Urteil vom Landesarbeitsgericht Hamburg (7. Kammer) - 7 Sa 72/17

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 11. April 2017 (21 Ca 288/16) wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über variable Vergütungen des Klägers sowie über die Zulässigkeit eines Einspruchs der Beklagten gegen ein Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts.

2

Der Kläger ist bei der Beklagten beziehungsweise ihrer Rechtsvorgängerin seit 2001 als übertariflicher Mitarbeiter beschäftigt. Seit dem Jahr 2014 herrscht Streit zwischen den Parteien über das Bestehen und den Umfang von Ansprüchen des Klägers auf Jahressonderzahlungen für die Jahre ab 2012. Für die Jahre 2012 und 2013 hat der Kläger eine rechtskräftige Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamburg erstritten (7 Sa 53/15). Mit der am 7. Juli 2016 vor dem Arbeitsgericht Hamburg erhobenen Klage hat der Kläger Jahreszahlungen für die Jahre 2014 und 2015 geltend gemacht.

3

Die Klage wurde der Beklagten am 13. Juli 2016 zugestellt. Die Beklagte ist zur Güteverhandlung am 25. August 2016 ordnungsgemäß geladen worden. Zu diesem Termin ist der Kläger mit seiner Prozessbevollmächtigten erschienen, für die Beklagte dagegen niemand.

4

Der Kläger hat daraufhin den Erlass eines Versäumnisurteils beantragt sowie,

5

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Jahreszahlung für 2014 in Höhe von € 2.300,85 brutto zzgl. Zinsen in Höhe von 5-%-Punkten über dem Basiszinssatz seit 01. Juni 2015 zu zahlen, sowie eine Jahreszahlung für 2015 in Höhe von € 2.300,85 brutto abzgl. bereits gezahlter € 460,17 zzgl. Zinsen in Höhe von 5-%-Punkten über dem Basiszinssatz auf € 1.840,68 seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

6

Das Arbeitsgericht Hamburg hat am 25. August 2016 ein den klägerischen Anträgen voll stattgebendes Versäumnisurteil gegen die Beklagte erlassen, das dieser am 7. September 2016 an die Niederlassung der Beklagten in Hamburg zugestellt worden ist.

7

Das Versäumnisurteil enthielt die folgende Rechtsbehelfsbelehrung:

8

„Rechtsbehelfsbelehrung

9

Gegen dieses Urteil kann die Beklagte Einspruch einlegen.

10

Der Einspruch muss schriftlich, d.h. mit Unterschrift versehen, beim Arbeitsgericht eingelegt werden. Er kann auch zu Protokoll der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts erklärt werden.

11

Die Frist für die Einlegung des Einspruchs beträgt eine Woche; sie kann nicht verlängert werden. Innerhalb dieser Frist muss der Einspruch beim Arbeitsgericht eingegangen sein. Die Frist beginnt mit der Zustellung des Versäumnisurteils.

12

Die Einspruchsschrift muss enthalten:

13

1. die Bezeichnung des Urteils, gegen das der Einspruch gerichtet wird;

14

2. die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Einspruch eingelegt werde.

15

Soll das Urteil nur zum Teil angefochten werden, so ist der Umfang der Anfechtung zu bezeichnen.

16

Wird der Einspruch nicht in der gesetzlichen Form und Frist eingelegt, so ist er als unzulässig zu verwerfen.

17

Die Anschrift des Arbeitsgerichts Hamburg lautet:

18

Osterbekstraße 96, 22083 Hamburg
Dr. D.“

19

Der elektronische Rechtsverkehr mit dem Arbeitsgericht ist seit dem 1. Dezember 2014 in allen Verfahren eröffnet (vgl. Verordnung über den elektronischen Rechtsverkehr in Hamburg vom 28. Januar 2008).

20

Mit Schriftsatz vom 19. September 2016, bei Gericht per Fax vorab am 19. September 2016 eingegangen, haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten Einspruch gegen das Versäumnisurteil eingelegt. Mit Schriftsatz vom 5. Oktober 2016 haben die Prozessbevollmächtigten der Beklagten begehrt, den Einspruch als fristgemäß zu behandeln, hilfsweise Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

21

Die Beklagte hat vorgetragen, der Einspruch gegen das Versäumnisurteil sei fristgemäß eingelegt worden, da die Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft sei. In der Rechtsbehelfsbelehrung finde sich weder ein Hinweis auf die Telefaxnummer des Arbeitsgerichts noch auf die Möglichkeit, den Einspruch mittels des elektronischen Rechtsverkehrs einzulegen. Da die Rechtsbehelfsbelehrung insofern unterblieben oder unrichtig sei, betrage die Frist für die Einlegung des Einspruchs ein Jahr. Jedenfalls sei der Beklagten aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Denn durch die Zustellung an den Hamburger Standort der Beklagten sei sie, da dort weder eine Geschäftsleitung noch eine Rechtsabteilung existierten, unverschuldet an der Einhaltung der Einspruchsfrist gehindert gewesen.

22

Die Beklagte hat (gemäß Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils) beantragt,

23

den Einspruch als fristgemäß zu behandeln, hilfsweise der Beklagten gegen die Versäumung der Einspruchsfrist Widereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.

24

Der Kläger hat (gemäß Tatbestand des erstinstanzlichen Urteils) beantragt,

25

den Einspruch als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise als unbegründet abzuweisen.

26

Der Kläger hat vorgetragen, dass die Rechtsbehelfsbelehrung nicht fehlerhaft gewesen sei. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei nicht zu gewähren, da ein Organisationsverschulden der Beklagten vorliege.

27

Mit Urteil vom 11. April 2017 hat das Arbeitsgericht den Einspruch der Beklagten gegen das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 25. August 2016 als unzulässig verworfen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, die Einspruchsfrist habe eine Woche betragen, diese habe die Beklagte nicht eingehalten. Ob § 9 Abs. 5 S. 4 ArbGG anwendbar sei nicht, könne offenbleiben, denn die Rechtsbehelfsbelehrung, die dem Versäumnisurteil beigefügt gewesen sei, sei nicht fehlerhaft, sondern ordnungsgemäß erfolgt. Nach § 59 S. 3 ArbGG ist der Betroffene mit der Zustellung des Versäumnisurteils schriftlich darauf hinzuweisen, dass der Einspruch in Wochenfrist schriftlich oder durch Erklärung zur Niederschrift der Geschäftsstelle einzulegen sei. Nach § 9 Abs. 5 S. 2, 3 ArbGG, eine entsprechende Anwendung vorausgesetzt, sei für den Lauf der Rechtsmittelfrist Voraussetzung, dass über das Rechtsmittel, das Gericht bei dem das Rechtsmittel einzulegen sei, die Anschrift des Gerichts und die einzuhaltende Form und Frist schriftlich belehrt werde. Diesen Anforderungen sei die erteilte Rechtsbehelfsbelehrung gerecht geworden. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils vom 11. April 2017 Bezug genommen (Bl. 313 ff d.A.).

28

Das Urteil ist der Beklagten am 15. Mai 2017 zugestellt worden. Sie hat hiergegen am 9. Juni 2017 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 12. Juli 2017, am selben Tag vorab beim Landesarbeitsgericht eingegangen, begründet.

29

Die Beklagte trägt vor, das Arbeitsgericht habe fehlerhaft entschieden. Die Rechtsbehelfsbelehrung sei fehlerhaft gewesen. Die Einspruchsfrist habe daher nicht in Gang gesetzt werden können, weshalb der Einspruch noch fristgemäß erfolgt sei. Rechtsfehlerhaft sei bereits die Ansicht des Arbeitsgerichts, die Rechtsbehelfsbelehrung müsse nicht darauf hinweisen, dass ein Einspruch per Telefax eingelegt werden könne. Zur Vervollständigung einer Rechtsbehelfsbelehrung bedürfe es der Angabe der Anschrift des Gerichts. Hierzu gehöre neben der postalischen Anschrift auch die Angabe der Faxnummer. Die Einlegung von Rechtsmitteln durch Telefax sei praxisüblich, weshalb erst die Faxnummer die Anschrift des Gerichts vervollständige. Diese Angabe hätte auch nicht dazu geführt, dass die Verständigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung nicht mehr gegeben gewesen wäre. Entsprechendes gelte für einen Hinweis auf den elektronischen Rechtsverkehr. Auch hierüber hätte belehrt werden müssen. Zudem sei durch den Hinweis auf die notwendige Schriftform des Einspruchs die Belehrung irreführend, weil der Eindruck erweckt werden könne, der Einspruch sei nur in einer verschriftlichten Ausfertigung auf Papier möglich, nicht aber auf elektronischem Wege. Erwägungen dahingehend, ob das Unterlassen der Belehrung über die Möglichkeit der Einspruchseinlegung mittels elektronischem Rechtsverkehr oder Telefax geeignet gewesen sei, einen Betroffenen von der rechtzeitigen Einlegung des Rechtsmittels abzuhalten, hätten nicht erfolgen müssen. Solche Erwägungen spielten keine Rolle im Rahmen von § 59 ArbGG. Von Bedeutung sei lediglich, ob die Rechtsbehelfsbelehrung objektiv fehlerhaft gewesen sei. Unerheblich sei, ob der Mangel der Rechtsbehelfsbelehrung dazu geführt habe, die Einlegung des Rechtsmittels zu behindern oder zu erschweren. Zudem sei die Ansicht des Arbeitsgerichts, die Einlegung des Einspruchs mittels elektronischen Rechtsverkehrs stelle keine Vereinfachung der Einspruchsregelung dar, von Rechtsfehlern getragen. Vielmehr könne dieser Weg sogar ein vereinfachter Weg sein, Einspruch einzulegen. Auch sei die Auffassung fehlerhaft, der fehlende Hinweis auf das Telefax sei nicht geeignet, einen Betroffenen von der rechtzeitigen Einlegung eines Rechtsmittels abzuhalten. Zumindest aber hätte das Arbeitsgericht Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewähren müssen. Die Beklagte sei ohne ihr Verschulden daran gehindert gewesen, die Einspruchsfrist zu wahren. Da sich der Hauptsitz in M. befinde, hätte das Versäumnisurteil dort zugestellt werden müssen. Die Kombination der Umstände, die örtliche Distanz der Standorte M. und Hamburg sowie die kurze Notfrist von einer Woche sprächen gegen ein Verschulden der Beklagten an der Fristsäumnis. Jedenfalls aber werde nach §§ 46 Abs. 2 ArbGG, 495, 233 S. 2 ZPO fehlendes Verschulden vermutet, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung, wie vorliegend, fehlerhaft gewesen sei.

30

Die Beklagte beantragt,

31

das Urteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 11. April 2017, Az. 21 Ca 288/16, aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung an das Arbeitsgericht Hamburg zurück zu verweisen.

32

Der Kläger beantragt,

33

die Berufung zurückzuweisen.

34

Der Kläger verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und trägt vor, der Einspruch sei verfristet, die Rechtsbehelfsbelehrung ordnungsgemäß gewesen. Die Anforderungen von § 59 ArbGG seien erfüllt. Der Hinweis auf die Möglichkeit des schriftlichen Einspruchs erfasse die Einlegung des Einspruchs per Telefax der auf dem Wege des elektronischen Rechtsverkehrs. Beide stellten keine eigenständige Form dar, sondern nur eine Ausgestaltung der Schriftform. Es müsse nicht jede mögliche Art der Schriftform angeführt werden. § 9 Abs. 5 S. 3 ArbGG sei weder direkt noch analog anzuwenden. Schließlich habe das Arbeitsgericht zu Recht ausgeführt, dass der elektronische Rechtsverkehr keine Vereinfachung für die Einreichung eines Einspruchs darstelle, da dieser Zugang nicht jedem offen stehe und diverse technische Voraussetzungen erfüllt sein müssten. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand sei zu Recht abgelehnt worden. Die Beklagte habe die Fristversäumnis zu vertreten.

35

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie den gesamten Akteninhalt verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

36

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts ist zulässig, aber nicht begründet, da der Einspruch gegen das Versäumnisurteil zu Rechts als unzulässig verworfen worden ist.

1.

37

Die Berufung der Beklagten ist gemäß § 64 Abs. 1, 2 b ArbGG statthaft. Sie wurde im Sinne der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6, ArbGG, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet.

2.

38

Das Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg. Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil ist zu Rechts als unzulässig verworfen worden. Die von der Beklagten im Berufungsverfahren gegen die Erwägungen des Arbeitsgerichts vorgetragenen Argumente überzeugen letztendlich nicht. Dazu sei Folgendes ausgeführt:

a)

39

Unstreitig war das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Hamburg vom 25. August 2016 ordnungsgemäß am 7. September 2016 zugestellt worden. Unstreitig hat die Beklagte nicht innerhalb von einer Woche ihren Einspruch eingelegt, sondern erst am 19. September 2016.

40

Der am 19. September 2016 eingelegte Einspruch war verfristet. Nach § 59 S. 1 ArbGG kann gegen ein Versäumnisurteil binnen einer Notfrist von einer Woche nach seiner Zustellung Einspruch eingelegt werden. Demnach beginnt die Notfrist von einer Woche grundsätzlich mit der Zustellung des Versäumnisurteils. Ob die Notfrist bei fehlerhafter Rechtsbehelfsbelehrung nicht zu laufen beginnt oder ob trotz fehlerhafter/fehlender Rechtsbehelfsbelehrung die Notfrist bereits mit Zustellung des Versäumnisurteils zu laufen beginnt (so etwa BGH, 15.12.2010, XII ZR 27/09 zu § 338 S. 2 ZPO a.F.), sodann aber einem Antrag auf Wiedereinsetzung stattzugeben ist, kann dahinstehen. Denn die Rechtsbehelfsbelehrung war vorliegend nicht fehlerhaft. Soweit der Beklagtenvertreter rügt, die Rechtsbehelfsbelehrung hätte auch die Faxnummer des Arbeitsgerichts beinhalten und einen Hinweis auf die Möglichkeit eines Einspruchs per elektronischem Rechtsverkehr enthalten müssen, kann dem nicht gefolgt werden.

b)

41

Mit der vorliegenden Rechtsbehelfsbelehrung wurde dem Wortlaut des § 59 S. 2 ArbGG Genüge getan. Es wurde auf die Möglichkeit des Einspruchs hingewiesen und die Notwendigkeit der Schriftform mitgeteilt bzw. alternativ die Möglichkeit des Einspruchs per Abgabe einer Erklärung zur Niederschrift der Geschäftsstelle. Zudem wurde die Anschrift des Arbeitsgerichts mitgeteilt. Das war ausreichend. Dem Wortlaut dieser Bestimmung ist weder zu entnehmen, dass auf die Möglichkeit des Einspruchs per elektronischem Rechtsverkehr hinzuweisen ist noch auf die Möglichkeit des Einspruchs per Fax unter Mitteilung der Faxnummer des Gerichts (vgl. BFH, 18.1.2017, VII B 158/16 zur Frage der Notwendigkeit der Angabe der Faxnummer).

42

aaa)

43

Eine Rechtsbehelfsbelehrung sollte so einfach und klar wie möglich gehalten werden, um im Interesse rechtsunkundiger Beteiligter eine inhaltliche Überfrachtung zu vermeiden. Deshalb erscheint es als ausreichend, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung den Gesetzeswortlaut der einschlägigen Bestimmung wiedergibt und verständlich über die allgemeinen Merkmale des Fristbeginns unterrichtet (BFH, 10.11.2016, X B 85/16, m.w.N.; zit. nach juris). Auf dieser Grundlage reicht es aus, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung hinsichtlich des Formerfordernisses für die Einlegung eines Einspruchs den Wortlaut des § 59 ArbGG wiedergibt, d.h. einen Hinweis dahingehend enthält, dass der Einspruch schriftlich beim Arbeitsgericht oder durch Abgabe einer Erklärung zur Niederschrift der Geschäftsstelle eingelegt werden kann. Die Angabe der Anschrift des Arbeitsgerichts wird von § 59 ArbGG nicht gefordert.

44

bbb)

45

Sodann gilt, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung erst dann unrichtig ist, wenn sie in wesentlichen Aussagen unzutreffend oder derart unvollständig oder missverständlich abgefasst ist, dass durch sie die Möglichkeit zur Fristwahrung gefährdet erscheint (BFH, 10.11.2016, X B 85/16; 9.11.2009, IV B 54/09; zit. nach juris).

46

Weitergehend wird vertreten, dass eine Rechtsbehelfsbelehrung nicht nur dann unrichtig ist, wenn sie die in der Belehrungsnorm zwingend geforderten Angaben nicht enthält, sondern auch dann, wenn sie geeignet ist, bei dem Betroffenen einen Irrtum über die formellen oder materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen und ihn dadurch abzuhalten, den Rechtsbehelf überhaupt, rechtzeitig oder in der richtigen Form einzulegen (vgl. BVerwG, 21.3.2002, 4 C 2/01; zit. nach juris). Allerdings wird auch hiernach vertreten, dass es sich im Hinblick auf die Formerfordernisse eines Rechtsbehelfs um Hinweise handelt, die die Belehrungshinweisnorm in der Aufzählung der erforderlichen Inhalte einer Rechtsbehelfsbelehrung nicht erfasst und die damit nicht zwingend enthalten sein müssen. Sofern die Belehrung dergestaltete Hinweise aber enthält, entsprechen diese Zusätze nur dann den Anforderungen der Rechtsbehelfshinweisnorm, wenn sie keinen unzutreffenden oder irreführenden Inhalt haben, der generell geeignet ist, den Betroffenen von der (ordnungsgemäßen) Einlegung des Rechtsbehelfs abzuhalten (BVerwG, 30.4.2009, 3 C 23/08; zit. nach juris). Nicht entscheidend sei dabei, ob der beanstandete Zusatz der Belehrung im konkreten Fall tatsächlich einen Irrtum hervorgerufen und dazu geführt habe, dass das Rechtsmittel nicht oder nicht rechtzeitig eingelegt worden ist. Es genüge, dass der irreführende Zusatz objektiv geeignet gewesen sei, die Rechtsmitteleinlegung zu erschweren (BVerwG, 30.4.2009, 3 C 23/08; zit. nach juris).

47

ccc)

48

Nach den vorstehenden Grundsätzen und Ansichten kann vorliegend nicht von einer fehlerhaften Rechtsbehelfsbelehrung ausgegangen werden.

49

Die vorliegende Belehrung war in ihren Aussagen weder unzutreffend noch unvollständig oder missverständlich abgefasst. Es war der Hinweis auf die erforderliche Schriftform enthalten, wobei sogar der Zusatz enthalten war, was dies bedeutet („d.h. mit Unterschrift versehen“). Zudem war der Hinweis enthalten, dass der Einspruch auch zu Protokoll der Geschäftsstelle des Arbeitsgerichts erklärt werden. Den Erfordernissen des § 59 ArbGG war damit Genüge getan. Insbesondere war nicht die Faxnummer anzugeben, da § 59 ArbGG – im Gegensatz zu § 9 Abs. 5 ArbGG – nicht die Angabe der Anschrift des Arbeitsgerichts fordert. Zudem zählt die Faxnummer nicht zur Anschrift des Gerichts.

50

Soweit der fehlende Hinweis auf den elektronischen Rechtsverkehr und einen Einspruch mittels Fax gerügt worden ist, gilt, dass von dem Hinweis auf die Schriftform zugleich die Einreichung mittels elektronischen Rechtsverkehrs umfasst ist. Der elektronische Rechtsverkehr stellt keine eigenständige Form dar. Vielmehr ist gesetzlich geregelt, dass insoweit die Schriftform gewahrt ist (§ 46c Abs. 1 S. 1 ArbGG). Ebenso verhält es sich mit der Möglichkeit der Einlegung des Einspruchs durch Telefax oder Computerfax. Auch diese Wege wahren die Schriftform (vgl. zB LAG Köln, 10.4.2001, 6 Ta 58/01; zit. nach juris) ebenso wie Telekopie, Telegramm oder Fotokopie eines handschriftlichen Einspruchs (vgl. EK-Koch, § 60 ArbGG Rn. 10). Notwendig in diesen Fällen ist lediglich, dass die Unterschrift des Originals erkennbar ist.

51

Die Rechtsbehelfsbelehrung war auch nicht objektiv geeignet, die Rechtsmitteleinlegung zu erschweren. Sie stand nicht der Rechtsschutzgarantie entgegen, ebenso war dem Grundsatz der Wahrung rechtlichen Gehörs ausreichend Rechnung getragen (vgl. BVerfG, 2.3.1993, 1 BvR 249/92; zit. nach juris). Die vorliegende Rechtsbehelfsbelehrung war nach dem zugrunde zu legenden objektiven Empfängerhorizont nicht geeignet, eine Fehlvorstellung über die Art, Einspruch einlegen zu können, hervorzurufen (vgl. BFH, 12.12.2012, I B 127/12; zit. nach juris). Es war klar erkennbar, dass der Einspruch schriftlich – möglich auf diversen Wegen – oder zu Protokoll der Geschäftsstelle eingelegt werden kann.

52

Im Hinblick auf den elektronischen Rechtsverkehr ist ferner zu beachten, dass der Gesetzgeber die Einlegung von Rechtsbehelfen auf elektronischem Wege durch die Aufnahme entsprechender Vorschriften lediglich zugelassen hat. Er hat aber keine Veranlassung gesehen, diese Option neben der schriftlichen und mündlichen (zur Niederschrift) Form als gleich gewichtige Form und weiteren Regelweg zu normieren (so BSG, Urt. v. 14.03.2013, B 13 R 19/12 R; zit. nach juris). Ausgehend vom Sinn und Zweck der Rechtsbehelfsbelehrung, nämlich zu verhüten, dass jemand aus Unkenntnis den Rechtsweg nicht ausschöpft, muss eine „korrekte“ Belehrung nicht stets allen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten Rechnung tragen. Es reicht aus, wenn sie die Beteiligten in die richtige Richtung lenkt (BSG, a.a.O.). Dies ist bei einer Belehrung, die auf die „klassischen“ und allgemein gebräuchlichen Möglichkeiten der Einlegung hinweist, der Fall. Eine solche Belehrung zeigt die offenstehenden Wege hinreichend klar und deutlich auf (BSG, a.a.O.). Die Aufnahme aller möglichen Varianten, einen Einspruch einlegen zu können, kann zur Unübersichtlichkeit der Rechtsbehelfsbelehrung führen oder auch – bei Hinweis auf den elektronischen Rechtsverkehr – ggf. die Fehlvorstellung hervorrufen, dass eine Einlegung per einfacher E-Mail genügt (vgl. LSG Darmstadt, 20.06.2011, l 7 AL 87/10; zit. nach juris). Hinzu kommt schließlich, dass ein Einspruch per elektronischem Rechtsverkehr, wenn sie denn die nach gesetzgeberischer Vorstellung erforderlichen Sicherheitsanforderungen erfüllen soll, mit erheblichem Informations- und Vorbereitungsaufwand verbunden ist und keine Vereinfachung des Rechtsschutzzugangs im Vergleich zur schriftlichen Erhebung oder zur Erklärung zur Niederschrift darstellt, jedenfalls nicht für den durchschnittlichen Adressaten. Für diesen zieht der fehlende Hinweis auf diese Möglichkeit kein Risiko für einen Verlust eines Rechtsmittels nach sich (OVG Bremen, 08.08.2012, 2 A 53/12.A; zit. nach juris).

53

Im Übrigen hat das Arbeitsgericht zutreffend darauf verwiesen, dass der durchschnittliche Adressat einer Rechtsbehelfsbelehrung sich ohnehin erkundigen wird und muss, was unter „Schriftform“ zu verstehen ist, da sich dies nicht von selbst erklärt. Eine solche Erkundigung ist ihm auch möglich und zumutbar. Dabei kann sodann geklärt werden, ob ein Einspruch per Telefax oder auf elektronischem Weg möglich ist.

c)

54

Der Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Einspruchsfrist gegen das Versäumnisurteil vom 20.07.2000 ist zwar zulässig, aber nicht begründet. Er wurde rechtzeitig innerhalb der Zwei-Wochen-Frist des § 234 Abs. 1 ZPO (in Verbindung mit § 46 Abs. 2 ArbGG) eingelegt. Der Antrag enthält auch Angaben über die die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen, außerdem ist die versäumte Prozesshandlung innerhalb der Antragsfrist ordnungsgemäß nachgeholt worden, wie dies § 236 Abs. 2 ZPO vorschreibt.

55

Der Antrag ist jedoch nicht begründet.

56

Nach § 236 Abs. 2 Satz 1 ZPO muss der Antrag die Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen enthalten. D.h., dass alle Tatsachen, die ihn stützen sollen, innerhalb der Frist vollständig, ausdrücklich und bestimmt angegeben werden müssen. Hierzu gehören auch alle subjektiven Vorgänge zu Kenntnis oder Unkenntnis von Tatsachen, Irrtum, Kausalität und fehlendem Verschulden. Alle später vorgebrachten Tatsachen können nicht mehr berücksichtigt werden.

57

Hinreichende Tatsachen, die erkennen ließen, dass die Beklagte ohne ihr Verschulden verhindert war, den Einspruch gegen das Versäumnisurteil vom 25. August 2016 rechtzeitig einzulegen, enthält die Begründung des Wiedereinsetzungsgesuches vom 27.09.2000 nicht. Die Erklärungen lassen nicht erkennen, weshalb es der Beklagten nicht möglich war, die Einspruchsfrist zu wahren. Das Versäumnisurteil ist wirksam und ordnungsgemäß an die Niederlassung der Beklagten in Hamburg zugestellt worden (§§ 178, 180 ZPO). Der Umstand, dass die Beklagte in Hamburg keine Zentrale, keine Geschäftsführung und keine Rechtsabteilung unterhält, hindert die Zustellung am Ort der Niederlassung nicht. Gemäß § 178 Abs. 1 ZPO kann die Zustellung (eines Urteils) nämlich auch in dem Geschäftsraum erfolgen, und zwar an eine dort beschäftigte Person. Geschäftsraum ist jeder Raum, in dem Geschäfte, welcher Art auch immer, ausgeübt werden (ZPO-Zöller, 30. Aufl., § 178 ZPO Rn. 15). Dabei ist es unerheblich, ob es sich um das Hauptgeschäft oder um eine Zweigniederlassung handelt (vgl. ZPO-Zöller, 30. Aufl., § 178 ZPO Rn. 15 ff). Unter der Adresse in Hamburg unterhielt die Beklagte unstreitig einen Geschäftsraum. Ausweislich der Zustellungsurkunde (Bl. 48 d.A.) wurde das Versäumnisurteil dort einem Beschäftigen der Beklagten übergeben. Damit ist das Versäumnisurteil wirksam und ersatzweise zugestellt worden.

58

Leitet sodann die Niederlassung bzw. die dort beschäftigen Arbeitnehmer gerichtliche Schreiben nicht rechtzeitig an die intern zuständigen Personen weiter, so ist das ein Versäumnis der Beklagten. In so einem Fall liegt ein internes Organisationsversagen vor, welches nicht ein fehlendes Verschulden im Hinblick auf eine Fristwahrung begründen kann. Die Beklagte hätte dafür sorgen müssen, dass gerichtliche – oder auch sonstige wichtige Schriftstücke – umgehend an die Zentrale weitergeleitet werden, insbesondere wenn sich wie hier aus einer Rechtsbehelfsbelehrung ergibt, dass eine kurze Frist zu wahren ist. Ein Tatsachenvortrag, aus dem sich die Schuldlosigkeit an der Versäumung der Einspruchsfrist ergibt, ist damit nicht gegeben.

3.

59

Abschließend ist klarstellend darauf hinzuweisen, dass mit dieser Entscheidung das Verfahren insgesamt erledigt ist.

60

Soweit der von der Beklagten im Schriftsatz vom 22. November 2016 angekündigte Widerklageantrag in der mündlichen Verhandlung des Arbeitsgerichts vom 11. April 2017 nicht gestellt und beschieden wurde, ist dies unschädlich. Da der Klagabweisungsantrag inhaltlich durch das Verwerfen des Einspruchs gegen das Versäumnisurteil als unzulässig entschieden wurde, ist inhaltlich zugleich über den Widerklageantrag befunden worden. Der Widerklageantrag bezog sich nämlich auf die zur Abwendung der Zwangsvollstreckung vorläufig gezahlte Jahreszahlung für 2014 und 2015. Mit der Widerklage begehrte die Beklagte die Rückzahlung der vorläufig gezahlten Beträge. Hierauf hätte die Beklagte aber nur dann einen Anspruch gehabt, wenn der Einspruch als zulässig erachtet und die Klaganträge als unbegründet zurückgewiesen worden wären. Da aber schon der Einspruch gegen das Versäumnisurteil als unzulässig verworfen worden ist, hat der Kläger die bereits – zur Abwendung der Zwangsvollstreckung – gezahlten Beträge zu Recht erhalten. Damit ist zugleich geklärt, dass die Beklagte die mit der Widerklage geltend gemachten Beträge von dem Kläger nicht zurückverlangen kann.

II.

61

Die Kosten der Berufung trägt die Beklagte Kläger (§ 97 ZPO).

62

Wegen grundsätzlicher Bedeutung war die Revision zuzulassen (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

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