Urteil vom Oberlandesgericht Naumburg (1. Zivilsenat) - 1 U 32/15
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 25. Februar 2015 verkündete Urteil des Landgerichts Magdeburg wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten ihres Rechtsmittels.
Dieses wie auch das angefochtene Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Gründe
I.
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Die übergewichtige Klägerin litt seit vielen Jahren unter Schmerzen im linken Knie. Es war bereits 1994 eine Arthroskopie durchgeführt worden. Im Oktober 2007 begab sich die Klägerin erstmals in die orthopädische Praxis des Beklagten zu 2., die dieser gemeinsam mit dem Zeugen Dr. … unterhielt. Von dort (Dr. …) wurde zunächst unter der Diagnose „Valgusgonarthrose links“ eine konservative Therapie eingeleitet, nachdem am 26.10.2007 eine klinische Untersuchung durchgeführt sowie Röntgenaufnahmen in zwei Ebenen veranlasst worden waren.
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Am 17.01.2008 fand eine MRT-Untersuchung in Bernburg statt. Nach dem Befundbericht (B2 - Anlagenband) fanden sich Gonarthrosezeichen, eine Meniskusläsion Grad III bis IV am Vorderhorn des Außenmeniskus, ein Gelenkerguss und eine Poplitealzyste.
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Die konservative Behandlung zeigte keinen Erfolg, weshalb der Klägerin am 12.02.2008 zur Arthroskopie geraten wurde. Diesen Eingriff führte der Zeuge Dr. … am 05.03.2008 durch. Der handschriftliche Bericht befindet sich in den Behandlungsunterlagen. Es wurden Knorpelschäden II. bis III. Grades sowie eine Läsion des Außenmeniskus festgestellt. Zur postoperativen Behandlung ist vermerkt, MKÜ (= Muskelkräftigungsübung), Gewichtsreduzierung und ggf. Knie-TEP.
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Am 18.03.2008 begab sich die Klägerin in die Gemeinschaftspraxis und traf auf den Beklagten zu 2., der ihr die Fäden entfernte. Dabei kam die Implantation einer Kniegelenkendoprothese zur Sprache. Die Einzelheiten hierzu sind streitig. In den Krankenunterlagen findet sich jedenfalls der Vermerk des Beklagten zu 2., wonach die Klägerin keine Schmerzen mehr haben und den Effekt der Arthroskopie nicht abwarten wolle. Sie wünsche eine Prothese. Noch am 18.03.2008 begann der Beklagte zu 2. mit der operationsvorbereitenden Aufklärung. In diesem Zusammenhang erhielt die Klägerin einen Aufklärungsbogen ausgehändigt, den sie mit nach Hause nehmen konnte. Ein von ihr unterzeichneter Aufklärungsvordruck zur geplanten Operation befindet sich in den Patientenunterlagen.
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Am 09.04.2008 suchte die Klägerin erneut die Gemeinschaftspraxis auf und sprach mit dem Zeugen Dr. … über die Operation.
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Die Operation fand am 22.04.2008 in der Klinik der Beklagten zu 1. statt. Operateur war der Beklagte zu 2., den das Krankenhaus konsiliarisch hinzuzog. Es erfolgte die Implantation einer zementlosen bicondylären Oberflächenersatzprothese ungekoppelt ohne Patellarück-flächenersatz. Im Operationsbericht des Beklagten zu 2. vom 22.04.2008 ist u.a. vermerkt:
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„…Es zeigen sich schwere arthrotische Veränderungen im Bereich des medialen Femur- und Tibiacondylus, vor allem auf den Femurcondylen ist der Knorpel teilweise bis auf den Knochen hinunter völlig aufgebraucht. Es bestehen medial und lateral erhebliche Randwülste. Auch tibial ist im medialen Bereich ein weitgehender Aufbrauch des Knorpels festzustellen. Der mediale Meniskus ist nahezu vollständig verschlissen. Das vordere Kreuzband ist degeneriert. Die Rückfläche der Patella ist noch ausreichend mit Knorpel überzogen, so daß der Ersatz der Patella nicht notwendig ist. Hier werden lediglich zarte Randwülste abgetragen…“.
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Ein postoperatives Röntgenbild vom 22.04.2008 zeigte eine regelgerechte Lage der Prothese.
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Die Klägerin wurde am 04.05.2008 entlassen. Es schloss sich zwischen dem 08. und 29.05.2008 die Heilbehandlung in der Rehaklinik … an.
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Bereits am 17.06.2008 begab sich die Klägerin nach ihrer Darstellung in das Klinikum …. Dort sei eine Röntgenaufnahme gefertigt worden, und man habe der Klägerin angesichts einer subluxierten Patella und der am 22.04.2008 nicht ersetzten Patellarückfläche zu einem weiteren Eingriff geraten. Dieser habe am 04.07.2008 stattgefunden (Klinikaufenthalt zwischen dem 03. und 14.07.2008). Während der Operation sei eine ausgeprägte Synovialitis festgestellt worden. Die Patella sei subluxiert gewesen. In einem OP-Bericht vom 04.07.2008 findet sich folgender Vermerk:
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„…Das Röntgenbild zeigt ein erhebliches Notching der Prothese femurseitig…Mit ihr (gemeint ist die Klägerin - der Senat) wurde ausgiebig die Möglichkeit einer knochensparenden Verbesserung ihrer Lage (gemeint ist die Prothese - der Senat) besprochen. Hierzu soll zunächst ausschließlich ein Patellarückflächenersatz sowie ein Release der Patellalaufbahn (Medialisierung) erfolgen...“.
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Mitte 2010 habe die Helios Klinik … die Lockerung der Prothese festgestellt und am 28.09.2010 einen Wechsel durchgeführt.
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Die Klägerin sieht auf der Seite der Beklagten Behandlungs- und Aufklärungsfehler. Hierzu hat sie behauptet, die Operation der Beklagten sei angesichts der präoperativen Befundlage nicht indiziert gewesen. Das gelte insbesondere angesichts des Zeitpunktes so kurz nach der Arthroskopie. Der Beklagte zu 2. habe den Erfolg der vorangegangenen Therapie noch gar nicht einschätzen können. Das habe ihr ebenso wie in Betracht kommende Alternativen offenbart werden müssen, was unterblieben sei.
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Am 18.03.2008 habe der Beklagte zu 2. der Klägerin überraschend eröffnet, ihr könne nur noch die Prothese helfen. Es gäbe keine Alternative. Die Klägerin sei nahezu zur Operation gedrängt worden.
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Während der Operation vom 22.04.2008 sei es zu weiteren Fehlern gekommen:
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• Trotz bekannter Außenrotationsstellung und der Diagnose Gonarthrose hätten die Beklagten die für diesen Fall in den Leitlinien vorgesehene Ganzbeinaufnahme unterlassen. Dies erkläre die im Ergebnis eingetretene Fehlstellung der Prothese.
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• Es hätte auch schon der in … nachgeholte Rückflächenersatz eingebracht werden müssen.
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• Das erhebliche Notching entspräche keinesfalls orthopädischem Standard. Der Oberschenkelknochen sei mehr als notwendig beschädigt worden.
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• Während der Operation eingebrachtes Knochenwachs sei nicht entfernt worden, was zu einem entzündlichen Prozess geführt habe.
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• Den Sitz der Patella habe der Beklagte zu 2. nach der Operation nur unzureichend geprüft, sodass eine Subluxationsstellung verblieben sei.
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Auf diese Fehler seien sämtliche Folgebehandlungen und Leiden der Klägerin bis hin zur depressiven Verstimmung und Arbeitsunfähigkeit zurückzuführen. Dies rechtfertige zumindest ein Schmerzensgeld von 6.000,00 EUR. Außerdem hätten die Beklagten der Klägerin den Verdienstausfallschaden zu ersetzen.
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Das von der Klägerin vor diesem Hintergrund eingeleitete Schlichtungsverfahren führte ausweislich des Schreibens der Schlichtungsstelle vom 31.10.2012 zu keinem Regulierungsvorschlag (B1 - Anlagenband).
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Die Beklagten haben einen Behandlungsfehler in Abrede gestellt, das weitere Geschehen mit Nichtwissen bestritten und die von der Klägerin behaupteten Folgen als schicksalhaft bezeichnet. Die Operation sei indiziert gewesen. Das folge bereits aus dem Arthroskopiebefund. Hinzu käme die Leidensgeschichte der Klägerin. Zumindest der dann während der Operation des Beklagten zu 2. vorgefundene Zustand des Kniegelenkes habe die Prothese gerechtfertigt. Es sei ausgeschlossen, dass bei der Klägerin angesichts dessen jemals ohne Prothese Schmerzfreiheit hätte erreicht werden können. Deshalb sei die Operation nicht zu vermeiden, also schlimmstenfalls verfrüht gewesen. Das aber sei von der Klägerin ausdrücklich so gewünscht worden.
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Während des Fädenziehens vom 18.03.2008 habe die Klägerin gegenüber dem Beklagten zu 2. erklärt, sie wolle keine Schmerzen mehr haben. Sie sei nicht bereit, dieses Mal den Effekt der Arthroskopie abzuwarten. Sie wünsche die endgültige Versorgung mit einer Gelenkendoprothese. Die Klägerin habe regelrecht darauf gedrängt. Der Beklagte habe der Klägerin gesagt, dass es sinnvoll sein könne, noch zu warten. Der Klägerin sei die Prothese gerade nicht als einzige Behandlungsmöglichkeit offeriert worden. Dem seien weitere Gespräche am 09.04.2008 mit dem Zeugen Dr. … und am 20.4.2008 vor der Operation gefolgt, was zwischen den Parteien unstreitig ist. Auch gegenüber dem Zeugen Dr. … habe sich die Klägerin zur Operation entschlossen gezeigt.
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• Eine Achsenfehlstellung habe bei der Klägerin zu keinem Zeitpunkt vorgelegen. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, hätte dies bei der Klägerin zu keinem Nachteil geführt. Die Prothese habe richtig gesessen. Soweit die femurale Komponente nach dorsal versetzt eingebunden worden sei, habe das die Beschwerden der Klägerin eher günstig beeinflusst.
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• Ein Ersatz der Patellarrückfläche sei nicht notwendig gewesen.
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• Es habe kein erhebliches Notching vorgelegen. Ein solches hätte zudem keine Auswirkungen auf die Prothese und deren Sitz. Schlimmstenfalls habe die Gefahr einer Fraktur bestanden, die mit fortlaufender Zeit überwunden sei.
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• Das Knochenwachs habe belassen werden dürfen und sei keinesfalls ein Entzündungsherd.
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Die Lockerung der Prothese, auf die die Klägerin (unstreitig) als Risiko hingewiesen worden sei, beruhe auf keinem Fehler. Gerade bei adipösen Patienten sei dies häufiger zu beobachten. Der Eingriff in … habe mit der Operation der Beklagten nichts zu tun, zumal sich die dortige Anfangsdiagnose während der Operation nicht bestätigt habe. Eine Fehlrotation sei nicht nachgewiesen worden. Eine subluxierte Patella könne nicht nachvollzogen werden. An der Außenrotation der Femurkomponente habe man in … nichts geändert, was ebenso unstreitig ist.
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Die Folgen, soweit sie denn tatsächlich vorlägen, gingen auf die Grunderkrankung zurück.
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Das Landgericht hat ein orthopädisch-unfallchirurgisches Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. med. … eingeholt, das der Sachverständige schriftlich am 29.07.2014 erstattet und am 28.01.2015 mündlich erläutert hat. Darüber hinaus wurden der Zeuge Dr. … vernommen und die Klägerin sowie der Beklagte zu 2. angehört. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten sowie die Sitzungsniederschrift vom 28.1.2015 verwiesen.
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Mit Urteil vom 25.2.2015, auf das wegen der dort getroffenen tatsächlichen Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht Magdeburg die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe eine zum Schaden führende fehlerhafte Behandlung durch die Beklagten nicht bewiesen.
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Hiergegen richtet sich die Klägerin mit ihrer Berufung unter Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Das Landgericht komme zu Unrecht zu dem Ergebnis, dass die Klägerin ausreichend aufgeklärt worden sei. Es habe keine Indikation zur Implantation der Kniegelenksprothese bestanden. Hierzu habe die Arthroskopie erst eine viel zu kurze Zeit zurück gelegen. Deren therapeutisches Resultat habe abgewartet werden müssen. Dies habe der Beklagte zu 2. der Klägerin nicht offenbart, sondern ihr suggeriert, bei der Operation habe es sich um die einzig erfolgversprechende Maßnahme gehandelt. Etwaige Risiken seien nicht erörtert worden, insbesondere nicht, dass das Übergewicht der Klägerin eine Lockerung der Prothese begünstige. Gerade bei einer nur relativen Indikation mit hohem Misserfolgsrisiko müsse das Risiko einer Verschlechterung deutlich angesprochen werden. Dies sei nicht geschehen. Vielmehr habe man ihr die Situation so dargestellt, keine Wahl zu haben. Wisse die Klägerin von keinen Alternativen, könne auch das Argument des Leidensdruckes nicht greifen.
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Mit Hilfe der auf Grund der präoperativ bekannten Achsfehlstellung notwendigen Ganzbeinaufnahme hätte die Prothese korrekt eingesetzt werden können. Das Notching spräche gegen eine ordnungsgemäß durchgeführte Operation.
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Die Klägerin beantragt,
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unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Magdeburg vom 25.2.2015 die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin
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1. ein angemessenes Schmerzensgeld von mindestens 6.000,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie
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2. 20.334,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit
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zu zahlen und
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festzustellen, dass die Beklagten jeden weiteren materiellen und immateriellen Zukunftsschaden zu ersetzen haben, der auf der Falschbehandlung in der Zeit von April 2008 bis Mai 2008 beruht, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.
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Die Beklagten beantragen,
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die Berufung zurückzuweisen.
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Sie verteidigen das Urteil des Landgerichts unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschriften beider Instanzen verwiesen.
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Der Senat hat sich das Gutachten vom Sachverständigen Prof. Dr. med. … mündlich erläutern lassen. Die Klägerin und der Beklagte zu 2. wurden als Partei vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 8.10.2015 verwiesen.
II.
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Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Das Urteil des Landgerichts Magdeburg vom 25.02.2015 beruht auf keiner Rechtsverletzung im Sinne von § 513 I ZPO. Die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen keine andere Entscheidung, obwohl der Zivilkammer Rechtsfehler unterlaufen sind. Im Ergebnis erneuter Feststellungen des Senats hat die Klägerin gegen die Beklagten keinen aus der knieprothetischen Behandlung und den §§ 280 I; 278 1; 823 I BGB folgenden Schadensersatzanspruch. Die Operation wurde vom Beklagten zu 2. fehlerfrei ausgeführt, und ihr lagen eine ausreichende ärztliche Selbstbestimmungsaufklärung und damit eine wirksame Einwilligung der Klägerin zugrunde.
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1. Mit der Beklagten zu 1. ging die Klägerin zur operativen Versorgung des Kniegelenks einen Behandlungsvertrag ein. Zieht daraufhin die Beklagte zu 1. den Beklagten zu 2. als Konsiliararzt zur Operation hinzu, muss sie gemäß § 278 1 BGB für dessen Verschulden einstehen. Im Verhältnis zur Klägerin wurde der Beklagte zu 2. als Erfüllungsgehilfe der Beklagten zu 1. tätig (Greiß/Greiner, Arzthaftpflichtrecht, 7. Aufl., Rdn. B122). Es war die Beklagte zu 1., die den Beklagten zu 2. zu vergüten hatte (BGH MDR 2010, 194).
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Der Beklagte zu 2. wiederum wäre der Klägerin für schuldhaft verursachte Körper- oder Gesundheitsschäden aus § 823 I BGB verantwortlich. Gleichzeitig bestand auch ein Behandlungsvertrag mit der Gemeinschaftspraxis des Beklagten zu 2. und des Zeugen Dr. …, in dessen Rahmen der Beklagte zu 2. zumindest gehalten war, die Indikation der Operation richtig zu beurteilen und die Klägerin ordnungsgemäß aufzuklären.
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Auf die die Beklagten insgesamt treffenden Behandlungs- und Aufklärungspflichten hat diese rechtliche Einordnung der Beziehungen zur Klägerin keinen Einfluss. Die Pflichten aus vertraglicher und tatsächlicher Übernahme der Behandlung decken sich.
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2. Das Landgericht hat einen Fehler bei der Implantation der Kniegelenkprothese nicht festgestellt und die Klägerin insoweit für beweisfällig gehalten. Hiergegen wendet sich die Berufung erfolglos.
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Der Patient trägt für den Behandlungsfehler die Darlegungs- und Beweislast. Hierzu hat er zunächst eine Abweichung vom maßgeblichen Facharztstandard vorzutragen, wozu es genügt, sich auf Verdachtsmomente zu stützen, die sich allein aus dem Misslingen der Behandlung allerdings nicht herleiten lassen. Liegt bereits ein Gutachten vor, das einen Behandlungsfehler verneint, muss sich der Patient mit diesem Gutachten auseinandersetzen und konkrete Behandlungsfehler des Arztes mindestens im Groben bezeichnen (Senat NJW 2015, 1969). Unter Berücksichtigung dessen sind im Berufungsrechtszug noch die folgenden Vorwürfe zu diskutieren, die keine für den Gesundheitszustand der Klägerin ursächlichen Fehler des Beklagten zu 2. enthalten:
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a) präoperative Ganzbeinaufnahme
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Das Landgericht hat ausgeführt, nach den Feststellungen des Sachverständigen sei eine Ganzbeinaufnahme weder standardgemäß vorgeschrieben noch habe sich aus deren Fehlen für die Klägerin irgendein Nachteil ergeben.
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Die Berufung will dies unter Hinweis auf eine erhebliche Achsfehlstellung nicht gelten lassen.
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Der Senat entnimmt dem keine Rechtsverletzung des Landgerichts oder Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellung im Sinne von §§ 513 I; 529 I Nr. 1 ZPO. Der Sachverständige Prof. Dr. … hat auch für den Fall einer Achsfehlstellung nur von einer wünschenswerten Ganzbeinaufnahme gesprochen. Es handele sich um eine nicht zwingende fakultative Maßnahme. Damit gehörte die Ganzbeinaufnahme nicht zum vom Beklagten zu 2. einzuhaltenden medizinischen Standard. Die Klägerin möglicherweise nicht optimal behandelt zu haben, kann dem Beklagten zu 2. nicht als haftungsbegründende Pflichtverletzung vorgeworfen werden.
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Außerdem hat der Sachverständige eine erhebliche Achsfehlstellung bei der Klägerin verneint. Dabei übersieht der Senat das Schiedsgutachten nicht, wonach das Röntgenbild vom 26.10.2007 eine Außenrotationsstellung zeigte. Auch der Gerichtssachverständige wird dies zur Kenntnis genommen haben. Ganz sicher lässt sich die Berücksichtigung dieses Befundes für den Sachverständigen im Schlichtungsverfahren unterstellen, der in seinem Gutachten dennoch zum gleichen Ergebnis wie der Sachverständige Prof. Dr. … gelangt.
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b) Notching
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Nach den Feststellungen des Sachverständigen, so das Landgericht, sei auf den postoperativen Röntgenbildern ein deutliches Unterschneiden der ventralen Oberschenkelcorticalis (= Notching) zu erkennen. Dies sei ein Fehler, den der Sachverständige nicht habe als Behandlungsfehler bezeichnen wollen. Hieraus sei der Schluss zu ziehen, das Notching sei auch bei größtmöglicher Sorgfalt nicht immer zu vermeiden. Aber selbst wenn es sich um einen Fehler in der Behandlung handele, so habe die Klägerin daraus keinen Schaden davongetragen. Nach den Feststellungen des Sachverständigen sei eine Komplikationsanfälligkeit des Notchings bereits nicht wissenschaftlich gesichert. Schlimmstenfalls komme es zu einem erhöhten Knochenbruchrisiko im Oberschenkelbereich. Da sich der Knochen der Klägerin zwischenzeitlich erholt habe, sei dieses Risiko jedoch nicht mehr vorhanden.
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Dagegen wendet sich die Berufung lediglich mit dem Hinweis, das Notching weise auf eine nicht ordnungsgemäße Operation hin. Damit genügt die Klägerin schon nicht den oben erwähnten Darlegungsanforderungen. Es bleibt offen, in welcher Beziehung die Operation trotz der Feststellungen des Sachverständigen und des Landgerichts fehlerhaft gewesen sein soll. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Landgerichts sind dem jedenfalls nicht zu entnehmen. Der Sachverständige hat in erster Instanz nachvollziehbar mündlich erläutert, dass es sich beim Notching um keinen Behandlungsfehler handelte. Außerdem hat der Sachverständige als negative Folge für den Patienten lediglich das Risiko eines Oberschenkelknochenbruches genannt, welches sich bei der Klägerin nicht realisierte und auch nicht mehr realisieren wird. Zwischenzeitlich sei eine Erholung des geschädigten Knochens eingetreten. Dies ist uneingeschränkt überzeugend.
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c) Subluxationsstellung
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Die nach ihrer Behauptung in … festgestellte und dort operierte Subluxation der Kniescheibe hat die Klägerin in erster Instanz auf die Operation des Beklagten zu 2. zurückgeführt. Das Urteil des Landgerichts geht hierauf nicht ein, und die Berufung kommt auf dieses Vorbringen mit Ausnahme der Verweisung auf den Sachvortrag erster Instanz nicht zurück. Da mit der zulässigen Berufung der gesamte erstinstanzliche Prozessstoff beim Berufungsgericht anfällt (BGH NJW 2004, 2152, 2155 m.w.N.), trifft der Senat zu diesem Punkt eigene Feststellungen, die keinen Behandlungsfehler ergeben.
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Nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. … hat sich der Beklagte zu 2. nach dem provisorischen Verschluss der Gelenkkapsel zutreffend vom korrekten Gleiten der Kniescheibe überzeugt. Es fänden sich auch in der postoperativen Dokumentation keine Hinweise, die mit ausreichender Wahrscheinlichkeit auf eine vermehrte Lateralisation oder Subluxation der Kniescheibe schließen ließen. Noch deutlicher ist das MDK-Gutachten vom 29.01.2009 (B5), welches feststellt, dass die bei der Klägerin postoperativ eingetretene retropatellare Symptomatik bei Lateralisation der Patella erst postoperativ entstanden sei. Dies gehe nicht auf die geringe Außenrotationsstellung der Prothese zurück. Biomechanisch führe nicht die Außenrotation, sondern eher eine Innenrotationsfehlstellung der Femurkomponente zur Lateralisation der Kniescheibe. Bei primär korrekter Patellalage mit zentralem Gleitverhalten (im OP-Bericht dokumentiert und radiologisch gesichert) könne die Subluxation der Patella nicht auf eine fehlerhafte Erst-OP zurückgeführt werden. Vielmehr handele es sich um eine operationsimmanente Komplikation, die durch eine insuffiziente Oberschenkelmuskulatur begünstigt worden sei.
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d) Patellarückflächenersatz
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Nach seinem Operationsbericht sah der Beklagte zu 2. unter Hinweis auf ausreichend Knorpelgewebe von einem Patellarückflächenersatz ab. Die Klägerin hat dieses Vorgehen mit Blick auf die … Operation als Fehler bezeichnet. Diesen Sachvortrag griff das Landgericht schon im Beweisbeschluss vom 08.01.2014 nicht auf. Die Klägerin nahm das ohne Beanstandung hin. Die Berufung rügt insoweit keinen prozessualen Fehler (Gehörsverletzung). Der Senat interpretiert das als Fallenlassen des Sachvortrages, und zwar schon in erster Instanz.
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e) Die zementfreie Implantation, wie sie der Beklagte zu 2. vor dem Senat bekundet hat, entsprach nach den Feststellungen des Sachverständigen dem damaligen medizinischen Standard.
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3. Auch im Weiteren muss der Senat eigene Feststellungen treffen, weil die angefochtene Entscheidung Rechtsfehler offenbart und dadurch Anhaltspunkte für Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der Feststellungen des Landgerichts bietet (§ 529 I Nr. 1 ZPO).
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a) Das Landgericht hat ausgeführt, der Sachverständige habe festgestellt, dass im April 2008 keine zwingende Indikation zum Einsatz einer Kniegelenkendoprothese bestanden habe. Es komme nicht entscheidend auf das Röntgenbild oder den MRT-Befund an. Der Patient bestimme mit seinem Befinden den Operationszeitpunkt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe die Klägerin am 18.03.2008 erklärt, keine Beschwerden mehr im linken Knie haben und den Effekt der Arthroskopie nicht abwarten zu wollen. Sie wünsche die Prothese. Unter dieser Voraussetzung habe der Sachverständige die gestellte Indikation unter dem Gesichtspunkt des es der Klägerin als fehlerfrei bezeichnet. Den Wunsch der Klägerin habe der Beklagte zu 2. glaubhaft geschildert. Er habe der Klägerin auch gesagt, sie könne warten. Nach den Bekundungen des Zeugen Dr. … sei den Patienten der Gemeinschaftspraxis (stets) erklärt worden, dass der Effekt der Arthroskopie erst sechs bis acht Wochen später eintrete. Die Klägerin habe es dagegen nicht vermocht, die Kammer davon zu überzeugen, dass dies nicht stimme, obwohl sich ein entsprechender Vermerk in der vertrauenswürdigen Dokumentation des Beklagten zu 2. finde. Sie erkläre nicht, warum ihr der Beklagte zu 2. von sich aus am 18.03.2008 die Prothese als einzige Möglichkeit präsentiert haben solle und sie das einfach hingenommen habe. Die Klägerin sei doch bekannt gewesen, dass die Möglichkeit des Abwartens bestanden habe.
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Dies hält einer Nachprüfung nicht stand.
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b) Zunächst sieht das Landgericht die Darlegungs- und Beweislastverteilung nicht in Gänze richtig.
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Geht es um die Indikation des Eingriffs, ist die Klägerin darlegungs- und beweispflichtig. Mit der fehlenden Indikation wird ein Behandlungsfehler behauptet.
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Darauf beschränkte sich das Vorbringen der Klägerin aber nicht. Vor allem hat die Klägerin schon in erster Instanz darauf abgestellt, nicht ausreichend aufgeklärt worden zu sein. Für die Selbstbestimmungsaufklärung trägt die Behandlungsseite die Darlegungs- und Beweislast (BGH NJW 2012, 850, 851; 2014, 1527). Die Kammer hätte sich also fragen und diese Frage auch beantworten müssen, ob sie von einer hinreichenden Aufklärung der Klägerin im Vorfeld der Operation überzeugt ist.
- 72
c) Darüber hinaus haben beide Seiten für ihren Sachvortrag Beweis durch Vernehmung der beweispflichtigen Partei angetreten. Diese Beweisangebote hat das Landgericht unter Verstoß gegen Art. 103 I GG ignoriert. Die nach § 447 ZPO erforderliche Ermessensentscheidung blieb aus. Die Anhörung der Parteien zur Aufklärung des Sachverhalts ersetzt die beantragte Parteivernehmung nicht. Das in erster Instanz nicht ausdrücklich erteilte Einverständnis der Gegenseite musste das Landgericht zumindest zu einer Nachfrage veranlassen (a.A. Zöller/Greger, ZPO, 30. Aufl., § 447 Rdn. 2 m.w.N.). Es war nicht auszuschließen, dass die Parteien die Notwendigkeit des ausdrücklich erklärten Einverständnisses (vgl. zur vom Senat nicht geteilten Auffassung, dass schon das Schweigen als Zustimmung zu werten sei, Bechteler, in: BeckOK-ZPO, 17. Edit., § 447 Rdn. 2) übersehen hatten (§ 139 I 2 ZPO), was sich in zweiter Instanz so auch bestätigte.
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4. Die Klägerin behauptet, der Eingriff des Beklagten zu 2. sei nicht indiziert gewesen. Dies ist im Ergebnis der Beweisaufnahme unrichtig. Die Operation war relativ indiziert.
- 74
a) Zunächst kommt es für die operative Behandlungsbedürftigkeit des Kniegelenks der Klägerin nicht auf die vom Beklagten zu 2. in seinem Operationsbericht vom 22.04.2008 getroffenen Feststellungen an. Wie der Beklagte zu 2. während seiner Vernehmung eingeräumt hat, geben die dort erwähnten Befunde nicht die Verhältnisse im Kniegelenk der Klägerin wieder.
- 75
b) Der Sachverständige Dr. … hat im Schlichtungsverfahren auf Grund der präoperativen Röntgen- und MRT-Aufnahmen die Prothesenoperation eher als voreilig und damit noch nicht indiziert bezeichnet. Dennoch gelangte die Schlichtungsstelle zu einem anderen Ergebnis. Das Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen … entnimmt die Indikation des Eingriffs den arthroskopisch gesicherten II.- bis III.-gradigen Knorpelschäden im medialen und lateralen Kompartiment sowie im retropatellaren Gleitlager, der langjährigen Schmerzanamnese sowie dem Drängen der Klägerin auf die Definitiv-OP. Ebenso sieht es der gerichtliche Sachverständige, was den Senat überzeugt.
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Schon in seinem Gutachten erster Instanz hat Prof. Dr. … deutlich gemacht, dass es für den Zeitpunkt der Operation entscheidend auf den des Patienten, dessen Verlust an Lebensqualität und die Stärke der Schmerzen ankommt. Nach der objektiven Behandlungssituation litt die Klägerin unter einem Verschleiß des Gelenks. Die konservativen Therapieversuche hatten keinen Erfolg gebracht. Diese Einschätzung hat der Sachverständige dem Senat gegenüber wiederholt. Es sei der Patient, der mit seinen Schmerzen und subjektiven Empfinden den Zeitpunkt der Operation bestimme. Die objektiven Kriterien, wie die Befunde aus Röntgen- und MRT-Untersuchungen sowie der Arthroskopie seien dagegen weniger entscheidend. Nach den Feststellungen des Sachverständigen durfte der Beklagte zu 2. angesichts der Krankengeschichte mit jahrelangen persistierenden Schmerzen und erfolglos verlaufenden konservativen Behandlungen einem Wunsch der Klägerin nach endoprothetischer Versorgung nachgeben. Die Prothetik war, so der Sachverständige, unter Berücksichtigung aller Umstände relativ indiziert.
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Das gilt auch unter Beachtung der unmittelbar vorausgegangenen Arthroskopie, mit der die Bildung körpereigenen Ersatzknorpels angeregt werden sollte. Wenn die Klägerin es wünschte, musste der (eher zweifelhafte) Erfolg dieses Therapieversuchs nicht mehr abgewartet werden.
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Eine andere Methode, um der Klägerin zu helfen, gab es unter Berücksichtigung ihres Alters nach den Feststellungen des Sachverständigen nicht. Einzig möglich blieb die Schmerztherapie mit in der Handlungsfreiheit beeinträchtigenden Medikamenten. Dass diese Alternative für sie ernsthaft in Erwägung hätte gezogen werden müssen, behauptet die Klägerin nicht.
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c) Dass die Klägerin nicht den Wunsch nach der Prothese geäußert hat, lässt sich im Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen. Nach Überzeugung des Senats wurde dieser Wunsch von der Klägerin an den Beklagten zu 2. herangetragen.
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Die Klägerin hat auch gegenüber dem Senat eingeräumt, Schmerzen gehabt zu haben. Sie will allerdings nicht von sich aus auf die Prothese zu sprechen gekommen sein. Ob dies unter Berücksichtigung der Erinnerungslücken der Klägerin für sich zur Überzeugungsbildung des Senats ausreichen könnte, muss nicht geklärt werden. Der Beklagte zu 2. hat glaubhaft bekundet, mit der Klägerin - ebenso wie zuvor sein Kollege Dr. … - eine konservative Weiterbehandlung (Bewegungs- und Muskelkräftigungsübungen, Kühlung) besprochen zu haben. Dabei habe die Klägerin den Wunsch geäußert, keine Schmerzen mehr zu haben und zur Linderung der Schmerzen mit einer Prothese versorgt zu werden. Wenn jemand mit den Schmerzen nicht mehr leben könne, dann bleibe, so auch der Sachverständige, nur die Prothese. Der Beklagte zu 2. schloss aber aus, der Klägerin dies als unausweichlich und dringlich geschildert zu haben.
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Diese Bekundungen werden durch die Dokumentation in den Patientenunterlagen der Klägerin gestützt, wo der Beklagte zu 2. dies und dabei insbesondere den durch die Schmerzen motivierten Wunsch der Klägerin niedergelegt hat. Es spricht tatsächlich für die Überraschung des Beklagten zu 2. und gegen eine von ihm ausgegangene Initiative, wenn in der Dokumentation zunächst die weitere konservative Therapie vermerkt ist und dem eher ausführlich die Operation nebst den sie rechtfertigenden Umständen folgt.
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Hinzu kommt der Zeitpunkt, der es ohne ein Drängen der Klägerin nicht erwarten lässt, dass ein Facharzt den Rat zu einer Prothesenoperation erteilte oder gar auf diese hinwirkte. Denn auch nach den Bekundungen des Beklagten zu 2. war normalerweise das Ergebnis der Arthroskopie abzuwarten.
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Dies alles steht der Aussage der Klägerin und einer Überzeugungsbildung des Senats so gewichtig entgegen, dass der Beweis fehlender Indikation nicht geführt ist. Im Gegenteil, der Senat glaubt dem Beklagten zu 2. dessen Darstellung vom Verlauf des Gesprächs am 18.03.2008.
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5. Mit der von der Klägerin behaupteten unzureichenden Aufklärung hat sich das Landgericht nicht näher befasst. Gerade auch der die Einwilligung in die Behandlung enthaltene Wunsch der Klägerin, operiert zu werden, setzte eine vollständige ärztliche Selbstbestimmungsaufklärung voraus (BGH NJW 2000, 1788, 1789). Die Klägerin musste erfahren, worauf sie sich einließ. Hierfür mussten ihre Ärzte sorgen.
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a) Umfang und Intensität der Aufklärung sind von der Dringlichkeit und den mit der Behandlung verbundenen Heilungsaussichten abhängig. Je weniger dringlich nach medizinischer Indikation und den Heilungschancen in zeitlicher und sachlicher Hinsicht der Eingriff ist, desto weitgehender sind die Aufklärungspflichten in quantitativer und qualitativer Richtung (Geiß/Greiner, Rdn. C8). In der Situation der Klägerin mussten Art und Schwere der Prothesenoperation sowie die damit verbundenen Risiken und Belastungen vermittelt werden. Aufzuklären war auch über die Heilungsaussichten (KG NJW-RR 2004, 458). Bestanden mehrere gleichermaßen indizierte übliche Behandlungsmöglichkeiten, die angesichts ihrer wesentlich unterschiedlichen Risiken und Erfolgschancen eine echte Wahlmöglichkeit eröffneten, so war auch hierüber zu sprechen (BGH NJW 2005, 1718; 2014, 1529, 1530). Im Falle einer nur relativen Indikation musste zudem darüber aufgeklärt werden, dass die Möglichkeit des Abwartens oder des Nichtstuns bestand (Greiß/Greiner, Rdn. C9). Gleiches gilt für ein hohes Misserfolgsrisiko bei zweifelhafter Indikation (BGH NJW 2015, 477, 478). Im Falle einer Prothese ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass es zu einer frühzeitigen Lockerung kommen kann, die einen Revisionseingriff nach sich zieht (Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Aufl., Rdn. 842, A860, A926). Insgesamt hatten die Beklagten die Klägerin in die Lage zu versetzen, für sich unter Berücksichtigung des Für und Wider eine Art Nutzen-Risiko-Bilanz aufzustellen (Senat NJW 2015, 1969, 1970).
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An den Beweis einer in diesem Sinne ordnungsgemäßen Aufklärung durch den Arzt dürfen keine übertriebenen Anforderungen gestellt werden. Der Senat hat die besondere Situation, in der sich die Ärzte der Klägerin befanden, ebenso zu berücksichtigen, wie einen möglichen Missbrauch der Beweislast des Arztes durch den Patienten. Dabei kommt der Dokumentation eine gewisse Indizwirkung für die Aufklärung zu. Ist einiger Beweis für ein gewissenhaftes Aufklärungsgespräch erbracht, so sollte dem Arzt im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung im Einzelfall in der gebotenen Weise geschah (BGH NJW 2014, 1427 f.).
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b) Nach diesen Grundsätzen ist der Senat von der ausreichenden Aufklärung der Klägerin durch den Beklagten zu 2. und den Zeugen Dr. … im Verlaufe zweier Aufklärungsgespräche überzeugt (§ 286 I 1 ZPO).
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Das Stattfinden der Aufklärung, hier sogar in Form von zwei ärztlichen Gesprächen, geht aus der Dokumentation der Gemeinschaftspraxis hervor. Die Klägerin bestreitet zudem nicht, dass mit ihr über die Operation gesprochen wurde, ihr der Beklagte zu 2. anschließend das Aufklärungsformular nach Hause mitgab und die Klägerin dieses Formular anlässlich des zweiten Gesprächs mit dem Zeugen Dr. … unterschrieben in der Praxis zurück ließ. Die Klägerin beanstandet auch nicht die Aufklärung über die Risiken des eigentlichen Eingriffs als defizitär. Ihr geht es vordringlich um die medizinische Notwendigkeit der Prothese und die Heilungschancen. Auch darüber war die Klägerin ausreichend in Kenntnis gesetzt.
- 89
Nach den Bekundungen des Beklagten zu 2., die sich in der Dokumentation bestätigt finden und deshalb glaubhaft sind, wurde die Klägerin auf die Möglichkeit des Abwartens aufmerksam gemacht. Dies hat der Beklagte zu 2. für den Senat nachvollziehbar seiner Formulierung in den Krankenunterlagen entnommen, die Klägerin wolle nicht mehr abwarten. Ein solcher Vermerk setzt voraus, dass mit der Patientin über diese Alternative gesprochen wurde. In einer solchen Situation ermutige er die Patienten, so der Beklagte zu 2. in seiner Vernehmung, das Arthroskopieergebnis abzuwarten.
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Die konservative Therapie hatte der Zeuge Dr. … nach dem Inhalt der ärztlichen Dokumentation bereits nach der Arthroskopie mit der Klägerin erörtert. Hierzu bekundete der Zeuge, wenn er Derartiges aufgeschrieben habe, dann sei dies auch besprochen worden. Auch der Beklagte zu 2. sprach nach dem Inhalt der Patientenakte und seiner Aussage mit der Klägerin über die weiteren Schritte der konservativen Therapie. Danach wusste die Klägerin um den nicht zwingenden Charakter der Prothesenoperation. Nach der Dokumentation des Zeugen Dr. … war der Klägerin schon nach der Arthroskopie die Prothese lediglich als letzte Möglichkeit vorgestellt worden. Ansonsten könne ihr gegen die Schmerzen, so hat es der Beklagte zu 2. der Klägerin nachfolgend erklärt, nur die Prothese helfen. Das hat der Sachverständige als zutreffende Information bezeichnet. Weitere aufklärungsbedürftige Alternativen neben dem der Klägerin offenbarten Abwarten und der weiteren konservativen Therapie gab es also nicht.
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Ergänzend erhielt die Klägerin schon beim ersten Gespräch den Aufklärungsbogen ausgehändigt, den sie mit nach Hause nehmen und dort in Ruhe lesen konnte. Nach ihrer Aussage hat die Klägerin den Bogen auch zur Kenntnis genommen, bevor sie ein zweites Mal mit dem Zeugen Dr. … über die Operation sprach. Nach den Bekundungen des Beklagten zu 2. wurde in der Gemeinschaftspraxis die Patientenaufklärung regelmäßig derart zweizeitig durchgeführt. Aus dem Bogen folgt die gute, aber nicht immer positive Prognose einer Prothese. Es findet sich der ausdrückliche Hinweis auf die Möglichkeit der Frühlockerung und den dann notwendigen Austausch der Prothese. Der Zeuge Dr. … hat mit der Klägerin die Möglichkeit der Lockerung anschließend besprochen, was er handschriftlich auf dem Aufklärungsbogen vermerkte und worüber zwischen den Parteien auch kein Streit besteht. Damit war das der geplanten Behandlung auch innewohnende Risiko von Bewegungseinschränkungen ebenfalls ausreichend dargestellt (Martis/Winkhart, Rdn. A917, A2393). Für die Aufklärung über das Misserfolgsrisiko genügte die in der Information über die Lockerung zugleich enthaltene Mitteilung, dass die Operation trotz aller ärztlichen Kunst fehlschlagen und die Beschwerden dann nicht lindern, sondern ggf. verschlimmern kann (Senat NJW 2010, 1758, 1759). Ergänzendes war den Ausführungen im Aufklärungsbogen zu den Erfolgsaussichten zu entnehmen. Der Beklagte zu 2. erklärt den Patienten nach seiner glaubhaften Aussage außerdem regelmäßig, dass ein Erfolg wahrscheinlich, aber nicht zu garantieren sei. Dies impliziert natürlich, dass es nach der Operation auch weiterhin zu Schmerzen kommen kann.
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Soweit die Klägerin behauptet, man habe ihr gegenüber die Möglichkeit der Frühlockerung nicht mit ihrem Übergewicht als weiteren Risikofaktor in Verbindung gebracht, ist dies unter zwei Gesichtspunkten kein zum Erfolg der Klage führendes Vorbringen:
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i. Bei der Behauptung der Klägerin handelt es sich um ein neues Angriffsmittel im Sinne von § 531 II 1 ZPO. Neu ist das Vorbringen immer dann, wenn unter Berücksichtigung der geringen Substantiierungsanforderungen im Arzthaftungsprozess ein in erster Instanz sehr allgemein gehaltener Vortrag erstmals konkretisiert oder substantiiert wird (BGH NZV 2004, 510, 512). In erster Instanz ging es der Klägerin stets nur um die relative Indikation und die Möglichkeit des Abwartens. Eine nicht hinreichende Aufklärung über Risiken und Erfolgsaussichten wurde nicht behauptet. Mit dem jetzt vermissten Zusammenhang zwischen Frühlockerung und Übergewicht reagierte die Klägerin auch nicht auf Ausführungen des medizinischen Sachverständigen. Schon die Beklagten hatten in erster Instanz darauf hingewiesen, dass gerade bei adipösen Patienten das Risiko der Lockerung größer sei (I/114). Wenn die Klägerin daraufhin nicht vorträgt, hierauf sei sie aber pflichtwidrig nicht hingewiesen worden, war das nachlässig. Ein solches Vorbringen kann in zweiter Instanz nicht mehr zugelassen werden (§ 531 II 1 Nr. 3 ZPO). Ein Einfluss des prozessualen Vorgehens des Landgerichts im Sinne von § 531 II 1 Nrn. 1, 2 ZPO besteht insoweit nicht.
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ii. Der Beklagte zu 2. hat ausgesagt, in seiner Praxis werde regelmäßig auf den möglichen Zusammenhang zwischen den Kniebeschwerden und einem Übergewicht hingewiesen. Konservativ werde zunächst auf die Reduzierung des Gewichts hingearbeitet. Er weise bei Prothesenpatienten auf den Zusammenhang zwischen Übergewicht und der Frühlockerung hin. Ob der Beklagte zu 2. dies auch bei der Klägerin tat, woran er sich nicht mehr erinnern konnte, kann dahinstehen. Aus der Dokumentation des Zeugen Dr. … zum Gespräch nach der Arthroskopie ergibt sich, dass mit der Klägerin im Hinblick auf die weitere Therapie über ihr Übergewicht gesprochen wurde, das zu reduzieren sei. Damit war der negative Einfluss der Körpermasse auf das Kniegelenk und die dortige Schmerzentwicklung deutlich gemacht. Die Klägerin konnte nicht ernsthaft annehmen, für eine Prothese würde das nicht gelten. Wenn nicht eine Lockerung, dann war aus Laiensicht zumindest ein übermäßiger Verschleiß des künstlichen Gelenks in Betracht zu ziehen, der ebenso einen vorzeitigen Austausch der Prothese bedeutete.
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Die Aussage der Klägerin steht der Überzeugung des Senats von der Richtigkeit der Bekundungen des Beklagten zu 2. und damit von der ordnungsgemäßen Aufklärung über alle für die selbstbestimmte Einwilligung in die Operation maßgeblichen Umstände nicht entgegen. Der Senat hält es für wenig nachvollziehbar und daher unglaubhaft, dass sich die Klägerin angesichts der gerade stattgefundenen Arthroskopie, deren erste Auswirkungen in Form eines Schmerzes ihr aus der gleichgelagerten Vorbehandlung bereits bekannt waren, ohne nähere ärztliche Informationen, ohne und nur auf Initiative des sie unerwartet darauf ansprechenden Beklagten zu 2. in das Krankenhaus der Beklagten zu 1. begab, um sich ein künstliches Kniegelenk einsetzen zu lassen. Wissenslücken machen dies nicht plausibler.
III.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10; 711 1, 2; 709 2 ZPO.
- 97
Die Revision lässt der Senat nicht zu. Die Sache wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung auf und weder die Fortbildung des Rechts noch die Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung erfordern die Entscheidung des Revisionsgerichts.
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Referenzen
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- BGB § 823 Schadensersatzpflicht 1x
- ZPO § 139 Materielle Prozessleitung 1x
- ZPO § 531 Zurückgewiesene und neue Angriffs- und Verteidigungsmittel 3x
- ZPO § 711 Abwendungsbefugnis 1x
- ZPO § 529 Prüfungsumfang des Berufungsgerichts 2x
- ZPO § 513 Berufungsgründe 2x
- BGB § 280 Schadensersatz wegen Pflichtverletzung 1x
- BGB § 278 Verantwortlichkeit des Schuldners für Dritte 1x
- ZPO § 447 Vernehmung der beweispflichtigen Partei auf Antrag 1x
- ZPO § 708 Vorläufige Vollstreckbarkeit ohne Sicherheitsleistung 1x
- ZPO § 97 Rechtsmittelkosten 1x