Beschluss vom Oberlandesgericht Naumburg (3. Senat für Familiensachen) - 4 UF 64/17

Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Halberstadt vom 02. Juni 2017, Az.: 8 F 158/17 EAHK, wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 1.500,00 € festgesetzt.

Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

1

Der Antragsteller und die Antragsgegnerin sind die Eltern des am 25. Februar 2011 geborenen Kindes L. A. , dessen Herausgabe der Antragsteller im Wege der einstweiligen Anordnung gegenüber der Antragsgegnerin geltend macht. Das Kind lebt seit der Trennung der Eltern im Februar 2015 im Haushalt der Mutter. Die am 08. August 2011 geschlossene Ehe der Eltern ist inzwischen geschieden.

2

Die Eltern haben am 25. Januar 2016 eine schriftliche Vereinbarung getroffen, wonach L. im Haushalt der Mutter verbleibt unter der Bedingung, dass dem Vater angemessener Umgang gewährt wird.

3

Zwischen den Eltern sind die Ausübung der elterlichen Sorge und das Umgangsrecht seit längerem streitig. Diesbezüglich waren und sind beim Familiengericht Halberstadt mehrere Verfahren anhängig, u. a. das Verfahren mit dem Az. 8 F 943/15 SO, in welchem die Eltern insbesondere über die Frage streiten, wer das Aufenthaltsbestimmungsrecht für L. künftig ausüben darf. In diesem Verfahren hat das Familiengericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeordnet.

4

Nachdem der Antragsteller bereits mit Antrag vom 06. März 2016 in dem Verfahren 8 F 147/16 EAHK die einstweilige Herausgabe des Kindes begehrt hatte, den der Senat mit am 14. Dezember 2016 erlassenen Beschluss, Az.: 4 F 51/16 (EAO), zurückgewiesen hat, hat er am 10. April 2017 erneut im Wege der einstweiligen Anordnung die Kindesherausgabe beantragt. Er hat vorgetragen, dass die Antragsgegnerin seit Monaten die gerichtlich geregelten Umgangskontakte verweigere und das Kind manipuliere, was zu einer Entfremdung des Kindes von seinen engsten Bezugspersonen, nämlich seinem Vater und ihren Geschwistern, führe.

5

Mit Beschluss vom 11. April 2017 (Bl. 31-34 d. A.) hat das Familiengericht den Antrag ohne mündliche Erörterung zurückgewiesen. Auf Antrag des Kindsvaters vom 15. April 2017 (Bl. 37 d. A.) hat es am 29. Mai 2017 mündlich verhandelt und die Eltern sowie den Vertreter des Jugendamtes angehört (Bl. 75/76 d. A.).

6

Mit Beschluss vom 02. Juni 2017 (Bl. 86-88 d. A.) hat das Familiengericht den Beschluss vom 11. April 2017 aufrechterhalten. Grundsätzlich bestehe gem. § 1632 Abs. 1 BGB bei gemeinsamer elterlicher Sorge ein Herausgabeanspruch gegen den anderen Elternteil nur im Falle eines widerrechtlichen Vorenthaltens, welcher nicht vorliege. Der Umstand, dass in der Vergangenheit kein Umgang, gleichwohl aus welchen Gründen, stattgefunden habe, rechtfertige die Herausgabe nicht. Die Antragsgegnerin gewähre dem Antragsteller - nach Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen sie - wieder Umgang mit dem Kind. Im Übrigen habe bei Verweigerung des Umgangs die ggf. zwangsweise Vollstreckung des gerichtlichen Umgangstitels Vorrang vor einer Herausgabeanordnung. Erst wenn deren Erfolglosigkeit feststehe, sei ein Herausgabeanspruch ernsthaft in Erwägung zu ziehen.

7

Gegen diese Entscheidung richten sich die Beschwerdeschriften des Antragstellers vom 09. und 12. Juni 2017, welcher seinen erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft und darüber hinaus rügt, dass das Familiengericht verfahrensfehlerhaft dem Kind keinen Verfahrensbeistand bestellt und es auch nicht angehört habe.

II.

8

Die Beschwerde des Antragstellers ist gem. §§ 57 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2, 58 ff. FamFG zulässig. In der Sache bleibt sie ohne Erfolg. Das Amtsgericht hat das Herausgabeverlangen des Antragstellers gem. § 1632 Abs. 1 BGB im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen.

9

1. Die Vorschrift des § 1632 BGB räumt den Eltern, die als Inhaber der Personensorge die Pflicht und das Recht haben, den Aufenthalt des Kindes zu bestimmen, einen Herausgabeanspruch ein, wenn ihnen das Kind widerrechtlich vorenthalten wird. Der Anspruch kann sowohl gegenüber Dritten als auch gegenüber dem anderen Elternteil geltend gemacht werden. Anders als das gegen Dritte gerichtete Herausgabeverlangen ist der Elternstreit um die Herausgabe jedoch strukturell stets ein Konflikt um einen Bestandteil der elterlichen Sorge zwischen aktuell oder zumindest potentiell (z. B. §§ 1680, 1681, 1626a Abs. 1 und 2, 1671 BGB) gleichermaßen Berechtigten (Huber, MK-BGB, 7. Aufl., § 1632, Rn 24). Daraus folgt, dass bei gemeinsamer Ausübung der elterlichen Sorge gem. § 1671 Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz BGB, die auch die Aufenthaltsbestimmung umfasst, der eine Elternteil keinen Herausgabeanspruch gegenüber dem anderen hat (Staudinger/Salgo, BGB, 2015, § 1632, Rn 10; Erman/Döll, BGB, 14. Aufl., § 1632, Rn 9; Prütting/Wegen/Weinreich/Ziegler, BGB, 11. Aufl., § 1632, Rn 1; OLG Nürnberg, FamRZ 2000, 369), denn der das Kind vorenthaltende Elternteil handelt nicht "widerrechtlich" im Sinne von § 1632 Abs. 1 BGB. Der Grund dafür liegt darin, dass bei gemeinsamem Aufenthaltsbestimmungsrecht auch das einseitige Rückführungsverlangen gegen den Grundsatz der gemeinsamen Ausübung verstoßen würde. Es entsteht also eine "widerrechtliche Patt-Situation", die grundsätzlich nur durch eine Sorgerechtsentscheidung gelöst werden kann (Huber, MK-BGB, a.a.O. , Rn 25).

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An diesen Maßstäben gemessen steht dem Antragsteller ein Herausgabeanspruch gegenüber der Antragsgegnerin nicht zu, denn er übt die elterliche Sorge für das minderjährige Kind gemeinsam mit der Antraggegnerin aus und kann deshalb nicht die Herausgabe des Kindes von der Antragsgegnerin verlangen.

11

2. Auch eine Auslegung des Antrages des Antragstellers dahingehend, dass auch die einstweilige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts begehrt wird, wofür nicht nur spricht, dass der Streit um die Herausgabe - wie bereits ausgeführt - strukturell stets ein Konflikt um die elterliche Sorge ist, sondern auch, dass der Antragsteller zur Begründung seines Herausgabeverlangens eine missbräuchliche Ausübung der elterlichen Sorge und daraus resultierende Gefährdung des Kindeswohls geltend macht, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gem. § 49 Abs. 1 FamFG liegen nicht vor.

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Einstweilige Anordnungen können gemäß § 49 FamFG ergehen, wenn sie nach den für das Rechtsverhältnis maßgebenden Vorschriften gerechtfertigt sind und ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges gerichtliches Einschreiten besteht. Das dringende Bedürfnis für ein unverzügliches Einschreiten setzt voraus, dass ein Abwarten bis zur Beendigung der notwendigen Ermittlungen und damit bis zur endgültigen Entscheidung nicht möglich erscheint, weil diese Entscheidung zu spät kommen könnte und die Interessen des Kindes nicht mehr genügend wahren würde (Keidel/Giers, FamFG, 18. Aufl., § 49, Rn 13 m. w. N.). Davon kann vorliegend gegenwärtig nicht ausgegangen werden.

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Der Aufenthalt des Kindes im Haushalt der Antragsgegnerin, wo das Kind seit der Trennung der Eltern im Februar 2015 durchgängig lebt, beeinträchtigt sein Wohl auch unter Berücksichtigung der sich in den zurückliegenden Monaten ergebenen Einschränkungen beim Umgang sowie der vom Vater behaupteten Instrumentalisierung des Kindes im Elternstreit durch die Antragsgegnerin nicht derartig nachhaltig, dass eine einstweilige Sorgerechtsregelung zugunsten des Antragstellers zu erlassen wäre. Das Kind erfährt bei der Mutter die notwendige Kontinuität im Lebensfeld. Die vom Antragsteller ins Feld geführten Probleme bei der Umsetzung des Umgangs begründen ein derartiges Eilbedürfnis nicht. Das Umgangsrecht des Antragstellers ist gerichtlich tituliert und kann durch Ordnungsmittel gem. § 89 FamFG durchgesetzt werden. Derartige Maßnahmen sind vom Antragsteller auch bereits ergriffen worden. Auf seine Anträge hin hat das Familiengericht Ordnungsgelder gegen die Antragsgegnerin festgesetzt; dagegen gerichtete Beschwerden der Antragsgegnerin hat der Senat zurückgewiesen. Darauf hat die Antragsgegnerin zwar ihre grundsätzliche Sicht der Dinge, dass der Umgang dem Kind schade, nicht geändert, jedoch Umgang mit dem Antragsteller zugelassen, so dass auch Umgangskontakte wieder stattfanden. Alles Übrige, auch die vom Antragsteller behauptete Instrumentalisierung des Kindes durch die Mutter, verlangt weitere Aufklärung im Rahmen des beim Familiengericht anhängigen Hauptsacheverfahrens zur elterlichen Sorge, Az. 8 F 943/15 SO, was dem Erlass einer einstweiligen Anordnung entgegensteht.

14

3. Sofern der Vorwurf des Antragstellers zutreffen sollte, dass das Familiengericht dieses Verfahren nicht ausreichend fördert, dürften sachdienliche verfahrensfördernde Maßnahmen, insbesondere im Rahmen des angeordneten Sachverständigenbeweises zu ergreifen sein, denn zwischen den Eltern besteht ein nachhaltiger und tiefgreifender Elternkonflikt, in dem L. zunehmend zerrissen wird, weil beide Elternteile nicht bereit sind, das Kind aus ihrem Konflikt herauszuhalten.

III.

15

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 51 Abs. 4, 82, 84 FamFG.

16

Die Verfahrenswertfestsetzung ergeht gem. §§ 55 Abs. 2, 40 Abs. 1 Satz 1 und 2, 41 und 45 Abs. 1 Nr. 4 FamGKG.

17

Da dem Rechtsmittel des Antragstellers kein Erfolg verbeschieden ist, ist sein Verfahrenskostenhilfegesuch für das Beschwerdeverfahren zurückzuweisen, §§ 76 Abs. 1 FamFG, 114 Abs. 1 ZPO.

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gez. Krause              gez. Grimm               gez. Sauer


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