Urteil vom Landgericht Essen - 5 O 284/18
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 22.165,25 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.01.2019 zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW B, FIN: … .
Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ … des Fahrzeugs PKW B, FIN …, eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfungssituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenig Stickoxyde (NOx) entstehen und Stickoxid-Emissionswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOx-Ausstoß führt.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. genannten PKW im Annahmeverzug befindet.
Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 Euro freizustellen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin zu 30 % und der Beklagten zu 70 % auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
1
Tatbestand:
2Frau C erwarb am 10.04.2012 von der Beklagten ein Fahrzeug der Marke B … kW (… PS) mit der Fahrzeugidentifikationsnummer … zu einem Kaufpreis von 31.826,35 Euro. Das Fahrzeug wurde im Mai 2012 ausgeliefert. Unter dem 20.05.2019 – dem Termin zur mündlichen Verhandlung – wies das Fahrzeug einen Kilometerstand von insgesamt 91.067 km auf.
3Das mit dem Motortyp … ausgestattete Fahrzeug wurde in die EURO 5 Norm eingestuft.
4Hersteller von Fahrzeugen müssen nachweisen, dass die von ihnen produzierten (Neu-)Fahrzeuge über eine sogenannte Typengenehmigung verfügen. Zur Erlangung dieser Typengenehmigung müssen die Fahrzeuge bestimmte Emissionsgrenzwerte einhalten. Die hierfür maßgeblichen Abgaswerte werden in einem gesetzlich vorgegebenen Testlauf gemessen, der aus fünf synthetischen Fahrkurven besteht (sogenannter: Neuer Europäischer Fahrzyklus – „NEFZ“).
5Das AGR-System des streitgegenständlichen Fahrzeugs erkannte, wenn dieses den NEFZ durchfuhr. Weiter kannte die Software zwei unterschiedliche Betriebsmodi, die die Abgasrückführung steuern. Im Abgasrückführungs-Modus 1, der im NEFZ aktiv war, kam es zu einer höheren Abgasrückführungsrate. Unter Fahrbedingungen, die im normalen Straßenverkehr vorzufinden sind, reduzierte die Software den Umfang der Abgasrückführung dauerhaft auf ein geringeres Maß (Abgasrückführungs-Modus 0).
6Nach dem Bekanntwerden der vorgenannten Motorsteuerungssoftware ordnete das Kraftfahrt-Bundesamt („KBA“) mit Bescheid vom 15.10.2015 gegenüber der Beklagten den Rückruf der betroffenen Fahrzeuge an. Die Beklagte entwickelte in der Folge ein Softwareupdate, nach welchem die betroffenen Fahrzeuge nur noch in einem adaptierten Modus 1 werden sollen.
7Mit Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten wandte sich die Klägerin unter dem 04.12.2018 (Anlage K2; Anlagenband „Anlagen zur Klageschrift“) an die Beklagte und erklärte die Anfechtung des sowie den Rücktritt vom Kaufvertrag. Weiter ließ die Klägerin ausführen: „Das streitgegenständliche Fahrzeug steht ab sofort zur Abholung unter o.a. Adresse unserer Mandantschaft bereit. Wir bitten innerhalb der vorgenannten Frist mitzuteilen, wann Sie das Fahrzeug abholen möchten.“
8Die Klägerin behauptet, dass das streitgegenständliche Fahrzeug vom „W-Abgasskandal“ betroffen und bereits bei Übergabe an die Klägerin manipuliert gewesen sei. Weltweit seien die Messdaten bei elf Millionen Fahrzeugen manipuliert worden. Allein in Deutschland seien ca. 2,4 Millionen Fahrzeuge betroffen.
9Hochrangige Führungspersönlichkeiten der Beklagten – darunter deren ehemaliger Vorstand – hätten von der Manipulation gewusst, diese angewiesen und gebilligt. Die Beklagte treffe insoweit eine sekundäre Darlegungslast, der sie bewusst nicht nachkomme. Konkret habe die Beklagte in der Motorsteuerung des Fahrzeugs eine illegale Abschalteinrichtung verwendet, um die geltenden Abgasnormen zu umgehen. Es hätte aufgrund massiv erhöhter Emissionen nicht in die Euro-5-Abgasnorm eingestuft werden dürfen. Die Einstufung habe nur durch den Einsatz der unerlaubten Abschalteinrichtung erfolgen können. Die betroffenen Fahrzeuge seien weder zulassungsfähig gewesen, noch seien sie es heute. Das KBA habe lediglich eine Ausnahme von dem Entzug der Zulassung gemacht, weil es andernfalls wahrscheinlich zu einem Aufstand von 2,5 Millionen Kunden gekommen wäre. Die Klägerin müsse damit rechnen, dass trotz einer Genehmigung des KBA die Fahrzeugzulassung noch entzogen werde. Derzeit würden entsprechende Klagen gegen das KBA vor dem Verwaltungsgericht H anhängig sein.
10Die illegale Abschaltsoftware sei eingebaut worden, um die Herstellungskosten der Fahrzeuge nicht zu hoch werden zu lassen. Der Einbau sei auf Profitgier begründet.
11Die Rückrufaktion stelle kein Angebot zur Nachbesserung im kaufrechtliche Sinne, sondern die Wiedergabe einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung dar. Experten gingen davon aus, dass eine folgenlose Nachbesserung nicht möglich sein werde, da nach dem Eingriff erhebliche Veränderungen am Fahrzeug bestehen würden. Konkret bringe der Eingriff einen höheren Kraftstoffverbrauch von ca. 10 % sowie eine reduzierte Leistung mit sich. Weiter komme es zu einem höheren Partikelausstoß und einer Verkürzung der Lebenszeit des Motors. So müsse beispielsweise der Rußpartikelfilter aufgrund der schnelleren Verschmutzung früher und öfter als eigentlich vorgesehen, gewechselt werden. Nur dafür würden der Klägerin nicht vorgesehene und nicht einkalkulierte zusätzliche Kosten von ca. 3.000,00 Euro bis 4.000,00 Euro entstehen. Rein physikalisch sei eine folgenlose Nachbesserung des Motors ausgeschlossen.
12Zudem sei das Fahrzeug immer mit einem Makel behaftet. Das Fahrzeug weise einen merkantilen Minderwert von mindestens 10 % auf, der sich auch durch eine technisch einwandfreie Nachbesserung nicht beseitigen ließe. Das Fahrzeug der Klägerin sei nahezu unverkäuflich.
13Mit Klageantrag zu Ziff. 1) begehrte die Klägerin von der Beklagten die Rückzahlung des Kaufpreises, wobei sie bereit sei, sich eine Nutzungsentschädigung anrechnen zu lassen. Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug sei eine Laufleistung von mindestens 400.000 Kilometern angemessen. Der Antrag sei als unbezifferter Klageantrag gemäß § 253 ZPO zulässig. So sei auch ein unbezifferter Schmerzensgeldanspruch schon lange anerkannt. Mit Klageantrag zu Ziff. 3) begehre die Klägerin die Feststellung von Annahmeverzug der Beklagten. Dieser folge daraus, dass die Beklagte sämtliche Ansprüche der Klägerseite zurückgewiesen habe.
14Soweit der (Nach-)Name der Klägerin nicht in der als Anlage K1 vorgelegten Verbindlichen B1 Bestellung genannt werde, liege dies daran, dass „C“ der Mädchenname zu der Klägerin sei.
15Die Klägerin ist der Auffassung, dass sie ihre klageweise geltend gemachten Ansprüche nicht nur auf gewährleistungsrechtliche, sondern auch auf deliktsrechtliche Ansprüche stützen könne.
16Ein Feststellungsinteresse für Klageantrag zu 2) folge daraus, dass noch nicht alle Schäden bezifferbar seien. Es sei zu befürchten, dass das KBA in Zukunft noch reagieren und das streitgegenständliche Fahrzeug stilllegen werde. Überdies gehe derjenige, der mit dem betroffenen Fahrzeug fahre, das Risiko ein, Dritte an der Gesundheit zu schädigen und sich tatbestandlich der Körperverletzung strafbar zu machen. Insoweit drohe auch eine Haftung nach § 7 StVG. Ein Dritter könne auf die Idee kommen, den Kläger auf dieser Grundlage in Haftung zu nehmen. Auch könne es auf versicherungsrechtlicher Seite zu Problemen kommen. Insbesondere drohe ein Versicherungsverlust. Schließlich sei die Klägerin möglichen (Kraftfahrzeug-)Steuernachforderungen ausgesetzt.
17Ursprünglich hat die Klägerin beantragt, wie folgt zu erkennen:
181.) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 31.826,35 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW B, FIN: … und Zug-um-Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des vorgenannten PKW.
192.) Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu leisten für darüber hinausgehende Schäden, die aus der Manipulation des in Klageantrag Ziff. 1 genannten Fahrzeugs durch die Beklagtenpartei resultieren.
203.) Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. Genannten PKW im Annahmeverzug befindet.
214.) Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten freizustellen.
22Mit Schriftsatz vom 26.04.2019 hat die Klägerin Klageantrag zu 4.) geändert und beantragt nunmehr, wie folgt zu erkennen:
231.) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 31.826,35 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW B, FIN: … und Zug-um-Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des vorgenannten PKW.
242.) Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu leisten für darüber hinausgehende Schäden, die aus der Manipulation des in Klageantrag Ziff. 1 genannten Fahrzeugs durch die Beklagtenpartei resultieren.
253.) Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. Genannten PKW im Annahmeverzug befindet.
264.) Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.256,24 Euro freizustellen.
27Im Termin zur mündlichen Verhandlung – unter dem 20.05.2019 – hat die Klägerin ihre Anträge erneut angepasst. Nunmehr beantragt sie, wie folgt zu erkennen:
281.) Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 31.826,35 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW B, FIN: … und Zug-um-Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des vorgenannten PKW.
29Hilfsweise:
30Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 31.826,35 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, Zug-um-Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW B, FIN: … und Zug-um-Zug gegen Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die Nutzung des vorgenannten PKW in Höhe von 5.796,66 Euro.
312.) Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klägerpartei Schadensersatz zu leisten für Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ … des Fahrzeugs PKW B, FIN …, eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfungssituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenig Stickoxyde (NOx) entstehen und Stickoxid-Emissionswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, so dass es zu einem höheren NOx-Ausstoß führt.
323.) Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des im Klageantrag Ziffer 1. genannten PKW im Annahmeverzug befindet.
334.) Die Beklagte wird verurteilt, die Klagepartei von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten der Klagepartei entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.256,24 Euro freizustellen.
34Die Beklagte beantragt,
35die Klage abzuweisen.
36Die Beklagte bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin. Der Aktivlegitimation der Klägerin stehe entgegen, dass nicht diese, sondern eine gewisse C in der als Anlage K1 vorgelegten Verbindlichen B1 Bestellung genannt werde.
37Weiter rügt die Beklagte die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts.
38Die Beklagte behauptet, das Fahrzeug verfüge nicht über eine unzulässige Abschaltvorrichtung. Eine Abschalteinrichtung setze voraus, dass im Laufe des realen Fahrzeugbetriebs die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems reduziert werde. Dies sei vorliegend nicht der Fall. Denn zum einen sei das durch die streitgegenständliche Software gesteuerte Abgasrückführungssystem nicht Bestandteil des Emissionskontrollsystems und zum anderen wirke die Software nicht im realen Fahrbetrieb auf das Emissionskontrollsystem ein.
39Die Emissionswerte, die im Rahmen des Typengenehmigungsverfahrens gemessen würden seien stets Laborwerte. Es komme naturgemäß zu Abweichungen zwischen den Emissionswerten im synthetischen Fahrzyklus unter Laborbedingungen und den Emissionswerten im normalen Straßenbetrieb. Dafür habe sich der Gesetzgeber jedoch bewusst entschieden.
40Das Fahrzeug sei technisch sicher und sei mit keinerlei Gefahren für die Klägerin oder Dritte verbunden. Das Fahrzeug verfüge über eine wirksame EG-Typengenehmigung für die Emissionsklasse EU5. Diese sei auch unverändert wirksam. Der Bescheid des KBA aus Oktober 2015 entfalte für den hiesigen Rechtsstreit keine Bindungswirkung.
41Ohnehin werde die technische Überarbeitung des Fahrzeugs angeboten. Daraus könne jedoch nicht geschlossen werden, dass Fahrzeuge mit dem Dieselmotor … EU5 ohne die technische Überarbeitung mangelhaft seien. Die Bereitschaft der zur technischen Überarbeitung beruhe vor allem auf unternehmenspolitischer Verantwortung, die gegenüber den Kunden wahrgenommen werden solle. Die Kosten für die technische Überarbeitung der betroffenen Fahrzeuge seien gering und stünden in keinem Verhältnis zum Kaufpreis.
42Das Software-Update führe dazu, dass das Fahrzeug durchgehend nur noch in einem adaptierten Modus 1 betrieben werde. Zudem werde die Einspritzcharakteristik optimiert. Dabei greife die technische Maßnahme die Erkenntnisse aus der Weiterentwicklung des Diesel-Brennverfahrens der letzten zehn Jahre auf und berücksichtige ferner die Felderfahrung über die einzelnen Komponenten, zum Beispiel hinsichtlich der jeweiligen Dauerhaltbarkeit. Insbesondere werde der komplette Gemischbildungsprozess bzw. dessen Prozessparameter, wie die Einspritzstrategie, der Raildruck, der Einspritzzeitpunkt und der Aufladegrad optimiert, um mit einer angepassten Abgasrückführungsrate die Emissionen und den Verbrauch nicht zu verschlechtern. Im Einzelnen sei die Einspritzcharakteristik unteranderem durch eine zusätzliche Nacheinspritzung erweitert worden. Hinzu komme eine Erhöhung des Einspritzdruckes um circa zehn Prozent im Teillastbereich.
43Das Update ziehe keine negativen Auswirkungen nach sich, insbesondere nicht mit Blick auf die Motorleistung, den Kraftstoffverbrauch, die CO2-Emissionen und den Verschleiß des Fahrzeugs. Auf fänden sich insoweit keine belastbaren Anhaltspunkte.
44Der Klägerin sei weder durch die Verwendung der Umschaltlogik noch durch die technische Überarbeitung des Fahrzeugs ein Schaden entstanden. Eine Wertminderung des Fahrzeuges läge nicht vor. Die Verkaufswerte der Fahrzeuge mit dem Motor des Typs … seien seit Bekanntwerden des Umstandes, dass die Fahrzeuge über eine Umschaltlogik verfügen und technisch überarbeitet würde, über knapp zwei Jahre stabil geblieben. Auch die Entwicklung der Restwerte der Fahrzeuge mit Motoren des Typs … im Vergleich zu anderen Diesel-Fahrzeugen lasse nicht erkennen, dass das Vorhandensein der Umschaltlogik bzw. die Überarbeitung der betroffenen Fahrzeuge sich wertmindernd auswirke.
45Aus dem Sachverhalt sei keine sittenwidrige Handlung zu erkennen. Es fehle auch an Vorsatz der Beklagten. Die Beklagte kläre die genaue Entstehung der in den …-Motoren zum Einsatz gekommenen Software, welche die NOx-Werte auf dem Prüfstand optimiere, derzeit auf. Die Untersuchungen würden andauern. Nach derzeitigem Ermittlungsstand lägen demgegenüber keine Erkenntnisse dafür vor, dass einzelne Vorstandsmitglieder an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen seien, diese in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten.
46Einer Anspruchsberechtigung der Klägerin stehe entgegen, dass diese den Vorrang der Nacherfüllung missachtet habe. Sie hätte der Beklagten eine großzügig bemessene Nachfrist setzen müssen. Die Nachfristsetzung sei auch nicht entbehrlich gewesen.
47Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Klage weitgehend unzulässig sei. Klageantrag zu Ziff. 1) sei deshalb unzulässig, weil ein Antrag, der auf Zahlung einer „noch darzulegenden Nutzungsentschädigung“ gerichtet sei, zu unbestimmt sei. Der Zulässigkeit von Klageantrag zu Ziff. 2) stehe die fehlende Existenz eines feststellungsfähigen Rechtsverhältnisses entgegen. Auch habe die Klägerin die Möglichkeit des Eintritts irgendeines Schadens nicht substantiiert dargelegt.
48Selbst wenn das Gericht dies anders sehen sollte und einen Anspruch der Klägerin in der Sache annehmen wollte, müsse sich die Klägerin die gezogenen Nutzungen des Fahrzeugs anrechnen lassen, wobei dabei eine zu erwartende Gesamtlaufleistung von 200.000 Kilometern bis 250.000 Kilometern zugrunde zu legen sei.
49Die Beklagte erklärt die Aufrechnung mit einem behaupteten Gegenforderung in Höhe von 9.661,10 Euro. Insoweit handele es sich um die Nutzungsentschädigung, welche sich bei einer angenommenen Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 300.000 km errechne.
50Hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sei weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Kläger mit einer derartigen Verbindlichkeit belastet worden sei. Die Klage sei insoweit unschlüssig.
51Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.
52Entscheidungsgründe:
53Die Klage ist überwiegend zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
54I. Die Klage ist überwiegend zulässig.
551. Das Landgericht Essen ist gemäß § 29 Abs. 1 ZPO örtlich zuständig. Bei der Rückabwicklung eines Autokaufvertrages, welche vorliegend geltend gemacht wird, ist im Rahmen des § 29 Abs. 1 ZPO ein einheitlicher Gerichtsstand des Erfüllungsortes dort anzunehmen, wo sich das gekaufte Fahrzeug im Zeitpunkt der Rückabwicklung vertragsgemäß befindet (OLG Hamm, Urteil vom 20.10.2015, 28 U 91/15, Rz. 25, juris). Dies ist vorliegend F als der Ort, an welchem die Klägerin im Zeitpunkt ihrer Rücktrittserklärung vom 04.12.2018 (Anlage K2) wohnhaft war.
56Weiter ist zu berücksichtigen, dass der Vertragsgerichtsstand auch für konkurrierende deliktische Ansprüche gilt (Schultzky, in: Zöller, 32. Aufl. 2018, § 32 ZPO, Rn. 3).
572. Zu unbestimmt und damit unzulässig ist jedoch Klageantrag zu 1) in Form des Hauptantrages. Aus der Formulierung „von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung“ lässt sich nicht entnehmen, wie hoch die in Abzug zu bringende Nutzungsentschädigung sein soll, was jedoch zwingend erforderlich ist, um dem Bestimmtheitsgebot des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu genügen.
58Aus diesem Grund war über Klageantrag zu 1) in der Sache lediglich in der Fassung des Hilfsantrags zu entscheiden.
593. Klageantrag zu 2) ist in seiner zuletzt gestellten Fassung zulässig. Insbesondere ist ein Feststellungsinteresse der Klägerin gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zu bejahen. Gemäß § 256 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn der Kläger ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt wird. Dies ist in der Regel dann anzunehmen, wenn dem Recht des Klägers eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit droht und das Feststellungsurteil geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (LG Krefeld, Urteil vom 04.10.2017, 2 O 19/17, Rz. 27, juris). Da die Beklagte Ansprüche der Klägerin zurückweist, besteht die Gefahr, dass die Rechte der Klägerin z.B. durch Eintritt der Verjährung vereitelt werden.
60Das Feststellungsinteresse fehlt auch nicht wegen Vorrangs der Leistungsklage. Grundsätzlich ist ein Gläubiger gehalten, bei Möglichkeit seinen Anspruch zu beziffern und im Wege der Leistungsklage vorrangig geltend zu machen. Dies gilt dann aber nicht, wenn er seine Klage in eine Leistungs- und in eine Feststellungsklage aufspalten müsste. Befindet sich der anspruchsbegründende Sachverhalt zur Zeit der Klageerhebung noch in der Fortentwicklung, so ist eine Feststellungsklage insgesamt zulässig, auch wenn der Anspruch bereits teilweise beziffert werden könnte (Greger, in: Zöller, 32. Aufl. 2018, § 256 ZPO, Rn. 7a). Eine allgemeine Subsidiarität der Feststellungsklage besteht nicht. Auch wenn entsprechend dem Vortrag der Beklagten eine Bezifferung entstandener Schäden zum Zeitpunkt der Klageerhebung möglich gewesen sein dürfte, erscheinen weitere Schäden, die derzeit noch nicht bezifferbar sind, hinreichend wahrscheinlich. Die Klägerin beruft sich diesbezüglich explizit auf etwaige Steuerschäden, den Verlust von Versicherungsschutz und Folgekosten aufgrund einer denkbaren Stillegungsverfügung des KBA. Auch ist an dieser Stelle zu berücksichtigen, dass die Rückabwicklung des Vertrages, wäre sie bereits beantragt, nicht abgeschlossen wäre und auch aus diesem Grunde weitere Schadenspositionen, je nach Ablauf der Rückabwicklung und Dauer bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung denkbar wären. All dies rechtfertigt die Annahme von Feststellungsinteresse der Klägerin. (i.E. ebenso: LG Krefeld a.a.O.; LG Hamburg, Urteil vom 13.04.2018, 308 O 507/16, Rz. 45, juris).
614. Schließlich ist die Klage auch in Bezug auf Klageantrag zu 3) zulässig. Da eine Zug-um-Zug Leistung begehrt wird, ist der Annahmeverzug, welcher Gegenstand von Klageantrag zu 3) ist, aufgrund der Wirkungen der §§ 756, 765 ZPO ausnahmsweise als Rechtsverhältnis feststellungsfähig im Sinne des § 256 ZPO (vgl. hierzu: Greger, in: Zöller, ZPO, 32. Auflage 2018, § 256, Rn. 5 m.w.N.). Das Feststellungsinteresse gemäß § 256 ZPO ist aus gleichem Grund gegeben.
62II. In der Sache hat die Klage im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg.
631. Der Klägerin steht gegen die Beklagte ein aus § 826 BGB (i.V.m. § 31 BGB) folgender Schadensersatzanspruch in Höhe von 22.165,25 Euro zu.
64Die Klägerin ist aktivlegitimiert. Soweit die Beklagte dem entgegenhält, dass in der Auftragsbestätigung nicht der Name der Klägerin – „T“ – sondern eine Frau „C“ aufgeführt sei trifft dies zwar zu, doch hat die Klägerin insoweit erwidert, dass sie geheiratet und den Namen T angenommen habe. Dem ist die Beklagte nicht nur nicht entgegengetreten, vielmehr deckt sich dies auch mit der vorgerichtlichen Korrespondent. So ließ die Klägerin bereits im vorgerichtlichen Schreiben vom 04.12.2018 ausführen, dass sie „Frau T, geb. C“ sei. Vor diesem Hintergrund steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass Frau C und Frau T personenidentisch sind und es sich dabei um die Klägerin handelt.
65a. Durch die Konzeption des Motors … ohne Offenlegung der eingebauten Software zum Modiwechsel im Prüfstand – so auch der Motor im streitgegenständlichen Fahrzeug – hat die Beklagte der Klägerin in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Art und Weise vorsätzlich Schaden zugefügt (i.E. so auch: LG Paderborn, Urteil vom 07.04.2017, Az.: 2 O 118/16; LG Saarbrücken, Urteil vom 14.06.2017, Az.: 12 O 104/16; LG Heilbronn, Urteil vom 14.03.2018, 6 O 320/17; jeweils juris).
66(1) Die Hinzufügung eines Schadens bedeutet jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage des Geschädigten (Sprau, in: Palandt, 77. Aufl. 2018, § 826, Rn. 3 m.w.N.). Dabei schützt § 826 BGB jedoch nicht nur das Vermögen an sich, sondern setzt bereits bei der Beschränkung der Dispositionsfreiheit des Geschädigten an, so dass der Schaden auch in der Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung bestehen kann (BGH, Urteil vom 28.10.2014, VI ZR 15/14, Rz. 19, juris). Mithin kann selbst bei objektiver Werthaltigkeit der Leistung des Schädigers ein Schadensersatzanspruch des Vertragspartners bestehen, wenn letzterer durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte, und so einer „ungewollten“ Verpflichtung ausgesetzt wurde (BGH, a.a.O.).
67Gemessen an diesem Maßstab ist vorliegend ein Schaden i.S.d. § 826 BGB zu bejahen. Durch die Konzeption des Motors … und der inkludierten streitgegenständlichen Software hat die Beklagte, wie auch von ihr beabsichtigt, bewirkt, dass die Endverbraucher Fahrzeuge mit dem eingebauten Motortyp erwerben, obwohl dieser in deren Unkenntnis die streitgegenständliche Software aufweist. Der Kaufgegenstand entspricht folglich nicht demjenigen, den ein Endverbraucher nach dem Kaufvertrag erwerben sollte.
68Denn auch ohne ausdrückliche Vereinbarung kann ein Käufer davon ausgehen, dass ein Fahrzeug die technischen Voraussetzungen für die Erteilung der jeweiligen EG-Typengenehmigung erfüllt, die vertragsgegenständlich war. Daran bestanden vorliegend erhebliche Zweifel.
69Diese Zweifel ergeben sich nicht nur der Rückrufanordnung durch das KBA. Vielmehr ergibt sich dies bereits aus der Existenz der Abschalteinrichtung selbst. Denn die Schaffung einer höheren Abgasrückführungsrate im Prüfmodus impliziert – davon muss bereits aus logischen Erwägungen ausgegangen werden – dass der Abgasausstoß unter Prüfbedingungen geringer ist und es somit leichter fällt, die für die Typengenehmigung vorgesehenen Grenzwerte einzuhalten. Dass die Grenzwerte auch im Normalbetrieb eingehalten worden wären, ist hinsichtlich des betriebenen Aufwandes durch Schaffung der beiden Modi substantiierungsbedürftig. Mit der Abgasrückführungsrate unter Laborbedingungen wurde somit ein vergleichsfähiger Marktwertfaktor manipuliert, der durchaus von Käuferinteresse sein kann. Der durchschnittliche Käufer darf erwarten, dass die auf dem Prüfstand getesteten Werte bis auf den Umstand der Laborumgebung keine verändernden Faktoren erfahren haben und aus diesem Grund keine Gefahr für die Genehmigungsfähigkeit begründet wurde (vgl. hierzu auch: LG Saarbrücken, Urteil vom 14.06.2017, Az.: 12 O 104/16). Dass eine solche Gefahr realisiert wurde, zeigt – wie ausgeführt – die unstreitige Reaktion des KBA aus Oktober 2015.
70Dass die Klägerin in Kenntnis der vorgenannten Umstände das Fahrzeug nicht, zumindest nicht zum vereinbarten Kaufpreis erworben hätte, liegt auf der Hand. Denn kein vernünftiger Käufer würde sich (bei unverändertem Kaufpreis) auch nur auf die bloße Möglichkeit eines Widerrufs der EG-Typengenehmigung einlassen und ein solches Fahrzeug erwerben, selbst wenn mit dem Fahrzeug in objektiver Hinsicht weder eine Wertminderung noch nachteilige Emissionswerte verbunden sind (ebenso: LG Heilbronn, Urteil vom 14.03.2018, 6 O 320/17, Rz. 19, juris). Eine „ungewollte“ Verpflichtung des Klägers durch Abschluss des Kaufvertrages kann danach bejaht werden.
71(2) Der dadurch eingetretene Schaden ist auch nicht durch die Bereitstellung des Softwareupdates bzw. dessen Durchführung zu beseitigen. Nach der technischen Darstellung der Beklagten selbst handelt es sich bei dem Softwareupdate um eine Maßnahme, die erheblich in die Betriebsweise des Motors eingreift. So werde nicht nur die Abgasrückführungsrate erhöht, sondern gleichzeitig durch Veränderung des Einspritzmomentes und –drucks der Verbrennungsprozess selbst modifiziert, um erwarteten Nachteilen zu begegnen. Nach den eigenen Ausführungen der Beklagten seien hierbei die Erkenntnisse aus der Weiterentwicklung des Diesel-Brennverfahrens der letzten zehn Jahre aufgegriffen worden. Der komplette Gemischbildungsprozess wie Einspritzstrategie, der Raildruck, der Einspritzzeitpunkt und der Aufladegrad seien angepasst worden, um die Emissionen und den Verbrauch mit der angepassten Abgasrückführungsrate nicht zu beeinträchtigen. Die Maßnahme stellt hiernach aus Sicht der Kammer eine Form von „aliud“ dar, das heißt, der vorhandene Mangel, welcher deliktsrechtlich nach obigen Ausführungen einen Schaden begründet, wird nicht beseitigt, vielmehr wird das Fahrzeug insgesamt verändert und stellt auch nach Durchführung des Updates nicht das vertraglich geschuldete Fahrzeug dar. Dieser Umstand der schuldrechtlichen Unmöglichkeit bewirkt im Deliktsrecht, dass dem Gläubiger eine Schadensminderung durch Durchführung des Updates nicht zugemutet werden kann.
72Selbst wenn man dies anders sehen wollte, wäre das Update aus Sicht der Kammer nicht geeignet, bei Durchführung den Schaden abzuwenden. Denn die Makelbehaftung des Fahrzeuges bliebe bestehen. Anders als bei einem einfachen schadhaften Bauteil, welches durch ein neues ausgetauscht werden kann, bedurfte es selbst nach dem Beklagtenvortrag der Nutzung des Wissens aus weiteren zehn Jahren Motorenentwicklung, um (so behauptet) trotz Einführung des adaptierten Modus im Fahrbetrieb keine Nachteile im Verbrauchsverhalten etc. zu erlangen. Ob diese technische Entwicklung unter dem vorhandenen Zeitdruck tatsächlich nachteilsfrei gelungen ist, ist hoch streitig. Da diese Diskussion auch in der Öffentlichkeit geführt wird, genügt dieser Umstand, um eine „Makelbehaftung“ des Fahrzeuges, ähnlich der eines Unfallfahrzeuges annehmen zu können. Denn entsprechend dieser Rechtsprechung genügt der bloße Verdacht, dass ein Unfallschaden nicht hinreichend und sachgerecht bzw. folgenfrei repariert wurde, um einen Minderwert des Fahrzeuges zu begründen. Es ist nicht erforderlich, dass die Realisierung einer schlechten Reparatur tatsächlich nachgewiesen wird. Der Charakter des Fahrzeuges als Unfallfahrzeug lässt sich nicht korrigieren (vgl. insgesamt: BGH, Urteil vom 10.10.2007, VIII ZR 330/06). Vergleichbar ist der Fall hier gelagert. Der in der Öffentlichkeit diskutierte Verdacht, dass die Fahrzeuge des streitgegenständlichen Motortyps nach Durchführung des Softwareupdates Nachteile z.B. hinsichtlich der Geräuschentwicklung, des Verschleißes von Teilen oder im Verbrauch aufweisen könnten genügt, um eine Makelbehaftung zu bejahen (so im Ergebnis auch: LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017, Az.: 3 O 139/16).
73(3) Da maßgeblicher Anknüpfungspunkt für eine Haftung der Beklagten der Motor … und die darin verbaute Umschaltlogik ist, kommt es nach Auffassung der Kammer nicht darauf an, ob die Beklagte das streitgegenständliche Fahrzeug im Übrigen gebaut hat bzw. welchen Einfluss sie auf den Bau des Fahrzeugs hat nehmen können.
74(4) Die schädigende Handlung ist der Beklagten, ebenso wie das erforderliche voluntative Element, auch gemäß § 31 BGB zuzurechnen. § 31 BGB gilt für alle juristischen Personen. Die Rechtsprechung legt den Begriff des verfassungsmäßig berufenen Vertreters weit aus. Ausreichend ist, dass ihm durch die allgemeinen Betriebsregelungen und Handhabungen bedeutsame wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind und er die juristische Person insoweit repräsentiert. Der personelle Begriff deckt sich insoweit mit dem arbeitsrechtlichen des leitenden Angestellten (vgl. hierzu: Ellenberger, in: Palandt, 77. Auflage 2018., § 31, Rn. 6 m.w.N.). Die Tatsache, dass der Motor … mit der modifizierenden Software millionenfach nach seiner Entwicklung in Verkehr gebracht wurde indiziert, dass sowohl die technische Entwicklung als auch die Inverkehrbringung durch Personen veranlasst worden sein muss, die die genannten Voraussetzungen einer eigenverantwortlich handelnden, repräsentierenden Person erfüllen. Bezüglich dieser Personen ist sodann auch das erforderliche voluntative Element der Schädigungsabsicht und des besonders verwerflichen Verhaltens (dazu unten) erfüllt. Substantiierter Gegenvortrag zu dieser Indizwirkung fehlt (vgl. LG Paderborn, unter Anwendung des § 138 Abs. 3 ZPO: Urteil vom 07.04.2017, 2 O 118/16; vgl. auch: LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017, 3 O 139/16 und LG Heilbronn, Urteil vom 14.03.2018, 6 O 320/17 zur sekundären Darlegungslast).
75Die Beklagte beruft sich darauf, dass die internen Ermittlungen nicht abgeschlossen seien. Aus diesem Umstand kann indes gefolgert werden, dass zumindest, sollte man sich dieser Wertung nicht anschließen, Organisationsmängel vorliegen, aufgrund derer die Beklagte sich so behandeln lassen muss, als ob anstelle von Verrichtungsgehilfen verfassungsmäßige Vertreter gehandelt hätten (vgl. hierzu: BGH, Urteil vom 08.07.1980, VI ZR 158/78). Denn eine juristische Person ist verpflichtet, den Gesamtbereich ihrer Tätigkeit so zu organisieren, dass für alle wichtigen Aufgabengebiete ein verfassungsmäßiger Vertreter zuständig ist, der die wesentlichen Entscheidungen selbst trifft (vgl. Ellenberger, in: Palandt, a.a.O.). Auch die Heranziehung dieser Rechtsprechung bewirkt, dass das voluntative Element, selbst, sollte es bei Personen ohne Leitungskompetenz verwirklicht sein, aufgrund Organisationsverschuldens zugerechnet werden müsste. Denn anderenfalls könnte sich die juristische Person durch bewusste Fehlorganisation einer besonders schwerwiegenden Haftung gemäß § 826 BGB entziehen, in anderen Fällen aber haftungsrechtlich belastet sein. Eine solche Differenzierung kann durch die Entwicklung der Rechtsprechung zum Organisationsverschulden nicht gewollt sein und ist auch nicht zu vertreten, da deren Sinn gerade ist, eine Haftungsentziehung durch mangelhafte Organisation zu verhindern. Hilfsweise wäre abzustellen auf eine in jedem Fall anzunehmende sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der inneren Organisation – diese kann der Klägerseite nicht zugänglich sein. Ihre Darlegung ist zumutbar (vgl. hierzu insgesamt: LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017, Az.: 3 O 139/16; a.A. wohl: OLG Stuttgart, Urteil vom 25.04.2017, Az.: 6 U 146/16). Sollte sie – entsprechend dem Beklagtenvortrag – nicht möglich sein, greifen die Ausführungen zu den Organisationsmängeln. Auch kann verwiesen werden auf die Rechtsprechung zur einer Pflicht zur ausreichenden Dokumentation und Informationsspeicherungspflicht (BGH, Urteil vom 02.02.1996, Az.: V ZR 239/94).
76(5) Das Verhalten der Entwicklung und Inverkehrbringung des streitgegenständlichen Motortyps stellt eine vorsätzliche Schädigung dar, welche zugleich in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Art und Weise erfolgt ist. Den handelnden Personen war aufgrund der oben genannten Indizwirkung bekannt, dass der in Verkehr gebrachte Motor bei Aufdeckung der Abschaltlogik Gefahr liefe, die EG-Typengenehmigung zu verlieren. Aufgrund der Vielzahl der in Verkehr gebrachten Produkte und der Vielzahl der betroffenen Endverbraucher verstößt die Handlung gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden (vgl. hierzu: Sprau, in Palandt, 77. Auflage 2018, § 826, Rn. 3 f.). Das Verhalten stellt sich als besonders verwerflich dar, da die Beklagte, ob aus Gewinnstreben, Wettbewerbsfähigkeit oder sonstigen unternehmerischen Erwägungen heraus ihre Interessen über die Interessen einer Vielzahl ihrer Endkunden gestellt hat und in Kauf genommen hat, dass diese in der oben aufgeführten Weise Schaden nehmen. Hilfsweise kommt hinzu, dass der Umweltaspekt aufgrund der Sensibilisierung der Verbraucher auch bereits zu dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht per se als allein öffentliches Interesse angesehen werden kann. Denn das öffentliche Interesse speist sich aus den Einzelinteressen der gesamten Bevölkerung. Die Verringerung des Ausstoßes von Stickstoffen ist u.a. in den streitgegenständlichen Zulassungsnormen geregelt. Indes kann hieraus nicht reduzierend geschlossen werden, dass ein allein umweltpolitisches Interesse verfolgt wird, welches das Verhalten dem Einzelnen gegenüber nicht als verwerflich anzusehen ist. Denn die genannten Normen erheben die Grenzwerte, um den Einzelnen in seinem Lebensumfeld zu schützen, wodurch die aufgestellten Werte Individualinteresse erlangen. Das vorgetragene Individualinteresse erscheint damit nicht unglaubhaft allein aus dem Umstand heraus, dass die betroffenen Normen öffentlich rechtlichen Charakter besitzen (wohl a.A: LG Braunschweig, Urteil vom 25.04.2017, Az.: 11 O 3993/16).
77b. Als Rechtsfolge ergibt sich der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises (31.826,35 Euro), Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des Fahrzeugs. Weiter sind die allgemeinen Grundsätze der Vorteilsausgleichung zur Anwendung zu bringen. Danach sind die Vorteile zu berücksichtigen, die der Geschädigte vor der Rückgabe der mangelhaften Gegenleistung aus dieser gezogen hat. Dabei handelte es sich vorliegend um die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs.
78Die in Ansatz zu bringende Nutzungsentschädigung wurde gemäß § 287 ZPO auf 9.661,10 Euro geschätzt. Dabei geht die Kammer von einer zu erwartenden Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs B1, Modell … von 300.000 km aus (ebenso für diesen Fahrzeugtyp: LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 23.10.2017, 9 O 8283/16, Rz. 26, juris). Unter weiterer Berücksichtigung einer Laufleistung von 91.067 km im Termin zur mündlichen Verhandlung errechnet sich die vorgenannte Nutzungsentschädigung (31.826,35 Euro ÷ 300.000 km × 91.067 km = 9.661,10 Euro). Zieht man diese Nutzungsentschädigung vom Bruttokaufpreis ab, errechnet sich der zugesprochene Schadensersatzanspruch in Höhe von 22.165,25 Euro (31.826,35 Euro ./. 9.661,10 Euro).
79Dem Abzug der Nutzungsentschädigung steht nicht entgegen, dass neben dem deliktischen Schadensersatzanspruch (wohl) auch kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche der Klägerin bestehen. Denn auch bei der Rückabwicklung eines Verbrauchsgüterkaufs wäre der Abzug einer Nutzungsentschädigung vorzunehmen und insbesondere mit der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie vereinbar (BGH, Urteil vom 16.09.2009, VIII ZR 243/08).
802. Weiter ist die Beklagte der Klägerin gemäß § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB verpflichtet, diesem Schadensersatz, der über den hinausgeht, zu leisten. Zur Begründung wird auf die vorstehenden Ausführungen Bezug genommen (II. 1.). Infolgedessen hatte auch Klageantrag zu 2) Erfolg.
813. Auch soweit die Klägerin mit Klageantrag zu 3) die Feststellung begehrt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug befindet, hat die Klage Erfolg.
82Durch das anwaltliche Schreiben vom 04.12.2018 mit Fristsetzung bis zum 11.12.2018 wurde das Fahrzeug in Annahmeverzug begründender Weise angeboten, §§ 293, 295 BGB. Rückabwicklungsort ist der Wohnort der Klägerin. Da die Beklagte das Fahrzeug dort abholen muss, genügt gemäß § 295 BGB das wörtliche Angebot, welches hinreichend spezifiziert mit anwaltlichem Schreiben unterbreitet wurde.
834. Der Anspruch der Klägerin auf die geltend gemachten Zinsen folgt aus §§ 288 Abs. 1, 291 BGB.
845. Der Anspruch der Klägerin auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten folgte ebenfalls aus § 826 BGB, da die Rechtsverfolgung über einen Rechtsanwalt zweckentsprechend im Sinne des § 249 BGB erscheint. Maßgeblich ist insoweit jedoch – auch unter Berücksichtigung einer auch schon im Zeitpunkt des vorgerichtlichen Tätigwerdens abzuziehende Nutzungsentschädigung, welche mit dem Kaufpreis zu saldieren ist (BGH, Urteil vom 20.02.2008, VIII ZR 334/06, Rz. 23, juris) – lediglich ein Gegenstandswert von bis zu 25.000,00 Euro. Weiter kann die Kammer vorliegend keine Schwierigkeit erkenne, welche eine Geschäftsgebühr rechtfertigt, welche über 1,3 hinausgeht. Mithin ergibt sich ein Freistellungsanspruch in Bezug auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,84 Euro.
85III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 Var. 2 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und S. 2 ZPO.
86IV. Der Streitwert wird auf bis zu 35.000,00 Euro festgesetzt.
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