Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (6. Kammer) - 6 Sa 342/13
Tenor
Auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 24. Juli 2013 - 4 Ca 261/13 - unter Zurückweisung der Berufung der Beklagten teilweise wie folgt abgeändert, soweit die Beklagte verurteilt wurde, der Klägerin in 2013 noch 10 Urlaubstage aus dem Jahr 2011 zu gewähren:
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin noch 10 Urlaubstage aus dem Jahr 2011 zu gewähren.
Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits 1. Instanz tragen die Klägerin zu 72 % und die Beklagte zu 28 %. Die Kosten des Rechtsstreits 2. Instanz tragen die Klägerin zu 44 % und die Beklagte zu 56 %.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
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Die Parteien streiten um einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Ersatzurlaub und um eine Jahressondervergütung.
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Die Klägerin ist bei der Beklagten, einem Unternehmen der feinkeramischen Industrie, seit 06. Mai 1991 als Arbeiterin im (nicht vollkontinuierlichen Wechsel-) Schichtbetrieb tätig, zuletzt zu einer Bruttomonatsvergütung von 1.658,25 Euro. Die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit der Klägerin beträgt 38 Stunden im Rahmen einer 5-Tage-Woche. Gemäß § 1 des Arbeitsvertrages vom 06. Mai 1991 finden auf das Arbeitsverhältnis die für das Unternehmen maßgeblichen tarifvertraglichen Regelungen und Betriebsvereinbarungen Anwendung. Die Beklagte, die Mitglied des Rheinischen Unternehmerverbandes Steine und Erden eV ist, wendet im Betrieb den Manteltarifvertrag für die gewerblichen Arbeitnehmer/ -innen in der feinkeramischen Industrie der Bundesrepublik Deutschland vom 08. September 2009 (im Folgenden: MTV Feinkeramische Industrie) an. Zum Urlaub enthält dieser ua. folgende Regelungen:
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„§ 11 Urlaub - Urlaubsgeld
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Allgemeines
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1. Jeder gewerbliche Arbeitnehmer und jeder über 18 Jahre alte gewerblich Auszubildende hat einmal im Jahr Anspruch auf einen bezahlten Erholungsurlaub. Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr.
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Für Jugendliche, die zu Beginn des Urlaubsjahres noch nicht 18 Jahre alt sind, gelten die jeweiligen gesetzlichen Vorschriften. Soweit der tarifliche Mindesturlaub länger ist als der gesetzliche Urlaub für Jugendliche (bezogen auf Arbeitstage), erhalten diese den tariflichen Mindesturlaub.
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2. Der Urlaub soll der Erholung dienen, er soll zusammenhängend oder in zwei Teilen genommen werden. Der Arbeitnehmer darf während der Urlaubszeit keine Erwerbstätigkeit leisten.
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3. Die Festlegung der Urlaubszeit erfolgt im Einvernehmen zwischen der Betriebsleitung und Betriebsrat nach den Bedürfnissen des Betriebes. Wünsche der Arbeitnehmer sollen im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten berücksichtigt werden.
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4. Soweit es die betrieblichen Verhältnisse erfordern, kann zwischen Betriebsleitung und Betriebsrat für den gesamten Betrieb oder für Betriebsteile Betriebsurlaub vereinbart werden.
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Urlaubsanspruch
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Der volle Urlaubsanspruch entsteht unbeschadet der Bestimmungen unter Abschnitt III. - Urlaubsdauer - Ziffer 3 Abs. 1 erstmalig nach sechsmonatiger ununterbrochener Tätigkeit im Betrieb (Wartezeit). Die Wartezeit ist auch bei Wiedereintritt in den Betrieb zu erfüllen, sofern die Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses länger als ein Jahr dauerte, eine fristlose Entlassung vorlag oder das Arbeitsverhältnis durch den Arbeitnehmer freiwillig gelöst wurde.
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Der Urlaubsanspruch besteht nur insoweit, als dem Arbeitnehmer nicht für das Urlaubsjahr bereits von einem anderen Arbeitgeber Urlaub gewährt oder abgegolten worden ist.
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Der den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigende Teil des Urlaubsanspruchs entfällt, wenn der Arbeitnehmer aus einem Grunde entlassen wird, der seine fristlose Entlassung rechtfertigt, oder wenn er das Arbeitsverhältnis - Ausbildungsverhältnis - ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist widerrechtlich löst.
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Der Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden. Eine Übertragung des Urlaubs ist nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. Im Falle der Übertragung muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden.
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Urlaubsdauer
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Der Urlaub beträgt nach dem vollendeten 18. Lebensjahr 30 Urlaubstage.
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Arbeitnehmer, die überwiegend in vollkontinuierlicher Wechselschichtarbeit eingesetzt sind und die deshalb regelmäßig nach ihren Schichtplänen Sonn- und Feiertagsarbeit leisten, erhalten einen Zusatzurlaub von zwei Arbeitstagen.“
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…
Der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte richtet sich nach den gesetzlichen Bestimmungen.
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Im Ein- und Austrittsjahr berechnet sich die Urlaubsdauer anteilig nach angefangenen Beschäftigungsmonaten, und zwar gilt jeder Monat als ein Zwölftel der Gesamturlaubsdauer, im Endergebnis aufgerundet auf volle Urlaubstage. Im Eintrittsmonat wird jedoch der anteilige Urlaub nur gewährt, wenn der Arbeitnehmer mindestens an 12 Kalendertagen tatsächlich gearbeitet hat. Im Austrittsmonat wird er nur gewährt, wenn der Arbeitnehmer mindestens 15 Tage im Beschäftigungsverhältnis stand und davon mindestens zwei Tage tatsächlich gearbeitet hat.
…"
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Die Beklagte hat mit dem bei ihr gebildeten Betriebsrat „im Januar 2011“ eine Betriebsvereinbarung über "die Urlaubsregelung hinsichtlich des gesetzlichen und tarifvertraglichen Anspruchs" folgenden Inhaltes getroffen (im Folgenden: BV Urlaub):
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„I. Geltungsbereich
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Die Betriebsvereinbarung gilt für alle Arbeitnehmer des Unternehmens.
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Urlaubsregelung
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Der jährliche Urlaubsanspruch richtet sich nach den gesetzlichen, tariflichen und betrieblichen Bestimmungen. Der Arbeitnehmer hat einen gesetzlichen Urlaubsanspruch von derzeit 20 Arbeitstagen pro Kalenderjahr, bezogen auf eine 5-Tage-Woche.Wurde dieser vom Arbeitgeber gewährt, hat der Arbeitnehmer derzeit Anspruch auf 10 Tage tarifvertraglichen Mehrurlaub pro Kalenderjahr. Übertragbarkeit, Verfall und Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs richten sich nach dem BurlG. Der tarifvertragliche Mehrurlaub muss im laufenden Kalenderjahr; spätestens aber bis zum Ablauf des dritten Monats des Folgejahres gewährt und genommen werden. Danach verfällt der tarifvertragliche Mehrurlaub selbst dann, wenn der Urlaub aus Gründen nicht genommen werden konnte, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten hat. Die zeitliche Lage des Urlaubs wird im gegenseitigen Einvernehmen unter Berücksichtigung der Bedürfnisse des Betriebes und der Wünsche des Arbeitnehmers festgelegt.
- 25
Diese Betriebsvereinbarung gilt mit sofortiger Wirkung.“
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Der von der Beklagten weiter im Betrieb angewendete Tarifvertrag Jahressondervergütung für die Feinkeramische Industrie und die Glasveredelung vom 05. Dezember 2003 (im Folgenden: TV Jahressondervergütung) sieht unter anderem Folgendes vor:
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„§ 2
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Arbeitnehmer, die bis zum 30. September eingetreten sind, erhalten in der Zeit vom 15. November bis 10. Dezember, spätestens mit Auszahlung des Novemberverdienstes, sofern sie am Auszahlungstag in ungekündigtem Arbeitsverhältnis stehen, eine Jahressondervergütung.
…
§ 10
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Der Anspruch auf Jahressondervergütung vermindert sich je regulärem Arbeitstag, an dem keine Arbeitsleistung erbracht wird, um 1/200. Dies gilt nicht, wenn die Nichtarbeit auf einen Betriebsunfall zurückzuführen ist.
- 30
Betriebsunfällen gleichzustellen sind: Anerkannte Berufskrankheiten, die nachweislich auf die Tätigkeit im Beschäftigungsbetrieb zurückzuführen sind.
- 31
Im Falle langer Krankheit, die länger als sechs Wochen andauert, kann eine Kürzung nicht mehr als 50 % ausmachen. Anspruchsvoraussetzung ist, daß der Langzeitkranke im Bezugszeitraum mindestens zwei Monate voll gearbeitet hat.
- 32
Zur Vermeidung von individuellen Härtefällen sind abweichende Reglungen, die die Höhe der Jahressondervergütung von der tatsächlichen Arbeitsleistung abhängig machen, zulässig.
- 33
Bezugszeitraum ist der Zeitraum vom 1. Oktober des Vorjahres bis zum 30. September des laufenden Jahres. Dieser Zeitraum kann durch Betriebsvereinbarung auf eine andere, zwölf Monate umfassende, Zeitspanne festgelegt werden.“
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Die Klägerin, der bis zu diesem Zeitpunkt 20 Urlaubstage aus 2011 gewährt worden waren, erkrankte am 27. Oktober 2011 arbeitsunfähig. Die Arbeitsunfähigkeit dauerte bis zum 31. August 2012 an. Im Rahmen einer zwischen den Parteien vereinbarten Wiedereingliederungsmaßnahme wurde die Klägerin vom 06. bis 10. August 2012 täglich jeweils zwei Stunden, vom 13. bis zum 17. August 2012 täglich jeweils vier Stunden, vom 20. bis 24. August 2012 täglich jeweils fünf Stunden und vom 27. bis 30. August 2012 jeweils täglich sieben Stunden beschäftigt, am 31. August 2012 war die Klägerin zur Versorgung ihres erkrankten Sohnes freigestellt. Ab 01. September 2012 arbeitete die Klägerin nach Erlangung ihrer Arbeitsfähigkeit wieder vollschichtig gemäß den arbeitsvertraglichen Bestimmungen.
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In der Lohnabrechnung der Klägerin für September 2012 (Bl. 6 d. A.) wies die Beklagte bei einem Urlaubsanspruch von 30 Tagen einen Resturlaubsanspruch von 40 Tagen aus mit der Bemerkung „davon Vorjahr: 10,0“. Vom 02. bis 12. Oktober 2012 wurde der Klägerin Urlaub aus dem Jahr 2012 gewährt. Die Oktoberlohnabrechnung der Klägerin (Bl. 7 d. A.) wies in der Folge lediglich noch einen Resturlaubsanspruch 2012 von 22 Tagen bei bisher gewährten 8 Urlaubstagen aus.
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Mit Schreiben ihrer nunmehrigen Prozessbevollmächtigten vom 26. November 2012 (Bl. 10 d. A.) erbat die Klägerin von der Beklagten die Bestätigung, dass ihr Urlaub aus dem Jahr 2011 in das Jahr 2012 übertragen worden sei und im Jahr 2012 noch genommen werden könne. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 28. November 2012 (Bl. 11 d. A) mit, der 10 Tage umfassende tarifliche Mehrurlaub sei kraft Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung gekürzt worden. Mit Schreiben vom 12. Dezember 2012 (Bl. 12. d. A.) beantragte die Klägerin die Gewährung ihr noch zustehenden Resturlaubs von 32 Tagen. Zugleich machte sie die Jahressonderzahlung für das Jahr 2012 - unter Fristsetzung zum 20. Dezember 2012 - geltend, nachdem die Beklagte eine solche im November 2012 nicht zur Auszahlung gebracht hatte. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2012 wies die Beklagte die Aufforderung - hinsichtlich des tariflichen Mehrurlaubs ausdrücklich unter erneutem Verweis auf eine zu Recht erfolgte Kürzung - zurück. Die Beklagte gewährte der Klägerin im Zeitraum bis 31. März 2013 weitere 22 Urlaubstage aus dem Jahr 2012.
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Die Klägerin hat am 22. Januar 2013 beim Arbeitsgericht Koblenz Klage auf Gewährung von 32 Urlaubstagen im Jahr 2013 aus dem Jahr 2012 erhoben und zugleich die Jahressonderzahlung 2012 geltend gemacht.
- 38
Sie hat erstinstanzlich - sofern vorliegend relevant - im Wesentlichen vorgetragen, aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit sei der übertarifliche Urlaub von 10 Tagen aus dem Jahr 2011 auf das Jahr 2012 zu übertragen worden und ihr mangels Verfall noch zu gewähren. Angesichts ihrer Erkrankung sei es ihr nicht möglich gewesen, den Urlaub in den ersten drei Monaten des Jahres 2012 zu nehmen. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG und des EuGH sei die Verfallsregelung des § 7 Abs. 3 BUrlG im Fall der Dauererkrankung teleologisch zu reduzieren mit der Folge, dass ein Verfall gesetzlicher Ansprüche zum 31. März 2012 nicht eingetreten sei. Da § 11 Abs. 2 Nr. 4 MTV Feinkeramische Industrie keine hinreichend deutliche Differenzierung zwischen dem gesetzlichen und dem tariflichen Mehrurlaub enthalte, gelte dies auch für den tariflichen Mehrurlaub. Mangels Öffnungsklausel verstoße die BV Urlaub gegen den Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG, so dass auch aus ihr ein früherer Verfall nicht hergeleitet werden könne. Da sie im Bezugszeitraum - kumulativ betrachtet und unter Berücksichtigung der Wiedereingliederung - zwei Monate voll gearbeitet habe, stehe ihr auch die Jahressondervergütung 2012 zu. Im Übrigen liege auch ein individueller Härtefall im Sinne des Tarifvertrages vor und die Höhe der Kürzung dürfe zudem nicht mehr als 50 % betragen.
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Die Parteien haben im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht einen Teilvergleich hinsichtlich der zwischenzeitlich klageerweiternd von der Klägerin geltend gemachten Entfernung einer Abmahnung geschlossen.
- 40
Die Klägerin hat erstinstanzlich zuletzt - unter „Präzisierung“ des zunächst zur Entscheidung gestellten, auf die Gewährung von 32 Tagen Urlaub gerichteten Antrags zu 1) im Kammertermin vom 24. Juli 2013 - beantragt,
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Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin in 2013 noch 10 Urlaubstage aus dem Jahr 2011 zu gewähren.
- 42
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.658,25 Euro brutto (Jahressonderzahlung 2012) zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz.
- 43
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
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die Klage abzuweisen.
- 45
Sie hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, der über den gesetzlichen Mindesturlaub hinausgehende tarifliche Mehrurlaub von 10 Tagen aus dem Jahr 2011 sei gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 4 MTV Feinkeramische Industrie mit Ablauf des 31. März 2012 verfallen. Anders als der gesetzliche Mindesturlaub verfalle der darüber hinaus gehende tariflich begründete Mehrurlaub bei langjährig arbeitsunfähigen Arbeitnehmern nicht erst 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres, wenn die Tarifvertragsparteien wie vorliegend von der Regelungsmöglichkeit eines früheren Verfalls Gebrauch gemacht hätten. Vor diesem Hintergrund stehe auch die BV Urlaub, nach der der tarifvertragliche Mehrurlaub selbst dann mit Ablauf des dritten Monats des Folgejahres verfalle, wenn er aus Gründen, die der Arbeitnehmer nicht zu vertreten habe, nicht habe genommen werden können. Ein Anspruch auf Jahressondervergütung 2012 stehe der Klägerin nicht zu, da sie innerhalb des Bezugszeitraums gemäß TV Jahressondervergütung vom 01. Oktober 2011 bis 30. September 2012 nicht mindestens zwei Monate voll gearbeitet habe; während ihrer Wiedereingliederung sei die Klägerin arbeitsunfähig gewesen und habe keine volle Arbeitsleistung erbracht. Eine abweichende Regelung zur Vermeidung von individuellen Härtefällen existiere nicht.
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Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 24. Juli 2013, wegen dessen Tatbestand auf Bl. 74 bis 78 d. A. verwiesen wird, hinsichtlich 10 noch im Jahr 2013 zu gewährender Urlaubstage aus 2011 stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, beim zuletzt noch geltend gemachten Resturlaubsanspruch aus 2011 handele es sich um nicht verfallenen gesetzlichen Urlaub, so dass auf die Frage des Verfalls nicht näher eingegangen werden müsse. Der gesetzliche Urlaubsanspruch sei nach europarechtskonformer Rechtsfortbildung nicht mit dem 31. März 2012, sondern infolge Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit der Klägerin am 01. September 2012 mit dem 31. Dezember 2012 verfallen; weil die Beklagte seine Gewährung am 28. November 2012 endgültig abgelehnt habe, stehe der Klägerin ein auf Gewährung von 10 Urlaubstagen gerichteter Schadensersatzanspruch nach §§ 275 Abs. 1 und 4, 280 Abs. 1, 283, 286 Abs. 2 Nr. 3, 287 Satz 2, 249 Satz 1 BGB zu. Die Jahressonderzahlung 2012 könne die Klägerin hingegen nicht verlangen, sie sei auf null reduziert, da die Zeiten der nicht auf der Grundlage des Arbeitsverhältnisses erfolgten Wiedereingliederung nicht zu berücksichtigen seien. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf Bl. 78 bis 83 d. A. Bezug genommen.
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Die Beklagte hat gegen das ihr am 12. August 2013 zugestellte Urteil mit am gleichen Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 13. August 2013 in Bezug auf ihre Verurteilung zur Urlaubsgewährung Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz von Montag, den 14. Oktober 2013, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, begründet. Die Berufungsbegründungsschrift der Beklagten ist der Klägerin am 17. Oktober 2013 zugestellt worden. Sie hat mit am gleichen Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 12. November 2013 Anschlussberufung mit dem Ziel eingelegt, ihr 10 Urlaubstage aus dem Jahr 2011 zeitlich unbeschränkt zu gewähren und hat die Anschlussberufung zugleich begründet. Hinsichtlich der Klageabweisung in Bezug auf die Jahressondervergütung hat die Klägerin ihrerseits gegen das ihr am 07. August 2013 zugestellte Urteil am 28. August 2013 Berufung eingelegt und diese mit am gleichen Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 25. September 2013 begründet.
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Die Beklagte macht zur Begründung ihrer Berufung und in Erwiderung auf Berufung und Anschlussberufung der Klägerin nach Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 14. Oktober 2013, 31. Oktober 2013 und 16. Dezember 2013, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 136 f. d. A.; Bl. 143 f. d. A.; Bl. 169 d. A.), zweitinstanzlich im Wesentlichen geltend,
der Klägerin stehe der zuerkannte Urlaubsanspruch nicht zu. Entgegen der Annahme des Arbeitsgerichts handele es sich bei den 10 geltend gemachten Urlaubstagen nicht um gesetzlichen Urlaub, da das Arbeitsgericht verkenne, dass bereits die BV Urlaub eine ausdrückliche Tilgungsbestimmung dahingehend enthalte, wonach der Arbeitnehmer bei einer 5-Tage-Woche erst dann einen tariflichen Urlaubsanspruch habe, wenn ihm vom Arbeitgeber 20 Tage gesetzlichen Urlaub gewährt habe, so dass zunächst der gesetzliche Urlaub, dann der tarifliche Urlaub zu gewähren sei. Nach der BV Urlaub sei der von der Klägerin noch verfolgte tarifliche Urlaubsanspruch trotz der Erkrankung der Klägerin verfallen. Tarifvertragsparteien könnten den gesetzlichen Mindestjahresurlaub übersteigende Urlaubsansprüche befristen. Soweit die Klägerin mit ihrer Anschlussberufung nun unbefristete Gewährung des Urlaubs verlange, sei daran zu erinnern, dass der angefochtene Ausspruch des Arbeitsgerichts vollumfänglich ihrer Antragstellung entspreche. Der mit der Berufung der Klägerin verfolgte Anspruch auf Jahressondervergütung 2012 stehe ihr - wie vom Arbeitsgericht zutreffend angenommen - nicht zu, da sie im Oktober 2011 nicht komplett gearbeitet habe und Zeiten der Eingliederung nicht anzurechnen seien. Die von der Klägerin in zeitlichem Umfang weit unter der vertraglich geschuldeten Stundenzahl verrichtete leidensgerechte Arbeit stelle keine Erbringung der geschuldeten Arbeit einer Vollzeitkraft dar, wobei es die von der Klägerin behauptete „Betriebspolitik“, üblicherweise Wiedereingliederungsanträge nicht anzunehmen, bei der Beklagten nicht gebe.
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Die Beklagte beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 24. Juli 2013 (Az.: 4 Ca 261/13) die Klage (insgesamt) abzuweisen.
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Die Klägerin beantragt,
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die Berufung der Beklagten zurückzuweisen,
auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 24. Juli 2013 Az. 4 Ca 261/13, abgeändert, soweit es die Klage abgewiesen hat und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 829,12 Euro brutto zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
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Die Klägerin beantragt im Wege der Anschlussberufung,
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auf die Anschlussberufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 24. Juli 2013, Az. 4 Ca 261/13, soweit es der Klage stattgegeben hat, abgeändert und die Beklagte verurteilt, der Klägerin noch 10 Urlaubstage aus dem Jahr 2011 zu gewähren.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung der Klägerin zurückzuweisen;
die Anschlussberufung der Klägerin zurückzuweisen.
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Die Klägerin verteidigt das von der Beklagten angefochtene Urteil unter gleichzeitiger Begründung ihrer Anschlussberufung nach Maßgabe des Schriftsatzes vom 12. November 2013, auf den Bezug genommen wird (Bl. 155 ff. d. A.) und begründet ihre Berufung mit Schriftsatz vom 25. September 2013, auf den verwiesen wird (Bl. 119 ff. d. A.), zweitinstanzlich im Wesentlichen wie folgt, es könne dahinstehen, ob es sich bei den geltend gemachten 10 Urlaubstagen um gesetzlichen oder tarifvertraglich gewährten (Mehr-) Urlaub handele, da letzterer jedenfalls an den europarechtlichen Vorgaben betreffend § 7 Abs. 3 Satz 3 BurlG akzessorisch gebunden sei, da die Tarifvertragsparteien für den tarifvertraglich gewährten Mehrurlaub bei Befristung und Verfall gerade keine vom gesetzlichen Mindesturlaub abweichenden Regelungen deutlich zum Ausdruck gebracht hätten und deshalb von einem Gleichlauf auszugehen sei. Die BV Urlaub, die im Übrigen auch keine Tilgungsreihenfolge festlege, könne den Verfall des Anspruchs nicht herbeiführen, da den betriebsverfassungsrechtlichen Parteien mangels Öffnungsklausel eine entsprechende Regelungsbefugnis nicht zustehe (§ 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG). Unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes sei die Beklagte auch verpflichtet, die 10 Tage Erholungsurlaub aus 2011 unbefristet zu gewähren, was - nach der außergerichtlichen Weigerung der Beklagten, insoweit eine rechtsverbindliche Erklärung abzugeben - im Wege der Anschlussberufung verfolgt werde. Die Klägerin vertritt die Auffassung, ihr stehe die Jahressondervergütung 2012 zu, da sie im August 2012 10,8 Tage gearbeitet habe und zwar auf der Basis einer konkludent zwischen den Parteien getroffenen Vereinbarung einer vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung in vermindertem zeitlichen Rahmen. Die von ihr als vollwertiges Mitglied der Belegschaft verrichteten Arbeiten hätten nicht dem Zweck einer Wiedereingliederung gedient, sondern dem betriebswirtschaftlichen Erfolg der Beklagten, da diese nach ihrer Betriebspolitik regelmäßig keine Wiedereingliederungen durchführe, jedoch angesichts der betrieblichen Situation bei ihr und einer weiteren langzeiterkrankten Kollegin eine Ausnahme gemacht habe. Vor diesem Hintergrund könne es keine Rolle spielen, dass nicht die Beklagte, sondern die Krankenkasse sie vergütet habe.
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Im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A.
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Die zulässige Berufung der Beklagten ist nicht begründet, die zulässige Anschlussberufung der Klägerin ist hingegen in der Sache erfolgreich.
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I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist statthaft, wurde von der Beklagten nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 12. August 2013 mit am 13. August 2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 12. August 2013 form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 519 ZPO) und mit am Montag, dem 14. Oktober 2013 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 520, 222 Abs. 2 ZPO).
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Die Anschlussberufung der Klägerin ist gemäß § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 524 Abs. 1 bis 3 ZPO zulässig. Sie ist an sich statthaft und wurde nach Zustellung der Berufungsbegründungsschrift der Beklagten an die Klägerin am 17. Oktober 2013 mit Schriftsatz vom 12. Januar 2013, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, iSd. § 524 Abs. 2, 3 ZPO fristgerecht eingelegt und ausreichend begründet.
- 62
II. Die Berufung der Beklagten ist nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz in Form der Gewährung von 10 Tagen Ersatzurlaub wegen von der Beklagten nicht gewährten tariflichen Urlaubs aus dem Jahr 2011 (§ 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB). Die Anschlussberufung der Klägerin ist in der Sache erfolgreich, da der Anspruch der Klägerin nicht auf das Jahr 2013 beschränkt, sondern ihr unbefristet zuzusprechen ist.
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1. Der Klägerin steht entgegen der vom Arbeitsgericht vertretenen Auffassung kein Anspruch auf Ersatzurlaubsgewährung wegen Nichterfüllung ihrer gesetzlichen Urlaubsansprüche aus dem Jahr 2011 zu. Der Klägerin, die von der Beklagten regelmäßig an fünf Tagen wöchentlich beschäftigt wird, hatte für das Jahr 2011 gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 BurlG einen (gesetzlichen) Urlaubsanspruch von 20 Urlaubstagen. Diesen Anspruch hat die Beklagte gemäß § 362 Abs. 1 BGB vollständig erfüllt, ohne dass es auf eine Tilgungsbestimmung angekommen wäre.
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1.1. Treffen gesetzliche und tarif- oder arbeitsvertragliche Erholungsurlaubsansprüche zusammen, handelt es sich, soweit sich diese Ansprüche decken, grundsätzlich nicht um selbstständige Urlaubsansprüche, sondern um einen einheitlichen Anspruch auf Erholungsurlaub, der auf verschiedenen Anspruchsgrundlagen beruht (BAG 07. August 2012 - 9 AZR 760/10 - Rn. 12, mwN, zitiert nach juris). Differenziert eine Regelung in einem Arbeits- oder Tarifvertrag hinsichtlich des Umfangs des Urlaubsanspruchs nicht zwischen dem gesetzlichen Mindesturlaub und einem übergesetzlichen Mehrurlaub, liegt in Höhe des gesetzlichen Urlaubs Anspruchskonkurrenz mit der Folge vor, dass ein Arbeitgeber mit der Freistellung des Arbeitnehmers von der Verpflichtung zur Arbeitsleistung auch ohne ausdrückliche oder konkludente Tilgungsbestimmung beide Ansprüche ganz oder teilweise erfüllt (BAG 07. August 2012 - 9 AZR 760/10 - Rn. 17, mwN, aaO).
- 65
1.2. Vorliegend bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich beim Urlaubsanspruch aus § 11 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Nr. 1 MTV Feinkeramische Industrie, wonach der Urlaub in jedem Kalenderjahr für alle Arbeitnehmer nach dem vollendeten 18. Lebensjahr 30 Arbeitstage beträgt, um einen gegenüber dem gesetzlichen Anspruch auf Erholungsurlaub gemäß §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG eigenständigen Anspruch handelt, soweit sich beide Ansprüche decken. § 11 Abs. 3 Nr.1 MTV Feinkeramische Industrie unterscheidet bereits nach seinem Wortlaut bei der Bestimmung der Höhe des Urlaubsanspruchs nicht zwischen gesetzlichem und tariflichem Urlaub. Dem Tarifvertrag lässt sich auch im Übrigen nicht entnehmen, dass der tarifliche Urlaub zum gesetzlichen Urlaub addiert werden soll. Vielmehr enthält § 11 Abs. 2 Nr. 3 MTV Feinkeramische Industrie eine Regelung für den Verfall des den gesetzlichen Mindesturlaub übersteigenden Teils des Urlaubs. Hieraus ergibt sich nach Auffassung der Berufungskammer deutlich, dass es sich - soweit die Ansprüche sich der Höhe nach decken - um einen einheitlichen Urlaubsanspruch handeln soll.
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1.3. Da die Beklagte die Klägerin unstreitig vor Beginn ihrer Erkrankung in 2011 für 20 Tage zur Urlaubsgewährung von der Arbeitsleistung freigestellt hat, hat sie damit den gesetzlichen Urlaubsanspruch der Klägerin für das Jahr 2011 aus §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG gemäß § 362 Abs. 1 BGB vollständig erfüllt. Zugleich hat die Beklagte mit der Urlaubsgewährung den tariflichen Urlaubsanspruch der Klägerin in Höhe von insgesamt 30 Urlaubstagen (ein weitergehender Anspruch aus zwei Tage Zusatzurlaub nach § 11 Abs. 3 Nr. 1 Satz 2 MTV Feinkeramische Industrie besteht mangels Einsatzes der Klägerin im vollkontinuierlichen Wechselschichtbetrieb nicht) teilweise in Höhe von 20 Urlaubstagen erfüllt.
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2. Die Klägerin kann von der Beklagten Schadensersatz in Form der Gewährung von 10 Tagen Ersatzurlaub als Naturalrestitution verlangen, da die Beklagte ihr die Gewährung ihr insoweit noch zustehenden tariflichen Urlaubs aus dem Jahr 2011 verwehrt hat und der Urlaubsanspruch infolgedessen untergegangen ist (§ 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB).
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2.1. Der der Klägerin für das Jahr 2011 noch zustehende Anspruch auf tariflichen (Mehr-) Urlaub in Höhe von 10 Urlaubstagen ist nicht mit dem 31. März 2012, verfallen, jedoch zum 31. Dezember 2012 untergegangen.
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Der Anspruch ist nicht zum 31. März 2012 verfallen.
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Die Klägerin war vom 27. Oktober 2011 bis einschließlich 31. August 2012 durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Ihr Anspruch auf den übergesetzlichen tariflichen Mehrurlaub war daher auch bis zum Ende des Übertragungszeitraums nach § 11 Abs. 2 Nr. 4 Satz 3 MTV Feinkeramische Industrie nicht erfüllbar.
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Der Anspruch der Klägerin auf übergesetzlichen Tarifurlaub ist nicht aufgrund tariflicher Vorschriften zum 31. März 2012 verfallen. Die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG 11.Juni 2013 - 9 AZR 855/11 - Rn. 19; 12. April 2011- 9 AZR 80/10 - Rn. 19, 24. März 2009 - 9 AZR 983/07 - Rn. 47 ff., jeweils zitiert nach juris), nach der § 7 Abs. 3 BUrlG unionsrechtskonform so auszulegen ist, dass der gesetzliche Urlaub nicht erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist, ist auch auf den tariflichen Mehrurlaub aus dem MTV Feinkeramische Industrie anzuwenden. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht lassen die Regelungen des MTV Feinkeramische Industrie nicht erkennen, dass die Tarifvertragsparteien von der gesetzlichen Regelung mit der Folge des Verfalls übergesetzlichen Tarifurlaubs abweichen wollten.
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aa) Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Fortbildung des § 7 Abs. 3 und Abs. 4 BUrlG beschränkt. Einem tariflich angeordneten Verfall des übergesetzlichen Urlaubsanspruchs und seiner Abgeltung steht nach dem klaren Richtlinienrecht und der gesicherten Rechtsprechung des EuGH kein Unionsrecht entgegen (vgl. BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 21; 4. Mai 2010 - 9 AZR 183/09 - Rn. 23 mwN; jeweils zitiert nach juris).
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Von ihrer freien Regelungsmacht haben die Tarifvertragsparteien dann Gebrauch gemacht, wenn sie entweder bei ihrer Verfallsregelung zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tarifvertraglichem Mehrurlaub unterschieden oder sich vom gesetzlichen Fristenregime gelöst und eigenständige vom BUrlG abweichende Regelungen zur Übertragung und zum Verfall des Urlaubsanspruchs getroffen haben (BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 22; zitiert nach juris). Hierbei müssen für einen Regelungswillen, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen vertraglichen Ansprüchen unterscheidet, deutliche Anhaltspunkte bestehen (BAG vom 23.März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 35 ff.; zitiert nach juris). Diese deutlichen Anhaltspunkte müssen sich aus Tarifwortlaut, -zusammenhang und -zweck sowie ggf. aus der Tarifgeschichte ergeben. Deutliche Anhaltspunkte für einen Regelungswillen der Tarifvertragsparteien, der zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Urlaubs(-abgeltungs)ansprüchen unterscheidet, sind schon dann anzunehmen, wenn sich die Tarifvertragsparteien in weiten Teilen vom gesetzlichen Urlaubsregime lösen und stattdessen eigene Regeln aufstellen. Im Fall einer solchen eigenständigen, zusammenhängenden und in sich konsistenten Regelung ist ohne entgegenstehende Anhaltspunkte in der Regel davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien Ansprüche nur begründen und fortbestehen lassen wollen, soweit eine gesetzliche Verpflichtung besteht. Eine ausdrückliche Differenzierung zwischen gesetzlichen und übergesetzlichen Ansprüchen ist dann nicht notwendig (BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 23, 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 50, jeweils aaO; LAG Rheinland-Pfalz 10. August 2010 - 10 Sa 244/10 - Rn. 31; zitiert nach juris). Allein ein Abweichen von der Zwölftelungsregelung des § 5 BUrlG im Tarifvertrag führt nicht bereits zu einem eigenständigen, dem Gleichlauf von Mindest- und Mehrurlaub entgegenstehenden Regelungswillen der Tarifvertragsparteien; entscheidend ist vielmehr, ob vom Fristenregime des BurlG abgewichen oder zumindest durch die Differenzierung zwischen Mindest- und Mehrurlaub erkennbar gemacht wird, dass der Arbeitnehmer für den Mehrurlaub das Verlustrisiko tragen soll (BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 28, aaO).
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bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen ergibt die Auslegung der einschlägigen Vorschriften des MTV Feinkeramische Industrie nach Auffassung der Berufungskammer nicht, dass die Tarifvertragsparteien von dem Grundsatz abweichen wollten, dass die Bestimmungen zur Übertragung und zum Verfall des gesetzlichen Urlaubs auch auf den tariflichen Mehrurlaub anzuwenden sind. Die Tarifvertragsparteien haben vielmehr Einheitlichkeit beabsichtigt.
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(1) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Soweit der Tarifwortlaut nicht unmissverständlich ist, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm ermittelt werden können. Lässt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, gegebenenfalls auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse gilt es zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR 197/10 - Rn. 28, 16. November 2010 - 9 AZR 589/09 - Rn. 15; 20. Januar 2009 - 9 AZR 677/07 - Rn. 35; jeweils zitiert nach juris).
- 76
(2) Gemessen hieran sind die tariflichen Regelungen des MTV Feinkeramische Industrie dahingehend auszulegen, dass hinsichtlich Übertragung und Verfall von Urlaub im Falle fortdauernder Erkrankung ein Gleichklang zwischen gesetzlichem und tariflichem Mehrurlaub stattfindet. Bereits nach dem Wortlaut von § 11 Abs. 3 Nr. 1 MTV Feinkeramische Industrie, der allgemein und einheitlich einen Urlaubsanspruch von 30 Urlaubstagen regelt, ergibt sich keine Abgrenzung zwischen gesetzlichem Mindesturlaub und tariflichem Mehrurlaub. Gleiches gilt hinsichtlich der Verfallsregelung in § 11 Abs. 2 Nr. 4 des Tarifvertrages, da diese § 7 Abs. 3 BurlG wortgleich abbildet. Auch ergibt sich aus dem tariflichen Zusammenhang nicht, dass die Tarifvertragsparteien ein eigenständiges Fristenregime geregelt hätten, das in weiten Teilen vom gesetzlichen Urlaubssystem abweicht. Das in § 11 Abs. 1 Nr. 3 MTV Feinkeramische Industrie vorgesehene und von § 5 Abs. 1 BurlG abweichende Zwölftelungsprinzip allein genügt hierzu nicht. Lediglich § 11 Abs. 3 Nr. 3 MTV Feinkeramische Industrie beinhaltet eine vom Gesetz abweichende Verfallregelung ausschließlich für den übergesetzlichen Tarifurlaub, der nach der Norm entfallen soll, wenn der Arbeitnehmer Grund für eine fristlose Entlassung gegeben hat oder sein Arbeits-/ Ausbildungsverhältnis selbst widerrechtlich löst. Unabhängig davon, dass eine einzige Verfallsregelung keine eigenständige, zusammenhängende und konsistente Regelung für Übertragung und Verfall von Urlaubsansprüchen darstellt, ergibt sich aus § 11 Abs. 3 Nr. 3 MTV Feinkeramische Industrie gerade, dass die Tarifvertragsparteien vom Gesetz zu Ungunsten des Arbeitnehmers nur in diesem einzigen Fall abweichen wollten, in dem ihm ein Verschulden zur Last fällt, weshalb er das Verfallrisiko tragen muss. Daraus wird zugleich ersichtlich, dass übergesetzliche Urlaubsansprüche aus Tarifvertrag im Übrigen - und damit auch in Fällen fortdauernder Erkrankung wie vorliegend - wie Ansprüche auf gesetzlichen Urlaub behandelt werden sollen. Ausreichende Anhaltspunkte für einen abweichenden Tarifwillen sind nicht gegeben.
- 77
Der übergesetzliche Anspruch der Klägerin auf weiteren Tarifurlaub in Höhe von 10 Tagen ist nicht gemäß Ziff. II Satz 5 und 6 BV Urlaub zum 31. März 2012 verfallen. Zwar sieht die Vorschrift ausdrücklich vor, dass der tarifvertragliche Mehrurlaub selbst dann nach Ablauf des dritten Monats des Folgejahres verfällt, wenn er aus Gründen nicht genommen werden konnte, die der Arbeitnehmer - wie bei einer Erkrankung - nicht zu vertreten hat. Diese Regelung verstößt jedoch gegen die Tarifsperre des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG und konnte den Anspruch der Klägerin daher nicht zu Fall bringen.
- 78
aa) Nach § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG können Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nach Satz 2 der Vorschrift nur dann nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt. Dem Betriebsrat fehlt die Zuständigkeit für Betriebsvereinbarungen, deren Gegenstand tarifüblich oder bereits in Tarifverträgen geregelt ist. Eine gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG verstoßende Betriebsvereinbarung ist daher unwirksam. Die Sperrwirkung des § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG hängt nicht von der Tarifbindung des Arbeitgebers ab. Die Vorschrift soll die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie nach Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisten. Dazu räumt sie den Tarifvertragsparteien den Vorrang bei der Regelung von Arbeitsbedingungen ein. Zum Schutz der ausgeübten und aktualisierten Tarifautonomie ist jede Normsetzung durch die Betriebsparteien ausgeschlossen, die inhaltlich zu derjenigen der Tarifvertragsparteien in Konkurrenz treten würde. Arbeitgeber und Betriebsrat sollen keine abweichenden oder ergänzenden Betriebsvereinbarungen mit normativer Wirkung abschließen können (vgl. insgesamt BAG 13. März 2012 - 1 AZR 659/10 - Rn. 20 mwN, zitiert nach juris).
- 79
bb) Vorliegend haben die Tarifvertragsparteien aus den bereits dargestellten Gründen (vgl. A II 2.1.1. b) mit § 11 Abs. 2 Nr. 4 MTV Feinkeramische Industrie den Verfall übergesetzlichen Tarifurlaubs wie den Verfall gesetzlichen Urlaubs geregelt, weshalb auch dieser Urlaub bei fortgesetzter Erkrankung nicht mit dem Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erlischt. Da damit durch § 11 Abs. 2 Nr. 4 MTV Feinkeramische Industrie die Frage des Verfalls von Urlaubsansprüchen als Arbeitsbedingung iSd. § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG tarifvertraglich geregelt ist, wird die in Ziff. II Satz 5 und 6 BV Urlaub enthaltene entgegenstehende Regelung zum Verfall von Urlaubsansprüchen von geltenden Tarifnormen verdrängt. Eine Öffnungsklausel zur Frage des Verfalls von Urlaubsansprüchen enthält der Tarifvertrag nicht, da die Tarifvertragsparteien mit § 11 Abs. 1 Nr. 4 MTV Feinkeramische Industrie den Betriebspartnern lediglich für die Festlegung von Betriebsurlaub und mit § 11 Abs. 3 Nr. 4 MTV Feinkeramische Industrie für die Gewährung von Zusatzurlaub bei längerer Betriebszugehörigkeit eine eigene Regelungskompetenz eingeräumt haben.
- 80
2.1.2. Der übergesetzliche Anspruch der Klägerin auf Gewährung von (weiteren) 10 Tagen tariflichem Urlaub ist mit dem 31. Dezember 2012 untergegangen. Soweit infolge des krankheitsbedingten Hindernisses der Urlaub fortbesteht, ist er nicht aus dem Fristenregime des BUrlG oder eines maßgeblichen Tarifvertrags dauerhaft herausgenommen. Der wegen der mangelnden Möglichkeit der Inanspruchnahme infolge krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit über den Übertragungszeitraum des ersten Quartals des Folgejahres hinaus fortbestehende Urlaubsanspruch unterfällt, sobald die Arbeitsunfähigkeit als Erfüllungshindernis des Urlaubsanspruchs wegfällt, erneut dem gesetzlichen oder tarifvertraglichen Fristenregime. Er tritt dem am 1. Januar des Urlaubsjahres neu erworbenen Urlaubsanspruch hinzu, unterliegt dann dessen Fristenregime und erlischt deshalb trotz lang andauernder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit, wenn der Arbeitnehmer im Kalenderjahr so rechtzeitig gesund und arbeitsfähig wird, dass er im aktuellen Urlaubsjahr oder spätestens während dessen Übertragungszeitraum seinen Urlaub nehmen kann (vgl. insgesamt BAG 10. Juli 2012 - 9 AZR 11/11 -Rn. 20, 9. August 2011 - 9 AZR 425/10 - Rn. 19 f.; jeweils zitiert nach juris). Da die Klägerin ihre Arbeitsfähigkeit zum 01. September 2012 wieder erlangt hat und ihr weiterer Tarifurlaub aus 2011 unstreitig nicht gewährt wurde, verfiel der Urlaubsanspruch in Ermangelung eines Übertragungstatbestandes gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG, § 11 Abs. 2 Nr. 4 MTV Feinkeramische Industrie mit dem 31. Dezember 2012.
- 81
2.2. Für den untergegangenen Urlaubsanspruch steht der Klägerin steht ein Anspruch auf Schadensersatz in Form der Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution in Höhe von 10 Urlaubstagen zu (§ 275 Abs. 1 und Abs. 4, § 280 Abs. 1 und Abs. 3, § 283 Satz 1, § 286 Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB). Der Anspruch war nicht befristet auf das Jahr 2013.
- 82
2.2.1. Hat der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt, wandelt sich der im Verzugszeitraum verfallene Urlaubsanspruch in einen auf Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichteten Schadenersatzanspruch um (BAG 06. August 2013 - 9 AZR 956/11 - Rn. 14, 17. Mai 2011 - 9 AZR 197/10 - Rn. 11; jeweils zitiert nach juris).
- 83
2.2.2. Vorliegend hat die Beklagte die Aufforderung der Klägerin, ihr weitere 10 Tage Urlaub aus 2011 zu gewähren, spätestens mit Schreiben vom 13. Dezember 2012 erneut und damit endgültig abgelehnt. Gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB trat damit Verzug ein und der Urlaubsanspruch verfiel mit dem 31. Dezember 2012 im Verzugszeitraum. Tritt an die Stelle eines ursprünglichen Schadensersatzanspruches ein sogenannter Ersatz-Urlaubsanspruch als Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe, unterliegt dieser Schadensersatzanspruch weder der gesetzlichen (§ 7 Abs. 3 BUrlG), noch einer tariflichen Befristung (LAG Rheinland-Pfalz 23. November 2010 - 3 Sa 319/10 -, Rn. 80, zitiert nach juris). Damit besteht keine Veranlassung, davon auszugehen, dass der Anspruch der Klägerin auf Ersatzurlaubsgewährung auf das Jahr 2013 befristet ist und die Beklagte ist verpflichtet, der Klägerin den Ersatzurlaub ohne zeitliche Einschränkung zu gewähren. Während dem Arbeitsgericht nach § 308 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine Verurteilung der Beklagten zur unbefristeten Urlaubsgewährung verwehrt war, war das erstinstanzliche Urteil auf die Anschlussberufung der Klägerin entsprechend abzuändern.
B.
- 84
Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet.
- 85
I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist statthaft, wurde von der Klägerin nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 7. August 2013 mit am 28. August 2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 519 ZPO) und mit am 25. September 2013 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 ZPO).
- 86
II. Im Ergebnis und in der Begründung ist das Arbeitsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass der Klägerin ein Anspruch auf Jahressondervergütung für 2012 nicht zusteht. Der Anspruch der Klägerin auf Jahressondervergütung gemäß §§ 3 Abs. 1, 15 TV Jahressondervergütung verminderte sich gemäß § 10 Abs. 1, Satz 1 TV Jahressondervergütung auf null, da die Klägerin vom 27. Oktober 2011 bis 31. August 2012 wegen ihrer Arbeitsunfähigkeit keine Arbeitsleistung im Sinne des Tarifvertrages erbracht hat. Die Berufungskammer folgt insoweit den Gründen der angefochtenen Entscheidung und stellt dies ausdrücklich fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Auch die Ausführungen der klägerischen Berufung rechtfertigen kein anderes Ergebnis. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine zumindest 50 %ige Jahressondervergütung gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 TV Jahressondervergütung, da sie die Anspruchsvoraussetzung des § 10 Abs. 3 Satz 2 TV Jahressondervergütung - mindestens zwei Monate volle Arbeitsleistung im Bezugszeitraum gemäß § 10 Abs. 5 TV Jahressondervergütung (hier: 01. Oktober 2011 bis 30. September 2012) - nicht erfüllt hat. Da die Klägerin vom 27. Oktober 2011 bis 31. August 2012 arbeitsunfähig war und daher im Bezugszeitraum lediglich vom 01. bis 26. Oktober 2011 und vom 01. bis 30. September 2012 regulär ihre Arbeitsleistung erbracht hat, könnte - selbst wenn man davon ausgeht, dass die Arbeitsleistung nicht am Stück erfolgen muss - nur dann von der Erbringung einer Arbeitsleistung für zwei Monate ausgegangen werden, wenn die Zeit der Beschäftigung der Klägerin vom 06. bis 31. August als volle Arbeitsleistung iSd. § 10 Abs. 3 Satz 2 TV Jahressondervergütung zu betrachten wäre. Dies ist - wovon das Arbeitsgericht zutreffend ausgeht - nicht der Fall.
- 87
1. Die von der Klägerin im Rahmen der Wiedereingliederung nach § 74 SGB V verrichtete Tätigkeit stellt keine volle Arbeitsleistung nach § 10 Abs. 3 Satz 2 TV Jahressondervergütung. Das zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer zum Zwecke der Wiedereingliederung begründete Rechtsverhältnis ist ein solches eigener Art iSv. § 305 BGB, weil es nicht auf eine Arbeitsleistung im üblichen Sinne gerichtet ist, sondern als Maßnahme der Rehabilitation dem Arbeitnehmer ermöglichen soll, die Arbeitsfähigkeit wieder herzustellen; ohne ausdrückliche Zusage steht dem Arbeitnehmer weder aus dem Wiedereingliederungsvertrag noch aus Gesetz ein Vergütungsanspruch zu (vgl. BAG 29. Januar 1992- 5 AZR 37/91- Rn. 19, zitiert nach juris). Selbst wenn daher der klägerische Vortrag als zutreffend unterstellt wird und die Beklagte wegen der damaligen Personalsituation ein betriebswirtschaftliches Interesse am Einsatz der Klägerin im August 2012 gehabt haben sollte, ändert dies nichts daran, dass die unstreitig noch arbeitsunfähige Klägerin im Rahmen einer genehmigten Wiedereingliederungsmaßnahme tätig geworden ist. Dass der Klägerin Gelegenheit gegeben wurde zu erproben, ob sie auf dem Wege einer im Verhältnis zur vertraglich geschuldeten Arbeitsleistung quantitativ oder/und qualitativ verringerten Tätigkeit zur Wiederherstellung ihrer Arbeitsfähigkeit gelangen kann, ergibt sich bereits daraus, dass sie zeitlich in einem geringeren Umfang beschäftigt wurde, als dies ihre vor der Erkrankung bestehende arbeitsvertraglich geschuldete Pflicht war. Anhaltspunkte dafür, dass die aufgenommene Tätigkeit ihre Genesung in Frage gestellt hätte, sind weder vorgetragen, noch ersichtlich und dürften, angesichts der Tatsache, dass die Klägerin ab 01. September 2012 wieder arbeitsfähig war, auch nicht vorgelegen haben.
- 88
2. Entgegen der von der Klägerin mit der Berufung vertretenen Auffassung haben die Parteien anlässlich der Beschäftigung der Klägerin vom 06. bis 31. August 2012 auch nicht konkludent eine vertraglich geschuldete Arbeitsleistung mit einem geringeren zeitlichen Rahmen vereinbart. Es kann dahinstehen, ob eine vorübergehend zeitlich verringerte Arbeitsleistung während einer Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer derartigen Abrede die Voraussetzungen der vollen Arbeitsleistung iSd. § 10 Abs. 3 Satz 2 TV Jahressondervergütung erfüllen könnte. Die Parteien haben eine derartige Abrede nicht getroffen. Die Klägerin ist Sachvortrag, aus dem sich ergeben könnte, dass sie mit der Beklagten vereinbart hat, dass sie im August 2012 als Arbeitnehmerin vorübergehend in geringerem Umfang tätig sein soll, schuldig geblieben. Da wesentliches Merkmal eines Arbeitsvertrages neben der Erbringung der Arbeitsleistung auf Arbeitnehmerseite auch die Vergütungspflicht des Arbeitgebers ist, wäre zumindest eine Abrede erforderlich gewesen, die die Beklagte zur Zahlung eines - wenn auch verringerten - Entgelts verpflichtet hätte. Eine solche Abrede hat die Klägerin nicht behauptet. Da die Klägerin im August 2012 unstreitig weiter Leistungen der Krankenkasse erhalten hat, kann von einer gesonderten arbeitsvertraglichen Vereinbarung nicht ausgegangen werden.
- 89
3. Nach alledem blieb die Berufung der Klägerin, die sich zuletzt nicht mehr auf das Vorliegen einer - auch nicht ersichtlichen - Härtefallregelung nach § 10 Abs. 4 TV Jahressondervergütung berufen hat, der Erfolg verwehrt.
C.
- 90
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 Satz 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.
- 91
Gründe die eine Zulassung der Revision iSd § 72 Abs. 2 ArbGG veranlasst hätten, bestehen nicht.
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