Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (6. Kammer) - 6 Sa 689/11

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 26.10.2011. AZ: 4 Ca 876/11, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit einer Lohnverrechnung.

2

Die Klägerin ist seit dem 1. Januar 2010 bei der Beklagten als Verkäuferin angestellt. Ihre Lohneinkünfte wurden während des gesamten Jahres 2010 nach der Lohnsteuerklasse VI behandelt.

3

Auf Mitteilung der H Pensionsverwaltung vom 4. November 2010 (Ablichtung in Bl. 34 f. d.A.) erklärte sich die Klägerin mit einer Überführung der T Versorgungszusage auf die H Pensionskasse von 1905 VVaG in Höhe von 1.608,- EUR einverstanden. Die Beklagte rechnete die Weiterleitung im Dezember 2010 ab, was aufgrund der der Lohnsteuerklasse VI zu einem erheblichen steuerlichen- und Sozialbeitragsabzug führte. Die Klägerin erhielt für Dezember 2010 lediglich einen Verdienst von 17,74 EUR ausgezahlt. Sie (die Klägerin) wie auch ihre Steuerberater beanstandeten diesen Zahlbetrag bei der Beklagten. Die Beklagte meinte und meint indes, dass die Dezemberabrechnung 2010 korrekt erfolgt sei.

4

Ob sodann - wie die Beklagte weiter behauptet - eine Einigung zwischen den Parteien dahin erfolgte, dass ein Vorschuss in Höhe von 940,38 EUR an die Klägerin gezahlt würde, um ihr die Begleichung von Rechnungen zu ermöglichen und der Beklagten Gelegenheit zu lassen im Rahmen ihres Fachconsulting die Abrechnungsangelegenheit nochmals nachzuprüfen (Beweisangebot der Beklagten: Zeugnis Frau K), steht zwischen den Parteien in Streit. Die Beklagtenmitarbeiterin in der Abrechnung, Frau K, notierte zumindest auf einem Durchschlag der Klägerabrechnung von Dezember 2010, welcher sich in der Personalakte der Klägerin befand, die Notiz über ein Telefonat mit der Beklagtenmitarbeiterin im Fachconsulting, Frau H, für den 4. Januar 2011 mit den Worten „Abschlagszahlung vornehmen“ (Ablichtung in Bl. 50 d.A.). Weiter ging die Beklagte durch Frau K davon aus, dass die Abrechnung 2010 in Ordnung gewesen sei, weshalb unter dem 20. Januar 2011 auf dem Durchschlag der Dezember 2010 Abrechnung ergänzend notiert wurde „Abr. o.k. so“, „Lohnkonto 2010 auch o.k." (Bl. 50 d.A.). Unter dem 6. Januar 2011 erhielt die Klägerin von der Beklagten sodann eine Zahlung in Höhe von 940,38 EUR.

5

Nachdem das Fachconsulting der Beklagten die Klägerabrechnung vom Dezember 2010 unter dem 10. März 2011 nochmals geprüft und keine Abrechnungsfehler festgestellt hatte, gab deren Mitarbeiterin Frau H dies beklagtenintern an die Abrechnungsmitarbeiterin Frau K weiter. Diese zog nun - da die Angelegenheit aus ihrer Sicht abschließend geklärt war und die Klägerin sich auf die geringere Auszahlung habe einstellen können - den vermeintlichen Vorschussbetrag auf der nächstanstehenden Abrechnung der Klägerin für März 2011 ab, was sie (Frau K) unter dem 10. März 2011 auf einem E-Mail-Ausdruck wie folgt festhielt: „Telefonat Frau H; Abr. o.k. so im Dezember“, „940,38 Abzug aus Abschlagszahlung!“ (Ablichtung in Bl. 51 d.A.). In der Klägerabrechnung für März 2011 stehen deshalb dem erarbeiteten Nettolohnbetrag von 743,01 EUR abschlagsweise erbrachte 940,38 EUR gegenüber (Ablichtung in Bl. 3 d.A.). Die weiter verbliebenen 169,35 EUR stellte die Beklagte in der Klägerabrechnung für April 2011 dem Nettolohnwert als Verrechnungsbetrag negativ gegenüber (Ablichtung in Bl. 26 d.A.).

6

Die Klägerin hat mit Klagezustellung vom 17. Mai 2011 und Erweiterung unter dem 30. Mai 2011 die mit den März- und Aprilabrechnungen verrechneten und nicht zur Auszahlung gelangten Summen begehrt.

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Die Klägerin hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgebracht:

8

Es habe weder eine Fehlberechnung ihres Lohnes, noch eine Überzahlung gegeben, sodass die Beklagte die Lohnsummen nicht habe einbehalten dürfen. Zudem seien Pfändungsfreigrenzen missachtet.

9

Sofern Hintergrund der Abzüge die Tatsache sei, dass sie (die Klägerin) als vormals bei der Firma T Tätige das Angebot der H Pensionsverwaltung zur Überführung der Pensionszusage zum 30. November 2010 in Anspruch genommen habe, ergebe sich schon aus dem Schreiben der Pensionsverwaltung, dass die Beträge und Überführungen steuerfrei erfolgten. Deshalb könne ein Abzug nicht gerechtfertigt sein. Zudem seien neben Steuern auch Sozialversicherungsbeiträge abgeführt, welche selbst im Rahmen der Einkommensteuererklärung keinesfalls zurückerstattet würden.

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Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

11

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 743,01 EUR netto nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit 01.04.2011 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 169,35 EUR netto nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 30.04.2011 zu zahlen.

12

Die Beklagte hat beantragt,

13

die Klage abzuweisen.

14

Die Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen:

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Sie habe den Abzug von 940,38 EUR netto auf den Abrechnungen für März und April 2011 zu Recht vorgenommen. Hiermit sei der zuvor vereinbarte Vorschuss ausgeglichen worden. Die Vorauszahlung auf die noch nicht verdiente Vergütung sei in Absprache mit der Klägerin erfolgt. Der Klägerin sei eben dies so mitgeteilt und dabei Einigkeit erzielt worden, dass eine Abschlagszahlung erfolgte (Zeugnis Frau K). Sie (die Beklagte) sei mithin befugt gewesen, den Vorschuss anschließend mit den Folgeabrechnungsperioden wieder zu verrechnen, ohne dass Pfändungsfreigrenzen eine Rolle gespielt hätten.

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Im Übrigen sei für die Überführung der Pensionszusage keine Steuerfreistellung nach § 3 Nr. 63 EStG möglich gewesen, nachdem die Lohnsteuer für die Klägerin nach der Lohnsteuerklasse VI erhoben worden sei. Selbst wenn man die Abschlagszahlung vom Januar 2011 - mit der Ansicht der Klägerin - noch als auf den Dezember bezogen verstehen wolle, wäre der spätere Lohneinbehalt schon nach § 41c EStG wiederum geboten und zulässig gewesen.

17

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 26. Oktober 2011 - auf dessen Tatbestand wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands erster Instanz Bezug genommen wird (Seite 2-4, Bl. 90-92 d.A.) - abgewiesen und ausgeführt: Die Klage beziehe sich auf einen restlichen Nettolohn für März und April 2011. Sie sei unbegründet, weil die Lohnverpflichtungen bereits erfüllt gewesen sei. Die Klägerin habe im Januar 2011 zusätzlich zum normalen Gehalt einen Vorschuss in Höhe von 940,38 EUR bekommen. Schon aus Gründen des Vorschusscharakters folge, dass die erbrachte Zahlung keinen Ausgleich für abgeführte Steuern und Sozialversicherungsbeiträge habe darstellen sollen. Die Einigung der Parteien auf eben diesen Vorschuss habe die Klägerin in der Sache nicht weiter bestritten. Folglich sei die Beklagte nachfolgend auch berechtigt gewesen, den Vorschuss mit den nächsten Abrechnungen - für März und April 2011 - wieder anzurechnen, ohne die Pfändungsfreigrenzen berücksichtigen zu müssen. Soweit die Klägerin meine, zu Unrecht mit Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen auf die Pensionsabfindung belastet worden zu sein, handele es sich um einen anderen Streitgegenstand, über den im Rahmen der Klageanträge nicht befunden werden könne. Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des Urteils Bezug genommen (Seite 5-7, Bl. 93-95 d.A.).

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Die Klägerin hat gegen das ihr am 16. November 2011 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 12. Dezember 2011 (bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen am 14. Dezember 2011) Berufung eingelegt und diese innerhalb der bis zum 16. Februar 2012 verlängerten Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsätzen vom 16. Januar und 16. Februar 2012 (jeweils am gleichen Tag eingegangen) auch begründet.

19

Die Klägerin trägt zweitinstanzlich im Wesentlichen vor:

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Die Beklagte behaupte wahrheitswidrig, die Zahlung Anfang Januar 2011 als Vorschuss erbracht zu haben. Sie (die Klägerin) habe keinerlei frei verrechenbare Vorschüsse erhalten. Sie habe lediglich das ausstehende Gehalt gegenüber einer Mitarbeiterin der Personalabteilung der Beklagten moniert, und zwar noch im Dezember telefonisch. Daraufhin sei ihr die Auszahlung der ausstehenden Vergütung im November (gemeint wohl: Januar) 2011 zugesagt worden, was zur anschließenden Auszahlung am 6. Januar 2011 geführt habe. Über eine Vorschusszahlung habe sie indes keinerlei Gespräche geführt. Dies gelte auch für ihre (der Klägerin) Steuerberaterin.

21

Die Beklagte müsse sich im Übrigen auch daran messen lassen, dass ihr (der Klägerin) steuerliche Freiheit seitens der H Pensionsverwaltung zugesagt sei, welche im Auftrag der Beklagten gehandelt habe. Der stattdessen von Beklagtenseite vorgenommene Abzug sei entgegen dieser Zusage sowie entgegen sämtlichen anderen Mitarbeitern erfolgt, die Zahlungen der Pensionskasse unversteuert erhalten hätten (was unstreitig blieb).

22

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

23

das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 26. Oktober 2011 - 4 Ca 876/11 - abzuändern und
1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 743,01 EUR netto nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit 01.04.2011 zu zahlen,
2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 169,35 EUR netto nebst fünf Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 30.04.2011 zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

26

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und trägt ergänzend vor:

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Es seien sowohl mit der Klägerin als auch mit ihrer Steuerberaterin die steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Belange erörtert und eine Vorschusszahlung vereinbart worden. Von der Pensionsverwaltung seien keine steuerlichen Freibeträge zugesagt worden. Anderes hätte sie (die Beklagte) zudem auch nicht binden können. Ferner sei die Klägerin stets steuerlich beraten gewesen, so dass ihr die Umstände der Abgaben- und Beitragsbelastung hätten bekannt sein müssen.

28

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze zweiter Instanz nebst Anlagen der Klägerin vom 16. Januar und 16. Februar 2012 (Bl. 112 f., 119 d.A.) sowie der Beklagten vom 23. Februar 2012 (Bl. 127 f. d.A.), ferner die Sitzungsniederschrift vom 5. Oktober 2012 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

29

Die zulässige Berufung hat im Ergebnis keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

I.

30

Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft gemäß § 64 Abs. 1, Abs. 2 Buchst. b ArbGG, wurde form- und fristgerecht einlegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1, 2, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 519 ZPO) sowie rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1, 2, § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG i.V.m. § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2-4 ZPO).

II.

31

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Die Klage ist - wie vom Arbeitsgericht zutreffend entschieden - zwar zulässig, aber unbegründet.

32

1. Die Klage ist zulässig. Die im Wege der zulässigen Klagehäufung gemäß § 260 ZPO angebrachten Klageanträge sind hinreichend bestimmt.

33

a) Nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO muss die Klageschrift die bestimmte Angabe des Gegenstands und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag enthalten. Der Kläger muss eindeutig festlegen, welche Entscheidung er begehrt. Er hat den Streitgegenstand so genau zu bezeichnen, dass der Rahmen der gerichtlichen Entscheidungsbefugnis (§ 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO)keinem Zweifel unterliegt und die eigentliche Streitfrage mit Rechtskraftwirkung zwischen den Parteien entschieden werden kann (§ 322 Abs. 1 ZPO; BAG 14.12.2011 - 5 AZR 675/10 - Rn. 11, NZA 2012, 618).

34

b) Diesen Anforderungen ist die Klägerin mit der Klage und Klageerweiterung gerecht geworden. Allerdings bezieht sich der Streitgegenstand ausweislich der Klage- wie auch der -Erweiterungsbegründung vom 6. bzw. 26. Mai 2011 (Bl. 1 ff., 25 f. d.A.) allein auf rückständige Lohnbeträge aus März und April 2011, und zwar in jeweils konkret bezifferter Höhe. Hieran hat die Berufung auch nach Hinweis des Arbeitsgerichts festgehalten. Zu etwaigen Lohnrückständen anderer Abrechnungszeiträume oder gar Haftungssachverhalten der Beklagten verhält sich die Antragstellung hingegen nicht. Aufgrund des sog. zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriffs, nach dem der Gegenstand eines gerichtlichen Verfahrens durch den konkret gestellten Antrag und den ihm zugrunde liegenden Lebenssachverhalt bestimmt wird (vgl. BAG 23.8.2011 - 7 ABR 8/10 - Rn. 23, NZA 2012, 223), kann - wie vom Arbeitsgericht zutreffend hervorgehoben - über weitergehende Anspruchsgründe mithin nicht entschieden werden.

35

2. Die Klage ist unbegründet. Die zunächst in vollem Umfang gemäß § 611 Abs. 1 BGB i.V.m. dem Arbeitsvertrag der Klägerin entstandenen Lohnverbindlichkeiten aus März und April 2011 waren von Seiten der Beklagten wirksam getilgt. Die Berufungskammer folgt den zutreffenden Begründungserwägungen des Arbeitsgerichts (§ 69 Abs. 2 ArbGG) unter folgenden, im Hinblick auf die nachgetragenen Ausführungen der Klägerin gebotenen Erwägungen.

36

a) Die Lohnbeträge der Klägerin waren von der Beklagten als in den geltend gemachten Umfängen entstanden streitlos gestellt, wie sich aus den erteilten Abrechnungen für März und April 2011 unschwer ergab (vgl. BAG 28.7.2010 - 5 AZR 521/09 - Rn. 19, NZA 2010, 1241).

37

b) Die Verbindlichkeit waren dabei allerdings infolge wirksam getroffener Vorschussvereinbarung gemäß §§ 362 Abs. 1, 271 Abs. 2 BGB erloschen.

38

aa) Lohnvorschüsse sind vorweggenommene Vergütungstilgungen, die zur Verrechnung keiner Aufrechnung oder Aufrechnungserklärung bedürfen und auch nicht den Pfändungsfreigrenzen nach § 394 BGB i.V.m. § 850c ZPO unterliegen (BAG 13.11.2000 - 5 AZR 334/99 - zu II 2 d der Gründe, NZA 2002, 390). Sie setzen vielmehr lediglich voraus, dass zwischen den Parteien Einigkeit darüber erzielt wird, dass eine Zahlung als Vorschuss erbracht wird, welche bei Fälligkeit der Forderung sodann verrechnet wird (MünchKommBGB/ Müller-Glöge 5. Aufl. § 614 Rn. 16).

39

bb) Nach den klägerseits unzureichend bestrittenen Darlegungen der Beklagten lag der Auszahlung vom 6. Januar 2011 über 940,38 EUR eine Vorschussvereinbarung der Parteien zugrunde (§ 138 Abs. 1-3 ZPO).

40

(1) Zwischen den Parteien war zunächst unstreitig, dass der Zahlung Gespräche über die Richtigkeit der Abrechnung für Dezember 2010 vorausgingen. In dieser Abrechnung hatte die Beklagte für die Überführung der T Pensionszusage 615,16 EUR Steuern und 325,22 EUR Sozialversicherungsabgaben entrichtet, wie sich aus der zur Akte gereichten Dezember 2010 Abrechnung ergab (Bl. 50 d.A.).

41

(2) Zwischen den Parteien war weiter unstreitig, dass sie über die Auskehr eines zunächst nicht gezahlten Lohnbetrags aus dieser Abrechnung gesprochen hatten und es schließlich zu einer - jenseits der üblichen Zahlungstermine liegenden - Auszahlung eben jenes Werts, der Steuern und Sozialabgaben auf die übertragene Versorgungszusage entsprach, gekommen war. Soweit die Klägerin mit der Berufung vorbrachte, das Gespräch habe noch im Dezember 2010 stattgefunden, lief das dem Beklagtenvorbringen nicht zuwider, welches lediglich das intern zwischen Frau K, der Abrechnungsmitarbeiterin, und Frau H, der Mitarbeiterin im Fachconsulting, geführte Gespräch den 4. Januar 2011 angab, was unmittelbar vor Veranlassung der (ggf. Abschlags-) Zahlung lag und nicht ausschloss, dass das Gespräch mit der Klägerin noch kurz vor Jahreswechsel im Dezember 2010 erfolgt war.

42

(3) Soweit der Grund jener außergewöhnlichen Zahlung in Streit steht, hat die Beklagte einen schlüssigen Vortrag geliefert, den die Klägerin mit bloß punktuellem Bestreiten des in ihrem eigenen Wahrnehmungsbereich liegenden Geschehens nicht verfahrenswirksam in Abrede stellen konnte.

43

(a) Die Beklagte gab zum Grund der Auskehr des Betrages nachvollziehbar und plausibel an, dass zwischen den Parteien - durch die Beklagtenmitarbeiterin der Abrechnung, Frau K, und die Klägerin - vereinbart war, den Betrag einstweilen als Abschlag - was wohlverstanden nur einen Vorschuss meinen konnte - zu gewähren, um der Klägerin die Bestreitung offener Rechnungen zu ermöglichen sowie beklagtenintern die Richtigkeit der Lohnabzüge zu prüfen. Sinngemäß war damit weiter vereinbart, dass bei abgeschlossener und nicht als fehlerhaft erwiesener Abrechnungsweise eine Verrechnung mit dem nächsten Lohn erfolgte bzw. bei erkannten Abrechnungsfehlern die Klägerin den Abschlag - je nach Fehlerumfang ganz oder teilweise - ohne weitere Anrechnung behalten können sollte.

44

(b) Da die Klägerin hiergegen lediglich pauschal bestritt, die Zahlung nicht als Vorschuss erhalten zu haben, blieb ihr Bestreiten ohne hinreichende Substanz. Die Pflicht zur Vollständigkeit des eigener Wahrnehmung unterliegenden Geschehens nach § 138 Abs. 1 ZPO verpflichtete die Klägerin, Einzelheiten der gesprächsweisen Abrede vollständig und ins Einzelne gehend zu erläutern und keine entstellte oder unklare Darstellung aufkommen zu lassen (Stein/Jonas/ Leipold ZPO 21. Aufl. § 138 Rn. 3, 7). Da die Klägerin sowohl den Umstand unbestritten ließ, dass der jenseits des Turnus gezahlte Betrag der Begleichung eigener, offener Rechnungen dienen und der Beklagten Gelegenheit zur internen Kontrolle bieten sollte, blieb mit dem Bestreiten des Vorschusscharakters - wenn überhaupt nicht bloß die Rechtsfolge bestritten sein sollte - lediglich ein punktueller Aspekt verdunkelt, den zu beleuchten der Klägerin ohne Weiteres möglich gewesen wäre. Dies umso mehr, als sich nach dem Klägervorbringen auch nicht ansatzweise erklärt, warum die Beklagte - die ja unbestritten meinte, ihre Abzugsberechnung sei richtig gewesen - plötzlich und ohne jeden Vorbehalt nicht oder möglicherweise nicht geschuldete Zahlungen geleistet haben sollte.

45

c) Selbst wenn die Klägerin den Beklagtenvortrag substantiierter bestritten hätte, wäre der Einbehalt immer noch zu Recht erfolgt.

46

aa) Aufgrund der unstreitig im Jahr 2010 bestehenden Lohnsteuerbehandlung nach der Lohnsteuerklasse VI war die Beklagte nicht zur steuer- und beitragsfreien Auskehr von übertragenen Beiträgen an den Pensionsfonds berechtigt. Die Steuerfreiheit derartiger Übertragungen hing nach § 3 Nr. 63 EStG von der Vornahme der Übertragung in einem „ersten Dienstverhältnis“ ab. Als solches durfte die Beklagte indes den bindenden Vorgaben der Finanzverwaltung entsprechend ein nach Steuerklasse VI gehandhabtes Arbeitsverhältnis nicht auffassen (vgl. BMF 31.3.2010 - IV C 3 - S 2222/09/10041 - BStBl. I 270 Rn. 264: „Die Steuerfreiheit ist jedoch nicht bei Arbeitnehmern zulässig, die dem Arbeitgeber eine Lohnsteuerkarte mit der Steuerklasse VI vorgelegt haben.“). Auch die Abgabenfreiheit konnte - weil sie gesetzmäßig der steuerlichen Behandlung zu folgen hat (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 9 SvEV vom 21. Dezember 2006, BGBl. I S. 3385, i.V.m. §§ 14 Abs. 1 Satz 1, 17 Abs. 1 SGB IV) - bei dieser Sachlage von Seiten der Beklagten nicht gewährleistet werden. An diesen Umständen ändert auch der Einwand der Klägerin, anderen Mitarbeitern sei die Übertragung steuer- (und ggf. abgaben-) frei gewährt worden nichts, da der Gleichbehandlungsgrundsatz in Fällen bloßen Normvollzugs nicht greift (BAG 27.6.2012 - 5 AZR 317/11 - Rn. 17, juris).

47

bb) Die aus dem Zufluss vom Dezember 2010 offenen Sozialversicherungs- und Steueranteile konnten entsprechend § 366 BGB noch innerhalb der Zeitgrenze des § 28g Satz 1, 3 SGB IV bis einschließlich der März 2011 für den Abgabenbetrag von 325,22 EUR sowie gemäß § 41c Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG im Lohnsteuerwert von 615,16 EUR während der übrigen Zeit einbehalten werden.

48

d) Da auf den gesetzlichen Abzug finden die Pfändungsfreigrenzen keine Anwendung finden (vgl. R 41c.1 Abs. 4 Satz 3 LStR 2011 bzw. - zu § 28g SGB IV - BAG 12.12.2006 - 3 AZR 806/05 - Rn. 33, NZA 2007, 1105), bedarf die vereinzelt vertretene Auffassung, die Anrechnung von Lohnvorschüssen bedürfe der Berücksichtigung eines gewissen Selbstbehalts, ggf. entsprechend § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO (vgl. AnwKommArbR/ Boecken § 614 BGB Rn. 22; ErfK/ Preis 11. Aufl. § 614 Rn. 21; dagegen indes MünchKommBGB/ Müller-Glöge § 614 Rn. 18), keiner weiteren Beurteilung.

B.

49

Die Klägerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 97 Abs. 1 ZPO).

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