Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 18 U 82/14
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 6.3.2014 verkündete Urteil der 2. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Dortmund teilweise abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.878,56 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.5.2014 zu zahlen;
die weitergehende Klage bleibt abgewiesen; die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz trägt die Klägerin; die Kosten der Berufung tragen die Klägerin zu 73% und die Beklagte zu 27 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e:
2I.
3Die Parteien streiten um Ansprüche auf Fautfracht.
4Die Klägerin ist eine auf Schwerlasttransporte spezialisierte, international tätige Spedition. Auf eine Anfrage der Beklagten unterbreitete die Klägerin am 28.6.2010 ein Angebot zur Durchführung eines Transports von zwei Maschinen mit einem Bruttogewicht von jeweils 71,70 t von Kiel Hafen über St. Petersburg Hafen per Schiff und von dort per Lkw nach Dorogobuzh, einem Ort in der Region Smolensk, für eine Fracht von 31.760 €. Die von den russischen Behörden genehmigte Strecke für den Landtransport betrug 1.026,79 km.
5Mit Fax vom 26.7.2010 erteilte die Beklagte der Klägerin einen Transportauftrag, den die Klägerin mit Auftragsbestätigung Email vom 27.7.2010 bestätigte. Darin heißt es u.a.:
6„Verschiffungsdatum: |
voraussichtlich 7.8.2010 |
Übernahme ab St. Petersburg: |
voraussichtlich KW 32, nach Erhalt der Genehmigung |
Entladetag: |
voraussichtlich KW 33 |
Frachtpreis: |
EURO 31.760,00 offen via Fähre, inkl. Umladung, inkl. Zollkonvoi bis zu einem WW EURO 350.000,00 pro Lkw Ladung |
Standzeiten: |
24 Std. für die Verzollung und 24 Std. für die Entladung sind frei, jeweils ab der 25. Std. berechnen wir je angefangenen Kalendertag pro eingesetztes Fahrzeug EURO 1200,00.“ |
Die Beklagte nahm nach telefonischer Rücksprache mit der Klägerin eine handschriftliche Änderung dahingehend vor, dass als Zahlungsziel 45 statt 30 Tage nach Erhalt der Rechnung gelten sollte und faxte die so geänderte Auftragsbestätigung zurück.
8Am darauf folgenden Tag teilte die Klägerin der Beklagten per Email mit, dass in der 32. Kalenderwoche nur ein Fahrzeug zur Verfügung stehe. Es wurde um Bestätigung gebeten, ob die zweite Maschine ca. zwei Wochen nach der ersten Maschine transportiert werden könne.
9Die Klägerin nahm mit dem Empfänger in Russland Kontakt auf, nachdem die Beklagte ihr mit Email vom 4.8.2010 die Zollpapiere übersandt hatte. Dieser teilte ihr mit, dass die gesamte Ware gleichzeitig angeliefert werden müsse, da eine gemeinsame Verzollung beantragt worden sei. Hierüber informierte die Klägerin die Beklagte in einer Email vom 6.8.2010, in der sie den Einsatz eines weiteren Lkw in der 33. Kalenderwochen für einen Mehrbetrag von ca. 7.000 € anbot. Ferner wies sie darauf hin, der Empfänger habe ihr mitgeteilt, dass die Ware bis spätestens zum 1.8.2010 hätte angeliefert werden müssen und für die Verspätung eine Vertragsstrafe vorgesehen sei.
10In der Folge diskutierten die Parteien via Email darüber, ob die Klägerin den gleichzeitigen Einsatz von zwei Lkw schulde oder auch der Einsatz eines Fahrzeugs im „Rundlauf“ den vertraglichen Vereinbarungen entspreche. Anders als ursprünglich geplant, wurden die Maschinen schließlich nicht am 5./6.8.2010, sondern erst am 10.8.2010 in Kiel, wo sie von der Klägerin übernommen werden sollten, angeliefert, so dass die ursprünglich für den 7.8.2010 avisierte Verschiffung nunmehr am 14.8.2010 stattfinden sollte. Mit Email vom 9.8.2010 bat die Beklagte, „die Teile wie geplant am 14.08.2010 zu verschiffen“, die Entladung müsse „dann im Rundlauf“ geschehen. Zugleich bat die Beklagte die der russischen Sprache mächtige Mitarbeiterin der Klägerin, bei dem russischen Empfänger auf eine Einzelverzollung hinzuwirken.
11Nachdem die Beklagte eine andere Transportmöglichkeit gefunden hatte, schrieb sie mit Email vom 11.8.2010 an die Klägerin:
12„So leid es mir tut, muss sich Ihnen hiermit den Auftrag stornieren.
13Die Ware muss so schnell wie möglich zum Empfänger und kann nicht noch über fünf Wochen in Kiel liegen bleiben.
14Bitte geben Sie der Reederei Bescheid, dass sie die bis jetzt angefallenen Kosten (die Umladung gestern) an uns abrechnen sollen.“
15Die Klägerin übersandte der Beklagten am 12.8.2010 eine Email, in deren Anhang sich eine Rechnung über die Fautfracht auf der Basis von 1/3 des vereinbarten Frachtpreises befand, mit folgendem Inhalt:
16„wir nehmen Ihr Storno zur Kenntnis und möchten Sie informieren, dass wir von der Regelung gemäß HGB § 415 / ADSp 16.3 Gebrauch machen werden.
17[...]
18In Erwartung Ihrer kurzen Rückbestätigung – zwecks Freigabe unserer Verbuchung und der Waren Kiel Hafen – verbleiben wir mit freundlichen Grüßen.“
19Mit Email vom 20.8.2010 bestätigte die Beklagte die Kostenübernahme „um die Verschiffung der Sendung zu ermöglichen.“ Die Klägerin gab daraufhin die Sendung frei. Mit Anwaltsschreiben vom 26.8.2010 ließ die Beklagte die Kostenübernahmeerklärung widerrufen, hilfsweise anfechten. Die Klägerin wies dies mit Anwaltsschreiben vom 31.8.2010 zurück.
20Der Klägerin wurden von der Firma E für den Umschlag in Kiel 2.878,56 € in Rechnung gestellt. Ob das von ihr mit dem Landtransport in Russland beauftrage Transportunternehmern wegen der Stornierung weitere 6.900 € von der Klägerin verlangt, ist zwischen den Parteien streitig.
21Die Klägerin hat gemeint, sie habe sich nicht verpflichtet, die Maschinen gleichzeitig mit zwei Lkw in Russland zu transportieren. Sie habe den Transport mit einem Lkw durchführen dürfen, da keine Fixtermine vereinbart worden seien. Sie habe auch keine Einzelverzollung geschuldet. Jedenfalls aufgrund ihrer Kostenübernahmeerklärung, die ein Schuldanerkenntnis darstelle, sei die Beklagte zur Zahlung verpflichtet.
22Sie hat beantragt,
23die Beklagte zu verurteilen, an sie 10.586,66 € nebst Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.9.2010 und vorgerichtliche Kosten i.H.v. 414,50 € zu zahlen.
24Die Beklagte hat beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Sie hat gemeint, die Klägerin habe die Stornierung des Vertrages zu vertreten. Insofern hat sie behauptet, beide Parteien seien davon ausgegangen, dass die aus mehreren Stücken bestehende Sendung gleichzeitig im Fährhafen St. Petersburg hätte entladen und weitertransportiert werden können. Nur so habe die zeitliche Vorgabe für den Transport eingehalten werden können.
27Das Landgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen und dies wie folgt begründet:
28Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Fautfracht nach § 415 Abs. 2 Nr. 2 HGB denn die Beklagte habe dargetan, dass ihre Kündigung des Frachtvertrags auf Gründen aus dem Risikobereich der Klägerin beruhe. Die Parteien hätten einen Transportauftrag geschlossen, der den zeitgleichen Einsatz zweier Transportfahrzeuge vorgesehen habe. Dies lasse sich aus dem Angebot der Klägerin aus der allein maßgeblichen Sicht des Adressaten angesichts der kurzen Transportdauer von nicht mehr als zwei Wochen entnehmen. Es hätte eines Hinweises bedurft, wenn die Klägerin bei ihrem Angebot nur einen Einsatz im Rundlauf gemeint habe. Dies sei ausweislich der Beweisaufnahme nicht geschehen. Grund für die Stornierung des Auftrages durch die Beklagte sei gewesen, dass die Klägerin die vertraglich vereinbarte Ausführung abgelehnt und Mehrkosten für ein weiteres Fahrzeug oder eine Einlagerung gefordert habe. Die Frage der Verzollung und die verspätete Anlieferung der Ware hätten dafür keine Bedeutung. Eine Blockverzollung wäre bei dem Einsatz zweier Fahrzeuge möglich gewesen. Die verspätete Anlieferung der Ware im Hafen Kiel habe nicht zu einer Stornierung der Versendung geführt.
29Die Klageforderung könne auch nicht auf die Kostenübernahmeerklärung der Beklagten vom 20.8.2010 gestützt werden. Aus dem Zusatz „um die Verschiffung der Sendung zu ermöglichen“ sei zu entnehmen, dass der Anspruch der Klägerin auf Fautfracht nicht anerkannt werden sollte. Insofern käme es auf die Frage, ob die Beklagte die Kostenübernahmeerklärung wirksam habe widerrufen bzw. anfechten oder kondizieren könne, nicht an.
30Die Klägerin verfolgt ihren erstinstanzlichen Zahlungsantrag mit der Berufung weiter. Sie begründet diese im Wesentlichen wie folgt:
31Entgegen der Auffassung des Landgerichts stelle die Email der Beklagten vom 20.8.2010 ein Anerkenntnis aus der maßgeblichen Sicht der Klägerin dar. Nur vor diesem Hintergrund habe die Klägerin überhaupt ihr Frachtführerpfandrecht aufgegeben. Die Formulierung „um die Verschiffung der Sendung zu ermöglichen“ stelle allenfalls einen unbeachtlichen geheimen Vorbehalt im Sinne von § 116 S. 1 BGB dar. Das Anerkenntnis könne die Beklagte nicht kondizieren, da sie es, falls ihre Rechtsauffassung zutreffen sollte, in Kenntnis der Nichtschuld abgegeben habe. Aus diesem Grunde sei auch eine Anfechtung der Kostenübernahmeerklärung nicht möglich. Alternativ zu dem Anspruch auf Fautfracht könne sie ihre Aufwendungen nach § 415 Abs. 2 Nr. 1 HGB ersetzt verlangen.
32Das Landgericht habe den Vertrag zwischen den Parteien falsch ausgelegt, sofern es davon ausgegangen sei, dass ein Transport mit zwei LKWs geschuldet gewesen sei. Der Vertrag selbst enthalte keine eindeutige Regelung zu der Frage einer gleichzeitigen Beförderung mittels zweier Lkw bzw. eines „Rundlaufs“ mit einem Lkw. Auch auf der Basis der Aussage der Zeugin W müsse davon ausgegangen werden, dass kein gleichzeitiger Transport des Gutes vereinbart worden sei. Der Transport mit einem Lkw sei auch in einem Zeitfenster von zwei Wochen möglich gewesen. Dies sei von der Beklagten nicht bestritten worden.
33Sie beantragt,
34das Urteil des Landgerichts Dortmund vom 6.3.2014 abzuändern und die Beklagten zu verurteilen, an sie 10.586,66 € nebst Zinsen i.H.v. acht Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.9.2010 sowie vorgerichtliche Kosten i.H.v. 414,50 € zu zahlen
35Die Beklagte beantragt,
36die Berufung zurückzuweisen.
37Sie verteidigt das angefochtene Urteil und bekräftigt ihre Auffassung, wonach eine Beförderung „im Rundlauf“ nicht vertragsgemäß gewesen sei, dadurch erst die Probleme im Zusammenhang mit der Blockverzollung entstanden seien und die Klägerin keinen Anlass für die Annahme gehabt habe, ihr stehe Fautfracht zu.
38Wegen weiterer Einzelheiten des Sachvortrags wird auf die in beiden Instanzen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.
39II.
40Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.
41Der Klägerin steht ein Zahlungsanspruch in Höhe von 2.878,56 € nebst Rechtshängigkeitszinsen zu.
421.
43Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Fautfracht gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 HGB.
44Nach dieser Regelung kann der Frachtführer im Falle der Kündigung des Frachtvertrags durch den Absender ein Drittel der vereinbarten Fracht verlangen.
45a)
46Ein Frachtvertrag liegt vor. Die Parteien haben einen Transport der Maschinen mit verschiedenartigen Beförderungsmitteln (Schiff und Lkw) vereinbart. Ob es sich hierbei um einen multimodalen Frachtvertrag (§ 452 HGB) oder um einen Speditionsvertrag (§§ 453 ff. HGB) handelt, kann im Ergebnis offen bleiben. Denn es ist eine Spedition zu festen Kosten (§ 459 HGB) vereinbart worden, so dass die Klägerin die Rechte und Pflichten eines Frachtführers hat. § 452 HGB findet auch auf den Fixkostenspediteur Anwendung (BGH NJW-RR 2008, S. 840; Koller, Transportrecht, 8. Aufl., § 459 HGB, Rn. 23). Mangels vorrangiger Bestimmungen greift die Verweisung des § 452 HGB auf die §§ 407 ff. HGB und mithin auch auf § 415 HGB ein.
47b)
48Die Beklagte hat den Transportvertrag mit ihrer E-Mail vom 11.8.2010 gekündigt. Dass sie dabei den Begriff „stornieren“ verwendete, ist unschädlich. Ihrer Erklärung war eindeutig zu entnehmen, dass sie sich vom Vertrag lösen wollte.
49Die Beklagte ist auch Absenderin im Sinne von § 415 Abs. 1 HGB, da sich die Klägerin ihr gegenüber unmittelbar zur Beförderung, die Beklagte indes ihrerseits zur Zahlung des vereinbarten Frachtlohns verpflichtet hatte.
50c)
51Der Anspruch auf die sog. Fautfracht ist jedoch nach § 415 Abs. 2 S. 2 HGB entfallen.
52Nach dieser Vorschrift kann der Frachtführer trotz einer Kündigung durch den Absender keine Fautfracht verlangen, wenn der Kündigungsgrund (auch) in seinem Risikobereich liegt. Letzteres ist regelmäßig dann der Fall, wenn die Kündigung auf Mängeln im Organisationsbereich des Frachtführers oder auf Störungsursachen beruht, die der Frachtführer besser als der Absender beherrschen oder zumindest vorhersehen konnte (Koller, a.a.O., § 415 Rn. 16a).
53aa)
54Diese tatbestandlichen Voraussetzungen des § 415 Abs. 2 S. 2 HGB liegen vor. Zunächst ist der Frachtvertrag dahin zu verstehen, dass ein paralleler Transport der Maschinen erfolgen sollte. Das legt bereits der in der Auftragsbestätigung der Klägerin verwendete Begriff „Zollkonvoi“ nahe, der in diesem Zusammenhang insinuiert, dass sich mehrere Transportfahrzeuge gemeinsam auf dem Weg befinden. Vor allem aber die Angabe eines einheitlichen Zeitraums für das Eintreffen sämtlicher Güter am Zielort spricht aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers für den gleichzeitigen Transport der Güter. Sofern die Klägerin ihre Verpflichtungen im Wege des „Rundlaufs“ nur eines Lkw hätte erfüllen wollen, hätte es – worauf das Landgericht zutreffend hingewiesen hat – gesonderter Absprachen bedurft, die jedenfalls zunächst nicht getroffen worden sind.
55Hinzu kommt, dass die Kündigung der Beklagten letztlich auf der Notwendigkeit einer Blockverzollung beruhte, die sich bei einer Einzelanlieferung der Güter im „Umlauf“ nicht realisieren ließ. Auch diese Problematik fällt in den Risikobereich der Klägerin, denn sie hatte die Verzollung der Güter übernommen. Diese Verpflichtung folgt auch aus der Regelung in Ziff. 5.1 ADSp, auf deren Geltung die Klägerin stets hinwies, und die vorsieht, dass der Auftrag zur Versendung nach einem Bestimmungsort im Ausland den Auftrag zur zollamtlichen Abfertigung einschließt, wenn ohne sie die Beförderung zum Bestimmungsort nicht ausführbar ist, was hier der Fall war. Die vom Empfänger der Güter beantragte Art der Verzollung war daher ein Umstand, mit dem sich die Klägerin schon aufgrund ihrer Frachtführerpflichten befassen musste und den sie besser als die Beklagte beherrschen und vorhersehen konnte. Daraus ergab sich für die Klägerin die Obliegenheit, sich rechtzeitig um die Frage zu kümmern, wie die Verzollung in Russland zu bewerkstelligen sei. Die Klägerin kann sich daher nicht darauf berufen, die Kündigung des Frachtvertrags falle nicht in ihre Risikosphäre, weil sie die Information, wonach seitens des Empfängers „Blockverzollung beantragt“ worden sei, erst im Nachhinein erhalten habe. Vielmehr musste die Klägerin den Verzollungsmodus vorab klären, und zwar jedenfalls dann, wenn sie, wie sie in der Berufung vorträgt, von vornherein einen Transport „im Rundlauf“ vorgesehen hatte. Die Risikosphäre der Beklagten war hingegen nicht betroffen: Abgesehen davon, dass die Beklagte als Absenderin lediglich gehalten war, der Klägerin die von ihr verlangten Informationen über die Verzollung zukommen zu lassen (z.B. Koller, a.a.O., § 413 Rn. 9), hatte sie aufgrund des Inhalts des Frachtvertrags, der – wie dargelegt – auf den gleichzeitigen Transport der Güter hinwies, keinerlei Veranlassung, an eine etwaige Blockverzollung, selbst wenn ihr eine solche bekannt gewesen wäre, als mögliche „Störungsursache“ bezüglich des Transportablaufs zu denken und der Klägerin entsprechende Hinweise zu geben.
56bb)
57Die Klägerin kann ihren Anspruch auf Fautfracht gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 HGB auch nicht auf die Erklärung der Beklagten in der E-Mail vom 20.8.2010 stützen.
58Allerdings handelt es sich bei dieser Erklärung um ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis, das es der Beklagten verwehrt, sich auf die bei der Abgabe der Erklärung bekannten Einwände gegen den Anspruch auf Fautfracht zu berufen.
59Ein deklaratorisches Schuldanerkenntnis ist ein Schuldbestätigungsvertrag, der ein bereits bestehendes bzw. ein auch nur möglicherweise bestehendes Schuldverhältnis (z.B. Münchener Kommentar BGB/Habersack, 6. Aufl., § 781 Rn. 3) lediglich bestätigt und von dem Willen getragen ist, dieses Schuldverhältnis insgesamt oder in einzelnen Beziehungen dem Streit oder der Ungewissheit zu entziehen. Wegen dieser weitgehenden Wirkungen muss in der Regel ein besonderer Anlass für die Bestätigung existieren (Palandt/Sprau, BGB, 74. Aufl., § 781 Rn. 3f.).
60Diese Voraussetzungen liegen hier vor: Die Beklagte hat mit ihrer E-Mail vom 20.8.2010 ausdrücklich die Übernahme der in der E-Mail der Klägerin vom 12.8.2010 erwähnten Kosten bestätigt, wozu gem. der Rechnung der Klägerin vom selben Tag insbesondere die sog. Fautfracht gehörte. Im Vorfeld hatten die Parteien darüber gestritten, ob die Klägerin den gleichzeitigen Einsatz von zwei Transportfahrzeugen schuldete oder ob der Einsatz eines Lkw „im Rundlauf“ den Vereinbarungen entspreche bzw. wer die „Schuld“ an der sich abzeichnenden Verzögerung der Anlieferung beim Empfänger in Russland wegen der „Blockverzollung“ trage. Wenn die Beklagte vor diesem Hintergrund ohne Vorbehalt die Begleichung der in der Rechnung ausgewiesenen Fautfracht ankündigte, brachte sie aus der maßgeblichen Sicht eines objektiven Empfängers zum Ausdruck, dass sie auf ihre bisher erhobenen Einwendungen verzichte. Der Umstand, dass sich die Beklagte nur deshalb solchermaßen erklärte, um die Freigabe der Güter zu erreichen, steht dem nicht entgegen, sondern spricht sogar für einen entsprechenden Rechtsbindungswillen, da sie annehmen musste, die Klägerin werde die Freigabe nur bei einer ernst gemeinten und rechtsgeschäftlich wirksamen Kostenübernahmeerklärung abgeben.
61cc)
62Die Beklagte konnte dieses Anerkenntnis auch nicht kondizieren. Eine Erklärung, mit der das Schuldverhältnis ohne Rücksicht auf möglicherweise bestehende Einwendungen festgelegt werden sollte oder in dem der Schuldner auf bestimmte Einreden verzichtet, kann nicht nach § 812 Abs. 2 BGB rückgängig gemacht werden, falls sich später das „bestätigte“ Schuldverhältnis als ursprünglich nicht bestehend oder sich eine „ausgeschlossene“ Einwendung als begründet herausstellt (BGH, WM 1966, S. 1280; NJW 2000, S. 2501; Staudinger/Marburger, Neubearb. 2009, § 781 Rn. 17).
63dd)
64Das Anerkenntnis ist aber wirksam wegen Drohung (§§ 142, 123 BGB) angefochten worden.
65(1)
66Die Klägerin hat mit ihrer Äußerung, sie erwarte Rückbestätigung „zwecks Freigabe unserer Fährbuchung der Ware im Kiel Hafen“, einen erheblichen wirtschaftlichen Nachteil in Aussicht gestellt und sie in eine Zwangslage gebracht. Denn um sich nicht etwaiger weiterer Schadensersatzansprüche ihrer Auftraggeber auszusetzen, war die Beklagte auf eine schnelle Freigabe der Güter durch die Klägerin angewiesen. Dieser Umstand war der Klägerin aus der vorangegangenen Korrespondenz auch bekannt.
67(2)
68Zwar ist weder das von der Klägerin verfolgte Ziel (die Abgabe der „Rückbestätigung“) noch der Zweck (die Geltendmachung eines – vermeintlichen – Zurückbehaltungsrechts bzw. Pfandrechts) als solcher rechtswidrig. Namentlich für die Rechtmäßigkeit des Zwecks kommt es nicht darauf an, ob der Drohende einen Anspruch auf die erstrebte Handlung des Bedrohten hat, vielmehr genügt bereits der gute Glaube an den bzw. ein berechtigtes Interesse an dem erstrebten Erfolg (z.B. BGH, Urt. vom 19.4.2005, Az. X ZR 15/04, NJW 2005, S. 2766). Zumindest guter Glaube der Klägerin an die Fautfracht ist anzunehmen.
69(3)
70Doch ergibt sich die Rechtswidrigkeit hier aus der Zweck-Mittel-Relation.
71Zwar führt die Verfolgung eines nur vermeintlichen Rechts mit Mitteln, die die Rechtsordnung zur Durchsetzung eines solchen Anspruchs vorsieht, nicht schon deshalb zur Rechtswidrigkeit, weil dieses Recht letztlich nicht besteht. Die Rechtswidrigkeit entfällt vielmehr bereits dann, wenn sich der Drohende bei zweifelhafter Rechtslage auf einen objektiv vertretbaren Rechtsstandpunkt stellt (BGH, a.a.O.).
72An letzterem fehlte es hier jedoch: Die Auffassung der Klägerin, ihr stehe ein Anspruch auf Fautfracht gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 HGB zu, ist angesichts der klar in ihren Risikobereich fallenden Kündigungsgründe, nämlich jedenfalls der unzulänglichen Berücksichtigung der Verzollungsmodalitäten und der sich daraus ergebenden Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit, die der Beklagten zugesagte Beförderung ohne wesentliche Zwischenlagerung auszuführen, nicht mehr als objektiv vertretbar anzusehen.
73Die Durchsetzung eines solchen Anspruchs mittels der Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts stellt sich vor diesem Hintergrund als ein mit der Rechtsordnung nicht vereinbares Verhalten dar, das zur Anfechtbarkeit führt.
74(4)
75Die Beklagte hat ihre Erklärung rechtzeitig angefochten.
762.
77Die Klägerin kann die Beklagte jedoch aus § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB auf Zahlung der für die von ihr veranlasste Umladung der Güter im Hafen Kiel auf sog. Mafi-Trailer entstandenen Kosten in Höhe von 2.878,56 € (Rechnung E vom 31.8.2010, Bl. 97 d.A.) in Anspruch nehmen.
78a)
79Zu Recht hat das Landgericht darauf abgestellt, dass - erstinstanzlich - Ansprüche gem. § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB durch die Klägerin nicht geltend gemacht worden sind.
80Im Rahmen ihrer Berufungsbegründung hat die Klägerin indes klargestellt, dass sie ihren Klageanspruch jedenfalls hilfsweise auch auf Ansprüche aus § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB stütze. Anders sind die Ausführungen in der Berufungsbegründung nicht zu verstehen. Es handelt sich dabei um eine Klageerweiterung gem. § 533 ZPO, die jedoch sachdienlich ist, weil sie auf Tatsachen gestützt werden kann, die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach § 529 ZPO zugrunde zu legen hat (§ 533 Nr. 2 ZPO).
81b)
82Auch (Ersatz-)Ansprüche des Frachtführers aus § 415 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 HGB scheiden grundsätzlich aus, wenn der Kündigungsgrund aus seiner Risikosphäre stammt. Gem. § 415 Abs. 2 S. 2, 2. Hs. HGB gilt dies aber nur, soweit „die Beförderung für den Absender nicht von Interesse ist“. Die Umsetzung der Güter von den anliefernden Lastwagen auf die Mafi-Trailer, auf denen sie sodann auf das Schiff gezogen wurden, entsprach jedoch dem Interesse der Beklagten, weil es ein notwendiger (Um-)Ladungsvorgang für die beabsichtigte und später auch durchgeführte Verschiffung nach St. Petersburg war. Zur Bezahlung dieser Kosten blieb die Beklagte mithin trotz ihrer – berechtigten – Kündigung verpflichtet. Die Frage, ob der Klägerin durch die Beauftragung eines Subunternehmers in Russland weitere Verpflichtungen entstanden sind, kann hingegen offenbleiben, weil die Beklagte entsprechende Dienste nicht mehr in Anspruch genommen hat und diese nicht in ihrem Interesse lagen.
83c)
84Die Entstehung und die Höhe der Kosten gem. der Rechnung E vom 31.8.2010 sind von der Beklagten nicht in Abrede gestellt worden.
85d)
86Der Klägerin steht ein Anspruch auf Verzinsung des Betrages von 2.878,56 € erst ab Eintritt der Rechtshängigkeit – hier mit Zustellung der Klageerweiterung am 27.5.2014 – aus §§ 291, 288 Abs. 2 BGB zu.
873.
88Die Klägerin hat keinen Anspruch auf vorgerichtliche Anwaltskosten, und zwar auch nicht nach einem Gegenstandswert von 2.878,56 €. Das folgt bereits daraus, dass die Beklagte bezüglich der Forderung in Höhe von 2.878,56 € von der Klägerin nicht in Verzug gesetzt worden ist. Sie hat vielmehr den weitaus höheren, ihr nicht zustehenden Anspruch auf Fautfracht geltend gemacht.
89III.
90Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92 Abs. 1, 97 ZPO; die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
91Veranlassung zur Zulassung der Revision besteht nicht. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch die Belange der Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 ZPO) sind nicht gegeben.
92IV.
93Der Streitwert für die Berufung wird auf 10.586,66 € festgesetzt.
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Referenzen
- BGB § 123 Anfechtbarkeit wegen Täuschung oder Drohung 1x
- HGB § 415 Kündigung durch den Absender 13x
- BGB § 142 Wirkung der Anfechtung 1x
- ZPO § 543 Zulassungsrevision 1x
- BGB § 116 Geheimer Vorbehalt 1x
- ZPO § 92 Kosten bei teilweisem Obsiegen 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- HGB § 459 Spedition zu festen Kosten 2x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- BGB § 812 Herausgabeanspruch 1x
- §§ 407 ff. HGB 1x (nicht zugeordnet)
- §§ 453 ff. HGB 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 529 Prüfungsumfang des Berufungsgerichts 1x
- ZPO § 713 Unterbleiben von Schuldnerschutzanordnungen 1x
- ZPO § 533 Klageänderung; Aufrechnungserklärung; Widerklage 2x
- BGB § 288 Verzugszinsen und sonstiger Verzugsschaden 1x
- X ZR 15/04 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 291 Prozesszinsen 1x
- HGB § 452 Frachtvertrag über eine Beförderung mit verschiedenartigen Beförderungsmitteln 3x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x