Urteil vom Landessozialgericht Baden-Württemberg - L 3 AL 5286/10

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 25. August 2010 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte erstattet dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

 
Der Kläger wendet sich gegen die Feststellung einer Sperrzeit und begehrt Arbeitslosengeld (Alg) für den Sperrzeitraum.
Der im Jahre 1974 geborene Kläger war ab dem 09.08.2004 bei der B. GmbH Großhandelszentrale in A. als Kommissionierer beschäftigt. Das Unternehmen kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27.02.2008 fristlos, hilfsweise zum 31.03.2008.
Der Kläger meldete sich am 28.02.2008 bei der beklagten Bundesagentur für Arbeit arbeitslos und beantragte Alg. In ihrer Arbeitsbescheinigung vom 05.03.2008 gab die B. GmbH an, die Kündigung sei am 29.02.2008 zugegangen und ein arbeitsvertragswidriges Verhalten des Klägers sei kein Kündigungsgrund gewesen. Auf Nachfrage der Beklagten teilte sie jedoch am 17.03.2008 mit, der Kündigung liege ein Diebstahl zu Grunde. Die Beklagte forderte den Kläger daraufhin zur Stellungnahme auf. Zugleich bewilligte sie mit Bescheid vom 17.03.2008 Arbeitslosengeld – erst – ab dem 24.05.2008 bis zum 22.02.2009 mit einem täglichen Zahlbetrag von EUR 38,63. Für die Zeit vom 01.03. bis 23.05.2008 enthielt der Bescheid den Hinweis, der Kläger erhalte ein gesondertes Schreiben. Der Kläger teilte unter dem 07.04.2008 Folgendes mit: Mehrere Dosen „Red Bull“ hätten bei einer geöffneten Packung herumgestanden. Er habe gedacht, die Getränke seien für die Arbeiter bestimmt. Er habe eine Dose getrunken. Danach sei er zum Chef gerufen und sofort gekündigt worden, da er gestohlen habe. Er sei zuvor nicht abgemahnt worden. Er sei sich keiner Schuld bewusst gewesen, habe noch nie gestohlen und wegen einer Dose „Red Bull“ nicht seinen Arbeitsplatz und seinen Ruf riskiert. Er habe nicht versucht, die Kündigung abzuwenden, da er gedacht habe, keine Chance zu haben, denn er sei auf Video aufgezeichnet worden.
Die Beklagte erließ daraufhin unter dem 10.04.2008 zwei Bescheide: In dem einen stellte sie den Eintritt einer Sperrzeit und des Ruhens des Anspruchs auf Arbeitslosengeld in der Zeit vom 01.03. bis zum 23.05.2008 und die Minderung des Anspruchs auf Arbeitslosengeld für 90 Tage fest. Sie führte aus, der Kläger habe seine Beschäftigung wegen Diebstahls verloren. In dem zweiten Bescheid bewilligte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 07.03. bis 23.05.2008 kein Arbeitslosengeld (EUR 0,00) wegen der Sperrzeit und ab dem 24.05.2008 „bis auf weiteres“ Arbeitslosengeld von EUR 38,63 täglich. In der Zeit vom 01.03. bis 23.05.2008 werde der Anspruch auf Arbeitslosengeld um 78 Tage gemindert.
Der Kläger erhob Widerspruch. Er sei während seiner gesamten Beschäftigungszeit bei der Firma B. stets ein zuverlässiger Arbeiter gewesen. Er habe nie den geringsten Anlass zur Beanstandung gegeben. Er sei auch vielfach sonntags und nachts tätig gewesen. Am Morgen des 26.02.2008 sei er an einer aufgerissenen Palette vorbeigekommen, auf der noch etwa fünf oder sechs Dosen „Red Bull“ gestanden hätten. Ursprünglich umfasse eine solche Palette etwa 60 Dosen. Da die restlichen Dosen offensichtlich nicht mehr zum Verkauf gestanden hätten, habe er sie für eine Trinkspende an die Arbeiter gehalten und eine Dose an sich genommen. Dies sei offensichtlich und in keiner Weise heimlich geschehen. Wegen einer Dose im Wert von 50 Euro-Cent hätte er seinen dringend benötigten Arbeitsplatz nicht riskiert. Das einmalige Nehmen eines Getränks für den persönlichen Verbrauch begründe jedenfalls nach mehrjähriger Tätigkeit kein grob fahrlässiges Verhalten für eine sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses. Die Beklagte wies den Widerspruch jedoch mit Widerspruchsbescheid vom 28.05.2008 zurück. Sie berief sich auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) über die Berichtigung zur fristlosen Kündigung ohne vorherige Abmahnung bei Diebstahl oder Unterschlagung auch geringwertiger Sachen, konkret auf das Urteil des BAG vom 11.12.2008 (2 AZR 36/03 [„Spirituosen“]). Das arbeitsvertragswidrige Verhalten des Klägers habe eine Sperrzeit ausgelöst. Diese dauere zwölf Wochen, ein Sachverhalt, der eine Verkürzung zulasse, liege nicht vor.
Der Kläger hat am 27.06.2008 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und dort beantragt, die Beklagte unter Aufhebung bzw. Abänderung der entgegenstehenden Bescheide zur Zahlung von Alg bereits ab dem 01.03.2008 zu verurteilen. Er hat dort ergänzend vorgetragen, nach der neueren Rechtsprechung des BAG sei auch bei Störungen im Vertrauensbereich stets eine vorherige Abmahnung erforderlich.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat ergänzend vorgetragen, es gebe keinen Anhaltspunkt für die Annahme des Klägers, herumstehende Getränkedosen seien für die Arbeiter bestimmt gewesen. Die Wirksamkeit der Kündigung der B. GmbH stehe nicht in Zweifel.
Mit Urteil vom 25.08.2010 hat das SG die Beklagte unter Aufhebung des Sperrzeitbescheids vom 10.04.2008 und unter Abänderung des Bewilligungsbescheids vom 10.04.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28.05.2008 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld bereits ab dem 01.03.2008 zu gewähren. Das SG hat ausgeführt, der Kläger habe sich objektiv vertragswidrig verhalten, denn er habe ein Eigentumsdelikt begangen. Sein Einwand, er habe die Dose für eine Trinkspende gehalten, überzeuge nicht. Er habe auch auf Nachfrage des Gerichts nicht angeben können, woraus er dies geschlossen habe. Jedoch habe sein Verhalten keine fristlose Kündigung des Arbeitgebers gerechtfertigt. Die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses müsse sich als angemessene Reaktion auf die eingetretene Vertragsstörung erweisen. Unter Umständen könne eine Abmahnung als milderes Mittel zur Wiederherstellung des für die Fortsetzung des Vertrags notwendigen Vertrauens in die Redlichkeit des Arbeitnehmers ausreichen. Das SG hat sich hierzu auf das Urteil des BAG vom 10.06.2010 (2 AZR 541/09 [„Emily/Pfandbon“]) berufen. Diese Voraussetzungen, so das SG weiter, hätten hier vorgelegen. Zwar sei der Vertragsverstoß nicht von geringem Gewicht. Jedoch habe der Kläger keine herausgehobene Vertrauensstellung innegehabt. Hinzu komme, dass das Vertrauen des Arbeitgebers in die im Lager tätigen Mitarbeiter ohnehin nicht sehr stark ausgeprägt gewesen sein könne, wie die Videoüberwachung gezeigt habe. Auf der anderen Seite sei in die Abwägung der geringe Wert der Ware einzustellen, vor allem aber, dass der Kläger völlig offen agiert habe. Für den Arbeitgeber sei daraus ersichtlich gewesen, dass der Kläger nicht mit krimineller Energie vorgegangen sei, sondern dass es sich um eine Disziplinlosigkeit gehandelt habe, auf die mit einer Abmahnung aussichtsreich habe reagiert werden können.
Gegen dieses Urteil, das ihr am 21.10.2010 zugestellt worden ist, hat die Beklagte am 15.11.2010 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Sie hat zunächst beantragt, das Urteil des SG aufzuheben und die Klage abzuweisen. Hierzu hat sie ergänzend vorgetragen, nach der ständigen Rechtsprechung des BAG, nämlich nach den Urteilen vom 12.08.1999 (2 AZR 923/98) und vom 11.12.2003 (2 AZR 36/03), sei eine Verletzung des Eigentums des Arbeitgebers stets als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung geeignet, eine Abmahnung sei regelmäßig nicht erforderlich. Mit Schriftsatz vom 28.02.2011 hat die Beklagte sodann ein Teil-Anerkenntnis abgegeben und ausgeführt, den besonderen Umständen des Sachverhalts könne am ehesten dadurch entsprochen werden, dass eine besondere Härte angenommen werde, wodurch sich die Sperrzeit auf sechs Wochen verkürze.
10 
Die Beklagte beantragt demnach:
11 
Das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 25. August 2010 wird abgeändert: Die Beklagte wird unter Abänderung des Sperrzeitbescheids vom 10. April 2008 und des Bewilligungsbescheids vom 10. April 2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Mai 2008 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosengeld bereits ab dem 12. April 2008 zu gewähren.
12 
Der Kläger hat das Teil-Anerkenntnis der Beklagten nicht angenommen und beantragt,
13 
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
14 
Er trägt ergänzend vor, sein Verhalten werde nicht unstreitig als arbeitsvertragswidriges Verhalten gewertet.
15 
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Entscheidungsgründe

 
16 
1. Die Berufung der Beklagten, über die der Senat nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt EUR 3.476,70 (90 Tage mit einem täglichen Leistungsbetrag von EUR 38,63).
17 
2. Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
18 
a) Zu Recht hat das SG über den Sperrzeitbescheid und den Bewilligungsbescheid vom 10.04.2008 entschieden. Beide hängen prozessual untrennbar zusammen. Ebenso war es richtig, nicht über den vorherigen Bewilligungsbescheid vom 17.03.2008 zu entscheiden. Bei ihm hatte es sich um einen vorläufigen Bescheid gehandelt, weil er den Vorbehalt enthalten hatte, dass der Kläger über seinen Alg-Anspruch für den hier streitigen Zeitraum vom 01.03. bis 23.05.2008 noch eine gesonderte Entscheidung erhalten werde. Durch die dann später getroffene endgültige Entscheidung hat sich der vorläufige Bewilligungsbescheid insoweit erledigt. Er war daher auch nicht Gegenstand des Widerspruchs- oder des anschließenden Klagverfahrens.
19 
b) Soweit das SG die beiden angegriffenen Bescheide für die Zeit vom 12.04. bis zum 23.05.2008, also die zweite Hälfte des ursprünglichen Sperrzeitraums, aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von Alg für diesen Zeitraum verurteilt hat, ist die Berufung bereits deswegen unbegründet, weil die Beklagte diesen Teil des Klagantrags mit ihrem Schriftsatz vom 28.02.2011 anerkannt hat. Jene Erklärung war nicht nur eine Teil-Rücknahme der Berufung, erschöpfte sich also nicht in einer prozessualen Wirkung. Vielmehr hat die Beklagte dort für die zweite Hälfte des zwölfwöchigen Sperrzeitraums ein Teil-Anerkenntnis mit materiellrechtlicher Wirkung abgegeben. Dies folgt schon aus diesem Begriff, den sie selbst verwendet hat. Dass die Beklagte in jenem Schriftsatz auch ausgeführt hat, sie sei „dann“ bereit, die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zu übernehmen, wenn der Kläger das „Teil-Anerkenntnis“ annehme, ändert nichts an der Einordnung ihrer Erklärung selbst. Auch ein Anerkenntnis kann sich auf einen Teil der Hauptforderung beschränken und die – entsprechenden – Teile des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers außen vor lassen. Der Vorbehalt der Beklagten hat nur zur Folge, dass das Gericht über die Kosten des Klägers im Ganzen aus materiellen Gesichtspunkten entscheiden muss, weil insoweit kein Anerkenntnis vorliegt. Da der Kläger das Teil-Anerkenntnis nicht angenommen hat, war die Berufung der Beklagten in dem genannten Umfang nach § 202 SGG i.V.m. § 307 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) zurückzuweisen.
20 
c) Im Übrigen, also für den Zeitraum vom 01.03. bis 11.04.2008, erweist sich das Urteil des SG inhaltlich als richtig. Die Anfechtungs- und Leistungsklage des Klägers (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) war zulässig und begründet. Des Klägers – unstreitig bestehender – Anspruch auf Alg ab dem 01.03.2008 ruhte in dem genannten Zeitraum nicht wegen einer Sperrzeit.
21 
Der Anspruch des Arbeitslosen auf Arbeitslosengeld ruht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für die Dauer einer Sperrzeit, wenn sich der Arbeitslose versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Ein solches versicherungswidriges Verhalten lag hier nicht vor.
22 
aa) Dies gilt zunächst für die Entwendung und den Verbrauch der Dose „Red Bull“.
23 
Ein versicherungswidriges Verhalten liegt nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Var. 2 SGB III unter anderem vor, wenn der Arbeitslose durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung seines Beschäftigungsverhältnisses (durch den Arbeitgeber) gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe).
24 
(1) Zwar hat sich der Kläger arbeitsvertragswidrig verhalten, als er die Dose „Red Bull“, die der B. GmbH gehörte, an sich nahm und austrank.
25 
Mit dem Begriff „arbeitsvertragswidriges Verhalten“ knüpft das SGB III an die zivilrechtlichen Regelungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber an. Ein solches Verhalten liegt vor, wenn der Arbeitnehmer gegen Haupt- oder Nebenpflichten aus seinem Arbeitsvertrag (§§ 611 ff. Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) verstößt, seien diese kraft Gesetzes angeordnet, seien sie – wirksam – einzelvertraglich vereinbart worden. Grundsätzlich reicht hier ein objektiv arbeitsvertragswidriges Verhalten aus, also der Verstoß gegen die vertraglichen Pflichten selbst (vgl. Karmanski, in: Niesel/Brand, SGB III 5. Aufl. 2010, § 144 Rn. 46). Auf einen subjektiven Verschuldensvorwurf kommt es hier nicht an, unabhängig davon, ob dieser zivilrechtlich für den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen auf das arbeitsvertragswidrige Verhalten notwendig ist oder nicht. Dies folgt schon daraus, dass § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III das Verschulden als eigenständiges Tatbestandsmerkmal und Voraussetzung einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe ausgestaltet hat. Die Norm verlangt nämlich, dass der Arbeitslose vorsätzlich oder grob fahrlässig – im Hinblick auf die spätere Arbeitslosigkeit – gehandelt hat. Das Sozialrecht verlangt hiermit für eine Sperrzeit ein erhöhtes Maß an Verschulden, denn es lässt – anders als § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB und nach § 619a BGB grundsätzlich auch im Arbeitsrecht – einfache Fahrlässigkeit nicht genügen (vgl. Karmanski, a.a.O., Rn. 53).
26 
Zu den vertraglichen Pflichten eines Arbeitnehmers, die bereits das Gesetz anordnet, gehört in jedem Fall, das Eigentum seines Arbeitgebers zu achten. Dies folgt bereits aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. aus § 242 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB). Eine Eigentumsverletzung liegt auch vor, wenn der Arbeitnehmer Sachen, die seinem Arbeitgeber gehören, an sich nimmt und verbraucht bzw. verwertet.
27 
Der Kläger hat unstreitig eine dem Beklagten gehörende Dose „Red Bull“ an sich genommen und ausgetrunken, ohne dass ihm sein Arbeitgeber dies ausdrücklich erlaubt und insoweit sein Einverständnis erteilt hätte. Ob der Kläger irrtümlicherweise von einem solchen Einverständnis ausgegangen ist, wie er vorträgt, ist für die objektive Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflicht zur Achtung des Eigentums des Arbeitgebers irrelevant.
28 
(2) Es fehlt jedoch bereits an der Kausalität zwischen dem arbeitsvertragswidrigen Verhalten des Klägers und der Arbeitslosigkeit. Einen solchen Kausalzusammenhang setzt § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III voraus (vgl. Karmanski, a.a.O., Rn. 49 ff.), wobei hier nicht der weitere Kausalverlauf zwischen der Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses und der anschließenden Arbeitslosigkeit gemeint ist, der durch den Begriff „dadurch“ in der Norm beschrieben wird.
29 
Zu klären ist, ob das objektiv arbeitsvertragswidrige Verhalten des Arbeitslosen Anlass für die Kündigung war. Es reicht aber nicht ein bloß tatsächlicher Zusammenhang, insbesondere nicht, dass das Verhalten nach der allgemeinen Lebenserfahrung überhaupt geeignet ist, eine Kündigung auszulösen (BSG, Urteil vom 21.07.1988, 7 RAr 41/86, Juris Rn. 26). Vielmehr ist grundsätzlich relevant, ob die Kündigung des Arbeitgebers zu Recht ausgesprochen wurde, also zivilrechtlich wirksam ist (Karmanski, a.a.O., Rn. 50). Allerdings haben die Beklagte und die Sozialgerichte diese Frage eigenständig zu prüfen, sie sind nicht an etwaige arbeitsgerichtliche Entscheidungen gebunden (Lüdtke, in: Lehr- und Praxiskommentar [LPK] SGB III, 2008, § 144 Rn. 12 m.w.N.). Andererseits sind für die sozialrechtliche Prüfung nur die materiell-, nicht aber etwaige verfahrensrechtliche Voraussetzungen der Arbeitgeberkündigung relevant. So ist bei einer außerordentlichen fristlosen Kündigung - nur - festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB (vgl. § 314 BGB) vorgelegen haben, also ein wichtiger Grund für die Kündigung vorlag und dem Arbeitgeber daher die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar war (Karmanski, a.a.O., Rn. 51 m.w.N.). Bei einer ordentlichen Kündigung, wobei für § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III ohnehin nur eine verhaltensbedingte Kündigung relevant sein kann, ist allgemein festzustellen, ob sie zu Recht ausgesprochen wurde (Karmanski, a.a.O., Rn. 50). In beiden Fällen fehlt es (auch) an der Kausalität zwischen Verhalten und Kündigung, wenn der Kündigung eine arbeitsrechtlich erforderliche Abmahnung nicht vorausgegangen ist (Lüdtke, a.a.O., Rn. 12 m.w.N.; anders Karmanski, a.a.O., Rn. 45, der allerdings in diesen Fällen das Verschulden des gekündigten Arbeitnehmers an der Arbeitslosigkeit verneint). Nicht erheblich ist dagegen, ob z. B. die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten wurde, die Kündigung entsprechend § 623 BGB schriftlich ausgesprochen wurde, die nach § 174 Satz 1 BGB ggfs. erforderliche Vollmacht beilag oder nach § 102 Abs. 1 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) der Betriebsrat angehört wurde (Lüdtke, a.a.O., Rn. 12). Ferner ist es für das Sozialrecht unerheblich, ob eine etwa unwirksame außerordentliche Kündigung in eine wirksame ordentliche umgedeutet werden kann (§ 140 BGB) oder der Arbeitgeber hilfsweise auch ordentlich gekündigt hat. Wenn die tatsächlich ausgesprochene außerordentliche Kündigung rechtswidrig war, das Verhalten des Arbeitnehmers aber eine ordentliche Kündigung rechtfertigte, kann dies eine Sperrzeit nicht verhindern, es verschiebt sich lediglich der Beginn dieser Sperrzeit auf das Ende der ordentlichen Kündigungsfrist (Karmanski, a.a.O., Rn. 52).
30 
Nach der früheren Rechtsprechung des BAG war auch der Diebstahl geringwertiger Sachen aus dem Eigentum des Arbeitgebers oder eines Kunden des Arbeitgebers „an sich“ ein ausreichender Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB, auch dann, wenn der Arbeitnehmer zuvor wegen eines solchen Verhaltens nicht abgemahnt worden war (BAG, Urteil vom 17.05.1984, 2 AZR 3/83 [„Bienenstich“], Juris Rn. 18 ff.). Bereits damals wurde aber zwischen einer außerordentlichen fristlosen und einer verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung differenziert, auch im konkreten Fall hatte das BAG die außerordentliche fristlose Kündigung nicht akzeptiert. Mit dem auch vom SG genannten Urteil vom 10.06.2010 hat das BAG seine vieljährige Rechtsprechung aber geändert. Es stellt nunmehr die Frage in den Vordergrund, ob dem Arbeitgeber nach einer umfassenden, auf den Einzelfall bezogenen Prüfung und Interessenabwägung (…) die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz der eingetretenen Vertrauensstörung - zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (2 AZR 541/09, Juris Rn. 16). Bei dieser Abwägung selbst ist insbesondere relevant, ob dem Arbeitnehmer eine Vertrauensstellung zukam; außerdem macht es nach der neuen Rechtsprechung des BAG „objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht“ (a.a.O. Rn. 45). Und das BAG hält auch die Frage für relevant, ob und ggfs. wie die eingetretene Vertrauensbeeinträchtigung beseitigt werden, also verlorenes Vertrauen wieder hergestellt werden kann. Bei dieser Frage „kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben (…). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab“ (a.a.O., Rn. 47). In Anwendung dieser Grundsätze, so das BAG, ist bei einem erstmaligen, geringfügigen Vermögensdelikt eines Arbeitnehmers eine Abmahnung notwendig. Fehlt diese, ist nicht nur eine außerordentliche, sondern auch eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung (hierzu a.a.O., Rn. 58) unwirksam.
31 
Ebenso wie das SG meint auch der Senat, dass in Anwendung dieser neueren Rechtsprechung des BAG die außerordentliche und auch die hilfsweise ausgesprochene verhaltensbedingte ordentliche Kündigung der B. GmbH rechtswidrig und damit zivilrechtlich unwirksam waren. Der Kläger war zur Zeit der Tat fast vier Jahre bei der B. GmbH beschäftigt gewesen und hatte keine anderen arbeitsrechtlichen Pflichten verletzt. Als Kommissionierer in einem Lager befand er sich - im Hinblick auf die anvertrauten Waren - zwar in einer gewissen Vertrauensstellung, diese war jedoch nicht zu vergleichen mit der Stellung etwa eines Buchhalters oder Kassierers, der unmittelbaren Zugriff auf die Gelder des Arbeitgebers hat. Der Wert der entwendeten Dose „Red Bull“ bewegte sich im Bagatellbereich, lag also weit unter der Geringwertigkeitsgrenze (die etwa die Strafgerichte im Rahmen der Anwendung des § 248a StGB zwischen EUR 50,00 und EUR 100,00 ansiedeln). Der Kläger hat auch nicht heimlich gehandelt. Und letztlich waren bereits bei der arbeitsrechtlichen Interessenabwägung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB die besonderen Umstände zu berücksichtigen, die zu dem Diebstahl geführt hatten: Die Palette war geöffnet und angebrochen, außerdem hat der Kläger die Dose nicht etwa mitgenommen, sondern an Ort und Stelle offen konsumiert. In diesem Falle hätte die B. GmbH zunächst abmahnen müssen und frühestens einen zweiten derartigen Vorfall zum Anlass für eine außerordentliche oder eine ordentliche Kündigung nehmen können. Eine solche Abmahnung fehlt aber.
32 
Der Senat ist ferner der Ansicht, dass eine derartige Änderung der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung, wie sie das BAG in Sachen „Emily“ eingeleitet hat, auch Auswirkungen auf die sozialrechtliche Beurteilung im Rahmen des § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III hat. Wenn die sozialgerichtliche Rechtsprechung bislang davon ausgegangen ist, dass die materiellrechtlichen Voraussetzungen einer (wirksamen) Kündigung vorgelegen haben müssen, damit ein Kausalzusammenhang zwischen dem arbeitsvertragswidrigen Verhalten und der Kündigung angenommen werden kann, dann muss dies auch bei einer Änderung dieser Voraussetzungen durch Gesetz oder Rechtsprechung gelten. Der Grund hierfür ist, dass eine zivilrechtlich rechtswidrige Kündigung unwirksam ist, also das Arbeitsverhältnis - und damit grundsätzlich auch das sozialrechtlich relevante Beschäftigungsverhältnis - nicht beenden kann.
33 
Die neue Rechtsprechung der Arbeitsgerichte, der in den genannten Grenzen die Sozialgerichte folgen müssen, wurde jedoch erst mit dem genannten Urteil des BAG aus dem Jahre 2010 eingeleitet. Die Sperrzeit, die die Beklagte festgestellt hatte, lag dagegen schon im Frühjahr 2008. Zu jener Zeit herrschte bei den Arbeitsgerichten noch nahezu unangefochten die „Bienenstich“-Rechtsprechung vor. Der Senat ist jedoch der Ansicht, dass in Fällen wie hier, in denen der Sperrzeitbescheid noch nicht bestandskräftig ist, eine spätere Änderung der Rechtsprechung Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeitskontrolle hat. Die ordentlichen und die Fachgerichte haben nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) keine Befugnis zur Rechtssetzung. Eine „Änderung der Rechtsprechung“ hat daher - rechtlich betrachtet - keine konstitutive Wirkung. Sie stellt nur ein - gegenüber der Zeit zuvor „besseres“ - „Erkennen“ der Rechtslage dar, die schon immer gegolten hat. Dies wäre zivilrechtlich so: Einer 2008 erhobene Kündigungsschutzklage, etwa des Klägers, über die das BAG 2010 entschieden hätte, wäre stattgegeben worden. Das Gleiche gilt auch hier bei der sozialrechtlichen Beurteilung. Der Kläger hat keine reine Anfechtungsklage erhoben, bei der es womöglich auf die Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung ankäme. Er begehrt auch im Rahmen einer Leistungsklage die Zahlung von Arbeitslosengeld für den Sperrzeitraum. Über solche Leistungsklagen entscheiden auch die Sozialgerichte grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung vor einer Tatsacheninstanz, reine - spätere - Rechtsänderungen sind grundsätzlich sogar noch in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen. Dies gilt erst recht, wenn es nicht um eine echte Änderung der Rechtslage geht, sondern - wie ausgeführt - nur um eine „Änderung der Rechtsprechung“. Für diese Ansicht spricht auch, dass das SGB III in § 330 Abs. 1 eine ausdrückliche Regelung für solche Änderungen der Rechtsprechung enthält. Nach dieser Vorschrift ist ein Bescheid der Beklagten nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), wenn sich nach seinem Erlass die „ständige Rechtsprechung“ ändert, nur für die Zeit nach der Änderung dieser Rechtsprechung zurückzunehmen. Diese Regelung gilt aber nur, wenn der Bescheid „unanfechtbar geworden“ ist. Außerdem ist sie nach der Rechtsprechung des BSG als Ausnahmevorschrift „eng“ auszulegen (vgl. Düe, in Niesel/Brand, a.a.O., § 330 Rn. 5 m.w.N.). Aus der Existenz dieser Vorschrift ist daher ein Umkehrschluss zu ziehen: Wenn ein Bescheid noch nicht bestandskräftig geworden ist, ist eine geänderte Rechtsprechung ohne die zeitliche Beschränkung aus § 330 Abs. 1 SGB III zu berücksichtigen. Einen ähnlichen Gedanken enthält im Übrigen - in Bezug auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) - die Regelung in § 79 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG).
34 
(3) Unabhängig von diesem fehlenden Kausalzusammenhang zwischen dem arbeitsvertragswidrigen Verhalten und der Kündigung hat der Kläger auch nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Arbeitslosigkeit verursacht, wie es § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III weiter voraussetzt. Wegen dieses Umstandes schiede eine Sperrzeit in Fällen wie diesen auch aus, wenn man das Fehlen einer arbeitsrechtlich erforderlichen Abmahnung nicht bei der Kausalität zwischen Vertragsverstoß und Kündigung berücksichtigt (s.o.), sondern nur bei dem Verschulden des Arbeitnehmers (so Karmanski, a.a.O., Rn. 45). Grobe Fahrlässigkeit liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, wobei von einem individuellen, subjektiven Maßstab auszugehen ist (Karmanski, a.a.O., Rn. 53). Der Kläger durfte zwar nicht davon ausgehen, dass die geöffnete Palette eine Trinkspende der B. GmbH sei. Er musste jedoch andererseits auch nicht damit rechnen, dass ihn die B. GmbH wegen der Entwendung der Dose kündigen würden. Dies beruht nicht nur auf der Geringfügigkeit des Verstoßes, sondern gerade auch darauf, dass ein Verschulden im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III fehlt, wenn - wie hier - ein Verhalten nur mit einer vorherigen Abmahnung einen Kündigungsgrund bildet, eine solche Abmahnung aber fehlt (Karmanski, a.a.O., Rn. 45, 54, Stichwort „Abmahnung“).
35 
bb) Dem Kläger kann auch nicht entgegengehalten werden, dass er gegen die - zivilrechtlich unwirksame - Kündigung seines Arbeitgebers nicht durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage entgegen getreten ist, sodass die Kündigung nach Ablauf der Klagefrist gleichwohl als wirksam gilt.
36 
Nach der Rechtsprechung des BSG führt ein rein passives Verhalten des Arbeitnehmers nicht zu einer „Lösung des Beschäftigungsverhältnisses“ durch ihn im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Var. 1 SGB III. Die Hinnahme einer Arbeitgeberkündigung, auch wenn sie - wie hier - rechtswidrig war, ist kein aktiver Lösungsakt in diesem Sinne (Karmanski, a.a.O., Rn. 37 m.w.N.). Das BSG hat Zweifel an dieser Ansicht bislang nur für die Fälle geäußert, in denen ein - ordentlich unkündbarer - Arbeitnehmer eine offensichtlich rechtswidrige Kündigung im Hinblick auf eine zugesagte finanzielle Vergünstigung hinnimmt (Urteil vom 09.11.1995, 11 RAr 27/95, zit. nach BB 1996, 1510 f., in: Juris). Bei dem Kläger lagen diese Voraussetzungen nicht vor. Vor allem war die Kündigung durch die B. GmbH in den drei Wochen Klagefrist, in denen der Kläger gegen sie hätte vorgehen müssen, nicht „offensichtlich“ rechtswidrig, da sie - wie ausgeführt - der damaligen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte entsprach.
37 
Im Übrigen wäre auch in diesem Fall ein Verschulden des Klägers zu verneinen, weil er davon ausgehen durfte, die Kündigung sei wirksam. Bei diesem subjektiven Merkmal kann nur auf die damalige Rechtsprechung der Arbeitsgerichte abgestellt werden, auch wenn sich diese Rechtsprechung im nachhinein als bereits damals unrichtig herausgestellt hat.
38 
cc) Die weiteren Voraussetzungen des klägerischen Anspruchs auf Alg für die Zeit vom 01.03. bis 11.04.2008 (bzw. 23.05.2008) liegen vor. Insbesondere hatte sich der Kläger - am 28.02.2008 - arbeitslos gemeldet und stand den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung. Sonstige Ruhenstatbestände, etwa wegen einer Abfindung oder einer verspäteten Arbeitssuchendmeldung, liegen nicht vor. Die Höhe des geltend gemachten Anspruchs auf Arbeitslosengeld muss der Senat nicht feststellen, nachdem der Kläger seinen Leistungsantrag zulässigerweise (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) auf eine Verurteilung dem Grunde nach beschränkt hat.
39 
3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 Abs. 1 SGG i.V.m. den Rechtsgedanken des § 91 Abs. 1 ZPO. Wegen des von der Beklagten anerkannten Teils der Klagforderung greift § 93 ZPO nicht ein, nachdem das Teil-Anerkenntnis nicht sofort nach Erhebung der Klage oder nach einer wesentlichen Änderung der Prozesslage erklärt worden ist.
40 
4. Der Senat lässt wegen der Frage, ob eine geänderte arbeitsgerichtliche Rechtsprechung Auswirkungen auf die Auslegung des § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Var. 2 SGB III hat und ob diese auch Kündigungen aus der Zeit vor der Änderung der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung betrifft, wenn der anschließende Sperrzeitbescheid noch nicht bestandskräftig ist, die Revision zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

Gründe

 
16 
1. Die Berufung der Beklagten, über die der Senat nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftig, denn der Wert des Beschwerdegegenstandes beträgt EUR 3.476,70 (90 Tage mit einem täglichen Leistungsbetrag von EUR 38,63).
17 
2. Die Berufung ist jedoch nicht begründet.
18 
a) Zu Recht hat das SG über den Sperrzeitbescheid und den Bewilligungsbescheid vom 10.04.2008 entschieden. Beide hängen prozessual untrennbar zusammen. Ebenso war es richtig, nicht über den vorherigen Bewilligungsbescheid vom 17.03.2008 zu entscheiden. Bei ihm hatte es sich um einen vorläufigen Bescheid gehandelt, weil er den Vorbehalt enthalten hatte, dass der Kläger über seinen Alg-Anspruch für den hier streitigen Zeitraum vom 01.03. bis 23.05.2008 noch eine gesonderte Entscheidung erhalten werde. Durch die dann später getroffene endgültige Entscheidung hat sich der vorläufige Bewilligungsbescheid insoweit erledigt. Er war daher auch nicht Gegenstand des Widerspruchs- oder des anschließenden Klagverfahrens.
19 
b) Soweit das SG die beiden angegriffenen Bescheide für die Zeit vom 12.04. bis zum 23.05.2008, also die zweite Hälfte des ursprünglichen Sperrzeitraums, aufgehoben und die Beklagte zur Zahlung von Alg für diesen Zeitraum verurteilt hat, ist die Berufung bereits deswegen unbegründet, weil die Beklagte diesen Teil des Klagantrags mit ihrem Schriftsatz vom 28.02.2011 anerkannt hat. Jene Erklärung war nicht nur eine Teil-Rücknahme der Berufung, erschöpfte sich also nicht in einer prozessualen Wirkung. Vielmehr hat die Beklagte dort für die zweite Hälfte des zwölfwöchigen Sperrzeitraums ein Teil-Anerkenntnis mit materiellrechtlicher Wirkung abgegeben. Dies folgt schon aus diesem Begriff, den sie selbst verwendet hat. Dass die Beklagte in jenem Schriftsatz auch ausgeführt hat, sie sei „dann“ bereit, die Hälfte der außergerichtlichen Kosten zu übernehmen, wenn der Kläger das „Teil-Anerkenntnis“ annehme, ändert nichts an der Einordnung ihrer Erklärung selbst. Auch ein Anerkenntnis kann sich auf einen Teil der Hauptforderung beschränken und die – entsprechenden – Teile des Kostenerstattungsanspruchs des Klägers außen vor lassen. Der Vorbehalt der Beklagten hat nur zur Folge, dass das Gericht über die Kosten des Klägers im Ganzen aus materiellen Gesichtspunkten entscheiden muss, weil insoweit kein Anerkenntnis vorliegt. Da der Kläger das Teil-Anerkenntnis nicht angenommen hat, war die Berufung der Beklagten in dem genannten Umfang nach § 202 SGG i.V.m. § 307 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO) zurückzuweisen.
20 
c) Im Übrigen, also für den Zeitraum vom 01.03. bis 11.04.2008, erweist sich das Urteil des SG inhaltlich als richtig. Die Anfechtungs- und Leistungsklage des Klägers (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1, Abs. 4 SGG) war zulässig und begründet. Des Klägers – unstreitig bestehender – Anspruch auf Alg ab dem 01.03.2008 ruhte in dem genannten Zeitraum nicht wegen einer Sperrzeit.
21 
Der Anspruch des Arbeitslosen auf Arbeitslosengeld ruht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) für die Dauer einer Sperrzeit, wenn sich der Arbeitslose versicherungswidrig verhalten hat, ohne dafür einen wichtigen Grund zu haben. Ein solches versicherungswidriges Verhalten lag hier nicht vor.
22 
aa) Dies gilt zunächst für die Entwendung und den Verbrauch der Dose „Red Bull“.
23 
Ein versicherungswidriges Verhalten liegt nach § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Var. 2 SGB III unter anderem vor, wenn der Arbeitslose durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlass für die Lösung seines Beschäftigungsverhältnisses (durch den Arbeitgeber) gegeben und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe).
24 
(1) Zwar hat sich der Kläger arbeitsvertragswidrig verhalten, als er die Dose „Red Bull“, die der B. GmbH gehörte, an sich nahm und austrank.
25 
Mit dem Begriff „arbeitsvertragswidriges Verhalten“ knüpft das SGB III an die zivilrechtlichen Regelungen zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber an. Ein solches Verhalten liegt vor, wenn der Arbeitnehmer gegen Haupt- oder Nebenpflichten aus seinem Arbeitsvertrag (§§ 611 ff. Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]) verstößt, seien diese kraft Gesetzes angeordnet, seien sie – wirksam – einzelvertraglich vereinbart worden. Grundsätzlich reicht hier ein objektiv arbeitsvertragswidriges Verhalten aus, also der Verstoß gegen die vertraglichen Pflichten selbst (vgl. Karmanski, in: Niesel/Brand, SGB III 5. Aufl. 2010, § 144 Rn. 46). Auf einen subjektiven Verschuldensvorwurf kommt es hier nicht an, unabhängig davon, ob dieser zivilrechtlich für den Eintritt bestimmter Rechtsfolgen auf das arbeitsvertragswidrige Verhalten notwendig ist oder nicht. Dies folgt schon daraus, dass § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III das Verschulden als eigenständiges Tatbestandsmerkmal und Voraussetzung einer Sperrzeit wegen Arbeitsaufgabe ausgestaltet hat. Die Norm verlangt nämlich, dass der Arbeitslose vorsätzlich oder grob fahrlässig – im Hinblick auf die spätere Arbeitslosigkeit – gehandelt hat. Das Sozialrecht verlangt hiermit für eine Sperrzeit ein erhöhtes Maß an Verschulden, denn es lässt – anders als § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB und nach § 619a BGB grundsätzlich auch im Arbeitsrecht – einfache Fahrlässigkeit nicht genügen (vgl. Karmanski, a.a.O., Rn. 53).
26 
Zu den vertraglichen Pflichten eines Arbeitnehmers, die bereits das Gesetz anordnet, gehört in jedem Fall, das Eigentum seines Arbeitgebers zu achten. Dies folgt bereits aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. aus § 242 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB). Eine Eigentumsverletzung liegt auch vor, wenn der Arbeitnehmer Sachen, die seinem Arbeitgeber gehören, an sich nimmt und verbraucht bzw. verwertet.
27 
Der Kläger hat unstreitig eine dem Beklagten gehörende Dose „Red Bull“ an sich genommen und ausgetrunken, ohne dass ihm sein Arbeitgeber dies ausdrücklich erlaubt und insoweit sein Einverständnis erteilt hätte. Ob der Kläger irrtümlicherweise von einem solchen Einverständnis ausgegangen ist, wie er vorträgt, ist für die objektive Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflicht zur Achtung des Eigentums des Arbeitgebers irrelevant.
28 
(2) Es fehlt jedoch bereits an der Kausalität zwischen dem arbeitsvertragswidrigen Verhalten des Klägers und der Arbeitslosigkeit. Einen solchen Kausalzusammenhang setzt § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III voraus (vgl. Karmanski, a.a.O., Rn. 49 ff.), wobei hier nicht der weitere Kausalverlauf zwischen der Auflösung des Beschäftigungsverhältnisses und der anschließenden Arbeitslosigkeit gemeint ist, der durch den Begriff „dadurch“ in der Norm beschrieben wird.
29 
Zu klären ist, ob das objektiv arbeitsvertragswidrige Verhalten des Arbeitslosen Anlass für die Kündigung war. Es reicht aber nicht ein bloß tatsächlicher Zusammenhang, insbesondere nicht, dass das Verhalten nach der allgemeinen Lebenserfahrung überhaupt geeignet ist, eine Kündigung auszulösen (BSG, Urteil vom 21.07.1988, 7 RAr 41/86, Juris Rn. 26). Vielmehr ist grundsätzlich relevant, ob die Kündigung des Arbeitgebers zu Recht ausgesprochen wurde, also zivilrechtlich wirksam ist (Karmanski, a.a.O., Rn. 50). Allerdings haben die Beklagte und die Sozialgerichte diese Frage eigenständig zu prüfen, sie sind nicht an etwaige arbeitsgerichtliche Entscheidungen gebunden (Lüdtke, in: Lehr- und Praxiskommentar [LPK] SGB III, 2008, § 144 Rn. 12 m.w.N.). Andererseits sind für die sozialrechtliche Prüfung nur die materiell-, nicht aber etwaige verfahrensrechtliche Voraussetzungen der Arbeitgeberkündigung relevant. So ist bei einer außerordentlichen fristlosen Kündigung - nur - festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB (vgl. § 314 BGB) vorgelegen haben, also ein wichtiger Grund für die Kündigung vorlag und dem Arbeitgeber daher die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar war (Karmanski, a.a.O., Rn. 51 m.w.N.). Bei einer ordentlichen Kündigung, wobei für § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III ohnehin nur eine verhaltensbedingte Kündigung relevant sein kann, ist allgemein festzustellen, ob sie zu Recht ausgesprochen wurde (Karmanski, a.a.O., Rn. 50). In beiden Fällen fehlt es (auch) an der Kausalität zwischen Verhalten und Kündigung, wenn der Kündigung eine arbeitsrechtlich erforderliche Abmahnung nicht vorausgegangen ist (Lüdtke, a.a.O., Rn. 12 m.w.N.; anders Karmanski, a.a.O., Rn. 45, der allerdings in diesen Fällen das Verschulden des gekündigten Arbeitnehmers an der Arbeitslosigkeit verneint). Nicht erheblich ist dagegen, ob z. B. die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten wurde, die Kündigung entsprechend § 623 BGB schriftlich ausgesprochen wurde, die nach § 174 Satz 1 BGB ggfs. erforderliche Vollmacht beilag oder nach § 102 Abs. 1 Satz 3 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) der Betriebsrat angehört wurde (Lüdtke, a.a.O., Rn. 12). Ferner ist es für das Sozialrecht unerheblich, ob eine etwa unwirksame außerordentliche Kündigung in eine wirksame ordentliche umgedeutet werden kann (§ 140 BGB) oder der Arbeitgeber hilfsweise auch ordentlich gekündigt hat. Wenn die tatsächlich ausgesprochene außerordentliche Kündigung rechtswidrig war, das Verhalten des Arbeitnehmers aber eine ordentliche Kündigung rechtfertigte, kann dies eine Sperrzeit nicht verhindern, es verschiebt sich lediglich der Beginn dieser Sperrzeit auf das Ende der ordentlichen Kündigungsfrist (Karmanski, a.a.O., Rn. 52).
30 
Nach der früheren Rechtsprechung des BAG war auch der Diebstahl geringwertiger Sachen aus dem Eigentum des Arbeitgebers oder eines Kunden des Arbeitgebers „an sich“ ein ausreichender Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB, auch dann, wenn der Arbeitnehmer zuvor wegen eines solchen Verhaltens nicht abgemahnt worden war (BAG, Urteil vom 17.05.1984, 2 AZR 3/83 [„Bienenstich“], Juris Rn. 18 ff.). Bereits damals wurde aber zwischen einer außerordentlichen fristlosen und einer verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung differenziert, auch im konkreten Fall hatte das BAG die außerordentliche fristlose Kündigung nicht akzeptiert. Mit dem auch vom SG genannten Urteil vom 10.06.2010 hat das BAG seine vieljährige Rechtsprechung aber geändert. Es stellt nunmehr die Frage in den Vordergrund, ob dem Arbeitgeber nach einer umfassenden, auf den Einzelfall bezogenen Prüfung und Interessenabwägung (…) die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses trotz der eingetretenen Vertrauensstörung - zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist - zumutbar ist oder nicht (2 AZR 541/09, Juris Rn. 16). Bei dieser Abwägung selbst ist insbesondere relevant, ob dem Arbeitnehmer eine Vertrauensstellung zukam; außerdem macht es nach der neuen Rechtsprechung des BAG „objektiv einen Unterschied, ob es sich bei einer Pflichtverletzung um ein Verhalten handelt, das insgesamt - wie etwa der vermeintlich unbeobachtete Griff in die Kasse - auf Heimlichkeit angelegt ist oder nicht“ (a.a.O. Rn. 45). Und das BAG hält auch die Frage für relevant, ob und ggfs. wie die eingetretene Vertrauensbeeinträchtigung beseitigt werden, also verlorenes Vertrauen wieder hergestellt werden kann. Bei dieser Frage „kann es von erheblicher Bedeutung sein, ob der Arbeitnehmer bereits geraume Zeit in einer Vertrauensstellung beschäftigt war, ohne vergleichbare Pflichtverletzungen begangen zu haben (…). Eine für lange Jahre ungestörte Vertrauensbeziehung zweier Vertragspartner wird nicht notwendig schon durch eine erstmalige Vertrauensenttäuschung vollständig und unwiederbringlich zerstört. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab“ (a.a.O., Rn. 47). In Anwendung dieser Grundsätze, so das BAG, ist bei einem erstmaligen, geringfügigen Vermögensdelikt eines Arbeitnehmers eine Abmahnung notwendig. Fehlt diese, ist nicht nur eine außerordentliche, sondern auch eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung (hierzu a.a.O., Rn. 58) unwirksam.
31 
Ebenso wie das SG meint auch der Senat, dass in Anwendung dieser neueren Rechtsprechung des BAG die außerordentliche und auch die hilfsweise ausgesprochene verhaltensbedingte ordentliche Kündigung der B. GmbH rechtswidrig und damit zivilrechtlich unwirksam waren. Der Kläger war zur Zeit der Tat fast vier Jahre bei der B. GmbH beschäftigt gewesen und hatte keine anderen arbeitsrechtlichen Pflichten verletzt. Als Kommissionierer in einem Lager befand er sich - im Hinblick auf die anvertrauten Waren - zwar in einer gewissen Vertrauensstellung, diese war jedoch nicht zu vergleichen mit der Stellung etwa eines Buchhalters oder Kassierers, der unmittelbaren Zugriff auf die Gelder des Arbeitgebers hat. Der Wert der entwendeten Dose „Red Bull“ bewegte sich im Bagatellbereich, lag also weit unter der Geringwertigkeitsgrenze (die etwa die Strafgerichte im Rahmen der Anwendung des § 248a StGB zwischen EUR 50,00 und EUR 100,00 ansiedeln). Der Kläger hat auch nicht heimlich gehandelt. Und letztlich waren bereits bei der arbeitsrechtlichen Interessenabwägung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB die besonderen Umstände zu berücksichtigen, die zu dem Diebstahl geführt hatten: Die Palette war geöffnet und angebrochen, außerdem hat der Kläger die Dose nicht etwa mitgenommen, sondern an Ort und Stelle offen konsumiert. In diesem Falle hätte die B. GmbH zunächst abmahnen müssen und frühestens einen zweiten derartigen Vorfall zum Anlass für eine außerordentliche oder eine ordentliche Kündigung nehmen können. Eine solche Abmahnung fehlt aber.
32 
Der Senat ist ferner der Ansicht, dass eine derartige Änderung der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung, wie sie das BAG in Sachen „Emily“ eingeleitet hat, auch Auswirkungen auf die sozialrechtliche Beurteilung im Rahmen des § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III hat. Wenn die sozialgerichtliche Rechtsprechung bislang davon ausgegangen ist, dass die materiellrechtlichen Voraussetzungen einer (wirksamen) Kündigung vorgelegen haben müssen, damit ein Kausalzusammenhang zwischen dem arbeitsvertragswidrigen Verhalten und der Kündigung angenommen werden kann, dann muss dies auch bei einer Änderung dieser Voraussetzungen durch Gesetz oder Rechtsprechung gelten. Der Grund hierfür ist, dass eine zivilrechtlich rechtswidrige Kündigung unwirksam ist, also das Arbeitsverhältnis - und damit grundsätzlich auch das sozialrechtlich relevante Beschäftigungsverhältnis - nicht beenden kann.
33 
Die neue Rechtsprechung der Arbeitsgerichte, der in den genannten Grenzen die Sozialgerichte folgen müssen, wurde jedoch erst mit dem genannten Urteil des BAG aus dem Jahre 2010 eingeleitet. Die Sperrzeit, die die Beklagte festgestellt hatte, lag dagegen schon im Frühjahr 2008. Zu jener Zeit herrschte bei den Arbeitsgerichten noch nahezu unangefochten die „Bienenstich“-Rechtsprechung vor. Der Senat ist jedoch der Ansicht, dass in Fällen wie hier, in denen der Sperrzeitbescheid noch nicht bestandskräftig ist, eine spätere Änderung der Rechtsprechung Auswirkungen auf die Rechtmäßigkeitskontrolle hat. Die ordentlichen und die Fachgerichte haben nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz (GG) keine Befugnis zur Rechtssetzung. Eine „Änderung der Rechtsprechung“ hat daher - rechtlich betrachtet - keine konstitutive Wirkung. Sie stellt nur ein - gegenüber der Zeit zuvor „besseres“ - „Erkennen“ der Rechtslage dar, die schon immer gegolten hat. Dies wäre zivilrechtlich so: Einer 2008 erhobene Kündigungsschutzklage, etwa des Klägers, über die das BAG 2010 entschieden hätte, wäre stattgegeben worden. Das Gleiche gilt auch hier bei der sozialrechtlichen Beurteilung. Der Kläger hat keine reine Anfechtungsklage erhoben, bei der es womöglich auf die Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten Behördenentscheidung ankäme. Er begehrt auch im Rahmen einer Leistungsklage die Zahlung von Arbeitslosengeld für den Sperrzeitraum. Über solche Leistungsklagen entscheiden auch die Sozialgerichte grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zur Zeit der letzten mündlichen Verhandlung vor einer Tatsacheninstanz, reine - spätere - Rechtsänderungen sind grundsätzlich sogar noch in der Revisionsinstanz zu berücksichtigen. Dies gilt erst recht, wenn es nicht um eine echte Änderung der Rechtslage geht, sondern - wie ausgeführt - nur um eine „Änderung der Rechtsprechung“. Für diese Ansicht spricht auch, dass das SGB III in § 330 Abs. 1 eine ausdrückliche Regelung für solche Änderungen der Rechtsprechung enthält. Nach dieser Vorschrift ist ein Bescheid der Beklagten nach § 44 Abs. 1 Satz 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), wenn sich nach seinem Erlass die „ständige Rechtsprechung“ ändert, nur für die Zeit nach der Änderung dieser Rechtsprechung zurückzunehmen. Diese Regelung gilt aber nur, wenn der Bescheid „unanfechtbar geworden“ ist. Außerdem ist sie nach der Rechtsprechung des BSG als Ausnahmevorschrift „eng“ auszulegen (vgl. Düe, in Niesel/Brand, a.a.O., § 330 Rn. 5 m.w.N.). Aus der Existenz dieser Vorschrift ist daher ein Umkehrschluss zu ziehen: Wenn ein Bescheid noch nicht bestandskräftig geworden ist, ist eine geänderte Rechtsprechung ohne die zeitliche Beschränkung aus § 330 Abs. 1 SGB III zu berücksichtigen. Einen ähnlichen Gedanken enthält im Übrigen - in Bezug auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) - die Regelung in § 79 Abs. 2 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG).
34 
(3) Unabhängig von diesem fehlenden Kausalzusammenhang zwischen dem arbeitsvertragswidrigen Verhalten und der Kündigung hat der Kläger auch nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig seine Arbeitslosigkeit verursacht, wie es § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III weiter voraussetzt. Wegen dieses Umstandes schiede eine Sperrzeit in Fällen wie diesen auch aus, wenn man das Fehlen einer arbeitsrechtlich erforderlichen Abmahnung nicht bei der Kausalität zwischen Vertragsverstoß und Kündigung berücksichtigt (s.o.), sondern nur bei dem Verschulden des Arbeitnehmers (so Karmanski, a.a.O., Rn. 45). Grobe Fahrlässigkeit liegt nur vor, wenn der Arbeitnehmer die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, wobei von einem individuellen, subjektiven Maßstab auszugehen ist (Karmanski, a.a.O., Rn. 53). Der Kläger durfte zwar nicht davon ausgehen, dass die geöffnete Palette eine Trinkspende der B. GmbH sei. Er musste jedoch andererseits auch nicht damit rechnen, dass ihn die B. GmbH wegen der Entwendung der Dose kündigen würden. Dies beruht nicht nur auf der Geringfügigkeit des Verstoßes, sondern gerade auch darauf, dass ein Verschulden im Sinne des § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III fehlt, wenn - wie hier - ein Verhalten nur mit einer vorherigen Abmahnung einen Kündigungsgrund bildet, eine solche Abmahnung aber fehlt (Karmanski, a.a.O., Rn. 45, 54, Stichwort „Abmahnung“).
35 
bb) Dem Kläger kann auch nicht entgegengehalten werden, dass er gegen die - zivilrechtlich unwirksame - Kündigung seines Arbeitgebers nicht durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage entgegen getreten ist, sodass die Kündigung nach Ablauf der Klagefrist gleichwohl als wirksam gilt.
36 
Nach der Rechtsprechung des BSG führt ein rein passives Verhalten des Arbeitnehmers nicht zu einer „Lösung des Beschäftigungsverhältnisses“ durch ihn im Sinne von § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Var. 1 SGB III. Die Hinnahme einer Arbeitgeberkündigung, auch wenn sie - wie hier - rechtswidrig war, ist kein aktiver Lösungsakt in diesem Sinne (Karmanski, a.a.O., Rn. 37 m.w.N.). Das BSG hat Zweifel an dieser Ansicht bislang nur für die Fälle geäußert, in denen ein - ordentlich unkündbarer - Arbeitnehmer eine offensichtlich rechtswidrige Kündigung im Hinblick auf eine zugesagte finanzielle Vergünstigung hinnimmt (Urteil vom 09.11.1995, 11 RAr 27/95, zit. nach BB 1996, 1510 f., in: Juris). Bei dem Kläger lagen diese Voraussetzungen nicht vor. Vor allem war die Kündigung durch die B. GmbH in den drei Wochen Klagefrist, in denen der Kläger gegen sie hätte vorgehen müssen, nicht „offensichtlich“ rechtswidrig, da sie - wie ausgeführt - der damaligen Rechtsprechung der Arbeitsgerichte entsprach.
37 
Im Übrigen wäre auch in diesem Fall ein Verschulden des Klägers zu verneinen, weil er davon ausgehen durfte, die Kündigung sei wirksam. Bei diesem subjektiven Merkmal kann nur auf die damalige Rechtsprechung der Arbeitsgerichte abgestellt werden, auch wenn sich diese Rechtsprechung im nachhinein als bereits damals unrichtig herausgestellt hat.
38 
cc) Die weiteren Voraussetzungen des klägerischen Anspruchs auf Alg für die Zeit vom 01.03. bis 11.04.2008 (bzw. 23.05.2008) liegen vor. Insbesondere hatte sich der Kläger - am 28.02.2008 - arbeitslos gemeldet und stand den Vermittlungsbemühungen der Beklagten zur Verfügung. Sonstige Ruhenstatbestände, etwa wegen einer Abfindung oder einer verspäteten Arbeitssuchendmeldung, liegen nicht vor. Die Höhe des geltend gemachten Anspruchs auf Arbeitslosengeld muss der Senat nicht feststellen, nachdem der Kläger seinen Leistungsantrag zulässigerweise (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) auf eine Verurteilung dem Grunde nach beschränkt hat.
39 
3. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens beruht auf § 193 Abs. 1 SGG i.V.m. den Rechtsgedanken des § 91 Abs. 1 ZPO. Wegen des von der Beklagten anerkannten Teils der Klagforderung greift § 93 ZPO nicht ein, nachdem das Teil-Anerkenntnis nicht sofort nach Erhebung der Klage oder nach einer wesentlichen Änderung der Prozesslage erklärt worden ist.
40 
4. Der Senat lässt wegen der Frage, ob eine geänderte arbeitsgerichtliche Rechtsprechung Auswirkungen auf die Auslegung des § 144 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Var. 2 SGB III hat und ob diese auch Kündigungen aus der Zeit vor der Änderung der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung betrifft, wenn der anschließende Sperrzeitbescheid noch nicht bestandskräftig ist, die Revision zu (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen