Urteil vom Hanseatisches Oberlandesgericht (2. Strafsenat) - 2 Rev 26/20

Tenor

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kleine Strafkammer 2, vom 30. September 2019 wird auf seine Kosten verworfen.

Gründe

I.

1

Das Amtsgericht Hamburg-Barmbek hat den Angeklagten mit Urteil vom 5. Februar 2019 wegen „vorsätzlicher“ Körperverletzung in Tateinheit mit Beleidigung und Bedrohung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten verurteilt und die Vollstreckung dieser Strafe zur Bewährung ausgesetzt.

2

Der Angeklagte hat gegen dieses Urteil mit am 7. Februar 2019 bei dem Amtsgericht eingegangenem Verteidigerschriftsatz „Rechtsmittel“ eingelegt und mit weiterem Schriftsatz vom 15. April 2019 erklärt, das Rechtsmittel solle als Berufung durchgeführt werden. Mit seinem Urteil vom 30. September 2019 hat das Landgericht Hamburg, Kleine Strafkammer 2, die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts mit der Maßgabe verworfen, dass der tateinheitliche Schuldspruch wegen Beleidigung entfällt und die Freiheitsstrafe auf neun Monate herabgesetzt wird.

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Gegen dieses Urteil hat der Angeklagte mit noch am 30. September 2019 bei dem Landgericht eingegangenem Verteidigerschriftsatz Revision eingelegt. Nach der am 8. November 2019 nach Fertigstellung des Hauptverhandlungsprotokolls erfolgten Zustellung des landgerichtlichen Urteils hat der Angeklagte mit einer am 9. Dezember 2019, einem Montag, bei dem Landgericht eingegangenen und unterzeichneten Schrift die Verletzung formellen und materiellen Rechts gerügt und zwei Verfahrensrügen sowie die Sachrüge weiter ausgeführt.

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Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 25. März 2020 die Aufhebung des landgerichtlichen Urteils gemäß § 349 Abs. 4 StPO beantragt. In der Hauptverhandlung hat sie darauf angetragen, das Urteil des Landgerichts mit den Feststellungen aufzuheben und die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kleine Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen. Diesem Antrag hat sich der Angeklagte angeschlossen.

II.

5

Der statthaften und auch im Übrigen zulässigen, insbesondere fristgerecht eingelegten sowie rechtzeitig und in der gebotenen äußeren Form begründeten Revision des Angeklagten (§§ 333, 341, 344 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 1, 345 StPO) bleibt in der Sache der Erfolg versagt.

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1. Das Verfahren ist nicht wegen eines Verfahrenshindernisses einzustellen. Die von Amts wegen zu prüfenden Verfahrensvoraussetzungen sind gewahrt.

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Insbesondere liegt eine wirksame Anklageschrift vor, die ihrer Umgrenzungsaufgabe noch hinreichend gerecht wird (§ 200 Absatz 1 Satz 1 StPO).

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a) Die Anklageschrift hat die Aufgabe, den Verfahrensgegenstand im Sinne von § 151 StPO zu kennzeichnen. Sie bestimmt dadurch mittelbar auch den Umfang der Rechtskraft eines späteren Urteils und dient der Verhinderung einer Mehrfachverfolgung des Angeklagten wegen derselben Tat (BGH, NStZ 2017, 551). Die Anklage hat daher die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat sowie Zeit und Ort ihrer Begehung so genau zu bezeichnen, dass die Identität des geschichtlichen Vorgangs klargestellt und erkennbar wird, welche bestimmte Tat gemeint ist. Sie muss sich von anderen gleichartigen strafbaren Handlungen desselben Täters unterscheiden lassen. Es darf nicht unklar bleiben, über welchen Sachverhalt das Gericht nach dem Willen der Staatsanwaltschaft urteilen soll (Senatsbeschluss vom 12. Oktober 2015, Az.: 2 Rev 74/15; BGHSt 40, 390; LR/Stuckenberg; § 200 Rn. 18 f.; Meyer-Goßner/Schmitt, § 200 Rn. 2, 7).

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b) Diesen Anforderungen genügt die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Hamburg vom 16. November 2018, obwohl der Anklagesatz den Namen der Geschädigten nicht nennt, sondern wiederholt nur den Terminus der „Anzeigenden“ verwendet. Die Individualisierung des dem Angeklagten zur Last gelegten geschichtlichen Vorgangs ist gleichwohl noch hinreichend zweifelsfrei möglich, da Zeit, Ort und Begehungsweise der dem Angeklagten zur Last gelegten Tat präzise bezeichnet sind und ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte zur Tatzeit am Tatort eine vergleichbare Tat zum Nachteil einer anderen Geschädigten begangen haben könnte.

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2. Die Verfahrensrüge, die schriftlichen Urteilsgründe seien unter Verletzung von § 275 Absatz 1 Satz 2 StPO nicht innerhalb der Frist von fünf Wochen nach Verkündung des Urteils zu den Akten gebracht worden (§ 337 Ziffer 7 StPO), ist jedenfalls unbegründet, da das Urteil fristgerecht abgesetzt worden ist. Die Absetzungsfrist endete angesichts der Verkündung des Berufungsurteils am 30. September 2019 mit Ablauf des 4. November 2019 (§§ 275 Absatz 1 Satz 2 Variante 1, 43 Absatz 1 StPO).

11

a) Das fertiggestellte Urteil muss innerhalb der Frist des § 275 Absatz 1 Satz 2 StPO zu den Akten gebracht werden. Auf der Geschäftsstelle muss es nicht bereits niedergelegt sein. Es genügt, dass das Urteil vor Fristablauf auf den Weg dorthin gebracht ist, insbesondere, dass es (mit den Akten oder ohne sie) im Dienstzimmer des Richters zum Abtrag bereitgelegt wird (BGHSt 29, 43; Meyer-Goßner/Schmitt, § 275 Rn. 7; MüKoStPO/Valerius, § 275 Rn. 7).

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b) So liegt der Fall hier. Zwar trägt das Urteil den Eingangsstempel der Geschäftsstelle vom 5. November 2019. Der Vorsitzende hat jedoch in seinen dienstlichen Äußerungen vom 11. Dezember 2019 und vom 6. Februar 2020 erklärt, die fertiggestellten und von ihm unterschriebenen schriftlichen Urteilsgründe noch am 4. November 2019 und damit vor Fristablauf in seinem Dienstzimmer in den Aktenausgang gegeben zu haben.

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3. Die Verfahrensrüge der Verletzung des § 252 StPO genügt nicht den Darlegungsanforderungen des § 344 Absatz 2 Satz 2 StPO und ist daher unzulässig.

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a) Gemäß § 344 Absatz 2 Satz 2 StPO sind im Falle der Erhebung einer Verfahrensrüge in der Revisionsbegründungsschrift die den Mangel enthaltenden Tatsachen anzugeben.Der Revisionsführer hat dabei alle Tatsachen, die den Verfahrensmangel begründen, so vollständig und genau vorzutragen, dass das Revisionsgericht allein auf Grund der Rechtfertigungsschrift prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, wenn die behaupteten Tatsachen erwiesen sind (BGHSt 60, 238; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, § 344 Rn. 99; LR/Franke, § 344 Rn. 78). Bei einer wie hier zulässig erhobenen Sachrüge kann darüber hinaus zur Ergänzung der Verfahrensrüge auf die Urteilsgründe zurückgegriffen werden (BGH, NStZ 1997, 378; Meyer-Goßner/Schmitt, § 344 Rn. 21a; MüKoStPO/Knauer/Kudlich § 344 Rn. 120).

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Gemäß § 252 StPO darf die Aussage eines vor der Hauptverhandlung vernommenen Zeugen, der erst in der Hauptverhandlung von seinem Recht, das Zeugnis zu verweigern, Gebrauch macht, nicht verlesen werden. Aus dem Grundgedanken der inhaltlich nicht auf ein Verbot der Urkundenverlesung beschränkten Regelung des § 252 StPO folgt, dass im Falle der Zeugnisverweigerung in der Hauptverhandlung eine Beweiserhebung über Aussagen des nach § 52 StPO berechtigten Zeugen, die dieser bei einer früheren Vernehmung gemacht hat, grundsätzlich unzulässig ist (BGH, NJW 1998, 2229; LR/Cirener/Sander, § 252 Rn. 7b). Ausnahmen von dem Vernehmungsverbot gelten für den Fall der früheren Vernehmung durch einen Richter (BGHSt 61, 221; Meyer-Goßner/Schmitt, § 252 Rn. 14; LR/Cirener/Sander, § 252 Rn. 9) oder im Falle derEinwilligung des Zeugen in die Verwertung früherer Angaben im Rahmen nichtrichterlicher Vernehmungen (BGHSt 45, 203).Über die Folgen seines Verzichts auf das sonst bestehende Verwertungsverbot ist der in der Hauptverhandlung anwesende Zeuge ausdrücklich zu belehren, um dem Gericht die Überzeugung zu verschaffen, dass er sich der Tragweite seiner Erklärung bewusst ist („qualifizierte Belehrung“; BGHSt 45, 203; NStZ 2015, 232; LR/Cirener/Sander, § 252 Rn. 24; Meyer-Goßner/Schmitt, § 252 Rn. 16a).

16

Im Rahmen der Rüge der Verletzung des § 252 StPO durch Verwertung früherer Angaben eines sich in der Hauptverhandlung auf sein Zeugnisverweigerungsrecht berufenden, aber in die Verwertung seiner früheren Angaben in nichtrichterlichen Vernehmungen einwilligenden Zeugen ist nach dem Gesagten von dem Revisionsführer der Inhalt der Belehrung durch den Vorsitzenden sowie die Reaktion des Zeugen darauf in der Revisionsschrift vollständig und genau mitzuteilen.

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b) Daran fehlt es hier. Die Revision trägt zu den die Rüge tragenden Verfahrenstatsachen lediglich vor, die Zeugin sei „gemäß §§ 57, 52 StPO belehrt“ worden und habe „[n]ach Belehrung gemäß § 52 StPO“ erklärt: „Ich möchte von meinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen.“ Im Anschluss daran referiert die Revision – eingeleitet durch den Satz „Weiter heißt es im Sitzungsprotokoll:“ – allein den Inhalt des Protokolls der Hauptverhandlung („Auf weitere Frage des Vorsitzenden, ob sie mit der Verwertung ihrer früheren Angaben einverstanden sei, auch wenn dies zum Nachteil ihres Vaters geschehe, erklärte die Zeugin: «Diese Informationen stehen in der Akte. Über diese Informationen dürfen sie frei verfügen.»“)

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Damit fehlt es aber an einem zwingend notwendigen eigenen Sachvortrag der Revision zum Inhalt der tatsächlich erfolgten qualifizierten Belehrung durch den Vorsitzenden, etwa dazu, ob diese den protokollierten Inhalt hatte oder – was naheliegt – davon quantitativ oder qualitativ abwich. Das Revisionsvorbringen darf sich nicht in der Wiedergabe des Protokollinhalts erschöpfen. Ihm muss vielmehr eine bestimmte Behauptung des Revisionsführers zum tatsächlichen Verfahrensablauf zu entnehmen sein (vgl. zur Unzulässigkeit der so genannten Protokollrüge Senat, Beschluss vom 10. Juni 2014, Az.: 2 Rev 91/14; BGH, NStZ-RR 2019, 218). In diesem Zusammenhang hätte es auch der Mitteilung des wesentlichen Inhalts der einleitenden Belehrung „gemäß § 57, 52 StPO“ bedurft. Dem Revisionsgericht wird sonst die Möglichkeit genommen, allein auf Grund der Rechtfertigungsschrift zu prüfen, ob vor Verwertung der früheren Angaben der Zeugin tatsächlich eine ordnungsgemäße qualifizierte Belehrung stattgefunden hat und ob die Zeugin ordnungsgemäß in die Verwertung eingewilligt hat.

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4. Die auf die allgemeine Sachrüge hin veranlasste Überprüfung des Urteils hat schließlich auch unter Berücksichtigung des Revisionsvorbringens keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erbracht.

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a) Die Urteilsfeststellungen bieten eine tragfähige Grundlage für die Prüfung durch das Revisionsgericht und sind frei von Lücken, Widersprüchen oder Verstößen gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze. Soweit die Revision Feststellungen zu den von der Geschädigten nach der Tat zurückgelegten Wegstrecken und zu den zeitlichen Abläufen nach der Tat vermisst, weil eine andere für die Verletzungen der Zeugin ursächliche Auseinandersetzung nicht ausgeschlossen werden könne, drängen sich solche Überlegungen nicht auf.

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b) Die Beweiswürdigung ist frei von Rechtsfehlern und macht die Tatsachenfeststellungen des Landgerichts für das Revisionsgericht hinreichend nachvollziehbar.

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c) Die getroffenen Feststellungen tragen den Schuldspruch wegen Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung (§§ 223 Absatz 1, 241 Absatz 1, 52 StGB).

23

d) Die Strafzumessungserwägungen des landgerichtlichen Urteils weisen ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf. Soweit in der isolierten strafschärfenden Berücksichtigung der absichtlichen Begehungsweise ohne Einbindung in eine Würdigung des Handlungsziels des Täters ein Rechtsfehler wegen eines Verstoßes gegen das Doppelverwertungsverbot zu sehen sein könnte (krit. Schäfer/Sander/Gemmeren, Rn. 618; vgl. zur zulässigen strafschärfenden Berücksichtigung von Tötungsabsicht aber mittlerweile BGHSt 63, 54), kann der Senat angesichts der umfangreichen und im Übrigen rechtsfehlerfreien Strafzumessungserwägungen jedenfalls ausschließen, dass das Urteil auf einem solchen Rechtsfehler beruht (§ 337 StPO).

III.

24

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

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