Urteil vom Oberlandesgericht Koblenz (3. Zivilsenat) - 3 U 1283/20
Tenor
I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Trier – Einzelrichter – vom 05.08.2020, Az.: 5 O 610/19, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der hilfsweise auf Feststellung der Schadensersatzpflicht der Beklagten gerichtete Antrag als unzulässig verworfen und die Klage im Übrigen abgewiesen wird.
II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision wird zugelassen.
V. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 14.305,88 € festgesetzt.
Gründe
I.
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Der Kläger begehrt von der Beklagten im Zusammenhang mit dem sog. Diesel-Abgasskandal nach Weiterverkauf des betroffenen Fahrzeugs Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich Nutzungsersatz sowie des Weiterverkaufserlöses, hilfsweise Zahlung eines täuschungsbedingten Minderwerts seines Fahrzeugs und die Feststellung der weitergehenden Schadensersatzpflicht der Beklagten.
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Der Kläger erwarb von einem Kfz-Händler den von der Beklagten hergestellten … mit der Fahrzeugidentifizierungsnummer W als Neuwagen, der ihm am 09.12.2011 übergeben wurde. In das Fahrzeug war ein ebenfalls von der Beklagten hergestellter 1,6 l-Motor des Typs EA 189 eingebaut.
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Für diesen Fahrzeugtyp wurde die Typengenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Der verbaute Motortyp enthält eine Software, welche auf dem Prüfstand vom regulären Abgasrückführungsmodus 0 in den stickoxid-optimierten Modus 1 wechselt. Dadurch ergeben sich auf dem Prüfstand geringere Stickoxid-Emissionswerte als im normalen Fahrbetrieb. Für die Erteilung der Typengenehmigung war der Stickoxidausstoß im Prüfstand maßgebend.
- 4
Ab September 2015 wurde – ausgehend von einer Pressemitteilung der Beklagten vom 22.09.2015 – über den Abgasskandal betreffend Motoren vom Typ EA 189 und nicht nur Fahrzeuge der Beklagten, sondern des gesamten V-Konzerns, in den nationalen und internationalen Medien ausführlich berichtet. Zeitgleich mit der Pressemitteilung veröffentlichte die Beklagte eine aktienrechtliche ad hoc-Mitteilung und informierte sie ihre Vertragshändler, Servicepartner und die anderen Konzernhersteller über den Umstand, dass Fahrzeuge mit dem Motor Typ EA 189 über die beschriebene Umschaltlogik verfügen. Die Beklagte schaltete Anfang Oktober 2015 eine Website frei, auf der jedermann unter Eingabe einer Fahrzeugidentitätsnummer ermitteln konnte, ob das Fahrzeug mit einem vom Abgasskandal betroffenen Motor ausgestattet ist. Zu der Freischaltung gab die Beklagte ebenfalls im Oktober 2015 eine Pressemitteilung heraus. Darin wurde auch über den vom Kraftfahrtbundesamt beschlossenen Rückruf der betroffenen Fahrzeuge berichtet und kündigte die Beklagte an, in Abstimmung mit den zuständigen Behörden an Lösungsmöglichkeiten zu arbeiten. Entsprechend wurde in zahlreichen Medien berichtet. Daneben bestand die Möglichkeit, sich telefonisch, schriftlich oder per E-Mail beim V Kundenservice zu informieren, ob in einem konkreten Pkw die Software verbaut ist. Zu den Einzelheiten wird auf die Ausführungen der Beklagten hierzu unter Lit. B. I. 1. in der Klageerwiderung vom 11.02.2020 (ab Blatt 35 Papierakte LG) verwiesen.
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Am 02.01.2019 verkaufte der Kläger das Fahrzeug bei einem Kilometerstand von 166.000 km zum Preis von 3.500,00 €.
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Die auf Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 17.921,01 € Zug-um-Zug gegen Herausgabe des Weiterverkaufserlöses sowie Prozess- und Deliktszinsen und außergerichtliche Rechtsanwaltskosten gerichtete Klage ist am 30.12.2019 beim Landgericht eingegangen und der Beklagten am 30.01.2020 zugestellt worden.
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Die Parteien streiten im Wesentlichen darum, in welcher Höhe dem Kläger ein Schaden in Gestalt des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises entstanden ist, ob die Weiterveräußerung des Fahrzeugs seinen Schaden beseitigt hat sowie um die Frage der Verjährung von Ansprüchen, insbesondere wann die Verjährungsfrist begonnen hat. Zum Sachverhalt im Übrigen und den erstinstanzlich gestellten Anträgen wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 214 ff. Papierakte LG) verwiesen.
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Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen darauf abgestellt, dass der Kläger seinen Schaden in Form der Kaufpreiszahlung nicht bewiesen habe. Die vorgelegten Unterlagen, namentlich der Kaufvertrag vom 06.12.2011 (Bl. 211 Papierakte LG) und die Rechnung vom 09.12.2011 (Bl. 210 Papierakte LG), ließen wegen der verrechneten Nachlässe und wegen ihrer Unvollständigkeit eine verlässliche Ermittlung des Kaufpreises durch die Kammer nicht zu. Das Landgericht sei deshalb nicht in der Lage, dem Kläger Schadensersatz zuzuerkennen.
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Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche mit Ausnahme der Deliktszinsen nunmehr auf Basis eines Kaufpreises von 17.805,88 € weiterverfolgt. Hilfsweise begehrt er Zahlung eines täuschungsbedingten Minderwerts und die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für weitergehende Schäden.
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Er macht im Wesentlichen geltend, er habe durch Vorlage von Bestellung und Rechnung nachgewiesen, mindestens einen Kaufpreis von 17.805,88 € aufgewendet zu haben. Dies sei der Betrag, der nach Abzug sämtlicher Rabatte verbleibe. Der von der Beklagten geltend gemachten Verjährung stehe bereits entgegen, dass durch das durchgeführte Software-Update ein Thermofenster entstanden sei und damit eine unzulässige Abschalteinrichtung bestehen bleibe. Denn ausweislich eines Berichts des Kraftfahrtbundesamts vom 10.01.2020 führe das Update lediglich zu einer bedingten Abgasreinigung und daher weiterhin zur Nichteinhaltung der Abgaswerte. Es handele sich bei dieser nicht zum Motorschutz erforderlichen Einrichtung um eine weiterführende Form des Betrugs. Zudem habe er im Jahr 2015 weder Kenntnis noch grob fahrlässige Unkenntnis der anspruchsbegründenden Umstände gehabt. Die Pressemitteilungen seien teilweise verharmlosend und zu den wesentlichen Tatsachen nicht ausreichend informativ gewesen. Die individuelle Betroffenheit seines Fahrzeugs, die Bedeutung der Manipulation und ihre tatsächlichen technischen und rechtlichen Konsequenzen seien ihm unbekannt gewesen. Die unterbliebene Ausschöpfung der Informationsmöglichkeiten sei nicht als grob fahrlässig zu bewerten. Zudem sei die Klageerhebung wegen einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage bis zum Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, unzumutbar gewesen.
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Mit nicht nachgelassenem Schriftsatz vom 07.12.2020 (Bl. 184 ff. eAkte) hat der Kläger ergänzend vorgetragen, dass ihm jedenfalls ein von Amts wegen zu prüfender Anspruch auf Schadensersatz in Höhe des von ihm infolge der arglistigen Täuschung für den Kauf des Fahrzeugs gezahlten Betrags gemäß §§ 826, 31, 852, 818 BGB zustehe.
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Der Kläger beantragt:
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1. Auf die Berufung wird das Urteil des Landgerichts Trier vom 05.08.2020 (Az. 5 O 610/19) teilweise abgeändert.
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2. Die Beklagte wird verurteilt, Zug um Zug gegen Herausgabe des Verkaufserlöses aus dem Verkauf des Fahrzeugs Marke: V Typ: … Fahrzeug-Identifizierungsnummer: W in Höhe von 3.500 € an die Klagepartei 17.805,88 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit, gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs durch die Klagepartei, zu erstatten.
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Hilfsweise:
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1. Die Beklagte wird verurteilt, einen in das Ermessen des Gerichts zu stellenden Schadensersatz in Höhe von mindestens 25% des Kaufpreises des Fahrzeugs 17.805,88 €, mindestens somit 4.451,47 €, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
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2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klagepartei über den Betrag aus Hilfsantrag zu 1) hinausgehenden Schadensersatz für weitere Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs, FIN: W, mit der manipulierenden Motorsoftware resultieren, zu zahlen.
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3. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten des außergerichtlichen Vorgehens in Höhe von 2.077,74 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.
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Die Beklagte beantragt,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, dass der Schaden des Klägers durch den Weiterverkauf des Fahrzeugs entfallen sei. Jedenfalls seien dessen etwaige Ansprüche verjährt. Infolge der Information der Öffentlichkeit habe die Verjährung im Jahr 2015 zu laufen begonnen, weil der Kläger damit bereits jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen gehabt habe und ihm die Klageerhebung zumutbar gewesen sei. Der neue Vortrag zum behaupteten Thermofenster sei wegen Präklusion nicht zu berücksichtigen. Dessen ungeachtet entstehe durch das Software-Update zwar ein Thermofenster. Dieses entspreche aber dem modernsten Stand der Technik und diene dem Motorschutz. Es sei somit nicht unzulässig und führe weder zu einem deliktischen Anspruch des Klägers noch zu einem Neubeginn der Verjährungsfrist.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angegriffenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).
II.
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Die gemäß §§ 511, 517 ff. ZPO zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Zwar hat der Kläger die Höhe des Kaufpreises, jedenfalls soweit sie noch Gegenstand des Berufungsverfahrens ist, ausreichend belegt (1.) und lässt der Weiterverkauf des Fahrzeugs seinen Schaden nicht entfallen (2.). Der allein in Betracht kommende deliktische Schadensersatzansprüche des Klägers aus § 826 BGB ist aber gemäß §§ 195, 199 BGB verjährt (3.). Auch Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB, § 6,27 EG-FGV bzw. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 bestehen nicht (4.). Ebenso kann der Kläger keinen Anspruch aus § 852 BGB herleiten (5.). Dem hilfsweise geltend gemachten Schadensersatzanspruch auf Zahlung eines Minderwerts steht die Einrede der Verjährung ebenfalls entgegen, für die hilfsweise Feststellungsklage fehlt bereits das Feststellungsinteresse nach § 256 Abs. 1 ZPO (6.). Schließlich teilen die Nebenforderungen das Schicksal der Hauptforderung (7.).
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1. Zu Recht beanstandet der Kläger die Feststellungen des Landgerichts insoweit, als dieses sich nicht in der Lage sah, den beim Kläger aufgrund der Manipulation seines Fahrzeugs entstandenen Schaden festzustellen. Dieser liegt in den Fällen des sogenannten Abgasskandals in der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit in Form des Abschlusses eines ungewollten Kaufvertrags (BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 48; OLG Koblenz, Urteil vom 12.06.2019, 5 U 1318/18, NJW 2019, 2237, 2244 Rn. 71). Jedenfalls in der im Berufungsverfahren noch geltend gemachten Höhe (17.805,88 €) bestehen aus Sicht des Senats keine Zweifel, dass der Kläger den Kaufpreis wie geltend gemacht bezahlt bzw. durch Inzahlunggabe seines vorherigen Fahrzeugs ersetzt hat. Die Zahlung des Kaufpreises und die Inzahlunggabe als solche sind unstreitig. Der Betrag von 17.805,88 € verbleibt, wenn man die in der Fahrzeugrechnung vom 09.12.2011 (Bl. 210 Papierakte LG) enthaltenen Rabatte vom Rechnungsbetrag abzieht.
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2. Durch den Weiterverkauf eines von der Manipulation des Motors EA 189 betroffenen Fahrzeugs fällt der Schaden des Fahrzeugkäufers nicht weg. Zwar kann sich der Fahrzeugkäufer aufgrund der Weiterveräußerung einiger Folgen des ungewollten Vertragsschlusses, namentlich dem Eigentum und dem Besitz am erworbenen Fahrzeug, gegen Kaufpreiserlös entledigen. Damit wird der ungewollte Vertragsschluss aber nicht zwingend vollständig kompensiert (a. A. OLG Schleswig, Urteil vom 22.11.2019, 17 U 70/19, juris, BeckRS 2019, 29885 Rn. 20, 22 und OLG Celle, Urteil vom 19.02.2020, 7 U 424/18, BeckRS 2020, 6243 Rn. 10). Es wäre unbillig, den geschädigten Käufer in diesen Fällen mit dem Risiko eines Verkaufserlöses zu belasten, der - möglicherweise manipulationsbedingt - unterhalb des auf Basis des § 826 BGB zu erzielenden Rücknahmepreises liegt (ebenso: OLG Stuttgart, Urteil vom 29.09.2020, 12 U 449/19, juris Rn. 33; OLG Frankfurt, Urteil vom 18.12.2020, 13 U 326/19, juris Rn. 23). Denn andernfalls wäre der Käufer gehalten, das vom Abgasskandal betroffene Fahrzeug bis zum rechtskräftigen Abschluss des Prozesses gegen den Fahrzeughersteller zu behalten und somit ein weiteres Mal in seiner Dispositionsfreiheit beeinträchtigt (vgl. bereits Senat, Urteil vom 29.12.2020, 3 U 1051/20).
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Die Berechnung des Schadensersatzanspruchs nach §§ 826, 31 BGB hat daher bei Weiterverkauf des betroffenen Fahrzeugs in der Weise zu erfolgen, dass der Kläger den gezahlten Kaufpreis abzüglich des von ihm zu erstattenden Nutzungsausgleichs für die gefahrenen Kilometer sowie des erzielten Weiterverkaufserlöses beanspruchen kann (vgl. Senat, Urteil vom 29.12.2020, 3 U 1051/20; OLG Stuttgart, Urteil vom 29.09.2020, 12 U 449/19, juris Rn. 33; OLG Oldenburg, Urteil vom 21.02.2020, 6 U 286/19, juris, BeckRS 2020, 6830, Rn. 64 f..; OLG Frankfurt, Urteil vom 18.12.2020, 13 U 326/19, juris Rn. 25; Riehm, NJW 2019, 1105, 1110).
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3. Die dreijährige Verjährungsfrist des § 195 BGB begann mit Schluss des Jahres 2015 zu laufen. Gemäß § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Beide Voraussetzungen waren vorliegend spätestens Ende des Jahres 2015 erfüllt, sodass den Ansprüchen des Klägers die Einrede der Verjährung gemäß § 214 Abs. 1 BGB entgegensteht. Im Einzelnen:
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a) Ein Anspruch gemäß § 826 BGB wäre jedenfalls bereits im Moment des ungewollten Kaufvertragsschlusses am 06.12.2011 entstanden, da zu diesem Zeitpunkt der Vermögensschaden des Klägers aufgrund einer (sittenwidrigen) Täuschungshandlung der Beklagten eingetreten ist (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020 - VI ZR 252/19 - Rn. 47).
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Der Kläger hätte im Jahr 2015 die Veranlassung und die Möglichkeit gehabt, von einem Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte Kenntnis zu erlangen. Gerade in der Zeit bis zum Jahresende 2015 wurde in den nationalen und internationalen Medien ausführlich über den „Dieselskandal“ berichtet und war unter anderem von „Betrugssoftware“, „Software-Trickserei“ der Beklagten und Ähnlichem die Rede. Der Abgas-Skandal als solcher und die Betroffenheit von auch in Deutschland angebotenen Fahrzeugen der Beklagten kann ihm schlechterdings nicht entgangen sein, selbst wenn er nicht laufend die Pressemeldungen verfolgt hat. Damit hatte er jedoch als Käufer eines dieselbetriebenen VW-Fahrzeugs hinreichend konkrete Anhaltspunkte zu der Annahme, dass ihm ein deliktischer Schadensanspruch gegen die Beklagte als Fahrzeugherstellerin zustehen könnte. Es bestand ohne weiteres die Möglichkeit, z. B. über die im Oktober 2015 freigeschaltete, einfach zugängliche und ebenfalls öffentlich bekannt gemachte Online-Plattform oder eine telefonische, schriftliche oder E-Mail-Rückfrage beim V-Kundenservice in Erfahrung zu bringen, ob sein Pkw vom Abgasskandal betroffen ist. Die einen deliktischen Anspruch nach § 826 BGB stützenden Tatsachen hätte er damit ihrem wesentlichen Kern nach gekannt (siehe dazu BGH, Urteil vom 17.12.2020 – VI ZR 739/20 – Rn. 20 ff. für den Fall der positiven Kenntnis der Betroffenheit des konkreten Fahrzeugs vom Dieselskandal). Die Unkenntnis über Details hindert den Verjährungsbeginn nicht. Soweit der Kläger sich trotz der sich regelrecht aufdrängenden Umstände nicht weiter informiert hat, ist ihm grob fahrlässige Unkenntnis von Anspruch und Schädiger i. S. d. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB vorzuwerfen (Senat in stRspr., z. B. Urteil vom 30.06.2020 – 3 U 1785/19 –, juris Rn. 25 ff.; vgl. OLG München, Beschluss vom 03.12.2019 – 20 U 5741/19 –, juris Rn. 3; OLG Stuttgart, Urteil vom 14.04.2020 – 10 U 466/19 –, juris LS 1., 2.; OLG Köln, Beschluss vom 04.03.2020 – 26 U 73/19 –, juris Rn. 11; a. A. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.04.2020 – 7 U 470/19 –, juris Rn. 67 ff.).
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Der Kläger hätte daher im Jahr 2015 Klage erheben können. Eine unsichere Rechtslage stand der Klageerhebung nicht entgegen. Im Gegenteil war ausgehend von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 826 BGB, insbesondere zu Sittenwidrigkeit und Schaden sowie zur sekundären Darlegungslast erkennbar, dass sich diese Rechtspre-
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chung auf die hier vorliegende Fallkonstellation übertragen lassen würde (vgl. BGH, Urteil vom 17.12.2020 – VI ZR 739/20 – Rn. 26 ff.).
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b) Die Verjährungsfrist endete mithin mit Ablauf des 31.12.2018 und konnte somit durch die am 30.12.2019 beim Landgericht eingegangene Klage nicht mehr gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt werden.
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) Ein anderes Ergebnis folgt nicht aus dem Umstand, dass mit dem Aufspielen des Software-Updates nach dem Jahr 2015 ein sogenanntes Thermofenster installiert wurde.
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Ob es sich bei dem konkreten Thermofenster des streitgegenständlichen Fahrzeugs um eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 VO-EG 715/2007 handelt, kann im Ergebnis dahinstehen. Allein die Tatsache, dass eine Abschalteinrichtung unzulässig i. S. d. Art. 5 VO (EG) 715/2007 und das Fahrzeug damit im kaufrechtlichen Sinn mangelhaft sein mag, bedeutet nicht, dass der Einbau der Abschalteinrichtung auch ein im Sinne des § 826 BGB sittenwidriges Gepräge hat, etwa weil die Abschalteinrichtung wiederum eine verborgene Prüfstandserkennung mit daran geknüpfter Herunterregulierung des Schadstoffausstoßes ist (vgl. dazu unter anderem Senat, Urteil vom 18.06.2019, 3 U 416/19; Beschluss vom 26.11.2019 - 3 U 1684/19 m. w. N.; OLG Koblenz, 12. Zivilsenat, Urteil vom 20.04.2020, - 12 U 1570/19 = BeckRS 2020, 6348 Rn. 25; OLG Stuttgart, Urteil vom 30.07.2019, - 10 U 134/19 = NZV 2019, 579, 584 Rn. 75 ff.; OLG Brandenburg, Urteil vom 19.12.2019 - 5 103/18 -, juris Rn. 28 f.; OLG Dresden, Urteil vom 09.07.2019, - 9 U 567/19 -, juris Rn. 24 ff.). Anhaltspunkte dafür, dass die technische Ausgestaltung des Thermofensters beim streitgegenständlichen Fahrzeug eine andere Wertung gebieten würde, hat der Kläger nicht vorgetragen.
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Abgesehen davon ist nicht dargetan, inwieweit eine erneute sittenwidrige Schädigung durch das Software-Update kausal wäre für den vorliegend geltend gemachten Schaden in Form des ungewollten Kaufvertragsschlusses, der zur Rückgängigmachung der Vertragsfolgen führen soll. Die Schädigungshandlung läge zeitlich nach dem Kaufvertragsschluss.
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4. Der Kläger kann sein Begehren auch nicht auf andere Anspruchsgrundlagen stützen. Ein denkbarer Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB scheitert bereits daran, dass nicht ersichtlich ist, inwiefern die Beklagte den Kläger getäuscht haben soll. Zudem bestünde keine Stoffgleichheit einer etwaigen Vermögenseinbuße des Klägers mit den denkbaren Vermögensvorteilen, die ein verfassungsmäßiger Vertreter der Beklagten (§ 31 BGB) für sich oder einen Dritten erstrebt haben könnte (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20 Rn. 24 ff.). Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. Art. 5 VO (EG) Nr. 715/2007 bzw. mit §§ 6, 27 EG-FGV scheitert daran, dass es sich dabei nicht um Schutzgesetze handelt (vgl. BGH, Urteil vom 25.05.2020, VI ZR 252/19, Rn. 74 sowie Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 5/20 Rn. 13; Senat, Urteil vom 28.02.2020, - 3 U 1902/19).
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5. Schließlich scheidet auch ein Restschadensersatzanspruch gemäß §§ 826, 31, 852, 818 BGB aus, da der Vortrag des Klägers hierzu gemäß §§ 525 S. 1, 296a Satz 1 ZPO verspätet und im Übrigen unschlüssig ist.
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a) § 852 Satz 1 BGB ist nur dann zu prüfen, wenn der Kläger dazu vorgetragen hat, dass und in welcher Höhe die Beklagte, die nicht Verkäuferin des Fahrzeugs war, etwas aus dem Fahrzeugverkauf erlangt hat (BGH, Urteil vom 17.12.2020 – VI ZR 739/20 – Rn. 29). Dem hat der Kläger bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren nicht Genüge getan. Er ist erstmals mit Schriftsatz vom 12.10.2020 auf § 852 BGB eingegangen. Dieser Vortrag ist aber gemäß §§ 525 Satz 1, 296a Satz 1 ZPO nicht berücksichtigungsfähig.
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b) Davon abgesehen ist er aber auch unschlüssig. Zum entscheidenden Punkt hat der Kläger lediglich ausgeführt, dass die Beklagte durch den wissentlichen Verkauf mehrerer Millionen manipulierter Fahrzeuge ihr Vermögen gemehrt habe. Das Erlangte sei der Betrag, den er, der Kläger, für den Kauf des manipulierten Fahrzeugs bezahlt habe. Da die Beklagte indessen unstreitig nicht Verkäuferin war, ist nicht nachvollziehbar, dass und wie sie diesen Kaufpreisbetrag erlangt haben soll. Im Übrigen erschöpft sich der Vortrag des Klägers in Rechtsprechungszitaten und allgemeinen Rechtsausführungen zu § 852 BGB, ohne das auf den konkreten Einzelfall bezogener weiterer Tatsachenvortrag gehalten würde.
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6. Die hilfsweise gestellten Anträge führen ebenfalls nicht zum Erfolg der Klage. Soweit der Schadenersatzanspruch dort auf einen geminderten Kaufpreis gestützt wird, stellt dies lediglich eine andere Art der Schadensberechnung dar, der ebenfalls die Einrede der Verjährung gemäß § 214 Abs. 1 BGB entgegensteht. Die Klage auf Feststellung einer Ersatzpflicht für weitere Schäden ist bereits unzulässig, weil es insoweit jedenfalls an dem nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderlichen Feststellungsinteresse fehlt. Ein auf den Ersatz künftiger Schäden gerichteter Feststellungsantrag kann nur dann Erfolg haben, wenn die sachlichen und rechtlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen, also ein haftungsrechtlich relevanter Eingriff gegeben ist, der zu möglichen künftigen Schäden führen kann (BGH, NJW 2018, 1242 Rn. 49). Dabei kann die Möglichkeit ersatzpflichtiger künftiger Schäden ohne Weiteres zu bejahen sein, wenn ein deliktsrechtlich geschütztes absolutes Rechtsgut verletzt wurde und bereits ein Schaden eingetreten ist. Im Streitfall haftet die Beklagte aber, wenn ein Anspruch bestünde, nicht wegen der Verletzung eines absolut geschützten Rechtsguts, sondern wegen der sittenwidrigen vorsätzlichen Herbeiführung eines ungewollten Vertragsschlusses. Der in dem Vertragsschluss selbst liegende Schaden würde bereits von der Verurteilung der Beklagten zur Kaufpreiserstattung erfasst. Welche weiteren konkreten Schäden aus dem Fahrzeugerwerb der insoweit darlegungsbelastete Kläger befürchtet, ist nicht ersichtlich. Allein die pauschale Behauptung wegen des Software-Updates könnten künftige Schäden nicht ausgeschlossen werden, genügt zur Annahme eines Feststellungsinteresses im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO nicht (vgl. BGH, Urteil vom 30.07.2020, VI ZR 397/19 Rn. 29). Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass der Kläger das Fahrzeug bereits vor Anhängigkeit weiterverkauft hat.
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7. Die Verjährung erfasst auch die geltend gemachten Nebenforderungen (Zinsen, Rechtsanwaltskosten), da die Verjährungsfrist bei Schadenersatzansprüchen einheitlich mit dem Eintritt des ersten Schadens beginnt (vgl. BGH, BeckRS 2018, 30595 Rn. 7).
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
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Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Die vorliegende Sachverhaltskonstellation liegt einer Vielzahl von Fällen zugrunde und wird in der Verjährungsfrage in der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht einheitlich beurteilt (wie hier vgl. OLG München, Beschluss vom 03.12.2019 – 20 U 5741/19 –, juris Rn. 3; OLG Stuttgart, Urteil vom 14.04.2020 – 10 U 466/19 –, juris LS 1., 2.; OLG Köln, Beschluss vom 04.03.2020 – 26 U 73/19 –, juris Rn. 11; a. A. OLG Stuttgart, Urteil vom 30.04.2020 – 7 U 470/19 –, juris Rn. 67 ff.). Mit dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 17.12.2020 – VI ZR 739/20 – wurden nicht sämtliche streitentscheidenden Fragen beantwortet, insbesondere die Frage, wann die Verjährungsfrist beginnt, wenn nicht davon ausgegangen werden kann, dass der Geschädigte im Jahr 2015 die Betroffenheit seines konkreten Fahrzeugs vom Dieselskandal positiv kannte. Die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung des Revisionsgerichts erfordern die Zulassung, da zu befürchten ist, dass Unterschiede in der Rechtsprechung entstehen oder fortbestehen.
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- 3 U 1902/19 1x (nicht zugeordnet)
- 12 U 1570/19 1x (nicht zugeordnet)
- 3 U 1051/20 2x (nicht zugeordnet)
- 3 U 1684/19 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- 5 U 1318/18 1x (nicht zugeordnet)
- VI ZR 252/19 4x (nicht zugeordnet)
- §§ 511, 517 ff. ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- 5 O 610/19 2x (nicht zugeordnet)
- VI ZR 5/20 2x (nicht zugeordnet)