Beschluss vom Oberlandesgericht Bamberg - 2 UF 27/20

Tenor

1. Auf die Beschwerde der Kindsmutter werden die Beschlüsse des Amtsgerichts - Familiengericht - X. vom 28.01.2020 und 11.11.2019 (3 F 1509/19) unter Aufhebung der angeordneten Ergänzungspflegschaft wie folgt abgeändert:

Dem Kindsvater wird die elterliche Sorge für das Kind K. insoweit entzogen, als eine Entscheidung des Kindes über den Anschluss als Nebenkläger in dem Strafverfahren gegen den Kindsvater beim Amtsgericht X. (302 Ds 102 Js 3042/19) zu treffen ist.

2. Im Übrigen wird die Beschwerde der Kindsmutter unter Abweisung ihres Antrages auf Übertragung des Rechts zur Vertretung des Kindes K. bei der Entscheidung über den Anschluss als Nebenkläger in dem Strafverfahren 302 Ds 102 Js 3042/19 zurückgewiesen.

3. Von Erhebung von Gerichtskosten für das Verfahren in beiden Instanzen wird abgesehen.

Die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen werden nicht erstattet.

4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 1.000,00 Euro festgesetzt.

5. Die Rechtsbeschwerde findet nicht statt.

Gründe

I.

Gegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Vertretungsbefugnis der Kindsmutter für die Entscheidung des Kindes K., ob es sich dem gegen seinen Vater geführten Strafverfahren als Nebenkläger anschließt.

Der Pflegling K. ist das gemeinsame Kind der Beteiligten M. und V., denen die elterliche Sorge für das Kind ursprünglich vollumfänglich gemeinsam zustand.

Bezüglich der elterlichen Sorge für das Kind K. hatte das OLG Frankfurt mit Beschluss vom 25.01.2018 (1 UF 194/17) das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge und das Recht zur Beantragung öffentlicher Hilfen dem Kindsvater zur alleinigen Ausübung zugewiesen. Hinsichtlich der beiden letztgenannten Aufgabenkreise hat der Kindsvater zwischenzeitlich dem Stadtjugendamt Vollmacht zum alleinigen Tätigwerden erteilt. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht wurde mit Beschluss vom 01.03.2019 im Verfahren 3 F 306/19 (Amtsgericht X.) im Wege der einstweiligen Anordnung dem insoweit bis dahin allein sorgeberechtigten Kindsvater entzogen und Ergänzungspflegschaft angeordnet. Ergänzungspfleger ist das Stadtjugendamt X..

Die elterliche Sorge liegt ansonsten in der gemeinsamen Ausübung beider Eltern.

Die Staatsanwaltschaft X. führt zwischenzeitlich ein Ermittlungsverfahren gegen den Kindsvater wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs zum Nachteil des Kindes K. Die Staatsanwaltschaft hat insoweit Anklage zum Amtsgericht X. erhoben (302 Ds 102Js 3042/19). Die Eröffnung des Hauptverfahrens steht noch aus.

Auf Antrag der Staatsanwaltschaft X. vom 07.11.2019 hat das Amtsgericht - Familiengericht - X. mit Beschluss vom 11.11.2019 im Wege der einstweiligen Anordnung ohne mündliche Verhandlung für das Kind K. für den Aufgabenbereich „Entscheidung des Kindes über den Anschluss als Nebenkläger gemäß § 395 ZPO“ Ergänzungspflegschaft angeordnet und das Stadtjugendamt X. auch insoweit zum Ergänzungspfleger bestellt. Hiergegen hat die Kindsmutter mündliche Verhandlung beantragt, die am 27.01.2020 mit Anhörung der beiden Kindseltern, des Ergänzungspflegers und des Jugendamts als Fachbehörde stattfand.

Mit Beschluss vom 28.01.2020 hat das Amtsgericht den Beschluss vom 11.11.2019 aufrechterhalten und hierzu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Kindsvater als Beschuldigter von der Vertretung des Kindes in Bezug auf einen Anschluss als Nebenkläger ausgeschlossen sei und die Erweiterung der Ergänzungspflegschaft auf §§ 1626 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB beruhe. Es sei unklar, ob der Anschluss des Kindes als Nebenkläger dem Interesse des Kindes entspreche. Die Kindsmutter wünsche den Anschluss als Nebenkläger wo hingegen der Ergänzungspfleger gegen einen Anschluss sei. Die Mutter sei in den bestehenden Elternkonflikt stark emotional involviert, weshalb das Gericht erhebliche Zweifel habe, dass die Kindsmutter über die Frage der Erhebung der Nebenklage für das Kind unbefangen und allein auf das Interesse des Kindes bedacht entscheiden könne.

Im Übrigen wird auf die Beschlüsse vom 11.11.2019 und 28.01.2020, den Sitzungsvermerk vom 27.01.2020 und die beim Amtsgericht eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

Gegen den ihrem Verfahrensbevollmächtigten am 31.01.2020 zugestellten Beschluss vom 28.01.2020 hat die Kindsmutter mit am 04.02.2020 beim Amtsgericht eingegangenem Anwaltsschriftsatz Beschwerde eingelegt. Sie beantragt die Aufhebung des Beschlusses vom 11.11.2019 und die Übertragung des Rechts zur Vertretung des Kindes bei der Entscheidung über den Anschluss als Nebenkläger in dem Strafverfahren gegen den Kindsvater zur alleinigen Ausübung auf die Kindsmutter. Zwischen der Kindsmutter und den Kindesinteressen bestehe kein Gegensatz. Vielmehr weisen die Interessen der Kindsmutter und des Kindes Parallelitäten auf. Wenn der Ergänzungspfleger einen Anschluss als Nebenkläger ablehne, sei das Kind durch den angefochtenen Beschluss im Ergebnis rechtsschutzlos gestellt. Die Ablehnung des Jugendamts hinsichtlich der Frage des Anschlusses als Nebenkläger sei in Verbindung mit dem Verhalten des Jugendamts im Vorfeld der Inobhutnahme des Kindes K. zu sehen. Obwohl dem Jugendamt entsprechende Hinweise auf ein strafbares Verhalten des Kindsvaters zum Nachteil des Kindes mitgeteilt worden seien, sei das Jugendamt zunächst untätig geblieben.

Der Kindsvater verteidigt die angefochtenen Entscheidungen.

Der Ergänzungspfleger beantragt ebenfalls, die Beschwerde der Kindsmutter zurückzuweisen. Die Erhebung der Nebenklage könne sich negativ auf die Vater-Kind-Beziehung in der Zukunft auswirken und damit dem Kindeswohl zuwiderlaufen.

Im Übrigen wird auf die im Beschwerdeverfahren eingereichten Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 57 Abs. 2 Nr. 1, 58 ff. FamFG zulässige Beschwerde der Kindsmutter hat insoweit auch in der Sache Erfolg, als die mit Beschlüssen vom 11.11.2019 und 28.01.2020 seitens des Amtsgerichts angeordnete bzw. aufrechterhaltene Ergänzungspflegschaft aufzuheben ist. Weiterhin ist dem Kindsvater die elterliche Sorge für die Entscheidung über den Anschluss des Kindes als Nebenkläger in dem gegen den Kindsvater geführten Strafverfahren zu entziehen. Die darüber hinausgehende Beschwerde mit dem Begehren der Übertragung des Rechts zur Entscheidung über den Anschluss als Nebenkläger ist unbegründet und zurückzuweisen.

1. Entsprechend den insoweit zutreffenden Ausführungen des Amtsgerichts ist die Frage der Anordnung der Ergänzungspflegschaft für den Aufgabenkreis „Entscheidung des Kindes über den Anschluss als Nebenkläger gemäß § 395 StPO“ bezüglich des gegen den Kindsvater wegen Straftaten zum Nachteil des Kindes K. geführten Strafverfahrens nach § 1796 BGB zu entscheiden. Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Ergänzungspflegschaft (§ 1909 BGB) liegen insoweit aber nicht vor.

2. Die Frage des Anschlusses als Nebenkläger ist strikt von der Frage zu trennen, ob ein minderjähriges Kind im Strafverfahren gegen seine Eltern oder gegen einen Elternteil von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch macht. Soweit für Letzteres wegen § 52 Abs. 2 Satz 2 StPO die gesetzlichen Vertreter wegen ihrer Beschuldigteneigenschaft hierüber nicht entscheiden können, erfolgt bereits daraus die Erforderlichkeit der Anordnung einer Ergänzungspflegschaft. Dies gilt aber nicht für die Frage des Anschlusses als Nebenkläger.

3. Der Anschluss als Nebenkläger im Strafverfahren gegen ein Elternteil unterfällt auch nicht der Bestimmung in § 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB. Diese Regelung erfasst nur das zivilprozessuale Verfahren sowie das streitige Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit.

Auch eine analoge Anwendung des § 1795 Abs. 1 Nr. 3 BGB ist nicht möglich (a.A. Roth in Ehrmann, BGB, 15. Auflage 2017, § 1909 BGB Rn. 8 a.E; wohl auch OLG Stuttgart, Beschluss vom 31.03.1999, 4 Ws 57/99 - Juris Rn. 10; darauf berufend im Ergebnis auch Hilger in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Auflage 2009, § 395 Rn. 28). Eine analoge Anwendung hat zur Voraussetzung, dass eine planwidrige Regelungslücke besteht, damit eine Bestimmung entsprechend auf einen mit der geregelten Fallgestaltung vergleichbaren Sachverhalt Anwendung finden kann. Dies ist für die hier zu entscheidende Frage der Vertretungsbefugnis der Eltern für den Anschluss des Kindes als Nebenkläger nicht gegeben, da dies nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB zu regeln ist und auch zutreffend geregelt werden kann. Nach §§ 1629 Abs. 2 Satz 3, 1796 BGB ist für konkrete Interessenkollisionen vorgesehen, den sorgeberechtigten Kindseltern oder einem von diesen für einzelne Angelegenheiten oder einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten die Vertretungsmacht zu entziehen (was das Amtsgericht mit den Beschlüssen vom 11.11.2019 und 28.01.2020 jedoch unterlassen hat) und - soweit erforderlich - gemäß § 1909 BGB Ergänzungspflegschaft anzuordnen (vgl. OLG Frankfurt FamRZ 2009, 1227; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 20.06.2013, 1 F 187/13 - Juris).

4. Der mit der Anklage der Staatsanwaltschaft X. überzogene Kindsvater ist auch nicht gemäß § 1795 Abs. 2 BGB i.V.m. § 181 BGB von Gesetzes wegen hinsichtlich der Entscheidung über den Anschluss als Nebenkläger für das Kind ausgeschlossen.

Soweit die angefochtene Entscheidung einen Ausschluss des Kindsvaters aufgrund „seiner Stellung als Beschuldigter im Strafverfahren“ annimmt, dürfte sich das Amtsgericht wohl der Ansicht angeschlossen haben, dass sich ein Ausschluss aus der analogen Anwendung der §§ 1795 Abs. 2 BGB, 181 BGB bzw. aus einem allgemeinen Grundsatz ergibt, dass bei Verfahrenshandlungen jeglicher Art niemand auf gegeneinander gerichteten Seiten auftreten kann, also auch nicht als Vertreter (vgl. zur Strafantragstellung insoweit etwa die Zusammenstellung bei Peschel-Gutzeit in Staudinger, BGB (Bearbeitung 2015), § 1629 Rn. 114 - 117).

Bei der Entscheidung über den Anschluss als Nebenkläger handelt es sich nicht um ein Rechtsgeschäft i.S.d. § 181 BGB. Zwar ist § 181 BGB auch auf Verfahrenshandlungen in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten oder in streitigen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit anwendbar (vgl. nur Schilken in Staudinger, BGB (Bearbeitung 2019), § 181 Rn. 27 und 28). Vorliegend geht es jedoch um die Anschlusserklärung als Nebenkläger. Eine entsprechende Anwendung des § 1795 Abs. 2 i.V.m. § 181 BGB ist hierauf ebenfalls nicht erforderlich, weil auch insoweit nach § 1796 BGB die diesbezügliche Entziehung der Vertretungsmacht geregelt ist. Dies gilt jedenfalls für die Fälle des erheblichen Interessengegensatzes. Gemäß § 1796 Abs. 2 BGB soll eine Entziehung nur erfolgen, wenn das Interesse des Mündels zu dem Interesse des Vormunds (hier wegen § 1629 Abs. 2 S. 3 BGB: sorgeberechtigten Elternteils) in erheblichem Gegensatz steht. Ein solcher besteht immer in den Fällen, in denen der gesetzliche Vertreter auch der Beschuldigte im Strafverfahren ist.

Der Kindsvater hat auch vorliegend ein Interesse daran, dass ein Nebenklageanschluss seitens des Kindes nicht erfolgt. Dem Kind sollen keine strafprozessualen Verfahrensrechte als Nebenkläger in dem gegen ihn gerichteten Strafverfahren zustehen. Damit stehen sich die Interessen des Kindsvaters und des Kindes von vornherein diametral entgegen, so dass die Voraussetzungen des § 1796 Abs. 2 BGB insoweit gegeben sind. Folglich ist dem Kindsvater hier gem. §§ 1629 Abs. 2 S. 3, 1796 Abs. 2 BGB insoweit die elterliche Sorge zu entziehen, ohne dass es der analogen Anwendung der §§ 1795 Abs. 2, 181 BGB oder des Rückgriffes auf einen Rechtsgrundsatz bedarf, bei dem im Übrigen auch umfangreiche Ausnahmen gemacht werden (vgl. z.B. Veit in Staudinger, BGB (Bearbeitung 2014), § 1795 Rn. 14ff).

5. Anders liegt dies jedoch bezüglich der Kindsmutter. Soweit das Amtsgericht dem Oberlandesgericht Hamburg (FamRZ 2013, 1683) folgend einen allgemeinen Interessengegensatz bezüglich der Kindsmutter einerseits und des Kindes andererseits als möglich in den Raum stellt, ist dies ebenso wenig überzeugend wie der angeführte Gesichtspunkt, es sei unklar, ob der Anschluss als Nebenkläger dem Interesse des Kindes entspreche. Soweit das Amtsgericht die Ansicht vertritt, dass aufgrund des Elternkonfliktes erhebliche Zweifel daran bestünden, dass die Kindsmutter über die Frage der Erhebung der Nebenklage für das Kind unbefangen und allein auf das Interesse des Kindes bedacht entscheiden könne, kann hierauf ebenfalls nichts gestützt werden. All dies ergibt nicht, dass ein erheblicher Interessengegensatz tatsächlich besteht, wie dies § 1796 Abs. 2 BGB seinem Wortlaut nach fordert, oder zumindest ernsthaft droht. Ungewissheiten und Zweifel in nicht näher nachvollziehbarem Ausmaß stellen keine taugliche Grundlage dar, Teilbereiche der elterlichen Sorge nach § 1796 Abs. 2 BGB zu entziehen und hierfür Ergänzungspflegschaft anzuordnen.

Vorliegend ist auch zu berücksichtigten, dass der Kindsvater wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 Abs. 4 StGB zum Nachteil des Kindes K. angeklagt ist. Dass insoweit der Anschluss als Nebenkläger dem Kindeswohlinteresse zuwiderläuft, wie dies seitens des Jugendamts geäußert wird, ist nicht ersichtlich. Das Interesse des Kindes dürfte insoweit auch für die Gestaltung des zukünftigen Lebens und der Beziehung zum Kindsvater dahin gehen, diesen Tatvorwurf aufzuklären. Damit ergibt sich kein erheblicher Gegensatz der Interessen der Kindsmutter zu denen des Kindes.

All dies ergibt zwar einen erheblichen Interessengegensatz zwischen den Kindesinteressen und den Interessen des Kindsvaters, aber nicht zwischen den Kindesinteressen und den Interessen der Kindsmutter.

6. Demzufolge ist das Recht zur Entscheidung über den Anschluss als Nebenkläger in dem betreffenden Strafverfahren gegen den Kindsvater dem Kindsvater zu entziehen. Gemäß § 1680 Abs. 1, 3 BGB steht insoweit dieser Teilbereich der elterlichen Sorge damit von Gesetzes wegen der Kindsmutter allein zu, weshalb es der Übertragung auf die Kindsmutter zur alleinigen Ausübung nicht bedarf (vgl. nur Coester in Staudinger, BGB (Bearbeitung 2016), § 1680 Rn. 16). Die angeordnete Ergänzungspflegschaft ist aufzuheben.

Das weitergehende Beschwerdebegehren der Kindsmutter ist deshalb zurückzuweisen.

Der Bestellung eines Verfahrensbeistandes bedurfte es vorliegend nicht, da ein solcher keine weiteren Erkenntnisse für die Interessen des Kindes hätte gewinnen und beitragen können.

Der Senat konnte gem. § 68 Abs. 3 S. 2 FamFG ohne Termin entscheiden, da alle erforderlichen Anhörungen bereits vom Amtsgericht ordnungsgemäß durchgeführt wurden und neue Erkenntnisse durch eine Wiederholung im Beschwerdeverfahren nicht zu erwarten sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 FamFG.

Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Beschwerdeverfahren hat ihre Grundlage in §§ 40, 41, 46 Abs. 2 FamGKG.

Gemäß § 70 Abs. 4 FamFG findet die Rechtsbeschwerde im einstweiligen Anordnungsverfahren nicht statt.

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