Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (6. Kammer) - 6 Sa 247/16
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 29. April 2016 - 4 Ca 1511/15 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.
II. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
- 1
Die Parteien streiten über die Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz wegen eines Arbeitsunfalls.
- 2
Der 1962 geborene Kläger ist seit 1981 als Weinbergsfacharbeiter bei der Beklagten beschäftigt, die ein Weingut mit Anbauflächen an Mosel, Saar und Ruwer betreibt. Zu den Aufgaben des Klägers gehören neben den im Weinberg anfallenden Arbeiten auch Schlosserarbeiten, dh. die Wartung und Reparatur von Maschinen, ua. im Weinberg eingesetzter Kettenraupen.
- 3
Am 28. Mai 2014, dem Unfalltag, war der Kläger beauftragt, in der Weinlage „T A“ in einer Steillage mit ca. 60-65 % Hangneigung einen Weinberg zu mulchen. Die Parzelle grenzt an eine rund fünf Meter hohe Weinbergsmauer an. Es war zum Unfallzeitpunkt ein ca. 30 cm hoher Anfahrsockel und ein Geländer vorhanden, das der Personenabsturzsicherung, nicht jedoch der Fahrzeugabsturzsicherung dient. Der Kläger führte die Arbeiten weisungsgemäß mit einer Kettenraupe der Marke Goldoni, Typ ITMA 3.60 mit hoher Auflagefläche und angebautem Schlegelmulcher durch. Die Kettenraupe hat verzahnte Kettenstege, eine eigene Bremsanlage und eine Motorbremse. In der vom Kläger bearbeiteten Parzelle kommt ansonsten - ob ausnahmslos oder nicht, ist zwischen den Parteien streitig - eine antriebs- und bremslose Raupe mit sog. SMS-System zum Einsatz, die an einem Stahlseil den Hang heruntergelassen wird und am Unfalltag in Reparatur war. Der Kläger wurde am Tag der Mulcharbeiten im Rahmen einer gemeinsamen Teambesprechung vom Gutsverwalter B angewiesen, beim Bearbeiten des Weinbergs mit der Raupe rückwärts hinaufzufahren, das Mulchen ausschließlich in Talfahrt vorzunehmen und die Seitenflächen nicht zu befahren.
- 4
Am Unfalltag erklärte der Kläger, der in seinem privaten Nebenerwerbsweingut (ohne Steillagen wie die vorliegende) ebenfalls über eine Goldoni-Raupe verfügt, gegen 11.00 Uhr dem Gutsverwalter B auf telefonische Nachfrage, er komme mit den Arbeiten sehr gut voran und es gebe keine Probleme. Nachdem er etwa ¾ der Parzelle bearbeitete hatte, hörte der Kläger, der in Rückwärtsfahrt ca. die Hälfte der Zeilenlänge erreicht hatte, ein Geräusch. Daraufhin rollte die Raupe im Leerlauf den Hang hinab, nahm Fahrt auf, durchbrach nach ca. 55 m das Geländer und den Anfahrsockel, stürzte von der Weinbergsmauer ab und landete auf den Raupenketten. Der Kläger wurde dabei schwer verletzt und erlitt eine tiefe axilläre Weichteilverletzung links mit traumatisierter Durchtrennung der arteria axillaris, Acromionfraktur links, Coracoidabriss links, sowie Risswunden an beiden Oberschenkeln und der rechten Hand, eine Schädelprellung mit Nasenbein- und Jochbeinfraktur links, sowie Kompressionsfrakturen des zweiten BWK und dritten LWK. Er ist seither erwerbsunfähig und nimmt gegen nach wie vor bestehende Schmerzen ein Morphiumpräparat. Der Kläger erhält Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, nachdem die Berufsgenossenschaft das Schadensereignis als Arbeitsunfall anerkannt hat.
- 5
Nach den auf Ermittlungen am Unfalltag beruhenden Feststellungen im Unfalluntersuchungsbericht der Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau vom 23. Juni 2014 bzw. 01. September 2014 (Bl. 12 ff. d. A.) war der technische Zustand der am Unfalltag eingesetzten Kettenraupe als gut zu bezeichnen und Mängel konnten nicht festgestellt werden. Der Kläger selbst hat bei seiner Befragung angegeben, nachdem sich bei der Rückwärtsfahrt der Gang aus der Arretierung gelöst habe, sei beim Versuch, das Fahrzeug abzubremsen, keine Bremswirkung vorhanden gewesen, möglicherweise hab sich der Stamm einer Rebpflanze im Bremsgestänge eingeklemmt und somit die Funktion der Bremse außer Kraft gesetzt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Berichts wird auf den Akteninhalt Bezug genommen. In der Betriebsanleitung des Herstellers werden keine Angaben über die Einsatzgrenzen (maximale Hangneigung) für die am Unfalltag eingesetzte Kettenraupe getroffen.
- 6
Der Kläger hat am 01. Dezember 2015 beim Arbeitsgericht Trier gegen die Beklagte Klage auf Schmerzensgeld und Feststellung der Verpflichtung zur Leistung von Schadensersatz erhoben.
- 7
Er hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, die in Rede stehenden Mulcharbeiten seien zuvor mit einer für die Weinbergslage geeigneten Raupe mit SMS-System durchgeführt worden, während die am Unfalltag zur Verfügung gestellte Raupe sich als völlig ungeeignet für die Tätigkeit in der steilen Weinbergslage herausgestellt habe. Dem Gutsverwalter B seien die Situation, das Gelände, die Steilheit des Weinbergs und die Ungeeignetheit des Arbeitsgerätes bewusst gewesen. Die Beklagte habe gegen §§ 4, 5 und 12 ArbSchG und § 4 BetrSichV verstoßen und sowohl den Unfall, als auch die damit verbundenen schweren Verletzungsfolgen billigend in Kauf genommen. Bei einer Hanglage von 60 bis 65 % könne nur mit einer Raupe gearbeitet werden, die mit einem Seil gegen Abrutschen gesichert sei. Es sei keine Absturzsicherung vorhanden gewesen (eine solche sei erst nach dem Unfall angebracht worden). Ob der Boden griffig gewesen sei oder nicht, sei unerheblich. Sie sei ihm zur Zahlung von Schmerzensgeld und Schadensersatz verpflichtet.
- 8
Der Kläger hat beantragt,
- 9
1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, welches den Betrag von 50.000,00 Euro nicht unterschreiten sollte, nebst 5 Prozent Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen,
- 10
2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aufgrund des Betriebsunfalls auf der Weinbergparzelle oberhalb der L 156 Gemarkung T, Flur Nr. 32 "T A" vom 28.05.2014 entsteht, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen ist.
- 11
Die Beklagte hat beantragt,
- 12
die Klage abzuweisen.
- 13
Sie hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, sie bestreite, gegen die vom Kläger genannten Normen verstoßen zu haben und habe dem Kläger auch kein völlig ungeeignetes Arbeitsgerät zur Verfügung gestellt. Die benutzte Kettenraupe sei aufgrund ihrer hohen Auflagefläche, die Verzahnung der Kettenstege mit dem Boden, des tiefen Schwerpunkts des Fahrzeuges, die gute Gewichtsverteilung, die breite Spur und die gute Steigfähigkeit für einen sicheren Einsatz in Steillagen geeignet. Sie habe keinerlei Mängel gehabt, insbesondere die Bremsen seien voll funktionstüchtig gewesen. Auch die Bodenverhältnisse seien am Unfalltag einwandfrei gewesen, es sei nicht zum Schlupf gekommen, die Raupe habe sich weder beim Anfahren in den Steilhang eingegraben, noch sei sie ins Rutschen geraten. Der Gutsverwalter B, der den Kläger als erfahrenen Weinbergsmitarbeiter eingesetzt habe, habe nicht den bedingten Vorsatz gehabt, den Kläger zu verletzen, weshalb eine Haftung ausscheide. Das vom Kläger angeführte SMS-System sei nicht sicherer als eine Raupe mit Bremseinrichtung, da auch das Seil reißen könne. Auch die Staatsanwaltschaft habe das Verfahren mangels Straftat eingestellt.
- 14
Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. April 2016 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, eine vorsätzliche Unfallverursachung durch die Arbeitgeberin könne nicht festgestellt werden. Es sei schon nicht ersichtlich, dass die Beklagte überhaupt, geschweige denn bewusst gegen die vom Kläger und vom Unfallbericht der BG zitierten Schutzvorschriften verstoßen habe. Selbst wenn man einen solchen Verstoß annehme, ergebe sich hieraus jedoch kein Vorsatz bezüglich der Herbeiführung eines Arbeitsunfalls. Es habe keinen Hinweis auf die mit der Arbeit im Steilhang verbundenen Gefahren in der Betriebsanleitung oder aus anderen Informationen oder Erfahrungen gegeben. Selbst wenn man der Beklagten Fahrlässigkeit zur Last legen wollte, genüge dies nicht, um den Haftungsausschluss nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII zu verhindern. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf Bl. 54 ff. d. A. verwiesen.
- 15
Das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 10. Mai 2016 zugestellte klageabweisende Urteil enthielt zunächst eine Rechtsmittelbelehrung, nach der nur die Beklagte, nicht jedoch der Kläger Berufung einlegen könne. Das Arbeitsgericht hat die Rechtsmittelbelehrung mit Beschluss vom 23. Mai 2016 berichtigt und dem Klägervertreter das berichtigte Urteil mit Berichtigungsbeschluss am 30. Mai 2016 erneut zugestellt. Der Kläger hat mit am 06. Juni 2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 03. Juni 2016 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 21. Juni 2016, bei Gericht eingegangen am 23. Juni 2016, begründet.
- 16
Der Kläger macht zweitinstanzlich nach Maßgabe seiner Berufungsbegründungsschrift (Bl. 80 ff. d. A.) und seines Schriftsatzes vom 15. September 2016 (Bl. 125 ff. d. A.), auf deren Inhalt ergänzend Bezug genommen wird, im Wesentlichen geltend,
- 17
das Arbeitsgericht habe zu Unrecht angenommen, die Beklagte habe nicht gegen Schutzvorschriften verstoßen und keinen Vorsatz gehabt. Die vom Gericht in Bezug genommene Betriebsanleitung und die „Informationen“ seien nicht Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. Die Beklagte habe gegen § 618 BGB verstoßen, indem sie ihm die wegen des fehlenden Stahlseils zur Sicherung völlig ungeeignete Raupe (Beweis Sachverständigengutachten) für die Steillage zur Verfügung gestellt habe. Durch die Benutzung der völlig ungeeigneten Maschine habe zu erwarten gestanden, dass es zu einem Unfall mit erheblichem Schaden komme. Es gebe nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts keinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der eine Schutzvorschrift missachte, eine Schädigung nicht billigend in Kauf nehme. Das Arbeitsgericht habe sein Beweisangebot auf Einholung eines Sachverständigengutachtens übergangen.
- 18
Der Kläger beantragt,
- 19
das Urteil des Arbeitsgerichts Trier vom 19.04.2016 - 4 Ca 1511/15 - wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:
- 20
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, welches den Betrag von 50.000,00 Euro nicht unterschreiten sollte, nebst 5 Prozent Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Klagezustellung zu zahlen,
- 21
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aufgrund des Betriebsunfalls auf der Weinbergparzelle oberhalb der L 156 Gemarkung T, Flur Nr. "T A" vom 28.05.2014 entsteht, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen ist.
- 22
Die Beklagte beantragt,
- 23
die Berufung zurückzuweisen.
- 24
Sie verteidigt das vom Kläger angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 01. August 2016 (Bl. 112 ff. d. A.), hinsichtlich derer auf den Akteninhalt Bezug genommen wird, zweitinstanzlich im Wesentlichen wie folgt,
- 25
die Berufung sei bereits als unzulässig zu verwerfen, da sie sich nicht mit den Argumenten des arbeitsgerichtlichen Urteils auseinandersetze und nach wie vor nicht dargelegt habe, weshalb von einem Pflichtenverstoß auszugehen sei und welche Gefahr die Beklagte gesehen und billigend in Kauf genommen haben solle. Die Einholung des Sachverständigengutachtens sei zu Recht unterblieben, da sie zu einer reinen Sachverhaltsausforschung geführt hätte. Soweit der Kläger die fehlende Vorlage der Bedienungsanleitung bemängele, aus der sich ergebe, dass es keine maximale Hangneigung als Einsatzgrenze gebe, sei dies in der mündlichen Verhandlung erörtert und vom Kläger nicht bestritten worden, vorsorglich werde der entsprechende Teil der Bedienungsanleitung vorgelegt (Bl. 117 ff. d. A.). Die bloße Behauptung des Klägers, die Raupe sei „völlig ungeeignet“ gewesen, sei nicht geeignet, die Berufung zu begründen.
- 26
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes zweiter Instanz wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A
- 27
Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht erfolgreich.
I.
- 28
Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 2 Buchstabe b ArbGG), wurde nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 30. Mai 2016 mit am 06. Juni 2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 03. Juni 2016 form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 519 ZPO). Die Fehlerhaftigkeit der ursprünglich erteilten Rechtsmittelbelehrung hatte gemäß § 9 Abs. 5 Satz 3 ArbGG zur Folge, dass die Frist des § 66 Abs. 1 ArbGG für das Rechtsmittel der Berufung nicht mit der am 10. Mai 2016 erfolgten Urteilszustellung zu laufen begann (§ 9 Abs. 5 Satz 3 ArbGG); erst die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils samt Berichtigungsbeschluss zur zutreffenden Rechtsmittelbelehrung an den Klägervertreter am 30. Mai 2016 führte dazu, dass der Lauf der Rechtsmittelfrist in Gang gesetzt wurde (vgl. BAG 13. April 2005 - 5 AZB 76/04 - Rn. 15; 08. Juni 2000 - 2 AZR 584/99 - Rn. 12, jeweils zitiert nach juris). Der Kläger hat die Berufung mit Schriftsatz vom 21. Juni 2016, bei Gericht eingegangen am 23. Juni 2016, rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1, 2, 5, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 ZPO), insbesondere hat sich der Kläger nach Auffassung der Berufungskammer noch hinreichend mit den tragenden Entscheidungsgründen des Arbeitsgerichts auseinandergesetzt. Der Kläger bemängelt, dass das Arbeitsgericht seine Entscheidung auf Angaben aus der ihm nicht bekannten Betriebsanleitung der streitgegenständlichen Kettenraupe gestützt habe und macht zudem geltend, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass die völlige Ungeeignetheit der Kettenraupe für Einsätze in Steilhängen, zu der ein Sachverständigengutachten einzuholen gewesen sei, auf den bedingten Vorsatz der Beklagten rückschließen lasse. Ob die vom Kläger vertretene Rechtsauffassung zutreffend ist oder nicht, ist keine Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit der Berufung.
II.
- 29
Die Berufung ist nicht begründet. Die Beklagte ist nicht nach §§ 823, 847 BGB bzw. nach §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1, 618 Abs. 1 BGB verpflichtet, dem Kläger Schmerzensgeld oder Schadensersatz wegen des durch den Arbeitsunfall am 28. Mai 2014 erlittenen Personenschadens zu leisten. Ein Anspruch ist nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ausgeschlossen, da der Beklagten nicht vorgeworfen werden kann, den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt zu haben. Hiervon ist das Arbeitsgericht in Ergebnis und Begründung zu Recht ausgegangen. Die auch im Antrag zu 2) zulässige Klage (vgl. BAG 20. Juni 2013 - 8 AZR 471/12 - Rn. 19 mwN, zitiert nach juris) ist nicht begründet. Die Berufung des Klägers blieb erfolglos.
- 30
1. Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sind Unternehmer den gesetzlich Unfallversicherten, die für ihr Unternehmen tätig sind, zum Ersatz von Personenschäden nur verpflichtet, wenn sie den Versicherungsfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 - 4 SGB VII versicherten Weg herbeigeführt haben. Die Norm bezieht sich auf alle Haftungsgründe des bürgerlichen Rechts einschließlich der Gefährdungshaftung (BAG 19. August 2004 - 8 AZR 349/03 - Rn. 16, zitiert nach juris).
- 31
2. Bei dem Unfall vom 28. Mai 2014, der zur streitgegenständlichen Schädigung des Klägers geführt hat, handelt es sich um einen Versicherungsfall iSd. § 104 SGB VII. Als ein solcher gilt auch ein Arbeitsunfall, § 7 Abs. 1 SGB VII. Dass es sich um einen Arbeitsunfall gehandelt hat, steht zwischen den Parteien außer Streit. Die zuständige Berufsgenossenschaft hat nach unbestrittenen Angaben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer eine entsprechende Entscheidung getroffen. Nach § 108 Abs. 1 SGB VII sind die Gerichte, die über Ersatzansprüche der in den §§ 104 bis 107 SGB VII genannten Art zu entscheiden haben, an eine unanfechtbare Entscheidung nach dem SGB VII gebunden, ob ein Versicherungsfall vorliegt. Diese Bindungswirkung erstreckt sich auch auf die Frage, ob der Verletzte versichert war und darauf, in welchem Betrieb sich der Unfall ereignet hat. Die Zivilgerichte können nur noch eine Feststellung darüber treffen, dass der Unfall auch einem anderen Betrieb als Arbeitsunfall zuzurechnen ist und dass insoweit die Haftungsfreistellung gegeben ist; insoweit besteht keine Bindung (BAG 19. Februar 2009 - 8 AZR 188/08 - Rn. 27, 12. Dezember 2002 - 8 AZR 94/02 - Rn. 25, zitiert nach juris).
- 32
3. Der Beklagten ist im Hinblick auf den vom Kläger am 28. Mai 2014 erlittenen Arbeitsunfall Vorsatz iSd. § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII nicht vorzuwerfen. Dies steht auch für die Berufungskammer unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen nach freier Überzeugung gemäß § 286 ZPO fest.
- 33
a) Ein Ausschluss der Haftung des Unternehmers kommt nur in Betracht, wenn ein „doppelter“ Vorsatz vorliegt. Der Vorsatz des Handelnden muss sich zum einen auf die Verletzungshandlung beziehen. Zum anderen muss der Vorsatz aber auch den Verletzungserfolg umfassen. Allein der Verstoß gegen zugunsten von Arbeitnehmern bestehende Schutzpflichten indiziert noch keinen Vorsatz bezüglich der Herbeiführung eines Arbeitsunfalls. Es verbietet sich, die vorsätzliche Pflichtverletzung mit einer ungewollten Unfallfolge mit einem gewollten Arbeitsunfall oder einer gewollten Berufskrankheit gleichzusetzen (vgl. zu § 636 Abs. 1 RVO: BAG 20. Juni 2013 - 8 AZR 471/12 - Rn. 23 f., zitiert nach juris). Vorsatz enthält ein „Wissens“- und ein „Wollenselement“. Der Handelnde muss die Umstände, auf die sich der Vorsatz beziehen muss, gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben; die Annahme eines bedingten Vorsatzes setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat; dagegen genügt es nicht, wenn die relevanten Tatumstände lediglich objektiv erkennbar waren und der Handelnde sie hätte kennen können oder kennen müssen; in einer solchen Situation ist lediglich ein Fahrlässigkeitsvorwurf gerechtfertigt (vgl. BGH 20. Dezember 2011 - VI ZR 309/10 - Rn. 10, zitiert nach juris). Bewusste Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Handelnde darauf vertraut, der Schaden werde nicht eintreten (vgl. zu § 636 Abs. 1 RVO: BAG 20. Juni 2013 - 8 AZR 471/12 - Rn. 24., zitiert nach juris).
- 34
Von den materiellen Voraussetzungen des bedingten Vorsatzes sind die Anforderungen zu unterscheiden, die an seinen Beweis zu stellen sind. So kann es im Einzelfall beweisrechtlich naheliegen, dass der Schädiger einen pflichtwidrigen Erfolg gebilligt hat, wenn er sein Vorhaben trotz starker Gefährdung des betroffenen Rechtsguts durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, und es dem Zufall überlässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht; allerdings kann der Grad der Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts nicht allein das Kriterium für die Frage sein, ob der Handelnde mit dem Erfolg auch einverstanden war; vielmehr ist immer eine umfassende Würdigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles erforderlich (vgl. BGH 20. Dezember 2011 - VI ZR 309/10 - Rn. 11, mwN, aaO). Einen allgemeinen Erfahrungssatz, dass derjenige, der vorsätzlich eine zugunsten des Arbeitnehmers bestehende Schutzvorschrift missachtet, eine Schädigung oder eine mögliche Berufskrankheit des Arbeitnehmers nicht billigend in Kauf nimmt, gibt es nicht. Zwar wird ein Arbeitgeber trotz eines Verstoßes gegen Arbeitsschutzvorschriften meistens darauf hoffen, es werde kein Unfall eintreten (vgl. BAG 19. Februar 2009 - 8 AZR 188/08 - Rn. 50, zitiert nach juris). Dies ist jedoch einer Verallgemeinerung im Sinne eines Erfahrungssatzes auf tatsächlichem Gebiet nicht zugänglich; stets kommt es vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalles an (BAG 20. Juni 2013 - 8 AZR 471/12 - Rn. 28, aaO).
- 35
b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das Arbeitsgericht zu Recht angenommen, dass der Beklagten bzw. dem für die Arbeitgeberin verantwortlich handelnden Gutsverwalter B auch nur bedingter Vorsatz selbst dann nicht zuzuschreiben ist, wenn man unterstellt, dass ein Verstoß gegen die vom Kläger ins Feld geführten Schutzvorschriften des §§ 4, 5 und 12 ArbSchG, 4 BetrSichV, 618 Abs. 1 BGB objektiv vorgelegen hat. Auch wenn man zu Gunsten des Klägers annimmt, dass die ihm von der Beklagten zugewiesene Kettenraupe objektiv für die Arbeiten in der streitgegenständlichen Steilhanglage nicht geeignet gewesen ist, hat der Kläger keine ausreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass die Beklagte bzw. ihr Gutsverwalter diesen Umstand gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen hat und den Kläger trotz starker Gefährdung seiner Rechtsgüter zum Einsatz mit der Kettenraupe im Steilhang bestimmt hat, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können. Vielmehr spricht nach Auffassung der Berufungskammer alles dafür, dass die Beklagte bzw. der für sie verantwortlich Handelnde davon ausgegangen ist, dass sich eine eventuelle Gefahr zu Lasten des Klägers jedenfalls nicht realisieren werde und daher kein bedingter Vorsatz, sondern allenfalls bewusste Fahrlässigkeit vorgelegen hat, die den Haftungsausschluss nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII nicht zu verhindern vermag. Das Arbeitsgericht hat zutreffend festgestellt, dass sich - basierend auf den Feststellungen der Berufsgenossenschaft im Unfalluntersuchungsbericht vom 23. Juni 2014 bzw. 01. September 2014 - der Bedienungsanleitung für die vom Kläger eingesetzte Kettenraupe keinerlei Belege entnehmen lassen, dass diese für einen Einsatz in Steillagen wie der streitgegenständlichen Parzelle nicht geeignet ist und daher der Beklagten hätte Veranlassung geben müssen, von einer starken Gefährdung von Leib oder Leben des Klägers auszugehen. Hiervon konnte sich auch die Berufungskammer überzeugen, nachdem die Beklagte die relevanten Passagen der Bedienungs- und Instandhaltungsanleitung auf Rüge des Klägers in der Berufungsschrift im Berufungsverfahren zur Akte gereicht hat (Bl. 117 ff. d. A.). Aus welchen Gründen die Beklagte eine fehlende Eignung der Kettenraupe hätte annehmen müssen, hat der Kläger auch im Berufungsverfahren nicht schlüssig vorgetragen. Allein sein pauschaler Vortrag, die Kettenraupe sei „völlig ungeeignet“ gewesen, konnte substantiierten Sachvortrag zu Tatsachen, die Rückschlüsse auf die Erfüllung des subjektiven Vorsatztatbestandes bei der Beklagten bzw. dem Gutsverwalter B hätten rechtfertigen können, nicht ersetzen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Frage, ob die Kettenraupe „völlig ungeeignet“ für den Einsatz in Steillagen war, hätte vor diesem Hintergrund zu einem unzulässigen Ausforschungsbeweise zu den subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen des bedingten Vorsatzes der Beklagten geführt und kam nicht in Betracht. Auch der Kläger, der selbst Weinbau (wenn auch ohne Steillagen) im Nebenerwerb betreibt, eine Kettenraupe wie die zum Einsatz gebrachte besitzt und als über 30 Jahre bei der Beklagten beschäftigter Mitarbeiter über reichlich Erfahrung verfügte, hat die Aufforderung der Beklagten, die Steillage - nach seinem Vortrag: ausnahmsweise - mit der Kettenraupe anstatt mit der in Reparatur befindlichen Stahlseil-gesicherten Raupe mit SMS-System zu mulchen, nicht zum Anlass genommen, auf Bedenken hinzuweisen. Dies hätte - auch wenn man ein gesteigertes Pflichtbewusstsein des Klägers annimmt - bei einer erheblichen Gefährdungslage, wie vom Kläger behauptet, nahegelegen. Nach dem vom Kläger nicht substantiiert in Abrede gestellten Vortrag der Beklagten, den diese in Übereinstimmung mit dem Unfalluntersuchungsbericht der Berufungsgenossenschaft gehalten hat, befand sich die Kettenraupe in einem technisch guten Zustand und wies keinerlei Mängel auf. Die Witterung am Unfalltag war nach den unbestrittenen Behauptungen der Beklagten nicht zu beanstanden und der Kläger hat ca. ¾ der Parzelle mit der über eine breite Auflagefläche verfügenden Kettenraupe unfallfrei gemulcht, bis es zum streitigen Unfall gekommen ist. All diese Umstände sprechen nicht dafür, dass die Beklagte von einer starken Rechtsgutgefährdung des Klägers ausgehen musste und ausgegangen ist. Auch der Kläger selbst hat anlässlich seiner Befragung ausweislich des Unfalluntersuchungsberichts angegeben, dass sich möglicherweise der Stamm einer Rebpflanze im Bremsgestänge eingeklemmt und die Funktion der Bremse außer Kraft gesetzt hat. Sollte dies tatsächlich der Fall gewesen sein, liegt ein tragisches Unfallgeschehen vor, ohne dass Rückschlüsse auf eine von vorneherein für die Beklagte oder ihren Vertreter erkennbare erhebliche Rechtsgutgefährdung gerechtfertigt wären. Im Übrigen vermochte die Berufungskammer auch nicht anzunehmen, dass der Gutsverwalter B es dem Zufall überlassen hätte, ob sich eine - unterstellt: - von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht. Es ist zwischen den Parteien nicht streitig, dass der Kläger am Unfalltag die Anweisung erhalten hat, beim Bearbeiten des Weinbergs mit der Raupe rückwärts hinaufzufahren, das Mulchen ausschließlich in Talfahrt vorzunehmen und die Seitenflächen nicht zu befahren. Dies zeigt, dass der für die Beklagte verantwortlich Handelnde gerade die nach seiner Auffassung erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen ergriffen hat, um eine Gefährdung des Klägers auszuschließen. Vor diesem Hintergrund vermochte auch die Berufungskammer nicht anzunehmen, dass er den Eintritt des schädigenden Ereignisses billigend in Kauf genommen hat. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass am Fuße des Weinbergs - nach dem Vortrag des Klägers: vor seinem Unfall - lediglich eine Personenabsturzsicherung, nicht jedoch eine Absturzsicherung für Fahrzeuge angebracht gewesen ist und der Kläger erstmals in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer - ohne dass dies protokolliert worden wäre - bemängelt hat, dass die zum Einsatz gebrachte Kettenraupe über eine Notbremse nicht verfügt habe. Es ist nicht ersichtlich, dass die Beklagte bzw. ihr Gutsverwalter B aufgrund von Empfehlungen der zuständigen Berufsgenossenschaft oder aus sonstigen Gründen vor dem streitigen Unfall solche Maßnahmen hätten für erforderlich halten müssen.
B
- 36
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
- 37
Die Zulassung der Revision war mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht veranlasst.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- 8 AZR 471/12 4x (nicht zugeordnet)
- 4 Ca 1511/15 2x (nicht zugeordnet)
- BGB § 12 Namensrecht 1x
- §§ 104 bis 107 SGB VII 4x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 520 Berufungsbegründung 1x
- § 4 BetrSichV 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 823 Schadensersatzpflicht 1x
- ArbGG § 66 Einlegung der Berufung, Terminbestimmung 1x
- § 108 Abs. 1 SGB VII 1x (nicht zugeordnet)
- 5 AZB 76/04 1x (nicht zugeordnet)
- ArbGG § 64 Grundsatz 2x
- 8 AZR 188/08 2x (nicht zugeordnet)
- § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII 5x (nicht zugeordnet)
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 1x
- 8 AZR 94/02 1x (nicht zugeordnet)
- § 104 SGB VII 1x (nicht zugeordnet)
- ArbGG § 72 Grundsatz 1x
- BGB § 847 1x
- VI ZR 309/10 2x (nicht zugeordnet)
- BGB § 618 Pflicht zu Schutzmaßnahmen 3x
- ZPO § 286 Freie Beweiswürdigung 1x
- § 636 Abs. 1 RVO 2x (nicht zugeordnet)
- §§ 4, 5 und 12 ArbSchG, 4 BetrSichV, 618 Abs. 1 BGB 3x (nicht zugeordnet)
- 8 AZR 349/03 1x (nicht zugeordnet)
- ArbSchG § 4 Allgemeine Grundsätze 1x
- 2 AZR 584/99 1x (nicht zugeordnet)
- ArbSchG § 12 Unterweisung 1x
- ArbGG § 9 Allgemeine Verfahrensvorschriften und Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren 2x
- ArbSchG § 5 Beurteilung der Arbeitsbedingungen 1x
- § 7 Abs. 1 SGB VII 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 241 Pflichten aus dem Schuldverhältnis 1x
- ZPO § 519 Berufungsschrift 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x