Urteil vom Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht (5. Zivilsenat) - 5 U 24/17

Gründe

1

Sachverhalt:

2

Die Parteien streiten um den vom Kläger am 3. Dezember 2015 erklärten Widerruf eines am 13. April 2007 geschlossenen und noch valutierenden Verbraucherdarlehensvertrags.

3

Im ersten Rechtszug hat der Kläger beantragt,

1.

4

festzustellen, dass der zwischen den Parteien am 13.04.2007 geschlossene Darlehensvertrag Nr. xxx über nominell 142.000 € aufgrund des Widerrufs des Klägers vom 03.12.2015 nicht mehr besteht und dass der Beklagte ab dem Wirksamwerden des Widerrufs für die noch überlassene Restvaluta keine Zinsen oder Nutzungen mehr zustehen.

2.

5

Es wird festgestellt, dass die Beklagte sämtliche Zahlungen, die der Kläger auf das Darlehens zwischen den Parteien mit der Kontonummer xxx getätigt hat, in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verzinsen hat, seit dem jeweiligen Zahlungsdatum bis zum Wirksamwerden des Darlehenswiderrufs.

3.

6

7

Das Landgericht hat der Klage überwiegend stattgegeben. Die Feststellungsklage sei zulässig. Der Kläger habe seine Willenserklärung noch widerrufen können, weil die Beklagte eine unzureichende Belehrung verwendet habe und sich nicht auf die Gesetzlichkeitsfiktion berufen könne. Die Ausübung des Widerrufsrechts sei nicht rechtsmissbräuchlich oder verwirkt. Ab dem Wirksamwerden des Widerrufs habe die Beklagte keinen Zinsanspruch für die Restvaluta mehr, weil sie sich in Annahmeverzug befunden habe. Die vom Kläger geleisteten Zins- und Tilgungsleistungen habe die Beklagte mit 2,5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Ein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren stehe dem Kläger nicht zu.

8

Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte gegen die Auffassung des Landgerichts, ihr stünden für die Restvaluta keine Zinsen mehr zu, sowie gegen die Höhe des von ihr geschuldeten Nutzungsersatzes.

9

Mit Verfügung des Vorsitzenden vom 8. März 2017, die dem Klägervertreter in beglaubigter Abschrift am 13. März 2017 zugestellt worden ist, ist dem Kläger eine Frist zur Berufungserwiderung bis zum 7. April 2017 gesetzt worden. Mit Schriftsatz vom 6. April 2017 hat der Kläger auf die Berufung erwidert und deren Zurückweisung beantragt. Mit Schriftsatz vom 18. April 2017 hat er Hilfsanträge gestellt, die er nach Hinweis des Senats vom 24. Mai 2017 mit Schriftsatz vom 2. Juni 2016 geändert hat.

10

Neben der Berufungszurückweisung beantragt der Kläger in der Berufungsinstanz hilfsweise:

11

1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 79.811,37 EUR (Summe sämtlicher Zins- und Tilgungsleistungen bis zur Frist im Widerruf sowie Nutzungsentschädigung) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.12.2015 Zug-um-Zug gegen Zahlung von 189.459,45 EUR (Nettodarlehensbetrag zzgl. marktüblicher Zins) zu zahlen.

12

Hilfsweise, für den Fall, dass dem Hilfsantrag zu 2) stattgegeben wird:

13

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 69.270,18 EUR (Summe sämtlicher Zins- und Tilgungsleistungen bis zur Frist im Widerruf sowie Nutzungsentschädigung) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 03.12.2015 Zug-um-Zug gegen Zahlung von 189.459,45 EUR (Nettodarlehensbetrag zzgl. marktüblicher Zins) zu zahlen.

14

2.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, sämtliche seit dem 04.12.2015 auf das Darlehen Nr. … erbrachten Zahlungen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zurückzuerstatten.

15

3.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 89,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 07.04.2017 zu zahlen.

16

4.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 2.251,48 Euro für außergerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

17

Aus den Gründen:

18

Die zulässige Berufung hat zum Teil Erfolg.

A.

19

Die Klage ist nur zum Teil zulässig.

1.

20

Die Klage ist mit ihren auf Feststellung gerichteten Anträgen zu 1) und 2) nur zum Teil zulässig.

a)

21

Der Feststellungsantrag zu 1) ist insoweit zulässig, als er im konkreten Fall dahin auszulegen ist, der Kläger leugne Ansprüche der Beklagten nach § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB ab dem Entstehen des Rückgewährschuldverhältnisses.

aa)

22

Die Auslegung prozessualer Erklärungen darf nicht am buchstäblichen Sinn des Ausdrucks haften, sondern hat den wirklichen Willen der Partei zu erforschen. Bei der Auslegung von Prozesserklärungen ist der Grundsatz zu beachten, dass im Zweifel dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der wohlverstandenen Interessenlage entspricht (BGH, Urteil vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, Rn. 11 mwN).

23

Der Kläger beantragt im zweiten Teil seines Feststellungsantrags zu 1) ausdrücklich die Feststellung, dass der Beklagten ab dem Wirksamwerden des Widerrufs für die noch überlassene Restvaluta keine Zinsen oder Nutzungen mehr zustehen. Damit hat er deutlich gemacht, dass er der Beklagten ab dem Wirksamwerden des Widerrufs die Ansprüche aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB abspricht.

bb)

24

Für diesen vom Kläger gestellten Feststellungsantrag besteht ein Feststellungsinteresse.

25

Ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen Feststellung des Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses ist in der Regel gegeben, wenn der oder die Beklagte sich eines Anspruchs gegen die klägerische Partei berühmt. In diesem Fall kommt es nicht darauf an, ob der oder die Beklagte behauptet, bereits jetzt eine durchsetzbare Forderung gegenüber der klägerischen Partei zu besitzen. Die Rechtsstellung der klägerischen Partei ist schutzwürdig betroffen, wenn der oder die Beklagte geltend macht, aus dem bestehenden Rechtsverhältnis könne sich unter bestimmten Voraussetzungen ein Anspruch gegen die klägerische Partei ergeben. § 256 ZPO ermöglicht sogar die Feststellung eines betagten oder bedingten Rechtsverhältnisses (BGH, Urteil vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, Rn. 15 mwN). Da die Beklagte die Wirksamkeit des Widerrufs bestreitet, zielt ihre Bestandsbehauptung auf das Fortbestehen vertraglicher Erfüllungsansprüche gegen den Kläger aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB.

26

Der Kläger muss sich auch nicht vorrangig darauf verweisen lassen, gegen die Beklagte im Wege der Leistungsklage nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB vorzugehen. Insoweit liegt dieser Fall anders als die Fälle, in denen der Klageantrag auf die positive Feststellung gerichtet ist, der Darlehensvertrag habe sich aufgrund des Widerrufs der auf seinen Abschluss gerichteten Willenserklärung des Verbrauchers oder der Verbraucherin in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt (vgl. dazu sogleich unten sowie BGH, Urteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, Rn. 13 ff.; Urteil vom 14. März 2017 - XI ZR 442/16, Rn. 19). Der Vorrang der Leistungsklage gilt unter den vom Bundesgerichtshof näher ausgeführten Umständen für das Begehren auf positive Feststellung, der Verbraucherdarlehensvertrag habe sich in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, das sich wirtschaftlich mit dem Interesse an der Rückgewähr der auf den Verbraucherdarlehensvertrag erbrachten Leistungen deckt (BGH, Urteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, Rn. 21) und ohne entsprechenden Zusatz nicht als negative Feststellungsklage im Sinne der vom Kläger hier erhobenen ausgelegt werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, Rn. 16). Das hier zur Entscheidung gestellte Begehren festzustellen, dass die Beklagte gegen den Kläger aufgrund des Widerrufs keine Ansprüche (mehr) aus § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB hat, lässt sich dagegen mit einer Klage auf Leistung aus § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB nicht abbilden (vgl. BGH, Urteil vom 16. Mai 2017 - XI ZR 586/15, Rn. 16).

b)

27

Im Übrigen sind die Feststellungsanträge zu 1) und 2) dagegen unzulässig.

28

Soweit der Antrag zu 1) auf die Feststellung zielt, dass sich der Darlehensvertrag aufgrund des Widerrufs in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt hat, scheitert er am Vorrang der Leistungsklage. Dasselbe gilt für den Antrag zu 2). Sämtliche Voraussetzungen unter denen die Leistungsklage Vorrang hat, sind gegeben, so dass die Feststellungsklage unzulässig ist.

29

Eine Leistungsklage ist dem Kläger - wie die Hilfsanträge zeigen - möglich. Er kann die Beklagte auf Zahlung aus § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF i. V. m. §§ 346 ff. BGB in Anspruch nehmen. Dem steht nicht entgegen, dass - die Umwandlung der Darlehensverträge in Rückgewährschuldverhältnisse unterstellt - eine „Saldierung“ der aus § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF i. V. m. §§ 346 ff. BGB resultierenden wechselseitigen Ansprüche nicht zu einem Überschuss zu Gunsten des Klägers führte. Wechselseitige Ansprüche nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF i. V. m. §§ 346 ff. BGB unterliegen keiner automatischen Verrechnung (BGH, Urteil vom 10. März 2009 - XI ZR 33/08, Rn. 19 f.; Beschluss vom 22. September 2015 - XI ZR 116/15, Rn. 7; Beschluss vom 12. Januar 2016 - XI ZR 366/15, Rn. 16; Urteil vom 24. Januar 2017 - XI ZR 183/15, Rn. 13; Versäumnisurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, Rn. 18). Bis zur Aufrechnung hat der Kläger einen Zahlungsanspruch auf Rückgewähr der von ihm auf die Darlehensverträge erbrachten Leistungen, den er im Wege der Leistungsklage geltend machen kann.

30

Eine Leistungsklage ist dem Kläger auch zumutbar. Ihm ist - wie seine nunmehr gestellten Hilfsanträge zeigen - die Ermittlung der von ihm erbrachten Leistungen, die er nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF in Verbindung mit §§ 346 ff. BGB zurückverlangen kann (Antrag zu 1), ohne weiteres möglich. Soweit er von der Beklagten Nutzungsersatz auf von ihm erbrachte Zins- und Tilgungsleistungen beansprucht (Antrag zu 2), kann er sich auf die widerlegliche Vermutung berufen, die Beklagte habe Nutzungen in Höhe von zweieinhalb Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gezogen (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15, Rn. 58; Urteil vom 24. Januar 2017 - XI ZR 183/15, Rn. 14; Versäumnisurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, Rn. 19).

31

Eine Leistungsklage erschöpft das Feststellungsziel des Klägers. Das Begehren, die Umwandlung eines Verbraucherdarlehensvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis feststellen zu lassen, deckt sich in Fällen wie dem vorliegenden, dem kein verbundener Vertrag zugrunde liegt, wirtschaftlich mit dem Interesse an der Rückgewähr der auf den Verbraucherdarlehensvertrag erbrachten Leistungen (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2016 - XI ZR 366/15, Rn. 5 ff.; Urteil vom 24. Januar 2017 - XI ZR 183/15, Rn. 15; Versäumnisurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, Rn. 21). Nur auf den Austausch dieser Leistungen ist das Rückgewährschuldverhältnis gerichtet. Es unterscheidet sich darin maßgeblich vom Verbraucherdarlehensvertrag selbst, der als Dauerschuldverhältnis eine Vielzahl in die Zukunft gerichteter Pflichten statuiert, die durch den Austausch von Zahlungen nicht vollständig abgebildet werden können. Deshalb geht das Feststellungsinteresse des Klägers wirtschaftlich in einer auf die § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF i. V. m. §§ 346 ff. BGB gestützten Leistungsklage vollständig auf (BGH, Versäumnisurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, Rn. 21).

32

Hier ist die Leistungsklage nicht abweichend von der Regel ausnahmsweise zulässig, weil im konkreten Fall gesichert wäre, dass der Rechtsstreit die Meinungsverschiedenheiten der Parteien endgültig bereinigte (vgl. zu einem solchen Fall BGH, Urteil vom 24. Januar 2017 - XI ZR 183/15, Rn. 16 mwN). Denn die Parteien streiten auch über die Höhe der Ansprüche aus dem Rückabwicklungsschuldverhältnis (so auch in BGH, Urteil vom 14. März 2017 - XI ZR 442/16, Rn. 19).

c)

33

Die Feststellungsanträge gemäß Antrag zu 1) und zu 2) sind auch nicht als Zwischenfeststellungsklagen (§ 256 Abs. 2 ZPO) zulässig.

34

Die Zwischenfeststellungsklage ist zulässig, wenn die Feststellung des Rechtsverhältnisses für die Entscheidung des Rechtsstreits vorgreiflich ist, also ohnehin darüber befunden werden muss, ob das streitige Rechtsverhältnis besteht, es sei denn, über die Hauptsache wird unabhängig vom Bestand des streitigen Rechtsverhältnisses entschieden (BGH, Urteil vom 2. Juli 2007 - II ZR 111/05, Rn. 17; Urteil vom 23. April 2013 - II ZR 74/12, Rn. 28). Bei der Zwischenfeststellungsklage macht die Vorgreiflichkeit das sonst für die Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse entbehrlich (BGH, Urteil vom 23. April 2013 - II ZR 74/12, Rn. 29).

35

Hier gibt es neben dem Feststellungsbegehren indes keine Hauptsache, wegen der ohnehin darüber befunden werden müsste, ob das streitige Rechtsverhältnis besteht. Die auf Zahlung gerichteten Anträge sind lediglich hilfsweise gestellt.

2.

36

Die im Berufungsrechtszug erstmals gestellten Hilfsanträge sind unzulässig. Mit den Hilfsanträgen zu 1), zu 2) und zu 3) wird die Klage erweitert (a). Zum Zwecke der Klagerweiterung hätte der Kläger fristgemäß Anschlussberufung einlegen müssen, was er versäumt hat (b). Der Zulässigkeit des Hilfsantrags zu 4) steht die materielle Rechtskraft entgegen (c).

a)

37

Mit den Hilfsanträgen zu 1), zu 2) und zu 3) erweitert der Kläger die Klage.

aa)

38

Die nachträgliche Stellung eines Hilfsantrags ist eine objektive Klagehäufung, auf die die Vorschriften über die Klageänderung nach §§ 533, 263, 264 ZPO entsprechend anwendbar sind (BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 - I ZR 127/13, Rn. 13).

39

Der Streitgegenstand wird durch den Klageantrag, in dem sich die von der klägerischen Partei in Anspruch genommene Rechtsfolge konkretisiert, und den Lebenssachverhalt (Anspruchsgrund) bestimmt, aus dem die klägerische Partei die begehrte Rechtsfolge ableitet. Eine Klageänderung liegt vor, wenn der Klageantrag oder der Klagegrund ausgewechselt wird (BGH, Urteil vom 29. Juni 2006 - I ZR 235/03, Rn. 15; Beschluss vom 29. September 2011 - IX ZB 106/11, Rn. 11).

40

Anträge, die auf die Feststellung gerichtet sind, ein Verbraucherdarlehensvertrag habe sich in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt, betreffen nur dieses Rückgewährschuldverhältnis. In diesem sind nach § 357 Abs. 1 Satz 1 BGB aF i. V. m. §§ 346 ff. BGB die bis zum Zugang der Widerrufserklärung ausgetauschten Leistungen zurückzugewähren. Mit der Umwandlung des Verbraucherdarlehensvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis tritt, was den Rechtsgrund der Ansprüche des Widerrufenden betrifft, eine Zäsur ein. Werden danach Zins- und Tilgungsleistungen an die Darlehensgeberin erbracht, richtet sich der Anspruch auf Rückgewähr nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1, § 814 BGB (BGH, Beschluss vom 10. Januar 2017 - XI ZB 17/16), da die primären Leistungspflichten aus dem Verbraucherdarlehensvertrag entfallen sind (BGH, Versäumnisurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, Rn. 20).

41

Vorliegend wird der Streitgegenstand durch die erstmals im Berufungsrechtszug gestellten Hilfsanträge geändert, weil diese auch die Zeit nach dem Widerruf miteinbeziehen. Ein in dieser Weise erweiterter Antrag ist prozessual - im Sinne des § 264 Nr. 2 ZPO - ein aliud; seine Begründung hängt nunmehr von tatsächlichen Voraussetzungen ab, die zuvor nicht zum Inhalt des Antrags erhoben worden waren (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 2006 - I ZR 235/03, Rn. 16). Das bisherige Begehren ist nicht bloßes inhaltsgleiches Minus des neuen Begehrens (vgl. Bacher in: BeckOK, ZPO, Stand 1. März 2017, § 264 Rn. 5).

bb)

42

Zu den Hilfsanträgen im Einzelnen:

43

Mit dem Hilfsantrag zu 1) verlangt der Kläger Rückzahlung aller bis zum 30. April 2017, also auch nach dem Widerruf geleisteter Zins- und Tilgungsraten (nur hilfsweise verlangt er lediglich die bis zum Widerruf geleisteten Raten); darüber hinaus macht er Nutzungswertersatz nicht nur bis zum Widerruf, sondern bis zum 30. April 2017 geltend. Die Rückgewähr der nach dem Wirksamwerden des Widerrufs geleisteten Zins- und Tilgungsraten sowie der darauf verlangte Nutzungswertersatz richten sich jedoch nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 BGB (vgl. BGH, Versäumnisurteil vom 21. Februar 2017 - XI ZR 467/15, Rn. 20) und waren in den erstinstanzlich allein gestellten Feststellungsanträgen nicht enthalten.

44

Die mit dem Hilfsantrag zu 2) verlangte Feststellung betrifft die nach dem Widerruf geleisteten Zins- und Tilgungsraten sowie den von der Beklagten geschuldeten Wertersatz. Der für nach Widerruf geleistete Zins- und Tilgungsraten geschuldete Wertersatz war bislang nicht Streitgegenstand.

45

Der Hilfsantrag zu 3) erweitert die Klage auf die in zweiter Instanz angefallenen Gutachterkosten.

b)

46

Der Kläger hat die für die Hilfsanträge erforderliche Anschlussberufung nicht wirksam eingelegt.

aa)

47

Zweck der Anschlussberufung ist es, diejenige Partei zu schützen, die in Unkenntnis des Rechtsmittels der Gegenpartei trotz eigener Beschwer die Rechtsmittelfrist im Vertrauen auf den Bestand des Urteils verstreichen lässt (Heßler in: Zöller, ZPO, 31. Aufl. 2016, § 524 Rn. 1). Darüber hinaus soll die Anschlussberufung prozessuale Waffengleichheit schaffen, indem sie den Berufungsbeklagten in den Stand setzt, auf eine Berufung der Gegenpartei ohne verfahrensrechtliche Fesseln reagieren und die Grenzen der neuen Verhandlung mitbestimmen zu können (BGH, Urteil vom 28. März 1984 - IVb ZR 58/82, juris Rn. 5; Urteil vom 7. Mai 2015 - VII ZR 145/12, Rn. 27). Will er die Grenzen neu bestimmen und sich nicht auf die Abwehr der Berufung beschränken, kann er dies grundsätzlich nur im Wege der Anschlussberufung erreichen (BGH, Urteil vom 7. Mai 2015 - VII ZR 145/12, Rn. 27).

48

Dementsprechend muss sich die in erster Instanz obsiegende klägerische Partei nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der Berufung der Gegenseite anschließen, wenn sie eine Klageerweiterung vornehmen oder neue Ansprüche einführen und sich damit nicht nur auf die Abwehr der Berufung beschränken will. Danach ist auch im Fall der Klageerweiterung gemäß § 264 Nr. 2 ZPO die Einlegung einer Anschlussberufung erforderlich (BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 - I ZR 127/13, Rn. 12; Urteil vom 7. Mai 2015 - VII ZR 145/12, Rn. 28, jeweils mwN; Gerken in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl. 2014, § 524 Rn. 7).

bb)

49

Ist die Einlegung einer Anschlussberufung erforderlich, ist nach dem Wortlaut des Gesetzes die Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO zu beachten (BGH, Urteil vom 7. Mai 2015 - VII ZR 145/12, Rn. 31). Sinn und Zweck der gesetzlichen Fristenregelung des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO rechtfertigen im vorliegenden Fall keine abweichende Beurteilung.

50

Vor dem Hintergrund der Gesetzgebungsgeschichte (siehe dazu im Detail BGH, Urteil vom 7. Mai 2015 - VII ZR 145/12, Rn. 32) ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang eine Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Wege der teleologischen Reduktion sowohl für klageerweiternde als auch für klageändernde Anschlussberufungen abgelehnt worden (BGH, Urteil vom 12. März 2009 - VII ZR 26/06, Rn. 22; Urteil vom 7. Dezember 2007 - V ZR 210/06, Rn. 17 ff.; Urteil vom 7. Mai 2015 - VII ZR 145/12, Rn. 32).

51

Ob demgegenüber nach Sinn und Zweck sowie unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Gebots der prozessualen Waffengleichheit in besonderen Fällen Ausnahmen von der Befristung zuzulassen sind, wenn die Anschlussberufung eine Reaktion auf eine nach Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung oder gar erst nach Ablauf der Anschlussberufungsfrist eingetretene Veränderung der Umstände ist, hat der Bundesgerichtshof bislang nicht entschieden (vgl. BGH, Urteil vom 7. Mai 2015 - VII ZR 145/12, Rn. 32). Diese Frage kann auch hier dahinstehen. Ein solcher Fall liegt nicht vor. Die in der obergerichtlichen Rechtsprechung über lange Zeit anerkannte Zulässigkeit positiver Feststellungsklagen nach dem Widerruf von Verbraucherdarlehensverträgen hat der Bundesgerichtshof zwar ausdrücklich erst nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils am 17. Februar 2017 mit seinem Versäumnisurteil vom 21. Februar 2017 (XI ZR 467/15) korrigiert. Diese Korrektur war indes nicht nur bereits nach der Pressemitteilung Nr. 20/17 vom 21. Februar 2017 absehbar, sondern zeichnete sich schon in der Entscheidung vom 12. Januar 2016 ab (BGH, Beschluss vom 12. Januar 2016 - XI ZR 366/15, Rn. 12: „Der Kläger kann und hat die Hauptforderung zu beziffern“). Überdies hat die Beklagte ihre Berufung ausdrücklich auf die Unzulässigkeit der Feststellungsklage gestützt, so dass es dem Kläger möglich und auch zumutbar gewesen wäre (vgl. zur Zumutbarkeit der Anschlussberufung auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 9. Januar 2006 - 1 BvR 2483/05, juris Rn. 10), innerhalb der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO die Klagerweiterung im Wege der Anschlussberufung geltend zu machen. Das gilt selbst unter Berücksichtigung des Umstands, dass die Entscheidungsgründe im Verfahren XI ZR 467/15 erst am 28. April 2017 und damit nach Ablauf der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO auf der Internetseite des Bundesgerichtshofs verfügbar waren.

cc)

52

Für die als Anschlussberufung zu wertende Klageerweiterung war mithin die Einhaltung der Frist des § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO erforderlich. Diese Frist hat der Kläger nicht gewahrt.

53

Die Anschlussberufung ist gemäß § 524 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässig bis zum Ablauf der dem Berufungsbeklagten gesetzten Frist zur Berufungserwiderung. Diese Frist lief am 7. April 2017 ab. Die als Anschlussberufung auszulegenden Hilfsanträge sind erst im Schriftsatz vom 18. April 2017 enthalten. Innerhalb der Berufungserwiderungsfrist ist mit Schriftsatz vom 6. April 2017 allein die Zurückweisung der Berufung beantragt worden.

54

Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil die erforderliche Belehrung nach § 521 Abs. 2 Satz 2, § 277 Abs. 2 ZPO unterblieben wäre. Dem Klägervertreter ist eine beglaubigte Abschrift der Verfügung des Vorsitzenden nebst der erforderlichen Belehrung zugestellt worden.

c)

55

Der Hilfsantrag zu 4) enthält zwar keine Klageerweiterung, denn er entspricht dem erstinstanzlichen Antrag zu 3). Dem geltend gemachte Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten steht allerdings die materielle Rechtskraft (§ 322 Abs. 1 ZPO) entgegen (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 2003 - VIII ZR 60/03, juris Rn. 8 ff.). Der Anspruch ist erstinstanzlich rechtskräftig abgewiesen worden; der Kläger hat keine wirksame Anschlussberufung eingelegt (siehe oben).

B.

56

Die Klage ist, soweit sie zulässig ist, begründet.

57

Der Beklagten steht aus dem streitgegenständlichen Darlehensvertrag ab dem Zugang der Widerrufserklärung kein Anspruch mehr auf den Vertragszins und die vertragsgemäße Tilgung zu.

58

Bei Ausübung des Widerrufsrechts am 3. Dezember 2015 war die Widerrufsfrist nach § 495 Abs. 1 BGB i. V. m. § 355 Abs. 1 und 2 BGB in der bis zum 10. Juni 2010 geltenden Fassung noch nicht abgelaufen, weil die Beklagte den Kläger nicht hinreichend deutlich über die Voraussetzungen des ihm zukommenden Widerrufsrechts belehrt hatte (vgl. zu einer mit der hier streitgegenständlichen Belehrung identischen Belehrung BGH, Urteil vom 12. Juli 2016 - XI ZR 564/15). Das hat das Landgericht mit Recht festgestellt; diese Feststellungen werden mit der Berufung auch nicht angegriffen. Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) liegen auch insoweit nicht vor, als das Landgericht die Ausübung des Widerrufsrechts nicht an § 242 BGB hat scheitern lassen. Die Berufung greift diese Feststellungen ebenfalls nicht an.


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