Urteil vom Landgericht Aachen - 12 O 510/20
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von € 177.845,48 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.03.2021 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T A T B E S T A N D
2Der Kläger begehrt die Rückzahlung von Spieleinsätzen beim Online-Glücksspiel.
3Die Beklagte ist seit Jahren Betreiberin der Internetseite ww.casinoclub.com, auf der sie öffentlich Casino-Spiele anbietet, darunter unter anderem virtuelle als auch liveübertragene Roulette-Spiele als auch virtuelle Automatenspiele. Sie verfügt über die Glücksspiellizenz des Staates Malta, jedoch nicht über eine Konzession für das Anbieten von Online-Glücksspielen im Bundesland Nordrhein-Westfalen.
4Der Kläger ist wohnhaft in T in Nordrhein-Westfalen und nutze die Internetseite im Zeitraum vom 21.12.2013-05.10.2020. Die von der Beklagten verwendeten Allgemeinen Geschäftsbedingungen lauten auszugsweise:
5„2.3 Die Teilnahme an den Spielen ist volljährigen Personen möglich und zwar in Ländern, in denen die Spiele nicht gesetzlich untersagt sind.
62.8 Es ist die alleinige Verantwortung des Nutzers, den Rechtsstatus von Internet-Spielen im Land seines Wohnsitzes zu bestimmen und sich entsprechend zu verhalten. Die Verfügbarkeit der Webseite in einem bestimmten Rechtsraum stellt keine Einladung seitens „CasinoClub“ dar, die Dienstleistungen der Webseite zu nutzen. Das Unternehmen übernimmt keinerlei Verantwortung für jegliche Handlungen durch Nutzer in Ländern, in denen Internet-Spiele illegal sind und/oder Handlungen die diese Bestimmungen der Geschäftsbedingungen verletzen.
724. Die vorliegenden Verträge unterliegen dem Recht von Gibraltar und werden entsprechend ausgelegt.“
8Der Kläger behauptet, insgesamt habe er in dem Zeitraum von 2017 – 05.10.2020 einen Betrag in Höhe von 177.845,48 € bei der Beklagten auf deren Internetseite verspielt. Der Betrag ergäbe sich als Differenz der Einzahlungen in Höhe von 469.198,67 € und Auszahlungen in Höhe von 291.353,19 € (Anlage K1a,b,c).Die Zahlungen seien über sein in Deutschland geführtes Girokonto erfolgt. Er habe weder aus Schleswig-Holstein noch aus dem Ausland an den Glücksspielen teilgenommen.
9Er habe nicht gewusst, dass das angebotene Online-Glücksspiel verboten sei, sondern sei vielmehr von der gesetzlichen Erlaubnis ausgegangen. Erst Anfang Oktober 2020 habe er durch Mitteilung eines Mitarbeiters der Beklagten erfahren, dass die Roulette-Spiele ausgeschlossen würden, um eine Lizenz des deutschen Staates zu erhalten. Erst daraufhin habe er sich darüber informiert, dass in Deutschland Online-Glücksspiel illegal sei. Vorher habe er eine Veröffentlichung in Bezug auf eine Illegalität nicht zur Kenntnis genommen.
10Er ist der Ansicht, dass die angebotene Glücksspiele gegen die Glücksspielverordnung verstoßen hätten und daher die Verträge unwirksam seien.
11Er beantragt mit der am 01.03.2021 zugestellten Klage,
12die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von €177.845,48 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
13Die Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Sie rügt die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts.
16Sie ist der Ansicht, dass deutsches Recht keine Anwendung finde. Dazu behauptet sie, dass die Parteien wirksam die Anwendung gibraltarischen Rechts vereinbart hätten.
17Die Klage sei in Bezug auf die gezahlten Beträge bereits nicht schlüssig.
18Die Online-Casino-Angebote seien nicht illegal. Die Glückspielverordnung sei unionsrechtswidrig und verstoße gegen die Dienstleistungsfreiheit. Der Eingriff sei nicht gerechtfertigt, da das vollumfängliche Verbot von Online-Glücksspielen nicht erforderlich und geeignet sei, Glückspielsucht vorzubeugen. Dies werde auch durch die Änderung der Gesetzeslage deutlich.
19Rückforderungen seien nach § 762 Abs. 1 BGB ausgeschlossen. Selbst bei Unwirksamkeit der Verträge sei eine Rückforderung nach § 817 S. 2 BGB ausgeschlossen, weil der Kläger gelichwohl durch die Teilnahme gegen die Vorschriften verstoßen habe. Schon wegen der Hinweise in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen hätte dem Kläger bewusst sein müssen, dass das Glücksspiel in Deutschland als illegal eingestuft werde. Darüber hinaus werde zumindest seit 2015 in den Medien über die Frage der Legalität des Online-Glücksspiels umfassend diskutiert. Zumindest sei eine Rückforderung nach Treu und Glauben ausgeschlossen, da die Rückforderung es dem Kläger ermöglichen würden, risikolos spielen zu können und damit die Zufallsabhängigkeit des Glücksspiels und damit dessen Wesen sowie das darauf entsprechend begründete Vertrauen der Beklagten auszuhebeln.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
21E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E
22I.
23Die Klage ist zulässig und begründet.
241) Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Aachen ergibt sich aus Art. 18 Abs. 1 EuGVVO. Danach kann der Verbraucher an seinem Wohnsitz seinen Vertragspartner wegen Streitigkeiten aus einem Vertrag verklagen, wenn sein Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt. Als Verbraucher ist jede natürliche Person anzusehen, die Verträge zur Deckung ihres privaten Eigenbedarfs schließt, sofern diese nicht ihrer (gegenwärtigen oder zukünftigen) beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit zugerechnet werden können (Münchener Kommentar zur ZPO, 5. Aufl. 2017, Art. 17 EuGVVO, Rn. 2). Der Kläger ist somit Verbraucher mit Wohnsitz in Stolberg bei Aachen, während die Beklagte ihre Tätigkeit auf Deutschland ausrichtet. Dies ergibt sich daraus, dass die Dienste in deutscher Sprache angeboten werden und sich Kunden mit dem Herkunftsland Deutschland anmelden können.
252) Die Anwendbarkeit des deutschen materiellen Zivilrechts ergibt sich aus Art. 6 Abs. 1 lit. b) Rom I-VO. Der sachliche Anwendungsbereich des Art. 1 Abs. 1 Rom I-VO ist eröffnet. Ein Fall des Art. 1 Abs. 2 Rom I-VO ist nicht eröffnet. Die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 lit. b) Rom I-VO liegen vor. Der Kläger handelte als Verbraucher. Die Beklagte hat ihre gewerbliche Tätigkeit unter anderem auf die Bundesrepublik Deutschland ausgerichtet. Auch die Rückabwicklung von nichtigen Verträgen unterfällt dem Vertragsstatut. An der Anwendbarkeit des deutschen materiellen Rechts ändert es auch nichts, dass laut Ziffer 24 der Allgemeinen Vertragsbedingungen die Beklagte den Vertrag dem Recht von Gibraltar unterwerfen möchte. Die Klausel ist gemäß § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB unwirksam. Gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 2 Rom-l-VO darf eine Rechtswahl dem Verbraucher nicht den Schutz der Bestimmungen entziehen, von denen nach dem ohne die Rechtswahl anzuwendenden Recht nicht durch Vereinbarung abgewichen werden darf. Die §§ 305 ff. BGB bleiben somit anwendbar. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH stellt eine Rechtswahlklausel, die von einem ausländischen Unternehmer gegenüber Deutschen Kunden gestellt wird und die für alle Rechtsstreitigen ausschließlich das ausländische Recht gelten lässt eine unangemessene Benachteiligung gegenüber dem Verbraucher dar (vgl. BGH, Urt. v. 19. 7. 2012 - I ZR 40/11, MMR 2013, 501 (504) beck-online). Die Überschrift ,,Anwendbares Recht" vermittelt dem Verbraucher einen falschen Eindruck und hält ihn potenziell davon ab, geeignete Rechtsschutzmöglichkeiten zu ergreifen. Insgesamt wird aus der pauschalen Verweisung auf ausländisches Recht nicht hinreichend konkret erkennbar, in welchem Umfang verwiesen wird und welche Regelungen schließlich Anwendung finden.
263) Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 177.845,48 € §§ 812 Abs. I S. 1 Alt. 1, 818 Abs. 2 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB.
27a) Die Beklagte hat in Höhe der vom Kläger auf das von ihm bei der Beklagten angelegte Konto eingezahlten Spieleinsätze in Höhe von 177.845,48 € einen vermögenswerten Vorteil erlangt. Die Höhe der erbrachten Einzelzahlungen ergibt sich aus der vom Kläger vorgelegten Tabelle, welche einen Ausdruck aus seinem Spielerkonto bei der Beklagten darstellt. Der Kläger hat dadurch substantiiert dargelegt, welche Ein- und Ausgänge mit seiner Kundennummer getätigt wurden. Die Beklagte ist dem schlüssigen Vortrag nicht hinreichend substantiiert entgegengetreten, obwohl sie als Betreiberin des Online-Casinos und damit Empfängerin der Leistung Kenntnis über die Zahlungsvorgänge hatte und letztlich sich die Beträge auch aus ihren eigenen, dem Kläger vorgelegten Belegen ergeben.
28b) Die Leistung des Klägers an die Beklagte erfolgte ohne Rechtsgrund, da der zwischen den Parteien bestehende Spielvertrag wegen eines Verstoßes gegen § 4 Abs. 4 GlückStV NRW in der zum Zeitpunkt der Teilnahme des Klägers an den Online-Casinospielen der Beklagten geltenden Fassung und gemäß § 134 BGB nichtig war. Das BundesverwaItungsgericht hat die Norm auch als mit Unions- und Verfassungsrecht vereinbar beurteilt (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.10.2017 - 8 C 18/16, NVwZ 2018, 895). Dem ist auch das Oberlandesgericht Köln gefolgt (OLG Köln Urt. v. 10.5.2019 - 6 U 196/18, BeckRS 2019, 24908). Ein etwaiger Eingriff in die DienstIeistungsfreiheit aus Art. 56 AEUV ist gerechtfertigt. Die Entscheidungsprärogative des nationalen Gesetzgebers, die Gesundheit und das Vermögen des Einzelnen zu schützen, hat sich in ausgewogener Weise in Form des Verbots konkretisiert. Indem die Beklagte trotz des Verbotes dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt hat, an dem Online-Glücksspiel teilzunehmen, hat sie gegen § 4 Abs. 4, Abs. 1 GlüStV verstoßen.
29c) Der Bereicherungsanspruch scheitert nicht an § 817 S. 2 BGB. Nach § 817 S. 2 BGB ist eine Rückforderung ausgeschlossen, wenn dem Leistenden gleichfalls ein Gesetzes- oder Sittenverstoß zur Last fällt.
30Voraussetzung ist zunächst, dass auch dem Leistenden objektiv ein Gesetzes- oder Sittenverstoß im Sinne des § 134 BGB anzulasten ist, wobei die Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit im Zeitpunkt der Leistung gegeben sein muss (Sprau in Palandt, BGB, § 817 Rn. 16). Diese Voraussetzung ist erfüllt, denn der Kläger hat mit der Teilnahme am Angebot der Beklagten gegen § 285 StGB verstoßen. § 285 StGB ist ein gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB (BeckOGK/Vossler, a.a.O., BGB § 134, Rn. 219).
31Der Beklagte konnte jedoch einen vorsätzliche verbots- und sittenwidrige Handlung des Klägers nicht darlegen und unter Beweis stellen. Subjektiv ist erforderlich, dass der Leistende positive Kenntnis von dem Gesetzesverstoß hat (Sprau in Palandt, BGB, 2021, § 817 Rn. 8, 17). Bloßes Kennenmüssen des Verbotes und selbst grob fahrlässiges Handeln gegen ein gesetzliches Verbot genügen nicht (Sprau in Palandt, BGB, § 817 Rn. 8). Wer allerdings leichtfertig vor dem Verbotensein seines Handelns die Augen verschließt, steht dem bewusst Handelnden gleich, wobei ein Bewusstsein der bzw. leichtfertiges Verschließen vor der Folge der Vertragsnichtigkeit nicht notwendig ist (BGH NJW 89, 3217; OLG Stuttgart NJW 2008, 3071). Die Beweislast trägt der Bereicherte (Sprau in Palandt, BGB, § 817 Rn. 24). Die Beklagte weist auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen hin, die über ihre Website abrufbar sind. Aus der Tatsache, dass der Kläger die Internetseite der Beklagte über Jahre nutzte, ist nicht zu schließen, dass er die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten auch zur Kenntnis genommen hat. Privatpersonen lesen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen ihres Vertragspartners in der Regel nicht oder nur flüchtig. Dieses Umstandes ist sich auch der Gesetzgeber bewusst, wie die Existenz des § 305c BGB, wonach ungewöhnliche Klauseln nicht Vertragsbestandteil werden, verdeutlicht: § 305c Abs. 1 BGB beruht auf der Überlegung, dass der Kunde die Möglichkeit zur Kenntnisnahme der AGB, die ihm gemäß § 305 Abs. 2 BGB verschafft werden muss, oft nicht nutzt, etwa weil er das Klauselwerk als Ganzes ungelesen akzeptiert (vgl. BT-Drs. 7/3919, 19; Basedow in MüKo BGB, § 305c Rn. 1). Auch kann allein die Existenz dieser Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht zu der Annahme führen, dass der Kläger die Augen leichtfertig vor der Illegalität des Online-Glücksspiels verschlossen hat, weil sich Anbieter sonst allzu leicht der Rückforderung des rechtsgrundlos Geleisteten verwahren könnten. Dies würde wiederum zu dem rechtspolitisch unerwünschten Effekt führen, dass ein ökonomischer Anreiz zur Perpetuierung des zu diesem Zeitpunkt noch illegalen Geschäftsmodells geschaffen würde (Landgericht Mainz, Urteil vom 02.07.2021- 9 O 65/20).
32Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass auch den allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht ohne weiteres ein Verbot für das Heimatland des Kläger zu entnehmen ist, sondern es weitere Nachforschungen erforderlich macht. Der Beklagten als Betreiberin auch im Gegensatz zum Nutzer ist jedoch bekannt, in welchen Bundesländern das Online-Glücksspiel zugelassen ist, auch wenn es ich nach ihrer Ansicht um europarechtswidrige Normen handelt. Der Beklagten hätte es freigestanden, alles in ihrer Sphäre mögliche zu tun, um eine Teilnahme des nicht in Schleswig-Holstein ansässigen Nutzers zu verhindern. Bespielhaft lässt sich hier die Möglichkeit anführen, dass Nutzer innerhalb von Deutschland vor Nutzung des Online-Casinos anhaken müssen, dass sie aus Schleswig-Holstein teilnehmen oder die Beklagte hätte infolge der hinterlegten Wohnortdaten eine automatische Sperrung veranlassen können.
33Die Beklagte führt weiter an, dass das Verbot von Online-Glücksspielen in den Medien und auch in sozialen Netzwerken vermehrt diskutiert wurde. Für die Frage der subjektiven Voraussetzungen des § 817 S. 2 BGB in der Person des Klägers liegen jedoch keine Anhaltspunkte vor, dass er Kenntnis von einer entsprechenden Diskussion über diese Problematik bekommen hat. Nach Ansicht der Kammer kann nicht unterstellt werden, dass der Kläger angesichts der undurchsichtigen Rechtslage zu dem Thema ohne Weiteres durch eigene Recherche hätte herausfinden können, dass das Angebot nicht erlaubt ist. Vielmehr vermittelte die Beklagte durch ihren Internetauftritt den Eindruck der Legalität. Der Kläger konnte sich ohne Weiteres unter Angabe seines Wohnortes zum Glücksspiel anmelden. Die Beklagte bewarb ihr Angebot auf einer in Deutsch verfassten Internetseite unter Angabe einer Lizensierung in anderen Staaten. Auch trägt die Beklagte selbst vor, dass die Rechtslage kompliziert sei und zwischen den verschiedenen Spielvarianten unterschieden werden müsse. Dies mag es dem Kläger womöglich erschwert haben, die Illegalität von Online-Glücksspielen zu erkennen. Der BGH stellte im Rahmen der Beurteilung eines leichtfertigen Verschließens darauf ab, ob die Rechtslage eindeutig ist (BGH NJW-RR 06, 1071). Im vorliegenden Fall mag die Illegalität des Online-Glücksspiels für einen Laien mitunter schwer zu erkennen sein, sie ist dennoch rechtlich eindeutig. Allerdings sollte an dieser Stelle beachtet werden, dass Glücksspiele in Spielbanken erlaubt sind. Dass der Gesetzgeber im Online-Glücksspiel besondere Gefahren erkennt aufgrund des ständigen Zugangs, einer fehlenden sozialen Kontrolle und der Anonymität des Internets, ist eine rechtspolitische Wertung, die für den Laien nicht offenkundig sein muss. Nach Ansicht der Kammer spricht auch der Umstand, dass der Kläger über viele Jahre an dem Online-Glücksspiel teilnehmen konnte, eher dafür, dass er von dessen Legalität ausgehen durfte, da davon auszugehen ist, dass ein Verbot über die Jahre umgesetzt worden wäre.
34Die Frage der Kenntnis des Klägers von der Illegalität des Online-Glückspiels kann im Ergebnis jedoch dahinstehen, da nach Auffassung der Kammer der Schutzzweck der Nichtigkeitssanktion des § 134 BGB in Verbindung mit der Verbotsnorm des § 4 Abs. 4 GlückStV gegen die Anwendbarkeit der Kondiktionssperre des § 817 S. 2 BGB spricht. Sinn und Zweck des § 817 S. 2 BGB ist es, dass derjenige, der sich selbst außerhalb der Rechtsordnung bewegt, hierfür keinen Schutz erhalten soll (BGH NZG 17, 576). Dieser Schutzzweck kann im Einzelfall mit den Steuerungszielen kollidieren, die das gesetzliche Verbot verfolgt (Schwab in MüKO BGB, § 817 Rn. 22). Ziel des Glücksspielstaatsvertrages und konkret des § 4 Abs. 4 GlüStV ist mitunter der Schutz des Spielers vor suchtfördernden, ruinösen oder betrügerischen Erscheinungsformen des Glücksspiels (vgl. vgl. Erläuterungen zum GlüStV, Stand: 07.12.2011, 5; Heintz/Scholer, VuR 2020, 323). Die Gefährdung des Spielers besteht fort, solange diese Angebote für ihn verfügbar sind. Ein Ausschluss der Rückforderung, wie ihn § 817 S.2 BGB eigentlich vorschreibt, würde die Anbieter von Online-Glücksspielen zum Weitermachen geradezu ermutigen, denn sie könnten die erlangten Gelder – ungeachtet der zum streitgegenständlichen Zeitpunkt herrschenden Illegalität ihres Geschäftsmodells und somit der Nichtigkeit des Vertrages – behalten ( LG Mainz aaO,; zum Schneeballsystemen BGH NJW 2009, 984; BGH NJW-RR 2009, 345; BGH JuS 2006, 265; LG Coburg, Urt. v. 1.6.2021, 23 O 416/20; LG Meinigen, Urt. v. 26.1.2021, 2 O 616/20; LG Gießen, Urt. v. 21.1.2021, 4 O 84/20).
35Aus diesem Gesichtspunkt ist auch eine Rückforderung nicht nach § 242 BGB ausgeschlossen.
36Auch nach § 762 Abs. 1 S. 2 BGB ist die Rückforderung nicht ausgeschlossen. Es liegt zwar ein Glücksspiel vor. Die Norm greift aber nur, wenn ein wirksamer Vertrag vorliegt. Ist der Vertrag nichtig, bleibt es bei den allgemeinen Regeln (vgl. BeckOK BGB/Janoschek, 58. Ed. 1.5.2021 R.n. 18, BGB § 762 Rn. 18).
37Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 291 BGB.
38II.
39Die prozessuale Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1 S. 1, 709 ZPO.
40III.
41Streitwert: 177.845,48 €
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Referenzen
- BGB § 307 Inhaltskontrolle 1x
- ZPO § 709 Vorläufige Vollstreckbarkeit gegen Sicherheitsleistung 1x
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- §§ 305 ff. BGB 1x (nicht zugeordnet)
- § 4 Abs. 4 GlückStV 2x (nicht zugeordnet)
- BGB § 134 Gesetzliches Verbot 4x
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- BGB § 305 Einbeziehung Allgemeiner Geschäftsbedingungen in den Vertrag 1x
- § 4 Abs. 4 GlüStV 1x (nicht zugeordnet)
- I ZR 40/11 1x (nicht zugeordnet)
- 8 C 18/16 1x (nicht zugeordnet)
- 2 O 616/20 1x (nicht zugeordnet)
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