Urteil vom Oberlandesgericht Koblenz (6. Zivilsenat) - 6 U 1715/19

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil der 16. Zivilkammer des Landgerichts Koblenz vom 04.09.2019 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 13.973,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 14.301,35 €, der sich Tag für Tag linear auf 13.973,03 € ermäßigt, für die Zeit vom 25.01.2019 bis zum 19.08.2020 sowie aus einem Betrag von 13.973,03 € seit dem 20.08.2020 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs Audi Q5 2,0 TDI Quattro mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer ....

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz werden zu 43 % der Beklagten und zu 57 % der Klägerin auferlegt; die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

3. Dieses Urteil und - soweit es Bestand hat - das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

1

Einer Darstellung tatsächlicher Feststellungen i.S.d. § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO bedarf es nicht, weil ein Rechtsmittel gegen dieses Urteil unzweifelhaft nicht zulässig ist; der Wert der mit der Revision geltend zu machenden Beschwer übersteigt 20.000,-- € nicht (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 543 Abs. 1, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).

II.

2

Die zulässige Berufung der Beklagten ist nur in geringem Umfang begründet.

3

1. Die Klägerin kann von der Beklagten wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB analog Schadensersatz in Höhe des für das streitgegenständliche Fahrzeug gezahlten Kaufpreises (27.200,-- €) abzüglich einer Nutzungsentschädigung (im Zeitpunkt der Berufungsverhandlung 13.226,97 €), mithin 13.973,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz, Zug um Zug gegen Übereignung des streitbefangenen Audi Q5 verlangen.

4

a) Die Schädigungshandlung liegt darin, dass die Beklagte das Fahrzeug mit einem Dieselmotor hergestellt und in Verkehr gebracht hat, dessen Steuerungssoftware so programmiert war, dass die gesetzlichen Abgasgrenzwerte durch eine im Vergleich zum Normalbetrieb höhere Abgasrückführungsrate nur auf dem Prüfstand eingehalten wurden. Die Dieselmotoren der Baureihe EA 189 waren planmäßig so konzipiert, dass der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand geringer war als im Realbetrieb des Fahrzeugs, um (allein) auf dem Prüfstand gesetzeskonforme Abgaswerte zu erzielen. Sie enthielten damit eine nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 unzulässige Abschalteinrichtung, so dass die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung der EG-Typgenehmigung nicht gegeben waren und den betroffenen Fahrzeugen die Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung anhaftete (BGH, Beschluss vom 08.01.2019 - VIII ZR 225/17 -, NJW 2019, 1133 Rn. 6 ff.; Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962 Rn. 21; OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019 - 5 U 1318/18 -, NJW 2019, 2237 Rn. 25 ff. - alle Entscheidungen zitiert nach juris). Der planmäßige Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung in den Dieselmotoren der Baureihe EA 189 erfolgte unter Ausnutzung des Umstands, dass der Käufer eines davon betroffenen Fahrzeugs - gleichgültig, ob er das Fahrzeug neu oder gebraucht erwirbt - die Einhaltung der Zulassungsvorschriften arglos als selbstverständlich voraussetzt. Ein solches Verhalten steht einer bewussten arglistigen Täuschung derjenigen, die ein solches Fahrzeug erwerben, gleich (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962 Rn. 25).

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b) Das Handeln der Beklagten war gegenüber den Käufern der betroffenen Fahrzeuge - und damit auch gegenüber der Klägerin - sittenwidrig im Sinne von § 826 BGB. Der auf der Grundlage einer strategischen Entscheidung über Jahre hinweg erfolgte systematische Einsatz der gegenüber der zuständigen Typgenehmigungs- und Marktüberwachungsbehörde, dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), arglistig geheim gehaltenen unzulässigen Abschalteinrichtung mit dem Ziel des gewinnorientierten Absatzes nicht vorschriftsmäßiger Fahrzeuge unter in Kauf genommener Täuschung der Kunden stellt sich als besonders verwerflich dar (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 16 ff.; OLG Koblenz, a. a. O., Rn. 45 ff.). Die Verwerflichkeit des Handelns der Beklagten erhellt auch aus seinen Folgen (OLG Koblenz, Urteil vom 20.11.2019 - 10 U 731/19 -, MDR 2020, 603 Rn. 71). Die im Umsatzinteresse erfolgte Umgehung der gesetzlichen Vorgaben, welche eine geringere Belastung der Umwelt mit Stickoxiden und damit den Schutz der Gesundheit der Bevölkerung bezweckten, offenbart eine rücksichtslose und gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstoßende Gesinnung (BGH, a. a. O., Rn. 27). Darüber hinaus bestand für die Käufer die Gefahr, dass bei einem Bekanntwerden des Sachverhalts die Nutzung ihrer Fahrzeuge nach § 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung (FZV) beschränkt oder untersagt werden und damit der Zweck des Fahrzeugerwerbs vereitelt würde.

6

c) Das Verhalten der Beklagten geschah vorsätzlich, wobei sie sich das Handeln der in ihrem Haus für den Einbau von Motoren einschließlich Steuerungssoftware verantwortlichen Personen analog § 31 BGB zurechnen lassen muss.

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aa) Die Zurechnung erfasst neben den Vorstandsmitgliedern und verfassungsmäßig berufenen besonderen Vertretern über den Wortlaut hinaus auch sog. Repräsentanten, d. h. Personen, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren (BGH, Urteil vom 14.03.2013 - III ZR 296/11 -, BGHZ 196, 340 Rn. 12 m. w. N.). Da es der juristischen Person nicht freisteht, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will, kommt es nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Stellung des „Vertreters“ in der Satzung der Körperschaft vorgesehen ist oder ob er über eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt. Hierzu zählt auch der Personenkreis der leitenden Angestellten (BGH, Urteil vom 05.03.1998 - III ZR 183/96 -, NJW 1998, 1854 Rn. 18 m. w. N.).

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bb) Die Klägerin hat hinreichende Anhaltspunkte für eine Kenntnis der im Bereich der für den Einbau von Motoren einschließlich Steuerungssoftware maßgebend tätigen und verantwortlichen Mitarbeiter der Beklagten - insbesondere der in der Zeit bis 1998 und sodann erneut von 2002 bis einschließlich 2006 als Leiter der Sparte Konzeptentwicklung, Entwicklung Aufbau, Elektrik/Elektronik tätigen Führungskraft ...[A] - von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung vorgetragen. Soweit die Beklagte geltend macht, der Motor des streitgegenständlichen Fahrzeugs sei von der ...[B] AG entwickelt worden und nicht von ihr, weshalb es an einem ihr zurechenbaren Vorsatz fehle, entlastet dies die Beklagte nicht.

9

(1) In der EG-Übereinstimmungsbescheinigung vom 22.09.2009 (Anlage K 4, Bl. 33 f. d.A.) ist als Hersteller der Antriebsmaschine die Beklagte genannt. Darüber hinaus ist das streitgegenständliche Fahrzeug von der Beklagten in Verkehr gebracht worden. Schließlich hat die Klägerin bereits erstinstanzlich vorgetragen, es müsse wegen des vom Vorstand der Beklagten einzurichtenden Compliance-Systems davon ausgegangen werden, dass Berichtspflichten gegenüber dem Vorstand im Hinblick auf alle wesentlichen Entscheidungen eingerichtet sind und deren Einhaltung durch entsprechende Kontrollmaßnahmen gewährleistet sei. Deshalb sei es mehr als naheliegend, dass dem Vorstand oder Teilen des Vorstandes der Einbau der unzulässigen Abschalteinrichtung zur Erreichung der EG-Typgenehmigung sowie das Inverkehrbringen eines gesetzwidrigen Fahrzeuges bekannt gewesen seien. Dies gelte auch deshalb, weil die Abgasrückführ-ung einer ganzen Motorenreihe für eine Vielzahl von Fahrzeugen hinsichtlich ihres Entwicklungsaufwands in technischer und finanzieller Hinsicht eine wesentliche, vom Vorstand zu treffende Entscheidung darstelle und die Verwendung einer solchen unzulässigen Abschalteinrichtung sämtliche in der EU zuzulassenden Fahrzeuge betreffe (vgl. S. 9 des Schriftsatzes vom 24.04.2019, Bl. 184 d.A.).

10

(2) Trotz des vom Landgericht in der Sitzung vom 31.07.2019 erteilten Hinweises (Bl. 215 f. d.A.), die Beklagte treffe in Anbetracht des klägerischen Vortrags eine sekundäre Darlegungslast zu den damaligen Entscheidungsprozessen im Unternehmen, die internen Vorgänge zu der Kontrolle und der Verwendung der Motorsteuerungssoftware seien konkret darzulegen, hat die Beklagte innerhalb der ihr eingeräumten Schriftsatzfrist keinen weiteren Sachvortrag gehalten. Da die Klägerin den internen Entscheidungsvorgängen bei der Beklagten fernsteht, daher keine nähere Kenntnis der maßgeblichen Umstände und auch keine Möglichkeit zur weiteren Sachaufklärung hat, während die Beklagte, die das Fahrzeug mit dem EA 189-Motor versehen und in Verkehr gebracht hat sowie in der EG-Übereinstimmungsbescheinigung vom 22.09.2009 als Hersteller der Antriebsmaschine genannt ist, alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihr unschwer möglich und zumutbar war, nähere Angaben zu machen, oblag es der Beklagten im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast, näher zu den Entscheidungsvorgängen bei ihr in Bezug auf den Einsatz der Software vorzutragen (vgl. BGH a. a. O., Rn. 34 ff.; OLG Hamm, Urteil vom 14.08.2020 - 45 U 22/19 -, Rn. 115). Da die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast nicht nachgekommen ist, muss der erstinstanzliche klägerische Vortrag einer Kenntnis der maßgeblichen Entscheidungsträger der Beklagten gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gewertet werden.

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(3) Erstmals im Rahmen des Berufungsverfahrens hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 10.08.2020 (dort S. 6 ff., Bl. 335 ff. d.A.) unter Vorlage von Organigrammen zur Strukturierung der Motorenentwicklung in ihrem Unternehmen nähere Ausführungen gemacht sowie vorgetragen, dass an dem Inverkehrbringen des Fahrzeuges eine Vielzahl unterschiedlicher Abteilungen beteiligt sei und die Anpassung der Motorsteuerungssoftware an das Fahrzeug Audi Q5 der Modulverantwortung der ...[B] AG unterfalle. Dies verdeutliche, dass ihr auch keine Benennung der mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeuges betrauten Personen und eine negative Darlegung ihres Kenntnisstandes möglich und zumutbar sei. Dieser Vortrag ändert allerdings nichts daran, dass die klägerische Behauptung einer Kenntnis der maßgebenden Entscheidungsträger bei der Beklagten nach § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden zu werten ist. Zum einen ist - worauf der Senat in der Berufungsverhandlung vom 20.08.2020 hingewiesen hat (vgl. Bl. 352 d.A.) – we-der dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass die Voraussetzungen für eine Zulassung des erstmals im Berufungsrechtszugs geltend gemachten, von der Klägerin weiterhin bestrittenen Vorbringens nach § 531 Abs. 2 ZPO erfüllt sind; es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass die Voraussetzungen für eine Zulassung des neuen Vorbringens erfüllt sind. Zum anderen geht aus dem Vortrag der Beklagten nicht hervor, dass und warum niemand von den Repräsentanten der Beklagten Kenntnis von der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung im streitgegenständlichen Fahrzeug gehabt haben soll, obwohl ihr dies als Herstellerin des Fahrzeugs entgegen ihrer Behauptung möglich gewesen wäre (s. o. (2)). In Ermangelung substantiierten Sachvortrags gibt es insbesondere keinen Anlass für die Annahme, dass keinerlei Informationsaustausch zwischen der Beklagten und der nach ihrer Darstellung für die Entwicklung des streitgegenständlichen Motors verantwortliche ...[B] AG im Hinblick auf die Software zur Motorsteuerung stattgefunden hätte, denn es handelte sich beim Einbau des betroffenen Motors in zahlreiche Modelle der Beklagten nicht nur für die ...[B] AG (vgl. dazu BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962, Rn. 39), sondern auch für die Beklagte um eine strategische Entscheidung mit weitreichender Bedeutung (vgl. OLG Hamm, a.a.O.).

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d) Der Klägerin ist durch die Verletzungshandlung auch ein Schaden entstanden, denn sie ist aufgrund des sittenwidrigen Verhaltens der Beklagten eine ungewollte Verpflichtung eingegangen; schon eine ungewollte Verpflichtung kann einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden darstellen (vgl. BGH, Urteil vom 26.09.1997 - V ZR 29/96 -, NJW 1998, 302 Rn. 24; Urteil vom 28.10.2014 - VI ZR 15/14 -, NJW-RR 2015, 275 Rn. 19).

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aa) Voraussetzung ist, dass die Leistung für die Zwecke des Erwerbers in dem Sinn nicht voll brauchbar ist (BGH, Urteil vom 26.09.1997 - V ZR 29/96 -, NJW 1998, 302 Rn. 28), dass die durch den unerwünschten Vertrag erlangte Leistung nicht nur aus rein subjektiver Sicht als Schaden angesehen wird, sondern auch die Verkehrsanschauung anhand der Umstände den Vertragsschluss als unvernünftig, den konkreten Vermögensinteressen nicht angemessen und damit als nachteilig ansieht (BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962 Rn. 54).

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bb) So verhält es sich hier. Das von der Klägerin erworbene Fahrzeug war mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgerüstet, d. h. die EG-Typgenehmigung für das Modell war mittels Täuschung erschlichen worden. Mithin war sowohl im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs wie auch seines Erwerbs durch die Klägerin im Februar 2014 die uneingeschränkte Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs im Straßenverkehr gefährdet, weil bei Bekanntwerden der unzulässigen Abschalteinrichtung eine Betriebsbeschränkung oder -untersagung nach § 5 Abs. 1 FZV drohte und nicht absehbar war, ob dieses Problem behoben werden kann. Darüber hinaus ergaben sich aus diesem Umstand erhebliche Risiken im Hinblick auf einen etwaigen Weiterverkauf des Fahrzeugs. Hieraus erschließt sich ohne Weiteres, dass ein Käufer - wie hier die Klägerin -, dem es maßgeblich auf die Gebrauchsfähigkeit ankommt, zum damaligen Zeitpunkt im Februar 2014 bei Kenntnis der unzulässigen Abschalteinrichtung vernünftigerweise vom Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte.

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cc) Demgegenüber kann sich die Beklagte nicht mit Erfolg darauf berufen, es könne der Klägerin beim Kauf typischerweise nur auf das Bestehen der EG-Typgenehmigung angekommen sein. Diese Sichtweise vernachlässigt den Umstand, dass es für die Frage der Brauchbarkeit aus der ex-ante-Sicht eines Käufers auf die dauerhafte, uneingeschränkte Gebrauchsfähigkeit des Fahrzeuges ankommt; es darf nicht vom Zufall abhängen, ob der unerkannt bestehende Mangel aufgedeckt wird und sich die objektiv von vornherein vorhandene Stilllegungsgefahr verwirklicht oder nicht (vgl. BGH, a. a. O.).

16

dd) Der Schaden ist auch nicht etwa dadurch entfallen, dass das Fahrzeug zwischenzeitlich das Software-Update erhalten hat. Dies ändert nichts daran, dass die Klägerin mit einer ungewollten Verbindlichkeit belastet ist. Der im Februar 2014 unter Verletzung des wirtschaftlichen Selbstbestimmungsrechts der Klägerin sittenwidrig herbeigeführte ungewollte Vertragsschluss wird durch das Jahre später aufgespielte Software-Update nicht rückwirkend zu einem gewollten Vertragsschluss (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 58). Die Möglichkeit einer Nachbesserung sieht das Deliktsrecht nicht vor. Im Übrigen ist auch zu berücksichtigen, dass die Käufer das Software-Update nicht aus Gründen der Schadensbeseitigung haben durchführen lassen, sondern weil die Fahrzeuge von der vom KBA angeordneten Rückrufaktion betroffen waren und anderenfalls eine Betriebsuntersagung gedroht hätte (OLG Koblenz, Urteil vom 20.11.2019 - 10 U 731/19 -, MDR 2020, 603 Rn. 94).

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e) Auch ein Schädigungsvorsatz der bei der Beklagten handelnden Personen ist zu bejahen. Schon nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass den für den Einbau von Motoren einschließlich Steuerungssoftware maßgebenden und verantwortlichen Mitarbeitern der Beklagten bei der strategischen Entscheidung zum Einsatz der unzulässigen Abschalteinrichtung bewusst gewesen ist, dass ein mit dem Risiko der Betriebsuntersagung oder -beschränkung belastetes Fahrzeug ohne einen erheblichen, dies berücksichtigenden Abschlag vom Kaufpreis keinen Käufer finden würde (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 63).

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f) Nach § 249 Abs. 1 BGB hat der zum Schadensersatz Verpflichtete den Zustand herzustellen, der bestehen würde, wenn der zum Ersatz verpflichtende Umstand nicht eingetreten wäre. Der Geschädigte ist wirtschaftlich möglichst so zu stellen, wie er ohne das schadenstiftende Ereignis stünde (BGH, Urteil vom 28.10.2014 - VI ZR 15/14 -, NJW-RR 2015, 275 Rn. 25). Ein Zustand, der dieser hypothetischen Situation wirtschaftlich gleichwertig ist, wird dadurch erreicht, dass die Klägerin den gezahlten Kaufpreis abzüglich einer Anrechnung der genossenen Nutzungsvorteile des Fahrzeugs von der Beklagten zurückerhält und die Klägerin der Beklagten im Gegenzug das streitgegenständliche Fahrzeug übereignet.

19

aa) Nach den von der Rechtsprechung im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962 Rn. 65 m. w. N.). Die Grundsätze der Vorteilsausgleichung gelten auch für einen Anspruch aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung gemäß § 826 BGB; es ist der Klägerin zumutbar und entlastet die Beklagte nicht unangemessen, wenn sich die Klägerin diejenigen Vorteile anrechnen lassen muss, die ihr durch die tatsächliche, ohne besondere Einschränkungen mögliche Nutzung des Fahrzeugs zugute gekommen sind (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 66).

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bb) Bei Kraftfahrzeugen wird die Höhe des Nutzungsersatzes gemäß § 287 ZPO auf der Grundlage einer in der Rechtsprechung entwickelten Formel berechnet, nach der der (Brutto-) Kaufpreis durch die voraussichtliche Restlaufleistung des Fahrzeugs (zum Zeitpunkt der Übergabe des Fahrzeugs an den Käufer) geteilt und mit den gefahrenen Kilometern multipliziert wird (vgl. BGH, Urteil vom 09.04.2014 - VIII ZR 215/13 -, NJW 2014, 2435 Rn. 6, 11 f.; Beschluss vom 09.10.2014 - VIII ZR 196/14 -, Schaden-Praxis 2015, 277 Rn. 3; Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962 Rn. 80). Die Gesamtlaufleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs beträgt nach einer vom Senat unter Berücksichtigung des Fahrzeugtyps und der Motorgröße (2,0 l Hubraum) gemäß § 287 ZPO vorgenommenen Schätzung 250.000 km (vgl. auch OLG Koblenz, Urteil vom 16.09.2019 - 12 U 61/19 -, Rn. 78), wovon auch das Landgericht ausgeht. Dies greift die Beklagte mit ihrer Berufung ausdrücklich nicht an.

21

cc) Im Streitfall ergibt sich daher ausgehend von dem Kilometerstand des Fahrzeugs im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Senat (169.989 km) und einem Kilometerstand von 94.250 km bei Fahrzeugübergabe (mithin 75.739 von der Klägerin gefahrenen Kilometern) folgende Berechnungsformel:

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27.200,-- € : (250.000 km - 94.250 km) x 75.739 km seit Erwerb = 13.226,97 € Nutzungsentschädigung. Die Klägerin kann daher im Ergebnis nur Zahlung von 13.973,03 € (27.200,-- € abzüglich 13.226,97 €) verlangen, Zug um Zug gegen Übereignung des Audi Q5.

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g) Die Forderung der Klägerin ist gemäß §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB i.V.m. § 253 Abs. 1 ZPO für die Zeit ab Rechtshängigkeit der Klage mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen; die Verzinsungspflicht beginnt in entsprechender Anwendung von § 187 Abs. 1 BGB mit dem Folgetag der Klagezustellung, die am 24.01.2019 stattfand, mithin am 25.01.2019 (vgl. BGH, Urteil vom 24.01.1990 - VIII ZR 296/88 -, NJW-RR 1990, 518 Rn. 25). Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Klägerin die auf den Kaufpreiserstattungsanspruch anzurechnenden Nutzungsvorteile zum Teil erst zwischen dem Eintritt der Rechtshängigkeit und dem Schluss der mündlichen Berufungsverhandlung erlangt hat (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020 - VI ZR 397/19 -, NJW 2020, 2806 Rn. 38). Das Landgericht hat unter Zugrundelegung des Kilometerstands in der mündlichen Verhandlung vom 31.07.2019 (168.109 km, mithin 73.859 von der Klägerin gefahrenen Kilometern) entsprechend der oben unter f) bb) dargestellten Formel rechnerisch zutreffend die Nutzungsentschädigung auf 12.898,65 € beziffert und damit einen durch die Beklagte zu erstattenden Betrag von 14.301,35 € ermittelt (27.200,-- € abzüglich 12.898,65 €). Da die Beklagte als Rechtsmittelführerin im Berufungsverfahren nicht schlechter gestellt werden darf als durch das von ihr angefochtene Urteil (Verbot der reformatio in peius, § 528 ZPO), sind die Zinsen - wie vom Landgericht entschieden - von der Beklagten nur aus dem Betrag von 14.301,35 € geschuldet, der sich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Senat sukzessive Tag für Tag um die jeweiligen Nutzungsvorteile auf den schließlich zuzuerkennenden Betrag von 13.973,03 € ermäßigt (vgl. BGH, a. a. O.).

24

2. Zu Unrecht hat das Landgericht festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Pkw in Verzug befindet. Die Beklagte befindet sich trotz Stellung des Klageabweisungsantrages nicht in Annahmeverzug gemäß §§ 293, 295 BGB, weil die Klägerin die Übereignung und Übergabe des Fahrzeuges in der Klageschrift nicht zu Bedingungen angeboten hat, von denen sie sie tatsächlich hätte abhängig machen dürfen; es fehlt deshalb an einem zur Begründung von Annahmeverzug geeigneten Angebot (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 -, NJW 2020, 1962 Rn. 85; Urteil vom 20.07.2005 - VIII ZR 275/04 -, NJW 2005, 2848 Rn. 30). Die Klägerin hat die Übereignung und Übergabe des Fahrzeuges in der Klageschrift u. a. davon abhängig gemacht, dass die Beklagte sog. Deliktszinsen in Höhe von 4 % aus dem Kaufpreis von 27.200,-- € seit dem 25.04.2014 zahlt und dabei die bis zum 08.10.2018 aufgelaufenen Zinsen mit 5.029,-- € beziffert. Darüber hinaus hat die Klägerin mit der Klage den vollen Kaufpreis von 27.200,-- € zurückgefordert, ohne die von ihr gezogenen Nutzungen in Abzug zu bringen, deren Höhe sie selbst - hilfsweise - mit 8.388,-- € angegeben hat. Unter diesen Umständen hat die Klägerin ihr Rückgabeangebot an die Erfüllung erheblicher überhöhter Forderungen geknüpft mit der Folge, dass ein zur Begründung von Annahmeverzug geeignetes Angebot nicht vorliegt.

25

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 97 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt den Umstand, dass die von der Klägerin in erster Instanz geltend gemachten Nebenforderungen (die in der Klageschrift für die Zeit bis zum 08.10.2018 auf 5.029,-- € bezifferten Deliktszinsen nebst für die Folgezeit geltend gemachter weiterer Zinsen in Höhe von 4 % aus 27.200,-- €) mehr als 10 % eines fiktiven Streitwertes aus Hauptforderung und Zinsen ausmachen. Wird ein Kläger mit einem Teil seiner Nebenforderungen abgewiesen, so trifft § 92 Abs. 1 ZPO zu, auch wenn dieselbe Wertstufe vorliegt, aber die streitwertmäßig nicht zu berücksichtigenden Zinsen der Höhe nach 10 % des fiktiven Streitwerts aus Hauptforderung und Zinsen überschreiten (vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 12.12.2019 - 13 U 13/19 -, Rn. 146; Zöller/Herget, ZPO, 33. Aufl., § 92 Rn. 11). So verhält es sich hier. Die Quoten für die beiden Instanzen errechnen sich dementsprechend wie folgt:

26

Unterliegen der Beklagten in erster Instanz: 13.973,03 € im Verhältnis zu einem fiktiven Streitwert von 32.371,73 €. Dies ergibt eine Quote von 43 % zu 57 % zu Lasten der Klägerin.

27

Unterliegen der Beklagten in zweiter Instanz: 13.973,03 € im Verhältnis zum (mangels Überschreiten der Grenze von 10 % nicht durch Zinsen erhöhten) Streitwert von 14.301,35 €. Dies ergibt eine Quote von 98 % zu 2 % zu Lasten der Beklagten und führt unter Anwendung von § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO dazu, dass wegen des verhältnismäßig geringfügigen Obsiegens der Beklagten die Kosten des Berufungsverfahrens vollständig der Beklagten auferlegt werden.

28

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

29

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Zulassungsvoraussetzungen nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Die im vorliegenden Rechtsstreit maßgebenden Rechtsfragen sind durch die zitierte Rechtsprechung des Bundesbundesgerichtshofs höchstrichterlich geklärt; im Hinblick auf die die Beklagte für den Einbau eines Dieselmotors vom Typ EA 189 treffende Haftung weicht der Senat - soweit ersichtlich - nicht von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte ab.

30

4. Der Senat hat beschlossen, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 13.301,35 € festzusetzen.

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