Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Zivilsenat) - 1 U 129/12
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 20. September 2012 verkündete Grundurteil des Landgerichts Magdeburg teilweise abgeändert und die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert des Berufungsrechtszuges entspricht der Gebührenstufe bis 7.000,00 EUR.
Gründe
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Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1, 543 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 Satz 1 EGZPO abgesehen.
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Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache Erfolg und führt zur Abweisung der Klage, während sich das Rechtsmittel der Klägerin als unbegründet erweist. Das angefochtene Grundurteil beruht auf einer unrichtigen Anwendung des § 254 Abs. 1 BGB (§ 513 Abs. 1 Alt. 1 ZPO), die zu Lasten der Beklagten geht. Tatsächlich hat die Klägerin gegen die Beklagten keinen Schadensersatzanspruch.
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Es kann im Ergebnis offen bleiben, ob die Verletzung der Klägerin auf den Betrieb des Reisebusses zurückzuführen ist (§ 7 Abs. 1 StVG) oder der Beklagte zu 1. aus dem Beförderungsvertrag (§§ 631 Abs. 1, 328 Abs. 1, 280 Abs. 1 BGB) oder unerlaubter Handlung (§ 823 BGB) haften könnte. Immer trifft die Klägerin ein fast allein ursächliches Mitverschulden, das die konkrete Betriebsgefahr des Busses und ein (tatsächlich nicht ersichtliches) Verschulden des Beklagten zu 1. vollständig in den Hintergrund treten und die Klägerin allein haften lässt (§ 9 StVG, § 254 Abs. 1 BGB).
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Es spricht viel dafür, dass das Landgericht § 7 Abs. 1 StVG zutreffend auf den von der Klägerin behaupteten Unfall angewendet hat. Der Beklagte zu 1. haftet auch bei der Verletzung seiner Businsassen aus § 7 StVG (§ 8a Satz 1 StVG; Burmann/Heß/Jahnke/Janker, StVR, 22. Aufl. § 8a StVG Rdn. 3, 7). Zur Beförderung und damit zum Betrieb des Reisebusses gehören auch das Ein- und Aussteigen (OLG Karlsruhe NZV 2011, 141, 145 m.w.N.). Diese Vorgänge stehen in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem eigentlichen Beförderungsvorgang durch den Reisebus, wenn man sie nicht sogar als notwendigen Bestandteil desselben begreifen muss. Entscheiden muss der Senat dies nicht.
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Die Klägerin trifft ein überwiegendes, die Haftung der Beklagten ausschließendes Mitverschulden. Sie stellt mit ihrem Rechtsmittel zu Unrecht die Frage, woher das Landgericht ihr Mitverschulden nehme. Der Unfallhergang, wie ihn die Klägerin schildert, spricht nach der Lebenserfahrung dem ersten Anschein nach für ihren eigenen unfallursächlichen Sorgfaltsverstoß. Augenscheinlich hat die Klägerin nicht das getan, was jedem anderen zur Vermeidung eines Schadens am eigenen Körper hätte einleuchten müssen. Der Anscheinsbeweis kann gerade auch in Bezug auf das Mitverschulden anzuwenden sein (OLG Frankfurt NZV 2013, 77; Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 254 Rdn. 72; Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., vor § 284 Rdn. 30c).
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Die Klägerin benutzte den Zugang zum Bus und die Treppe, wie sie das während der Busreise sicher viele Male schadlos getan hatte und wie es alle anderen Personen auch taten, ohne zu Schaden gekommen zu sein. Gemäß § 2 BOKraft musste der Bus den besonderen Anforderungen genügen, wie sie sich aus dem Vertrauen in die sichere und ordnungsgemäße Beförderung ergeben. Dem wurde ausweislich der Lichtbilder auch der hintere Zugangsbereich gerecht. Er unterschied sich durch nichts von anderen gewöhnlich vorzufindenden Buszugängen, wie sie auch dem Senat aus eigener Anschauung bekannt sind. Die Beklagten haben zudem unbestritten vorgetragen, dass der Bus der normalen und bewährten Serienproduktion des Herstellers entstammt. Wenn sich die Klägerin am 30. November 2010 dennoch stieß und verletzte, kann sie nur unaufmerksam oder unvorsichtig gewesen sein oder sie muss ihre körperliche Leistungsfähigkeit überschätzt oder die konkrete Situation unter- oder falsch eingeschätzt haben. Denn ansonsten hätte sie entweder den vorderen Eingang genommen, sich von ihrem Ehemann helfen lassen, größere Kraft aufgewendet, ihr Bein höher gehoben oder den Beklagten zu 1. um eine Einstiegshilfe gebeten. Die ernsthafte Möglichkeit, dass es sich anders zugetragen haben könnte (vgl. zur Entkräftung des Anscheinsbeweises - Palandt/Grüneberg, vor § 249 Rdn. 130), trägt die Klägerin nicht vor. Wenn man sich in bekannter Umgebung stößt, geht dies in der Regel auf eigenes Verschulden zurück.
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Hat ein Verschulden der Klägerin an der Entstehung des Schadens mitgewirkt, so hängen die Verpflichtung zum Schadensersatz und ihr Umfang von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit die Verletzung vorwiegend vom Beklagten zu 1. oder der Betriebsgefahr des Busses oder der Klägerin verursacht wurde. Natürlich haben sich auch busspezifische Gefahren verwirklicht. Es war eng, unübersichtlich und ging hohe Stufen hinauf. Diese Gefahren waren der Klägerin aber bekannt und sie war im eigenen Interesse dazu angehalten, sie zu berücksichtigen und es trotz ihres Vorhandenseins nicht zum Schaden kommen zu lassen, was ihr zweifelsohne möglich war. Gerade das Stoßen an einer hohen Einstiegsstufe gehört zu den vorhersehbaren Gefahren, denen die Klägerin gut dadurch hätte begegnen können, dass sie den gefahrloseren vorderen Eingang wählte, sich helfen ließ oder größere Aufmerksamkeit oder Kraft aufwendete. Dagegen konnte der Beklagte zu 1. nichts weiter tun, als der Klägerin ggf. hilfreich zur Seite zu stehen. Dies musste er, entgegen der Auffassung der Klägerin, nicht von vornherein tun. Er hatte keine Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nicht in der Lage sein würde, den Bus zu betreten, ohne Schaden zu nehmen. Das Einsteigen in einen Bus ist eine Verrichtung, die jeder erwachsene und nicht behinderte oder kranke Mensch ohne weiteres allein und ohne Hilfe bewältigen kann und für gewöhnlich in eigener Verantwortung bewältigt. Niemand erwartet ohne besonderen Anlass eine Einstiegshilfe, um das ohnehin nicht gänzlich auszuschließende Risiko, sich zu stoßen, abgenommen zu erhalten. Deshalb haftet der Fahrgast, der beim Einsteigen in einen Bus stürzt, allein (OLG Karlsruhe NZV 2011, 141, 145 f.; OLG Frankfurt NZV 2013, 77 f.; Filthaut NZV 2013, 68, 71 m.w.N.)
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Soweit die Prozessbevollmächtigte der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nochmals ausdrücklich auf die Behauptung verwiesen hat, die Treppenstufe sei extrem scharfkantig gewesen, trägt dieses Vorbringen keinen Schadensersatzanspruch der Klägerin gegen die Beklagten. Der Senat kann offen lassen, ob der von der Klägerin benannte Zeuge U. überhaupt als taugliches Mittel in Betracht zu ziehen ist, um die von ihm eingeschätzte „extreme Schärfe“ der Treppenstufenkante zu beweisen. Der Senat sieht insoweit kein kausal gewordenes gefahrerhöhendes Moment. Nach den Feststellungen der Sachverständigen Dr. med. J. in ihrem schriftlichen Gutachten vom 17. April 2012 hat sich die Klägerin keine Schnitt-, sondern eine Rissquetschwunde zugezogen. Ursächlich wurde stumpfe Gewalt einer harten Oberfläche (vgl. Erläuterung des Gutachtens in der mündlichen Verhandlung des Landgerichts vom 31. Mai 2012). Ein besonderer schadensverursachender oder -vertiefender Einfluss scharfer Stufenkanten lässt sich danach nicht feststellen. Zumindest kann nach der erlittenen Verletzung eine scharfe Treppenstufe das Mitverschulden der Klägerin nicht in einem Ausmaß in den Hintergrund treten lassen, dass damit die Haftungsverteilung zu beeinflussen wäre. Ganz überwiegende Ursache bleibt die Unaufmerksamkeit der Klägerin.
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Der nicht nachgelassene Schriftsatz der Klägerin vom 27. Mai 2013 gibt dem Senat nach alledem keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen (§§ 525 Satz 1, 296a, 156 ZPO).
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
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Die Revision lässt der Senat nicht zu. Die Sache wirft keine Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung auf und weder die Fortbildung des Rechts noch die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung machen eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich (§§ 543 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO).
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Der Streitwert ist nach §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 40, 43 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG; § 3 ZPO festgesetzt.
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