Urteil vom Oberlandesgericht Karlsruhe - 19 U 214/03

Tenor

1. Auf die Berufung der Kläger wird das Urteil des Landgerichts vom 07.11.2003 - 2 O 110/03 - im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Ziff. 1 EUR 700,00 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 1.713,80 EUR seit 10.04.2003 und an die Klägerin Ziff. 2 EUR 1.400,00 nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 3.227,60 EUR seit 10.04.2003 zu bezahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Berufung der Klägerinnen zurückgewiesen.

2. Die Gerichtskosten erster Instanz tragen die Klägerin Ziff. 1 zu 30 %, die Klägerin Ziff. 2 zu 54 % und die Beklagte zu 16 %. Die außergerichtlichen Kosten erster Instanz der Beklagten tragen die Klägerin Ziff. 1 zu 30 % und die Klägerin Ziff. 2 zu 54 %. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten erster Instanz der Klägerin Ziff. 1 zu 15 % und diejenigen der Klägerin Ziff. 2 zu 16 %. Im Übrigen behalten die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten auf sich.

Von den Gerichtskosten zweiter Instanz tragen die Beklagte 47 %, die Klägerin Ziff. 1 19 % und die Klägerin Ziff. 2 34 %.

Von den außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz der Beklagten trägt die Klägerin Ziff. 1 19 % und die Klägerin Ziff. 2 34 %. Die außergerichtlichen Kosten zweiter Instanz der Klägerin Ziff. 1 trägt die Beklagte zu 43 % und diejenigen der Klägerin Ziff. 2 zu 49 %. Im Übrigen behalten die Parteien ihre außergerichtlichen Kosten auf sich.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Von der Darstellung des Tatbestands wird abgesehen (§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO).
Die Berufung der Klägerinnen ist teilweise begründet.
Aus dem Zeitraum zwischen dem 28.11.2000 und dem 18.02.2003 steht der Klägerin Ziff. 1 eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 700,00 EUR und der Klägerin Ziff. 2 eine solche in Höhe von 1.400,00 EUR gem. den §§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 4, 819 Abs. 1, 292 Abs. 2, 987 Abs. 2 BGB zu, da die Beklagte es schuldhaft versäumt hat, aus dem den Klägerinnen zustehenden Kapital aus den Namensschuldverschreibungen in Höhe von 100.000,00 DM bzw. 200.000,00 DM entsprechende Nutzungen nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft zu ziehen.
Das Landgericht hat allerdings zu Recht entschieden, dass die Klägerinnen keinen Zinsanspruch aus den §§ 812, 818 Abs. 1, Abs. 2 BGB haben.
Ob und in welchem Umfange die §§ 812, 818 BGB einen Zinsanspruch der Klägerinnen für die Zeit rechtfertigen, in der ihnen das Kapital ohne Rechtsgrund vorenthalten wird, ist im Schrifttum umstritten und auch von der Rechtsprechung bisher nicht abschließend geklärt. Einigkeit besteht darüber, dass nach Bereicherungsrecht jedenfalls nicht der Vertragszins oder ein erhöhter Stundungszins zu zahlen ist (BGHZ 115, 268; 104, 337). Da der Anspruch aus § 818 Abs. 1, Abs. 2 BGB auf die tatsächlich gezogenen Nutzungen beschränkt ist, hat das Landgericht zu Recht einen solchen Anspruch den Klägerinnen nicht zuerkannt. Denn die in erster Instanz durchgeführte Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Beklagte tatsächlich keine Nutzungen aus dem auszuzahlenden, am 22.11.2000 fällig gewordenen Kapital gezogen hat.
Die ausgeurteilten Zinsbeträge schuldet die Beklagte jedoch gemäß den §§ 812 Abs. 1, 818 Abs. 4, 819 Abs. 1, 292 Abs. 2, 987 Abs. 2 BGB, da die Beklagte schuldhaft Nutzungen aus dem den Klägerinnen zustehenden Kapital nicht gezogen hat. Obwohl die Beklagte die Auszahlung des Kapitals aus den, den Namensschuldverschreibungen zugrunde liegenden schuldrechtlichen Vereinbarungen schuldete und vertragliche Ansprüche solche aus Bereicherungsrecht grundsätzlich ausschließen, ist sie dennoch zur Herausgabe von gezogenen bzw. schuldhaft nicht gezogenen Nutzungen nach den §§ 812 ff. BGB verpflichtet. Denn das den Klägerinnen zustehende Kapital hat sie diesen ohne Rechtsgrund vorenthalten (BGH a.a.O.) und hat hierdurch die Nutzungsmöglichkeit des Kapitals i.S.d. § 812 Abs. 1 BGB erlangt (Lieb in Münchener Kommentar, 4. Aufl., BGB, § 812 Rdnr. 365; § 818 Rdnr. 146). So hat der Bundesgerichtshof die Möglichkeit eines derartigen Anspruchs im Zusammenhang mit der nicht fristgemäßen Rückgewähr eines Darlehens für die Zeit nach vertragsgemäßer Nutzungsmöglichkeit des Darlehenskapitals erörtert, ohne hierüber abschließend befinden zu müssen. Der vorliegende Fall ist demjenigen vergleichbar, da die Beklagte „wie ein Darlehensnehmer“ das Kapital bis zur Auszahlungsreife nutzen konnte und ihr diese Nutzungsmöglichkeit infolge des rechtsgrundlosen Vorenthaltens der Auszahlungsbeträge fortsetzen konnte. Nach Ansicht des Senats ist hierin ein bereicherungsrechtlich relevanter Vorgang i.S.d. § 812 Abs. 1 BGB im Sinne einer Vermögensverschiebung zu Gunsten der Beklagten zu erblicken.
Die Pfändung der Auszahlungsansprüche durch einen Dritten und Überweisung dieser an ihn (§§ 829, 835, 836 ZPO) stellt keinen Behaltensgrund für die Beklagte dar, sondern berechtigte diese allenfalls im Hinblick auf den bestehenden und ihr bekannten Prätendentenstreit zur Hinterlegung der auszuzahlenden Beträge, wovon sie jedoch keinen Gebrauch gemacht hat. Dieser Umstand bewirkte allenfalls, dass die Beklagte die Nutzungsentschädigung nicht bereits aus Verzugsgesichtspunkten (§ 284, 286 BGB a.F.) schuldete, da sie im Hinblick darauf, dass sie nicht hinreichend sicher wusste, an wen die Zahlung zu bewirken war, die trotz Fälligkeit der Auszahlungsforderungen unterbliebene Auskehrung nicht zu vertreten hatte (Hamm OLG-Report 1997, 225).
Hinsichtlich des auszuzahlenden Kapitals unterlag die Beklagte der verschärften Haftung nach den §§ 818 Abs. 4, 819 Abs. 1 BGB, weil sie von Anfang an wusste, dass sie das Kapital bei Fälligkeit zurückzahlen muss (BGHZ 115, 287; 83, 293). Im Hinblick darauf, dass sie jederzeit nach Beendigung des Prätendentenstreits mit der Auszahlung des Kapitals rechnen musste, war ihr vorzuwerfen, dass sie es versäumte, die an die Klägerinnen auszuzahlenden Beträge in Höhe von 100.000,00 DM und 200.000,00 DM als Tagesgelder anzulegen. Für die Zeit vom 23.11.2000 bis 18.02.2003 wäre nach den Monatsberichten der Deutschen Bundesbank ein durchschnittlicher Zins in Höhe von 3,82 % jährlich erzielbar gewesen (§ 287 ZPO). Aus 100.000,00 DM ergibt dies für den im Berufungsrechtszuge nur noch beanspruchten Zeitraum vom 28.11.2000 bis 18.02.2003 unter Zugrundelegung dieses Zinssatzes einen Zinsbetrag von 4.318,15 EUR, aus 200.000,00 DM einen solchen von 8.636,30 EUR. Für die Berechnung wurde der Monat mit 30 Tagen und das Jahr mit 360 Tagen angesetzt. Soweit die Klägerinnen im Hinblick auf die zu Unrecht erfolgte Pfändung der Auszahlungsforderungen vergleichsweise im Verfahren 19 U 108/02 des Oberlandesgerichts Karlsruhe von dem dortigen Beklagten in Höhe von 4 % jährlich für den gleichen Zeitraum für entgangene Zinsen entschädigt wurden, ist dieser Betrag auf die ausgeurteilte Nutzungsentschädigung nicht anzurechnen. Beide Ansprüche unterfallen verschiedenen Anspruchsgrundlagen mit unterschiedlichen Rechtsfolgen. Während der vorliegende Fall gezogene bzw. verschuldet nicht gezogene Nutzungen des Schuldners zum Gegenstand hat, beruhte der Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten des Verfahrens 19 U 108/02 darauf, dass den Klägerinnen eigene Nutzungsmöglichkeiten entgangen sind. Beide Ansprüche schließen sich gegenseitig grundsätzlich nicht aus (BGHZ 115 a.a.O).
Da die Klägerinnen ihren Anspruch auf Nutzungsentschädigung im Berufungsrechtszuge auf 700,00 EUR (Klägerin Ziff. 1) und 1.400,00 EUR (Klägerin Ziff. 2) beschränkten, wurde der ihnen insgesamt zustehende Anspruch auf Nutzungsentschädigung in Höhe von 2.604,35 EUR (Klägerin Ziff. 1) und 5.408,70 EUR (Klägerin Ziff. 2) durch das landgerichtliche Urteil rechtskräftig abgewiesen, so dass eine Verzinsung in gesetzlicher Höhe seit Rechtshängigkeit für die Klägerin Ziff. 1 lediglich aus dem Betrag von 1.713,80 EUR (4.318,15 EUR - 2.604,35 EUR) und für die Klägerin Ziff. 2 aus 3.227,60 EUR (8.636,30 EUR - 5.408,70 EUR) berechtigt ist (§§ 284, 288 BGB a. F., 286 BGB n. F.).
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Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen, soweit die Klägerinnen ab dem 18.02.2003 aus Verzug weitere Verzugszinsen und weiteren Verzugsschaden geltend machen.
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Ansprüche aus Verzug gemäß §§ 286 BGB n.F., 284 BGB a.F. bestehen jedenfalls deshalb nicht, weil, wie das Landgericht zu Recht ausgeführt hat, es die Beklagte nicht schuldhaft versäumt hat, den Auszahlungsbetrag nach Wegfall der Wirkungen des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses (§ 829 Abs. 1 Satz 1 ZPO) vor dem Zeitpunkt der tatsächlich erfolgten Zahlung auszukehren. Zwar trat mit Wegfall der Wirkungen des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses Verzug ein, da die Zahlbeträge in den Sparkassenbriefen mit dem 22.11.2000 fällig wurden und somit der Fall des § 286 Abs. 2 Ziff. 1, Abs. 1 BGB n.F., 284 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 BGB n.F. gegeben war. Die Beklagte unterließ es dennoch verschuldensfrei, die Forderung in angemessener Zeit nach bekannt werden der Pfändungsfreiheit zu erfüllen. Denn die Klägerinnen begehrten nicht Zahlung an sich, sondern Zahlung an ihre Prozessbevollmächtigten, ohne dass diese in ihrem Anforderungsschreiben eine entsprechende Inkassovollmacht vorlegten. Ohne Nachweis derselben war die Beklagte nicht verpflichtet, an die Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen auszuzahlen, da das Recht zur Empfangnahme des Streitgegenstandes oder anderer Leistungen nur dann selbst von einer Prozessvollmacht umfasst wird, wenn sich die Vollmacht ausdrücklich hierauf erstreckt (Vollkommer in Zöller, 24. Aufl., ZPO, § 81 Rdn. 7 m.w.N.). Da die Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen eine die Inkassovollmacht beinhaltende Vollmacht nie nachwiesen, liegt kein Verschulden der Beklagten darin, dass sie erst auf die weitere Aufforderung, an die Klägerinnen selbst auszubezahlen, reagierte. § 174 BGB steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Denn dessen Anwendung hätte vorausgesetzt, dass Inkassovollmacht der Prozessbevollmächtigten der Klägerin bestanden hat, was diese allerdings nicht bewiesen haben.
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Der Anspruch aus Verzug ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte es unterlassen hat, angesichts der unklaren Prätendentenlage die von ihr zu zahlenden Beträge gem. § 372 Satz. 2 BGB zu hinterlegen. Denn eine Hinterlegungspflicht existiert nicht. Der Gläubiger oder im Falle des Prätendentenstreits die Gesamtheit der Gläubiger ist nicht berechtigt, die Hinterlegung zu verlangen. Während die Hinterlegung dem Verzugseintritt entgegensteht, kann der Verzicht auf die Hinterlegung bei bestehendem Prätendentenstreit die Verzugsfolge somit ebenfalls nicht auslösen (Hamm OLG - Report 1997, 225). Dies wird im Übrigen dadurch bestätigt, das der den §§ 284 ff. BGB zugrunde liegende Gedanke, dass der Gläubiger einer Geldforderung Ersatz dafür erhalten soll, dass er mit dem ihm zustehenden Geld nicht wirtschaften kann, vorliegend nicht eingreift. Diesen Nachteil müssten die Klägerinnen nämlich auch im Falle der verzugshindernden Hinterlegung hinnehmen.
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Ansprüche aus positiver Vertragsverletzung wegen unterlassener Hinterlegung bestehen mangels einer solchen Pflicht hierfür gleichfalls nicht (Hamm OLG-Report 1997, 225).
14 
Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 92 Abs. 1, 100 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit wurde gemäß den §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO getroffen. Mangels Vorliegens der Voraussetzungen hierfür war die Revision nicht zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

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