Urteil vom Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt (3. Kammer) - 3 Sa 475/14

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 2.12.2014 - 6 Ca 80/14 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten im Wege des Schadenersatzes wegen verspäteter Lohnzahlung die Freistellung von der durch das Jobcenter Landkreis W. geltend gemachten Rückforderung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für den Zeitraum 1. bis 31.7.2014.

2

Der im Jahr ... geborene alleinlebende Kläger war bei der Beklagten auf der Grundlage des befristeten Arbeitsvertrages vom 1.12.2013 in der Zeit vom 1.12.2013 bis 31.5.2014 als Hausarbeiter beschäftigt. Die Beklagte betreibt einen Gebäudeservice. Das monatliche Bruttoarbeitsentgelt des Klägers betrug 1.300,00 €, dies entsprach einem Nettoeinkommen von €.

3

In § 1 ‚Beginn und Beendigung des Arbeitsverhältnisses’ befand sich im Arbeitsvertrag der Parteien vom 1.12.2013 (Blatt 11 ff. der Akte) u.a. die folgende Bestimmung:

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„5. Der Arbeitsnehmer ist verpflichtet, an den Arbeitsgeber eine Vertragsstrafe in Höhe von zwei Bruttowochenlöhnen zu zahlen, wenn er:

5

......“

6

Zum Arbeitsentgelt regelte § 6 des Arbeitsvertrages:

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„Die Höhe des Arbeitsentgeltes regelt sich nach den jeweilig geltenden betrieblichen und ortsüblichen Festlegungen.“

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Unter § 9 ‚Sonstige Bestimmungen’ enthielt der Arbeitsvertrag zusätzlich u.a. folgende Regelungen:

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„Nebenabreden und Änderungen des Vertrages bedürfen der Schriftform.

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Im übrigen werden die einschlägigen örtlichen und betrieblichen Bestimmungen Gegenstand des Arbeitsvertrages.

11

Der Arbeitnehmer hat über Lohn, Urlaub und betriebliche Regelungen keinerlei Auskünfte an Dritte zu geben.

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Zuwiderhandlungen können zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses führen.“

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Die Beklagte zahlte den Lohn des Klägers für den Monat April 2014 an den Kläger am 10.6.2014 und den Lohn für den Monat Mai 2014 in Höhe von je 986,81 € netto am 14.7.2014. Die seitens des Klägers wegen der verspäteten Lohnzahlung beim Arbeitsgericht Dessau-Roßlau unter dem Aktenzeichen 3 Ca 69/14 gegen die Beklagte erhobene Klage nahm der Kläger nach Eingang der Zahlung zurück. Die für die dem Monat April 2014 vorangegangenen Monate fälligen Löhne hatte die Beklagte jeweils im Folgemonat an den Kläger ausgezahlt.

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Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit Ablauf des Mai 2014 beantragte der Kläger am 2.6.2014 bei dem für ihn zuständigen Jobcenter Landkreis W. Leistungen nach dem SGB II. Mit Bewilligungsbescheid vom 10.7.2014 (Blatt 21 ff. der Akte) bewilligte das Jobcenter Landkreis W. dem Kläger für die Zeit vom 1.7.2014 bis 30.11.2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 611,06 € monatlich, bestehend aus dem Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von 391,00 € und dem Bedarf für Unterkunft und Heizung in Höhe von 220,06 €.

15

Mit Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 24.7.2014 (Blatt 15 ff. der Akte) hob das Jobcenter Landkreis W. die Bewilligung der Leistungen für Juli 2014 (1.7.2014 bis 31.7.2014) überwiegend auf und forderte den Kläger zur Erstattung einer Gesamtforderung in Höhe von 535,32 € auf. Zur Begründung wies das Jobcenter darauf hin, dass der Kläger während des genannten Zeitraums Einkommen aus der Zahlung des Lohnes für Mai 2014 vom Arbeitgeber D. (Beklagte) erzielt habe. Mit den nachgewiesenen Einkommensverhältnissen sei der Kläger nicht mehr hilfebedürftig im Sinne des § 9 SGB II, so dass ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nicht mehr bestehe. Der Kläger habe Einkommen oder Vermögen erzielt, das zum Wegfall oder zur Minderung seines Anspruchs geführt habe (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - SGB X).

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Der Kläger hat gegen den Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Jobcenters Landkreis W. Widerspruch eingelegt und inzwischen gegen den ihn belastenden Widerspruchsbescheid Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau erhoben. Das Klageverfahren beim Sozialgericht Dessau-Roßlau unter dem Aktenzeichen S 32 AS 348/15 ist noch anhängig.

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Mit seiner am 5.8.2014 beim Arbeitsgericht Dessau-Roßlau eingegangenen Klage begehrt der Kläger von der Beklagten Schadenersatz in Gestalt der Freistellung von der Erstattungsforderung des Jobcenters Landkreis W. aufgrund der verspäteten Zahlung des Lohnes für den Monat Mai 2014.

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Der Kläger hat vorgetragen, dass der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 24.7.2014 materiell-rechtlich zu Recht ergangen sein dürfte, da er infolge der verspäteten Lohnzahlung im Juli 2014 für Mai 2014 tatsächlich wegen des Zuflussprinzips im Juli 2014 nicht mehr bedürftig im Sinne des SGB II gewesen sei. Die Beklagte habe sich mit der Lohnzahlung für Mai 2014 in Verzug befunden, da die Leistung nach dem Kalender bestimmt gewesen sei. Die Lohnforderungen für April und Mai 2014 hätten gemäß § 614 BGB nach Ablauf des April bzw. Mai erfüllt werden müssen, sodass der Lohn für den April am 1. Mai 2014 hätte gezahlt werden müssen und der Lohn für Mai am 1. Juni 2014. Die erst im Juli 2014 erfolgte Zahlung des Maillohns sei daher nach Verzugseintritt geleistet worden, sodass die Schadenersatzverpflichtung der Beklagten aus den Regelungen der §§ 286, 288, 249 ff. BGB resultiere.

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Der Kläger hat ferner die Auffassung vertreten, dass es in der Sphäre der Beklagten liege, rechtzeitig Lohn zu zahlen. Wenn die Beklagte diese Pflicht verletze, so habe sie als Rechtsfolge den Kläger so zu stellen, wie er stünde, wenn die Beklagte rechtzeitig gezahlt hätte. Ohne die Pflichtverletzung der verspäteten Lohnzahlung sähe sich der Kläger nicht der jetzigen Rückforderung seiner SGB II-Leistungen für Juli 2014 ausgesetzt. Die Vermögenseinbuße, die der Kläger durch die Rückforderung erleide, beruhe einzig auf der Pflichtverletzung, nämlich der verspäteten Zahlung durch die Beklagte.

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Da der Kläger nicht die Zahlung der Erstattungsforderung an sich verlange, sondern lediglich die Freistellung von der Erstattungsforderung des Jobcenters Landkreis W. führe eine Zahlung der Beklagten an das Jobcenter nicht zu einem erneuten Zufluss beim Kläger.

21

Der Kläger hat beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, den Kläger hinsichtlich der Erstattungsforderung des Jobcenters Landkreis W. aus dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 24.7.2014 zum Zeichen ... in Höhe von 535,32 € freizustellen.

23

Die Beklagte hat beantragt,

24

die Klage abzuweisen.

25

Die Beklagte hat zunächst in Abrede gestellt, dass sie sich mit der Lohnzahlung für den Monat Mai 2014 überhaupt in Verzug befunden hat. Schließlich habe der Kläger die Beklagte nicht gemahnt. Die Beklagte hat ferner die Auffassung vertreten, dass die Rückzahlungspflicht von Sozialleistungen keinen Schaden darstelle. Insbesondere sei der Wegfall der Hilfebedürftigkeit im Monat Juli 2014 durch die Zahlung der Beklagten nicht als Schaden zu qualifizieren. Eine andere Betrachtungsweise würde zu dem unsinnigen Ergebnis führen, dass auch die begehrte Schadenersatzzahlung wiederum zu einer Reduzierung der Hilfebedürftigkeit führte, was einen weiteren angeblichen Schadenersatzanspruch auslösen würde.

26

Ferner wäre es nach Ansicht der Beklagten letztlich Sache des Klägers gewesen, Sozialleistungen auch für den streitgegenständlichen Monat zu beantragen, in dem keine Zahlung erfolgt ist. Es habe schließlich offensichtlich Hilfebedürftigkeit vorgelegen, sodass der Antrag zurückgewirkt hätte. Der Umstand, dass der Kläger keinen Antrag gestellt hat, sei der Beklagten nicht zuzurechnen. Auch sei der Beklagten nicht zuzurechnen, dass der Kläger SGB II-Leistungen bezogen habe. Dies liege nicht in der Sphäre der Beklagten. Ein der Beklagten zurechenbarer Schaden sei dem Kläger daher nicht entstanden.

27

Die Beklagte hat zudem bestritten, dass der Rückforderungsbescheid vom 24.7.2014 rechtmäßig ist, dass gegen den Bescheid kein Widerspruch eingelegt worden ist und der Bescheid rechtskräftig ist.

28

Das Arbeitsgericht Dessau-Roßlau hat in seinem Urteil vom 2.12.2014 - 6 Ca 80/14 der Klage stattgegeben und die Berufung gegen sein Urteil zugelassen. Es hat zunächst ausgeführt, dass die Klage zulässig sei, da der Kläger noch keine Zahlung geleistet habe, sodass er seinen Klageantrag auf Freistellung von einer Verbindlichkeit zu richten habe. Die Klage sei auch begründet, da dem Kläger ein Anspruch auf Freistellung von der Erstattungsforderung des Jobcenters Landkreis W. aus §§ 286 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 614 BGB in Verbindung mit §§ 280 Abs. 3, 287, 288 Abs. 4, 249 Abs. 1 BGB zustehe. Der Beklagte habe sich mit der Zahlung des Lohnes für Mai 2014 ab 1.6.2014 in Verzug befunden. Da die Parteien im Arbeitsvertrag keine Fälligkeitsregelung getroffen hätten, gelten die Bestimmung der §§ 286 Abs. 2 Nr. 1, 614 S. 2 BGB. Der Verzug sei damit nach Ablauf des Monats am Folgetag eingetreten. Der Kläger habe auch einen Vermögensschaden dadurch erlitten, dass er die bereits erhaltenen Sozialleistungen für Juli 2014 zurückzahlen muss. Zwischen der Verzögerung und dem Schaden des Klägers bestehe Kausalität. Hätte die Beklagte rechtzeitig geleistet, wäre der Kläger keiner Erstattungsforderung ausgesetzt. Diese Leistungsverzögerung habe den Schaden auch adäquat kausal verursacht, da es bei dem kurz befristeten Arbeitsverhältnis nicht außergewöhnlich sei, dass Leistungen nach dem SGB II für die Zeit danach beantragt werden müssen. Verzugsschaden sei gemäß § 288 Abs. 4 BGB nicht auf den Zinsschaden begrenzt. Entgegen der Auffassung der Beklagten führe der Schuldbefreiungsanspruch nicht zu einer Perpetuierung des Schadens, da gerade kein Zufluss an den Gläubiger, hier den Kläger, erfolge. Der Kläger sei auch nicht verpflichtet gewesen, bereits in den Vormonaten Leistungen nach dem SGB II zu beantragen. Der Schuldbefreiungsanspruch scheitere auch nicht daran, dass der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid noch nicht bestandskräftig sei. Zum einen habe der Widerspruch nach § 39 S. 1 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung. Zum anderen dürfte dem Widerspruch auch kein Erfolg beschieden sein, da der Erstattungsbescheid wegen nachträglichen Wegfalls der Bedürftigkeit im Juli 2014 nach §§ 9, 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II in Verbindung mit §§ 48 Abs. 1 S. 3 Nr. 3 SGB X, 330 Abs. 3 S. 1 SGB III zu Recht ergangen sei.

29

Die Beklagte hat gegen dieses ihr am 19.12.2014 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 22.12.2014, eingehend beim Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt am 22.12.2014, Berufung eingelegt und diese mit dem am 16.2.2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 16.2.2015 begründet.

30

Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass das Arbeitsgericht der Klage zu Unrecht stattgegeben habe. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts. Das Arbeitsgericht gehe rechtsirrig davon aus, dass dem Kläger ein Anspruch auf Freistellung von der Erstattungsforderung des Jobcenters Landkreis W. zustehe. Es sei zwar richtig, dass die Beklagte den Lohn für den Monat Mai 2014 verspätet gezahlt habe. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts habe der Kläger jedoch durch die Rückforderung des Jobcenters keinen Vermögensschaden erlitten. Die Auffassung des Klägers würde nach Ansicht der Beklagten dazu führen, dass die Beklagte nicht hätte leisten sollen, um den Schadenseintritt beim Kläger zu verhindern. Durch die Zahlung hätte die Beklagte also den entstanden Verzugsschaden (Zinsen) nicht beheben dürfen. Die Beklagte vertritt die Auffassung, dass deshalb auf den Schutzzweck der Norm abzustellen sei, wonach eine verspätete Zahlung nicht zu einem ewigen Schadenersatz oder zu einer faktischen Weiterzahlung der Vergütung ohne Leistung führen kann. Der Gesetzgeber habe den Verzugsschadenersatz (§ 286 BGB) nicht dazu erlassen, dass von der Beklagten bei verspäteter Lohnzahlung dem Kläger weggefallene Sozialleistungen zu ersetzen seien. Der Wegfall der Hilfebedürftigkeit stelle keinen Schaden dar. Das Arbeitsgericht habe mit seiner Entscheidung den Verzugsschaden (Schaden aufgrund von Nichtzahlung) in eine Schadenersatzpflicht aufgrund der Zahlung umgemünzt. Der Wegfall der Hilfebedürftigkeit des Klägers sei der Beklagten nicht zuzurechnen. Schäden, die durch die Zahlung des Lohnes entstünden, seien vom Schutzzweck der Haftungsnorm nicht erfasst. Da der Kläger zwar der Erstattungsforderung des Jobcenters ausgesetzt sei, er jedoch gleichzeitig die Lohnzahlung für Juli 2014 erhalten habe, stünde dem Vermögensnachteil des Klägers ein Vermögenszuwachs gegenüber. Ein Schaden sei jedoch ausgeschlossen, wenn dem Nachteil ein zumindest gleich hoher Vermögenszuwachs gegenüberstehe. Die Beklagte wiederholt darüber hinaus ihren Vortrag aus der ersten Instanz, dass es der Beklagten nicht zuzurechnen sei, dass der Kläger nicht früher Sozialleistungen beantragt habe, dass die Schadenersatzzahlung durch die Beklagte erneut zu einer Reduzierung seiner Hilfebedürftigkeit führe und dass die Beklagte in Wirklichkeit nicht in Verzug gewesen sei, da der Kläger die Beklagte nicht in Verzug gesetzt habe. Der Arbeitsvertrag enthalte gerade keine Bestimmung, in welchen Zeitabschnitten und zu welchen Terminen die Lohnzahlung zu erfolgen habe.

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Die Beklagte beantragt,

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das am 2.12.2014 verkündete und am 19.12.2014 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau, Aktenzeichen 6 Ca 80/14 abzuändern und die Klage abzuweisen.

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Der Kläger beantragt,

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die Berufung zurückzuweisen.

35

Der Kläger verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts und vertritt weiter die Auffassung, einen Anspruch auf Freistellung von der Rückforderung des Jobcenters zu haben. Seine Vermögenseinbuße ergebe sich zum einen durch die Kürzung existenzsichernder und absolut notwendiger und grundrechtsgewährender Leistungen nach dem SGB II im Moment der Nachzahlung des Lohnes und zum anderen aus der Nichtzahlung des Lohnes zu dem vertraglich geschuldeten Zeitpunkt. Die Leistungskürzung sei daher auch adäquat kausal auf die rechtswidrig zu späte Zahlung des Arbeitslohnes zurückzuführen.

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Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Niederschrift der mündlichen Verhandlung vom 28.2.2017 ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Berufung ist unbegründet.

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1. Die Berufung ist zulässig.

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Die Berufung der Beklagten ist statthaft gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 1 und 2 lit. a Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG). Nach § 8 Abs. 2 ArbGG findet gegen Urteile der Arbeitsgerichte die Berufung an die Landesarbeitsgerichte nach Maßgabe des § 64 Abs. 1 ArbGG statt. Gemäß § 64 Abs. 2 ArbGG kann die Berufung allerdings nur in den dort genannten Fällen eingelegt werden. Danach kann die Berufung insbesondere in Rechtsstreitigkeiten eingelegt werden, in denen sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist. Dies ist im Urteil des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 2.12.2014 geschehen. Da der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 € nicht überstieg, wäre die Berufung andernfalls nicht zulässig gewesen. Gemäß § 64 Abs. 2 lit. a ArbGG ist die Berufung daher wegen der im Urteil I. Instanz ausdrücklich erklärten Zulassung statthaft.

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Die Berufung ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Gemäß § 66 Abs. 1 S. 1 ArbGG beträgt die Frist zur Einlegung der Berufung einen Monat und die Frist für die Begründung der Berufung zwei Monate. Beide Fristen beginnen mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung, § 66 Abs. 1 S. 2 ArbGG. Die Fristen zur Begründung der Berufung und zur Berufungsbeantwortung können vom Vorsitzenden einmal auf Antrag verlängert werden, wenn nach seiner freien Überzeugung der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn die Partei erhebliche Gründe darlegt, § 76 Abs. 1 S. 5 ArbGG.

41

Die Beklagte hat gegen das ihr am 19.12.2014 zugestellte Urteil erster Instanz am 22.12.2014 Berufung eingelegt, die sie am 16.2.2015 beim Landesarbeitsgericht Sachsen-Anhalt eingehend begründet hat. Die Berufung ist danach fristgemäß begründet worden, weshalb die Berufung der Beklagten gemäß § 66 Abs. 1 ArbGG insgesamt zulässig ist.

42

2. Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet.

43

Dem Kläger steht der gegenüber der Beklagten geltend gemachte Schadenersatzanspruch in Gestalt der Freistellung von der Erstattungsforderung des Jobcenters Landkreis W. aus dem Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 24.7.2014 - BG-Nummer ... G-Kundennummer: ... zu.

44

Der Schadenersatzanspruch des Klägers gegenüber der Beklagten basiert auf den Regelungen der §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 4 BGB. Die haftungsbegründenden Voraussetzungen für den geltend gemachten Schadenersatzanspruch wegen verspäteter Lohnzahlung der Beklagten sind erfüllt.

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2.1. Die Beklagte befand sich sowohl mit der Lohnzahlung für April 2014 als auch mit der Lohnzahlung für Mai 2014 in Verzug.

46

Zu Recht hat das Arbeitsgericht zur Prüfung des Verzugseintritts auf die Bestimmung des § 614 BGB abgestellt. Danach ist die Vergütung nach der Leistung der Dienste zu entrichten. Ist die Vergütung nach Zeitabschnitten bemessen, so ist sie nach dem Ablauf der einzelnen Zeitabschnitte zu entrichten.

47

Zwar weist die Beklagte zutreffend darauf hin, dass der Zeitpunkt der Fälligkeit der Vergütung im Arbeitsvertrag nicht geregelt ist und insbesondere auch aus dem Arbeitsvertrag nicht hervorgeht, nach welchen Zeitabschnitten die Vergütung zu zahlen war. Tatsächlich verweist der Arbeitsvertrag lediglich auf die jeweils geltenden betrieblichen und ortsüblichen Festlegungen hinsichtlich der Höhe des Arbeitsentgelts (§ 6 des Arbeitsvertrages) und erklärt, dass „im übrigen die einschlägigen örtlichen und betrieblichen Bestimmungen Gegenstand des Arbeitsvertrages werden“ (§ 9 des Arbeitsvertrages). Daraus ist eine konkrete Regelung des Fälligkeitstermins im Arbeitsvertrag der Parteien nicht feststellbar. Allerdings gilt insbesondere für den Fall, den die Beklagte für sich in Anspruch nimmt, dass nämlich keine arbeitsvertraglichen Regelungen hinsichtlich des Zeitpunkts der Lohnzahlung getroffen worden sind, die Bestimmung des § 614 BGB, sodass mit dem Verzugseintritt zum jeweils Ersten des Folgemonats nach Entrichtung der Leistungen auszugehen ist.

48

Die Parteien haben diese gesetzliche Fälligkeitsregelung des § 614 BGB nicht abbedungen. Soweit der Arbeitsvertrag „im übrigen die einschlägigen örtlichen und betrieblichen Bestimmungen“ zum Gegenstand des Arbeitsvertrages erklärt, hat die Beklagte keinerlei Anhaltspunkte dafür vorgetragen, dass ihrer Ansicht nach - von der Auffassung des Klägers abweichende - übliche und betriebliche Bestimmungen zur Fälligkeit des Lohnes existierten.

49

Zudem ist die Beklagte dem Vortrag des Klägers nicht entgegengetreten, dass sie - die Beklagte - bis zum Monat April 2014 die Lohnzahlungen jeweils im Folgemonat vorgenommen hat. Daher ist davon auszugehen, dass der nach § 614 BGB maßgebliche Zeitabschnitt, in dem die Dienste durch den Kläger zu erbringen waren, der jeweilige Kalendermonat war.

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Auch wenn trotz der offenbar vorgenommenen monatlichen Zahlungen aufgrund der Bestimmung unter § 1 Nr. 5 des Arbeitsvertrages von der Verpflichtung zur Erbringung der Dienste im Wochenrhythmus und der Entrichtung von Wochenlöhnen auszugehen wäre, wäre unter Anwendung der Bestimmung des § 614 BGB jeweils am ersten Wochentag nach Ablauf der Woche, in der die Leistungen erbracht wurden, der Verzug der Beklagten mit der Lohnzahlung für die in den Monaten April und Mai abgelaufenen Kalenderwochen eingetreten.

51

Die Zahlung für April 2014 am 10.6.2014 und die Zahlung für Mai 2014 am 14.7.2014 fanden danach in jedem Fall erst nach Eintritt des Verzuges statt. Einer vorherigen Mahnung gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB bedurfte es daher nicht.

52

2.2. Die Beklagte hat ihren Verzug mit der Erfüllung der Vergütungspflicht auch zu vertreten, § 280 Abs. 1 S. 2 BGB. Entschuldigungsgründe nach § 286 Abs. 4 BGB sind nicht ersichtlich.

53

Der Schuldner kommt nicht in Verzug, solange die Leistung infolge eines Umstandes unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Was der Schuldner zu vertreten hat, regeln §§ 276 bis 278 BGB. Er ist für die Verzögerung der Leistung auch dann verantwortlich, wenn sie auf mangelnder finanzieller Leistungsfähigkeit, fehlender geschäftlicher Dispositionen oder auf Gründen beruht, die in seinen Risikobereich fallen (Palandt/Grüneberg, 76. Aufl., § 286 Rn. 32 mwN). Der Arbeitgeber schuldet die pünktliche Zahlung des vom Kläger verdienten Lohns, auf den sich der Kläger verlassen und seine Lebensfinanzierung danach ausrichten durfte. Es ist Sache des Beklagten, dafür Sorge zu tragen, dass er den bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer auch rechtzeitig bezahlen kann. (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24. September 2015 - 2 Sa 555/14, Rn. 49, juris).

54

2.3. Wegen des hiernach eingetretenen Schuldnerverzuges der Beklagten kann der Kläger nach §§ 280 Abs. 1 und 2, 286, 288 Abs. 4 BGB Ersatz des ihm hierdurch entstandenen Verzugsschadens verlangen.

55

Bei der Geltendmachung sogenannten Verzögerungsschadens ist der Gläubiger gemäß § 249 Abs. 1 BGB so zu stellen, wie er bei rechtzeitiger Leistung des Schuldners stehen würde. Zwischen dem Verzug und dem Schaden muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Zu ersetzen sind die entstandenen Nachteile, gegebenenfalls unter Anrechnung entstandener Vorteile. Gleichgültig ist, ob die Entstehung des Schadens für den Schuldner voraussehbar war. Sein Verschulden braucht sich nur auf den Eintritt des Verzuges, nicht auf die Entstehung des Schadens zu beziehen (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 286 Rn. 42 mwN).

56

Ausgangspunkt jeder schadensrechtlichen Fragestellung ist der Differenzschadensbegriff. Danach ist die Frage, ob ein zu ersetzender Schaden vorliegt, grundsätzlich durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte, zu beurteilen (BGH, Urteil vom 18. Januar 2011 - VI ZR 325/09, Rn. 8 mwN). Ist die infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretene Vermögenslage ungünstiger als diejenige, die sich ohne das Ereignis ergeben hätte, so hat der zum Schadenersatz Verpflichtete den Differenzschaden zu ersetzen (BGH, Urteil vom 22. November 2016 -VI ZR 40/16 -, Rn. 12, juris). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Schadensbemessung ist der Zeitpunkt der Erfüllung der Schadenersatzforderung bzw. - prozessual - der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung. Die Höhe des ersatzfähigen Schadens kann sich also entsprechend der hypothetischen Vermögensentwicklung ändern. Gegebenenfalls kann ein Schaden sogar gänzlich entfallen.

57

Hätte die Beklagte den für Mai 2014 ausstehenden Lohn rechtzeitig, also am 1.6.2014 oder zumindest im Laufe des Juni 2014 gezahlt, wäre der Kläger nicht der Erstattungsforderung des Jobcenters Landkreis W. für die Zeit vom 1.7. bis 31.7.2014 ausgesetzt.

58

Der Kläger, der bereits am 2.6.2014 wegen der ausgebliebenen Lohnzahlungen für April und Mai Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beim Jobcenter beantragte, hat für den Monat Juni 2014 keine Leistungen erhalten, da die Lohnzahlung für April 2014 im Juni 2014 zugeflossen ist. Im Monat Juni 2014 bestand danach kein Hilfebedarf des Klägers, sodass ihm keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zu gewähren waren. Die gleiche Situation wäre bei vertragsgemäßem Verhalten der Beklagten, nämlich bei Zahlung des Mailohnes am 1.6.2014 eingetreten. Auch in diesem Fall wäre wegen der Rückwirkung des Antrags vom 2.6.2014 auf den Beginn des Monats Juni ein Hilfebedarf des Klägers nicht entstanden, § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II in Verbindung mit § 11 Abs. 2 SGB II. Dieser fehlende Hilfebedarf des Klägers im Juni 2014 war und wäre danach nicht auf ein schadensbegründendes Verhalten der Beklagten zurückzuführen.

59

Anders verhält es sich mit dem Entfallen des Hilfebedarfs des Klägers im Monat Juli, das durch die verspätete Zahlung der Maivergütung durch die Beklagte am 14.7.2014 verursacht worden ist.

60

Der Kläger war gegenüber dem Jobcenter Landkreis W. auch nicht berechtigt, die verspätete Lohnzahlung für den Monat Mai 2014 nicht zur Deckung seines laufenden Lebensunterhalts, zum Beispiel zur Deckung der in den Vormonaten entstandenen Kosten der Unterkunft einzusetzen. Gegen die Anrechnung dieses am 14.7.2014 zugeflossen Einkommens auf seinen Hilfebedarf im Monat Juli 2014 konnte sich der Kläger nicht zur Wehr setzen. Dies folgt aus dem Grundsatz der Subsidiarität von Sozialleistungen.

61

Der im Einkommensbegriff des § 11 SGB II konkretisierte Nachranggrundsatz des § 2 Abs. 2 SGB II rechtfertigt diese Erwartung an die hilfebedürftige Person. Sie soll ihr vorhandenes Einkommen zunächst zur Bedarfsdeckung verwenden, bevor bestehende Verpflichtungen erfüllt werden. Der Hilfesuchende muss sein Einkommen auch dann zur Behebung einer gegenwärtigen Notlage für sich einsetzen, wenn er sich dadurch außerstande setzt, anderweitig bestehende Verpflichtungen zu erfüllen (BSG, Urteil vom 17. Februar 2016 - B 4 AS 17/15 R, Rn. 32 unter Hinweis auf BSG, Urteil vom 19.9.2008 - B 14/7b AS 10/07 R, Rn. 25 f). Es gilt der unter dem Gesichtspunkt der Subsidiarität staatlicher Fürsorge aufgestellte Grundsatz, dass die Lebensunterhaltssicherung durch eigene Mittel grundsätzlich der Schuldentilgung vorgeht. Wird eine Verbindlichkeit mit zugeflossenem Einkommen erfüllt, handelt es sich um eine bloße Verwendung des Einkommens, die an der Berücksichtigung als Einkommen nichts ändert (BSG, Urteil vom 29.4.2015 - B 14 AS 10/14 R, Rn. 32 f).

62

Der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid des Jobcenters Landkreis W. vom 24.7.2014 - ... ist, wie sich der Begründung des Bescheids entnehmen lässt, ausschließlich auf die Zahlung des Lohnes für Mai 2014 durch die Beklagte während des Zeitraums 1.7.2014 bis 31.7.2014 zurückzuführen.

63

Nach der zur Ermittlung der Schadenshöhe heranzuziehenden Differenzhypothese ist danach das Vermögen des Klägers durch die erst im Juli 2014 erfolgte Lohnzahlung der Beklagten in Höhe der Erstattungsforderung des Jobcenters Landkreis W. aus dem Bescheid vom 24.7.2014 reduziert. Hätte die Beklagte rechtzeitig, also spätestens bis Ende Juni 2014 das Arbeitsentgelt des Klägers für den Monat Mai 2014 gezahlt, müsste der Kläger die für Juli 2014 bezogenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II an das Jobcenter Landkreis W. nicht zurückzahlen.

64

2.4. Der eingetretene Vermögensschaden des Klägers in Gestalt der Belastung mit der Erstattungsforderung des Jobcenters Landkreis W. ist auch adäquat kausal durch den Verzug der Beklagten verursacht worden.

65

Eine Schadenersatzpflicht setzt unter anderem voraus, dass zwischen dem Verhalten des Schädigers und dem eingetretenen Verletzungserfolg ein haftungsrechtlich relevanter Zusammenhang (haftungsbegründende Kausalität) und zwischen der Rechtsgutsverletzung/Verletzung und dem Umfang des eingetretenen Schadens ein Zusammenhang (haftungsausfüllende Kausalität) besteht. Für die haftungsbegründende Kausalität gilt, dass der Schaden vom Schädiger adäquat verursacht worden sein muss (BGH in ständiger Rechtsprechung, z.B. BGH, Urteil vom 11. November 1999 III ZR 98/99).

66

Diese Voraussetzung für die Haftung der Beklagten ist vorliegend erfüllt. Die Pflichtverletzung der Beklagten - verspätete Lohnzahlung - hat den beim Kläger eingetretenen Schaden in diesem Sinne adäquat kausal verursacht.

67

Es handelt sich insbesondere nicht um einen gänzlich unwahrscheinlichen Kausalverlauf, sondern um adäquate Folgen des eingetretenen Zahlungsverzugs der Beklagten. Der Verzug des Schuldners kann bei entsprechender Disposition des Gläubigers dazu führen, dass der Gläubiger seinen eigenen Lebensunterhalt nicht mehr sichern kann und daher Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Anspruch nehmen muss. Dies ist ein nicht vollkommen ungewöhnlicher oder unwahrscheinlicher Geschehensablauf.

68

Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass bei einem auf sechs Monate befristeten Arbeitsverhältnis und einer vereinbarten Monatsvergütung von 1.300,00 € brutto die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass im Anschluss an ein derart kurzes Arbeitsverhältnis Leistungen nach dem SGB II beantragt werden müssen. Hiervon ist insbesondere im vorliegenden Fall auszugehen. Die Beklagte ist nämlich nicht nur mit der Zahlung des Lohnes für den Monat Mai 2014, sondern bereits mit der Zahlung des Lohnes für den Monat April 2014 zum Zeitpunkt der Antragstellung beim Jobcenter (2.6.2014) in Verzug gewesen.

69

Im Übrigen kann ein Schädiger auch nicht verlangen, so gestellt zu werden, als hätte sein Zahlungsverzug einen Gläubiger mit ausreichender Finanzkraft getroffen, der ausbleibende bzw. verspätete Einkünfte überbrücken kann. Auch solche schädlichen Auswirkungen der Vertragsverletzung sind dem Schädiger zuzurechnen, die sich erst deshalb ergeben, weil eine besondere Schadensdisposition besteht. Eine zum Schaden neigende Verfassung des Geschädigten, die den Schaden ermöglicht oder wesentlich erhöht hat, schließt den Zurechnungszusammenhang nicht aus (Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 24. September 2015 - 2 Sa 555/14, Rn. 50, juris) unter Hinweis auf Palandt, BGB 74. Aufl. Vorb v § 249 Rn. 35).

70

2.5. Auch folgt eine Begrenzung der Haftung der Beklagten im vorliegenden Streitverhältnis nicht aus dem Gedanken des Schutzzwecks der Norm.

71

Nach der in Rechtsprechung und Literatur grundsätzlich allgemein anerkannten Lehre vom Schutzzweck der haftungsbegründenden Norm werden solche Schäden von der Haftung ausgenommen, die nicht als Verwirklichung derjenigen Gefahr angesehen werden können, die nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen. Es muss sich um Nachteile handeln, die aus dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte vertragliche oder vorvertragliche Pflicht übernommen worden ist (Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., Vorb. vor § 249, Rn. 29 mwN).

72

Vorliegend unterfällt die Schadenersatzverpflichtung der Beklagten dem Schutzzweck der haftungsbegründenden Norm des Schuldnerverzugs. Die Beklagte hat verspätet den Lohn gezahlt und dadurch einen Vermögensschaden beim Kläger ausgelöst. Hierbei handelt es sich nicht um einen Schaden, der von der Haftung ausgenommen werden muss, da er nicht als Verwirklichung derjenigen Gefahr angesehen werden kann, die der durch den Schadensverursacher verletzten Verhaltensnormen unterliegt.

73

Vielmehr ist es ein typischer Verzögerungsschaden, dass durch die Leistung eine Vermögensposition des Gläubigers verschlechtert wird. Dies ist in den Fällen, in denen zum Beispiel Lohnzahlungen oder eine Abfindungszahlung verspätet gezahlt wird und dadurch ein Steuerprogressionsschaden des Arbeitnehmers entsteht, unbestritten. Das Bundesarbeitsgericht hat in seinem Urteil vom 28. Oktober 2008 (3 AZR 171/07 Rn. 37 ff., juris) zu dem Fall der unterbliebenen Betriebsrentenanpassung z. B. ausgeführt:

74

„Der zu ersetzende Verzugsschaden umfasst die durch die Nachzahlung entstehenden steuerlichen Nachteile (vgl. ua. BAG 19. Oktober 2000 - 8 AZR 632/99 - zu II 3 b der Gründe; 20. Juni 2002 - 8 AZR 488/01 - zu II 1 c der Gründe, EzA BGB § 611 Arbeitgeberhaftung Nr. 11). Sie beruhen auf dem im Steuerrecht geltenden „Zuflussprinzip“ (§ 11 Abs. 1 Satz 1, § 38 Abs. 2 Satz 2, § 38a Abs. 1 EStG). Es besagt, dass die Betriebsrenten aus einer Direktzusage (§ 19 Abs. 1 Nr. 2 EStG spricht von Ruhegeldern) ebenso wie Arbeitsvergütungen grundsätzlich im Steuerjahr der Zahlung zu versteuern sind. Dabei spielt es grundsätzlich keine Rolle, dass es sich um eine Nachzahlung für Zeiträume handelt, die dem Steuerjahr vorausgehen. Einmalige Zahlungen für Vorjahre können wegen der Zusammenfassung mit den im Steuerjahr zugeflossenen laufenden Leistungen zu einer „progressionsbedingten“ erhöhten Steuerbelastung führen (vgl. dazu BAG 20. Juni 2002 - 8 AZR 488/01 - aaO). Das sog. Fünftelungsprinzip des § 34 Abs. 1 EStG mildert einen derartigen Nachteil ab. Je höher die Nachzahlung und je größer der Zeitraum ist, für den sie erfolgt - im vorliegenden Fall für neun Jahre -, desto weniger ist die sog. Fünftelungsregelung geeignet, die Steuerschäden voll auszugleichen. Die so entstehenden Vermögenseinbußen können einen Verzugsschaden darstellen. Wie die Vorinstanzen unter Hinweis auf das Urteil des BAG vom 19. Oktober 2000 (- 8 AZR 632/99 -) richtig erkannt haben, lässt sich nicht einwenden, ein derartiger Steuerschaden könne dem versorgungspflichtigen Arbeitgeber nicht normativ zugerechnet werden. Zwar beruht die Vermögenseinbuße des Betriebsrentners auf einer Anwendung zwingender Steuervorschriften. Indem das Gesetz dem versorgungspflichtigen Arbeitgeber die Erfüllung der steuerrechtlichen Pflichten des Betriebsrentners „treuhänderisch“ auferlegt, bezweckt es ebenso wie beim Arbeitnehmer auch den Schutz der steuerrechtlichen Interessen des Leistungsempfängers. Da die Bruttorenten des Betriebsrentners ebenso wie die Bruttovergütungen des Arbeitnehmers ein gleichmäßiges und berechenbares Einkommen sichern sollen, werden steuerrechtliche Nachteile von der Ersatzpflicht erfasst. Bereits im Urteil vom 19. Oktober 2000 (- 8 AZR 632/99 - zu II 3 b der Gründe) hat der Achte Senat darauf aufmerksam gemacht, dass die Ersatzpflicht das spiegelbildliche Gegenstück zur Ermittlung von steuerlichen Vorteilen im Wege des Vorteilsausgleichs ist (vgl. hierzu BGH 18. Dezember 1969 - VII ZR 121/67 - BGHZ 53, 132, 134). V. Ursache der Nachzahlung und der dadurch ausgelösten steuerlichen Nachteile ist die Verzögerung der gebotenen Anpassung.“

75

Ähnlich argumentiert das BAG bereits in seinem Urteil vom 14. Mai 1998 (8 AZR 634/96, Rn. 23 f., juris):

76

„Nach dem im Steuerrecht geltenden „Zuflußprinzip“ sind Arbeitsvergütungen grundsätzlich im Steuerjahr des Zuflusses zu versteuern. Dies gilt auch dann, wenn die Arbeitsvergütung für eine dem Steuerjahr vorangegangene Beschäftigungszeit an den Arbeitnehmer nachgezahlt wird. Kommt es danach, wie im Streitfall, zu Nachzahlungen aus den Vorjahren, so kann die einmalige Zahlung zusammen mit der Zahlung der laufenden Arbeitsvergütung im Steuerjahr zu einer „progressionsbedingten“ erhöhten Steuerbelastung führen. Auch dieser steuerliche Nachteil kann als Verzugsschaden bei Vorliegen der Verzugsvoraussetzungen nach § 286 Abs. 1, § 284 Abs. 2 Satz 1, § 285 BGB geltend gemacht werden.

77

Zu Unrecht meint die Revision, dieser Steuerschaden könne der Beklagten nicht i.S.v. § 286 BGB normativ zugerechnet werden. Zwar beruht der finanzielle Nachteil der Klägerin auf einer Anwendung zwingender Steuervorschriften. Zu dem Steuerschaden war es aber nur gekommen, weil die Beklagte aus einem von ihr zu vertretenden Umstand nicht fristgerecht leistete. Die Ursache für den Steuerschaden liegt daher in dem Verzug der Beklagten. Solche steuerrechtlichen Nachteile sind daher von der Ersatzpflicht miterfaßt. Sie sind das spiegelbildliche Gegenstück für die Anrechnung von steuerrechtlichen Vorteilen im Wege des Vorteilsausgleichs (vgl. hierzu BGH Urteil vom 18. Dezember 1969 - VII ZR 121/67 - BGHZ 53, 132).

78

Die Übertragung dieser Rechtsgrundsätze auf das vorliegende Streitverhältnis führt unter anderem auch zu dem Ergebnis, dass das Argument der Beklagten, sie könne nicht für einen Schaden haftbar gemacht werden, der durch die Zahlung, also letztlich durch die Pflichterfüllung entstehe, nicht greift. Auch die verspätete Betriebsrentenanpassung, die verspätete Abfindungszahlung oder die verspätete Lohnzahlung, die eine Steuerlast des Arbeitnehmers verursacht, die dieser bei fristgemäßer Zahlung nicht zu tragen gehabt hätte, wird letztlich durch die Zahlung des Arbeitgebers ausgelöst.

79

2.6. Einen Unterfall der Fragestellung nach dem Schutzzweck der Norm bilden die Fälle des gesetzes- bzw. sittenwidrigen hypothetischen Vermögenszustands. Es geht darum, dass auf dem Wege des Schadenersatzes nicht etwas zugesprochen werden darf, das der Rechtsordnung widerspricht. Etwas umfassender formuliert die Rechtsprechung häufig, dass der Verlust einer tatsächlichen oder rechtlichen Position, auf die der Geschädigte keinen Anspruch hat, grundsätzlich keinen ersatzfähigen Nachteil darstellt. Das bedeutet, dass in derartigen Fällen Schadenersatz nicht zugebilligt wird, obwohl ein Schaden im Sinne der Differenzhypothese gegeben ist.

80

Wie im Fall des pflichtvergessenen Betreuers (vgl. Ungewitter, VersR 1996, 1466), der es unterlassen hat, Hilfe zum Lebensunterhalt für die von ihm betreute Person geltend zu machen, könnte auch im vorliegenden Streitverhältnis daran gedacht werden, dass der Wegfall des Anspruchs auf Hilfe zum Lebensunterhalt keinen Schadenersatzanspruch auslösen kann. Dies ist jedoch in beiden Fällen nicht anzunehmen.

81

Zwar ist nach dem Wesen, dem Sinn und dem Zweck der Sozialhilfe als Hilfe in gegenwärtiger Not diese Sozialhilfe nach Wegfall der Notlage grundsätzlich ausgeschlossen. Sozialhilfe ist also ein durch seine Zeitgebundenheit besonders gefährdeter und damit „existenzschwacher“ Anspruch. Der Anspruch auf Gewährung von Sozialhilfeleistungen ist subsidiär (siehe oben unter 2.3.). Wenn die Notlage, zu deren Behebung Sozialhilfe grundsätzlich gewährt wird, behoben ist bzw. wegen Zeitablaufs nicht mehr behoben werden kann, besteht kein durch Leistungen der Sozialhilfe zu befriedigender Bedarf (mehr). Der Schadenersatzanspruch des Betreuten gegen seinen Betreuer bzw. im vorliegenden Fall, des Klägers als Arbeitnehmer gegen die Beklagte als Arbeitsgeberin könnte also von derselben Existenzschwäche gekennzeichnet sein (vgl. Ungewitter, VersR 1996, 1466).

82

Hingegen betrifft die Existenzschwäche des Anspruchs auf Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II eine andere Rechtssphäre als diejenige der hier durch die verspätete Lohnzahlung betroffene - geschädigte - Vermögenssituation des Klägers.

83

Zwar dient der Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II nicht der Vermögensbildung des Hilfebedürftigen. Der Hilfebedürftige ist aber nicht daran gehindert, mit den ihm durch den Sozialhilfeträger gewährten Leistungen sparsam umzugehen und mit diesen Leistungen Vermögen zu bilden. Ob er dies tut, ist seiner persönlichen Lebensführung geschuldet und kein Umstand, den der in Verzug geratene Arbeitgeber für sich als Argument gegen seine Schadenersatzverpflichtung in Anspruch nehmen kann.

84

Insbesondere geht die Beklagte auch zu Unrecht davon aus, der Kläger habe durch die im Juli zugeflossene Lohnzahlung einen gleichwertigen Ersatz der durch die Zahlung untergegangenen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II erhalten.

85

Dem Kläger sind zu Beginn des Monats Juli offenbar zu Recht Leistungen zur Hilfe des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Sozialgesetzbuch gewährt worden, weil er bedürftig war. Dieser Hilfebedarf ist nachträglich weggefallen durch die verspätete Zahlung der Beklagten. Bei rechtzeitiger Zahlung durch die Beklagte im Monat Juni 2014 wären dem Kläger die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts im Juli 2014 erhalten geblieben.

86

2.7. Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, dass es nicht in ihrer Sphäre liege, ob der Kläger und zu welchem Zeitpunkt er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beantragt.

87

Hier ist zunächst zu berücksichtigen, dass sich die Vermögenssituation des Klägers ohne die verzögerte Zahlung der Beklagten bei früherer Antragstellung auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts genauso darstellen würde, wie der Kläger nunmehr begehrt, im Wege des Schadenersatzes durch die Beklagte gestellt zu werden.

88

Dies zeigt eine den Einwand der Beklagten einbeziehende hypothetische Schadensberechnung: Angenommen der Kläger hätte bereits am 1.4.2014 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts beim Jobcenter beantragt, wären seine Ansprüche auf Lohnzahlung gemäß § 115 SGB X auf das Jobcenter übergegangen. Die Beklagte hätte danach in der Höhe der gewährten Leistungen die Lohnzahlungen für April und Mai 2014 an das Jobcenter entrichten müssen. Der Kläger hätte seinen Lebensunterhalt in den Monaten April bis Juli 2014 durchgehend aus Leistungen des Jobcenters bestritten. Der Kläger wäre in diesem Fall in allen Monaten durchgängig in der Lage gewesen, seine persönlichen Verpflichtungen zu erfüllen und insbesondere seinen Lebensunterhalt incl. der Kosten der Unterkunft zu begleichen. Die Beklagte hätte den fälligen Lohn für die Monate April und Mai an das Jobcenter gezahlt. In den Monaten Juni und Juli hätte der Kläger seine laufenden Verpflichtungen aus Leistungen nach dem SGB II erfüllt und seinen Lebensunterhalt daraus bestritten, ohne dass er diese oder einen Teil davon wieder hätte erstatten müssen. Bei diesem hypothetischen Schadensverlauf wäre der Kläger laufend in der Lage gewesen, seine Verpflichtungen zu erfüllen und seinen Lebensunterhalt zu sichern. Zusätzlich hätte er für den laufenden Monat Juli Anspruch auf Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gehabt, ohne diese erstatten zu müssen.

89

Anders im vorliegenden, hier zur Entscheidung anstehenden Streitverhältnis. Hier vertraute der Kläger im Mai darauf, dass die Beklagte - wie bisher - den Aprillohn im Folgemonat begleichen würde. Tatsächlich ging der Nettolohn für April erst am 10.6.2014 beim Kläger ein, nachdem der Kläger bereits am 2.6.2014 SGB II-Leistungen beantragt hatte. Zur Begleichung seiner laufenden Zahlungsverpflichtungen im Mai standen dem Kläger daher keinerlei laufende Mittel zur Verfügung, weder Leistungen des Jobcenters noch Lohnzahlungen der sich im Zahlungsverzug befindlichen Beklagten.

90

An der Auffassung er Beklagten, der Schadenseintritt könne nicht davon abhängen, ob und wann der Arbeitnehmer Leistungen nach dem SGB II beantrage, ist nur richtig, dass der Arbeitgeber durch rechtzeitige Antragstellung seines Arbeitnehmers davor bewahrt werden kann, die den Arbeitnehmer schädigenden Folgen seines Zahlungsverzugs zu tragen. Dies aber nur, weil der Arbeitgeber in diesem Fall die Vorleistung des Sozialhilfeträgers für sich nutzen kann. Dies entspricht aber nicht der Rechtsordnung. Sozialleistungen sind susidiär, sie sind nachrangig gegenüber anderen Zahlungsverpflichteten in Anspruch zu nehmen. Sie dienen nicht dazu, den Arbeitgeber von den Folgen schlechter Zahlungsmoral zu befreien. Die Sozialleistungen sollen dem Arbeitnehmer laufende Leistungen zum Lebensunterhalt gewähren, wenn er hierzu wegen fehlender Arbeitseinkünfte, ggf, auch wegen eines säumigen Arbeitgebers nicht selbst in der Lage ist. Sie dienen nicht dazu, den Arbeitgeber davor zu bewahren, ggf. weitere Zahlungen als die ursprüngliche Lohnzahlung vornehmen zu müssen, wenn er nicht fristgemäß erfüllt.

91

Es liegt danach kein Fall vor, in dem ein Schaden durch Wegfall der Hilfebedürftigkeit wegen verspäteter Lohnzahlung der Rechtsordnung widerspräche. Ein existierender Hilfebedarf ist sehr wohl eine Vermögensposition die gegenüber dem mit der Lohnzahlung in Verzug geratenen Arbeitgeber schutzwürdig ist.

92

Die Berufung der Beklagten ist daher insgesamt unbegründet, sodass das Urteil des Arbeitsgerichts Dessau-Roßlau vom 2.12.2014 - 6 Ca 80/14 nicht abzuändern, sondern die Berufung hiergegen zurückzuweisen war.

93

3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO).

94

Gemäß § 97 Abs. 1 ZPO hat die unterliegende Partei die Kosten des ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittel zu tragen.

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4. Die Revision war zuzulassen.

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Gemäß § 72 Abs. 1 ArbGG findet die Revision gegen ein Endurteil des Landesarbeitsgerichts an das Bundesarbeitsgericht nur statt, wenn sie in dem Urteil des Landesarbeitsgerichts zugelassen worden ist. Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen vor. Gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG ist die Revision zuzulassen, wenn

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1. eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat,

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2. das Urteil von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, von einer Entscheidung des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes, von einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder, solange eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts in der Rechtsfrage nicht ergangen ist, von einer Entscheidung einer anderen Kammer desselben Landesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsgerichts abweicht und die Entscheidung auf dieser Abweichung beruht oder

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3. ein absoluter Revisionsgrund gemäß § 547 Nr. 1 bis 5 der Zivilprozessordnung oder eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör geltend gemacht wird und vorliegt.

100

Die Kammer hält die Voraussetzung des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG für gegeben.

101

Die Revision war daher zuzulassen.


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