Beschluss vom Oberlandesgericht Stuttgart - 3 Ausl 80/04

Tenor

Der Verfolgte, dessen Auslieferung zur Strafverfolgung an Griechenland in Betracht kommt, ist in

Auslieferungshaft

zu nehmen.

Gründe

 
I.
1. Gegen den Verfolgten bestehen ein Europäischer Haftbefehl Nr. 12 vom 15. Juli 2004 des Untersuchungsrichters der Ersten Abteilung des Gerichts erster Instanz Piraeus, Attiki (Griechenland) und ein nationaler griechischer Haftbefehl Nr. ANG/ES/12, Geschäftszeichen F04/1038, von demselben Tag und demselben Richter in derselben Sache.
2. Dem Verfolgten wird vorgeworfen, als führender Kopf einer Bande, bestehend aus den in Griechenland Mitbeschuldigten .... Handel mit ca. 4.500 kg Kokain getrieben zu haben.
Im Einzelnen habe der Verfolgte gemeinsam mit dem Mitbeschuldigten ... zu einem unbekannten Zeitpunkt kurz vor dem 05. Mai 2004 in einem unbekannten Land in Südamerika ca. 4.500 kg Kokain von einer unbekannten Person zu einem unbekannten, aber feststehenden Kaufpreis vorsätzlich zum Zweck des illegalen Handels käuflich erworben. Gleichfalls kurz vor dem 05. Mai 2004 habe sich der Verfolgte in Piraeus/Attiki (Griechenland) mit den oben Genannten zu einer Bande zusammengeschlossen, um mit dem Kokain Handel zu treiben. Im Zeitraum zwischen dem 15. Juni und dem 13. Juli 2004 habe der Verfolgte gemeinsam mit den Mitbeschuldigten ... das Kokain an einem unbekannten Ort im Atlantik auf das Fischerboot ... übernommen und Richtung Spanien transportiert; das Boot sei am frühen Morgen des 13. Juli 2004 100 nautische Meilen südsüdwestlich der spanischen Küste aufgebracht worden. In demselben Zeitraum habe der Verfolgte von Piraeus/Attiki (Griechenland) aus gemeinsam mit den Mitbeschuldigten ... den Transport organisiert, finanziert, geleitet und kontrolliert und den Erwerb, die Reparatur und Instandhaltung und die scheinbar legale Nutzung des Fischerboots ... veranlasst. Bei alledem habe der Verfolgte gewerbs- und gewohnheitsmäßig und unter Umständen gehandelt, die zeigten, dass er höchst gefährlich und eine asoziale Person sei, die einen charakterlichen Hang zur Begehung von Straftaten habe.
3. Die Tat(en) sei(en) als gewerbs- und gewohnheitsmäßiger Erwerb und Transport von Betäubungsmitteln bzw. als Finanzierung, Leitung und Kontrolle hiervon, als Bildung einer kriminellen Vereinigung und als Geldwäsche gemäß Art. 8 Buchstabe d, 45, 187 Abs. 1 griech. StGB, Art. 5 Buchstaben b, g, m, 8 griech. Gesetz 1729/87 und Art. 1, 2 griech. Gesetz 2331/95 strafbar und mit lebenslanger Freiheitsstrafe sowie Geldstrafe zwischen 30.000,– und 600.000,– Euro bedroht.
Außerdem sei(en) die Tat(en) als Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, illegaler Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen und Wäsche von Erträgen aus Straftaten i. S. von Art. 2 Abs. 2 Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (ABlEG Nr. L 190 v. 18.07.2002 S. 1 – RbEuHb) anzusehen und in Griechenland mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht.
4. Am 30. Juli 2004 wurde der Verfolgte im Schengener Informationssystem zur Festnahme ausgeschrieben (Schengener Nummer ...). Da der Verfolgte polizeilich in ... im Land Niedersachsen, Bezirk des Oberlandesgerichts und der Generalstaatsanwaltschaft Celle, gemeldet war, wendete sich das Bundeskriminalamt an das Landeskriminalamt Niedersachsen, und es wurden die Generalstaatsanwaltschaft C und die Kriminalpolizeidirektion ... eingeschaltet. Bei den polizeilichen Ermittlungen ergab sich, dass die Meldeanschrift eine "Briefkastenadresse" war; verdeckte Observationsmaßnahmen vor Ort blieben ergebnislos, und der Aufenthalt des Verfolgten blieb unbekannt. Festgestellt wurde, dass der Verfolgte von der Ausländerbehörde des Landkreises ... am 30. Oktober 2003 eine befristete Aufenthaltserlaubnis erhalten hatte; im Zusammenhang mit der Zulassung eines Porsche 911 im Jahr 2002 und der Bestellung eines weiteren Porsche Carrera am 06. Oktober 2003 in ... war er dort angetroffen worden; und es hielt sich eine enge Kontakt- und Vertrauensperson des Verfolgten ... auf. Auf Anregung der Polizei und Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Celle vom 16. August 2004 ordnete das Oberlandesgericht Celle am 17. August 2004 die Telekommunikationsüberwachung der Mobilfunkanschlüsse von ... an. Am frühen Morgen des 30. August 2004 wurde der Verfolgte ... am Flughafen S festgenommen. Dort hatte er sich mit ... eingemietet. Beide nutzten einen auf einen Belgier zugelassenen belgischen Personenkraftwagen. Der Verfolgte führte einen gefälschten griechischen Reisepass und einen gefälschten griechischen Führerschein bei sich. Noch am 30. August 2004 wurde der Verfolgte der Richterin beim Amtsgericht ... vorgeführt, die Festhalteanordnung erließ. Der Verfolgte hat die ihm vorgeworfene Tat(en) abgestritten. Mit einer vereinfachten Auslieferung hat er sich nicht einverstanden erklärt. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat in dem Ermittlungsverfahren 220 Js 77770/04 gegen den Verfolgten wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und Urkundenfälschung gem. § 154b Abs. 1 und 2 StPO von der Erhebung der öffentlichen Klage abgesehen.
5. Die Generalstaatsanwaltschaft C ist der Auffassung, für das (weitere) Verfahren örtlich unzuständig zu sein. Die Generalstaatsanwaltschaft S hat das (weitere) Verfahren "übernommen". Nunmehr beantragt sie Erlass eines Auslieferungshaftbefehls gem. § 15 IRG.
II.
Zwar ist im Auslieferungsverfahren eine vereinbarte "Übernahme" ebenso wie eine "Abgabe" des Verfahrens nach h. A. ausgeschlossen (s. nur Lagodny, in: Schomburg/Lagodny, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 2. Aufl. 1998, § 14 IRG Rdn. 4; Wilkitzki, in: Grützner/Pötz, Internationaler Rechtshilfeverkehr in Strafsachen, 2. Aufl., Teil I A 2 – IRG-Kommentar, § 14 Rdn. 19 (Stand 1994)). Jedoch ergibt sich die örtliche Zuständigkeit der Generalstaatsanwaltschaft und des Oberlandesgerichts S aus dem Gesetz.
1. Es besteht der Gerichtsstand des Ergreifungsorts gemäß § 14 Abs. 1 Alt. 1 IRG, weil der Verfolgte im Bezirk des Oberlandesgerichts und der Generalstaatsanwaltschaft S zum Zwecke der Auslieferung ergriffen worden ist.
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2. Der Senat kann offen lassen, ob, wie die h. A. annimmt, der Gerichtsstand des Ergreifungsortes nicht mehr in Betracht kommt, wenn "zuerst", d. h. vor der Ergreifung, der Gerichtsstand des Ermittlungsortes gemäß § 14 Abs. 1 Alt. 2 IRG begründet worden ist (sog. "Perpetuierung des Gerichtsstandes"; s. nur OLG Hamm NJW 1975, 2154; Lagodny aaO.; Wilkitzki aaO. Rdn. 17; je m.w.N.). Denn der Verfolgte ist nicht "zuerst", d. h. vor der Ergreifung, im Bezirk des Oberlandesgerichts und der Generalstaatsanwaltschaft C ermittelt worden. Wie sich im Gegenschluss aus § 14 Abs. 3 IRG ergibt, ist ein Verfolgter dann "ermittelt", wenn sein tatsächlicher Aufenthalt den mit dem Auslieferungsverfahren befassten Stellen bekannt geworden ist (vgl. Wilkitzki aaO. Rdn. 10; Lagodny aaO. Rdn. 12). Dabei ist der Aufenthalt zum Zeitpunkt des Auslieferungsverfahrens entscheidend; die Kenntnis eines früheren Aufenthalts genügt nur, wenn davon ausgegangen werden kann, dass dieser Aufenthalt noch fortbesteht. Das verfahrensgegenständliche Auslieferungsverfahren hat mit der Schengener Ausschreibung am 30. Juli 2004 begonnen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Verfolgte keinen erkennbaren Aufenthalt mehr in ... oder sonst im Bezirk des Oberlandesgerichts und der Generalstaatsanwaltschaft C. Vielmehr war er seit Sicherstellung des Fischerboots ... am 13. Juli 2004 flüchtig und hatte sich schon vor diesem Zeitpunkt zwecks Vorbereitung der Tat(en) in Piraeus/Attiki (Griechenland), in Südamerika, offenbar auf hoher See im Atlantik sowie in Antwerpen (Belgien) aufgehalten. Die Anhaltspunkte dafür, dass sich der Verfolgte zumindest gelegentlich im Raum ... aufgehalten hat, stammen aus den Jahren 2002 und 2003. Letztmals konkret angetroffen wurde er hier offenbar am 30. Oktober 2003 bei der Ausländerbehörde des Landkreises .... Alles das war nach Lage der Dinge ohne Aussagekraft für den im August 2004 bestehenden Aufenthalt des Verfolgten, den die Kriminalpolizeidirektion ... und die Generalstaatsanwaltschaft Celle mit Recht als "unbekannt" angesehen haben.
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3. In dieser Lage wäre es an sich geboten gewesen, den Gerichtsstand gemäß § 14 Abs. 3 IRG durch den Bundesgerichtshof bestimmen zu lassen (s. auch Nr. 33 RiVASt). Eine solche Gerichtsstandbestimmung hätte nach h. A. einen späteren Gerichtsstand des Ergreifungsorts ausgeschlossen (s. nur Wilkitzki aaO. Rdn. 36). Sie ist aber nicht erfolgt. Da der Verfolgte nunmehr ergriffen worden und sein Aufenthalt bekannt ist, bleibt für eine nachträgliche Gerichtsstandsbestimmung durch den Bundesgerichtshof kein Raum. Auch fehlt es an einem Kompetenzkonflikt zwischen Generalstaatsanwaltschaft und Oberlandesgericht Celle auf der einen Seite und Stuttgart auf der anderen Seite, der zu einer Anrufung des Bundesgerichtshofs gem. § 77 IRG i. V. mit §§ 14, 19 StPO nötigen würde (s. hierzu Wilkitzki aaO. Rdn. 37).
III.
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In der Sache ist dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft zu entsprechen.
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1. Nachdem das Europäische Haftbefehlsgesetz (EuHbG) vom 21. Juli 2004 (BGBl. I S. 1748) am 23. August 2004 in Kraft getreten ist (Art. 3 EuHbG), richtet sich die "Unterstützung eines Mitgliedstaats der Europäischen Union" und insbesondere die "Auslieferung an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union" nach neuem Recht. Gemäß § 1 Abs. 4 IRG n. F. ist deshalb an die Stelle des zuvor im Verhältnis zu Griechenland geltenden EuAlÜbk der neue Achte Teil, insbesondere Abschnitt 2, des IRG getreten.
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a) Der Anwendbarkeit des neuen Rechts steht nicht entgegen, dass die Ausschreibung im Schengener Informationssystem, die gemäß Art. 64 SDÜ als Ersuchen um vorläufige Festnahme i. S. von Art. 16 EuAlÜbk und gemäß § 83a Abs. 2 IRG n. F. als Europäischer Haftbefehl gilt, bereits am 30. Juli 2004 erfolgt ist, so dass das gegenständliche Auslieferungsverfahren noch unter der Geltung des alten Rechts eingeleitet worden ist. Auslieferungsrecht ist seiner Natur nach Verfahrensrecht, in dem Rückwirkung nicht grundsätzlich verboten ist. Das EuHbG enthält keine Übergangsvorschrift (wie sie, in gewissen Grenzen, von Art. 32 RbEuHb zugelassen wird) – was eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers ist, nach dessen erklärtem Willen "auch noch nicht abgeschlossene, anhängige Aus- und Durchlieferungsverfahren nach neuem Recht zu behandeln sind" (BT-Drucks. 15/1718 S. 26).
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b) Erst recht hindert der Umstand, dass die Tat(en), die dem Auslieferungsverfahren zugrunde liegt (liegen), noch vor Inkrafttreten des neuen Rechts begangen worden ist (sind), die Anwendbarkeit des neuen Rechts nicht – was wiederum dem erklärten Willen des Gesetzgebers entspricht (BT-Drucks. aaO.).
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2. Die Auslieferung des Verfolgten erscheint nicht von vornherein unzulässig (§ 15 Abs. 2 IRG).
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a) Gemäß § 1 Abs. 4 i. V. mit § 78 IRG n. F. richtet sich die Zulässigkeit der Auslieferung nach §§ 2 ff. IRG, soweit §§ 80 ff. IRG n. F. keine besonderen Regelungen enthalten.
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b) Ein griechisches Ersuchen um Auslieferung des Verfolgten i. S. von § 2 Abs. 1 IRG i. V. mit §§ 78, 79, 80 ff. IRG n. F. liegt vor.
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aa) Gemäß Art. 1 Abs. 1 RbEuHb ist ein Europäischer Haftbefehl eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder -vollstreckung bezweckt (Art. 1 Abs. 1 RbEuHb). Er steht einem Auslieferungsersuchen gleich und ersetzt es. Sinn des Mechanismus des Europäischen Haftbefehls ist es, die Rechtshilfebeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten durch ein System des freien Verkehrs strafrechtlicher justizieller Entscheidungen zu ersetzen (Erwägungsgrund (5) RbEuHb). Für klassische Ersuchen, seien sie diplomatisch oder ministeriell, ist in diesem System kein Raum mehr, weshalb sie im RbEuHb nicht mehr vorgesehen sind. Davon geht auch der deutsche Gesetzgeber aus, wenn er sagt: "Das gesamte Fahndungs- und Auslieferungsverfahren soll zukünftig auf der Grundlage eines einzigen Formulars, der im Anhang zum RbEuHb wiedergegebenen Bescheinigung, durchgeführt werden" (BT-Drucks. 15/1718 S. 10; Hervorhebung vom Senat).
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bb) Vorliegend befindet sich bei den Auslieferungsunterlagen ein Europäischer Haftbefehl in der äußerlichen Form des Formulars im Anhang zum RbEuHb. Er enthält die Pflichtangaben nach Art. 8 Abs. 1 RbEuHb. Allerdings fehlen die in Art. 8 Abs. 1 Buchstabe d) RbEuHb freilich nicht vorgeschriebenen, jedoch von § 83a Abs. 1 Nr. 4 IRG n. F. verlangten griechischen "gesetzlichen Bestimmungen" im Wortlaut. Das hindert die Zulässigkeit aber nicht. § 83a Abs. 1 IRG n. F. ist nur eine Soll-Bestimmung. Jedenfalls in Fällen, in denen – wie hier – beidseitige Strafbarkeit nicht mehr geprüft werden muss (Art. 2 Abs. 2 RbEuHb, § 81 Nr. 4 IRG n. F.), ist es unschädlich, wenn der Wortlaut der im ersuchenden Staat anwendbaren Strafgesetze nicht mitgeteilt wird. Gleichfalls unschädlich ist, dass der Europäische Haftbefehl entgegen Art. 8 Abs. 2 Satz 1 RbEuHb nicht in deutscher Sprache, sondern überwiegend auf griechisch, in den entscheidenden Passagen freilich in wenn auch nichtamtlicher englischer Übersetzung vorliegt. Anders als nach dem EuAlÜbk (Art. 23) ist die Übersendung einer deutschen Übersetzung keine Zulässigkeitsvoraussetzung mehr, was erklärter Wille des Gesetzgebers ist (BT-Drucks. 15/1718 S. 20) und der Rechtslage bei § 10 IRG entspricht (Lagodny/Schomburg, in: Schomburg/Lagodny aaO., § 10 Rdn. 12; Vogler, in: Grützner/Pötz aaO. § 10 Rdn. 7; je m.w.N.).
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cc) Da der Europäische Haftbefehl als Formular vorliegt, bedarf es keiner Entscheidung, ob bereits die Ausschreibung im Schengener Informationssystem, da und soweit sie einem Europäischen Haftbefehl gleichsteht (s. Art. 9 Abs. 3 Satz 2 RbEuHb, § 83 a Abs. 2 IRG n. F.), einem Auslieferungsersuchen gleichsteht und es ersetzt.
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c) Der Verfolgte ist griechischer Staatsangehöriger. Die Frage der Auslieferung deutscher Staatsangehöriger stellt sich nicht (vgl. § 80 IRG n. F. und Art. 5 Nr. 3 RbEuHb).
23 
d) Gemäß § 81 Nr. 4 IRG n. F., Art. 2 Abs. 2 RbEuHb erfolgt im vorliegenden Fall keine Prüfung der beiderseitigen Strafbarkeit. Der griechische Untersuchungsrichter versichert, dass die dem Verfolgten vorgeworfene(n) Tat(en) nach der Ausgestaltung im griechischen Recht Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung, illegaler Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen und Wäsche von Erträgen aus Straftaten ist (sind) und als solche jeweils mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind. Anlass, hieran zu zweifeln (vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 1 IRG n. F.), besteht nicht. Damit steht erst recht fest, dass auslieferungsfähige Delikte gemäß § 81 Nr. 1 IRG n. F., Art. 2 Abs. 1 RbEuHb vorliegen.
24 
e) Unerheblich ist, dass der Verfolgte die Tat(en) bestreitet. Der RbEuHb sieht keine Prüfung des Schuldverdachts vor. Selbst wenn innerstaatlich § 10 Abs. 2 IRG anwendbar wäre, so besteht doch kein Anlass, ausnahmsweise den Schuldverdacht nachzuprüfen.
25 
f) Gemäß § 82 IRG n. F. sind von den weiteren Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 2 ff. IRG nur § 6 Abs. 2 (politische Verfolgung), § 8 (drohende Todesstrafe) und § 9 (konkurrierende Gerichtsbarkeit) anwendbar. Mit Blick auf § 6 Nr. 5 StGB ist zwar deutsche Gerichtsbarkeit in Bezug auf den unbefugten Vertrieb von Betäubungsmitteln denkbar; die insoweit erfolgte Einstellung nach § 154b Abs. 1 StPO ist aber gerade keine Entscheidung nach § 9 Nr. 1 IRG, und Verjährung oder Straffreiheit sind nicht eingetreten (§ 9 Nr. 2 IRG).
26 
g) Die zusätzlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 83 IRG sind erfüllt. Soweit die Tat(en) des Verfolgten außerhalb von Griechenland begangen wurde(n), steht dies der Zulässigkeit nicht entgegen, da der deutsche Gesetzgeber Art. 4 Nr. 7 Buchstabe b) RbEuHb nicht umgesetzt hat.
27 
h) Bedenken, dass die Auslieferung dem "europäischen ordre public" gemäß § 73 Satz 2 IRG n. F. widersprechen und deshalb unzulässig sein könnte, was im Zulässigkeitsverfahren zu prüfen wäre, bestehen allenfalls in der Richtung, dass dem Verfolgten lebenslange Freiheitsstrafe droht.
28 
aa) Allerdings ist die Frage der lebenslangen Freiheitsstrafe beim Europäischen Haftbefehl teilweise besonders geregelt, was einen Rückgriff auf § 73 Satz 2 IRG n. F. ausschließen könnte. Nach Art. 5 Nr. 2 RbEuHb kann der Vollstreckungsmitgliedstaat die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls bei drohender oder verhängter lebenslanger Freiheitsstrafe an die Bedingung knüpfen, dass im Ausstellungsmitgliedstaat nach spätestens 20 Jahren eine Überprüfung stattfindet, die zur Aussetzung der Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe führen kann. Nach § 83b IRG n. F. kann die Bewilligung der Auslieferung abgelehnt werden, wenn diese Bedingung nicht erfüllt ist.
29 
bb) Nach Auffassung des Senats betreffen diese besonderen Regelungen freilich nur die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe, nicht die Verhältnismäßigkeit der Androhung der lebenslangen Freiheitsstrafe in abstracto und der Verurteilung zu ihr in concreto. Insoweit bleibt § 73 Satz 2 IRG n. F. anwendbar und steht der Auslieferung jedenfalls dann entgegen, wenn zwischen Tat und Strafdrohung oder Strafe ein schlechthin unerträgliches, unter keinem Gesichtspunkt zu rechtfertigendes Missverhältnis besteht. Dem Senat erschließt sich noch nicht, dass ein solches Missverhältnis besteht. Nach vorläufigen Recherchen kennen außer Griechenland mindestens fünf weitere Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Frankreich, Irland, Luxemburg, Österreich, Vereinigtes Königreich) lebenslange Freiheitsstrafe für besonders schwere Betäubungsmitteldelikte. Dass die dem Verfolgten vorgeworfene Tat sehr schwer wiegt, unterliegt keinem Zweifel.
30 
i) Die Bewilligungshindernisse des § 83b IRG n. F. spielen für die Zulässigkeit keine Rolle und sind im Zulässigkeitsverfahren nicht zu prüfen. An diese innerstaatliche Rechtslage hält sich der Senat gebunden, auch wenn es mit dem RbEuHb unvereinbar sein dürfte, dass die Bundesrepublik Deutschland bei Europäischen Haftbefehlen ein nicht justizielles (ministerielles) Bewilligungsverfahren beibehalten hat, welches sich nicht auf die administrative Übermittlung und Entgegennahme Europäischer Haftbefehle beschränkt (s. hierzu Erwägungsgrund (9) und Art. 7 RbEuHb).
31 
3. Es besteht Fluchtgefahr (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 IRG). Dem Verfolgten droht in Griechenland bis zu lebenslange Freiheitsstrafe. Der Senat ist überzeugt, dass der Verfolgte die Fähigkeit, den Willen und nicht zuletzt die finanziellen Ressourcen hat, sich mit allen Mitteln der Strafverfolgung zu entziehen.
32 
4. Da der Europäische Haftbefehl, wie III. 2. b) dargelegt, einem Auslieferungsersuchen gleichsteht und es ersetzt, ist nicht nur vorläufige Auslieferungshaft gemäß § 16 IRG, sondern sogleich Auslieferungshaft gemäß § 15 IRG anzuordnen.
IV.
33 
Über Einwendungen des Verfolgten gegen den Auslieferungshaftbefehl oder gegen dessen Vollzug entscheidet das Oberlandesgericht (§ 23 IRG). Die Ausübung der Briefkontrolle und die Erteilung von Besuchserlaubnissen bleiben der Generalstaatsanwaltschaft S übertragen.

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