Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (5. Kammer) - 5 Sa 305/16

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - vom 28. April 2016, Az. 6 Ca 3/16, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Abfindung.

2

Der 1981 geborene Kläger wurde mit Wirkung ab 01.06.2015 von der Beklagten, deren Geschäftsführer aus Kuwait stammt, als Arbeitnehmer eingestellt. Ausweislich der vorgelegten Abrechnung der Brutto/Netto-Bezüge für Oktober 2015 betrug das versteuerte und verbeitragte Monatsentgelt des Klägers € 500,00 brutto. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag wurde nicht vorgelegt. Schriftsätzlicher Vortrag zur regelmäßigen Arbeitszeit und zur geschuldeten Arbeitstätigkeit des Klägers fehlt. In der Klageerwiderung findet sich der Hinweis, dass der Kläger "im Sekretariat der Firma" "einiges für den Geschäftsführer der Beklagten erledigen" sollte; deshalb sei ihm auch eine notariell beurkundete Generalvollmacht erteilt worden. Unter dem Datum vom 05.11.2015 unterzeichnete der Geschäftsführer der Beklagten folgendes Schriftstück:

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"Übergabe der Bürounterlagen und Kündigung

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Sehr geehrter Herr A.,
hiermit kündige ich Ihnen das Arbeitsverhältnis aus betriebswirtschaftlichen Gründen zum 01.11.2015.

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Des Weiteren bestätige ich, M. H A K G., dass ich alle ausgehändigten

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- Unterlagen
- Büro-Schlüssel
- Postfachschlüssel
- Vollmacht
- Hausschlüssel O. Str.
- etc.

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von Hrn. A. erhalten habe.

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Mit meiner Unterschrift bestätige ich den Erhalt der oben genannten Unterlagen sowie aller geforderten Sachen!

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Herr A. hat stets in meinem Interesse und im Interesse der Firma C. gehandelt!

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Herr A. bekommt bis zum 30.11.2015 seine vereinbarte Abfindung in Höhe von Netto 6.800,00 € ausbezahlt!

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Ich wünsche Herrn A. für die weitere Zukunft viel Erfolg!

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Mit freundlichen Grüßen

13

Z..., den

________[Unterschrift]_____

5.11.2015

M. H A K G."

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Mit seiner am 04.01.2016 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage verlangt der Kläger die Zahlung einer Abfindung iHv. € 6.800,00 entsprechend der vom Geschäftsführer der Beklagten am 05.11.2015 abgegebenen Verpflichtungserklärung. In der Klageerwiderung vom 29.02.2016 focht der Prozessbevollmächtigte der Beklagten "das Schreiben, dass das Datum vom 05.11.2015 trägt, aus allen Rechtsgründen, insbesondere wegen Bedrohung bzw. wegen Zwang" an.

15

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, er habe den Geschäftsführer der Beklagten weder körperlich angegriffen noch bedroht, um ihn zur Unterzeichnung der Erklärung vom 05.11.2015 zu veranlassen. Er sei bei der Unterzeichnung der Erklärung überhaupt nicht anwesend gewesen. Vielmehr sei ein gewisser W. E.-E., den er als Zeuge benenne, im Büro des Beklagten mit der vorbereiteten Erklärung vorbeigefahren, um den Streit zwischen den Parteien friedlich zu beenden. Der Geschäftsführer der Beklagten habe den Text durchgelesen und unterschrieben.

16

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an ihn € 6.800,00 nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2015 zu zahlen.

18

Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

20

Die Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, der große und kräftige Kläger habe ihren sehr kleinen und sehr schmächtigen Geschäftsführer mit beiden Händen massiv am Hals gewürgt, so dass dieser blaue und lilane Flecken am Hals davon getragen habe, die Handabdrücke seien deutlich zu sehen gewesen. Außerdem habe der Kläger ihren Geschäftsführer mit dem Kopf gegen die Hauswand gedrückt und geschlagen, so dass er Schrammen und Hautabschürfungen seitlich am Kopf erlitten habe. Das habe der Kläger solange getan, bis ihr Geschäftsführer das von der Klägerseite vorgelegte Schreiben, das mit "Übergabe der Bürounterlagen und Kündigung" tituliert sei, unterzeichnet habe.

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Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirmasens - Bezug genommen.

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Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 28.04.2016 stattgegeben und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung einer Abfindung iHv. € 6.800,00 entsprechend der Vereinbarung vom 05.11.2015. Die Beklagte habe zwar Anfechtungsgründe vorgetragen, es fehle aber an einem tauglichen Beweisangebot für die behauptete körperliche Misshandlung. Dem Beweisangebot auf Parteivernehmung des Geschäftsführers der Beklagten sei weder nach § 447 ZPO noch nach § 448 ZPO nachzugehen gewesen. Die Vereinbarung vom 05.11.2015 sei auch nicht gem. § 138 BGB wegen Wuchers nichtig. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

23

Die Beklagte hat gegen das am 22.06.2016 zugestellte Urteil mit am 19.07.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.09.2016 mit am 22.09.2016 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

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Die Beklagte meint, sie habe die im Schreiben vom 05.11.2015 abgegebene Erklärung, an den Kläger eine Abfindung iHv. € 6.800,00 netto zu zahlen, wirksam angefochten. Ihr Geschäftsführer sei zur Abgabe der Willenserklärung widerrechtlich durch Drohung iSd. § 123 Abs. 1 BGB bestimmt worden. Das Arbeitsgericht hätte ihren Geschäftsführer gem. § 447 ZPO als Partei vernehmen müssen, um sich ein Bild von der gesamten Angelegenheit machen zu können. Die erstinstanzliche Prozessbevollmächtigte des Klägers habe der beantragten Parteivernehmung zunächst ausdrücklich zugestimmt. Die Vorsitzende habe die Bevollmächtigte im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht "nach längerem Zureden" dazu bewegt, einer Parteivernehmung nicht mehr zuzustimmen. Das Arbeitsgericht hätte ihren Geschäftsführer jedenfalls nach § 448 ZPO als Partei vernehmen müssen. Sie habe das Schreiben vom 05.11.2015 nicht nur wegen Bedrohung bzw. wegen Zwangs angefochten, sondern aus allen Rechtsgründen, also auch wegen Irrtums bzw. wegen Täuschung. Ihr Geschäftsführer sei der deutschen Sprache nicht mächtig; überdies könne er nur die arabische Schrift lesen. Weil dem Kläger für seinen Sachvortrag ein Zeuge zur Verfügung gestanden habe, hätte das Arbeitsgericht nach dem "Grundsatz der Waffengleichheit" von Amts wegen eine Parteivernehmung durchführen müssen.

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Das Arbeitsgericht hätte erhebliche Zweifel an der Richtigkeit des Sachvortrags des Klägers haben müssen, weil ihr Geschäftsführer das Schreiben vom 05.11.2015 nicht habe durchlesen können. Es habe also eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit ihres Sachvortrags bestanden. Das Arbeitsgericht habe den Vortrag des Klägers zu Unrecht als wahr unterstellt, dass ihm die Abfindung als Entschädigung versprochen worden sei, weil er aus einem bestehenden Arbeitsverhältnis abgeworben und ihm nicht eingehaltene Versprechungen hinsichtlich Verdienst, Wohnung und Auto gemacht worden seien. Sie habe dargelegt, dass ihr Geschäftsführer sehr großzügig gegenüber dem Kläger gewesen sei. Da der Kläger keine Wohnung gehabt habe, habe er ihn zunächst zwei bis drei Monate in seinem Haus wohnen lassen. Der Kläger habe regelmäßig mit ihrem Geschäftsführer gegessen und auch dessen Fahrzeug benutzt. Nachdem der Kläger eine eigene Wohnung gefunden habe, habe ihm ihr Geschäftsführer die Wohnung eingerichtet, einen Fernseher gekauft, die Küchenmöbel, die Einrichtungsgegenstände und auch die sonstigen Möbel gezahlt. Ihr Geschäftsführer habe dem Kläger ein Auto für € 800,00 gekauft und bezahlt. Außerdem habe er ihm eine Nasen-OP bezahlt. Es habe also kein Grund bestanden, dem Kläger noch eine Abfindung iHv. € 6800,00 zu zahlen, zumal der Kläger neben seinem monatlichen Gehalt von ihrem Geschäftsführer noch eine "Fülle weiterer Annehmlichkeiten" erhalten habe.

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Sie habe bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass der Kläger von ihr etliche Unterlagen, bspw. eine Generalvollmacht, erhalten habe. Nachdem das Vertrauensverhältnis zerstört gewesen sei, habe ihr Geschäftsführer das Arbeitsverhältnis gekündigt und den Kläger aufgefordert, alle in seinem Besitz befindlichen Unterlagen, Schlüssel etc. herauszugeben. Dies habe der Kläger zunächst mit fadenscheinigen Ausreden zu verhindern versucht. Ihr Geschäftsführer sei der Meinung gewesen, dass er mit seiner Unterschriftsleistung unter das Schreiben vom 05.11.2015 lediglich bestätigt habe, dass er all das oben dargelegte vom Kläger erhalten habe. Es sei ihm nicht bewusst gewesen, dass er sich mit der Unterschrift verpflichten sollte, an den Kläger eine Abfindung iHv. € 6.800,00 zu zahlen. Er sei auch nicht in der Lage gewesen, das Schreiben zu lesen. Aus diesem Grund sei er berechtigt, das Schreiben wegen Irrtums anzufechten.

27

Im Übrigen sei die angebliche Vereinbarung wegen Sittenwidrigkeit bzw. wegen Wuchers gem. § 138 BGB nichtig. Hätte der Kläger eine Kündigungsschutzklage erhoben, so hätte er allenfalls pro Jahr der Betriebszugehörigkeit einen halben Monatslohn als Abfindung fordern können. Da er nur wenige Monate bei ihr beschäftigt gewesen sei, hätte ihm überhaupt keine Abfindung zugestanden. Da der durchschnittliche Nettoverdienst des Klägers € 486,00 pro Monat betragen habe, hätte er 27,94 Jahre beschäftigt sein müssen, um eine Abfindung iHv. € 6.800,00 netto fordern zu können. Es bestehe daher ein extrem auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung. Der Kläger habe in verwerflicher Gesinnung die Tatsache ausgenutzt, dass ihr Geschäftsführer der deutschen Sprache nicht mächtig sei.

28

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich,

29

das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern - Auswärtige Kammern Pirma-sens - vom 28.04.2016, Az. 6 Ca 3/16, abzuändern und die Klage abzuweisen.

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30

Der Kläger beantragt,

31

die Berufung zurückzuweisen.

32

Der Kläger tritt dem Rechtsmittel entgegen und verteidigt das angefochtene Urteil.

33

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

34

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und auch ordnungsgemäß begründet worden. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Berufungsschrift sich mit den rechtlichen oder tatsächlichen Argumenten des angefochtenen Urteils befasst. Unerheblich ist, ob es sich um eine schlüssige, rechtlich haltbare Begründung handelt.p>

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II.

35

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat der Klage auf Zahlung von € 6.800,00 zu Recht stattgegeben. Die Beklagte hat sich in der Erklärung vom 05.11.2015 schriftlich verpflichtet, dem Kläger eine Abfindung iHv. € 6.800,00 zu zahlen. Entgegen der Ansicht der Berufung ist die vom Geschäftsführer der Beklagten unterzeichnete Erklärung wirksam.

36

1. Die Beklagte schuldet dem Kläger die begehrte Zahlung aus der von ihr zu Gunsten des Klägers am 05.11.2015 abgegebenen Verpflichtungserklärung. Mit dieser Erklärung war bezweckt, dem Kläger mit dem Ausspruch der (rückwirkenden) fristlosen Kündigung zum 01.11.2015 und nach Rückgabe der erteilten Vollmacht sowie der ausgehändigten Schlüssel eine Abfindung zu versprechen und deren Höhe abschließend festzulegen.

37

Die Rechtsqualität und die Reichweite der Erklärung vom 05.11.2015 mit der Überschrift "Übergabe der Bürounterlagen und Kündigung" ist durch Auslegung nach den Regeln der §§ 137, 157 BGB zu ermitteln. Als rechtstechnische Mittel mit unterschiedlichen Rechtsfolgen kommen für den Willen der Parteien, ihre Rechtsbeziehung zu bereinigen, das Schuldversprechen bzw. das konstitutive oder deklaratorische positive Schuldanerkenntnis in Betracht.

38

Die Erklärung der Beklagten kann nach den Gesamtumständen nur so verstanden werden, dass sie sich verpflichtet hat, dem Kläger eine Abfindung iHv. € 6.800,00 zu zahlen. Zwar ist die vom Kläger (oder dem von ihm als Zeugen benannten W. E.-E.) vorbereitete Erklä;rung mit "Übergabe der Bürounterlagen und Kündigung" überschrieben. Die Überschrift des Textes vermittelt auf den ersten Blick den Eindruck, dass sich der Inhalt der Erklärung auf eine Kündigung und die Bestätigung der Übergabe von "Bürounterlagen" beschränken könnte. Andererseits trägt die Beklagte vor, ihr Geschäftsführer sei durch Anwendung körperlicher Gewalt zur Unterschrift gezwungen worden. Ihm musste daher klar sein, dass sich die Erklärung mit Datum vom 05.11.2015 nicht in einer fristlosen, rückwirkenden Kündigung (der Beklagten!) und einer Empfangsquittung erschöpfte. Die Widersprüche und Ungereimtheiten im Vortrag der Beklagten waren in der mündlichen Verhandlung durch die Berufungskammer nicht auflösbar.

39

2. Die von der Beklagten erklärte Anfechtung wegen "Drohung" greift schon deshalb nicht durch, weil sie behauptet, ihr Geschäftsführer sei vom Kläger zur Unterschrift durch unmittelbare körperliche Gewaltanwendung (massives Würgen mit beiden Händen, Drücken des Kopfes gegen die Hauswand, Schläge) gezwungen worden. Die Anwendung unmittelbarer Gewalt fällt nicht unter § 123 BGB, weil schon tatbestandlich keine Willenserklärung vorliegt (vgl. Palandt/Ellenberger 75. Aufl. § 123 BGB Rn. 15; MüKoBGB/Armbrüster 7. Aufl. § 123 BGB Rn. 96; Staudinger/Singer/Finckenstein (2017) § 123 BGB Rn. 68). In diesem Fall ist nämlich die Selbstbestimmung des Erklärenden völlig ausgeschlossen, so dass die Erklärung ihm nicht zugerechnet werden kann und bereits deswegen nichtig ist.

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3. Die Rechtswirksamkeit der Erklärung vom 05.11.2015 entfällt nicht wegen der Abgabe unter Anwendung unmittelbarer Gewalt. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die darlegungs- und beweispflichtige Beklagte für ihre Behauptung, der Kläger habe ihren Geschäftsführer durch körperliche Gewaltanwendung (ua. massives W2;rgen mit beiden Händen) dazu gezwungen, die Erklärung vom 05.11.2015 zu unterzeichnen, beweisfällig geblieben ist. Es fehlt an einem erheblichen Beweisangebot. Mit ihrer Rüge, das Arbeitsgericht habe fehlerhaft davon abgesehen, ihren Geschäftsführer als Partei zu vernehmen, vermag die Beklagte nicht durchzudringen.

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a) Der Kläger hat einer Parteivernehmung gem. § 447 ZPO ausweislich des Inhalts der Sitzungsniederschrift vom 28.04.2016 im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht ausdr2;cklich nicht zugestimmt. Die Gr&#252;nde, die ihn dazu bewogen haben, sind prozessual unerheblich. Mangels Zustimmung des Klägers kam hier allein eine Parteivernehmung des Geschäftsführers der Beklagten nach § 448 ZPO in Betracht. Diese setzt freilich voraus, dass aufgrund einer schon durchgeführten Beweisaufnahme oder des sonstigen Verhandlungsinhalts bereits eine gewisse Wahrscheinlichkeit für die durch die Parteivernehmung zu beweisende Tatsache spricht ("Anbeweis"; s. etwa BAG 14.11.2013 - 8 AZR 813/12 - Rn. 17 mwN; BGH 08.07.2010 - III ZR 249/09 - Rn. 15 mwN; LAG Rheinland-Pfalz 28.01.2016 - 2 Sa 216/15 - Rn. 34 mwN). Hiervon ist das Arbeitsgericht nicht ausgegangen, ohne dass ihm dabei ein Fehler unterlaufen ist.

42

b) Auch für die Berufungskammer kam die Vernehmung des Geschäftsführers der Beklagten als Partei nach § 448 ZPO nicht in Betracht.

43

aa) Zwar kann im Fall der Beweisnot einer Partei eine Parteivernehmung nach § 448 ZPO oder eine Anhörung der Partei nach § 141 ZPO aus dem Gesichtspunkt der prozessualen Waffengleichheit notwendig sein. Der Grundsatz der prozessualen Waffengleichheit, der Anspruch auf rechtliches Gehör sowie das Recht auf Gewährleistung eines fairen Prozesses und eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 103 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 6 Abs. 1 EMRK) erfordern, dass einer Partei, die für ein Vier-Augen-Gespräch - anders als die Gegenpartei - keinen Zeugen hat, Gelegenheit gegeben wird, ihre Darstellung des Gesprächs in den Prozess persönlich einzubringen; zu diesem Zweck ist die Partei gemäß § 448 ZPO zu vernehmen oder gemäß § 141 ZPO persönlich anzuhören (BAG 14.11.2013 - 8 AZR 813/12 - Rn. 19 ff mwN; BGH 08.07.2010 - III ZR 249/09 - Rn. 16 mwN).

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bb) Ein solcher Fall liegt hier aber für die behauptete Gewaltanwendung nicht vor. Nach dem gesamten Akteninhalt und im Rahmen der freien Würdigung des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer, liegt kein Mindestmaß an Tatsachen vor, die die Behauptungen des Geschäftsführers der Beklagten, der Kläger habe ihn massiv mit beiden Händen gewürgt, geschlagen und mit dem Kopf gegen die Hauswand gedrückt, in gewissem Maße wahrscheinlich machen. Von diesem Erfordernis Abstriche zu machen, rechtfertigt die Beweisnot nicht.

45

Der Geschäftsführer der Beklagten hatte im Rahmen seiner persönlichen Anhörung vor der Berufungskammer die Möglichkeit, vorzutragen, wie die Erklärung vom 05.11.2015 aus seiner Sicht zustande gekommen sein soll. Da er der deutschen Sprache nicht mächtig ist, wurde ein Dolmetscher der arabischen Sprache geladen. Auch nach der Anhörung des Geschäftsführers spricht nicht mehr für die Darstellung der Beklagten als die des Klägers. Der Geschäftsführer der Beklagten hat vor der Berufungskammer - auf mehrfache Rückfrage - selbst nicht behauptet, dass er vom Kläger massiv mit beiden Händen gewürgt worden sei, um ihn zu zwingen, die Erklärung vom 05.11.2015 zu unterzeichnen. Den schriftsätzlichen Vortrag seines Prozessbevollmächtigten zur körperlichen Gewaltanwendung hat der Geschäftsführer nicht bestätigt. Es ist ihm nicht gelungen, die Geschehnisse in schlüssiger Form vorzutragen.

46

Die Angaben des Geschäftsführers der Beklagten leiden an Ungereimtheiten und unauflösbaren inneren Widersprüchen. Er behauptet einerseits, dass er durch körperliche Gewalt (ua. massives Würgen) vom Kläger zur Unterschrift gezwungen worden sei, andererseits lässt er vortragen, er habe sich über den Inhalt der Erklärung vom 05.11.2015 geirrt. Die wegen Irrtums bzw. wegen arglistiger Täuschung erklärte Anfechtung begründet er damit, dass er irrtümlich angenommen habe, mit seiner Unterschrift lediglich zu bestätigen, dass ihm der Kläger diverse Unterlagen und Schlüssel ausgehändigt habe; es sei ihm aber nicht bekannt bzw. bewusst gewesen, dass er verpflichtet werden soll, eine Abfindung iHv. € 6.800,00 an den Kläger zu zahlen. Nachdem der Geschäftsführer der Beklagten in der mündlichen Verhandlung zuletzt erklärt hat, er habe die Erklärung nicht unterzeichnet, ließ sich schlussendlich nicht mehr erkennen, was konkret behauptet werden soll. Stellt eine Partei mehrere einander widersprechende Behauptungen auf, ohne den Widerspruch zu erläutern, so kann von keiner dieser Behauptungen angenommen werden, sie sei richtig. Da ein solcher Vortrag einer Beweisaufnahme schlechthin unzugänglich ist (BAG 13.06.2002 - 2 AZR 589/01 - Rn. 27), bestand für die Berufungskammer keine Veranlassung, den Geschäftsführer der Beklagten als Partei zu vernehmen. Der erforderliche "Anbeweis" war nicht erbracht.

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3. Die von der Beklagten erklärte Anfechtung "wegen Irrtum bzw. wegen Täuschung" greift nicht durch.

48

Die Beklagte hat nicht schlüssig und widerspruchsfrei dargelegt, dass ihr Geschäftsführer bei Unterzeichnung der in deutscher Sprache abgefassten Erklärung vom 05.11.2015 über deren Inhalt im Irrtum gewesen (§ 119 Abs. 1 Fall 1 BGB) bzw. vom Kläger arglistig getäuscht worden sei (§ 123 Abs. 1 BGB). Wie oben dargelegt, stehen diese Anfechtungsgründe im Widerspruch zu der Behauptung, der Kläger habe den Geschäftsführer mit körperlicher Gewalt zur Unterschrift gezwungen.

49

4. Entgegen der Ansicht der Berufung ist die Verpflichtung der Beklagten, dem Kläger eine Abfindung iHv. € 6.800,00 zu zahlen, weder nach § 138 Abs. 1 BGB wegen Verstoßes gegen die guten Sitten oder nach § 138 Abs. 2 BGB unter dem Gesichtspunkt des Wuchers nichtig.

50

Es ist jedem Arbeitgeber unbenommen, sich durch einseitige Erklärung oder Vertrag bei Ausspruch einer Kündigung freiwillig zur Zahlung einer Abfindung zu verpflichten, auf die der Arbeitnehmer - wie hier - keinen gesetzlichen Anspruch hat. Anders als die Berufung meint, ist eine Abfindung iHv. € 6.800,00 weder wucherisch noch sittenwidrig überhöht. Es gilt hier nichts anderes als bei einem Abfindungsvergleich im Kündigungsschutzprozess, bei dem im Nachhinein der Arbeitgeber grundsätzlich nicht geltend machen kann, die gezahlte Abfindung sei überhöht gewesen. Bei Abschluss eines Abfindungsvergleichs nehmen die Parteien typischerweise in Kauf, dass der Wert ihrer jeweils versprochenen Gegenleistung nicht deren tatsächlichem und objektivem Wert entspricht. Die Höhe der Abfindung ist letztlich stets eine gegriffene Größe. Der Grundsatz der Vertragstreue gebietet es in diesen Fällen, dass sich die Parteien trotz eines möglicherweise „schlechten Geschäfts“ an der Vereinbarung festhalten lassen müssen (BAG 25.04.2013 - 8 AZR 453/12 - Rn. 36 mwN).

51

Aus der Überschreitung der von der Berufung bemühten "Faustformel" (unter Zugrundelegung des Monatsverdienstes des Arbeitnehmers und der Anzahl der Beschäftigungsjahre), lässt sich eine Sittenwidrigkeit der Abfindungshöhe nicht herleiten. Eine Abfindung iHv. € 6.800,00 verstößt nicht gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden. Es ist gänzlich fernliegend anzunehmen, der Kläger habe die "schwächere Lage" des Geschäftsführers der Beklagten, eines kuwaitischen Geschäftsmanns, aufgrund seiner "wirtschaftlichen oder intellektuellen" Überlegenheit ausgenutzt. Unerheblich ist, dass die Beklagte behauptet, der Kläger habe neben seinem Monatsverdienst iHv. € 486,73 netto von ihrem Geschäftsführer noch freie Kost und Logis, ein Fahrzeug, ein Fernsehgerät, Möbel, sonstige Einrichtungsgegenstände, eine Nasen-OP sowie eine "Fülle weiterer Annehmlichkeiten" erhalten. Von dem in § 107 Abs. 1 GewO angeordneten Gebot, das Arbeitsentgelt „in Euro zu berechnen und auszuzahlen“, kann nur nach § 107 Abs. 2 GewO (sog. Truckverbot) abgewichen werden. Die Sachleistungen und eine "Fülle weiterer Annehmlichkeiten" können daher im Grundsatz nicht zum Verlust des Geldlohnanspruchs führen. Ob die Beklagte dem Kläger iSd. § 107 GewO zusätzliche, freiwillige Leistungen gewährt hat, oder die behaupteten Sachzuwendungen erfolgten, um Steuern und Sozialversicherungsabgaben zu verkürzen, konnte die Berufungskammer nicht feststellen.

52

5. Da der Kläger im Klageantrag die begehrte Zahlung ausdrücklich nicht als "netto" bezeichnet hat, ist die Beklagte vom Arbeitsgericht folgerichtig zur Zahlung von € 6.800,00 - ohne den Zusatz "netto" - verurteilt worden. Es verbleibt bei der gesetzlichen Verteilung der Steuer- und Beitragslast. Unterliegt der Betrag von € 6.800,00 der Steuer und/oder Sozialabgaben, ist der Kläger nach § 38 Abs. 2 EStG Schuldner der Lohnsteuer und muss im Innenverhältnis zum Arbeitgeber den ihn treffenden Teil des Gesamtsozialversicherungsbeitrags tragen, § 28 g SGB IV (BAG 17.02.2016 - 5 AZN 981/15). Ob und in welchem Umfang die als Abfindung deklarierte Leistung der Sozialversicherungspflicht und der Besteuerung unterliegt, ist nicht zu entscheiden. Diese Entscheidung wäre weder für den Sozialversicherungsträger noch die Finanzbehörde bindend (BAG 27.05.1999 - 8 AZR 345/98 - Rn. 90).

53

6. Der Anspruch auf Verzugszinsen folgt aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Abfindung sollte bis zum 30.11.2015 gezahlt werden, so dass dem Antrag des Klägers mit dem Zinsbeginn 01.12.2015 entsprochen werden konnte.

III.

54

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

55

Die Zulassung der Revision ist mangels Vorliegens gesetzlicher Gründe nicht veranlasst (§ 72 Abs. 2 ArbGG).

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