Urteil vom Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz (3. Kammer) - 3 Sa 256/17

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 14.01.2017, Az.: 1 Ca 1110/16 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

1

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten vom 18.07.2016, die diese auf verhaltensbedingte Gründe stützt, sein Ende gefunden hat, oder aber nicht. Des Weiteren streiten die Parteien darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu den bisherigen Arbeitsbedingungen weiter zu beschäftigen, oder aber nicht.

2

Der Kläger ist bei der Beklagten, einer Drogeriemarktkette, aufgrund schriftlichen Arbeitsvertrages vom 26.07.2012, hinsichtlich dessen weiteren Inhalts auf Bl. 7 ff. d.A. Bezug genommen wird, seit dem 01.09.2012 als Verkaufsberater in deren Filiale in I. beschäftigt. Sein Bruttomonatsentgelt beträgt 2.131,58 € bzw. nach Angaben der Beklagten 2.120,18 €. Die Beklagte beschäftigt mehr als 10 Arbeitnehmer.

3

Jeder Mitarbeiter der Filiale, der die sog. X Karte besitzt, hat Zugriff zu allen Kassen in der Filiale. Allein im Obergeschoss, in dem der Kläger beschäftigt worden ist, sind dies bis zu sechs Personen. Bei der Beklagten existieren - nach Darstellung des Klägers - keine allgemeinen Kassenregelungen. Die Kassen bzw. deren Inhalt werden von verschiedenen Personen - Abteilungsleiter, Geschäftsleiter oder Stellvertreter - abgerechnet.

4

Der Kläger hat vorgetragen,
vorliegend sei weder die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten worden, noch ein Kündigungsgrund gegeben. Er bestreite, dass es an der Kasse, an der auch er kassiert habe, überhaupt zu Fehlbeträgen gekommen sei, die über das „Übliche“ hinausgegangen seien. Es treffe nicht zu, dass bis zum 22.05.2016 die Kasse zwei bis drei Mal in der Woche gezählt worden sei, wobei donnerstags eine Pflichtabrechnung erfolgt und täglich Abschöpfungen vorgenommen worden sei(en). Aus der von der Beklagten im Laufe des erstinstanzlichen Rechtszugs selbst vorgelegten Liste ergebe sich jedenfalls etwas anderes. Bestritten werde auch, dass „die Kasse“ ab dem 23.05.2016 mindestens täglich gezählt worden sei.

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Aus dem Vortrag der Beklagten gehe auch nicht hervor, wer die streitgegenständliche Kasse 4, Schubladen-Nr. 007 tatsächlich jeweils abgerechnet habe. Nur diese Personen könnten aber die behaupteten Fehlbeträge im jeweiligen Zeitraum bestätigen. Sie kämen zudem selbst als Täter in Betracht. Im Übrigen komme es, was die Beklagte nicht in Abrede stellt, vor, dass sich Mitarbeiter nicht mit ihrer eigenen Karte, sondern mit derjenigen eines Kollegen anmeldeten. Zudem sei anzumerken, dass in Anlage B 1 Schubladen-Nr. 007 nicht der Kasse 4, die hier Gegenstand sein solle, sondern tatsächlich der Kasse 7 zugeordnet sei. Zudem habe er die Personalnummer 00. Diese finde sich aber nicht in dem Filter der Anlage B 1 zu den einzelnen Schubladen- und Kassenziffern.

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Im Personalgespräch am 18.07.2016 sei ihm vorgehalten worden, dass in der Kasse im Obergeschoss der Filiale, zu der unstreitig jeder Mitarbeiter Zugriff habe, in den letzten sechs Wochen regelmäßig Fehlbeträge zwischen 10 € und 20 € aufgetreten seien und man ihm nachweisen könne, dass er das Geld entwendet habe. Er solle daher den bereits vorbereiteten Aufhebungsvertrag unterschreiben. Da er sich nichts habe zuschulden kommen lassen, habe er dies abgelehnt. Ihm seien sodann ca. 15 angebliche Beweis-Videos gezeigt worden, die aber gerade keinen Diebstahl zeigten.

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Er rüge insoweit, dass die Beklagte gegen datenschutzrechtliche Bestimmungen verstoßen habe, was ein Beweisverwertungsverbot nach sich ziehe. Der Beklagten hätten mildere Mittel zur Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung gestanden. Zudem habe es nach dem eigenen Vortrag der Beklagten nur einen pauschalen Verdacht letztlich gegen alle Mitarbeiter gegeben.

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Schließlich sei festzustellen, dass nach dem eigenen Vortrag der Beklagten in vier Fällen mehr Geld in der Kasse gefehlt habe, als ihm vorgeworfen werde, in einem Fall sogar weniger. Er habe aber weder Geld gestohlen noch solches unterschlagen. Allerdings habe er immer Bonbons in den Hosentaschen, worüber sich seine Kollegen schon lustig gemacht und ihn „abgemahnt“ hätten, weil überall Einwickelpapier zu finden gewesen wäre. Deswegen auch die Griffe in die Hosentasche.

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Der Kläger hat beantragt:

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1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 18.07.2016 nicht aufgelöst worden ist.

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2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Verkaufsberater in der Filiale I. weiter zu beschäftigen.

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Die Beklagte hat beantragt,

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die Klage abzuweisen.

14

Die Beklagte hat vorgetragen,
Nachdem an der Kasse im Obergeschoss viele und vergleichsweise hohe Differenzen festgestellt worden seien, sei die Kasse beginnend mit dem 23.05.2016 täglich, teilweise auch mehrmals täglich, von der Filialleitung bzw. der stellvertretenden Filialleitung gezählt worden. Da die Kassendifferenzen aber gleichwohl nicht zurückgegangen seien, sei Anfang Juni 2016 die Revision eingeschaltet worden, die dann die Kassendifferenzen vom 01.03.2016 bis zum 03.06.2016 überprüft habe. Dabei sei festgestellt worden, dass bei den Kassendifferenzen jeweils der Kläger gearbeitet habe. Eine Übersicht über die Kassendifferenzen sowie eine solche betreffend die Zeitkonten des Klägers, die die Beklagte zu den Akten gereicht hat, und hinsichtlich deren Inhalts auf Bl. 44 f., 50 ff.d. A. Bezug genommen wird, belege dies.

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Aufgrund der festgestellten hohen Fehlbestände seien nach einem gemeinsamen Gespräch und nach Freigabe durch den Datenschutzbeauftragten sowie der Genehmigung durch den Leiter der Abteilung Revision vom 06.06.2016 bis zum 30.06.2016 über der hier in Rede stehenden Kasse drei Kameras eingebaut worden. Die Auswertung der Bilder sei durch eine beauftragte Detektei erfolgt, die ihr, der Beklagten, die Ergebnisse am 04.07.2016 übersandt habe. Auf den Aufzeichnungen seien insbesondere fünf Vorfälle zu erkennen, anhand derer ein strafbares Verhalten des Klägers nachgewiesen werden könne. Insoweit wird auf das Vorbringen der Beklagten im Schriftsatz vom 07.09.2016 (Bl. 40 f. d.A.) Bezug genommen.

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Daraufhin sei der Kläger am 18.07.2016 unter Mitteilung sämtlicher Verdachtsmomente vorsorglich zu einer Verdachtskündigung angehört worden.

17

Hinsichtlich der Behauptung, dass in der in Rede stehenden Kasse „viele und vergleichsweise hohe Differenzen“ vorgelegen hätten, werde auf eine Gesamtübersicht Bezug genommen, hinsichtlich deren Inhalts auf die Anlage B 4, Bl. 133 ff. d.A.) Bezug genommen wird. Im Übrigen sei der Kläger der einzige Mitarbeiter gewesen, der bei sämtlichen Kassendifferenzen im Zeitraum von Mitte März bis einschließlich 02.06.2016 anwesend gewesen sei.

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Entgegen der Behauptung des Klägers gebe es natürlich Kassenanweisungen und jährliche Schulungen.

19

Das Arbeitsgericht Mainz hat daraufhin durch Urteil vom 04.01.2017 - 1 Ca 1110/16 - festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten mit Schreiben vom 18.07.2016 nicht aufgelöst worden ist und die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits zu den bisherigen Arbeitsbedingungen als Verkaufsberater in der Filiale I. weiter zu beschäftigen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 148 - 160 d. A. Bezug genommen.

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Gegen das ihr am 24.04.2017 zugestellte Urteil hat die Beklagte durch am 12.05.2017 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 19.07.2017 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf ihren begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 02.06.2017 die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 20.07.2017 einschließlich verlängert worden war.

21

Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, für den Zeitraum 01.03.2016 bis zum 19.05.2016 sei es in der Kasse 7 zu Fehlbeträgen von 141,72 € und für den Zeitraum 23.05.2016 bis zum 30.06.2016 zu insgesamt 171,83 € gekommen. Insofern sei Geld in erheblichem Umfang unterschlagen worden. Während für die Zeit vom 01.03.2016 bis zum 30.06.2016 an Kasse 1 zwei, an Kasse 2 vier, Kasse 3, drei, Kasse 4 zwei, Kasse 5 ein und Kasse 6 zwei Kassenfehlbeträge aufgetreten seien, handelt es sich bei Kasse 7 im gleichen Zeitraum um 21 Kassenfehlbeträge. Von den insgesamt 38 zugriffsberechtigten Mitarbeitern, denen die Verwendung der Bedienerkarte, d. h. die sog. X Karte möglich sei, hätten in diesem Zeitraum tatsächlich nur 13 Mitarbeiter auf diese Kasse zugegriffen. Mittels der Methode des Ausschlussverfahrens habe die Beklagte ermittelt, dass von diesen einzig und allein der Kläger immer dann auch Zugriff auf die Kasse 7 genommen habe, wenn es zu einem Kassenfehlbetrag von mehr als 3,00 € in der Kasse 7 gekommen sei. Damit seien die Kassenfehlbeträge der Person des Klägers zuordenbar gewesen. Denn im Zeitraum 01.03.2016 bis zum 30.06.2016 habe immer an den Tagen, an denen der Kläger Zugriff auf die Kasse 7 genommen habe, in der Kasse 7 erwiesenermaßen Geld gefehlt. Eine derartige Korrespondenz zwischen dem Zugriff auf die Kasse und den aufgetretenen Kassenfehlbeträgen andererseits sei bei keinem anderen Mitarbeiter in diesem Zeitraum gegeben gewesen. Auch nach der Umstellung auf die tägliche Zählung (23.05.2016 bis 30.06.2016) seien noch deutliche Kassenfehlbeträge aufgetreten (vgl. S. 17 der Berufungsbegründungsschrift vom 19.07.2017 (= Bl. 263 d. A.); der Kläger sei der einzige Mitarbeiter gewesen, der an exakt diesen Tagen immer Zugriff auf die Kasse 7 genommen habe. Dem gegenüber habe es keinen Mitarbeiter gegeben, der gleichsam an all diesen Tagen Zugriff auf die Kasse 7 genommen habe. Folglich sei der jeweilige Zugriff des Klägers auf die Kasse 7 ursächlich für den jeweiligen Kassenfehlbetrag.

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Die zum Beweis angebotenen Wiederaufzeichnungen in Verbindung mit den jeweiligen Kassenbons belegten, dass der Kläger am 11.06.2016 10,00 €, am 15.06.2016 20,00 €, am 18.06.2016 10,00 €, am 23.06.2016 10,00 € und am 25.06.2016 20,00 €, also von den Kunden der Beklagten von ihm für die verkaufte Ware vereinnahmtes Geld erst gar nicht in die Kasse 7 eingelegt oder es später wieder aus der Kasse 7 entwendet habe.

23

Im Rahmen der daraufhin von der Beklagten veranlassten Anhörung sei der Kläger nicht in der Lage gewesen, die ihm angelastete Tat bzw. die vorgehaltenen Verdachtsmomente auch nur ansatzweise zu widerlegen. Der Kläger habe sich insoweit auf sein bloßes Schweigen zurückgezogen.

24

Weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts seien für die Beklagte vorliegend nicht in Betracht zu ziehen gewesen. Das gelte insbesondere für den Einzelkassenschub. Denn die Mitarbeiter der Beklagten wüssten heute allesamt, dass dieser nur dann von der Beklagten angeordnet werde, wenn es gelte, eine Unterschlagung oder einen Diebstahl beim Kassieren von Geld aufzuklären. Diese Anordnung hätte sodann dazu geführt, dass zwar entsprechende Fehlbeträge schlagartig aufgehört hätten; sie wären aber ab dem Zeitpunkt umgehend wieder aufgetreten, zu dem sie den Einzelkassenschub aufgehoben hätte. Der Täter - bzw. Kläger - wäre durch eine entsprechende Anordnung also sofort gewarnt gewesen. Eine elektronische Zugangsberechtigung gebe es bei der Beklagten bezogen auf nur bestimmte Kassenschübe bzw. einen einzelnen Mitarbeiter nicht. Dies werde wegen des äußerst hohen finanziellen Aufwandes weder umgesetzt, noch sei dies in Planung. Eine Detektei habe sie, die Beklagte, vorab tatsächlich beauftragt. Sie habe diese auch mit der weiteren Aufklärung der Vielzahl der hohen Kassenfehlbeträge an der Kasse 7 im Allgemeinen und der Zusammentragung weiteren gerichtlichen verwertbaren Beweismaterials im Besonderen beauftragt. Diese Detektei habe ihr, der Beklagten, aber sodann dringend zugeraten, eine Videoüberwachung sofort einzuleiten, da die der Detektei zur Verfügung stehenden sonstigen Maßnahmen zum Kassenschutz (Observation durch einen Detektiv, Recherchen und legendierende Befragung) in Anbetracht der bereits gegebenen Sach- und Beweislage, insbesondere der Ausschlussdiagnose, keinen Sinn mehr gemacht hätten. Hinzu komme, dass sich die Handlungen des Kassierers im Sekundenbereich bewegten und dass sich aufgrund der in der Filiale verwendeten Kassen bzw. speziell des dortigen sog. Kassendeckels von vorne, aus der Sicht des Kunden bzw. des sich als Kunden ausgebenden Detektivs, nicht erkennen lasse, was der Kassierer mit dem von ihm vereinnahmten Geld dann mache. Zudem hätten in der Filiale wegen der festgestellten erheblichen Kassenfehlbeträge ohnehin bereits angekündigte und unangekündigte Kassenkontrollen stattgefunden. zu einer Verringerung der Kassendifferenzen habe dies jedoch nicht geführt. Somit sei abschließend die Videoüberwachung das letzte und gleichzeitig auch das mildeste Mittel gewesen. Die Prognose der beauftragten Detektei, dass die Videoüberwachung der allein sinnvolle und gangbare Weg zur Erlangung gerichtlich verwertbaren Beweismaterials sei, habe sich schließlich auch als richtig herausgestellt.

25

Über die betrieblich geltenden Vorgaben und Verbote bestehe eine unternehmensinterne Anweisung für Kassenkräfte; darüber hinaus seien alle Mitarbeiter der Filiale einschließlich des Klägers regelmäßig und eingehend belehrt bzw. geschult worden.

26

Zur weiteren Darstellung des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 19.07.2017 (Bl. 346 - 377 d. A.) nebst Anlagen (Bl. 378 - 498 d. A.) Bezug genommen.

27

Die Beklagte beantragt,

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I. auf die Berufung das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz vom 04.01.2017, Aktenzeichen: 1 Ca 1110/16, der Beklagten zugestellt am 20.04.2017, abzuändern.

29

II. Die Klage wird abgewiesen.

30

Der Kläger beantragt,

31

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

32

Der Kläger verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung seines erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, es treffe zwar zu, dass es an allen Kassen in der Filiale in I. zu Fehlbeträgen gekommen sei. Nicht zutreffend sei jedoch, dass es an der Kasse, an der u. a. auch der Kläger kassiert habe, zu über das übliche hinausgehenden Fehlbeträgen gekommen sei. Die von der Beklagten angeführten Beträge seien insgesamt nicht nachvollziehbar und irgendeiner Kasse zuordenbar. Die von ihr angeführten Zeugen seien nicht diejenigen, die tatsächlich die Kassen abgerechnet hätten. Die angegebenen Kassendifferenzen an vier der sieben Kassen (1, 4, 5, 6) in einem Zeitraum von 4 Monaten - zwei Kassenfehlbeträge - und an der Kasse 5 sogar nur ein Fehlbetrag in vier Monaten sei vollkommen weltfremd und unrealistisch. Das gleiche gelte für die Kasse 2, an der sich vier Fehlbeträge gegeben haben solle und für Kasse 3, bei der es sich um drei Kassenfehlbeträge gehandelt haben solle. Er, der Kläger, gehe davon aus, dass an diesen Zahlen manipuliert worden sei. Zu bestreiten sei, dass es allein 21 Kassenfehlbeträge an der Kasse 7 gegeben haben solle.

33

Zu berücksichtigen sei zudem, dass alle Mitarbeiter mit einer sog. X Karte auch Zugriff auf alle Kassen in der Filiale der Beklagten in I. hätten. Die Mitarbeiter händigten sich diese auch untereinander aus, wenn sie ihre eigene vergessen oder gerade nicht dabei hätten. Mit Nichtwissen werde bestritten, dass im Zeitraum 01.03.2016 bis 30.06.2016 insgesamt 38 Mitarbeiter berechtigt gewesen seien auf die Kasse 7 zuzugreifen und nur 13 tatsächlich dies auch getan hätten.

34

Ein wie auch immer gearteter Beweiswert komme dem von der Beklagten vorgenommenen "Ausschlussverfahren" nicht zu. Denn er, der Kläger, sei eben an 5 Tagen in der Woche vertraglich zur Arbeit verpflichtet gewesen. Er habe aber nie alleine, auch nicht allein im 1. Stock, bedient und abkassiert. Auch sei der Kläger an wesentlich mehr Tagen anwesend gewesen, insbesondere wenn es keine Fehlbeträge oder sogar Guthaben gegeben habe. Stets seien mindestens 15 - 20 Mitarbeiter im Haus tätig gewesen. Die Kassenfehlbeträge seien dem Kläger entgegen der Darstellung der Beklagten nicht zuordenbar. An keinem einzigen Tag habe er alleine Zugriff auf die Kasse gehabt. Meist hätten mehrere Tage zwischen den Kassenzählungen gelegen, so dass jeder, der eine X Karte habe, Zugriff auf das Geld gehabt habe.

35

Er, der Kläger, habe zu keinem Zeitpunkt eine Unterschlagung eingeräumt oder sonst wie eingestanden. Auch belegten die vorgelegten Kassenbons nicht eine einzige Unterschlagung; ebenso wenig sei auf den Videoaufzeichnungen etwas derartiges zu erkennen. Vor diesem Hintergrund habe der Kläger gar keine andere Wahl gehabt, als die Unterzeichnung eines Aufhebungsvertrages zu verweigern. Er sei zwar mit den Videoaufzeichnungen konfrontiert worden, auf denen sei aber nichts von dem zu sehen, was die Beklagte vorliegend behaupte.

36

Durch die rechtswidrigen Videoaufzeichnungen habe die Beklagte das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers verletzt, weil ihr mildere Mittel der Kontrolle zur Verfügung gestanden hätten, so dass die Aufzeichnungen nicht verwertbar seien. Dies schließe auch die Zeugenvernahme derjenigen Mitarbeiter aus, die die Aufzeichnung aufgenommen hätten. Der Einzelkassenschub sei zudem ein mögliches milderes Mittel gewesen, dass bei fast allen Discountern zum Einsatz komme. Warum dies bei der Beklagten nicht möglich oder es unwirtschaftlich bzw. unzumutbar sein solle, sei nicht nachvollziehbar. Es sei zudem widersprüchlich, wenn die Beklagte behaupte, der Kläger sei bereits vor der Videoüberwachung als Täter überführt gewesen. Denn dann sei eine Videoüberwachung nicht mehr notwendig gewesen.

37

Letztlich sei daraufhin zu weisen, dass der Kläger als "Verkaufsberater" angestellt sei, nicht aber als Kassierer.

38

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 18.09.2017 (Bl. 524 - 536 d. A.) nebst Anlagen (Bl. 537 - 540 d. A.) Bezug genommen.

39

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

40

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 09.10.2017.

Entscheidungsgründe

I.

41

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

42

Das Rechtsmittel der Berufung der Beklagten hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

43

Denn das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht davon ausgegangen, dass die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung ebenso rechtsunwirksam ist wie die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung, mit der Folge, dass der Kläger seine tatsächliche Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf des vorliegenden Kündigungsschutzrechtsstreits verlangen kann.

44

Mit dem Arbeitsgericht ist vorliegend davon auszugehen, dass die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 18.07.2016 den gesetzlichen Voraussetzungen des § 626 BGB nicht genügt und folglich rechtsunwirksam ist, mit der Maßgabe, dass sie das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht beendet hat. Dies gilt sowohl unter dem Gesichtspunkt der Tat-, als auch dem der Verdachtskündigung.

45

Ein wichtiger Grund im Sinne der Generalklausel der § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung liegt dann vor, wenn Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und in der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann (vgl. BAG 27.01.2011 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 07.07.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 38; 21.06.2012 EzA § 9 KSchG n. F. Nr. 63 = NZA 2013, 199; 27.09.2012 -2 AZR 646/11- EzA/SD 9/2013 Seite 6 LS). Damit wird der wichtige Grund zunächst durch die objektiv vorliegenden Tatsachen bestimmt, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist deshalb jeder Sachverhalt, der objektiv das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet (vgl. BAG 27.01.2011 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 07.07.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 38). Entscheidend ist nicht der subjektive Kenntnisstand des Kündigenden, sondern der objektiv vorliegende Sachverhalt, der objektive Anlass. Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetretenen Umstände bei der Überprüfung der Frage, ob sie als Kündigungsgrund an sich geeignet sind (Ascheid/Preis/Schmidt Großkommentar Kündigungsrecht 4. Auflage 2012 (APS-Dörner/Vossen), § 626 BGB Rz. 42 ff.; Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Arbeitsrecht (DLW-Dörner), 14. Auflage 2018, Kap. 4. Rn. 1121 ff.).

46

Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetretenen Umstände bei der Überprüfung der Frage, ob sie als Kündigungsgrund an sich geeignet sind. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen. Nachträglich eingetretene Umstände können für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen. Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde. Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch eine Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden. Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen gilt nichts anderes (BAG 15.12.1955 NJW 1956, 807; 28.10.1971 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 9; 3.7.2003 EzA § 626 BGB 202 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2; 24.11.2005 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 12, 484; 10.6.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32).

47

Die danach zu berücksichtigenden Umstände müssen nach verständigem Ermessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar erscheinen lassen (BAG AP-Nr. 4 zu § 626 BGB). Bei der Bewertung des Kündigungsgrundes und bei der nachfolgenden Interessenabwägung ist ein objektiver Maßstab anzulegen, so dass subjektive Umstände, die sich aus den Verhältnissen der Beteiligten ergeben, nur aufgrund einer objektiven Betrachtung zu berücksichtigen sind. Dabei ist insbes. nicht auf die subjektive Befindlichkeit des Arbeitgebers abzustellen; vielmehr ist ein objektiver Maßstab („verständiger Arbeitgeber“) entscheidend, also ob der Arbeitgeber aus der Sicht eines objektiven Betrachters weiterhin hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer haben müsste, nicht aber, ob er es tatsächlich hat (BAG 10.6.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32). Die danach maßgeblichen Umstände müssen sich konkret nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken; da der Kündigungsgrund zukunftsbezogen ist und die Kündigung keine Sanktion für das Verhalten in der Vergangenheit darstellt, kommt es auf seine Auswirkungen auf die Zukunft an, die vergangene Pflichtverletzung muss sich noch in Zukunft belastend auswirken (BAG 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 23.10.2008 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 25; 12.1.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67; 12.1.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68; LAG BW 25.3.2009 LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 20; LAG RhPf 26.2.2010 NZA-RR 2010, 297). Da es um den zukünftigen Bestand des Arbeitsverhältnisses geht, muss dessen Fortsetzung durch objektive Umstände oder die Einstellung oder das Verhalten des Gekündigten im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im persönlichen Vertrauensbereich (der Vertragspartner) oder im Unternehmensbereich konkret beeinträchtigt sein.

48

Das kann dann der Fall sein, wenn auch zukünftige Vertragsverstöße zu besorgen sind, d. h. wenn davon ausgegangen werden muss, der Arbeitnehmer werde auch künftig den Arbeitsvertrag nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen oder sonst von einer fortwirkenden Belastung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen werden muss (LAG BW 25.3.2009 § 626 2002 Nr. 20; LAG RhPf 26.2.2010 NZA-RR 2010, 297).

49

Die erforderliche Überprüfung gem. § 626 Abs. 1 BGB vollzieht sich folglich zweistufig (vgl. z. B. BAG 24.3.2011 2 AZR 282/10 EzA-SD 16/2011 S. 3 LS. = NZA 2011, 1029; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35).

50

Zum einen muss ein Grund vorliegen, der unter Berücksichtigung der oben skizzierten Kriterien überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Insoweit handelt es sich um einen Negativfilter, d. h., dass bestimmte Kündigungsgründe eine außerordentliche Kündigung von vornherein nicht rechtfertigen können.

51

Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen einer Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der - in der Regel - vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen (vgl. ausführlich APS-Dörner/Vossen, § 626 BGB a. a. O.; DLW-Dörner a. a. O.). In einer Gesamtwürdigung ist das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 24.3.2011 - 2 AZR 282/10- EzA-SD 16/2011 S. 3 LS. = NZA 2011, 1029; 27.09.2012 -2 AZR 646/11 - EzA-SD 9/2013, Seite 6 LS).

52

Entscheidend ist die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung bzw. bis zum Ende der vereinbarten Befristung (BAG 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027; 27.09.2012 - 2 AZR 646/11 - EzA-SD 9/2013, Seite 6 LS; LAG Bl. 5.1.2005 - 17 Sa 1308/04 - EzA-SD 8/05, Seite 12 LS; Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, a. a. O.; APS/Dörner/Vossen).

53

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegen seiner erheblichen Pflichtverletzung zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung des Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen - einstweiligen - Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 27.09.2012 -2 AZR 646/11- EzA/SD 9/2013, Seite 6 LS).

54

Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ist die außerordentliche Kündigung „Ultima Ratio“, so dass sie dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, weil dann die ordentliche Kündigung ein milderes Mittel als die außerordentliche Kündigung darstellt (BAG 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027; 27.09.2012 -2 AZR 646/11- EzA/SD 9/2013 Seite 6 LS; krit. Stückmann/Kohlepp RdA 2000, 331 ff.).

55

Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus; sie dient der Objektivierung der Prognose (BAG 12.01.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67: 12.01.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Sie ist nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht Erfolg versprechend angesehen werden kann. Das ist insbes. dann anzunehmen, wenn erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten. Nur besonders schwere Vorwürfe bedürfen keiner Abmahnung, wenn und weil der Arbeitnehmer dann von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann (LAG RhPf 26.02.2010 - 6 Sa 682/09, NZA-RR 2010, 297; LAG Nds. 12.02.2010 - 10 Sa 1977/08, EzA-SD 8/2010 S. 6 LS).

56

Einer Abmahnung bedarf es danach bei einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes also nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 24.03.2011 - 2 AZR 282/10, EzA-SD 16/2011 S. 3 LS = NZA 2011, 1029; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 36; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 39 = NZA-RR 2012, 567;25.10.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 41 = NZA 2013, 319; LAG Hessen 27.02.2012 NZA-RR 2012, 471), denn dann ist grds. davon auszugehen, dass das künftige Verhalten des Arbeitnehmers schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann; die Abmahnung dient insoweit der Objektivierung der negativen Prognose: Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Das gilt grds. uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (BAG 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027; LAG Bln.-Bra. 30.03.2012 LAGE § 611 BGB 2002 Abmahnung Nr. 9 = NZA -RR 2012, 353; LAG Köln 20.01.2012 NZA-RR 2012, 356), denn auch in diesem Bereich gibt es keine "absoluten" Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (BAG 10.06.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32; Preis AuR 2010, 242;Schlachter NZA 2005, 433 ff.; Schrader NJW 2012, 342 ff.; s. LAG Bln.-Bra. 30.03.2012 LAGE § 611 BGB 2002 Abmahnung Nr. 9 = NZA-RR 2012, 353; Arbeitszeitbetrug; LAG Köln 20.01.2012 NZA-RR 2012, 356: vorzeitiges Arbeitsende ohne betriebliche Auswirkungen).

57

Entscheidender Zeitpunkt für die Beurteilung ist grundsätzlich (ebenso wie bei der ordentlichen Kündigung) der Zeitpunkt des Ausspruchs bzw. Zugangs der Kündigung. Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen (BAG 10.6.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32 = NZA 2010, 1227; 28.10.1971 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 9; 15.12.1955 BAGE 2, 245).

58

Nachträglich eingetretene Umstände können für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (BAG 10.6.2010; a. a. O.; 28.10.1971 a. a. O. Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (BAG 10.6.2010 a. a. O; 15.12.1955 a. a. O.). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (BAG 15.12.1955 a. a. O). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (BAG 10.6.2010; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 202 Nr. 4 a. a. O.; 24.11.2005 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 12; 3.7.2003 EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2) gilt nichts anderes.

59

Die in den aufgehobenen gesetzlichen Vorschriften der §§ 123, 124 Gewerbeordnung, 71, 72 HGB nach altem Recht genannten Beispiele für wechselseitige wichtige Gründe (z. B. Arbeitsvertragsbruch, beharrliche Arbeitsverweigerung) sind als wichtige Hinweise für typische Sachverhalte anzuerkennen, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu bilden und die Kündigung in der Regel auch zu rechtfertigen, wenn keine besonderen Umstände zugunsten des Gekündigten sprechen (vgl. BAG AP-Nr. 99 zu § 626 BGB). "Absolute Kündigungsgründe", die ohne eine besondere Interessenabwägung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, bestehen andererseits jedoch nicht (BAG 15.11.1984 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 95; 10.6.2010; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 40 = NZA 2013, 27).

60

Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast gilt Folgendes:

61

Der Kündigende ist darlegungs- und beweispflichtig für die Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können. Die Bewertung eines Fehlverhaltens als vorsätzlich liegt insoweit im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist Gegenstand der tatrichterlichen Beweiswürdigung i.S.v. § 286 ZPO (BAG 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027).

62

Im Rahmen der ihr obliegenden Darlegungslast trifft jede Prozesspartei eine vollständige Substantiierungspflicht; sie hat sich eingehend und im Einzelnen nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiiert zu äußern. Andererseits darf von keiner Prozesspartei von Verfassungswegen etwas Unmögliches verlangt werden. Der Konflikt zwischen diesen beiden Positionen wird gelöst durch das Prinzip der Sachnähe, d. h., je näher eine Prozesspartei an dem fraglichen tatsächlichen Geschehen selbst unmittelbar und persönlich beteiligt ist, desto eingehender hat sie substantiiert vorzutragen. Das kann so weit gehen, dass sie auch verpflichtet sein kann, durch tatsächliches Vorbringen oder Vorlage von Unterlagen die Gegenpartei überhaupt erst in die Lage zu versetzen, der ihr obliegenden Darlegungslast nachzukommen. Schließlich muss das tatsächliche Vorbringen wahrheitsgemäß sein (vgl. BAG 26.06.2008, 23.10.2008 EzA § 23 KSchG Nr. 32, Nr. 33).

63

Zu den die Kündigung begründen Tatsachen, die der Kündigende vortragen und gegebenenfalls beweisen muss, gehören auch diejenigen, die Rechtfertigungs-und Entschuldigungsgründe (z.B. eine vereinbarte Arbeitsbefreiung, die Einwilligung des Arbeitgebers in eine Wettbewerbstätigkeit: eine "Notwehrsituation", vgl. LAG Köln 20.12.2000 ARST 2001, 187) für das Verhalten des gekündigten Arbeitnehmers ausschließen (BAG 06.08.1987 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 109; 18.09.2008 - 2 AZR 1039/06, EzA-SD 8/2009 S. i; Notwehr bei tätlicher Auseinandersetzung; 03.11.2011 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79 = NZA 2012, 607).

64

Der Umfang der Darlegungs- und Beweislast richtet sich danach, wie substantiiert der Gekündigte sich auf die Kündigungsgründe einlässt. Der Kündigende muss daher nicht von vornherein alle nur denkbare Rechtfertigungsgründe widerlegen.

65

Es reicht insoweit nicht aus, dass der Gekündigte pauschal und ohne nachprüf-bare Angaben Rechtfertigungsgründe geltend macht. Er muss deshalb unter substantiierter Angabe der Gründe, die ihn gehindert haben, seine Arbeitsleistung, so wie an sich vorgesehen, zu erbringen, den Sachvortrag des Kündigenden nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen bestreiten. Gleiches gilt dann, wenn sich der Gekündigte anders als an sich vorgesehen verhalten hat (s. BAG 18.09.2008 - 2 AZR 1039/06, FA 2009, 221 LS).

66

Nur dann ist es dem Kündigenden möglich, diese Angaben zu überprüfen und ggf. die erforderlichen Beweise anzutreten (BAG 06.08.1987 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 109). Wenn der gekündigte Arbeitnehmer sich allerdings gegen die Kündigung wehrt und i.S.d. § 138 Abs. 2 ZPO ausführlich Tatsachen vorträgt, die einen Rechtfertigungsgrund für sein Handeln darstellen oder sonst das Verhalten in einem milderen Licht erscheinen lassen können, muss der Arbeitgeber seinerseits Tatsachen vorbringen und ggf. beweisen, die die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Rechtfertigungsgründe erschüttern (LAG Köln 21.04.2004 LAG Report 2005, 64 LS). Will der Arbeitgeber bspw. die außerordentliche Kündigung auf die Behauptung stützen, der Arbeitnehmer habe Beträge aus der Einlösung von Schecks unterschlagen, muss er im Einzelnen diese Unterschlagung darlegen und unter Beweis stellen. Wenn der Arbeitnehmer nachvollziehbar darlegt, wann und wenn er die Beträge abgeliefert hat, kann sich der Arbeitgeber nicht mit Erfolg auf den Standpunkt stellen, der Arbeitnehmer müsse die Ablieferung der Beträge beweisen (LAG Köln 26.06.2006 - 14 Sa 21/06, EzA-SD 19/06, S. 10 LS).

67

Die dem kündigenden Arbeitgeber obliegende Beweislast geht auch dann nicht auf den gekündigten Arbeitnehmer über, wenn dieser sich auf eine angeblich mit dem Arbeitgeber persönlich vereinbarte Arbeitsbefreiung beruft und er einer Parteivernehmung des Arbeitgebers zu der streitigen Zusage widerspricht.

68

In diesem Fall sind allerdings an das Bestreiten einer rechtswidrigen Vertragsverletzung hinsichtlich des Zeitpunkts, des Ortes und des Anlasses der behaupteten Vereinbarung, die das Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigen oder entschuldigen sollen, strenge Anforderungen zu stellen (BAG 24.11.1983 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 88; APS/Dörner/Vossen § 626 BGB Rn. 173 ff.).

69

Gelingt es dem Arbeitgeber nicht, den Kündigungsvorwurf in tatsächlicher Hinsicht zu beweisen, ist die streitgegenständliche Kündigung mangels eines wichtigen Grundes i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam (LAG RhPf 21.05.2010 NZA-RR 2011, 80).

70

Für das erforderliche Beweismaß der vollen Überzeugung im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO gelten nachfolgende Grundsätze:

71

Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Insofern ist das tatsächliche Vorbringen der Beklagten, dass die Klägerin zulässigerweise bestritten hat, nach Maßgabe der vor dem Arbeitsgericht durchgeführten Beweisaufnahme als wahr anzusehen.

72

Auf der Basis der abgeschlossenen Beweisaufnahme stellt die richterliche Würdigung einen internen Vorgang in der Person der Richter zur Prüfung der Frage dar, ob ein Beweis gelungen ist. Im Rahmen dieses internen Vorgangs verweist § 286 ZPO ganz bewusst auf das subjektive Kriterium der freien Überzeugung des Richters und schließt damit objektive Kriterien - insbesondere die naturwissenschaftliche Wahrheit als Zielpunkt - aus. Die gesetzliche Regelung befreit den Richter bzw. das richterliche Kollegium von jedem Zwang bei seiner Würdigung und schließt es damit auch aus, dass das Gesetz dem Richter vorschreibt, wie er Beweise einzuschätzen und zu bewerten hat. Dabei ist Bezugspunkt der richterlichen Würdigung nicht nur das Ergebnis der Beweisaufnahme, sondern der gesamte Inhalt der mündlichen Verhandlung (vgl. Münchner Kommentar zur ZPO - Prütting, 4. Auflage 2013, § 286 Rn. 1 ff.).

73

Hinsichtlich der Anforderungen an die richterliche Überzeugung ist von Folgendem auszugehen: Die richterliche Überzeugung ist nicht gleichzusetzen mit persönlicher Gewissheit. Der Begriff der Gewissheit stellt nämlich absolute Anforderungen an eine Person. Er lässt für - auch nur geringe - Zweifel keinen Raum. Dies wird gesetzlich aber nicht verlangt; die gesetzliche Regelung geht vielmehr davon aus, das Gericht müsse etwas für wahr "erachten". Bei dem Begriff der richterlichen Überzeugung geht es also nicht um ein rein personales Element der subjektiven Gewissheit eines Menschen, sondern darum, dass der Richter in seiner prozessordnungsgemäßen Stellung bzw. das Gericht in seiner Funktion als Streit entscheidendes Kollegialorgan eine prozessual ausreichende Überzeugung durch Würdigung und Abstimmung erzielt. Daraus folgt, dass es der richterlichen Überzeugung keinesfalls im Weg steht, wenn dem Gericht aufgrund gewisser Umstände Unsicherheiten in der Tatsachengrundlage bewusst sind. Unerheblich für die Beweiswürdigung und die Überzeugungsbildung ist auch die Frage der Beweislast. Richterliche Überzeugung ist vielmehr die prozessordnungsgemäß gewonnene Erkenntnis des einzelnen Richters oder der Mehrheit des Kollegiums, dass die vorhandenen Eigen- und Fremdwahrnehmungen sowie Schlüsse ausreichen, die Erfüllung des vom Gesetz vorgesehenen Beweismaßes zu bejahen. Es darf also weder der besonders leichtgläubige Richter noch der generelle Skeptiker ein rein subjektives Empfinden als Maß der Überzeugung setzen, sondern jeder Richter muss sich bemühen, unter Beachtung der Prozessgesetze, Ausschöpfung der gegebenen Erkenntnisquellen und Würdigung aller Verfahrensergebnisse in gewissenhafter und vernünftigerweise einer Entscheidung nach seiner Lebenserfahrung darüber zu treffen, ob im Urteil von der Wahrheit einer Tatsachenbehauptung auszugehen ist. Dabei muss sich das Gericht allerdings der Gefahren für jede Wahrheitsfindung bewusst sein.

74

Dabei ist letzten Endes ausschlaggebend, dass das Gesetz eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht voraussetzt. Vielmehr kommt es auf die eigene Überzeugung des entscheidenden Richters an, auch wenn andere zweifeln oder eine andere Auffassung erlangt haben würden. Der Richter darf und muss sich aber in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245 = NJW 1970, 946; vgl. Münchner Kommentar zur ZPO - Prütting a. a. O., Rn. 28 ff). Vom Richter wird letztlich verlangt, dass er die volle Überzeugung erlangt, dass er eine streitige Tatsachenbehauptung für wahr erachtet. Diese Überzeugung kann und darf er nicht gewinnen, wenn für die streitige Behauptung nur die überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht, vielmehr muss für die behauptete Tatsache eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit sprechen, damit der Richter die Tatsache für wahr erachtet.

75

Zwar sind Vermögensdelikte jedenfalls in dem von der Beklagten vorliegend behaupteten Ausmaß ohne Weiteres geeignet, einen an sich zur außerordentlichen Kündigung geeigneten Umstand in diesem Sinne darzustellen. Mit dem Arbeitsgericht ist aber aufgrund der Besonderheiten des vorliegend zu entscheidenden Einzelfalles davon auszugehen, dass die insoweit darlegungs- und beweisbelastete Beklagte nicht hinreichend dargelegt und bewiesen hat, dass der Kläger die zu Gunsten der Beklagten als richtig unterstellten Kassendifferenzen verursacht hat.

76

Das Arbeitsgericht hat insoweit ausgeführt:

77

"a) Innerhalb der gesetzten Fristen hat die Beklagte lediglich pauschal behauptet, dass an der in Rede stehenden Kasse 7 Schubladennummer 007 gegenüber den anderen Kassen im Zeitraum vom 01.03.2016 bis zum 02.06.2016 „viele und vergleichsweise hohe Differenzen“ aufgetreten seien. Erstmals in ihrem Schriftsatz vom 20.12.2016 und damit verspätet, hat sie eine entsprechende Gesamtübersicht zu den Akten gereicht.

78

Selbst wenn man diesen Vortrag indes berücksichtigen würde, ergibt sich daraus, dass auch bei anderen Kassen Kassendifferenzen in nicht unerheblichem Umfang aufgetreten sind, z.B. sogar minus 40,02 € in der Kasse 2 Schubladennummer 2 im Zeitraum vom 17.03.2016 bis 24.03.2016 und im gleichen Zeitraum minus 14,56 € in der Kasse 3 Schubladennummer 3. Es bestehen daher schon Zweifel, ob insoweit schon ein ausreichender Verdacht besteht, dass es überhaupt an der Kasse 7 zu vorsätzlichen Unregelmäßigkeiten gekommen ist."

79

Diesen Ausführungen folgt die Kammer voll inhaltlich und stellt dies hiermit ausdrücklich fest.

80

Nichts anderes gilt im Ergebnis in Anwendung der Grundsätze für eine sog. außerordentliche Verdachtskündigung.

81

Die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung ist, auch insoweit folgt die Kammer dem Arbeitsgericht, auch als außerordentliche Verdachtskündigung rechtsunwirksam.

82

Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG z. B. (04.06.1964 AP Nr. 13 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; 10.02.2005 EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 3; 29.11.2007 EzA § 626 BGB 21002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5; 05.06.2008 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 7; 25.11.2010 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 21.06.2012 EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 63 = NZA 2013, 199; 25.10.2012 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 13) kann auch der auf objektive - unstreitige oder bewiesene - Tatsachen gründende dringende Verdacht einer Straftat mit Bezug zum Arbeitsverhältnis oder eines sonstigen erheblichen Fehlverhaltens, einer schwerwiegenden Verletzung von erheblichen arbeitsvertraglichen Pflichten (BAG 24.05.2012 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 11 = NZA 2013, 137) ein an sich zur außerordentlichen Kündigung berechtigender Umstand sein (s. Lunck NJW 2010, 2753 ff.). Auch insoweit ist für die kündigungsrechtliche Beurteilung einer Pflichtverletzung ihre strafrechtliche Bewertung nicht maßgebend. Entscheidend sind der Verstoß gegen vertragliche Haupt- oder Nebenpflichtigen (§ 241 Abs. 2 BGB; Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch (BAG 25.11.2010 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; 21.06.2012 EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 63 = NZA 2013, 199).

83

Eine Verdachtskündigung setzt danach voraus (s. BAG 25.11.2010 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 9; LAG RhPf 08.07.2009 - 8 Sa 203/09, AuR 2010, 176 LS; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, a. a. O., Kap. 4, Rn. 1551 ff. = S. 1712 ff.), dass

84

- die Kündigung gerade auf den Verdacht der strafbaren Handlung bzw. eines vertragswidrigen Verhaltens gestützt wird;
- eine Anhörung des Arbeitnehmers vor Ausspruch der Kündigung erfolgt ist;
- zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung ein dringender Tatverdacht gegen den Arbeitnehmer besteht und
- eine umfassende Interessenabwägung der widerstreitenden Interessen des Arbeitgebers einerseits an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses einerseits und dem des Arbeitnehmers an der Fortsetzung (einstweiligen Fortsetzung des Arbeitnehmers) andererseits überwiegt.

85

Die danach maßgeblichen Voraussetzungen sind vorliegend mit dem Arbeitsgericht zu verneinen. Denn vorliegend fehlt es am dringenden Verdacht einer erheblichen Pflichtverletzung, der sich entweder aus den Umständen oder aus objektiven Tatsachen ergeben muss.

86

Der Verdacht einer Straftat ist nämlich nur dann ein an sich zur außerordentlichen Kündigung berechtigender Umstand, wenn er zum einen objektiv durch bestimmte Tatsachen begründet ist - subjektive Wertungen des Arbeitgebers reichen nicht aus - und sich aus Umständen ergibt, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können; er muss also dringend sein; es muss bei kritischer Prüfung eine auf Indizien gestützte große Wahrscheinlichkeit für eine erhebliche Pflichtverletzung gerade des gekündigten Arbeitnehmers bestehen (BAG 21.06.2012 EzA § 9 KSchG n.F. Nr. 63 = NZA 2013, 199; 12.05.2010 EzA § 15 KSchG n.F. Nr. 67; 13.03.2008 EzA § 626 BGBN 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6; 29.11.2007 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 5; 10.02.2005 EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 3; LAG SchlH 25.02.2004 NZA-RR 2005, 132; LAG Köln 14.05.2008 - 7 TaBV 6/08, AuR 2009,104 LS). Aus der Darlegung des Arbeitgebers muss sich ein dringender Verdacht auf eine in ihren Einzelheiten gekennzeichnete Straftat oder vergleichbare Pflichtwidrigkeit i.S. eines konkreten Handlungsablaufs schlüssig ergeben; sind die insoweit vorgetragenen Tatsachen nicht unstreitig, muss Beweis erhoben werden (LAG Bln-Bra. 16.12.2010 LAGE § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10).

87

Ob der Verdacht, einen Bagatelldiebstahl begangen zu haben, insoweit ausreicht, ist fraglich (dagegen LAG Köln 14.09.2007 - 11 Sa 259/07, AuR 2007, 444 LS). Allein aus dem Umstand, dass die dem Arbeitnehmer zur Last gelegte Handlung nicht mit letzter Sicherheit erwiesen ist, kann demzufolge nicht gefolgert werden, auch die Verdachtskündigung sei nicht gerechtfertigt. Insgesamt muss aber nicht nur der Verdacht als solcher schwerwiegend sein. Vielmehr muss ihm auch ein erhebliches Fehlverhalten des Arbeitnehmers - strafbare Handlung oder schwerwiegende Pflichtverletzung (Tat) - zugrunde liegen. Die Verdachtsmomente müssen daher regelmäßig ein solches Gewicht erreichen, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überhaupt nicht mehr zugemutet werden kann (BAG 27.11.2008 EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 4). Nach ArbG Bln. (28.09.2010 - 1 Ca 5421/10, BB 2011, 382) reicht insoweit allerdings der dringende Verdacht aus, ein Kassierer habe manuell Pfandbons im Wert von 6,06 EUR erstellt, ohne dass dem ein tatsächlicher Kassiervorgang gegenübergestanden hätte und den Gegenwert an sich genommen, so dass die Kasse beim Kassenabschluss keinen Plussaldo aufwies.

88

Der Verdacht muss zudem dringend sein, d. h. es muss eine große, zumindest überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass der Arbeitnehmer eine Straftat begangen hat, obwohl der Arbeitgeber alle ihm zumutbaren Anstrengungen zur Sachverhaltsaufklärung unternommen hat (BAG 30.04.1987 EzA § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 3; 06.09.2007 EzA § 307 BGB 2002 Nr. 29: stark oder dringend; 13.03.2008 EZA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6: starke Verdachtsmomente; LAG Hamm 22.09.2004 LAGE § 1 Verdachtskündigung Nr. 1; a. A. LAG Köln 10.08.1999 ARST 2000, 161: so knapp unter der Schwelle der Gewissheit, dass nachhaltigen Zweifeln Schweigen geboten ist; LAG Köln 14.05.2008 - 7 TaBV 6/08, AuR 2009, 104 LS u. 13.08.2009 - 7 Sa 1256/07, AuR 2009, 369 LS: nur geringfügiges Zurückbleiben hinter der Gewissheit der Tatbegehrung; LAG SchlH 25.02.2003 - 3 Sa 491/03, NZA-RR 2005, 132: große Wahrscheinlichkeit, schwerwiegende Verdachtsmomente; LAG Nds. 08.06.2004 NZA-RR 2005, 24: starke Verdachtsmomente).

89

Nach Maßgabe dieser Kriterien ist vorliegend im Hinblick auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts auch ein dringender Tatverdacht gegen die Klägerin nicht gegeben.

90

Das Arbeitsgericht hat insoweit zutreffend ausgeführt:

91

"Jedenfalls ergibt sich hieraus noch kein dringender Tatverdacht gerade gegen den Kläger.

92

Unstreitig ist weder eine Kasse noch eine Kassenschublade einem konkreten Mitarbeiter zugeordnet. Vielmehr haben nicht nur sämtliche (zwischen vier und sechs) im Obergeschoss tätigen Mitarbeiter Zugang zu dieser Kasse, sondern auch die anderen in der Filiale tätigen Mitarbeiter, die im Besitz einer sog. X Karte sind, ist der Zugang bzw. Zugriff zu dieser Kasse eröffnet.

93

Hinzu kommt, dass die Kasse jedenfalls bis zum 22.05.2016 nicht täglich gezählt und abgerechnet worden ist, so dass auch dadurch eine Zuordnung der Kassendifferenzen zu einzelnen Mitarbeitern erschwert wird.

94

Letztlich ist auch zu beachten, dass es sich bei der von der Beklagten angeführten 15 Kassendifferenzen bis einschließlich 02.06.2016 in vier Fällen um Beträge von weniger als 7 € handelt, in weiteren fünf Fällen handelt es sich zwar um Differenzen von 16,18 € bis 29,90 € allerdings erfassen diese einen Zeitraum von vier bis sieben Tagen, was nicht nur die Höhe der Kassendifferenzen relativiert, sondern ebenfalls die Zuordnung zu den in Betracht kommenden Verursachern erschwert.

95

Unter Berücksichtigung dieser Umstände ergibt sich nach Überzeugung der Kammer kein ausreichender Verdacht, jedenfalls nicht gerade gegen den Kläger.

96

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem pauschalen Vortrag der Beklagten, der Kläger habe an allen Tagen mit Kassendifferenzen im Obergeschoss gearbeitet bzw. aus der erstmals im nicht nachgelassenen Schriftsatz erfolgten Behauptung, der Kläger sei der einzige Mitarbeiter gewesen, der bei sämtlichen Kassendifferenzen anwesend gewesen sei. Abgesehen von der Frage des verspäteten Vorbringens fehlt es insoweit an einer Darlegung, welche anderen Mitarbeiter an welchen Tagen mit welcher Häufigkeit ebenfalls anwesend waren."

97

Diesen Ausführungen folgt die Kammer voll inhaltlich und stellt dies hiermit ausdrücklich fest.

98

Auch die vorsorglich erklärte ordentliche Arbeitgeberkündigung ist sowohl unter dem Gesichtspunkt der Tat- als auch der Verdachtskündigung rechtsunwirksam, da sozial ungerechtfertigt i. S. d. § 1 Abs. 2 KSchG.

99

Was als verhaltensbedingter Kündigungsgrund zu verstehen ist, wird im KSchG zwar nicht definiert. Allerdings kommen verhaltensbedingte Umstände, die grundsätzlich dazu geeignet sind, einen wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen, ebenso als verhaltensbedingte Gründe i. S. d. § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG in Betracht. Im Übrigen ist eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen des Arbeitnehmers gem. § 1 Abs. 2 S 1 Alt. 2 KSchG dann sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und i. d. R. schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile angemessen erscheint. Ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers stellt eine Vertragspflichtverletzung dar, die eine Kündigung zu rechtfertigen vermag. Ebenso kann eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers eine Kündigung rechtfertigen (BAG 24.06.2004 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 37; 03.11.2011 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79 = NZA 2012, 607;s. a. BAG 12.05.2011 EzA § 123 BGB 2002 Nr. 10).

100

Eine ordentliche verhaltensbedingte Arbeitgeberkündigung ist grundsätzlich nur dann sozial gerechtfertigt (vgl. BAG 24.06.2004 EzA § 1 KSchG, Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65, 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 37; 03.11.2011 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79 = NZA 2012, 607; s. a. BAG 12.05.2011 EzA § 123 BGB 2002 Nr. 1; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Arbeitsrechts, 14. Aufl. 2018, Kap. 4, Rn. 2282 ff.) wenn

101

- ein (i. d. R. schuldhaftes) Fehlverhalten des Arbeitnehmers als Abweichung des tatsächlichen Verhaltens oder der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung vom vertraglich geschuldeten Verhalten bzw. der vertragliche geschuldeten Arbeitsleistung gegeben ist, der Arbeitnehmer also seine vertraglichen haupt- oder Nebenpflichten erheblich und i. d. R. schuldhaft verletzt hat;
- dieses Fehlverhalten auch betriebliche Auswirkungen hat;
- (i. d. R. zumindest) eine einschlägige vorherige Abmahnung gegeben ist;
- danach weiteres einschlägiges schuldhaftes Fehlverhalten mit betrieblichen Auswirkungen vorliegt und
- eine umfassende Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung der betrieblichen Auswirkungen des Fehlverhaltens oder der Schlechtleistung und des Verhältnismäßigkeitsprinzips das Überwiegen des Interesses des Arbeitgebers an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Interesse des Arbeitnehmers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses ergibt.

102

Es gilt das Prognoseprinzip. Der Zweck der Kündigung ist nicht die Sanktion für eine Vertragspflichtverletzung, sondern eine Vermeidung von weiteren Vertragspflichtverletzungen. Die eingetretene Pflichtverletzung muss sich auch zukünftig noch belastend auswirken. Eine negative Prognose liegt vor, wenn aus der konkreten Vertragspflichtverletzung und der daraus resultierenden Vertragsstörung geschlossen werden kann, der Arbeitnehmer werde den Arbeitsvertrag auch nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen (BAG 19.04.2007 NZA-RR 2007, 571; LAG RhPf 26.02.2010 NZA-RR 2010, 297).

103

Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung, wie bereits dargelegt, regelmäßig eine Abmahnung voraus; sie dient der Objektivierung der Prognose (BAG 12.01.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67: 12.01.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Sie ist nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht Erfolg versprechend angesehen werden kann. Das ist insbes. dann anzunehmen, wenn erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten. Nur besonders schwere Vorwürfe bedürfen keiner Abmahnung, wenn und weil der Arbeitnehmer dann von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann (LAG RhPf 26.02.2010 - 6 Sa 682/09, NZA-RR 2010, 297; LAG Nds. 12.02.2010 - 10 Sa 1977/08, EzA-SD 8/2010 S. 6 LS).

104

Einer Abmahnung bedarf es danach bei einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes also nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG 24.03.2011 - 2 AZR 282/10, EzA-SD 16/2011 S. 3 LS = NZA 2011, 1029; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 36; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 39 = NZA-RR 2012, 567;25.10.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 41 = NZA 2013, 319; LAG Hessen 27.02.2012 NZA-RR 2012, 471), denn dann ist grds. davon auszugehen, dass das künftige Verhalten des Arbeitnehmers schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann; die Abmahnung dient insoweit der Objektivierung der negativen Prognose: Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen.

105

Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist unter Bezugnahme auf die Ausführungen zu § 626 BGB zu verneinen. Folglich kam auch eine ordentliche Tatkündigung nicht in Betracht.

106

Nichts anderes gilt für eine ordentliche Verdachtskündigung.

107

Zwar ist grundsätzlich nicht ersichtlich, warum es dem Arbeitgeber aus Rechtsgründen nicht gestattet sein soll, dem Arbeitnehmer bei Vorliegen der tatsächlichen Voraussetzungen für eine außerordentliche Verdachtskündigung insoweit entgegenzukommen, als trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 626 BGB nur eine ordentliche Kündigung erklärt wird (vgl. BAG 10.02.2005 EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 3; BAG 21.11.2013 EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 5). Allerdings kommt eine Verdachtskündigung aber als ordentliche Kündigung - schon wegen der in besonderem Maße bestehenden Gefahr, dass ein Unschuldiger betroffen wird - nur in Betracht, wenn das Arbeitsverhältnis bereits durch den Verdacht so gravierend beeinträchtigt wird, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zugemutet werden kann. Dies setzt voraus, dass nicht nur der Verdacht als solcher schwerwiegend ist. Vielmehr muss ihm ein erhebliches Fehlverhalten des Arbeitnehmers - strafbare Handlung oder schwerwiegende Pflichtverletzung (Tat) - zugrunde liegen. Die Verdachtsmomente müssen daher auch im Falle einer ordentlichen Kündigung regelmäßig ein solches Gewicht erreichen, dass dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses überhaupt nicht mehr zugemutet werden kann, hierauf also grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung gestützt werden könnte (BAG 27.11.2008 EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 4; BAG 21.11.2013 EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 5; vgl. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, DLW Dörner, Handbuch des Arbeitsrechts 14. Auflage 2018, Kap. 4 Rn. 1547 ff).

108

Diese Voraussetzungen sind vorliegend aus den bereits im Einzelnen genannten Gründen nicht gegeben. Denn es handelt sich letztlich weder um einen dringenden Tatverdacht noch um den Tatverdacht einer erheblichen Pflichtverletzung.

109

Mit dem Arbeitsgericht ist weiter davon auszugehen, dass aufgrund der zuvor dargestellten Grundsätze und unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des hier maßgeblichen Einzelfalls eine Augenscheinnahme der von der Beklagten vorgelegten Videoaufnahmen nicht in Betracht kam.

110

Das Arbeitsgericht hat insoweit zutreffend ausgeführt:

111

"Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urt. v. 22.09.2016 - 2 AZR 848/15 – NZA 2017, 112), der die Kammer folgt, gilt Folgendes:

112

aa) Ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einer Partei kann sich im arbeitsgerichtlichen Verfahren aus der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Prozessrechts ergeben.

113

(1) Weder die Zivilprozessordnung noch das Arbeitsgerichtsgesetz enthalten Vorschriften zur prozessualen Verwertbarkeit rechtswidrig erlangter Erkenntnisse oder Beweise. Vielmehr gebieten der Anspruch auf rechtliches Gehör gem. Art. 103 Abs. 1 GG und der Grundsatz der freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) grundsätzlich die Berücksichtigung des Sachvortrags der Parteien und der von ihnen angebotenen Beweismittel. Dementsprechend bedarf es für die Annahme eines Beweisverwertungsverbots einer besonderen Legitimation und gesetzlichen Grundlage. Dies gilt ebenso für ein etwaiges Sachvortragsverwertungsverbot.

114

(2) Die Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) über die Anforderungen an eine zulässige Datenverarbeitung begrenzen nicht die Zulässigkeit von Parteivorbringen und seine Verwertung im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen. Dessen Normen konkretisieren und aktualisieren zwar den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild (§ 1 Abs. 1 BDSG). Sie regeln, in welchem Umfang im Anwendungsbereich des Gesetzes Eingriffe durch öffentliche oder nichtöffentliche Stellen iSd. § 1 Abs. 2 BDSG in diese Rechtspositionen zulässig sind, sehen Informations- und Auskunftsansprüche der Betroffenen (§§ 19, 19 a, 33, 34 BDSG) sowie Ansprüche auf Berichtigung, Löschung und Sperrung von Daten (§§ 20, 35 BDSG) vor und normieren Tatbestände, in denen Verstöße eine Ordnungswidrigkeit oder gar Straftat darstellen (§§ 43, 44 BDSG).

115

Sie ordnen für sich genommen jedoch nicht an, dass unter ihrer Missachtung gewonnene Erkenntnisse oder Beweismittel bei der Feststellung des Tatbestands im arbeitsgerichtlichen Verfahren vom Gericht nicht berücksichtigt werden dürften. Das bestätigt auch ein Umkehrschluss aus § 1 Abs. 4 BDSG. Nach dieser Bestimmung gehen die Vorschriften des Gesetzes (lediglich) denen des Verwaltungsverfahrensgesetzes „bei der Ermittlung des Sachverhalts“ vor.

116

(3) Ein Beweisverwertungsverbot oder ein Verbot, selbst unstreitigen Sachvortrag zu verwerten, kommt deshalb nur dann in Betracht, wenn dies aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten ist. Das Gericht tritt den Verfahrensbeteiligten in Ausübung staatlicher Hoheitsgewalt gegenüber. Es ist daher nach Art. 1 Abs. 3 GG bei der Urteilsfindung an die insoweit maßgeblichen Grundrechte gebunden und zu einer rechtsstaatlichen Verfahrensgestaltung verpflichtet. Dabei können sich auch aus materiellen Grundrechten wie Art. 2 Abs. 1 GG Anforderungen an das gerichtliche Verfahren ergeben, wenn es um die Offenbarung und Verwertung von persönlichen Daten geht, die grundrechtlich vor der Kenntnis durch Dritte geschützt sind. Das Gericht hat deshalb zu prüfen, ob die Verwertung von heimlich beschafften persönlichen Daten und Erkenntnissen, die sich aus diesen Daten ergeben, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen vereinbar ist. Dieses Recht schützt nicht allein die Privat- und Intimsphäre, sondern in seiner speziellen Ausprägung als Recht am eigenen Bild auch die Befugnis eines Menschen, selbst darüber zu entscheiden, ob Filmaufnahmen von ihm gemacht und möglicherweise gegen ihn verwendet werden dürfen. Auch wenn keine spezielle Ausprägung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts betroffen ist, greift die Verwertung von personenbezogenen Daten in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung ein, das die Befugnis garantiert, selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu befinden. Der Achtung dieses Rechts dient zudem Art. 8 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).

117

(4) Greift die prozessuale Verwertung eines Beweismittels in das allgemeine Persönlichkeitsrecht einer Prozesspartei ein, überwiegt das Interesse an seiner Verwertung und der Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege das Interesse am Schutz dieses Grundrechts nur dann, wenn weitere, über das schlichte Beweisinteresse hinausgehende Aspekte hinzutreten. Das Interesse, sich ein Beweismittel zu sichern, reicht für sich allein nicht aus. Vielmehr muss sich gerade diese Art der Informationsbeschaffung und Beweiserhebung als gerechtfertigt erweisen. Ein Beweisverwertungsverbot wegen eines ungerechtfertigten Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst dabei nicht nur das unrechtmäßig erlangte Beweismittel selbst, hier ggf. eine In-Augenscheinnahme der Videoaufzeichnungen, sondern auch dessen mittelbare Verwertung wie etwa die Vernehmung eines Zeugen über den Inhalt des Bildmaterials (BAG Urt. v. 22.09.2016 - 2 AZR 848/15 – NZA 2017, 112; BVerfG v. 31.07.2001 - 1 BvR 304/01 - zu II 1 b bb der Gründe).

118

bb) Unter Anwendung dieser Grundsätze sah sich das Gericht an der Inaugenscheinnahme der Videoaufzeichnungen und der Vernehmung des insoweit benannten Zeugen gehindert."

119

Seine Entscheidung, in Anwendung dieser Grundsätze keine in Augenscheinnahme der Videoaufzeichnungen vorzunehmen und den insoweit benannten Zeugen zu vernehmen, hat das Arbeitsgericht sodann zutreffend wie folgt begründet:

120

"(1) Die Beklagte hat durch die Veranlassung der Videoaufzeichnungen im vorliegenden Fall nach Überzeugung der Kammer im Ergebnis unrechtmäßig in dessen allgemeines Persönlichkeitsrecht eingegriffen.

121

Eingriffe in das Recht der Arbeitnehmer am eigenen Bild durch verdeckte Videoüberwachung sind dann zulässig, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers besteht, weniger einschneidende Mittel zur Aufklärung des Verdachts ergebnislos ausgeschöpft sind, die verdeckte Videoüberwachung damit das praktisch einzig verbleibende Mittel darstellt und sie insgesamt nicht unverhältnismäßig ist (BAG Urt. v. 21.11.2013 - 2 AZR 797/11 - Rn. 50, BAGE 146, 303).

122

Der Verdacht muss sich in Bezug auf eine konkrete strafbare Handlung oder andere schwere Verfehlung zu Lasten des Arbeitgebers gegen einen zumindest räumlich und funktional abgrenzbaren Kreis von Arbeitnehmern richten. Er darf sich einerseits nicht auf die allgemeine Mutmaßung beschränken, es könnten Straftaten begangen werden. Er muss sich andererseits nicht notwendig nur gegen einen einzelnen, bestimmten Arbeitnehmer richten.

123

Auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen müssen weniger einschneidende Mittel als eine verdeckte Videoüberwachung zuvor ausgeschöpft worden sein (BAG Urt. v. 21.11. 2013 - 2 AZR 797/11 – aaO).

124

(2) Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze kam eine Beweiserhebung und -verwertung der Videoaufnahmen vorliegend nicht in Betracht.

125

Zur Meidung von Wiederholungen wird zunächst auf die oben bereits eingehend dargestellten Bedenken betreffend den konkreten Tatverdacht verwiesen.

126

Hinzu kommt, dass die Beklagte nach Überzeugung der Kammer weniger einschneidende Maßnahmen zur Aufklärung des Verdachtes nicht ausgeschöpft hat; dies gilt insbesondere auch im Hinblick auf die Möglichkeit einer weiteren Einschränkung des Kreises der Verdächtigen.

127

Der Kreis der Verdächtigen muss möglichst eingegrenzt sein. Hieran ermangelt es nach Überzeugung des Gerichts vorliegend.

128

Die Beklagte behauptet selbst nicht, dass sie Maßnahmen ergriffen hat, um zu verhindern, dass auch Mitarbeiter aus dem Untergeschoss Zugriff auf die Kasse nehmen. Zudem ist auch nicht ersichtlich, dass es der Beklagten unzumutbar gewesen wäre – jedenfalls für bestimmte Tage - jeweils nur einen Mitarbeiter als Kassierer einzusetzen. Dies hätte bei gleichzeitiger täglicher Kassenabrechnung ohne weiteres zu einer Eingrenzung des bzw. der Verdächtigen geführt. Nach Meinung der Kammer hätte auch die Beauftragung eines, ggf. sogar bereits ohnehin eingesetzten, Kaufhausdetektives zur Beobachtung der Kasse eine zuvor auszuschöpfende weniger einschneidende Maßnahme dargestellt.

129

Es bedurfte nach alledem keiner weiteren Entscheidung, ob weitere – formelle – datenschutzrechtliche Gründe einer Beweiserhebung entgegenstehen."

130

Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer voll inhaltlich an und stellt dies hiermit ausdrücklich fest.

131

Auch das Berufungsvorbringen der Beklagten rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des hier maßgeblichen Lebenssachverhalts. Denn es enthält zum einen keinerlei neue, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiierte Tatsachenbehauptungen, die zu einem anderen Ergebnis führen könnten. Gleiches gilt für etwaige Rechtsbehauptungen. Es macht lediglich - wenn auch aus der Sicht der Beklagten heraus verständlich - deutlich, dass die Beklagte mit dem vom Arbeitsgericht letztlich gefundenen Entscheidungsergebnis, und seiner Begründung, der die Kammer voll inhaltlich folgt, nicht einverstanden ist.

132

Soweit die Beklagte auf die besonders zahlreichen Kassenfehlbeträge an Kasse 7 für die Zeit vom 01.03.2016 bis zum 30.06.2016 im Gegensatz zu den Kassen 1 - 6 hingewiesen hat, ist das von ihr vorgetragene Zahlenwerk ohne Hinzutreten weiterer tatsächlicher Angaben schon nicht geeignet, zu belegen, dass, was der Kläger in beiden Rechtszügen ausdrücklich bestritten hat, es tatsächlich an Kasse 7 zu einer besonderen Häufung an Kassenfehlbeträgen gekommen ist. Denn eine Vergleichbarkeit des Ausmaßes an Kassenfehlbeträgen wäre für die Kammer nur dann nachvollziehbar gegeben gewesen, wenn die Beklagte zuvor nach Mitteilung der Zahl der Kassenfehlbeträge diese in Relation zu den tatsächlich an der jeweiligen Kasse vorgenommenen Kassiervorgängen gestellt und dies vorgetragen hätte. Denn nur dann, wenn an den Kassen 1 - 6 jeweils eine vergleichbare Zahl von Kassiervorgängen abgewickelt wurde wie im gleichen Zeitraum an Kasse 7, lässt sich die Annahme der Beklagten nachvollziehen, dass bei Kasse 7 eine besondere Häufung an Kassenfehlbeträgen festzustellen war. Lag demgegenüber die Zahl der Kassiervorgängen an den Kassen 1 - 6 jeweils deutlich unter denen der Kasse 7, verschiebt sich die Relation entsprechend, so dass die Kammer bereits der Ausgangsüberlegung der Beklagten in der Berufungsbegründungsschrift nicht zu folgen vermag. Soweit die Beklagte sodann die Täterschaft des Klägers bereits durch ein Ausschlussverfahren anhand der von ihr vorgelegten Unterlagen festgestellt haben will, wäre zunächst mit dem Kläger zu fragen, wozu es denn dann einer Videoüberwachung bedurft hat, um ihn vermeintlich zu überführen. Unbeschadet dessen folgt die Kammer der von der Beklagten gezogenen Schlussfolgerung nicht. Die Tatsache, dass nach der Darstellung der Beklagten, die der Kläger bestritten hat, allein er, der Kläger stets dann anwesend war, wenn Kassendifferenzen an der Kasse 7 aufgetreten sind, schließt es keineswegs aus, dass andere - unterschiedliche - Mitarbeiter die jeweiligen Kassendifferenzen verursacht haben. Eine nachvollziehbare Begründung dafür, warum bei allen von ihr behaupteten Kassendifferenzen es sich lediglich um einen Täter handeln kann, bleibt die Beklagte schuldig. Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil die Beklagte im vorliegenden Rechtsstreit in beiden Rechtszügen selbst keineswegs weitere Belege dafür anführt, dass es sich mit Ausnahme der Vorfälle in der Zeit vom 11.06. - 25.06.2016 (Bl. 364 d. A.) um Taten gehandelt haben könnte, die allein auf den Kläger zurückzuführen sind. Dabei sind sowohl an den anderen Kassen (1 - 6), als auch über diese Einzelvorgänge hinaus Kassendifferenzen aufgetreten, die die Beklagte bezogen auf Kasse 7 ausschließlich durch ihr sog. Ausschlussverfahren auf den Kläger zurückführt. Warum insoweit dem Kläger bei der von der Beklagten dargestellten Anhörung ein Vorwurf daraus gemacht werden soll, der vorliegend entscheidungserheblich sein könnte, dass er, nachdem er damit konfrontiert wurde, dass die Beklagte ihn nach ihrer Überzeugung als Täter ermittelt hatte, es vorzog, zu schweigen, erschließt sich der Kammer nicht.

133

Soweit die Beklagte der Auffassung ist, die von ihr veranlassten Videoaufzeichnungen hätten in Augenschein genommen werden müssen, ist dem nicht zu folgen. Abgesehen von den zutreffenden Gründen, aus denen heraus bereits das Arbeitsgericht dies abgelehnt hat, gilt insoweit Folgendes:

134

Wenn eine verdeckte Videoüberwachung zur Überführung der Täterin geführt hat, kann dann das auf diese Weise gewonnene Beweismaterial im Bestreitensfall allerdings nicht ohne Weiteres verwertet werden; andererseits unterliegt das aus einer verdeckten Videoüberwachung öffentlich zugänglicher Arbeitsplätze gewonnene Beweismaterial nicht allein deshalb einem prozessualen Beweiswertungsverbot, weil es unter Verstoß gegen das Gebot in § 6 b Abs. 2 BDSG gewonnen wurde, bei Videoaufzeichnungen öffentlich zugänglicher Räume den Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle durch geeignete Maßnahmen kenntlich zu machen. Das entsprechende Interesse des Arbeitgebers hat gegenüber dem Schutz des informationellen Selbstbestimmungsrechts der Arbeitnehmerin allerdings nur dann höheres Gewicht, wenn die Art der Informationsbeschaffung trotzt der mit ihr verbundenen Persönlichkeitsbeeinträchtigung als schutzbedürftig zu qualifizieren ist. Dies ist bei verdeckter Videoüberwachung nur dann der Fall, wenn der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer anderen schweren Verfehlung zulasten des Arbeitgebers bestand, es keine Möglichkeit zur Aufklärung durch weniger einschneidende Maßnahmen (mehr) gab und die Videoüberwachung insgesamt nicht unverhältnismäßig war. Unter diesen strengen Voraussetzungen wiederum stehen Vorschriften des BDSG der verdeckten Videoüberwachung auch an öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen nicht entgegen. Zwar bestimmt § 6 b Abs. 2 BDSG, dass bei Videoaufzeichnungen in öffentlich zugänglichen Räumen der Umstand der Beobachtung und die verantwortliche Stelle erkennbar zu machen sind. Bei einem Verstoß gegen diese Pflicht wird aber nicht jedwede Videoüberwachungsmaßnahme an öffentlich zugänglichen Arbeitsplätzen per se unzulässig (BAG 21.06.2012 EzA § 611 BGB 2002 Persönlichkeitsrecht Nr. 13 = NZA 2012, 1025; s. Morgenroth NZA 2014, 409 ff.).

135

Informationen und Beweismittel, die der Arbeitgeber mittels einer heimlich durchgeführten Videoüberwachung gewonnen hat, unterliegen nicht allein deshalb einem prozessualen Verwendungs- und Verwertungsverbot, weil der Zweck der Beobachtung nicht auf ihre Gewinnung gerichtet war. Auch bezogen auf einen sog. Zufallsbefund muss aber das Interesse des Arbeitgebers an der prozessualen Verwendung und Verwertung der Daten und/oder Beweismittel höher zu gewichten sein als das Interesse des Arbeitnehmers an der Achtung seines durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn es um den Nachweis eines strafbaren Verhaltens oder einer ähnlich schwerwiegenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers geht und die Informationsbeschaffung und -verwertung selbst dann nicht unverhältnismäßig ist (BAG 21.11.2013 EzA § 1 KSchG Verdachtskündigung Nr. 5 = NZA 2014, 243; 22.09.2016 EzA § 32 BDSG Nr. 3 = NZA 2017, 112; LAG Düsseld. 07.12.2015 - 7 Sa 1078/14 - BeckRS 2016, 65271).

136

Die Normen des BDSG konkretisieren und aktualisieren zwar den Schutz des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung und am eigenen Bild. Sie ordnen für sich genommen jedoch nicht an, dass unter ihrer Missachtung gewonnene Erkenntnisse oder Beweismittel bei der Feststellung des Tatbestands vom Gericht nicht berücksichtigt werden dürften. Gibt es kein milderes Mittel zur Aufklärung eines gegen Beschäftigte bestehenden Verdachts einer Straftat als eine verdeckte Videoüberwachung, die andere Arbeitnehmer miterfasst, ist nach § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG der Eingriff auch in deren allgemeines Persönlichkeitsrecht gerechtfertigt (BAG 22.09.2016 EzA § 32 BDSG Nr. 3 = NZA 2017, 112; s.a. BAG 17.11.2016 - 2 AZR 730/15, EzA-SD 5/2017 S. 3 LS = NZA 2017, 394; LAG BW 20.07.2016 LAGE § 32 BDSG 2003 Nr. 2).

137

Gleichwohl kann eine solche Maßnahme nur bei Vorliegen zwingender Gründe gerechtfertigt sein. Bestehen konkrete Anhaltspunkte für eine Straftat und zählt der Arbeitnehmer zu dem anhand objektiver Kriterien eingegrenzten Kreis der Verdächtigen, kann sich zwar aus dem Arbeitsvertrag i. V. m. § 242 BGB eine Verpflichtung ergeben, Aufklärungsmaßnahmen zu dulden. Erforderlich i. S. d. § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG bzw. verhältnismäßig i.S. einer Beschränkung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts kann eine Kontrollmaßnahme aber nur sein, wenn sie geeignet, erforderlich und angemessen ist. Dem Arbeitgeber dürfen keine ebenso effektiven, den Arbeitnehmer weniger belastenden Möglichkeiten zur Aufklärung des Sachverhalts zur Verfügung stehen. Außerdem muss die Art und Weise der Kontrolle als solche den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren (BAG 20.06.2013 EzA § 611 BGB 2002 Persönlichkeitsrecht Nr. 14 = NZA 2014, 143). Die Zulässigkeit einer verdeckten Videoüberwachung zur Aufdeckung von Straftaten setzt nach § 32 Abs. 1 S. 2 BDSG, insoweit Verdachtsgründe i.S. eines durch konkrete Tatsachen belegten "Anfangsverdachts" voraus (BAG 20.10.2016 EzA § 32 BDSG Nr. 4 = NZA 2017, 443.

138

Insoweit ist entgegen der Auffassung der Beklagten im Berufungsverfahren davon auszugehen, dass bereits der Einsatz der sog. Einzelkassenschubs als milderes Mittel in Betracht zu ziehen wäre. Insoweit folgt die Kammer, wie dargelegt, ausdrücklich den Ausführungen des Arbeitsgericht. Warum die Beklagte dieses mildere Mittel nicht dauerhaft zum Einsatz gebracht hat, erschließt sich der Kammer nicht. Ebenso wäre in Betracht zu ziehen, Kassiervorgänge an der fraglichen Kasse lediglich durch einen einzigen oder durch zwei Arbeitnehmer vornehmen zu lassen, so dass der Zugriff aller anderen Arbeitnehmer ausgeschlossen wäre. Das Vorbringen der Beklagten im Berufungsverfahren ist insoweit auch widersprüchlich, als sie sodann einräumt, durchaus eine Detektei zunächst beauftragt zu haben, sodann aber behauptet, gerade von deren Mitarbeitern dazu gedrängt worden zu sein, die fragliche Videoüberwachung durchführen zu lassen. Denn gleichzeitig behauptet die Beklagte, worauf der Kläger zutreffend hingewiesen hat, bereits durch ihr Ausschlussverfahren sei er, der Kläger, als Täter ermittelt worden. Warum es dann nach Einschaltung der Detektei noch der Videoüberwachung bedurft haben soll, diese also gleichwohl erforderlich gewesen sein könnte, erschließt sich der Kammer nicht. Insgesamt kann also mit dem Arbeitsgericht und auch unter Berücksichtigung des tatsächlichen Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren nicht davon ausgegangen werden, dass die von der Beklagten veranlasste Videoüberwachung erforderlich und schließlich verhältnismäßig im engeren Sinne war.

139

Nach alledem sind weder die Voraussetzungen einer Tatkündigung (außerordentlich und hilfsweise ordentlich), noch die einer Verdachtskündigung (außerordentlich, hilfsweise ordentlich) gegeben.

140

Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

141

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

142

Für eine Zulassung der Revision war nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

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