Urteil vom Oberlandesgericht Köln - 20 U 266/21
Tenor
Auf die Berufung des Klägers gegen das am 27.10.2021 verkündete Urteil der 21. Zivilkammer des Landgerichts Bonn – 41 O 17/21 – wird die angefochtene Entscheidung unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
1.
Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhung der monatlichen Prämie in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Kranken-/ Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer X1 unwirksam war:
im Tarif A die Erhöhung zum 01.01.2017 in Höhe von 66,00 € bis zum 31.12.2019.
2.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.584,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.01.2021 zu zahlen.
3.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie bis zum 19.01.2021 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den der Kläger auf die unter 1. aufgeführte Beitragserhöhung bis zum 31.12.2019 gezahlt hat.
4.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Betrag in Höhe von 249,40 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.01.2021 für die außergerichtliche anwaltliche Rechtsverfolgung zu zahlen.
5.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des landgerichtlichen Verfahrens haben der Kläger zu 78% und die Beklagte zu 22% zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens entfallen auf den Kläger zu 33% und auf die Beklagte zu 67%.
Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e
2I.
3Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.
4II.
5Die Berufung des Klägers hat weitgehend Erfolg. Lediglich hinsichtlich der begehrten Feststellung, nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages verpflichtet zu sein, und hinsichtlich eines Teils der Nebenforderungen bleibt sie ohne Erfolg.
61.
7Der Berufungsantrag zu 1) hat Erfolg, soweit der Kläger die Feststellung begehrt, dass im Tarif A die Erhöhung zum 01.01.2017 in Höhe von 66,00 € unwirksam war. Ohne Erfolg bleibt der Berufungsantrag zu 1) indes, soweit der Kläger auch die Feststellung begehrt, nicht zur Zahlung dieses Erhöhungsbetrages verpflichtet gewesen zu sein, weil für diese Feststellung kein rechtliches Interesse gegeben ist.
8a)
9aa)
10Der auf die Feststellung der Unwirksamkeit der Erhöhung im Tarif A zum 01.01.2017 gerichtete Antrag ist zulässig.
11Der Kläger greift die erstinstanzlich noch streitige Erhöhung in demselben Tarif zum 01.01.2020 nicht mehr an, so dass nunmehr von deren Wirksamkeit auszugehen ist und ein Anspruch der Beklagten auf Zahlung der Prämie in der durch diese Anpassung festgesetzten neuen Gesamthöhe ab dem 01.01.2020 in dem Tarif A bestand (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19 –, juris-Rz. 55 f.). Dass die Beitragserhöhung zum 01.01.2017 gegenwärtig oder zukünftig noch Auswirkungen haben kann, ist damit nicht ersichtlich. Die vom Kläger begehrte Feststellung der Unwirksamkeit der Prämienerhöhung zum 01.01.2017 ist jedoch als entsprechend auszulegende Zwischenfeststellungsklage nach § 256 Abs. 2 ZPO zulässig, weil die Frage der Wirksamkeit der Beitragsanpassung eine Vorfrage für den Leistungsantrag ist (vgl. hierzu BGH Urteil vom 16.12.2020, Az. IV ZR 294/19; BGH, Urteil vom 19.12.2018, Az. IV ZR 255/17 –, juris).
12Zwar ist für eine Zwischenfeststellung dann kein Raum, wenn durch die Entscheidung über die Hauptklage die Rechtsbeziehungen, die sich aus dem streitigen Rechtsverhältnis ergeben können, mit Rechtskraftwirkung erschöpfend klargestellt werden. Die Zwischenfeststellungsklage ist jedoch zulässig, wenn mit der Klage mehrere selbständige Ansprüche aus dem Rechtsverhältnis verfolgt werden, mögen sie auch in ihrer Gesamtheit die Ansprüche erschöpfen, die sich aus ihm überhaupt ergeben können (vgl. nur BGH, Urteil vom 27.11.1998 – V ZR 180/97 –, juris-Rz. 8 m.w.N.). Denn hier besteht die Möglichkeit von Teilurteilen, so dass die Zwischenfeststellung grundlegende Bedeutung für ein etwaiges Schlussurteil haben kann. Dies ist hier mit dem auf die Rückzahlung auf die Prämienanpassungen geleisteter Prämienanteile gerichteten Antrag und dem Antrag auf Feststellung der Verpflichtung der Beklagten zur Herausgabe von Nutzungen der Fall.
13bb)
14Soweit der Berufungsantrag zu 1) auf die Feststellung gerichtet ist, dass der Kläger nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages verpflichtet gewesen war, fehlt es an dem erforderlichen rechtlichen Interesse des Klägers an dieser von ihm begehrten zusätzlichen Feststellung, weil sich Entsprechendes – auch ohne einen solchen Ausspruch – im Falle der Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragsanpassung unmittelbar aus der festgestellten Unwirksamkeit ergibt.
15b)
16Die Beitragserhöhung im Tarif A zum 01.01.2017 in Höhe von 66,00 € war aus formellen Gründen unwirksam.
17aa)
18Grundsätzlich gilt: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19 –, zitiert nach juris) erfordert die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Neufestsetzung der Prämie nach § 203 Abs. 5 VVG die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung nach § 203 Abs. 2 Satz 1 VVG veranlasst hat. Der Versicherer muss dabei zwar nicht mitteilen, in welcher Höhe sich diese Rechnungsgrundlage verändert hat. Er hat auch nicht die Veränderung weiterer Faktoren, welche die Prämienhöhe beeinflusst haben, wie z.B. des Rechnungszinses, anzugeben. Der Versicherungsnehmer muss den Mitteilungen aber mit der gebotenen Klarheit entnehmen können, dass eine Veränderung der genannten Rechnungsgrundlagen über dem geltenden Schwellenwert die konkrete Beitragserhöhung ausgelöst hat (vgl. BGH, Urteil vom 09.02.2022 – IV ZR 337/20 –, juris-Rz. 30 f.; BGH, Urteil vom 21.07.2021 – IV ZR 191/20 –, juris-Rz. 26; BGH, Urteil vom 20.10.2021 – IV ZR 148/20 –, zitiert nach juris; BGH, Urteil vom 17.11.2021 – IV ZR 113/20 –, zitiert nach juris).
19Dem Versicherungsnehmer muss daher auch verdeutlicht werden, dass es einen vorab festgelegten Schwellenwert für eine Veränderung der betreffenden Rechnungsgrundlage gibt, dessen Überschreitung die konkret in Rede stehende Prämienanpassung ausgelöst hat (vgl. Senatsurteil vom 13.05.2022 – 20 U 198/21 –, juris-Rz. 29; so auch OLG Celle, Urteil vom 13.01.2022 – 8 U 134/21 – zitiert nach juris). Damit muss auch ein Bezug gerade zur konkret erfolgten Beitragserhöhung im Tarif des Versicherungsnehmers deutlich werden. Der Senat sieht sich hierbei – auch nach Auseinandersetzung mit der gegenteiligen Auffassung der Beklagten und einiger anderer Oberlandesgerichte – im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. insbesondere BGH, Urteil vom 22.06.2022 – IV ZR 253/20 –, juris-Rz. 24 ff.; BGH, Urteil vom 09.02.2022 – IV ZR 337/20 –, juris-Rz. 29 ff.; BGH, Urteil vom 21.07.2021 – IV ZR 191/20 –, juris-Rz. 26), die die Mitteilung der Überschreitung des (gesetzlichen oder vertraglichen) Schwellenwerts als erforderlich bezeichnet. Die gegenteilige Auffassung ist nach Auffassung des Senats nicht mit den durch den Bundesgerichtshof aufgestellten Grundsätzen vereinbar, der etwa im Urteil vom 21.07.2021 – IV ZR 191/20 – ausdrücklich ausführt (juris-Rz. 26, Hervorhebung durch den Senat):
20„Nach der aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Beurteilung des Berufungsgerichts konnte ein Versicherungsnehmer den Mitteilungen nicht mit der gebotenen Klarheit entnehmen, dass eine Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen über dem geltenden Schwellenwert die konkrete Beitragserhöhung ausgelöst hat. Die Schreiben vom November 2011 und Februar 2013 enthalten keinen Hinweis auf die Veränderung einer der beiden Rechnungsgrundlagen. Aber auch für die Schreiben vom Februar 2016 und 2017 ist die Annahme des Berufungsgerichts, es fehle an einem eindeutigen Hinweis darauf, welche geänderte Rechnungsgrundlage für die konkrete Prämienerhöhung maßgeblich gewesen sei, im Ergebnis aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht entnimmt diesen Schreiben nur die Erwähnung gestiegener Gesundheitskosten. Das bewertet es rechtsfehlerfrei dahingehend, daraus ergebe sich nicht, dass es einen vorab festgelegten Schwellenwert für eine Veränderung der Leistungsausgaben gibt, dessen Überschreitung die hier in Rede stehende Prämienanpassung ausgelöst hat. Für dieses Ergebnis kam es nicht darauf an, dass das Berufungsgericht - insoweit abweichend von den zuvor zutreffend bestimmten Anforderungen an die Begründung einer Prämienanpassung - darüber hinaus auch das Fehlen der Angabe beanstandet hat, ob der gesetzliche oder ein in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen festgelegter Schwellenwert überschritten wurde.“
21Entsprechend heißt es in einem weiteren Urteil des Bundesgerichtshofs vom 09.02.2022 – IV ZR 337/20 – (juris-Rz. 30 f.; Hervorhebungen durch den Senat):
22„Die Erklärung im Anschreiben vom November 2014, die Prämienanpassung sei durch gestiegene medizinische Kosten ausgelöst worden, kann entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts nicht den Begründungsanforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügen. Aus dem allgemeinen Hinweis auf den Kostenanstieg ist nicht ersichtlich, dass ein Vergleich der kalkulierten mit den erforderlichen Versicherungsleistungen eine Veränderung dieser Rechnungsgrundlage über dem geltenden Schwellenwert ergeben und dies die Prämienanpassung ausgelöst hat. Die fehlenden Angaben ergeben sich auch nicht aus den beiliegenden Informationen zur Beitragsanpassung, die das Berufungsgericht nicht in den Blick genommen hat. Diese beschreiben nur in allgemein gehaltener Form die jährliche Durchführung der Prämienüberprüfung, ohne das Ergebnis der aktuellen Überprüfung mitzuteilen. Der Versicherungsnehmer muss daraus nicht den Schluss ziehen, dass die beschriebenen gesetzlichen Voraussetzungen einer Prämienerhöhung in diesem Fall eingetreten sind.
23(2) Im Ergebnis zutreffend hat das Berufungsgericht dagegen angenommen, dass die Mitteilung der Prämienanpassung zum 1. Januar 2017 den Anforderungen des § 203 Abs. 5 VVG genügt. Zwar ergibt sich dies noch nicht aus dem Anschreiben vom November 2016, auf das das Berufungsgericht seine Annahme einer ausreichenden Begründung stützt, obwohl dieses inhaltlich im Wesentlichen dem - wie gesehen unzureichenden - Anschreiben vom November 2014 entspricht. Die nach § 203 Abs. 5 VVG erforderlichen Angaben sind aber in den anliegenden Informationen zur Beitragsanpassung enthalten. Da keine weiteren Feststellungen zum Inhalt der Mitteilung zu erwarten sind, kann der Senat diese Frage selbst beantworten. Die Prämienanpassung wird dort damit begründet, dass eine solche bei einer bestimmten Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten "Leistungsausgaben", d.h. den Versicherungsleistungen, erforderlich werde und dass dies zum 1. Januar 2017 in den gekennzeichneten Tarifen erfolgen müsse. Dem kann der Versicherungsnehmer mit hinreichender Klarheit als Ergebnis der Überprüfung für den konkreten Tarif entnehmen, dass für diesen eine solche Abweichung eingetreten ist.“
24Auch in dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20.10.2021 – IV ZR 148/20 – (juris-Rz. 30) kommt dies zum Ausdruck. Dort heißt es (Hervorhebungen durch den Senat):
25„Nach § 203 Abs. 5 VVG müssen nicht alle Gründe der Beitragserhöhung genannt werden, sondern nur die für die Prämienanpassung entscheidenden Umstände (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 - IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56 Rn. 29). In diesem Sinne entscheidend ist nur, ob eine Veränderung der erforderlichen gegenüber den kalkulierten Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeiten die in § 155 Abs. 3 und 4 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) oder in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen geregelten Schwellenwerte überschreitet oder nicht (Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 aaO). Dagegen ist es ohne Bedeutung, ob die über den Schwellenwert hinausreichende Veränderung in Gestalt einer Steigerung oder einer Verringerung eingetreten ist. Die Überprüfung der Prämie wird unabhängig von diesem Umstand ausgelöst, sobald der Schwellenwert überschritten wird. Da die Mitteilungspflicht nicht den Zweck hat, dem Versicherungsnehmer eine Plausibilitätskontrolle der Prämienanpassung zu ermöglichen (vgl. Senatsurteil vom 16. Dezember 2020 aaO Rn. 36), ist ein Hinweis des Versicherers darauf, in welche Richtung sich die maßgebliche Rechnungsgrundlage verändert hat, auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zur Information des Versicherungsnehmers erforderlich.“
26Der redaktionelle Leitsatz zum Urteil des Bundesgerichtshofs vom 21.07.2021 – IV ZR 191/20 – der Fachzeitschrift NJW-RR 2021, 1260 fasst die nach diesem Urteil erforderlichen Angaben im Mitteilungsschreiben nach Auffassung des Senats zutreffend zusammen:
27„Die Mitteilung der maßgeblichen Gründe für die Prämienfestsetzung erfordert die Angabe der Rechnungsgrundlage, deren nicht nur vorübergehende Veränderung die Neufestsetzung (veranlasst) hat, sowie die, dass die Veränderung den maßgeblichen Schwellenwert überschritten hat. Die Angabe des Schwellenwerts selbst oder eine Angabe zur Höhe der Überschreitung ist jedoch nicht erforderlich.“
28Diese Anforderungen werden auch durch die Ausführungen in dem jüngst ergangenen Urteil des Bundesgerichtshofs vom 22.06.2022 – IV ZR 253/20 –, zitiert nach: juris) bestätigt, in dem es heißt (juris-Rz. 24, 25, Hervorhebung durch den Senat):
29„Nach der im Ergebnis aus Rechtsgründen nicht zu beanstandenden Beurteilung des Berufungsgerichts konnte ein Versicherungsnehmer den Mitteilungen nicht mit der gebotenen Klarheit entnehmen, dass eine Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen über dem geltenden Schwellenwert die konkreten Beitragserhöhungen ausgelöst hat. Die Schreiben aus November 2009 und 2010 sowie Februar 2013 enthalten keine Angaben dazu, welche der beiden Rechnungsgrundlagen sich verändert habe. Aber auch für das Schreiben vom Februar 2017 ist die Annahme des Berufungsgerichts, es fehle an einem eindeutigen Hinweis darauf, welche geänderte Rechnungsgrundlage für die konkrete Prämienerhöhung maßgeblich gewesen sei, nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht entnimmt diesen Schreiben nur die Erwähnung gestiegener Gesundheitskosten; dass im Schreiben vom November 2010 stattdessen der auch in § 203 Abs. 2 Satz 3 VVG enthaltene Begriff "Versicherungsleistungen" verwendet wird, ist ohne Bedeutung für die tragenden Erwägungen des Berufungsgerichts. Das bewertet es rechtsfehlerfrei dahingehend, daraus ergebe sich nicht, dass es einen vorab festgelegten Schwellenwert für eine Veränderung der Leistungsausgaben gibt, dessen Überschreitung die hier in Rede stehende Prämienanpassung ausgelöst hat. Für dieses Ergebnis kam es bezüglich aller vier Schreiben nicht darauf an, dass das Berufungsgericht - insoweit abweichend von den zuvor zutreffend bestimmten Anforderungen an die Begründung einer Prämienanpassung - darüber hinaus auch das Fehlen der Angabe beanstandet hat, ob der gesetzliche oder ein in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen festgelegter Schwellenwert überschritten wurde.
30Soweit das Berufungsgericht die Angabe vermisst, welche konkreten Tarife von diesen Veränderungen betroffen seien, bezieht sich dies auf die Überschreitung einer bestimmten Rechnungsgrundlage im festgelegten Umfang als Voraussetzung der Prämienanpassung, und nicht auf die Frage, in welchem Tarif die Beklagte eine Prämienanpassung vorgenommen hat. Entgegen der Ansicht der Revision ist es daher nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die beigefügten Nachträge zum Versicherungsschein, in denen für jeden Tarif die jeweilige Prämienerhöhung aufgeführt war, nicht als ausreichende Mitteilung angesehen hat.“
31Der Senat vermag nicht die Sichtweise zu teilen, der Hinweis auf einen vorher festgelegten Schwellenwert verschaffe dem Versicherungsnehmer keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn. Denn erst durch einen solchen Hinweis wird dem Versicherungsnehmer vor Augen geführt, dass die Frage, ob die Abweichung einen eine Prämienüberprüfung erforderlich machenden Umfang erreicht, nicht im Ermessen des Versicherers oder des von ihm beauftragten Treuhänders steht, sondern objektiv zu bemessen ist und daher auch – wenn auch nicht vom Versicherungsnehmer selbst – kontrolliert werden könnte.
32bb)
33Den genannten Anforderungen genügt die Anpassungsmitteilung aus November 2016, bestehend aus einem Mitteilungsschreiben und einem Informationsblatt „Wichtige Hinweise zu Ihrer Kranken- und Pflegeversicherung“ (Anlagenkonvolut B2, Bl. 199 ff. LGA) nicht.
34(1)
35In dem als Schreiben gestalteten Nachtrag zum Versicherungsschein vom 21.11.2016 (Anlagenkonvolut B2, Bl. 199 f. LGA) heißt es auszugsweise:
36(…)
37Leistungen und Beiträge müssen sich stets die Waage halten. Um das sicher zu stellen, sind alle Versicherer gesetzlich dazu verpflichtet, einmal im Jahr die kalkulierten mit den tatsächlich ausgezahlten Leistungen zu vergleichen. Dieser Vergleich hat ergeben, dass die Beiträge verschiedener Tarife angepasst werden müssen.
38Weitere Informationen zur Beitragsanpassung finden Sie im beiliegenden Merkblatt.
39(…)
40Dem Schreiben lässt sich nicht entnehmen, dass es einen vorab festgelegten Schwellenwert für eine Veränderung der Leistungsausgaben gibt, dessen Überschreitung die streitgegenständliche Prämienanpassung ausgelöst hat.
41In dem beigefügten Beiblatt „Wichtige Hinweise zu Ihrer Kranken- und Pflegeversicherung“ (Anlagenkonvolut B2, Bl. 203 f. LGA) heißt es u.a.:
42Was sind die rechtlichen Grundlagen für eine Beitragsanpassung? |
Die rechtlichen Grundlagen für die Beitragsänderungen ergeben sich u.a. aus § 203 Abs. 2 Versicherungsvertragsgesetz (VVG), § 155 Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) und § 8b Abs. 1.1 der Musterbedingungen 2009 des Verbandes der Privaten Krankenversicherung (MB/KK09 bzw. MB/KT09). |
Weshalb müssen die Beiträge angepasst werden? |
Um für ein ständiges Gleichgewicht zwischen Beiträgen und Leistungen zu sorgen, ist im Versicherungsaufsichtsgesetz (VAG) vorgeschrieben, jährlich die tatsächlich erforderlichen mit den kalkulierten Leistungen zu vergleichen. Weichen die Werte in einem bestimmten, gesetzlich festgelegten Umfang voneinander ab, müssen die Beiträge angepasst werden. Dabei sind wir verpflichtet, neben den Leistungsausgaben auch alle anderen Rechnungsgrundlagen zu aktualisieren. Übrigens: Ohne die Zustimmung eines unabhängigen Treuhänders ist eine Beitragsanpassung nicht möglich. |
Aus den „Wichtigen Hinweisen“ wird zwar hinreichend klar, dass es einer Veränderung in einem bestimmten gesetzlich festgelegten Umfang – also der Überschreitung eines vorab gesetzlich festgelegten Schwellenwerts – bedarf. Es fehlt es aber an dem erforderlichen konkreten Bezug zu dem Tarif des Klägers. Davon, dass der Versicherungsnehmer den Rückschluss ziehen muss, dass die in dem Beiblatt erwähnte Abweichung auch für den im Nachtrag genannten Tarif überschritten sei, weil die Beklagte sonst wohl die Anpassung nicht vornehmen würde bzw. nicht vornehmen dürfte, kann nicht ausgegangen werden, weil ein solcher Rückschluss nicht auf der Hand liegt. Deshalb genügt die allgemein gehaltene Mitteilung in dem Beiblatt nach Maßgabe der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs – vergleichbar mit der bloßen Wiedergabe des Gesetzestextes – den Anforderungen von § 203 Abs. 5 VVG nicht. So hat der Bundesgerichtshof im Urteil vom 09.02.2022 – IV ZR 337/20 – (juris-Rz. 30) ausdrücklich ausgeführt, dass die Ausführungen in den dort zugrundeliegenden beiliegenden Informationen nur in allgemein gehaltener Form die jährliche Durchführung der Prämienüberprüfung beschrieben, ohne das Ergebnis der aktuellen Überprüfung mitzuteilen, und der Versicherungsnehmer daraus nicht den Schluss ziehen müsse, dass die beschriebenen gesetzlichen Voraussetzungen einer Prämienerhöhung in diesem Fall – also im konkreten Tarif des Klägers – eingetreten sind. Der Bundesgerichtshof hat sodann gerade keine Gesamtschau aus dem Mitteilungsschreiben und den beiliegenden Information vorgenommen.
44(2)
45Eine andere Betrachtung veranlassen auch die von der Beklagten mit der Berufungserwiderung als Anlagen B14-1, B14-2 und B14-3 (Bl. 95 ff. GA) vorgelegten Entscheidungen bzw. Hinweise anderer Oberlandesgerichte nicht.
46Soweit das OLG Hamm in seinem Beschluss vom 01.12.2021– 20 U 285/21 – (Anlage B14-1, Bl. 95 ff. GA) die Anpassung der Beklagten zum 01.01.2017 für formell wirksam erachtet hat, verlangt das OLG Hamm in dem Beschluss – anders als der Senat – weder die Mitteilung, dass ein vorab festgelegter Schwellenwert überschritten sein muss, noch einen konkreten Bezug zu den einzelnen Tarifen. Dass sich ein Bezug zum Tarif des Versicherungsnehmers für diesen erkennen lassen muss, ergibt sich indes – wie bereits ausgeführt worden ist – aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Eine nähere Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs unter diesem Gesichtspunkt erfolgt in jenem Beschluss nicht.
47Aus dem Hinweisschreiben des OLG Koblenz vom 27.12.2021 – 10 U 1559/21 – (Anlage B14-1, Bl. 102 f. GA) lässt sich bereits nicht entnehmen, welche Anpassungsmitteilung mit welchen Inhalten dort zugrunde liegt.
48Das OLG München hat in seinem Urteil vom 17.12.2021 – 25 U 5627/21 – (Anlage B14-1, Bl. 104 ff. GA) keine Ausführungen zu einer Beitragsanpassung zum 01.01.2017 gemacht. Anders als der Senat prüft das OLG München in der Entscheidung nicht, ob in dem Mitteilungsschreiben (zu einer anderen Beitragsanpassung) auch darüber informiert werde, ob es einen vorab festgelegten Schwellenwert gibt, der überschritten worden ist. Soweit es auf dann auf „Wichtige Informationen“ Bezug nimmt, die den hier vorliegenden vergleichbar sind, verlangt es keinen Bezug zu der konkreten Tariferhöhung, weil es diesen bereits durch das Mitteilungsschreiben selbst für hergestellt sieht, wovon jedoch – wie ausgeführt – nicht ausgegangen werden kann.
49Das OLG Stuttgart verhält sich in seiner Hinweisverfügung vom 07.01.2022 – 7 U 349/21 – (Anlage B14-2, Bl. 112 ff. GA) nicht zu einer zum 01.01.2017 erfolgten Beitragsanpassung. Soweit es zur dortigen Beitragsanpassung in grundsätzlicher Hinsicht ausführt, es reiche die Mitteilung aus, dass die Ausgaben für Versicherungsleistungen gestiegen seien, während es zur Sicherung des mit § 203 Abs. 5 VVG verfolgten Informationszwecks nicht erforderlich sei, dem Versicherungsnehmer die Rechtsgrundlage des geltenden Schwellenwerts oder die genaue Höhe der Veränderung der Rechnungsgrundlage mitzuteilen, entspricht dies im Wesentlichen der Auffassung, dass die Angabe, dass es einen vorab festgelegten Schwellenwert gibt, der überschritten sein muss, nicht erforderlich sei. Denn auch so werde dem Versicherungsnehmer im konkreten Einzelfall in ausreichender Weise gezeigt, was der Anlass für die konkrete Prämienanpassung gewesen sei. Maßgeblicher Zweck der Erhöhungsmitteilung sei letztlich nur die Klarstellung des Anlasses der Beitragsanpassung. Dies vermag nicht zu überzeugen. Es wird nicht deutlich, weshalb das OLG Stuttgart davon ausgeht, auch ohne die Angabe, dass eine Veränderung der Versicherungsleistungen über einen vorab festgelegten Schwellenwert hinaus die Prämienanpassung ausgelöst habe – wie dies von Gesetzes wegen erforderlich ist –, werde für den Versicherungsnehmer deutlich, was Anlass der Beitragsanpassung sei.
50Das OLG Dresden vertritt in seinem Beschluss vom 19.01.2022 – 6 U 2309/21 – (Anlage B14-3, Bl. 114 ff. GA) die Auffassung, dass eine auf die konkrete Prämienanpassung bezogene Begründung erforderlich sei, in der anzugeben sei, bei welcher Berechnungsgrundlage (Versicherungsleistungen oder Sterbewahrscheinlichkeit) die nicht nur vorübergehende Veränderung, welche die Prämienanpassung ausgelöst habe, eingetreten sei. Sodann hält es die Mitteilung nebst Merkblatt und Nachtrag – wohl in der Zusammenschau – für ausreichend, ohne sich näher damit auseinanderzusetzen, wodurch der Bezug zwischen den Erläuterungen im Merkblatt und dem konkreten Tarif des Versicherungsnehmers hergestellt wird.
51c)
52Eine Heilung der formellen Unwirksamkeit durch die nachgeholten Angaben in der Klageerwiderung kommt nicht in Betracht. In dem streitgegenständlichen Tarif A ist zum 01.01.2020 eine weitere Beitragsanpassung erfolgt, die erstinstanzlich noch streitgegenständlich war, deren Unwirksamkeit der Kläger mit der Berufung jedoch nicht mehr geltend macht, so dass von deren Wirksamkeit auszugehen ist. Ab dem 01.01.2020 bestand mithin aus anderen Gründen als durch Nachbegründung, die erst zeitlich später erfolgt ist, ein wirksamer Rechtsgrund für die Beitragszahlung in diesem Tarif.
53Diese wirksame Folgeanpassung zum 01.01.2020 führt dazu, dass die Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragserhöhung zum 01.01.2017 auf den Zeitraum bis zum 31.12.2019 zu begrenzen war.
542.
55Der Berufungsantrag zu 2) ist begründet. Dem Kläger steht der von ihm begehrte Zahlungsanspruch in Höhe von 1.584,00 € betreffend die Rückzahlung der im Zeitraum vom 01.01.2017 bis 01.12.2018 auf die streitgegenständliche Beitragserhöhung geleisteten Prämienanteile nebst Prozesszinsen zu.
56a)
57Aufgrund der Unwirksamkeit der Prämienanpassung im Tarif A zum 01.01.2017 kann der Kläger die Rückzahlung der auf die Erhöhung in der von ihm geltend gemachten Zeit vom 01.01.2017 bis 01.12.2018 geleisteten Prämienanteile gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB beanspruchen. Der Anspruch berechnet sich wie folgt:
5824 Monate x 66,00 € = 1.584,00 €.
59b)
60Ein Leistungsverweigerungsrecht gemäß § 214 Abs. 1 BGB steht der Beklagten bezüglich der in der Berufung noch streitgegenständlichen Zahlungsansprüche nicht zu. Die von ihr erhobene Einrede der Verjährung bleibt insoweit ohne Erfolg.
61Die für auf Bereicherungsrecht (§ 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB) gegründete Ansprüche des Klägers geltende regelmäßige dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB begann gemäß § 199 Abs. 1 BGB jeweils mit dem Schluss des Jahres, in dem die ohne Rechtsgrund geleisteten Prämienanteile gezahlt wurden. Mit der Zahlung des jeweiligen nicht geschuldeten Prämienanteils entstand der korrespondierende Rückzahlungsanspruch. Damit begann für die im Jahr 2017 gezahlten Prämienanteile die Verjährung am 31.12.2017 zu laufen. Verjährung konnte mithin frühestens mit Ablauf des 31.12.2020 eintreten.
62Die Verjährungsfrist wurde durch die Klageerhebung (§ 253 ZPO) im vorliegenden Verfahren vor ihrem Ablauf gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt.
63Die Klage ist am 09.12.2020 (Bl. 1 LGA) beim Landgericht eingegangen. Dass die Zustellung der Klage ausweislich der in der Gerichtsakte des Landgerichts vorhandenen Postzustellungsurkunde (Bl. 135 f. LGA) erst am 19.01.2021 erfolgte, steht der Hemmung nicht entgegen. Der für die Hemmung maßgebliche Zeitpunkt wurde vorliegend gemäß § 167 ZPO wegen einer „demnächst“ erfolgten Zustellung der Klage auf den Zeitpunkt des Klageeingangs bei Gericht vorverlegt.
64Ob eine Zustellung "demnächst" im Sinne von § 167 ZPO erfolgt ist, beurteilt sich nach dem Sinn und Zweck dieser Regelung. Danach soll die Partei bei der Zustellung von Amts wegen vor Nachteilen durch Zustellungsverzögerungen innerhalb des gerichtlichen Geschäftsbetriebs bewahrt werden. Dagegen sind der Partei die Verzögerungen zuzurechnen, die sie oder ihr Prozessbevollmächtigter bei gewissenhafter Prozessführung hätte vermeiden können. Eine Zustellung "demnächst" nach Eingang des Antrags oder der Erklärung bedeutet daher eine Zustellung innerhalb einer nach den Umständen angemessenen, selbst längeren Frist, wenn die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter unter Berücksichtigung der Gesamtsituation alles Zumutbare für die alsbaldige Zustellung getan hat. Dabei sind dem Zustellungsveranlasser zuzurechnende Verzögerungen von bis zu 14 Tagen regelmäßig "geringfügig" und deshalb hinzunehmen (vgl. BGH, Urteil vom 03.09.2015 – III ZR 66/14 –, zitiert nach: juris-Rz. 15).
65Der Kläger hat keine nicht mehr nur geringfügige Verzögerung der Zustellung zurechenbar selbst verursacht. Nach Eingang der Klage bei Gericht ist am 11.12.2020 (Bl. II Kostenheft, LGA), einem Freitag, die Kostenvorschussanforderung erstellt worden. Der Kostenvorschuss ging am 07.01.2021, mithin weniger als 4 Wochen nach dem 11.12.2020, bei Gericht ein (Bl. VI Kostenheft, LGA). Unter Berücksichtigung dessen, dass der Partei für die Erledigung der Einzahlung ein angemessener Zeitraum zuzugestehen ist (BGH, Urteil vom 29.09.2017 – V ZR 103/16 –, juris-Rz. 9: mindestens eine Woche), der Kläger durch einen Rechtsanwalt vertreten wird, der ihm die Vorschussanforderung erst einmal zuleiten musste, und zwischen Vorschussanforderung und Eingang der Zahlung die Weihnachtsfeiertage und der Jahreswechsel lagen, ist eine beachtliche dem Kläger zurechenbare Verzögerung nicht eingetreten.
66Der weitere Zeitablauf ab Zahlungseingang bis zur Zustellung der Klage, die ausweislich der Postzustellungsurkunde (Bl. 135 f. LGA) am 19.01.2021 erfolgte, lag in der Sphäre des Gerichts begründet. Die Einleitungsverfügung datiert vom 14.01.2021 (Bl. 126 f. LGA).
67c)
68Dem Kläger steht ein Anspruch auf Verzinsung ab dem 20.01.2021 gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zu. Die Klagezustellung erfolgte am 19.01.2021.
693.
70Der Berufungsantrag zu 3) hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg, im Übrigen ist er unbegründet.
71a)
72Die Beklagte ist aus §§ 812, 818 Abs. 1 BGB zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet, die von ihr in der Zeit bis zum 19.01.2021 aus den vom Kläger auf die streitgegenständliche Prämienerhöhung gezahlten Prämienanteile gezogen worden sind. Die Feststellung dieser Verpflichtung kann der Kläger grundsätzlich verlangen. Die zeitliche Beschränkung auf dem 19.01.2021 folgt daraus, dass die herauszugebenden Nutzungen nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19 –, juris-Rz. 58), der der Senat folgt, auf die Zeit vor Eintritt der Verzinsungspflicht für die Hauptforderung beschränkt ist.
73b)
74Ein Anspruch auf Verzinsung bezüglich der gezogenen Nutzungen, für die eine Herausgabepflicht der Beklagten festgestellt wird, besteht nicht (vgl. BGH, Urteil vom 16.12.2020 – IV ZR 294/19 –, juris-Rz. 59).
754.
76Der Berufungsantrag zu 4) ist teilweise begründet.
77a)
78Dem Kläger steht ein Zahlungsanspruch in Höhe von 249,40 € aus § 280 BGB zu.
79In der unberechtigten Geltendmachung nicht geschuldeter Erhöhungsbeträge aus der unwirksamen Prämienanpassung bei der Beitragsabrechnung liegt eine zum Schadensersatz verpflichtende Pflichtverletzung seitens der Beklagten, deren Verschulden nach § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB vermutet wird (vgl. hierzu BGH, Urteil vom 09.02.2022 – IV ZR 259/20, juris-Rz. 20).
80Der Kläger hat in der Klageschrift vorgetragen, mit anwaltlichem Schreiben vom 24.11.2020 die Unwirksamkeit der – erstinstanzlich streitgegenständlichen – Prämienerhöhungen geltend gemacht und die Beklagte unter Setzung einer angemessenen Frist zur Rückzahlung der auf diese Erhöhungen gezahlten Prämienanteile aufgefordert zu haben. Da die Beklagte diesem Vortrag nicht entgegen getreten ist, gilt er als unstreitig.
81Ohne Erfolg bleibt der Einwand der Beklagten, dass der Versuch einer außergerichtlichen Interessenwahrnehmung erkennbar sinnlos gewesen sei, weil die Beklagte vorgerichtlich auf zahlreiche vergleichbare Schreiben nie eingegangen und es nie zu außergerichtlichen Einigungen gekommen sei, was die Prozessbevollmächtigten des Klägers gewusst hätten.
82Grundsätzlich umfasst der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch auch den Ersatz der durch das Schadensereignis erforderlich gewordenen Rechtsverfolgungskosten, § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB. Der Schädiger hat jedoch nicht schlechthin alle durch das Schadensereignis adäquat verursachten Rechtsanwaltskosten zu ersetzen, sondern nur solche, die aus der maßgebenden Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig waren (vgl. BGH, Urteil vom 28.05.2013, XI ZR 148/11, juris-Rz. 35). Eine solche Erforderlichkeit und Zweckmäßigkeit ist vorliegend gegeben. Der Kläger hat nach seinem Vortrag mit dem vorgerichtlichen Rechtsanwaltsschreiben nicht (nur) den Versuch einer gütlichen Einigung unternommen, sondern auch die Beklagte unter Setzung einer angemessenen Frist zur Rückzahlung der auf diese Erhöhungen gezahlten Prämienanteile aufgefordert. Selbst wenn die Beklagte in sämtlichen Fällen zuvor nie auf vorgerichtliche Aufforderungen eingegangen war, war nicht auszuschließen, dass sie in diesem Fall – möglicherweise in Ansehung bisheriger gegen sie ergangener gerichtlicher Entscheidungen – anders reagieren würde. Ohne außergerichtliche Aufforderung und bei sofortiger Klage liefe der Versicherungsnehmer Gefahr, dass der Versicherer die Ansprüche in einem Prozess sofort anerkennt und er, der Versicherungsnehmer, die Kosten tragen muss, auch wenn er in der Sache obsiegt. Ungeachtet dessen ist es für den Senat – aus der maßgeblichen Perspektive des konkreten Versicherungsnehmers – unter dem Aspekt der Zweckmäßigkeit eine nachvollziehbare Entscheidung, einem Vertragspartner, mit dem man eine langfristige Vertragsbeziehung hat und weiterhin haben will, zunächst außergerichtlich die Möglichkeit zu geben, sich mit den gegen ihn erhobenen Forderungen auseinanderzusetzen und darauf zu reagieren. Die vorgerichtliche Beauftragung seiner Prozessbevollmächtigten war im Übrigen auch angesichts der für den Kläger nicht ohne weiteres überschaubaren versicherungsrechtlichen Natur des Falls zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung erforderlich.
83b)
84Zu ersetzen sind von der Beklagten jedoch nur vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten in Höhe von 249,40 €.
85Als Gegenstandswert ist die Höhe der berechtigten Forderung von 1.584,00 € zugrunde zu legen. Die Klageabweisung bezüglich der anderen drei Erhöhungen und der diesbezüglichen Rückzahlungsansprüche ist in Rechtskraft erwachsen.
86Der Senat erachtet lediglich den Ansatz der Regelgebühr (1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG) nebst Post- und Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG) sowie Mehrwertsteuer (Nr. 7008 VV RVG) als gerechtfertigt. Eine Erhöhung der Geschäftsgebühr über die Regelgebühr von 1,3 hinaus kann nur gefordert werden, wenn eine Tätigkeit umfangreich und schwierig und daher „überdurchschnittlich“ war (vgl. BGH, Urteil vom 13.01.2011 – IX ZR 110/10 –, juris-Rz. 16; BGH, Urteil vom 11.07.2012 – VIII ZR 323/11 –, juris-Rz. 8). Ob eine Rechtssache als (wenigstens) durchschnittlich anzusehen ist, bestimmt sich gemäß § 14 Abs. 1 RVG im Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände, vor allem des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit, der Bedeutung der Angelegenheit sowie der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Auftraggebers. Die Tätigkeit der Rechtsanwälte des Klägers war nach diesen Kriterien jedenfalls nicht überdurchschnittlich aufwändig. Der vorliegende Sachverhalt ist weder in tatsächlicher noch rechtlicher Hinsicht außergewöhnlich, sondern entspricht vergleichbaren Sachverhalten, die – gerichtsbekannt – von den Prozessbevollmächtigten des Klägers im Zusammenhang mit der Wirksamkeit von Änderungsmitteilungen hinsichtlich Beitragsanpassungen in der privaten Krankenversicherung regelmäßig bearbeitet werden. Angesichts dieser gerichtsbekannten Tätigkeit der klägerischen Prozessbevollmächtigten in einer Vielzahl vergleichbarer Fälle erfordert hier auch die anwaltliche Tätigkeit keinen überdurchschnittlichen Einsatz. Damit ist ein höherer Ansatz als 1,3 für die Geschäftsgebühr nicht gerechtfertigt.
87Ausgehend davon errechnen sich die von der Beklagten zu ersetzenden Anwaltskosten, die im Jahr 2020 entstanden sind, so dass die damalige Gebührenhöhe (1 Gebühr: 150,00 €) maßgeblich ist, wie folgt:
881,3 Geschäftsgebühr 195,00 €
89Post- und Telekommunikationspauschale 20,00 €
9016 % USt. 34,40 €
91Insgesamt 249,40 €
92c)
93Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf Verzinsung dieser Forderung ab Rechtshängigkeit, mithin ab dem 20.01.2021, aus §§ 291, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB zu.
945.
95Die Kostentscheidungen für das erstinstanzliche Verfahren und die Berufungsinstanz folgen aus § 92 Abs. 1 ZPO.
96Zu Lasten des Klägers war bei der Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens zu berücksichtigen, dass er vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten geltend gemacht hat, die die Beklagte ihm zum überwiegenden Teil nicht schuldet.
97a)
98Zwar handelt es sich bei vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten regelmäßig um Nebenforderungen, die bei der Festsetzung des Streitwerts und auch – im Grundsatz – bei der Bemessung der Kostenquote außer Ansatz zu belassen sind. Abweichendes gilt indes in Streitfällen, in denen die Nebenforderungen – wie hier die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten – wirtschaftlich eine in Relation zur Hauptforderung erhebliche Position darstellen (z.B. BGH NJW 1988, 2173, 2175; OLG Frankfurt, Urteil vom 08.05.2019 – 17 U 197/18 –, juris-Rz. 42; OLG Koblenz, Urteil vom 30.06.2020 – 3 U 123/20 –, juris-Rz. 68; Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl., 2022, § 92 Rz. 3 und 11; Anders/Gehle/Gehle, ZPO, 80. Aufl. 2022, § 92 Rz. 29 jeweils m. w. N.). Auch wenn im Einzelfall zweifelhaft sein mag, ab wann eine Nebenforderung in diesem Sinne als wirtschaftlich erheblich angesehen werden muss, ist dies jedenfalls dann anzunehmen, wenn die fragliche Nebenforderung mehr als 10 % des fiktiven Streitwertes ausmacht.
99b)
100Im vorliegenden Fall ist jedoch zu beachten, dass es sich bei den geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten von 1.154,20 € zwar in erster Instanz vollständig, im Berufungsverfahren jedoch noch im Umfang von 550,42 € um Nebenforderungen handelt. Die Geltendmachung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten erhöht als Nebenforderung den Streitwert nur insoweit nicht, soweit er neben der Hauptforderung geltend gemacht wird, für deren Verfolgung Rechtsanwaltskosten angefallen sein sollen; soweit die Hauptforderung nicht Prozessgegenstand ist, handelt es sich bei dem geltend gemachten Anspruch auf Ersatz von vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten hingegen nicht mehr um eine Nebenforderung, weil es ohne Hauptforderung keine Nebenforderung gibt (BGH, Beschluss vom 07.07.2020 – VI ZB 66/19 –, juris-Rz. 6 sowie Beschluss vom 20.05.2014 – VI ZB 49/12 –, juris-Rz. 5 f.; Zöller/Herget, ZPO, 34. Aufl., 2022, § 4 Rz. 13). Das hat der BGH auch explizit für die auch hier gegebene Konstellation entschieden, wonach die geltend gemachten vorprozessualen Anwaltskosten im Berufungsverfahren als Streitwert erhöhender Hauptanspruch zu berücksichtigen sind, soweit dem Kläger die zugrunde liegende Hauptforderung in erster Instanz aberkannt worden ist und er sein Begehren mit der Berufung insoweit nicht weiterverfolgt (BGH, Beschluss vom 26.03.2013 – VI ZB 53/12 –, juris-Rz. 5 f.)
101Im vorliegenden Fall verfolgt der Kläger seine Hauptforderung im Berufungsverfahren nur noch teilweise weiter, macht aber weiter die gesamten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten geltend, so dass diese nun nicht mehr insgesamt als Nebenforderung angesehen werden können. Nach der Berechnung des Klägers entfallen auf die im Berufungsverfahren allein noch streitgegenständliche Beitragsanpassung im Tarif A zum 01.01.2017 vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten ausgehend von einem Gegenstandswert in Höhe von 4.356,00 € (1.584,00 € + 2.772,00 € [42 x 66,00 €], weil er erkennbar für die Feststellung den vorgenannten Betrag in den Gegenstandswert mit eingerechnet hat), so dass sich ausgehend von der von ihm in Ansatz gebrachten 1,5 Geschäftsgebühr (1 Gebühr: 303,00 €) zzgl. Post-und Telekommunikationspauschale und 16% USt eine Forderung in Höhe von 550,42 € errechnet. Insoweit handelt es sich (auch) im Berufungsverfahren um eine den Streitwert nicht erhöhende Nebenforderung. Bei dem Differenzbetrag in Höhe von 603,78 €, der sich zu der vom Kläger mit dem Berufungsantrag zu 4) geltend gemachten Forderung (1.154,20 €) ergibt, handelt es sich im Berufungsverfahren nunmehr um eine – streitwerterhöhende – Hauptforderung.
102c)
103Für die zweitinstanzliche Kostenquote bedeutet das Folgendes: Die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten, die im Berufungsverfahren in Höhe von 550,42 € als Nebenforderung anzusehen sind, entsprechen gerundet 20% des fiktiven Streitwertes, der sich ausgehend vom Ansatz des Zahlungsantrags (1.584,00 €) sowie der teilweise als Neben-, teilweise als Hauptforderung geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (1.154,20 €) auf 2.738,20 € berechnet. Das Unterliegen mit Rechtsanwaltskosten in Höhe von 904,80 € (1.154,20 € abzügl. berechtigt geltend gemachter 249,40 €) entspricht gerundet 33% des fiktiven Streitwerts. Bei einer wirtschaftlichen Bedeutung der Nebenforderung solchen Ausmaßes ist es angemessen, dies bei der Kostenquote zu berücksichtigen.
104d)
105Diese Erwägung gilt entsprechend für die Verteilung der Kosten des landgerichtlichen Verfahrens, in dem die vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten insgesamt als Nebenforderung anzusehen sind, gerundet 14% des fiktiven Streitwertes entsprechen, der sich für das landgerichtliche Verfahren ausgehend von dem vom Landgericht zutreffend festgesetzten Streitwert (7.294,22 €) unter Hinzurechnung der als Nebenforderung geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (1.154,20 €) auf 8.448,42 € beläuft; das Unterliegen mit Rechtsanwaltskosten in Höhe von 904,80 € entspricht dort gerundet 11% des fiktiven Streitwerts.
106Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
1076.
108Gründe, die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO), sind nicht gegeben.
109Streitwert für das Berufungsverfahren:
110Berufungsantrag zu 2): 1.584,00 €
111Berufungsantrag zu 4): 603,78 € (vgl. Ziffer 5 der Entscheidungsgründe)
112gesamt: 2.187,78 €
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Referenzen
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- BGB § 214 Wirkung der Verjährung 1x
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- ZPO § 313a Weglassen von Tatbestand und Entscheidungsgründen 1x
- BGB § 199 Beginn der regelmäßigen Verjährungsfrist und Verjährungshöchstfristen 1x
- 41 O 17/21 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 2x
- 3 U 123/20 1x (nicht zugeordnet)
- BGB § 195 Regelmäßige Verjährungsfrist 1x
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- ZPO § 167 Rückwirkung der Zustellung 2x
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