die französischen Behörden die in Frankreich gezahlten Steuern zurückzahlen würden, und dass dies erst noch abzuklären sei. Der Kläger bat daraufhin, ihm den vorläufigen Prüfungsbericht zukommen zu lassen, damit er die Angelegenheit näher prüfen könne. Am 08.08.2003 widerrief das Finanzamt E. für den Kläger die Grenzgängerfreistellungsbescheinigung für die Jahre 1998 bis 2001(Anlage B 3, Aktenseite 63-64).
Unter dem 28.07.2003 erklärte die Beklagte die betriebsbedingte Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Die Parteien führten Verhandlungen über einen Abwicklungsvertrag, in denen der Klägervertreter für den Kläger auftrat. Der Klägervertreter schrieb unter dem 04.08.2003 an die Beklagte (Anlage K 7, Aktenseite 94-95):
"Ich bitte noch um zwei klarstellende kleine Ergänzungen, die aber inhaltlich sicherlich unproblematisch sind. Es geht um die Schlussformel, also die Ziffer 12. Vor das Wort "Ansprüche" in der dritten Zeile hätte ich gerne das Wörtchen "eventuell" eingefügt, so wie Sie es ja auch selbst ursprünglich in Ihrer eigenen Formulierung vorgesehen hatten. Ich will vermeiden, dass irgendwann jemand auf die Idee kommt, in Ziffer 12 würde die eine oder andere Partei schon Ansprüche anerkennen."
In einem Schreiben des Klägervertreters vom 06.08.2003 an die Beklagte (Anlage K 8, Aktenseite 96 - 97) heißt es:
"Sehr geehrter Herr K., auf unser Telefonat vom 04.08.2003 nehme ich Bezug. Gegenstand unseres Gesprächs war, dass die S. sich entgegen meinem Textvorschlag vorbehalten will, mit dem Abfindungsanspruch aufzurechnen. Wir waren uns einig, dass auf eine Aufrechnung mit Gehaltsansprüchen einschließlich des Anspruchs auf Bonuszahlung verzichtet wird. Herr B. wäre mit dieser Lösung einverstanden. Dass damit kein Anerkenntnis verbunden ist, dass tatsächlich Erstattungsansprüche bestehen, muss ich nicht betonen."
10 
Am 12.08.2003 kam der Abwicklungsvertrag (Anlage K 3, Aktenseite 15 - 18) zustande, dessen § 12 lautet:
11 
"Mit Erfüllung dieser Vereinbarung sind sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und seiner Beendigung, gleich auf welchem Rechtsgrund beruhend, gleich ob bekannt oder unbekannt, ausgeglichen. Ausgenommen hiervon sind eventuelle Ansprüche der Vertragsparteien aus der Tatsache, dass Herrn B. die Grenzgängereigenschaft vom Finanzamt E. abgesprochen wird. Eine Aufrechnung der S. mit eventuellen Ansprüchen aus Lohn- bzw. Einkommensteuererstattungen gegen Ansprüche von Herrn B. auf Zahlung seiner arbeitsvertraglichen Vergütung einschließlich der Bonuszahlung ist nicht zulässig. Eine Aufrechnung mit der in diesem Abwicklungsvertrag vereinbarten Abfindung bleibt vorbehalten. Die Firma wird Herrn B. aktiv in der Regelung seiner Steuerangelegenheiten unterstützen und die Kosten der Beratungsgesellschaft K. übernehmen. Herr B. wird seine Steuererstattungsansprüche gegen die französischen Finanzbehörden an die S. abtreten, soweit Erstattungsansprüche für die vergangenen Jahre ab Eintritt in das Unternehmen bis einschließlich des Veranlagungsjahres 2001 entstanden sind."
12 
Aufgrund der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.12.2003 beträgt der Abfindungsanspruch des Klägers gemäß §§ 3, 4 des Abwicklungsvertrages 43.708,84 EUR. Am 03. und 10.12.2003 erhielt die Beklagte die Rückerstattung der an Frankreich gezahlten Steuern in Höhe von 79.161,00 EUR. Mit Schreiben vom 11.12.2003 (Anlage K 4, K 5, Aktenseite 19-20) erklärte die Beklagte die Aufrechnung mit einem Steuererstattungsanspruch gegen den Abfindungsanspruch des Klägers.
13 
Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Zahlung der Abfindung. Die Beklagte macht mit der Widerklage einen über den Abfindungsbetrag hinausgehenden Steuererstattungsanspruch geltend.
14 
Der Kläger meint, die Beklagte habe nicht mit einem Steuererstattungsanspruch aufrechnen können, da dieser im Sommer 2002 fällig geworden und gemäß § 21 des Arbeitsvertrages verfallen sei.
15 
Der Kläger beantragt:
16 
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 43.708,84 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 01.01.2004 zu zahlen.
17 
Die Beklagte beantragt,
18 
die Klage abzuweisen.
19 
Sie beantragt widerklagend:
20 
Der Kläger/Widerbeklagte wird verurteilt, an die Beklagte/Widerklägerin 25.797,75 EUR zu bezahlen nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 16.01.2004.
21 
Der Kläger beantragt,
22 
die Widerklage abzuweisen.
23 
Die Beklagte behauptet, die Parteien seien sich einig gewesen, dass der Steuererstattungsanspruch erst nach der Rückerstattung der "französischen Steuern" abgewickelt werden sollte. Die Parteien seien sich bei Abschluss des Abwicklungsvertrages einig gewesen, dass der Erstattungsanspruch nicht verfallen sei. Die Beklagte meint, die arbeitsvertragliche Verfallklausel erfasse die gemäß § 426 Abs. 2 BGB auf die Beklagte übergegangene öffentlich-rechtliche Forderung des Finanzamtes nicht. Sie habe diesen Anspruch erst geltend machen können, nachdem die Höhe der Rückerstattung durch den französischen Staat bekannt gewesen sei. Erst da habe sie ihre Forderung beziffern können.
24 
Weitere Klagforderungen des Klägers hinsichtlich der Zahlung einer Prämie und der Erteilung eines Zeugnisses erklärten die Parteien in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt bzw. schlossen einen Teilvergleich. Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die Schriftsätze der Parteien samt Anlagen und die Protokolle der mündlichen Verhandlungen vom 09.03.2004 und 15.06.2004 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

 
I.
25 
Die Klage ist zulässig und weitgehend begründet. Die Widerklage ist zulässig, aber unbegründet.
26 
Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung der Abfindung in Höhe von 43.708,84 EUR verlangen. Der Abfindungsanspruch ergibt sich aus dem Abwicklungsvertrag vom August 2003. Der Anspruch ist nicht gemäß §§ 388, 389 BGB durch Aufrechnung erloschen, da der Beklagten keine Gegenforderung zusteht. Deshalb hat auch die Widerklage keinen Erfolg.
27 
Zwar stand der Beklagten ursprünglich ein Anspruch gegen den Kläger auf Steuererstattung zu. Dieser Anspruch ist jedoch aufgrund § 21 der Allgemeinen Vertragsbestandteile verfallen. Die Aufrechnung war damit nicht mehr möglich (vgl. BAG vom 30.03.1973 - 4 AZR 259/72, AP Nr. 4 zu § 390 BGB).
28 
1. Gemäß § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG haften Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenüber dem Finanzamt als Gesamtschuldner für die Lohnsteuerverpflichtung des Arbeitnehmers. Im Innenverhältnis hat der Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer diese letztendlich zu tragen (§ 38 Abs. 1 Satz 2 EStG). Als die Beklagte im August 2002 die Zahlung an das Finanzamt leistete, stand ihr - ggf. neben einem Erstattungsanspruch aus vertraglicher Nebenpflicht - ein Ausgleichsanspruch gegen den Kläger gemäß § 426 Abs. 1 BGB zu sowie die übergegangene Forderung des Finanzamtes gegen den Kläger gemäß § 426 Abs. 2 BGB (vgl. nur Wiedemann in Anmerkung zu BAG vom 14.06.1974 - 3 AZR 456/73, AP Nr. 20 zu § 670 BGB; Weber in Anmerkung zu BAG vom 20.03.1984 - 3 AZR 124/82, AP Nr. 22 zu § 670 BGB; Heldmann, NZA 1992, 489, 490 f.).
29 
2. Die Verfallklausel des § 21 der Allgemeinen Vertragsbestandteile erfasst alle diese Ansprüche, insbesondere auch den gemäß § 426 Abs. 2 BGB übergegangenen Anspruch.
30 
Welche Rechte eine Verfallklausel erfasst, ist eine Frage der Auslegung. Die vorliegende Verfallklausel gilt für "alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben". Sie entspricht damit § 70 BAT, der "Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis" betrifft. Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26.02.1992 (7 AZR 201/91, AP Nr. 18 zu § 46 BPersVG) erfasst § 70 BAT nicht nur arbeitsvertragliche Ansprüche, die unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag folgen, sondern "alle Ansprüche, die die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsstellung gegeneinander haben. Dabei kommt es nicht auf die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage, sondern auf den Entstehungsbereich des Anspruchs an. Entscheidend für die Einbeziehung eines Anspruchs in die tarifliche Ausschlussklausel ist die enge Verknüpfung eines Lebensvorgangs mit dem Arbeitsverhältnis". Die vorliegende Klausel ist in gleicher Weise auszulegen. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass ein engeres Verständnis geboten wäre.
31 
Auf der Grundlage dieser Auslegung ist die übergegangene Gläubigerforderung gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG, § 426 Abs. 2 BGB ein Anspruch, "der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergibt" (vgl. ebenso Wiedemann a.a.O.; a.A. Weber a.a.O.). Die Beklagte war aufgrund des Arbeitsvertrages verpflichtet, das Gehalt an den Kläger zu zahlen. Wenn ein Arbeitgeber die Vergütung nicht auszahlt, kann der Arbeitnehmer im Wege einer Bruttolohnklage Zahlung an sich auch insoweit verlangen, als der Lohn an das Finanzamt abzuführen ist (BGH vom 21.04.1966 - VII ZB 3/66, AP Nr. 13 zu § 611 BGB Lohnanspruch). Insofern ist auch der Teil des Lohns, den aufgrund der Steuergesetze das Finanzamt beanspruchen kann, ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis.
32 
Hier hat die Beklagte das Gehalt allerdings in voller Höhe ausgezahlt, wenn auch an den Falschen (an den Kläger und den französischen Staat statt an das deutsche Finanzamt). So wie Ansprüche auf Rückzahlung von Vorschüssen oder Überzahlungen einer Verfallklausel unterliegen, gilt dies aber auch für den vorliegenden Erstattungsanspruch. Auch der Anspruch des Finanzamts aus § 38 Abs. 3 Satz 1EStG, der auf die Beklagte übergegangen ist, ist Teil des Gehalts.
33 
Hinzu kommt, dass zwischen den Parteien nur deshalb ein Gesamtschuldnerausgleich durchzuführen ist, weil sie zueinander in einem Arbeitsverhältnis stehen. § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG ordnet die Gesamtschuldnerschaft für die Arbeitsvertragsparteien an.
34 
Im Ergebnis hat die Beklagte den Erstattungsanspruch gegen den Kläger aufgrund ihrer durch das Arbeitsverhältnis begründeten Rechtsstellung erlangt; der Steuererstattungsanspruch ist eng mit dem Arbeitsverhältnis verknüpft.
35 
3. Die Beklagte hat ihren Anspruch nicht rechtzeitig geltend gemacht.
36 
Gemäß § 21 der Allgemeinen Vertragsbestandteile oblag es der Beklagten, den Anspruch binnen einer Frist von 3 Monaten mit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu machen.
37 
Die Fälligkeit im Sinne vertraglicher Ausschlussfristen ist nicht mit der Leistungszeit des § 271 BGB gleichzusetzen. Sie setzt vielmehr voraus, dass der Berechtigte die betroffene Forderung dem Grunde nach benennen und wenigstens annähernd beziffern kann (BAG vom 22.09.1999 - 10 AZR 801/98; vom 27.11.1984 - 3 AZR 596/82, AP Nr. 89 zu § 4 TVG Ausschlussfristen).
38 
Dies bedeutet, dass die Steuererstattungsforderung nicht bereits in den Jahren 1998 bis 2001 fällig wurde, als die Beklagte die Vergütung auszahlte. Zum damaligen Zeitpunkt lag die Grenzgängerfreistellungsbescheinigung vor, aufgrund derer die Beklagte von der Richtigkeit ihrer Zahlungen ausgehen durfte.
39 
Die Forderung wurde hingegen im Sommer 2002 fällig, als das Finanzamt E. den Haftungsbescheid gegen die Beklagte erließ (vgl. so Wiedemann a.a.O.) bzw. die Beklagte die Zahlung an das Finanzamt leistete (vgl. so BAG vom 20.03.1984 a.a.O.). Zum damaligen Zeitpunkt entstand zunächst ein Freistellungsanspruch, dann ein Erstattungsanspruch in Höhe von 148.567,99 EUR, der der Beklagten nach Grund und Höhe bekannt war.
40 
Es kann dahinstehen, welcher der beiden Zeitpunkte letztlich maßgebend ist, da die Geltendmachung im Dezember 2003 jedenfalls verspätet war.
41 
Selbst wenn man der Meinung wäre, zumindest die übergegangene Forderung gemäß § 426 Abs. 2 BGB wäre erst fällig geworden, als das Finanzamt mit Bescheid vom 08.08.2003 die Grenzgängerfreistellungsbescheinigung gegen den Kläger widerrief, ändert dies nichts. Auch nach dieser Betrachtung wahrte die Beklagte die Ausschlussfrist nicht.
42 
Hingegen folgt die Kammer der Auffassung der Beklagten nicht, sie habe die Forderung erst nach Rückerstattung der "französischen Steuern" beziffern können. Der Beklagten stand die Forderung zunächst in voller Höhe gegen den Kläger zu. Durch die Rückerstattung der französischen Steuern wurde ein Teil der Forderung beglichen. Die Rückerstattung erfolgte an den Kläger, der sie nutzte, um die Forderung der Beklagten teilweise zu erfüllen. Dieser Ablauf zeigt gerade, dass die Beklagte die Gesamtforderung vom Kläger einfordern konnte und auch tatsächlich einforderte. Die Beklagte war lediglich bereit, mit der Durchsetzung ihrer Forderung bis zur Rückerstattung der "französischen Steuern" zu warten.
43 
4. Die Parteien haben keine - konkludente - Stundungsvereinbarung geschlossen, die den Beginn der Ausschlussfrist verschieben würde.
44 
Im Juli 2002 informierte die Beklagte den Kläger, dass er die vom deutschen Finanzamt nachgeforderten Steuern im Ergebnis tragen müsse und die in Frankreich gezahlten Steuern zurückfordern könne. Die endgültige Höhe der Steuerforderung hänge von der Rückerstattung ab, die noch zu klären sei. Auf dieses Vorbringen reagiert der Kläger nicht in der Weise, dass er sich damit einverstanden erklärte, zunächst die Rückerstattung abzuwarten. Vielmehr bat er um Vorlage des vorläufigen Prüfungsberichts, um seinerseits die Angelegenheit überprüfen zu können. Damit erweckte der Kläger nicht den Eindruck, die Forderung anzuerkennen oder dass die Beklagte auf eine Geltendmachung verzichten könnte.
45 
5. Der Abwicklungsvertrag ändert am Verfall der Steuererstattungsforderung nichts. Der Abwicklungsvertrag sieht eine allgemeine Erledigung der Ansprüche beider Parteien vor mit Ausnahme "eventueller Ansprüche der Vertragsparteien aus der Tatsache, dass Herrn B. die Grenzgängereigenschaft vom Finanzamt E. abgesprochen wird". Die streitgegenständliche Forderung wurde damit ausdrücklich aus der allgemeinen Erledigung ausgenommen.
46 
Hinsichtlich der Frage des Verfalls könnte die Beklagte sich nur dann auf den Abwicklungsvertrag berufen, wenn dieser bereits verfallene Ansprüche wiederaufleben lässt und damit die Rechtslage ändert. Nach Auffassung der Kammer ist der Abwicklungsvertrag jedoch dahingehend auszulegen, dass die Klärung der Steuernachforderung gesondert erfolgen kann, nicht aber bereits dahingehend geklärt ist, dass die Ansprüche als bestehend anerkannt werden. Dafür sprechen sowohl der Wortlaut "eventuelle Ansprüche" als auch der zwischen der Parteien vor Vertragsschluss geführte Schriftwechsel. Wenn der Abwicklungsvertrag die Durchsetzbarkeit des Anspruchs hätte ändern sollen, hätte dies ausdrücklich und klarer geregelt werden müssen.
47 
Dass der Kläger seine Erstattungsansprüche an die Beklagte abtrat bzw. an die Beklagte Zahlungen in Höhe der Rückerstattung geleistet hat, erzwingt keine andere Bewertung. Der Kläger war bereit, die Forderung in der Höhe zu begleichen, in der er die gezahlten Steuern zurückerhält. Er erweckte dadurch nicht den Eindruck, darüber hinausgehende Leistungen leisten zu wollen.
48 
6. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Nach § 4 des Abwicklungsvertrages wurde die Abfindung zum Zeitpunkt der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig, also am 31.12.2003. Verzug trat damit am 01.01.2004 ein.
49 
Die Zinshöhe beträgt 5 Prozentpunkte über dem Basiszins. Der Arbeitsvertrag ist nämlich kein Rechtsgeschäft im Sinne des § 288 Abs. 2 BGB, an dem ein Verbraucher nicht beteiligt ist. Vielmehr sind Arbeitnehmer Verbraucher im Sinne des § 13 BGB. Sie sind natürliche Personen, die den Arbeitsvertrag zu einem Zweck abschließen, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Sinn und Zweck des § 288 BGB verlangen keine einschränkende Auslegung des Verbraucherbegriffs (vgl. im Ergebnis ebenso Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Preis, 4. Aufl., § 611 BGB, Rdnr. 599 m.w.N.; ArbG Hamburg vom 01.08.2002 - 15 Ca 48/02; ArbG Gießen vom 23.10.2002 - 2 Ca 369/02).
II.
50 
Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Streitwert wird gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG, § 19 Abs. 1 GKG in Höhe der bezifferten Klag- und Widerklagforderung festgesetzt.

Gründe

 
I.
25 
Die Klage ist zulässig und weitgehend begründet. Die Widerklage ist zulässig, aber unbegründet.
26 
Der Kläger kann von der Beklagten die Zahlung der Abfindung in Höhe von 43.708,84 EUR verlangen. Der Abfindungsanspruch ergibt sich aus dem Abwicklungsvertrag vom August 2003. Der Anspruch ist nicht gemäß §§ 388, 389 BGB durch Aufrechnung erloschen, da der Beklagten keine Gegenforderung zusteht. Deshalb hat auch die Widerklage keinen Erfolg.
27 
Zwar stand der Beklagten ursprünglich ein Anspruch gegen den Kläger auf Steuererstattung zu. Dieser Anspruch ist jedoch aufgrund § 21 der Allgemeinen Vertragsbestandteile verfallen. Die Aufrechnung war damit nicht mehr möglich (vgl. BAG vom 30.03.1973 - 4 AZR 259/72, AP Nr. 4 zu § 390 BGB).
28 
1. Gemäß § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG haften Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegenüber dem Finanzamt als Gesamtschuldner für die Lohnsteuerverpflichtung des Arbeitnehmers. Im Innenverhältnis hat der Arbeitnehmer als Schuldner der Lohnsteuer diese letztendlich zu tragen (§ 38 Abs. 1 Satz 2 EStG). Als die Beklagte im August 2002 die Zahlung an das Finanzamt leistete, stand ihr - ggf. neben einem Erstattungsanspruch aus vertraglicher Nebenpflicht - ein Ausgleichsanspruch gegen den Kläger gemäß § 426 Abs. 1 BGB zu sowie die übergegangene Forderung des Finanzamtes gegen den Kläger gemäß § 426 Abs. 2 BGB (vgl. nur Wiedemann in Anmerkung zu BAG vom 14.06.1974 - 3 AZR 456/73, AP Nr. 20 zu § 670 BGB; Weber in Anmerkung zu BAG vom 20.03.1984 - 3 AZR 124/82, AP Nr. 22 zu § 670 BGB; Heldmann, NZA 1992, 489, 490 f.).
29 
2. Die Verfallklausel des § 21 der Allgemeinen Vertragsbestandteile erfasst alle diese Ansprüche, insbesondere auch den gemäß § 426 Abs. 2 BGB übergegangenen Anspruch.
30 
Welche Rechte eine Verfallklausel erfasst, ist eine Frage der Auslegung. Die vorliegende Verfallklausel gilt für "alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben". Sie entspricht damit § 70 BAT, der "Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis" betrifft. Nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26.02.1992 (7 AZR 201/91, AP Nr. 18 zu § 46 BPersVG) erfasst § 70 BAT nicht nur arbeitsvertragliche Ansprüche, die unmittelbar aus dem Arbeitsvertrag folgen, sondern "alle Ansprüche, die die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsstellung gegeneinander haben. Dabei kommt es nicht auf die materiell-rechtliche Anspruchsgrundlage, sondern auf den Entstehungsbereich des Anspruchs an. Entscheidend für die Einbeziehung eines Anspruchs in die tarifliche Ausschlussklausel ist die enge Verknüpfung eines Lebensvorgangs mit dem Arbeitsverhältnis". Die vorliegende Klausel ist in gleicher Weise auszulegen. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass ein engeres Verständnis geboten wäre.
31 
Auf der Grundlage dieser Auslegung ist die übergegangene Gläubigerforderung gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG, § 426 Abs. 2 BGB ein Anspruch, "der sich aus dem Arbeitsverhältnis ergibt" (vgl. ebenso Wiedemann a.a.O.; a.A. Weber a.a.O.). Die Beklagte war aufgrund des Arbeitsvertrages verpflichtet, das Gehalt an den Kläger zu zahlen. Wenn ein Arbeitgeber die Vergütung nicht auszahlt, kann der Arbeitnehmer im Wege einer Bruttolohnklage Zahlung an sich auch insoweit verlangen, als der Lohn an das Finanzamt abzuführen ist (BGH vom 21.04.1966 - VII ZB 3/66, AP Nr. 13 zu § 611 BGB Lohnanspruch). Insofern ist auch der Teil des Lohns, den aufgrund der Steuergesetze das Finanzamt beanspruchen kann, ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis.
32 
Hier hat die Beklagte das Gehalt allerdings in voller Höhe ausgezahlt, wenn auch an den Falschen (an den Kläger und den französischen Staat statt an das deutsche Finanzamt). So wie Ansprüche auf Rückzahlung von Vorschüssen oder Überzahlungen einer Verfallklausel unterliegen, gilt dies aber auch für den vorliegenden Erstattungsanspruch. Auch der Anspruch des Finanzamts aus § 38 Abs. 3 Satz 1EStG, der auf die Beklagte übergegangen ist, ist Teil des Gehalts.
33 
Hinzu kommt, dass zwischen den Parteien nur deshalb ein Gesamtschuldnerausgleich durchzuführen ist, weil sie zueinander in einem Arbeitsverhältnis stehen. § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG ordnet die Gesamtschuldnerschaft für die Arbeitsvertragsparteien an.
34 
Im Ergebnis hat die Beklagte den Erstattungsanspruch gegen den Kläger aufgrund ihrer durch das Arbeitsverhältnis begründeten Rechtsstellung erlangt; der Steuererstattungsanspruch ist eng mit dem Arbeitsverhältnis verknüpft.
35 
3. Die Beklagte hat ihren Anspruch nicht rechtzeitig geltend gemacht.
36 
Gemäß § 21 der Allgemeinen Vertragsbestandteile oblag es der Beklagten, den Anspruch binnen einer Frist von 3 Monaten mit ihrer Fälligkeit schriftlich geltend zu machen.
37 
Die Fälligkeit im Sinne vertraglicher Ausschlussfristen ist nicht mit der Leistungszeit des § 271 BGB gleichzusetzen. Sie setzt vielmehr voraus, dass der Berechtigte die betroffene Forderung dem Grunde nach benennen und wenigstens annähernd beziffern kann (BAG vom 22.09.1999 - 10 AZR 801/98; vom 27.11.1984 - 3 AZR 596/82, AP Nr. 89 zu § 4 TVG Ausschlussfristen).
38 
Dies bedeutet, dass die Steuererstattungsforderung nicht bereits in den Jahren 1998 bis 2001 fällig wurde, als die Beklagte die Vergütung auszahlte. Zum damaligen Zeitpunkt lag die Grenzgängerfreistellungsbescheinigung vor, aufgrund derer die Beklagte von der Richtigkeit ihrer Zahlungen ausgehen durfte.
39 
Die Forderung wurde hingegen im Sommer 2002 fällig, als das Finanzamt E. den Haftungsbescheid gegen die Beklagte erließ (vgl. so Wiedemann a.a.O.) bzw. die Beklagte die Zahlung an das Finanzamt leistete (vgl. so BAG vom 20.03.1984 a.a.O.). Zum damaligen Zeitpunkt entstand zunächst ein Freistellungsanspruch, dann ein Erstattungsanspruch in Höhe von 148.567,99 EUR, der der Beklagten nach Grund und Höhe bekannt war.
40 
Es kann dahinstehen, welcher der beiden Zeitpunkte letztlich maßgebend ist, da die Geltendmachung im Dezember 2003 jedenfalls verspätet war.
41 
Selbst wenn man der Meinung wäre, zumindest die übergegangene Forderung gemäß § 426 Abs. 2 BGB wäre erst fällig geworden, als das Finanzamt mit Bescheid vom 08.08.2003 die Grenzgängerfreistellungsbescheinigung gegen den Kläger widerrief, ändert dies nichts. Auch nach dieser Betrachtung wahrte die Beklagte die Ausschlussfrist nicht.
42 
Hingegen folgt die Kammer der Auffassung der Beklagten nicht, sie habe die Forderung erst nach Rückerstattung der "französischen Steuern" beziffern können. Der Beklagten stand die Forderung zunächst in voller Höhe gegen den Kläger zu. Durch die Rückerstattung der französischen Steuern wurde ein Teil der Forderung beglichen. Die Rückerstattung erfolgte an den Kläger, der sie nutzte, um die Forderung der Beklagten teilweise zu erfüllen. Dieser Ablauf zeigt gerade, dass die Beklagte die Gesamtforderung vom Kläger einfordern konnte und auch tatsächlich einforderte. Die Beklagte war lediglich bereit, mit der Durchsetzung ihrer Forderung bis zur Rückerstattung der "französischen Steuern" zu warten.
43 
4. Die Parteien haben keine - konkludente - Stundungsvereinbarung geschlossen, die den Beginn der Ausschlussfrist verschieben würde.
44 
Im Juli 2002 informierte die Beklagte den Kläger, dass er die vom deutschen Finanzamt nachgeforderten Steuern im Ergebnis tragen müsse und die in Frankreich gezahlten Steuern zurückfordern könne. Die endgültige Höhe der Steuerforderung hänge von der Rückerstattung ab, die noch zu klären sei. Auf dieses Vorbringen reagiert der Kläger nicht in der Weise, dass er sich damit einverstanden erklärte, zunächst die Rückerstattung abzuwarten. Vielmehr bat er um Vorlage des vorläufigen Prüfungsberichts, um seinerseits die Angelegenheit überprüfen zu können. Damit erweckte der Kläger nicht den Eindruck, die Forderung anzuerkennen oder dass die Beklagte auf eine Geltendmachung verzichten könnte.
45 
5. Der Abwicklungsvertrag ändert am Verfall der Steuererstattungsforderung nichts. Der Abwicklungsvertrag sieht eine allgemeine Erledigung der Ansprüche beider Parteien vor mit Ausnahme "eventueller Ansprüche der Vertragsparteien aus der Tatsache, dass Herrn B. die Grenzgängereigenschaft vom Finanzamt E. abgesprochen wird". Die streitgegenständliche Forderung wurde damit ausdrücklich aus der allgemeinen Erledigung ausgenommen.
46 
Hinsichtlich der Frage des Verfalls könnte die Beklagte sich nur dann auf den Abwicklungsvertrag berufen, wenn dieser bereits verfallene Ansprüche wiederaufleben lässt und damit die Rechtslage ändert. Nach Auffassung der Kammer ist der Abwicklungsvertrag jedoch dahingehend auszulegen, dass die Klärung der Steuernachforderung gesondert erfolgen kann, nicht aber bereits dahingehend geklärt ist, dass die Ansprüche als bestehend anerkannt werden. Dafür sprechen sowohl der Wortlaut "eventuelle Ansprüche" als auch der zwischen der Parteien vor Vertragsschluss geführte Schriftwechsel. Wenn der Abwicklungsvertrag die Durchsetzbarkeit des Anspruchs hätte ändern sollen, hätte dies ausdrücklich und klarer geregelt werden müssen.
47 
Dass der Kläger seine Erstattungsansprüche an die Beklagte abtrat bzw. an die Beklagte Zahlungen in Höhe der Rückerstattung geleistet hat, erzwingt keine andere Bewertung. Der Kläger war bereit, die Forderung in der Höhe zu begleichen, in der er die gezahlten Steuern zurückerhält. Er erweckte dadurch nicht den Eindruck, darüber hinausgehende Leistungen leisten zu wollen.
48 
6. Der Zinsanspruch folgt aus §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Nach § 4 des Abwicklungsvertrages wurde die Abfindung zum Zeitpunkt der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig, also am 31.12.2003. Verzug trat damit am 01.01.2004 ein.
49 
Die Zinshöhe beträgt 5 Prozentpunkte über dem Basiszins. Der Arbeitsvertrag ist nämlich kein Rechtsgeschäft im Sinne des § 288 Abs. 2 BGB, an dem ein Verbraucher nicht beteiligt ist. Vielmehr sind Arbeitnehmer Verbraucher im Sinne des § 13 BGB. Sie sind natürliche Personen, die den Arbeitsvertrag zu einem Zweck abschließen, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Sinn und Zweck des § 288 BGB verlangen keine einschränkende Auslegung des Verbraucherbegriffs (vgl. im Ergebnis ebenso Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht/Preis, 4. Aufl., § 611 BGB, Rdnr. 599 m.w.N.; ArbG Hamburg vom 01.08.2002 - 15 Ca 48/02; ArbG Gießen vom 23.10.2002 - 2 Ca 369/02).
II.
50 
Die Beklagte hat als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen (§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Streitwert wird gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG, § 19 Abs. 1 GKG in Höhe der bezifferten Klag- und Widerklagforderung festgesetzt.

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