Urteil vom Oberlandesgericht Hamm - 11 U 84/21
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 04.05.2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 1. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld teilweise abgeändert.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin über den vom Landgericht ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 18.482,07 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.01.2018 zu zahlen.
Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin zu 91 % und die Beklagte zu 9 %. Die Kosten des Rechtsstreites zweiter Instanz tragen die Klägerin zu 93 % und die Beklagte zu 7 %.
Die Klägerin und die Beklagte dürfen die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern die jeweilige Gegenseite vor der Vollstreckung nicht Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Gründe
2I.
3Die klagende GbR verlangt von der beklagten Stadt Zahlung einer Nutzungsentschädigung für sechs Wohnungen, welche die Beklagte zuvor zur Unterbringung von Flüchtlingen beschlagnahmt hatte. Streitgegenständlich ist ein nach der Beschlagnahme liegender Zeitraum, in dem die Wohnungen instandgesetzt werden mussten.
4Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks A-Straße ## in C, auf welchem sie 2013 ein nach § 67 BauO NRW genehmigungsfreies Mehrfamilienhaus mit zwei Vollgeschossen und einem Dachgeschoss mit insgesamt acht Wohneinheiten fertigstellte. Im EG und 1. OG befinden sich jeweils drei Wohnungen, im Dachgeschoss befinden sich zwei weitere Wohnungen. Die drei Wohnungen im Erdgeschoss weisen eine Wohnfläche von 98,03 m² (Wohnung 1), 101,07 m² (Wohnung 2) und 98,02 m² (Wohnung 3) auf. Die drei Wohnungen im 1. Obergeschoss verfügen über eine Wohnfläche von 97,39 m² (Wohnung 4), 100,11 m² (Wohnung 5) und 97,38 m² (Wohnung 6). Das Grundstück liegt im Bereich eines Bebauungsplanes der Stadt C, der ein Allgemeines Wohngebiet ausweist.
5Nach Fertigstellung des Gebäudes im Jahr 2013 nutzte die Klägerin die Wohnungen im EG und 1. OG zunächst als Boardinghouse zur Vermietung an Monteure und Handelsreisende. Die Wohnungen im Dachgeschoss wurden zu Wohnzwecken vermietet. Da die Nutzung der im EG und 1. OG gelegenen Wohnungen eine bauordnungsrechtlich illegale Nutzung darstellte, wurde im September 2014 durch das Bauamt der beklagten Stadt ein ordnungsbehördliches Verfahren eingeleitet. Die Klägerin stellte daraufhin am 10.10.2014 einen Antrag auf Nutzungsänderung der im EG und 1. OG befindlichen sechs Wohnungen zur Vermietung an Monteure und Handelsreisende. Dieser Antrag wurde mit Bescheid des Bauamtes vom 09.04.2015 abgelehnt. Die klägerseits gegen diesen ablehnenden Bescheid vor dem Verwaltungsgericht Minden erhobene Verpflichtungsklage (Az. 9 K1309/15) wurde mit Urteil vom 20.04.2016 abgewiesen.
6Nach Ablehnung der Nutzungsänderung im April 2015 nahmen die Parteien Gespräche auf, um anlässlich der sog. Flüchtlingskrise im Jahr 2015 die Möglichkeit zur entgeltlichen Unterbringung von Flüchtlingen in den sechs Wohnungen abzuklären. Vertreter des Sozialamtes besichtigten die Wohnungen und kamen mit den Gesellschaftern der Klägerin überein, dass die beabsichtigte Unterbringung mittels einer Beschlagnahme geschehen solle. Die Beklagte erließ daraufhin unter dem 02.09.2015 gegen die Klägerin eine Ordnungsverfügung, mit welcher sie zunächst das Erdgeschoss des Gebäudes zur Belegung mit maximal 20 Personen für die Zeit vom 01.10.2015 bis zum 31.12.2016 (Bl. 22 ff. d.A.) beschlagnahmte. Sodann beschlagnahmte die Beklagte mit weiterer Ordnungsverfügung unter dem 30.10.2015 das erste Obergeschoss zur Belegung mit max. 20 weiteren Personen für die Zeit vom 01.11.2015 bis zum 31.12.2016 (Bl. 25 ff. d.A.). In beiden Ordnungsverfügungen heißt es (vgl. Bl. 23, 26 d.A.):
7„Die Inanspruchnahme erfolgt einschließlich der notwendigen Renovierungsmaßnahmen gemäß § 39 Abs. 1 a) OBG auf meine Kosten. Die Nutzungsentschädigung beträgt 30,94 € (inkl. 19 % Mehrwertsteuer) pro Person pro Nacht. Die Wohnung wird in dem Zustand zurückgegeben, in dem sie sich am Tag der Beschlagnahme befindet. Für die Instandhaltung der Wohnung sind sie als Eigentümerin verantwortlich. “
8Die Wohnungen wurden in einem ordnungsgemäßen Zustand an die Beklagte übergeben. In den Wohnungen 1, 3, 4 und 6 waren jeweils sieben Betten und in den Wohnungen 2 und 5 jeweils 6 Betten vorhanden (insgesamt 40 Betten). Bei vollständiger Belegung der 40 Betten ergab sich eine tägliche Nutzungsentschädigung i.H.v. 1.040,00 € netto bzw. 1.237,60 € brutto. Die Beklagte belegte die Wohnungen bis zum 31.08.2016 vollständig und zahlte die zugesagte Nutzungsentschädigung, allerdings wegen eines Buchungsversehens mit Ausnahme des jeweils 31. Tages eines jeden Monats im Zeitraum Oktober 2015 bis August 2016. Mit Bescheid vom 20.07.2016 hob die Beklagte die beiden Ordnungsverfügungen mit Wirkung zum 31.08.2016 auf (Bl. 28 d.A.).
9Nach dem Auszug der Bewohner befand sich das streitgegenständliche Objekt in einem stark abgewohnten und teilweise zerstörten Zustand. Am 13.09.2016 fand ein Ortstermin mit den Gesellschaftern der Klägerin sowie der Zeugin B als Vertreterin der beklagten Stadt statt. Die Zeugin B fertigte über den Inhalt des Gesprächs den Vermerk vom 14.09.2016 (Bl. 29 d.A.) an, welchen sie per Mail am 14.09.2016 an den Gesellschafter der Klägerin D übersandte (Bl. 30 d.A.). In dieser E-Mail teilte sie mit, dass sie eine Zahlung von 18.564,00 € veranlasst habe und bat die Klägerin darum, sich zu melden, sobald die Reinigungsarbeiten durchgeführt worden seien. Der Gesellschafter D antwortete mit E-Mail vom 14.09.2016, dass man mit einem Reinigungsunternehmen gesprochen habe, welches sich am Montag das Objekt anschaue und in der 39. KW mit der Reinigung beginnen könne. Am 19.09.2016 informierte der Gesellschafter D die Beklagte per E-Mail darüber, dass die Reinigungsfirma am 26.09.2016 mit den Reinigungsarbeiten beginnen und diese bis zum 05.10.2016 beenden werde (Bl. 32 d.A.). Unter dem 23.09.2016 zahlte die Beklagte an die Klägerin 18.564,00 € mit dem internen Vermerk „hälftige Miete für September, Rückgabe am 16.09.2016“ (Bl. 279 d.A.). Am 06.10.2016 fand ein weiterer Ortstermin statt. Unter dem 11.10.2016 übermittelte die Klägerin per Mail an die Beklagte eine von ihr gefertigte Zusammenstellung der Instandsetzungskosten in Höhe von insgesamt 297.970,00 € netto (Bl. 33-37 d.A.). In dieser E-Mail wies der Gesellschafter D darauf hin, dass er einer schnellen Einigung entgegensehe, damit das Objekt nicht leer stehe und schnell vermietet werden könne.
10In der Folgezeit bestand Uneinigkeit zwischen den Parteien über die Frage, welche Unternehmen mit den auszuführenden Arbeiten beauftragt werden sollten. Die Klägerin beabsichtigte, wegen der noch nicht abgelaufenen Verjährungsfrist von fünf Jahren seit Übergabe des Objekts diejenigen Firmen zu beauftragen, die das Gebäude ursprünglich errichtet hatten, um nicht den Verlust von Gewährleistungsrechten befürchten zu müssen. Am 05.12.2016 wurde der Klägerin sodann eine Genehmigung zur Nutzung des streitgegenständlichen Objektes als Mehrfamilienhaus mit acht Wohneinheiten erteilt. Mit E-Mail vom 21.12.2016 (Bl. 49 d.A.) sagte die Beklagte durch den Leiter des Sozialamtes der Klägerin zu, alle weiteren Renovierungs- und Materialkosten vorbehaltlich einer Prüfung im Einzelfall zu übernehmen, eine Nutzungsausfallentschädigung werde jedoch nicht gezahlt.
11Sodann beauftragte die Klägerin die Renovierung der Wohnungen. Die letztendlich angefallenen Kosten in Höhe von 293.000,- € übernahm die Beklagte. Es kam zu folgenden Fertigstellungsterminen: Wohnung 1: 26.04.2017, Wohnung 2: 26.06.2017, Wohnung 3: 26.06.2017, Wohnung 4: 12.04.2017, Wohnung 5: 31.01.2017 und Wohnung 6: 14.03.2017. Dass die jeweiligen Zeiträume zur Renovierung der einzelnen Wohnungen erforderlich waren, ist zwischen den Parteien unstreitig.
12Unter dem 18.12.2017 machten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin gegen die Beklagte offene Vergütungsansprüche aus dem Beschlagnahmezeitraum sowie Ansprüche auf Zahlung einer Nutzungsentschädigung für die Zeit vom 01.09.2016 bis zum jeweiligen Fertigstellungstermin der einzelnen Wohnungen abzüglich von zwei Zahlungen (zus. 10.140,- €) in Höhe von insgesamt 288.647,58 € geltend.
13Ein gegen die Gesellschafter der Klägerin eingeleitetes Bußgeldverfahren wegen der illegalen Nutzung der Wohnungen im EG und 1. OG (Az. StA Bielefeld 757 Js-OWi 91/18 VA) wurde durch Urteil des Amtsgerichts Bielefeld vom 11.07.2018, mit welchem die Gesellschafter der Klägerin jeweils zu einer Geldbuße von 5.000,- € verurteilt wurden, abgeschlossen (Az. AG Bielefeld 36 OWi 46/18).
14Die Klägerin hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass eine Rückgabe der Wohnungen im Rechtssinne erst durch die Reparaturfreigabeerklärung erfolgt sei. Zuvor seien ihr die Wohnungen durch Verzögerung der Reparaturfreigabe vorenthalten worden. Da die Beklagte keine Freigabe hinsichtlich der durchzuführenden Instandsetzungsarbeiten erteilt und auch keine Abschläge gezahlt habe, hätten die Arbeiten nicht beginnen können, weshalb ihr ein Schaden entstanden sei. Sie hat behauptet, dass sie die Wohnungen nach Beendigung der Beschlagnahme sofort hätte vermieten können. Daher müsse die Beklagte nach dem Rechtsgedanken des § 546 Abs. 1 BGB eine Entschädigung leisten. Da die Beschlagnahme bis zur jeweiligen Fertigstellung der einzelnen Wohnungen konkludent fortgewirkt habe, sei der in den Beschlagnahmeanordnungen angesetzte Betrag zu vergüten. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut der Beschlagnahmeanordnung, dem zu entnehmen sei, dass sich die zugesagte Vergütung auch auf die Zeit notwendiger Renovierungsmaßnahmen erstrecke.
15Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,
1617die Beklagten zu verurteilen, an sie 288.647,98 € nebst Zinsen i.H.v. 9 % Punkten über den Basiszinssatz seit dem 01.01.2018 zahlen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
1819die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich behauptet, dass sich die Parteien anlässlich des Ortstermins am 13.09.2016 darauf geeinigt hätten, dass die Beklagte über die Zahlungen bis zu dem vereinbarten Zeitraum am 31.08.2016 hinaus noch bis zum 15.09.2016 das vereinbarte Nutzungsentgelt zahle, das Objekt anschließend aber an die Klägerin zurückgegeben werde und eine weitere Nutzungsentschädigung nicht geschuldet sei. Sie hat gemeint, gemäß der Ordnungsverfügungen nur zur Zahlung, nicht hingegen zur Durchführung der Renovierungsmaßnahmen verpflichtet gewesen zu sein. Die Verzögerung gehe zulasten der Klägerin, welche sich den Schaden gemäß § 254 BGB selbst zugefügt habe. Ferner hat die Beklagte gemeint, dass nach Aufhebung beider Ordnungsverfügungen für die darin festgesetzte Nutzungsentschädigung keine rechtliche Grundlage mehr bestanden habe. Die Klägerin verlange einen entgangenen Gewinn, der nach § 40 Abs. 1 OBG nur zur Abwendung unbilliger Härte erstattungsfähig sei. Dieser Anspruch komme im Übrigen nur bei zulässiger Nutzung des streitgegenständlichen Objektes in Betracht. Bis zur Erteilung der Baugenehmigung vom 05.12.2016 hätte die Klägerin ohnehin keine Einnahmen erzielen können. Zudem sei die Berechnung unzutreffend, weil die Klägerin nicht auf die vorherige Nutzung als Flüchtlingsunterkunft habe abstellen dürfen. Auch habe die Klägerin eine Vermietungsmöglichkeit ebenso wenig wie den konkret zu erzielenden Mietzins dargelegt.
20Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung im Übrigen zur Zahlung von 8.044,40 € brutto als Entschädigung für den jeweils 31. Tag der Monate Oktober 2015 bis August 2016 aus § 39 Abs. 1 Nr. 1 a) OGB NRW i.V.m. den Ordnungsverfügungen vom 02.09.2015 und 30.10.2015 verurteilt. Im Übrigen fehle es an der schlüssigen Darlegung eines Mietausfallschadens, der gemäß §§ 39 Abs. 1 Nr. 1a, 40 Abs. 1 S. 1 OGB NRW erstattungsfähig wäre. Hinsichtlich der weiteren Begründung wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils verwiesen.
21Gegen dieses Urteil wendet sich die Klägerin mit der eingelegten Berufung unter Aufrechterhaltung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vorbringens.
22Die in den Beschlagnahmeverfügungen festgesetzte Vergütung gelte nach dem Wortlaut der Verwaltungsakte nicht nur für den Zeitraum der tatsächlichen Nutzung, sondern darüber hinaus auch für den Zeitraum der notwendigen Renovierungsmaßnahmen. Das Landgericht sei zudem rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass die Beschlagnahme mit Ablauf des 31.08.2016 geendet habe. Die Beschlagnahme habe erst mit Rückgabe der Wohnungen im renovierten Zustand geendet. Jedenfalls sei von einer Fortwirkung und oder erneuten Beschlagnahme nach formaler Beendigung auszugehen. Die Beklagte habe das beschlagnahmte Objekt im Anschluss an die Beschlagnahme nicht entsprechend des Inhalts der Ordnungsverfügung zurückgegeben und weder selbst in den geschuldeten Zustand versetzt, noch das Objekt zur Durchführung der Wiederherstellungsarbeiten freigegeben. Es sei von der Klägerin auch nicht zu erwarten gewesen, ohne Freigabeerklärung der Beklagten mit den Wiederherstellungsarbeiten zu beginnen. Auf einen Mietausfallschaden komme es entgegen der landgerichtlichen Ausführungen bereits deswegen nicht an, da es sich hier um ein Subordinationsverhältnis handele.
23Die Klägerin lässt sich nunmehr in zweiter Instanz eine Zahlung in Höhe von 18.564,00 € anrechnen, so dass sich die Gesamtforderung auf 270.083,58 € reduziere, von der wiederum die bereits erstinstanzlich ausgeteilten 8.044,40 € in Abzug zu bringen seien.
24Die Klägerin beantragt,
2526unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an sie weitere 262.039,98 € nebst Zinsen i.H.v. 9 % Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.01.2018 zu zahlen.
Die beklagte Stadt beantragt,
2728die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil unter Verweis auf und Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrags. Sie weist darauf hin, dass mit der Zahlung der 18.564,- € eine Nutzungsentschädigung bis zum 15.09.2016 abgegolten sei. Ferner sei ein Nutzungsausfallschaden trotz eines Hinweises des Landgerichts weder in erster noch in zweiter Instanz dargelegt worden, da der am Markt erzielbare Wohnungsmietzins nicht vorgetragen worden sei. Sie meint zudem, dass eine Vermietung bis zur Erteilung der Baugenehmigung am 05.12.2016 ohnehin nicht möglich gewesen sei, weswegen bis zu diesem Zeitpunkt ohnehin keine Nutzungsentschädigung zu zahlen sei.
29Der Senat hat die die Parteien angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Anhörung wird auf den Berichterstattervermerk vom 26.01.2022 verwiesen. Zudem hat der Senat die Akten der Staatsanwaltschaft Bielefeld (Az: 757 Js-OWi 91/18 VA) beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.
30Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes werden die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen in Bezug genommen.
31II.
32Die zulässige Berufung hat lediglich in Höhe von 18.482,07 € Erfolg.
331. Die Berufung ist zulässig.
34Die Berufungsbegründung der Klägerin genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 ZPO, indem eine fehlerhafte Rechtsanwendung des Landgerichts unter Festhaltung an der in erster Instanz dargestellten Rechtsauffassung der Klägerin gerügt wird. In der Berufungsbegründungsschrift wird die rechtliche Argumentation des Landgerichts aufgegriffen und unter erneuter Darstellung der bereits in erster Instanz dargelegten Rechtsauffassung der Klägerin zur Überprüfung durch das Berufungsgericht gestellt. Damit greift die Klägerin die Rechtsanwendung des erstinstanzlichen Gerichts in prozessual zulässiger Weise an.
352. Die Berufung der Klägerin hat indes lediglich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Beklagte schuldet der Klägerin für den Zeitraum vom 16.09.2016 bis zum jeweiligen Ende der Instandsetzungsarbeiten für die betroffenen Wohnungen eine Entschädigung für entgangene Nutzungen in Höhe von insgesamt 18.482,07 €.
36a) Der zuerkannte Anspruch folgt aus § 39 Abs. 1 a) i.V.m. § 40 OBG NRW.
37Nach § 39 Abs. 1 a) OBG NRW kann jemand den Schaden, den er infolge einer Inanspruchnahme als Nichtstörer durch Maßnahmen der Ordnungsbehörden erleidet, unter den weiteren Voraussetzungen des § 40 OBG NRW ersetzt verlangen.
38aa) Die Klägerin wurde durch die Beklagte als Nichtstörerin gem. § 19 OBG NRW durch die an sie gerichteten Beschlagnahmeanordnungen vom 02.09.2015 und 30.10.2015 in Anspruch genommen.
39(1.) Der Oberbürgermeister der Beklagten hat die sechs Wohnungen der Klägerin als gem. § 3, 4, 5 OBG NRW zuständige örtliche Ordnungsbehörde mit den genannten Ordnungsverfügungen vom 02.09.2015 und 30.10.2015 zur Vermeidung von Obdachlosigkeit und der damit eingehergehenden Gefahren für Leib und Leben und Gesundheit der betroffenen Flüchtlinge im Wege der zeitlich befristeten Beschlagnahme in Anspruch genommen. Die Inanspruchnahme war nach den Vorschriften des OBG NRW rechtmäßig, sie erfolgte zielgerichtet zur Abwendung einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung gem. §§14 OBG NRW und betraf die Klägerin als Nichtstörerin gem. § 19 OBG NRW, was zwischen den Parteien auch nicht umstritten ist.
40(2.) Die Beschlagnahmeverfügungen erweisen sich auch im Lichte des § 3 BauNVO als rechtmäßig. Erfolgt die Unterbringung von Flüchtlingen – wie hier – in zu Wohnzwecken normal ausgestalteten und ausgestatteten Wohnungen, in denen ein selbstbestimmtes häusliches Leben mit der Möglichkeit zur eigenständigen Haushaltsführung möglich ist, so handelt es sich weiterhin um Wohngebäude i.S.d. § 3 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO (vgl. Vietmeier, in: Bönker/Bischopink, BauNVO, 2. Aufl. 2018, § 3, Rn. 67 ff.).
41bb) Als Rechtsfolge kann die Klägerin von der Beklagten für den jeweiligen Zeitraum der Instandsetzungsarbeiten Zahlung einer Entschädigung für den Ausfall des gewöhnlichen Nutzungsentgelts verlangen.
42(1.) Gem. § 39 Abs. 1 a) i.V.m. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG ist die Beklagte zum Ersatz derjenigen Vermögensschäden verpflichtet, die in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der zu entschädigenden Maßnahme stehen. Zu den ersatzfähigen unmittelbaren Vermögensschäden gehört gem. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG NRW auch der entgangene Gewinn in Form des Ausfalls eines gewöhnlichen Nutzungsentgelts. Für darüber hinausgehende Vermögensnachteile oder mittelbare Vermögensschäden ist gem. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG NRW eine Entschädigung nur dann zu leisten, wenn und soweit dies zur Abwendung unbilliger Härten geboten erscheint.
43Die Unmittelbarkeit i.S.d. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG NRW wird in diesem Zusammenhang nicht in einem formalen Sinne verstanden, sondern betrifft die Zurechenbarkeit der hoheitlichen Maßnahme. Ähnlich wie beim enteignenden bzw. enteignungsgleichen Eingriff ist ein innerer Zusammenhang mit der hoheitlichen Maßnahme erforderlich, das heißt es muss sich eine besondere Gefahr verwirklichen, die bereits in der hoheitlichen Maßnahme selbst angelegt ist. In diesem Sinne ist das Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit ein Kriterium für die wertende Zurechnung der Schadensfolgen nach Verantwortlichkeiten und Risikosphären (BGH, Urt. v. 09.11.1995 – III ZR 226/94, Juris Tz. 13; BGH, Urt. v. 21.12.2005 - III ZR 148/05, Juris Tz. 5; OLG Hamm, Urt. v. 25.05.1994 – 11 U 3/94, Juris Tz. 15; Ebeling, in: BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht NRW, Stand: 01.09.2021, § 40 OBG, Rn. 4).
44(2.) Dass die zum Zwecke der Unterbringung von Flüchtlingen, denen andernfalls die Obdachlosigkeit drohte, genutzten Wohnungen nach dem Ende dieser Nutzung instand zu setzen sein würden und während dieser Zeit nicht anderweitig zu vermieten waren, ist ein Risiko, das bereits in der Beschlagnahme der Wohnungen als Flüchtlingsunterkunft angelegt war.
45Nach der Nutzung von Wohnungen als Erstunterkunft zur Unterbringung von Flüchtlingen, die den Wohnraum mangels anderweitiger Unterbringungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten in der Regel sehr intensiv nutzen und auch Sorgfaltsanforderungen im Umgang mit der Wohnung und ihrem Inventar nicht immer einhalten, ist damit zu rechnen, dass die Wohnungen einer grundlegenden Instandsetzung bedürfen. Dies ist regelmäßig die Folge einer besonders intensiven Nutzung. Auch ist das Risiko eines unsachgemäßen Gebrauchs bis hin zu mutwilligen Beschädigungen, wie es der Bundesgerichtshof bei der Unterbringung von Obdachlosen nicht ausgeschlossen hat (vgl. BGH, Urt. v. 09.11.1995 – III ZR 226/94, Juris Tz. 14), auch hier nicht auszuschließen. Der Eigentümer ist zudem durch die Einweisung mittelloser Personen, denen die Obdachlosigkeit droht, typischerweise einem besonderen Risiko ausgesetzt, im Falle der Herbeiführung von Schäden durch den Untergebrachten keinen zahlungskräftigen Schuldner zur Verfügung zu haben, gegen den er erfolgreich Schadensersatzansprüche geltend machen könnte. Zwar kann auch bei einem regulären Mietverhältnis das Risiko bestehen, eine Schadenersatzforderung wegen vorsätzlich herbeigeführter Schäden nicht realisieren zu können. Eine solche Gefahr ist aber beim Mietvertrag nicht in der besonderen Weise angelegt, wie dies bei der Einweisung regelmäßig mittelloser Personen der Fall ist (vgl. BGH, Urt. v. 09.11.1995 – III ZR 226/94, Juris Tz. 14; BGH, Urt. v. 13.07.1995 – III ZR 160/94, Juris Tz. 10).
46Da die erforderlichen Renovierungsmaßnahmen üblicherweise erst nach der Beendigung der Unterbringung erfolgen können und die Wohnungen während der Instandsetzungsarbeiten nicht für eine Vermietung zur Verfügung stehen, ist damit auch das Risiko eines Mietausfallschadens für den Zeitraum notwendiger Abstimmungs- und Renovierungsmaßnahmen bereits in der hoheitlichen Maßnahme angelegt.
47(3.) Zu ersetzen ist gem. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG NRW das „gewöhnliche Nutzungsentgelt“.
48(a) Mit der Formulierung „Ausfall des gewöhnlichen Nutzungsentgelts“ spricht § 40 Abs. 1 S. 2 OBG NRW den Ausfall an, den die geschädigte Person durch die Nichtnutzung von Sachwerten erleidet. Hierzu gehört insbesondere ein Entgelt als Gegenleistung für die Überlassung einer Sache durch Vermietung oder Verpachtung. Der Begriff „gewöhnlich“ i.S.d. S. 2 kann – in Anlehnung an den in § 632 Abs. 2 BGB verwendeten synonymen Begriff „üblich“ – dahingehend verstanden werden, dass dasjenige Nutzungsentgelt gewöhnlich ist, welches für nach Art, Güte und Umfang gleicher Sachen nach allgemeiner Auffassung üblicherweise gewährt wird. Entgangener Gewinn in Form des Ausfalls eines außergewöhnlich hohen Nutzungsentgelts wird gem. § 40 Abs. 1 S. 2 OBG NRW hingegen nur entschädigt, wenn und soweit dies zur Abwendung unbilliger Härten geboten erscheint (Ebeling, in: BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht NRW, Stand: 01.09.2021, § 40 OBG, Rn. 8 f. m.w.N.).
49(b) Als gewöhnliches Nutzungsentgelt, welches als Gegenleistung für die Überlassung der Wohnungen gezahlt wird, kann die Klägerin nur einen Betrag ersetzt verlangen, der sich an der ortsüblichen Vergleichsmiete für Mietwohnungen orientiert.
50Dass der von der Klägerin geltend gemachte Betrag von 26 € netto pro Tag und Bett ein erzielbares übliches Nutzungsentgelt darstellt, kann der Senat nicht feststellen. Die Beklagte beabsichtigte nicht mehr, die Wohnungen zur Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen. Auch eine Nutzung als Boardinghaus war im streitgegenständlichen Zeitraum nicht möglich, da diese Nutzung gegen § 3 BauNVO verstieß und damit illegal gewesen wäre. Hinsichtlich der Höhe der Nutzungsentschädigung ist deswegen die ortsübliche Vergleichsmiete für Wohnraum anzusetzen (Fischer, NVwZ 2015, 1644, 1647).
51(c) Die Gewährung einer höheren Nutzungsausfallentschädigung ist auch nicht zur Abwendung unbilliger Härten i.S.d. § 40 Abs. 1 S. 2 OGB NRW geboten.
52Umstände, die als Vorliegen einer unbilligen Härte zu bewerten wären, behauptet die Klägerin selbst nicht. Derartige Umstände kann auch der Senat bei der gebotenen wertenden Betrachtung, bei der alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen und in einen gerechten Ausgleich zu bringen sind (vgl. Ebeling, BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht NRW, Stand 01.12.2021, § 40 OBG, Rn. 11), nicht feststellen. Die Klägerin hat ein Mehrparteienhaus zur Vermietung zu Wohnzwecken errichtet und könnte die in dem Haus befindlichen Wohnungen von Anfang an nur zu Wohnzwecken vermieten. Die frühere tatsächliche Nutzung von 6 Wohnungen dieses Hauses als Boardinghaus war illegal, die sich anschließende Nutzung als Flüchtlingsunterkunft von Anfang an zeitlich befristet. Es ist demnach nicht erkennbar, dass bei einer Entschädigung, die im Rahmen der ortsüblichen Vergleichsmiete für Wohnraum gewährt wird und damit die rechtliche zulässige Nutzung abbilden, von der die Klägerin dauerhaft ausgehen konnte, unbillige Härten entstehen.
53(d) Für eine Entschädigung ist der Zeitraum vom 16.09.2016 bis zum jeweiligen Ende der Instandsetzungsmaßnahmen der jeweiligen Wohnungen maßgeblich.
54Der Zeitraum vom 01.09.2016 bis zum 15.09.2016 ist – wie im Senatstermin erörtert – nicht zu entschädigen, weil die Beklagte insoweit, nach dem in zweiter Instanz unstreitigen Vortrag, noch die in den Ordnungsverfügungen zugebilligte Entschädigung in Höhe von 18.564,- € gezahlt hat.
55Einer Berücksichtigung des Zeitraums vom 16.09.2016 bis zum 05.12.2016 steht nicht entgegen, dass die (erneute) Baugenehmigung zur Nutzung als Wohngebäude erst am 05.12.2016 erteilt worden war. Auch in diesem Zeitraum wäre eine Vermietung zu Wohnzwecken rechtlich grundsätzlich möglich gewesen. Die Nutzung der Wohnungen zu Wohnzwecken entsprach der bauordnungsrechtlich materiellen Rechtslage des § 3 BauNVO. Allein auf die fehlende formell erforderliche (neue) Genehmigung hätte eine Nutzungsuntersagung gem. § 82 BauO NRW im Falle eines materiellrechtlich legal errichteten und genutzten Gebäudes nicht gestützt werden können (Keller, in: BeckOK Bauordnungsrecht NRW, Stand: 01.10.2021, § 82 BauO NRW, Rn. 27), so dass auch eine entsprechende Nutzung zu Wohnzwecken möglich war.
56(e) Die Höhe der Nutzungsentschädigung in Form der ortsüblichen Miete für vergleichbare Wohnungen kann der Senat gem. § 287 ZPO schätzen.
57Die Klägerin hat zwar trotz des Hinweises des Landgerichts vom 07.04.2020 (vgl. Bl. 123 d.A.) bereits in erster Instanz und auch in der Berufungsbegründung trotz des Umstands, dass das Landgericht das klageabweisende Urteil auf diesen Aspekt gestützt hat, zur Höhe des erzielbaren Mietzinses schriftsätzlich nicht vorgetragen. Nach den Erörterungen im Senatstermin vom 26.01.2022 konnte der Senat jedoch eine Schätzungsgrundlage gewinnen, die der Beurteilung der Nutzungsentschädigung zugrunde gelegt werden kann, weil sie von den Parteien nicht bestritten wird.
58Die Schätzungsgrundlage liegt in der Ermittlung der Miethöhe für die Vermietung der Wohnungen als normalen Wohnungen nach dem C’er Mietspiegel im Vermerk der Bußgeldbehörde vom 08.06.2017, zu der der zuständige Sachbearbeiter der Bußgeldbehörde auch mit der Abteilung Wohnungsbauförderung und Wohnungsaufsicht der Beklagten Rücksprache genommen hat (vgl. Bl. 178 d. Akte der Staatsanwaltschaft Bielefeld 757 Js-OWi 91/18 VA). Die Gesellschafter der Klägerin haben im Senatstermin während der Erörterung dieses Vermerks auf Nachfrage des Senats bestätigt, dass dieser Wert für unmöblierte Wohnungen im Jahr 2016 zutreffend gewesen sei, der Prozessbevollmächtigte der Beklagten erklärte hierzu, dass auch die Beklagte nicht über von der Berechnung abweichende Erkenntnisse verfüge. Aus diesem Grund kann der Senat diesen Tatsachenvortrag zur Grundlage der Schätzung nach § 287 ZPO machen.
59Ausgehend hiervon schätzt der Senat den entgangenen Nutzungsausfall gem. § 287 ZPO anhand der von dem Sachbearbeiter nachvollziehbar ermittelten Kaltmiete für die Nutzung der Wohnungen als normale Wohnungen auf 6,73 €/m². Diese Berechnung bezieht sich zwar auf den Zeitraum der Nutzung als Boardinghaus (Mai 2014 bis September 2015), sie ist aber als Grundlage für die vorliegend zu beurteilenden Zeitraum geeignet, weil die Mieten nicht gefallen, sondern allenfalls gestiegen sind. Für die Ermittlung eines höheren Betrages als 6,73 €/m² fehlt es allerdings – mangels Vortrags der Klägerin hierzu – an tatsächlichen Anknüpfungspunkten.
60Der Senat kann den Wert für möbliertes Wohnen nicht zur Grundlage der Schätzung heranziehen, weil die Klägerin nicht dargelegt hat, dass es eine Möglichkeit zur Vermietung möblierter Wohnungen überhaupt gegeben hätte. Der Gesellschafter D hat vielmehr selbst im Rahmen der Anhörung gem. § 141 ZPO angegeben, dass die Klägerin nach der Instandsetzung der Wohnungen im Jahr 2017 diese jeweils lediglich unmöbliert zu Wohnzwecken vermietet hat. Zudem hat er bestätigt, dass eine Vermietung unmittelbar nach der Fertigstellung der Wohnungen möglich war, was nach dem allgemeinen Mangel an Wohnraum auch im C‘er Raum nachvollziehbar ist. Hieraus ist auch zu schließen, dass eine Vermietung der Wohnungen zu einem früheren Zeitraum möglich gewesen wäre, wenn sie instandgesetzt zur Verfügung gestanden hätten. Deswegen ist es gerechtfertigt, die Nutzungsentschädigung für den gesamten für die Instandsetzung erforderlichen Zeitraum in Ansatz zu bringen.
61Unter Zugrundelegung einer Kaltmiete von 6,73 /m² Wohnfläche ergeben sich folgende Werte:
62Wohnung |
m² |
Miete/m²/Tag |
Zeitraum |
Summe |
1 |
98,03 |
6,73 €/30 = 0,22 € |
16.09.2016-26.04.2017 = 223 Tage |
4.809,35 € |
2 |
101,07 |
6,73 €/30 = 0,22 € |
16.09.2016-26.06.2017 = 284 Tage |
6.314,85 € |
3 |
98,02 |
6,73 €/30 = 0,22 € |
16.09.2016-26.06.2017 = 284 Tage |
6.124,29 € |
4 |
97,39 |
6,73 €/30 = 0,22 € |
16.09.2016-12.04.2017 = 209 Tage |
4.477,99 € |
5 |
100,11 |
6,73 €/30 = 0,22 € |
16.09.2016-31.01.2017 = 138 Tage |
3.039,34 € |
6 |
97,38 |
6,73 €/30 = 0,22 € |
16.09.2016-14.03.2017 = 180 Tage |
3.856,25 € |
Summe |
28.622,07 € |
|||
abzüglich gezahlter 5.460,- € und 4.680,- € |
18.482,07 € |
Es ist demnach ein Betrag von 18.482,07 € zu entschädigen.
64Da die Vermietung unmöblierten Wohnraums zu Wohnzwecken eine gem. § 4 Abs. 12 a) S. 1 UstG von der Umsatzsteuer befreite Leistung ist, ist der Schätzbetrag nicht um nicht angefallene Umsatzsteuer zu kürzen.
65cc) Der Anspruch der Klägerin ist auch nicht durch einen Erlassvertrag gem. §§ 779, 397 BGB zwischen den Parteien untergegangen. Die Beklagte ist für diesen Einwand beweisfällig geblieben, weil sie auf die Einvernahme der benannten Zeugin B verzichtet hat. Aufgrund der Anhörung der Parteien kann der Senat den Abschluss eines Erlassvertrages nicht feststellen. Die zum Senatstermin entsandte Mitarbeiterin der Beklagten E konnte auf Nachfrage des Senats keine weitergehenden Erkenntnisse, die über den aktenkundigen Vermerk der Zeugin B hinausgehen und auf einen derartigen Verzicht der Klägerin hindeuten könnten, mitteilen. Die Gesellschafter der Klägerin haben erklärt, dass die Zahlung in Höhe von 18.564,- € lediglich für den hälftigen Monat September geleistet worden, ein darüber hinausgehender Verzicht jedoch nicht erklärt worden sei. Auch aus dem Verwendungszweck der von der Beklagten veranlassten Überweisung lässt sich ein Hinweis auf einen Erlass nicht entnehmen.
66dd) Der Anspruch ist nicht gem. § 40 Abs. 4 OBG NRW i.V.m. § 254 BGB wegen eines Mitverschuldens der Klägerin zu kürzen.
67Die für die den Tatbestand des Mitverschuldens ausfüllenden Umstände darlegungs- und beweisbelastete Beklagte (vgl. Ebeling, in: BeckOK Polizei- und Ordnungsrecht NRW, Stand: 01.09.2021, § 40 OBG, Rn. 24 ff.) hat diese nicht darzulegen vermocht.
68Ein Mitverschulden der Klägerin kann insbesondere nicht darin gesehen werden, dass die Klägerin die Arbeiten nicht auf eigene Kosten bereits ab dem 16.09.2016 hat durchführen lassen, vielmehr vor der Durchführung der Instandsetzungsarbeiten auf die Freigabe durch die Beklagte gewartet hat. Einer Bewertung dieses Umstands als Mitverschulden steht bereits entgegen, dass die Beklagte nach dem Wortlaut der Ordnungsverfügungen selbst verpflichtet war, die beschlagnahmten Wohnungen in dem Zustand zurückzugeben, in dem sie sich am Tag der Beschlagnahme befunden hatten. Sie war folglich selbst zur Durchführung der Instandsetzungsarbeiten verpflichtet. Zudem hatte die Klägerin aufgrund des Umstands, dass unstreitig ein erheblicher Instandsetzungsaufwand in Höhe von 293.000,- € bestand, ein berechtigtes Interesse an der Freigabe durch die Beklagte. Es war ihr nicht zuzumuten, bei einer derart hohen Summe ohne vorherige jedenfalls grundsätzliche Zahlungszusage der Beklagten in Vorleistung zu treten und sich so dem Risiko auszusetzen, sich über die Beträge mit der Beklagten auch streitig auseinandersetzen zu müssen. In diesem Zusammenhang kann auch nicht unberücksichtigt bleiben, dass es der Klägerin zugestanden hätte, den Zustand der Wohnungen vor einer Renovierung in einem Beweissicherungsverfahren zu dokumentieren und den erforderlichen Instandsetzungsaufwand feststellen zu lassen. Voraussichtlich hätte ein Beweissicherungsverfahren einen deutlich längeren Zeitraum in Anspruch genommen, als der hier unstreitig in Anspruch genommene Abstimmungs- und Freigabezeitraum.
69b) Ob der Klägerin in Konkurrenz zu § 39 Abs. 1 a) OBG NRW gem. § 40 Abs. 5 OBG NRW auch aus § 839 BGB i.V.m. Art. 34 S. 1 GG ein Zahlungsanspruch zusteht (vgl. BGH, Urt. v. 13.07.1995 – III ZR 160/94, Juris Tz. 14 ff.; Ossenbühl/Cornils, Staatshaftungsrecht, 6. Aufl. 2013, 12. Teil, VI), muss der Senat nicht entscheiden.
70Denn dieser Anspruch wäre auf Rechtsfolgenseite nicht weitergehend, als derjenige aus §§ 39 Abs. 1 a), 40 OBG NRW. Der nach der Kaltmiete geschätzte Entschädigungsbetrag entspricht in seiner Höhe dem Schadensersatz, dessen Entstehung die Klägerin nachweisen kann.
71c) Der Klägerin steht auch kein über den zuerkannten Anspruch hinausgehender Zahlungsanspruch in Höhe von 1.040,- € netto pro Tag für den Zeitraum vom 16.09.2016 bis zum Ende der jeweiligen Renovierungsarbeiten aus den Ordnungsverfügungen vom 02.09.2015 und 30.10.2015 zu.
72aa) Die Ordnungsverfügungen vom 02.09.2015 und 30.10.2015, die der Senat im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits auszulegen hat, geben einen Zahlungsanspruch in der in den Beschlagnahmeanordnungen festgelegten Höhe für den Zeitraum vom 16.09.2016 bis zum jeweiligen Ende der Instandsetzungsarbeiten bereits nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck nicht her.
73Nach dem Wortlaut der Ordnungsverfügungen sollte die Entschädigung in Höhe von 30,94 € brutto pro Person und Nacht, also für eine tatsächliche Belegung der Betten gezahlt werden. Die Höhe der zu zahlenden Nutzungsentschädigung war davon abhängig, mit wie vielen Personen die Beklagte die beschlagnahmten Wohnungen pro Tag belegte und dadurch nutzte. Es handelte sich mithin nicht um eine Vergütung, die in jedem Fall und unabhängig von einer konkreten Nutzung zu zahlen war. Das Risiko, dass die Beklagte die Wohnungen mit weniger als insgesamt 40 Personen belegen würde, trug vielmehr die Klägerin. Da im streitgegenständlichen Zeitraum keine Nutzung durch Belegung der Wohnungen durch Unterbringung von Flüchtlingen stattfand, war nach dem Wortlaut der Ordnungsverfügungen die dort geregelte Nutzungsentschädigung mangels konkreter Belegung der Betten nicht zu zahlen.
74Soweit in den Ordnungsverfügungen der Passus enthalten war, dass „die Inanspruchnahme […] einschließlich der notwendigen Renovierungsmaßnahmen gemäß § 39 Abs. 1 a) OBG NRW“ auf Kosten der beklagten Stadt erfolge, folgt daraus nicht, dass auch für einen notwendigen Renovierungszeitraum die in dem nachfolgenden Satz geregelte Nutzungsentschädigung gezahlt werden musste. Ein derartiges Verständnis steht im Widerspruch zum Sinn und Zweck der Regelung, der darin bestand, der Klägerin eine Nutzungsentschädigung orientiert an der tatsächlichen Belegung zu gewähren. Würde der Klägerin auch für den Renovierungszeitraum die Nutzungsentschädigung gewährt, würde dies entgegen des Sinns und Zwecks der Regelung dazu führen, dass der Klägerin während der Renovierungsmaßnahmen eine garantierte Entschädigung orientiert am möglichen Höchstsatz bei einer vollständigen Belegung mit Flüchtlingen zustünde, obwohl keine Belegung stattfand und der Klägerin während der Beschlagnahme keine garantierte, sondern nur eine Entschädigung orientiert an der tatsächlichen Nutzung zustand. Der Passus, dass die „Inanspruchnahme einschließlich der notwendigen Renovierungsmaßnahmen“ erfolgt, ist vielmehr dahingehend zu verstehen, dass die Beklagte dem Grunde nach für die notwendigen Renovierungsmaßnahmen einzustehen hatte. Eine Entschädigungsregelung für den erforderlichen Zeitraum einer Renovierung ist in der Beschlagnahmeanordnung indes nicht geregelt worden. Mangels Regelung der Höhe der Entschädigung für den Zeitraum der Renovierungen sind insoweit die gesetzlichen Regelungen für die Bemessung einer Entschädigung maßgeblich.
75bb) Ob die Beschlagnahmeanordnungen bis zur Rückgabe der instandgesetzten Wohnungen „fortwirkten“ – wie die Klägerin meint – muss der Senat nicht entscheiden. Denn auch dann würden die Voraussetzungen für die Gewährung der Vergütung nach dem Wortlaut und dem Sinn und Zweck der Vergütungsregelung – wie gezeigt – mangels tatsächlicher Belegung nicht vorliegen.
76cc) Die Beklagte hat auch nicht konkludent einen neuen, inhaltsgleichen Verwaltungsakt erlassen und dessen Regelungsgehalt betreffend die Nutzungsentschädigung auf den Renovierungszeitraum erstreckt, indem sie – wie die Klägerin meint – der Verpflichtung zur Instandsetzung der Wohnungen nicht nachgekommen sei bzw. die Renovierungsarbeiten nicht zeitnah freigegeben habe.
77Es fehlt bereits an einem Verhalten der Behörde, anhand dessen zweifelsfrei erkannt werden kann, dass diese eine rechtlich relevante Erklärung durch Erlass einer Regelung für einen Einzelfalles durch Verwaltungsakt herbeiführen wollte (Fehling/Kastner/Störmer, Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 2021, § 35, Rn. 52).
78Dem Unterlassen der Instandsetzungsarbeiten bzw. der Nichtfreigabe der Arbeiten durch die Beklagte und den zwischen den Parteien stattgefundenen Verhandlungen über das weitere Vorgehen kann nicht der Erklärungswert beigemessen werden, den aufgehobenen Verwaltungsakt erneut erlassen zu wollen und dessen Nutzungsentschädigungsregelung in Erweiterung der ursprünglichen Regelung auf den Renovierungszeitraum zu erstrecken. Der ursprüngliche Verwaltungsakt war erlassen worden, um die gem. § 14 OBG NRW bestehende Gefahr, dass Flüchtlinge obdachlos werden oder bleiben könnten, zu begegnen und sie in den Wohnungen unterzubringen. Nachdem dieser Zweck der Beschlagnahme weggefallen war, fehlte es erkennbar an dem Willen der beklagten Stadt, erneut Flüchtlinge in dem Gebäude gegen Entgelt unterbringen zu wollen und die für den Fall der Unterbringung von Flüchtigen getroffene, anhand der tatsächlichen Belegung orientierte Vergütung auf den Renovierungszeitraum zu erstrecken, in dem keine Nutzung stattfand. Dass die Beklagte die ihr obliegenden Pflicht, die Wohnungen in dem ursprünglichen Zustand herauszugeben, verletzt hat, führt nicht zu einem anderen Ergebnis. Für die Folgen von Pflichtverletzungen sind vielmehr die gesetzlichen Entschädigungstatbestände zu prüfen.
79d) Ein über den aus §§ 39 Abs. 1 a), 40 OBG NRW hinausgehender Mietausfallschaden steht der Klägerin gegen die Beklagte zudem nicht aus der Verletzung von (Neben-)Pflichten aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnis i.V.m. §§ 280 ff. BGB zu.
80Die Voraussetzungen für die Annahme eines öffentlich-rechtlichen Schuldverhältnisses liegen bereits nicht vor. Durch die Beschlagnahme der Wohnungen und die Unterbringung von Flüchtlingen entsteht kein öffentlich-rechtliches Schuldverhältnis, welches die Grundlage für die Zurechnung des schädigenden Verhaltens der Eingewiesenen durch unsachgemäßen Gebrauch oder mutwillige Beschädigungen und infolge der bei notwendigen Renovierungen anfallenden Mietausfallschäden gem. § 278 BGB sein könnte. Die durch die zwangsweise Heranziehung des Eigentümers entstandene polizeirechtliche Sonderbeziehung löst keine mietrechtsähnlichen oder verwahrungsähnlichen Pflichten in Bezug auf die beschlagnahmten Wohnungen aus. In den Einweisungsfällen erhält die Behörde nicht das Recht, über die Wohnung wie ein Nutzungsberechtigter zu verfügen und hat nicht den unmittelbaren Besitz wie in den Beschlagnahmefällen von gepfändeten Gegenständen inne. Vielmehr disponiert sie über die Wohnung lediglich dahin, dass sie die von Obdachlosigkeit bedrohte Person in die Wohnung einweist, dieser die Wohnung zum Wohnen zur Verfügung stellt und sie dem Eigentümer gegenüber mit der Anordnung, den Eingewiesenen wohnen zu lassen, beschlagnahmt. Diese Disposition der Ordnungsbehörde erschöpft sich darin, dass sie der die Obdachlosigkeit drohenden Person das Wohnen ermöglicht. Das ist kein eigener Gebrauch der Wohnräume, der als Kehrseite eine Verpflichtung der Behörde begründet. Auch kann darin keine Inbesitznahme gesehen werden, die die Regelungen über ein öffentlich-rechtliches Verwahrungsverhältnis zur Anwendung bringt (vgl. BGH, Urt. v. 21.12.2005 - III ZR 148/05, Juris Tz. 9).
81e) Die Klägerin kann von der beklagten Stadt Verzugszinsen gem. §§ 280 Abs. 1, 2, 286, 288 BGB lediglich in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 01.01.2018 verlangen und nicht – wie die Klägerin meint – in Anwendung des § 288 Abs. 2 BGB in Höhe von acht Prozentpunkten.
82aa) Für öffentlich-rechtliche Erstattungsansprüche fehlt es an der Grundlage für eine entsprechende Anwendung des § 288 Abs. 2 BGB. Die Parteien stehen sich dort nicht in einem vertraglichen Austauschverhältnis, sondern in einem Subordinationsverhältnis gegenüber, bei welchem die Regelungen des § 288 Abs. 2 BGB nicht zur Anwendung gelangen (vgl. Dornis, in: BeckOnline-Grosskommentar, § 286 BGB, Stand: 01.03.2020, § 288 BGB, Rn. 48; Ernst, in: Münchener Kommentar zum BGB, 8. Aufl. 2019, § 288, Rn. 12; vgl. zur Höhe auch: OLG Hamm, Urteil vom 18.03.2009 - 11 U 88/08).
83bb) Die zeitlichen Voraussetzungen des Verzugszinsanspruches liegen nach dem mit einer Zahlungsaufforderung verbundenen anwaltlichen Anspruchsschreiben der Klägerin vom 18.12.2017 ab dem 01.01.2018 vor.
843. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs.1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
85Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs.2 ZPO nicht vorliegen.
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