Urteil vom Hanseatisches Oberlandesgericht (8. Zivilsenat) - 8 U 46/16

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Anerkenntnisteil- und Schlussurteil des Landgerichts Hamburg vom 17.03.2016, Az. 307 O 298/14, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte zu 1) wird verurteilt, € 57.727,70 nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz

aus     

€ 1.642,46

seit dem 04.08.2012 bis zum 04.05.2015,

aus     

€    660,72

seit dem 04.10.2012 bis 04.05.2015,

aus     

€    468,82

seit dem 04.12.2012 bis 04.05.2015,

aus     

€    468,82

seit dem 04.02.2013 bis 04.05.2015,

aus     

€ 1.759,38

seit dem 04.08.2013 bis 04.05.2015,

aus     

€ 1.240,62

seit dem 04.08.2013 bis 15.03.2017,

aus     

€  3.000,--

seit dem 04.04.2014 bis 15.03.2017,

aus     

€ 6.226,08

seit dem 04.07.2014 bis 15.03.2017,

aus     

€ 4.533,30

seit dem 04.08.2014 bis 15.03.2017,

aus     

€ 1.692,78

seit dem 04.08.2014,

aus     

€ 6.226,08

seit dem 04.09.2014,

aus weiteren

€ 6.226,08

seit dem 06.10.2014,

aus weiteren

€ 6.226,08

seit dem 04.12.2014,

aus weiteren

€ 6.226,08

seit dem 07.01.2015,

aus weiteren

€ 6.226,08

seit dem 05.02.2015,

aus weiteren

€ 6.226,08

seit dem 05.03.2015,

aus weiteren

€ 6.226,08

seit dem 06.04.2015,

aus weiteren

€ 6.226,08

seit dem 07.05.2015

sowie aus weiteren

€ 6.226,08

seit dem 05.06.2015

zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Im Übrigen werden die Berufung und die Anschlussberufung zurückgewiesen.

3. Von den Kosten der ersten Instanz tragen die Beklagten gemeinsam 40%, die Klägerin 26% und die Beklagte zu 1) allein 34%. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten 8% gemeinsam, die Klägerin 34% und die Beklagte zu 1) allein 58%.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

1

Die Klägerin verlangt von der Beklagten zu 1) Zahlung rückständigen Mietzinses für eine Ladenfläche im Kaufmannshaus Hamburg.

2

Im Mai des Jahres 2000 schlossen die Klägerin als Vermieterin und die Beklagte zu 1) als Mieterin (vertreten durch den Beklagten zu 2) als ihren Geschäftsführer) einen Gewerberaummietvertrag über die Ladenfläche im Kaufmannshaus Hamburg (Anlagen K 1, 2), der mit Nachtrag vom 12.05./31.05.2005 schriftlich bis zum 30.06.2011 verlängert wurde (Anlage K 3).

3

Wegen Sanierungsarbeiten im Kaufmannshaus zog die Beklagte zu 1) im Sommer 2011 in Ausweichflächen um.

4

Am 11.11.2011 übergab die Klägerin der Beklagten zu 1) eine Ladenfläche „Shop ...“ im Kaufmannshaus, die der Mieteinheit … nach Lage und Größe im Wesentlichen entsprach.

5

Bis zum März 2012 verhandelten die Parteien über den Abschluss eines neuen Mietvertrages für den „Shop …“. Der von der Klägerin erstellte Mietvertragsentwurf (Anlage K 4) sieht in § 5.1 als Mietbeginn den 01.11.2011 und in § 6.1 als Miete € 6.226,08 vor. Zum Abschluss eines schriftlichen Mietvertrages kam es nicht.

6

Von November 2011 bis März 2012 sowie im Mai 2012 und von März bis Juni 2013 zahlte die Beklagte zu 1) an die Klägerin € 6.226,08; im Übrigen leistete sie teilweise geringere und teilweise keine Zahlungen.

7

Mit Schreiben vom 25.09.2013 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis ordentlich unter Bezugnahme auf § 550 BGB (Anlage K 6). Unter dem 28.03.2014 kündigte die Klägerin das Mietverhältnis zudem fristlos wegen Zahlungsverzugs und erneut (hilfsweise) ordentlich (Anlage K 8).

8

Am 04.05.2015 zahlte die Beklagte zu 1) € 5.000,- an die Klägerin.

9

Wegen der Einzelheiten des Parteivortrages in erster Instanz und des Wortlauts der Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils verwiesen.

10

Nach Erhebung der Zahlungs- und Räumungsklage durch die Klägerin mit Schriftsatz vom 08.10.2014 hat die Beklagte zu 1) den Zahlungsantrag in Höhe von € 25.498,81 anerkannt. Im Hinblick auf die Räumung der Ladenfläche im Kaufmannshaus durch die Beklagten am 01.07.2015 haben die Parteien den Räumungsanspruch übereinstimmend für erledigt erklärt.

11

Das Landgericht hat die Beklagte zu 1) im Wege des Teilanerkenntnis- und Schlussurteils unter Abweisung der Zahlungsklage im Übrigen zur Zahlung rückständiger Miete für den Zeitraum August 2012 bis Juni 2015 in Höhe von € 83.028,35 verurteilt. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich die Parteien, auch ohne den Mietvertragsentwurf unterschrieben zu haben, zumindest mündlich auf einen Mietzins von € 6.226,08 für die im November 2011 übergebene Ladenfläche verständigt hätten. Die Beklagtenseite sei der Darstellung der Rückstände und Zahlungen durch die Klägerin nicht durch Behauptung konkreter weiterer Zahlungen unter Beweisantritt entgegengetreten.

12

Die Beklagten wenden sich mit ihrer Berufung gegen die Verurteilung der Beklagten zu 1) zur Zahlung, soweit diese über den anerkannten Betrag hinausgeht, und tragen zur Begründung vor:

13

Zu Unrecht habe das Landgericht den Kautionsrückzahlungsanspruch von € 15.000,- nicht berücksichtigt, obwohl die Beklagte zu 1) insoweit jedenfalls eine Verrechnung mit Forderungen der Klägerin gewollt habe.

14

€ 6.226,08 seien nicht als Miete für die nach Sanierung neu bezogene Ladenfläche vereinbart worden. Die Parteien hätten sich für den Abschluss des neuen Mietvertrages auf ein Schriftformerfordernis verständigt. Da kein schriftlicher Mietvertrag geschlossen worden sei, hätten die Parteien den alten Mietvertrag weiter vollzogen, so dass die Monatsmiete nur € 5.311,45 betragen habe. Aus der mehrfachen Zahlung von € 6.226,08 als Monatsmiete durch die Beklagte zu 1) ergebe sich kein Erklärungsbewusstsein der Beklagten zu 1) hinsichtlich einer Mietanhebung. Jedenfalls habe die Klägerin ein etwaiges Angebot zur Mietanhebung nicht angenommen. Die reduzierte Zahlung ab Oktober 2012 (€ 5.565,38) habe die Klägerin vielmehr widerspruchslos hingenommen und für Juli 2012 sogar € 5.565,36 angemahnt (Anlage B 22).

15

Nicht berücksichtigt habe das Landgericht zudem die Widersprüche zwischen der Klagebegründung und den Anlagen K 7, 9, 11, die im Beklagtenschriftsatz vom 04.08.2015 aufgezeigt worden seien. Dies gelte auch für die von der Beklagtenseite vorgelegten Zahlungsnachweise B 5-18; die tabellarische Forderungs-/Zahlungsaufstellung im landgerichtlichen Urteil sei daher falsch.

16

Hinsichtlich der Kostenentscheidung sei entgegen der Auffassung des Landgerichts davon auszugehen, dass die Kündigung vom 28.03.2014 und damit die Räumungsklage unbegründet gewesen seien.

17

Die Beklagten beantragen,

18

das Teilanerkenntnis- und Schlussurteil des Landgerichts Hamburg aufzuheben und die Beklagte zu 1) zu verurteilen, € 25.498,81 an die Klägerin zu zahlen; im Übrigen die Klage abzuweisen.

19

Die Klägerin beantragt,

20

die Berufung zurückzuweisen.

21

Im Wege der Anschlussberufung beantragt die Klägerin,

22

das Teilanerkenntnis- und Schlussurteil des Landgerichts Hamburg vom 17.03.2016 abzuändern und die Beklagte zu 1) zu verurteilen, über den in Ziff. 1 des Tenors ausgeurteilten Betrag hinaus weitere € 1.642,46 nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.08.2012 zu zahlen.

23

Die Beklagten beantragen,

24

die Anschlussberufung zurückzuweisen.

25

Die Klägerin verteidigt das landgerichtliche Urteil im Wesentlichen und begehrt im Wege der Anschlussberufung die Zahlung weiterer € 1.642,46.

26

Sie trägt zur Begründung vor, dass die Kaution nicht anspruchsmindernd zu berücksichtigen sei, da von der Beklagtenseite keine Aufrechnung erklärt worden sei und die Rückgabe der Sicherheit gemäß § 6 des Mietvertrages aus dem Jahr 2000 (Anlage K 2) nicht geschuldet sei.

27

Ein neuer Mietvertrag über die Ladenfläche „Shop …“ sei durch Übersendung des Mietvertragsentwurfs und anschließende Überweisung der dort angegebenen Miete im November 2011 zustande gekommen; Parteien, Mietgegenstand, Miethöhe und Laufzeit hätten festgestanden und die Beklagte zu 1) habe die Räume im November 2011 bezogen. Die Vorlage der Anlage B 22 durch die Beklagten in der Berufungsbegründung sei verspätet; jedenfalls handele es sich bei der dort zu findenden Angabe zur Miethöhe um ein Buchhaltungsversehen. Der alte Mietvertrag habe nicht weitergeführt werden sollen, wie sich aus dem neuen Mietvertragsentwurf ergebe.

28

Das Mietverhältnis sei wirksam ordentlich gekündigt worden; die Wirksamkeit der Kündigungen sei erstinstanzlich von den Beklagten nicht in Abrede gestellt worden.

29

Grundsätzlich nicht zu beanstanden sei die Berechnung der Klageforderung durch das Landgericht; allerdings sei entgegen der Annahme des Landgerichts für August 2012 kein Guthaben der Beklagten zu 1) zu berücksichtigen. Mit der Anschlussberufung verlangt die Klägerin weitere Zahlung in Höhe dieses vom Landgericht zu Unrecht als Guthaben berücksichtigten Betrages in Höhe von € 1.642,46.

30

Wegen der Einzelheiten des Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

31

Die zulässige Berufung der Beklagten (hierzu unter 1.) ist nur teilweise begründet (hierzu unter 2.); die Anschlussberufung hat insgesamt keinen Erfolg (hierzu unter 3.).

1.

32

Die Berufung der Beklagten, mit der auch (Beklagte zu 1)) bzw. ausschließlich (Beklagter zu 2)) die im landgerichtlichen Urteil erfolgte Kostenentscheidung gemäß § 91a ZPO angegriffen wird, ist auch im Hinblick auf § 99 ZPO zulässig.

33

Es ist anerkannt, dass bei einem erstinstanzlichen Urteil, in dem über die Kosten eines übereinstimmend für erledigt erklärten Teils und über die restliche Hauptsache sowie die Kosten insoweit entschieden wurde, gegen die Kostenentscheidung gemäß § 91a ZPO Berufung eingelegt werden kann, wenn auch die Entscheidung zur Hauptsache mit der Berufung angegriffen wird (vgl. BGH, MDR 2010, 342 (343); Zöller-Herget, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 99, Rn. 13).

34

Danach ist die Berufung nicht nur hinsichtlich der Beklagten zu 1), die neben der Entscheidung nach § 91a ZPO auch die landgerichtliche Hauptsacheentscheidung beanstandet, zulässig, sondern auch hinsichtlich des Beklagten zu 2). Dieser greift zwar mit der Berufung ausschließlich die Kostenentscheidung nach § 91a ZPO an, da die erstinstanzliche Hauptsacheentscheidung ihn nicht berührt. Da aber die landgerichtliche Kostenentscheidung nach § 91a ZPO beide Beklagte als Streitgenossen betrifft, ist es im vorliegenden Fall - der insoweit anders gelagert ist als die dem Urteil des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 04.06.1996 (OLGR 97, 135) zugrunde liegende Konstellation - sachgerecht, beiden Beklagten die Berufung (auch) gegen die Kostenentscheidung gemäß § 91a ZPO zu gestatten, um insoweit eine einheitliche Entscheidung zu sichern und eine Aufspaltung des Berufungverfahrens zu vermeiden (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 91a, Rn. 56).

2.

35

Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1) einen Anspruch auf Zahlung rückständiger Miete für den Zeitraum August 2012 bis Juni 2015 in Höhe von insgesamt € 57.727,70 aus § 535 Abs. 2 BGB.

36

a) Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass die Beklagte zu 1) der Klägerin im hier relevanten Zeitraum für die Ladenfläche „Shop “ eine monatliche Miete in Höhe von € 6.226,08 schuldete. Diese Zahlungsverpflichtung der Beklagten ergibt sich allerdings weder aus dem Mietvertrag aus dem Mai 2000 (hierzu unter aa)) noch aus einem neuen mündlich geschlossenen Mietvertrag aus dem November 2011 (hierzu unter bb)), sondern vielmehr aus einem ab November 2011 bestehenden vorläufigen Mietverhältnis (hierzu unter cc)).

37

aa) Der zuletzt eine monatliche Miete von € 5.311,45 vorsehende Mietvertrag aus dem Mai 2000 – dessen Partei die Beklagte zu 1) unstreitig gewesen ist, wie die Parteien auch in der Berufungsinstanz klargestellt haben - endete aufgrund des Nachtrags aus dem Jahr 2005 am 30.06.2011 (Anlage K 3). Zu einer Verlängerung dieses Mietvertrages gemäß § 2 Abs. 2 (Anlage K 1) i.V.m. § 4 des Nachtrags (Anlage K 3) wegen Nichtkündigung innerhalb einer neunmonatigen Frist vor dem Vertragsende ist es nicht gekommen. Denn wie sich aus den unstreitigen Verhandlungen der Parteien über einen neuen schriftlichen Mietvertrag und dem vorliegenden Mietvertragsentwurf ergibt, gingen die Parteien davon aus, dass nach Sanierung und Neubezug der (veränderten) Räumlichkeiten der alte Vertrag gegenstandslos geworden war und ein neuer Mietvertrag geschlossen werden sollte.

38

bb) Ein neuer Mietvertrag auf der Grundlage des eine Monatsmiete von € 6.226,08 vorsehenden Vertragsentwurfes des Klägerin (Anlage K 4) ist zwischen den Parteien hinsichtlich der Ladenfläche „Shop “ nicht zustande gekommen.

39

Unstreitig haben die Parteien keinen neuen schriftlichen Mietvertrag geschlossen.

40

Der Annahme eines mündlich geschlossenen Mietvertrages steht bereits entgegen, dass die Parteien hier die Schriftform eines neu abzuschließenden Mietvertrages als Wirksamkeitsvoraussetzung vereinbart haben. Die Verhandlungen der Parteien über schriftliche Vertragsentwürfe zwischen November 2011 und März 2012 zeigen, dass sie übereinstimmend davon ausgingen, dass der neue Mietvertrag schriftlich geschlossen werden sollte. Bei einer derartigen Verabredung der Parteien, den Mietvertrag schriftlich zu beurkunden, wird bei wichtigen Verträgen mit zahlreichen Einzelregelungen und insbesondere bei Mietverträgen mit einer festen Dauer von mehr als einem Jahr vermutet, dass die Schriftform als Wirksamkeitsvoraussetzung des Vertragsschlusses gewollt ist (vgl. Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 4. Aufl. 2014, II Rn. 780; Schmidt-Futterer-Blank, Mietrecht, 12. Aufl. 2015, Vorbem. zu § 535 BGB, Rn. 20, 22). Über einen solchen Mietvertrag haben die Parteien hier verhandelt: Der Mietvertragsentwurf der Klägerin (Anlage K 4) hat 23 Seiten und enthält zahlreiche Regelungen in 18 Paragrafen; er sieht in § 5.1 eine Festmietzeit vom 01.11.2011 bis zum 31.12.2013 vor und damit eine feste Dauer von mehr als einem Jahr. Da diese Vereinbarung einer festen Mietvertragsdauer gemäß § 550 BGB nur in schriftlicher Form wirksam ist und davon ausgegangen werden kann, dass die Parteien einen insgesamt wirksamen Vertrag schließen wollten, muss die Schriftlichkeit als Wirksamkeitsvoraussetzung des gesamten neuen Mietvertrages der Parteien angesehen werden.

41

cc) Die Parteien haben aber hinsichtlich der Ladenfläche „Shop “ einen vorläufigen Mietvertrag geschlossen, der die Beklagte zu 1) verpflichtete, monatlich € 6.226,08 Miete an die Klägerin zu zahlen.

42

In Fällen der Nutzung bereits überlassener Räume bis zu einem noch auszuhandelnden endgültigen Mietvertrag ist in der Regel ein vorläufiges Mietverhältnis anzunehmen (OLG Hamburg, ZMR 2003, 179 (180); vgl. Schmidt-Futterer-Blank, a.a.O., Rn. 15). Wegen der wirtschaftlichen Bedeutung der Nutzung von Gewerberäumen und des Interesses des Mieters an einem vorläufigen Besitzrecht kann grundsätzlich nicht angenommen werden, dass die Übergabe von Geschäftsräumen ohne vertragliche Grundlage erfolgen soll. Für die Annahme eines konkludent geschlossenen vorläufigen Mietvertrages ist es hinreichend, dass Einigkeit zwischen den Parteien über die wesentlichen Punkte des bis zum Abschluss des endgültigen Vertrages geltenden vorläufigen Mietvertrages bestand (insbesondere Mietobjekt und Miethöhe) (OLG Hamburg, a.a.O.; OLG Karlsruhe, WuM 2012, 666 (667)).

43

Nach diesem Maßstab ist im vorliegenden Fall ein vorläufiges konkludent geschlossenes Mietverhältnis der Parteien zu bejahen: Obwohl sich die Parteien noch in Verhandlungen über einen endgültigen, schriftlich abzuschließenden Mietvertrag befanden, nutzte die Beklagte zu 1) die Ladenfläche bereits seit Übergabe am 11.11.2011. Sie zahlte ab November 2011 mehrere Monate in Folge die im Mietvertragsentwurf vorgesehene monatliche Miete in Höhe von € 6.226,28 an die Klägerin; die Klägerin nahm diese Zahlungen entgegen. War danach die Miethöhe von den Parteien bestimmt, kommt es nicht mehr entscheidend darauf an, dass die Klägerin im Juli 2012 eine Miete in Höhe von nur € 5.565,36 anmahnte (Anlage B 22). Die Vorlage dieses Mahnschreibens durch die Beklagten erst in der Berufungsinstanz ist zwar entgegen der Annahme der Klägerin nicht verspätet, da die Tatsache, dass die Klägerin dieses Schreiben an die Beklagte zu 1) versandte, unstreitig ist; unstreitige neue Tatsachen sind in der Berufungsinstanz aber stets zu berücksichtigen (Zöller-Heßler, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 531, Rn. 20). Die erst Mitte 2012 erfolgende – wohl irrtümliche – Anforderung einer zu niedrigen Miete durch die Klägerin ändert indes nichts daran, dass bereits deutlich vorher, nämlich spätestens Anfang 2012, aufgrund Zahlung und Entgegennahme der € 6.226,28 als Miete feststand, dass dieser Betrag als Miete der Ladenfläche gelten sollte. Aus diesem Grunde ist auch die spätere Entgegennahme geringerer Beträge als € 6.226,28 durch die Klägerin unerheblich.

44

Danach waren Mietobjekt und Miethöhe des vorläufigen Mietvertrages bestimmt. Überdies behielt die Klägerin – mit Einverständnis der Beklagten zu 1) - die aus dem ursprünglichen Mietverhältnis stammende Kaution in Höhe von € 15.000,- ein, die damit Verwendung für das vorläufige Mietverhältnis finden sollte.

45

Gegen die Annahme eines konkludent geschlossenen vorläufigen Mietverhältnisses spricht hier auch nicht, dass die Parteien die Schriftform als Wirksamkeitsvoraussetzung eines neuen Mietvertragsschlusses vereinbart hatten. Denn dies bezieht sich nur auf den endgültig zu schließenden Mietvertrag mit fester Dauer.

46

Für die Zwischenzeit bis zum Abschluss des endgültigen Vertrages sprechen zudem auch im vorliegenden Fall die Interessen beider Parteien für die Annahme eines vorläufigen Mietvertrages: So musste der Beklagten zu 1) daran gelegen sein, ein Besitzrecht gegenüber der Klägerin zu erlangen und für die Klägerin war die vertragliche Absicherung der erheblichen monatlichen Miete bedeutsam. Ein dieser Annahme entgegenstehender Willen der Parteien, es bis zum Abschluss des endgültigen Mietvertrages bei einem vertragslosen Nutzungszustand der Ladenfläche zu belassen, ist nicht vorgetragen.

47

Da es nicht mehr zum Abschluss des endgültigen schriftlichen Mietvertrages zwischen den Parteien gekommen ist, bildet der konkludent geschlossene vorläufige Mietvertrag die Grundlage der Abwicklung des Vertragsverhältnisses der Parteien.

48

b) Die Höhe der Mietrückstände der Beklagten zu 1) beträgt € 57.727,70.

49

aa) Nach dem Inhalt des anzunehmenden vorläufigen Mietverhältnisses ist entgegen der Auffassung der Beklagten davon auszugehen, dass monatlich eine Miete von € 6.226,08 geschuldet war (vgl. oben I. 2. a) cc)).

50

Zutreffend weisen die Beklagten aber darauf hin, dass in der tabellarischen Darstellung von Forderungen der Klägerin und Rückständen der Beklagten zu 1) (Seite 8ff des Urteils) der Vortrag der Beklagten aus dem Schriftsatz vom 04.08.2015 sowie die von der Beklagtenseite vorgelegten Kontoauszüge (Anlagen B 5ff) keine Berücksichtigung gefunden haben.

51

Eine Prüfung der tabellarischen Aufstellung des Landgerichts im Hinblick auf den unstreitig gebliebenen Vortrag aus dem Beklagtenschriftsatz vom 04.08.2015 und die vorgelegten Kontoauszüge ergibt folgende Abweichungen:

52

- August 2012: Auf die Forderung der Klägerin von € 1.642,46 hat die Beklagte zu 1) unstreitig nichts gezahlt, so dass weitere € 1.642,46 zuzusprechen sind.

53

- Oktober 2012: Auf die geschuldete Bruttomiete von € 6.226,08 hat die Beklagte zu 1) € 5.565,36 gezahlt (Anlage B 5), so dass nur weitere € 660,72 zuzusprechen sind. Soweit diese Zahlung von der Klägerin auf den Monat September 2012 verrechnet wurde (vgl. Anlage K 9), ist dies angesichts des angegebenen Verwendungszwecks „SHOP “ auf der Überweisung (Anlage B 5) unzulässig. Ein Zahlungsrückstand für September 2012 ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits.

54

- Januar 2013: Auf die geschuldete Bruttomiete von € 6.226,08 hat die Beklagte zu 1) € 6.557,16 gezahlt (Anlage B 7), so dass die Mietforderung vollständig erfüllt wurde (die vom Landgericht zugesprochenen € 468,82 entfallen). Hinsichtlich des zu viel gezahlten Betrages hat die Beklagte zu 1) keine weiteren Erklärungen abgegeben.

55

- Juni 2013: Auf die geschuldete Bruttomiete von € 6.226,08 hat die Beklagte zu 1) € 6.226,08 gezahlt (Anlage K 11), so dass die Mietforderung vollständig erfüllt wurde (die vom Landgericht zugesprochenen € 6.226,08 entfallen).

56

- August 2013: Auf die geschuldete Bruttomiete von € 6.226,08 hat die Beklagte zu 1) € 3.226,08 gezahlt (Anlage B 11/2), so dass nur weitere € 3.000,- zuzusprechen sind. Ein Nachweis für die von der Beklagtenseite behauptete Zahlung weiterer € 3.000,- für den Monat August 2013 fehlt. Soweit die Zahlung von € 3.226,08 von der Klägerin auf den Monat September 2013 verrechnet wurde (vgl. Anlage K 9), ist dies angesichts des angegebenen Verwendungszwecks „SHOP “ auf der Überweisung (Anlage B 11/2) unzulässig. Ein Zahlungsrückstand für September 2013 ist nicht Gegenstand des Rechtsstreits.

57

Im Übrigen ist die tabellarische Aufstellung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Werden abweichend von dieser an zuerkannten Beträgen für August 2012 € 1.642,46, für Oktober 2012 € 660,72, für Januar 2013 € 0,-, für Juni 2013 € 0,- und für August 2013 € 3.000,- angesetzt, so ergibt die Addition der zuerkannten Beträge € 77.727,70 (statt € 88.028,35 im landgerichtlichen Urteil).

58

bb) Unter Berücksichtigung der unstreitig von der Beklagten zu 1) geleisteten weiteren Zahlung von € 5.000,- verbleiben € 72.727,70.

59

cc) Zudem hat die Beklagte zu 1) die Aufrechnung mit ihrem Kautionsrückforderungsanspruch in Höhe von € 15.000,- erklärt, so dass die Mietforderung der Klägerin in dieser Höhe erloschen ist, §§ 389, 387, 388 BGB.

60

Die Aufrechnung ist von dem Beklagtenvertreter jedenfalls im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 15.03.2017 erklärt worden.

61

Der Kautionsrückforderungsanspruch der Beklagten zu 1) aus dem vorläufigen Mietvertrag war zu diesem Zeitpunkt auch fällig. Die Rückgabe der Ladenfläche erfolgte unstreitig im Juli 2015. Auch wenn nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes keine starren Abrechnungsfristen anzuerkennen sind, ist nach dem Ablauf von über 1 ½ Jahren eine Fälligkeit des Kautionsrückforderungsanspruches zu bejahen. Es ist kein Grund für einen weiteren Einbehalt der Kaution ersichtlich, insbesondere ist nicht vorgetragen, dass noch eine Betriebs- oder Heizkostenabrechnung ausstehe (zumal dies auch nur den Einbehalt eines angemessenen Teilbetrages der Kaution rechtfertigen könnte). Auf die Regelung des § 6 des ursprünglichen Mietvertrages kann sich die Klägerin in diesem Zusammenhang ohnehin nicht berufen, da dieser Vertrag von den Parteien übereinstimmend als gegenstandslos angesehen wurde und die Kaution in den konkludent geschlossenen vorläufigen Mietvertrag übernommen wurde.

62

Danach verbleibt eine Mietforderung der Klägerin gegen die Beklagte zu 1) in Höhe von € 57.727,70.

63

dd) Die Verzinsung der Mietzinsansprüche hat ihre Grundlage in §§ 288 Abs. 2, 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Verzinsung endete mit Erfüllung eines entsprechenden Teilbetrages durch Zahlung der Beklagten zu 1) am 04.05.2015 und durch Aufrechnung mit dem Kautionsrückzahlungsanspruch von € 15.000,- am 15.03.2017.

3.

64

Die Anschlussberufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

65

Zwar weist die Klägerin zutreffend darauf hin, dass für August 2012 kein Guthaben für die Beklagte zu 1) besteht; ein solches behauptet auch die Beklagtenseite nicht. In der Gesamtberechnung der Mietzinsansprüche der Klägerin ergibt sich aber kein über die vom Landgericht zuerkannte Summe hinausgehender Betrag. Der auf Verurteilung der Beklagten zu 1) über den vom Landgericht ausgeurteilten Betrag hinaus gerichtete Antrag der Anschlussberufung hat daher keinen Erfolg und die Anschlussberufung ist zurückzuweisen.

4.

66

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 91a, 97 Abs. 1 ZPO.

67

a) Hinsichtlich der Kosten der ersten Instanz ist von einem Streitwert in Höhe von € 170.556,77 auszugehen.

68

aa) Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass die Beklagten hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Räumungsantrages (auf den ein Streitwertanteil von € 68.544,- = 40% des Gesamtstreitwertes entfällt) als unterliegende Partei anzusehen sind, § 91a ZPO. Auch unter Zugrundelegung der modifizierten Berechnung der Mietzinsforderungen der Klägerin bestand bei fristloser Kündigung durch die Klägerin am 28.03.2014 (Anlage K 8) ein Zahlungsrückstand der Beklagten zu 1) mit mehr als zwei Monatsmieten, der einen Kündigungsgrund gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 b) BGB darstellt.

69

Zudem war der anzunehmende vorläufige Mietvertrag über die Gewerbefläche ordentlich spätestens am dritten Werktag eines Kalendervierteljahres zum Ablauf des nächsten Kalendervierteljahres kündbar, § 580a Abs. 2 BGB. Eine Befristung des vorläufigen Mietverhältnisses bestand nicht. Selbst wenn man dies anders sähe, wäre die Schriftform gemäß § 550 BGB nicht eingehalten, so dass die Klägerin den deswegen auf unbestimmte Zeit geschlossenen Vertrag ordentlich kündigen konnte. Wegen der ordentlichen Kündigung mit Schreiben vom 25.09.2013 endete das vorläufige Mietverhältnis zum 31.03.2014.

70

bb) In Bezug auf den nur das Prozessrechtsverhältnis der Klägerin und der Beklagten zu 1) betreffenden Zahlungsantrag verliert die Klägerin € 44.657,58 (€ 102.012,77 + € 372,51 - € 57.727,70). Dies entspricht einem Anteil am Gesamtstreitwert der ersten Instanz (€ 170.556,77) von 26%. Die verbleibenden 34% (bezogen auf die 60% des Gesamtstreitwertes, die auf den Zahlungsantrag entfallen) trägt die Beklagte zu 1) allein.

71

Danach tragen von den Kosten der ersten Instanz die Beklagten gemeinsam 40%, die Klägerin 26% und die Beklagte zu 1) allein 34%.

72

b) Hinsichtlich der Kosten der Berufungsinstanz ist von einem Streitwert der Berufung in Höhe von € 64.172,- auszugehen, wobei auf den Berufungsangriff hinsichtlich der Verurteilung zur Zahlung € 57.529,54, auf das Kosteninteresse hinsichtlich des übereinstimmend für erledigt erklärten Teils € 5.000,- und auf die Anschlussberufung € 1.642,46 entfallen.

73

aa) Bezüglich des Kosteninteresses (8% des Streitwertes der Berufung) unterliegen beide Beklagte.

74

bb Bezüglich des Zahlungsantrages und der Anschlussberufung (92% des Streitwertes der Berufung) gewinnt die insoweit allein betroffene Beklagte zu 1) hinsichtlich des Zahlungsantrages € 25.300,65 (€ 83.028,35 - € 57.727,70) und hinsichtlich der Anschlussberufung € 1.642,46 (also insgesamt € 26.943,11). Dies entspricht einem Anteil von 42% des Gesamtstreitwertes der Berufung von € 64.172,-. Damit verliert die Beklagte zu 1) in Höhe eines Anteils von 58% des Gesamtstreitwertes der Berufung. Bezogen auf den Anteil von Zahlungsantrag und Anschlussberufung am Streitwert der Berufung) (92%) bedeutet dies, dass die Klägerin in Höhe der restlichen 34% des Gesamtstreitwertes verliert.

75

Danach tragen von den Kosten des Berufungsverfahrens die Beklagten 8% gemeinsam, die Klägerin 34% und die Beklagte zu 1) allein 58%.

76

Ein anderes Ergebnis ergibt sich nicht im Hinblick auf § 97 Abs. 2 ZPO, weil der Beklagtenvertreter erstmalig im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht ausdrücklich die Aufrechnung erklärt hat. Denn in erster Instanz war die Beklagtenseite nicht i.S.d. § 97 Abs. 2 ZPO imstande, die Aufrechnung wirksam zu erklären, weil die Fälligkeit des Kautionsrückforderungsanspruches noch nicht eingetreten war. Die Räumung der Ladenfläche erfolgte am 01.07.2015. Der Kautionsrückzahlungsanspruch wird fällig, wenn der Vermieter übersehen kann, ob er zur Befriedigung seiner Ansprüche auf die Kaution zurückgreifen muss; hinsichtlich der Frist, innerhalb derer der Vermieter in diesem Sinne abzurechnen hat, werden Fristen zwischen 2 und 9 Monaten vertreten, während nach Auffassung des Bundesgerichtshofes keine allgemeine Abrechnungsfrist besteht, sondern die angemessene Frist nach den Umständen des Einzelfalles zu bestimmen sein soll (Schmidt-Futterer-Blank, Mietrecht, 12. Auflage 2015, § 551 BGB, Rn. 95ff; BGH, NJW 2006, 1422). Vor diesem Hintergrund konnte die Beklagtenseite bis zur Verkündung des landgerichtlichen Urteils am 17.03.2016 (rund 8 1/2 Monate später) nicht sicher sein, dass die Fälligkeit des Kautionsrückforderungsanspruches eingetreten war, so dass sie zur Aufrechnung nicht imstande i.S.d. § 97 Abs. 2 ZPO war. Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob die Erklärungen der Beklagtenseite in erster Instanz, insbesondere im Schriftsatz vom 04.08.2015, als Aufrechnungserklärung auszulegen sein könnten. Denn eine Aufrechnung wäre mangels Fälligkeit des Kautionsrückforderungsanspruches im August 2008 noch nicht möglich gewesen.

5.

77

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hat ihre rechtliche Grundlage in §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

78

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

79

Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Beklagten vom 20.04.2017 gibt keine Veranlassung zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung gemäß § 156 ZPO.

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