Beschluss vom Finanzgericht Hamburg (3. Senat) - 3 KO 123/16

Tatbestand

A.

1

Streitig ist die Erstattung der Terminsgebühr sowie der Reisekosten für den Kläger als Rechtsanwalt für die mündliche Revisions-Verhandlung vor dem Bundesfinanzhof in München in eigener Sache oder in Untervollmacht des von ihm zuvor bevollmächtigten Rechtsanwalts.

Entscheidungsgründe

B.

I.

2

Die binnen zwei Wochen nach Zustellung des entsprechend § 149 Abs. 1 FGO ergangenen Kostenfestsetzungsbeschlusses eingelegte Erinnerung ist zulässig nach § 149 Abs. 2 und 4 FGO.

II.

3

Die Erinnerung ist begründet gemäß § 139 Abs. 1 und 3, § 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 91 Abs. 2 Satz 3, § 104 ZPO, § 13 RVG, Nr. 3210, 7004-7005 RVG-VV.

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1. Es macht im Ergebnis dabei für die vor dem BFH notwendige Vertretung durch einen Berufsträger i. S. d. § 62 Abs. 4 i. V. m. Abs. 2 FGO keinen Unterschied und kann deshalb dahinstehen, ob der Kläger im dortigen Termin unmittelbar in der eigenen Sache gemäß § 62 Abs. 4 Satz 5 FGO (wie § 78 Abs. 4 ZPO) oder in Untervollmacht des von ihm zuvor bevollmächtigten Rechtsanwalts verhandelt hat, nämlich mit Antragstellung, während der Prozessbevollmächtigte an der Verhandlung nicht teilgenommen hat.

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2. Der durch den Prozessbevollmächtigten für den Kläger eingereichte Kostenfestsetzungsantrag genügt für beide Alternativen; daneben macht der beim BFH nicht selbst angereiste oder aufgetretene Prozessbevollmächtigte keine weitere Terminsgebühr oder Reisekosten geltend.

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3. Zum einen darf ein Rechtsanwalt sich in eigener Sache durch einen anderen Rechtsanwalt in einem Prozess oder Gerichtstermin vertreten lassen und bei Obsiegen die insoweit notwendigen Kosten geltend machen gemäß § 139 Abs. 1, 3 FGO i. V. m. § 91 ZPO (wie nach § 113 Abs. 1 FamFG oder § 162 Abs. 1-2, § 173 Satz 1 VwGO i. V. m. § 91 ZPO; vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 25.03.2003 23 C 03.167, Juris; zu Unterschieden in der freiwilligen Gerichtsbarkeit vgl. KG Berlin, Beschluss vom 27.04.2004 1 W 562/01, RVGReport 2004, 686; Feskorn in Rahm/Künkel, Hdb. Familien- u. Familienverfahrensrecht Rz. F 34; im OWi- oder Strafprozess vgl. § 464a StPO, LG Duisburg, Beschluss vom 15.05.2014 69 Qs 10/14, Juris).

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4. Alternativ steht es dem Rechtsanwalt in eigener Sache frei, sich selbst zu vertreten und sich bei Obsiegen Gebühren und Auslagen wie ein bevollmächtigter Rechtsanwalt erstatten zu lassen gemäß der diesbezüglichen Spezialregelung in § 91 Abs. 2 Satz 3 ZPO. Diese ist nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen von § 139 Abs. 1, 3, § 155 Satz 1 FGO (wie § 113 FamFG oder § 162, 173 VwGO) sinngemäß anwendbar (vgl. Beschlüsse BFH vom 09.11.1976 VII B 69/74, BFHE 120, 333, BStBl II 1977, 82; FG Baden-Württemberg vom 14.03.1983 VII 527/82, EFG 1983, 629; FG Nürnberg vom 17.12.1979 VI 230/79, EFG 1980, 298; FG München vom 08.02.1967 I 9/67, DStR 1967, 390, EFG 1967, 183; FG Münster vom 24.11.1966 VII 1613/66 Ko, DStR 1967, 322, EFG 1967, 138; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO § 139 FGO Rz. 27; entgg. FG München vom 01.03.1972 VII 22/72 - ER 1, EFG 1972, 298).

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Denn die Bestimmungen über die Kostenerstattungspflicht in der FGO gehören dem Verfahrensrecht an, sie sind daher entsprechend § 155 Satz 1 FGO durch die Vorschriften der ZPO zu ergänzen (BFH-Beschluss vom 29.10.1968 VII B 10/67, BFHE 94, 113, BStBl II 1969, 81 unter Hinweis auf Entscheidung des Großen Senats des BFH vom 18.07.1967 GrS 8/66, BFHE 90, 156, 157-159, BStBl II 1968, 59).

9

Insoweit gilt für den Erstattungsanspruch eines Rechtsanwalts dasselbe wie bei Prozessen anderer als Prozessbevollmächtigte nach § 62 Abs. 2 FGO zugelassener Berufsträger in eigener Sache, z. B. Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer (vgl. BFH-Beschluss vom 02.11.1971 VII B 161/69, BFHE 103, 314, BStBl II 1972, 94).

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5. Nach beschlossener Notwendigkeit der Vertretung gemäß § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO sowie Erstattung der Prozessbevollmächtigten-Kosten aus dem außergerichtlichen Vorverfahren stellt sich hier nicht die Frage einer diesbezüglichen Einschränkung (vgl. Beschlüsse BVerfG vom 09.06.1972 1 BvR 176/72, HFR 1972, 441, StRK FGO § 139 R 48; BFH vom 29.03.1973 IV B 89/70, BFHE 108, 574, BStBl II 1973, 535; vom 10.02.1972 V B 33/71, BFHE 104, 306, BStBl II 1972, 355; FG Hamburg vom 08.02.1971 I 122/65 (VI), EFG 1971, 291, FG Baden-Württemberg vom 02.07.1969, EFG 1969, 459).

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6. Der Erstattung der in eigener Sache teils aufgrund Mandatierung eines Prozessbevollmächtigten und teils aufgrund Selbstvertretung geltend gemachten Gebühren und Auslagen (hier insbesondere ohne Mehrkosten) als zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendige Kosten gemäß § 139 Abs. 1, 3 FGO i. V. m. § 91 Abs. 1-2 ZPO steht der diesbezügliche Wechsel während des Verfahrens nicht entgegen (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 28.06.2001 23 W 203/01, OLGR Hamm 2002, 246 zu III).

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7. Zu den gemäß § 139 Abs. 1, 3, § 155 Satz 1 FGO, § 91 Abs. 2 Satz 3 FGO dem Rechtsanwalt in eigener Sache zu erstattenden Gebühren und Auslagen gehören auch die bei Terminswahrnehmung vor einem auswärtigen Gericht notwendig angefallenen Reisekosten einschließlich der Tage- und Abwesenheitsgelder, wie er sie als bevollmächtigter Rechtsanwalt hätte verlangen können (BFH-Beschluss vom 29.10.1968 VII B 10/67, BFHE 94, 113, BStBl II 1969, 81 a. E.) oder wie er sie für einen in seiner eigenen Sache von ihm bevollmächtigten und mit den Verhältnissen und der Rechtsangelegenheit vertrauten Anwalt verlangen könnte (vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 25.03.2003 23 C 03.167, Juris; betr. Vorbefassung bzw. Spezialkenntnisse FG Hamburg, Beschlüsse vom 12.11.2015 3 KO 117/15, EFG 2016, 393 m. Anm. Brettschneider; vom 15.06.2012 3 KO 208/11, DStRE 2013, 689; 3 KO 209/11, RVGReport 2012, 426 m. w. N.; z. T. entgg. OLG Dresden vom 09.02.1998 15 W 97/98, OLGR Dresden 1998, 131; AG Hadamar, Beschluss vom 24.01.1999 3 C 399/98, Juris).

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8. Im Übrigen kommt es für die Erstattungsfähigkeit der (Reise-)Kosten des Rechtsanwalts in eigener Sache in der Regel - wie hier - nicht auf die Frage an, inwieweit es einem nicht am Gerichtsort (hier in München) ansässigen rechtskundigen Beteiligten zuzumuten wäre, einen dortigen Prozessbevollmächtigten zu beauftragen. Ein Rechtsanwalt ist nicht gehalten, darauf zu verzichten, sich vor einem auswärtigen Prozessgericht selbst zu vertreten, und stattdessen einen dort zugelassenen Rechtsanwalt mit seiner Prozessvertretung zu beauftragen (BGH, Beschluss vom 11.02.2003 VIII ZB 92/02, NJW 2003, 1534, MDR 2003, 321; N. Schneider, AnwBl 2010, 512, 514).

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Insoweit liegt es nämlich im berechtigten und vorrangigen Interesse des Rechtsanwalts, sein Anliegen persönlich im Rechtsgespräch in der mündlichen Verhandlung vorzubringen. Damit ist gleichzeitig die Prozessführung in eigener Sache vor dem auswärtigen Gericht (in München) als Maßnahme zweckentsprechender Rechtsverfolgung bzw. Rechtsverteidigung im Sinne von § 91 ZPO bzw. § 138 FGO anzusehen (OLG München, Beschluss vom 24.04.2012 11 W 627/12, NJW-RR 2012, 889, MDR 2012, 939 u. U. im Unterschied zum Prozess einer Partei kraft Amtes mit geringerer persönlicher Betroffenheit; vgl. i. Ü. zur evtl. Reisekosten-Erstattung für Beteiligte persönlich FG Düsseldorf, Beschluss vom 09.03.2007 16 Ko 441/07 KF, EFG 2007, 1262).

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9. Davon abgesehen ist nach ständiger Rechtsprechung auch sonst nicht aus Kostengründen die Beauftragung eines am Sitz des Rechtsmittel- oder Revisionsgerichts (hier des BFH) ansässigen Prozessbevollmächtigten geboten, sondern sind die Kosten einschließlich Reisekosten der dortigen Vertretung durch einen aus der Vorinstanz mit dem Verfahren befassten Prozessbevollmächtigten - bzw. Unterbevollmächtigten oder Rechtsanwalts in eigener Sache - mit Ansässigkeit am Wohnsitz des Klägers grundsätzlich ohne weiteres als notwendig i. S. v. § 139 FGO bzw. § 91 ZPO anzusehen (vgl. Beschlüsse BAG vom 12.10.1962 5 AZR 268/60, BAGE 13, 256, DB 1963, 139; LAG Rheinland-Pfalz vom 08.10.1996 9 TA 79/96, NZA-RR 1998, 322). Nach Vertrautheit oder Vertrauen aus der Vorinstanz ist dem Beteiligten das Risiko der Auswahl eines eventuell unbekannten Anwalts am Ort des Rechtsmittelgerichts nicht zuzumuten (vgl. Beschlüsse VGH Baden-Württemberg vom 19.06.2000 6 S 931/99, Juris; LAG Hamm vom 31.05.1955 4 Ta 38/55, BB 1955, 513).

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Besondere Schwierigkeiten der Rechtssache oder deren Bedeutung sind insoweit nicht mehr zu prüfen (LAG Köln, Beschluss vom 23.01.2004 6 (11) Ta 426/03, NZA-RR 2004, 552). Von letzterer ist nach Revisionszulassung ohnehin auszugehen, während hier die freie Anwaltswahl rechtsstaatlich-gesetzlich vorgesehen ist (Art. 20 GG; LAG Hamm, Beschluss vom 09.11.1962 5 Ta 58/62, DB 1962, 1544).

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Danach kommt es auch nicht mehr darauf an, dass die Reisekosten nicht außer Verhältnis stehen gegenüber dem alternativen Aufwand für die Information eines neuen Anwalts am Sitz des Rechtsmittelgerichts (vgl. z. B. LAG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 23.02.2007 8 Ta 21/07, Juris; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 139 FGO Rz. 28 "Informationsreise").

II.

18

Im Einzelnen bzw. der Höhe nach sind die Terminsgebühr gemäß Nr. 3210 RVG-VV, die Reisekosten nach Nr. 7004 RVG-VV (einschließlich Economy-Billigflug; vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 19.06.2000 6 S 931/99, Juris) nebst Tage- und Abwesenheitsgeld i. S. v. Nr. 7005 RVG-VV und Zinsen nach §§ 149, 155 Satz 1 FGO i. V. m. § 104 Abs. 1 ZPO wie tenoriert unbestritten und nicht zu beanstanden.

C.

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Die außergerichtlichen Kosten der Erinnerung trägt das beklagte Finanzamt entsprechend § 135 FGO.

20

Gerichtskosten für das Erinnerungsverfahren sieht das GKG nicht vor.

21

Die Unanfechtbarkeit des Beschlusses folgt aus 128 Abs. 2 FGO.

22

Die Entscheidung ergeht nach § 149 Abs. 4 FGO durch den gemäß Geschäftsverteilung des Finanzgerichts zuständigen Kostensenat.

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