Urteil vom Oberlandesgericht Stuttgart - 4 U 351/19

Tenor

I.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29.5.2019 (14 O 458/18) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.393,66 EUR nebst Zinsen daraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10.1.2019 zu zahlen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des PKW V... T..., FIN W....

2.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II.

Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

III.

Von den Kosten des Rechtsstreits in erster Instanz trägt die Beklagte 3/4 und der Kläger 1/4. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagte 94 % und der Kläger 6 %.

IV.

Das Urteil des Senats sowie - im Umfang der Zurückweisung der Berufung der Beklagten - das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 29.5.2019 (14 O 458/18) sind vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung der Gegenseite gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht zuvor der Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

V.

1. Die Revision wird zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 21.716,66 EUR.

Gründe

 
Die Parteien streiten um deliktische Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte vor dem Hintergrund des so genannten VW-Diesel-Abgasskandals.
Der Kläger erwarb das im Urteilstenor I.1. näher bezeichnete Fahrzeug, in den ein Dieselmotor der Reihe EA 189 Euro 5 eingebaut ist, als Neuwagen am 27.1.2015 zu einem Kaufpreis in Höhe von 28.706,00 EUR (Anlage K 1).
Der Kläger hat die Beklagte wegen der allgemein bekannten Manipulation der Motorsteuerung durch die Beklagte mit zwei unterschiedlichen Betriebsmodi, je nach realem Fahrbetrieb bzw. dem Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ), auf Schadensersatz u.a. auch auf der Grundlage von §§ 826, 31 BGB mit der am 9.1.2019 zugestellten Klage in Anspruch genommen.
Am 6.2.2017 wurde ein Software-Update aufgespielt.
Das Landgericht hat der auf Zahlung des ursprünglichen Kaufpreises, ohne Abzug einer Nutzungsentschädigung bzw. eines Vorteilsausgleichs, auf Ersatz außergerichtlicher Rechtsverfolgungskosten, Zahlung eines Zinses aus dem Kaufpreis nach § 849 BGB seit 27.1.2015 und Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten gerichteten Klage insoweit auf der rechtlichen Grundlage der §§ 826, 31 BGB bzw. § 831 BGB stattgegeben, als die Beklagte unter Anrechnung eines Vorteilsausgleichs für bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht gefahrene 60.870 km (auf der Basis einer angenommenen Gesamtfahrleistung von 250.000 km) zur Zahlung eines Betrags von 21.716,66 EUR Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs verurteilt wurde. Außerdem hat das Landgericht dem Kläger den geltend gemachten Zins nach § 849 BGB aus dem Kaufpreis seit dem 27.1.2015 bis zum 9.1.2019 und aus dem zugesprochenen Betrag ab 10.1.2019 zuerkannt, im Übrigen aber die Klage abgewiesen.
Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil.
Gegen dieses richtet sich die Berufung der Beklagten, die unter Hinweis auf das Urteil des OLG Braunschweig vom 19.2.2019 (7 U 134/17) zusammengefasst geltend macht, dass das Landgericht rechtsfehlerhaft einen der Beklagten zurechenbaren Schädigungsvorsatz und einen kausalen Schaden des Klägers angenommen habe. Auf die in vielen hundert Verfahren gleich oder ähnlich lautende Berufungsbegründung der Beklagten (Blatt 231 ff) wird Bezug genommen.
Den vom Landgericht zugesprochenen Zins aus § 849 BGB hält die Beklagte aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt für begründbar.
Sie stellt daher den Antrag,
10 
das Urteil des Landgerichts Ellwangen (Jagst) vom 12.4.2019 (3 O 333/18) im Umfang der Beschwer der Beklagten abzuändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
11 
Der Kläger stellt den Antrag
12 
Die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
13 
Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.
14 
Wegen des weiteren Sachvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf das Vorbringen in der mündlichen Verhandlung vom 20.5.2020 (Blatt 423 ff) Bezug genommen.
II.
15 
Die Berufung der Beklagten ist nur zum geringen Teil begründet.
16 
Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Schadensersatz aus vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung auf der Grundlage von §§ 826, 31 BGB zu. Unter Berücksichtigung einer bei Schluss der mündlichen Verhandlung am 20.5.2020 (Kilometerstand an diesem Tag: 72.392) aufgelaufenen und auf der Basis der vom Landgericht angenommenen und vom Kläger im Berufungsverfahren nicht angegriffenen und daher vom Senat zugrunde zu legenden Gesamtfahrleistung von 250.000 km berechneten Nutzungsentschädigung von 8.312,34 EUR ergibt sich ein Schadensersatzbetrag des Klägers von (28.706,00 - 8.312,34 =) 20.393,66 EUR. Zinsen nach § 849 BGB schuldet die Beklagte jedoch entgegen der Annahme des Landgerichts nicht.
1.
17 
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz gem. §§ 826, 31 BGB.
18 
Die Beklagte hat den Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise geschädigt, wobei die verantwortlichen Führungspersonen der Beklagten, deren Handeln der Beklagten zugerechnet wird, wenigstens mit bedingtem Vorsatz gehandelt haben. Die Beklagte hat, um den Absatz ihrer Fahrzeuge mit Dieselmotoren der Serie EA 189 zu steigern, die Abgasreinigung der Motoren so gefertigt oder fertigen lassen und in Verkehr gebracht, dass bei dem Betrieb auf einem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) die mit diesem Motor ausgestatteten Fahrzeuge in einen Zustand versetzt waren, in dem die für die Fahrzeugprüfung maßgeblichen Abgasgrenzwerte eingehalten werden. Demgegenüber wurde im Alltagsbetrieb eine Abgasreinigung nicht in gleicher Weise durchgeführt, was von vornherein zu einem höheren Schadstoffausstoß geführt hat. Die Beklagte hat durch ihr Vorgehen eine Schädigung der Käufer der betroffenen Dieselfahrzeuge aus eigennützigem Gewinnstreben in sittlich anstößiger Weise billigend in Kauf genommen und dadurch im vorliegenden Fall einen Schaden des Klägers verursacht, der Käufer eines betroffenen Kraftfahrzeugs ist (vgl. zu ähnlich gelagerten Fällen etwa OLG Stuttgart, Urt. v. 28.11.2019, 14 U 89/19, BeckRS 2019, 30073; Urt. v. 26.11.2019, 12 U 142/19, BeckRS 2019, 30074; Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19, ZVertriebsR 2019, 362; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 18.07.2019, 17 U 160/18; Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, WM 2019, 881; OLG Koblenz, Urt. v. 12.06.2019, 5 U 1318/18, NJW 2019, 2237; OLG Köln, Beschl. v. 29.04.2019, 16 U 30/19; Beschl. v. 03.01.2019, 18 U 70/18, NJW-RR 2019, 984; OLG Oldenburg, Urt. v. 30.10.2019, 14 U 93/19; Urt. v. 02.10.2019, 5 U 47/19; OLG Hamm, Urt. v. 10.09.2019, 13 U 149/18, NJW-RR 2019, 1428; a. A. OLG Braunschweig, Urt. v. 19.02.2019, 7 U 134/17, DAR 2019, 261).
a)
19 
Das haftungsbegründende Verhalten der Beklagten i. S. v. § 826 BGB ergibt sich aus dem Herstellen und Inverkehrbringen eines Fahrzeugs unter gezieltem Einsatz eines Schadstoffreinigungssystems, das auf dem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) für die Einhaltung der für die EG-Typengenehmigung erforderlichen Emissionswerte gesorgt, im Alltagsbetrieb jedoch keine gleichwertige Reinigung vorgenommen hat. Die Betriebserlaubnis betroffener Fahrzeuge stand im Hinblick auf die im Rahmen des EG-Typgenehmigungsverfahrens nicht offengelegte streitgegenständliche „Umschaltlogik“ in Frage. Soweit ein Hersteller nicht ausdrücklich Abweichendes mitteilt, bringt er mit dem Herstellen und Inverkehrbringen eines Fahrzeugs, das nicht ausdrücklich ohne Straßenzulassung angeboten wird, zum Ausdruck, dass der Einsatz des Fahrzeugs entsprechend seinem Verwendungszweck im Straßenverkehr uneingeschränkt zulässig ist (OLG Stuttgart, Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19 OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZIP 2019, 863, Rn. 10 OLG Koblenz, Urt, v, 12.06.2019, 5 U 1318/18, Rn. 18, NJW 2019, 2237, 2238). Ein Fahrzeugkäufer geht berechtigterweise davon aus, dass die insoweit notwendige Typgenehmigung und Betriebszulassung nicht mit rechtlichen Unsicherheiten behaftet sind, die sich daraus ergeben, dass sie durch Verheimlichen der Umschaltlogik gegenüber den maßgeblichen öffentlichen Stellen erschlichen wurden (OLG Stuttgart, Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19; OLG Köln, Beschl. v. 03.01.2019, 18 U 70/18, NZV 2019, 249, 253 Rn. 42).
20 
Vorliegend war der dauerhafte Betrieb des streitgegenständlichen Fahrzeugs im Straßenverkehr im Zeitpunkt des Inverkehrbringens ebenso wie bei Erwerb des Fahrzeugs durch den Kläger gefährdet. Der Pkw zeigte nach unstreitigem Vortrag auf einem Prüfstand - jedenfalls im Genehmigungsverfahren nach dem NEFZ - ein anderes Abgasreinigungsverhalten als im Alltagsbetrieb. Während auf dem Prüfstand die maßgeblichen Grenzwerte (wohl) eingehalten worden sind, war der Schadstoffausstoß im Alltagsbetrieb, der den Kläger betrifft, höher, und zwar nicht etwa nur aufgrund anderer Rahmenbedingungen, sondern bereits aus technischen Gründen. Bei der im Fahrzeug des Klägers - jedenfalls bis zum Aufspielen eines so genannten „Software-Updates“ - vorhanden gewesenen Steuerung, die bei einem erkannten Prüfstandslauf eine verstärkte Abgasrückführung aktiviert hatte, handelte es sich um eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 S. 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge (ABl. L 171 vom 29.06.2007; OLG Stuttgart, Urt. v. 26.11.2019, 12 U 142/19; Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19; BGH, Beschl. v. 08.01.2019, VIII ZR 225/17, Rn. 6 ff., NJW 2019, 1133, 1134 m. w. N.).
b)
21 
Der Schaden des Klägers liegt bereits im Abschluss des Kaufvertrages über das streitgegenständliche Fahrzeug, denn dieses war für die Zwecke des Klägers nicht uneingeschränkt brauchbar.
(1)
22 
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Schaden nicht nur dann gegeben, wenn sich bei einem Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die ohne jenes Ereignis eingetreten wäre, ein rechnerisches Minus ergibt. Der Schadensbegriff des § 826 BGB ist auch subjektbezogen, so dass bei wertender Betrachtung Vermögensminderungen umfasst sind wie – bei Eingriff in die Dispositionsfreiheit – die Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung oder die Vermögensgefährdung durch das Eingehen eines nachteiligen Geschäfts. Maßgeblicher Zeitpunkt ist bei dem Abschluss eines Vertrages unter Eingriff in die Dispositionsfreiheit der des Vertragsschlusses, nicht erst die tatsächliche Realisierung eines Schadens zu einem späteren Zeitpunkt (OLG Stuttgart, Urt. v. 26.11.2019, 12 U 142/19; Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19; BGH, Urt. v. 28.10.2014, VI ZR 15/14, NJW-RR 2015, 275, 276 Rn. 19; Urt. v. 21.12.2004, VI ZR 306/03, NJW-RR 2005, 611, 612; Urt. v. 19.07.2004, II ZR 217/03, NJW 2004, 2668, 2669).
(2)
23 
Im vorliegenden Fall entsprachen die Eigenschaften des erworbenen Fahrzeugs nicht den berechtigten Erwartungen des getäuschten Klägers, die sich auf eine dauerhafte Nutzbarkeit des Fahrzeugs richteten. Dem Kläger drohte eine Nebenbestimmung zur EG-Typgenehmigung oder deren Widerruf mit der Folge einer Stilllegung des streitgegenständlichen Fahrzeugs. Die erhaltene Gegenleistung war somit für die Zwecke des Klägers nicht voll brauchbar (vgl. BGH, Urt. v. 28.10.2014, VI ZR 15/14, NJW-RR 2015, 276, 276 Rn. 18).
24 
Bevor ein Kraftfahrzeughersteller berechtigt ist, ein Fahrzeug für die Nutzung im Straßenverkehr auf den Markt zu bringen, hat er die erforderlichen Zulassungs- und Genehmigungsverfahren erfolgreich zu absolvieren. Insbesondere ist die sogenannte EG-Typgenehmigung beim Kraftfahrt-Bundesamt als zuständiger Behörde (§ 2 EG-Fahrzeuggenehmigungsverordnung; im Folgenden: EG-FGV) einzuholen und eine Übereinstimmungsbescheinigung auszustellen (§ 27 Abs. 1 EG-FGV). Gemäß § 3 Abs. 1 S. 1 FZV dürfen Fahrzeuge nur in Betrieb gesetzt werden, wenn sie zum Verkehr zugelassen sind, was gemäß § 3 Abs. 1 S. 2 FZV voraussetzt, dass sie einem genehmigten Typ entsprechen. Stellt das Kraftfahrtbundesamt nach Erteilung einer formell wirksamen Typgenehmigung fest, dass ein Fahrzeug nicht die materiellen Voraussetzungen für den genehmigten Typ einhält, kann es zur Beseitigung aufgetretener Mängel und zur Gewährleistung der Vorschriftsmäßigkeit auch bereits im Verkehr befindlicher Fahrzeuge zum einen gemäß § 25 Abs. 2 EG-FGV Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung anordnen oder gemäß § 25 Abs. 3 EG-FGV die EG-Typgenehmigung ganz oder teilweise widerrufen (vgl. VG Magdeburg, Beschl. v. 02.07.2018, 1 B 268/18, Rn. 11 f.). Wird die EG-Typgenehmigung entzogen oder mit Nebenbestimmungen versehen, entspricht das Fahrzeug ‒ im Fall der Nebenbestimmung: bis zur Nachrüstung ‒ keinem genehmigten Typ mehr. Die Zulassungsbehörde kann dem Eigentümer oder Halter dann gemäß § 5 Abs. 1 FZV eine Frist zur Beseitigung der Mängel setzen oder den Betrieb des Fahrzeugs auf öffentlichen Straßen beschränken oder untersagen (OLG Stuttgart, Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZIP 2019, 863, Rn 11).
25 
Aufgrund der das Abgasreinigungssystem des Fahrzeugs beeinflussenden unzulässigen Abschalteinrichtung drohte dem Kläger als Erwerber des streitgegenständlichen Fahrzeugs der Widerruf der erteilten, aber lediglich formal wirksamen EG-Typgenehmigung und in der Folge die Betriebsuntersagung oder -beschränkung auf öffentlichen Straßen gem. § 5 Abs. 1 Fahrzeug-Zulassungsverordnung in der zu diesem Zeitpunkt gültigen Fassung (im Folgenden: FZV; OLG Stuttgart, Urt. v. 26.11.2019, 12 U 142/19; Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19 BGH, Beschl. v. 08.01.2019, VIII ZR 225/17, Rn. 18 ff., NJW 2019, 1133, 1135). Die Nutzung des streitgegenständlichen Fahrzeugs im öffentlichen Straßenverkehr und damit der Hauptzweck des abgeschlossenen Kaufvertrages war somit unmittelbar gefährdet. Wird die EG-Typgenehmigung widerrufen, droht die Stilllegung, werden Nebenbestimmungen angeordnet, ist die fortdauernde Nutzbarkeit von einer Nachrüstung des Fahrzeugs durch den Hersteller abhängig, das heißt, im Auslieferungszustand droht ebenfalls die Stilllegung (OLG Stuttgart, Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19 OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZIP 2019, 863, Rn. 18).
(3)
26 
Der bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses eingetretene Schaden ist nicht dadurch entfallen, dass in das Fahrzeug nachträglich am 6.2.2017 ein Software-Update implementiert worden ist, das die Beklagte aufgrund der nachträglich vom Kraftfahrt-Bundesamt erlassenen Nebenbestimmungen zur EG-Typgenehmigung zur Verfügung gestellt hat. § 826 BGB schützt auch die wirtschaftliche Dispositionsfreiheit des Geschädigten, ohne dass es darauf ankäme, dass sich ein Wertverlust bereits realisiert hat. Es kommt deshalb maßgeblich auf die im Zeitpunkt des Ankaufs durch den Kläger bestehende Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs an (OLG Köln, Beschl. v. 29.04.2019, 16 U 30/19, BeckRS 2019, 11997, Rn. 19; BGH, Urt. v. 14.10.1971, VII ZR 313/69, NJW 1972, 36; Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 Rn. 43). Es kann deshalb dahin stehen, ob das Software-Update im Hinblick auf seine umstrittenen Folgen überhaupt geeignet ist, das Fahrzeug in einen Zustand zu bringen, in dem es tatsächlich die ursprünglichen gesetzlichen Vorgaben der Abgasnorm Euro 5 ohne Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung unter Beibehaltung der ursprünglichen Fahreigenschaften einhält, ohne dabei die Funktionsfähigkeit, die Dauerhaltbarkeit und den Wartungsbedarf nachteilig zu verändern. Ebenso kommt es aus den genannten Gründen nicht darauf an, dass die Beklagte das Update nicht aus Gründen der Schadenswiedergutmachung entwickelt und bei den betroffenen Fahrzeugen aufgespielt hat, sondern weil sie öffentlich-rechtlich zur Durchführung des Software-Updates gezwungen war (OLG Stuttgart, Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19; OLG Koblenz, Urt. v. 12.06.2019, 5 U 1318/18, NJW 2019, 2237, 2245 Rn. 79), und dass die Funktionsweise des Updates von der Beklagten nicht im Detail offengelegt wird, so dass eine Beurteilung und Folgenabschätzung von vornherein nicht möglich ist (OLG Stuttgart, Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19 unter Verweis auf OLG Köln, Beschl. v. 03.01.2019, 18 U 70/18, NZV 2019, 249, 253 Rn. 43).
(a)
27 
Der Schaden in Form des Kaufvertragsabschlusses wurde durch das Handeln der Beklagten verursacht.
28 
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung für den Fall der sittenwidrigen Vertragserschleichung genügt es, dass der Geschädigte Umstände dartut, die für seinen Entschluss von Bedeutung sein konnten, und dass die arglistige Täuschung nach der Lebenserfahrung bei der Art des zu beurteilenden Rechtsgeschäfts Einfluss auf die Entschließung hat (OLG Stuttgart, Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19 BGH, Urt. v. 12.05.1995, V ZR 34/94, NJW 1995, 2361, 2362).
29 
Der Kläger hat - jedenfalls konkludent - zum Ausdruck gebracht, bei Kenntnis von der die Abgasreinigung durch unterschiedliche Modi beeinflussenden Software das Fahrzeug nicht erworben zu haben. Dies deckt sich mit der allgemeinen Lebenserfahrung: Ein Käufer wird regelmäßig erwarten, sein Fahrzeug dauerhaft nutzen zu können, ohne dass die Gefahr einer Stilllegung aufgrund eines Erlöschens der EG-Typgenehmigung bzw. der Betriebserlaubnis droht. Diese Erwartung prägt maßgeblich den Wert des Fahrzeugs und stellt ein wesentliches Kriterium für die Anschaffungsentscheidung - sei es des Erstkäufers, sei es des Käufers eines Gebrauchtwagens - dar. Nach der Lebenserfahrung ist praktisch auszuschließen, dass ein potentieller Fahrzeugkäufer wie der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug zu denselben Bedingungen erworben hätte, wenn er gewusst hätte, dass das Zulassungsverfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde und deshalb die dauernde Nutzbarkeit des Fahrzeugs im Straßenverkehr gefährdet war (OLG Stuttgart, Urt. v. 26.11.2019, 12 U 142/19; Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19; OLG Köln, Beschl. v. 03.01.2019, 18 U 70/18, NZV 2019, 249, 253 juris Rn. 42). Die weiteren für den Kauf eines bestimmten Kraftfahrzeugmodells im Einzelfall maßgeblichen Motive treten demgegenüber in den Hintergrund (vgl. OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZIP 2019, 863, Rn. 26).
(b)
30 
Das Handeln der Beklagten geschah in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise.
31 
Sittenwidrig ist ein Verhalten, das nach seinem Gesamtcharakter, der durch umfassende Würdigung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Für die Annahme einer Sittenwidrigkeit genügt es im Allgemeinen nicht, dass der Handelnde eine Pflicht verletzt und einen Vermögensschaden hervorruft. Vielmehr muss eine besondere Verwerflichkeit seines Verhaltens hinzutreten, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage getretenen Gesinnung oder den eingetretenen Folgen ergeben kann. Dabei kann es auf Kenntnisse, Absichten und Beweggründe des Handelnden ankommen, die die Bewertung seines Verhaltens als verwerflich rechtfertigen. Sie kann sich auch aus einer bewussten Täuschung ergeben (OLG Stuttgart, Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19; BGH, Teilversäumnis- und Endurt. v. 28.06.2016, VI ZR 536/15, NJW 2017, 250, 251 f. Rn. 16; Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 Rn. 9 f., 19 ff. m. w. Nachw.).
32 
Bezüglich des Anstandsgefühls aller billig und gerecht Denkenden kommt es wesentlich auf die berechtigten Verhaltenserwartungen im Verkehr an (BGH, Urt. v. 19.07.2004, II ZR 217/03, NJW 2004, 2668, 2670 f.). In der Autoindustrie spielt die Einhaltung von Umweltstandards eine große Rolle, da angesichts der in hohen Stückzahlen produzierten Fahrzeuge systematische Defizite eine große Auswirkung auf die Umweltbelastung haben. Die Verkehrserwartung geht dahin, dass die Hersteller sich an die gesetzlichen Vorgaben im Zulassungsverfahren halten und sich nicht durch falsche Angaben oder Manipulationen im Rahmen des Prüfverfahrens mit nicht vergleichbaren Angaben zu Verbrauchs- und Emissionswerten einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil verschaffen. An die Redlichkeit werden insoweit besonders hohe Erwartungen gestellt, weil der Käufer nicht zu einer eigenen Überprüfung in der Lage und deshalb auf die Richtigkeit der Angaben durch den Hersteller angewiesen ist (so auch OLG Stuttgart, Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19, ZVertriebsR 2019, 362, 367 Rn. 48).
33 
Gegen diese berechtigte Verkehrserwartung hat die Beklagte, die als Entwicklerin und Herstellerin des Motors und des streitgegenständlichen Fahrzeugs für die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben verantwortlich war, in erheblichem Maße verstoßen. Die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung in Form einer Prüfstandserkennung widersprach offensichtlich den Vorgaben der VO (EG) 715/2007. Ein Fahr- und Emissionsverhalten eines geprüften Fahrzeugs, das durch eine spezielle Steuerungssoftware allein auf das Prüfverfahren abgestimmt war und somit keinerlei Rückschlüsse auf die tatsächlichen Eigenschaften des Fahrzeugs im Normalbetrieb erlaubt, widersprach dem erkennbaren Zweck der Vorschrift (ebenso OLG Stuttgart, Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19, ZVertriebsR 2019, 362, 367 Rn. 49).
34 
Als Beweggrund für das Handeln der Beklagten ist allein eine angestrebte Kostensenkung und Gewinnmaximierung ersichtlich. Es erscheint lebensfremd, dass die Beklagte das mit der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung verbundene erhebliche Risiko ohne wirtschaftlichen Vorteil eingegangen wäre (OLG Stuttgart, Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19, ZVertriebsR 2019, 362, 367 Rn. 50; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZIP 2019, 863 Rn. 31; OLG Köln, Beschl. v. 16.07.2018, 27 U 10/18, juris Rn. 20). Zwar ist ein Handeln aus Gewinnstreben allein noch nicht als verwerflich anzusehen. Die Sittenwidrigkeit resultiert jedoch insbesondere aus den zur Gewinnmaximierung angewandten unlauteren und gesetzeswidrigen Mitteln in Kombination mit dem Ausmaß des angerichteten Schadens. Dabei ist die große Zahl der betroffenen Fahrzeuge ebenso zu berücksichtigen wie der den Käufern drohende erhebliche Schaden in Form einer Stilllegung ihrer Fahrzeuge. Hinzu kommt die Art und Weise der Täuschung seitens der Beklagten, die sich für den Absatz ihrer Motoren und Fahrzeuge das Vertrauen der Käufer in den ordnungsgemäßen Ablauf des öffentlich-rechtlichen Genehmigungsverfahrens und damit auch die Objektivität der staatlichen Behörde zunutze gemacht hat. Die Beklagte hat Behörden wie Käufer getäuscht und dabei deren Schädigung ebenso wie eine Schädigung der Umwelt allein aus Profitstreben in Kauf genommen (OLG Stuttgart, Urt. v. 28.11.2019, 14 U 89/19, BeckRS 2019, 30073 Rn. 41; Urt. v. 26.11.2019, 12 U 142/19, BeckRS 2019, 30074 Rn. 54; Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19, ZVertriebsR 2019, 362, 367 Rn. 51; OLG Koblenz, Urt. v. 12.06.2019, 5 U 1318/18, NJW 2019, 2237, 2239 f., Rz. 37 ff.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZIP 2019, 863, Rn. 33 ff.; OLG Köln, Beschl. v. 29.04.2019, 16 U 30/19, Rn. 5).
35 
Dieses Ergebnis ist auch nicht, wie die Beklagte einwendet, unter Schutzzweckgesichtspunkten zu korrigieren. Grundsätzlich beschränkt sich die Haftung auf die Schäden, die dem in sittlich anstößiger Weise geschaffenen Gefahrenbereich entstammen, also in den Schutzbereich des verletzten Ge- oder Verbots fallen (BGH, Urt. v. 11.11.1985, II ZR 109/84, NJW 1986, 837, 838; Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 826 Rn. 22). Anders als etwa eine vom Kläger - allerdings nur in erster Instanz - ebenfalls geltend gemachte Haftung der Beklagten gem. § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit europarechtlichen Normen knüpft der Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB aber vorliegend gerade nicht unmittelbar an den Verstoß gegen Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007 an, sondern folgt aus der mit dem Inverkehrbringen des Fahrzeugs verbundenen Täuschung über die Erfüllung der materiellen Typgenehmigungsvoraussetzungen. Diese Pflichtverletzung ist für den Rechtskreis des Käufers ersichtlich von Bedeutung, weil über einen Umstand getäuscht wird, der die Kaufentscheidung wesentlich beeinflusst hat (OLG Stuttgart, Urt. v. 28.11.2019, 14 U 89/19, BeckRS 2019, 30073 Rn. 43 f.; Urt. v. 26.11.2019, 12 U 142/19, BeckRS 2019, 30074 Rn. 55 f.; Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19, ZVertriebsR 2019, 362 Rn. 52 f.; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZIP 2019, 863 Rn. 40 f.; a. A. OLG Braunschweig, Urt. v. 19.02.2019, 7 U 134/17, DAR 2019, 261, Rn. 172 ff.).
36 
Auch die subjektiven Voraussetzungen einer Haftung der Beklagten nach § 826 BGB liegen vor.
37 
Der erforderliche Schädigungsvorsatz im Rahmen von § 826 BGB, der getrennt von der Sittenwidrigkeit, und zwar auch von deren subjektiver Seite, festzustellen ist (BGH, Urt. v. 12.07.1966, VI ZR 1/65, WM 1966, 1148; Urt. v. 28.06.1966, VI ZR 287/64, WM 1966, 1150), bezieht sich darauf, dass durch die Handlung einem anderen Schaden zugefügt wird. Fahrlässigkeit, auch grobe, genügt nicht (BGH, Urt. v. 06.06.1962, V ZR 125/60, NJW 1962, 1766; Teilversäumnis- und Endurt. v. 28.06.2016, VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn. 25). Der Vorsatz muss sich auf den Schaden erstrecken, eine nur allgemeine Vorstellung über eine etwa mögliche Schädigung reicht nicht aus (BGH, Urt. v. 24.04.2001, VI ZR 36/00, NJW 2001, 2880, 2882). Andererseits ist eine Schädigungsabsicht nicht erforderlich. Es genügt, dass der Schädiger den Schadenseintritt vorausgesehen und die Schädigung im Sinne eines direkten Vorsatzes gewollt oder jedenfalls im Sinne eines bedingten Vorsatzes billigend in Kauf genommen hat (BGH, Urt. v. 20.11.2012, VI ZR 268/11, NJW-RR 2013, 550, Rn. 32; Teilversäumnis- und Endurt. v. 28.06.2016, VI ZR 536/15, NJW 2017, 250, 253 Rn. 25; BGH, Urt. v. 13.09.2004, II ZR 276/02, NJW 2004, 3706, 3710; Palandt/Sprau, BGB, 79. Aufl. 2020, § 826 Rn. 11 f.). Eine genaue Vorstellung von dem zu erwartenden Kausalverlauf ist nicht erforderlich. Insbesondere muss der Schädiger nicht wissen, welche oder wie viele Personen durch sein Verhalten geschädigt werden (BGH, Urt. v. 19.07.2004, II ZR 402/02, NJW 2004, 2971, 2973 m. w. Nachw.). Für den eigens festzustellenden subjektiven Tatbestand der Sittenwidrigkeit genügt die Kenntnis der tatsächlichen Umstände, die das Sittenwidrigkeitsurteil begründen (BGH, Urt. v. 13.09.2004, II ZR 276/02, NJW 2004, 3706, 3710).
38 
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Beklagte kannte vorliegend die Umstände, welche die Sittenwidrigkeit rechtfertigen, und hat mit Schädigungsvorsatz gehandelt.
(c)
39 
Die Beklagte hat sich entsprechend § 31 BGB das Wissen und Wollen ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter (sog. Repräsentanten) zurechnen zu lassen. Eine „mosaikartige“ Zurechnung von Wissen mehrerer Personen eines Unternehmens scheidet dabei in der Regel aus. Sämtliche subjektiven Tatbestandselemente müssen angesichts des personalen Charakters der sittenwidrigen Schädigung vielmehr grundsätzlich in einer natürlichen Person verwirklicht sein (BGH, Urt. v. 28.06.2016, VI ZR 536/15, NJW 2017, 250, Rn. 23). Entsprechend § 31 BGB findet eine Zurechnung des Handelns von Organen im aktienrechtlichen Sinne, also insbesondere von Vorstandsmitgliedern, aber auch anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter statt. Der Begriff des „verfassungsmäßig berufenen Vertreters“ wird dabei weit, nämlich im Sinne eines Repräsentanten des Unternehmens ausgelegt (BGH, Urt. v. 30.10.1967, VII ZR 82/65; NJW 1968, 391, 392; Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl. 2020, § 31 Rn. 6), um zu verhindern, dass sich insbesondere Großunternehmen allein aufgrund ihrer Größe und durch ihre arbeitsteilige Organisationsstruktur einer Haftung für schuldhaftes Verhalten ihrer Mitarbeiter ohne weiteres entziehen können (OLG Stuttgart, Urt. v. 26.11.2019, 12 U 142/19, BeckRS 2019, 30074 Rn. 59). Rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht ist nicht erforderlich. Es genügt, dass einer Person durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind und sie die juristische Person insoweit repräsentiert (BGH, Urt. v. 30.10.1967, VII ZR 82/65, NJW 1968, 391, 392 Urt. v. 21.09.1971, VI ZR 122/70, NJW 1972, 334; Urt. v. 05.03.1998, III ZR 183/96, NJW 1998, 1854, 1856). Der personelle Anwendungsbereich von § 31 BGB deckt sich in etwa mit dem Begriff des leitenden Angestellten im Sinne des Arbeitsrechtes (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 79. Aufl. 2020, § 31 Rn. 6).
40 
Der Kläger hat zu einer Kenntnis und zum Handeln einschließlich der Motivation leitender Personen innerhalb der Beklagten bis hin zu deren Vorstand bereits in I. Instanz substantiiert vorgetragen, soweit ihm dies möglich war. Insbesondere hat er auch detailliert den Zertifizierungsvorgang nach DIN EN ISO 9001 bei der Beklagten beschrieben (Blatt 4 ff) und daraus den für ihn als Außenstehenden nachvollziehbaren Schluss gezogen, dass der Vorstand der Beklagten den Einsatz der rechtswidrigen Abschalteinrichtung gekannt und zumindest gebilligt haben muss.
41 
Dagegen hat die Beklagte den Vortrag des Klägers bezüglich einer Kenntnis und Billigung des Handelns durch ihre Repräsentanten nicht ausreichend bestritten, jedenfalls ihrer sie insoweit treffenden sekundären Darlegungslast nicht genügt. Der Vortrag der Beklagten in der Klagerwiderung vom 15.3.2019 (Seite 69 ff), der zusammengefasst darauf hinausläuft, wegen der noch laufenden Ermittlungen könne sie zu den einzelnen Verantwortlichen und zu dem maßgeblichen Entscheidungsprozess zum Einsatz der Abschalteinrichtung nicht weiter vortragen, kann bereits als unzulässiges Bestreiten mit Nichtwissen gem. § 138 Abs. 4 ZPO angesehen werden (zu einer vergleichbaren Formulierung OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.07.2019, 17 U 160/18, BeckRS 2019, 14948 Rn. 113 ff.).
42 
Jedenfalls hätte die Beklagte durch substantiierten Vortrag die Behauptung des Klägers erschüttern müssen, dass ein Repräsentant Kenntnis von der Verwendung der offensichtlich unzulässigen Abschalteinrichtung in Form eines Prüfstandmodus hatte. In der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist anerkannt, dass eine nicht beweisbelastete Partei ausnahmsweise eine Substantiierungslast treffen kann, wenn der darlegungspflichtige Gegner außerhalb des darzulegenden Geschehensablaufs steht und die maßgebenden Tatsachen nicht kennt, während sie der anderen Partei bekannt sind und ihr nähere Angaben zuzumuten sind (st. Rspr., so BGH, Versäumnisurt. v. 24.10.2014, V ZR 45/13, NJW 2015, 619, 621, Rn. 22; Urt. v. 03.05.2016, II ZR 311/14, NJW 2017, 886, 887 Rn. 19 f.). Der insoweit sekundär Darlegungspflichtige kann dabei im Rahmen des Zumutbaren zu Nachforschungen und Mitteilung der Ergebnisse verpflichtet sein (vgl. BGH, Urt. v. 30.03.2017, I ZR 19/16, NJW 2018, 65, Rn. 14 ff.; Urt. v. 11.06.2015, I ZR 75/14, NJW 2016, 953, 955 - Sekundäre Darlegungslast eines Internetanschlussinhabers – Tauschbörse III, Rn. 37 ff.). Für die Beurteilung ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass es um die Zurechnung einer objektiv feststehenden gezielten Manipulationsstrategie geht. Einer solchen Vorgehensweise immanent ist die Verschleierung der Verantwortlichkeit für den Fall, dass die Manipulation entdeckt wird. Wenn aber eine objektiv sittenwidrige Schädigung im Sinne von § 826 BGB vorgenommen und hierbei naturgemäß dafür Sorge getragen wird, dass die Zurechnung einer solchen Schädigung zu einzelnen verantwortlichen Personen verschleiert wird, ist es nicht Aufgabe des Geschädigten, der nicht einmal bei unterbliebener Verschleierung hinreichenden Einblick in die Entscheidungsvorgänge und Verantwortlichkeiten hat, die Zurechnung zu verantwortlichen Entscheidungsträgern darzulegen (LG Heilbronn, Urt. v. 24.04.2018, Ve 6 O 26/18).
43 
Der Kläger hat im vorliegenden Fall substantiiert behauptet, dass der Vorstand der Beklagten von der Entwicklung und der späteren Verwendung der streitgegenständlichen Software zur Motorsteuerung gewusst habe, und plausibel dargelegt, er habe mit seinem Klagevortrag alles in seiner Möglichkeit Stehende vorgebracht. Dies genügt im vorliegenden Fall, um eine sog. sekundäre Darlegungslast der Beklagten auszulösen, zumal der Kläger im Rahmen des § 138 Abs. 1 ZPO auch gehalten ist, keine reinen Behauptungen „ins Blaue hinein“ aufzustellen (vgl auch OLG Stuttgart, Urt. v. 28.11.2019, 14 U 89/19, BeckRS 2019, 30073 Rn. 48 f.; Urt. v. 26.11.2019, 12 U 142/19, BeckRS 2019, 30074 Rn. 60; Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19, ZVertriebsR 2019, 362, 368 f. Rn. 64 ff.; OLG Köln, Beschl. v. 03.01.2019, 18 U 70/18, NZV 2019, 249, 251 f. Rn. 28 ff.; a. A. OLG München, Beschl, v, 25.07.2017, 13 U 566/17, Rn. 5 ff.).
44 
Die Beklagte ist der Behauptung des Klägers nicht substantiiert entgegengetreten. Unstreitig haben Mitarbeiter der Beklagten die streitgegenständliche Software in Kenntnis von deren Funktionsweise in die Motorsteuerung sämtlicher Motoren der Generation EA 189 Euro 5 integriert, die konzernweit in vielen Millionen Dieselfahrzeugen zum Einsatz kommen sollten. Die beschriebene Funktion widersprach für jeden offensichtlich dem Verbot einer Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 S. 1 VO (EG) 715/2007. Angesichts der Tragweite der Entscheidung über die riskante Gestaltung der Motorsteuerungssoftware in einer solch hohen Anzahl von Motoren liegt es fern, dass die Entscheidung für eine greifbar rechtswidrige Software ohne Einbindung des Vorstands erfolgt ist und lediglich einem Verhaltensexzess untergeordneter Konstrukteure zuzuschreiben sein könnte. Es handelt sich der Sache nach um eine Strategieentscheidung mit außergewöhnlichen Risiken für den gesamten Konzern und massiven persönlichen Haftungsrisiken für die entscheidenden Personen, denen bei untergeordneten Konstrukteuren in Anbetracht der möglichen nachteiligen arbeits- und strafrechtlichen Folgen kein annähernd adäquater wirtschaftlicher Vorteil gegenübersteht. In Anbetracht der Tatsache, dass die fragliche Software jedenfalls zunächst durch einen Zulieferer programmiert und geliefert wurde und es sich bei der Motorsteuerung um ein Kernstück des Motors handelt, widerspräche es jeder Lebenswahrscheinlichkeit, wenn die Führungsebene des Unternehmens in diese Vorgänge nicht eingebunden worden wäre. Wer die Zustimmung zur Entwicklung und zum Einsatz einer Software in der Motorsteuerung für Millionen von Neufahrzeugen erteilt und damit ein Geschäftsmodell begründet, muss eine wichtige Funktion in einem Unternehmen haben und mit erheblichen Kompetenzen ausgestattet sein. Soweit es sich dabei nicht um einen Vorstand im aktienrechtlichen Sinne handelt, spricht im Hinblick auf das Gewicht der Entscheidung zumindest eine starke tatsächliche Vermutung dafür, dass es sich um einen Repräsentanten im Sinn der höchstrichterlichen Rechtsprechung handelt, weil er Entscheidungen trifft, die üblicherweise der Unternehmensführung vorbehalten sind.
45 
Die Beklagte durfte sich als Folge der sie treffenden Darlegungslast daher nicht auf das Bestreiten der seinerzeitigen Kenntnis oder Billigung von „einzelnen Vorstandsmitgliedern“ beschränken. Die Beklagte hätte mindestens zu den von ihr behaupteten internen Untersuchungen und Ermittlungen durch beauftragte externe Personen im Einzelnen vortragen und darlegen müssen, welche Personen die Entwicklung der Softwarefunktion beauftragt bzw. bei dem Zulieferer bestellt haben und wie die üblichen Abläufe innerhalb der Beklagten bei einem solchen Auftrag bzw. einer Entscheidung von derartiger Tragweite sind (OLG Stuttgart, Urt. v. 28.11.2019, 14 U 89/19, BeckRS 2019, 30073 Rn. 47; Urt. v. 26.11.2019, 12 U 142/19, BeckRS 2019, 30074 Rn. 60; Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19, ZVertriebsR 2019, 362, 368 f. Rn. 63; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 05.03.2019, 13 U 142/18, ZVertriebsR 2019, 178, 184 Rn. 55 ff., 186 Rn. 70 ff. m. w. N.; OLG Köln, Beschl. v. 16.07.2018, 27 U 10/18 Rn. 26; Heese NJW 2019, 257, 260). Der Beklagten ist eine genaue Darlegung auch zumutbar und wird von ihrem Vorstand explizit befürwortet (etwa in der am 22.09.2015 veröffentlichten Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG, die als oberstes Ziel des Vorstands aufführt, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen und Schaden von den Kunden abzuwenden, gefolgt von der Ankündigung, der Konzern werde die Öffentlichkeit über den weiteren Fortgang der Ermittlungen fortlaufend und transparent informieren).
2.
46 
Die Beklagte hat dem Kläger den aus der vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung resultierenden Schaden zu ersetzen. Dieser beträgt - nach Abzug der vom Kläger gezogenen Nutzungen im Wege des Vorteilsausgleichs - 20.393,66 EUR.
47 
Der Geschädigte, der durch die Täuschung eines Dritten zum Abschluss eines Vertrags veranlasst wurde, hat im Rahmen der Naturalrestitution (§ 249 Abs. 1 BGB) einen Anspruch auf Rückgängigmachung der Folgen dieses Vertrags, das heißt: Ausgleich der für den Vertrag getätigten Aufwendungen durch den Schädiger gegen Herausgabe des aus dem Vertrag Erlangten (BGH, Urt. v. 19.07.2004, II ZR 402/02, NJW 2004, 2971, 2974 Urt. v. 28.10.2014, VI ZR 15/14, NJW-RR 2015, 275, 277 Rn. 26).
48 
Der Kläger kann deshalb die Erstattung der von ihm für den Erwerb des Fahrzeugs verauslagten Kosten verlangen, Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs an die Beklagte. Von der Schadensersatzforderung des Klägers sind als Vorteilsausgleich die gezogenen Nutzungen durch den tatsächlichen Gebrauch des Fahrzeugs abzuziehen.
a)
49 
Die vom Kläger aufgebrachten Anschaffungskosten ergeben sich aus dem unstreitig vereinbarten und (in Form einer Überweisung und Inzahlunggabe eines Altfahrzeugs) aufgebrachten Kaufpreis in Höhe von 28.706,- EUR.
b)
50 
Der Kläger hat das streitgegenständliche Fahrzeug herauszugeben und an die Beklagte zu übereignen.
c)
51 
Die Schadensersatzforderung des Klägers reduziert sich im Wege des Vorteilsausgleichs um Nutzungen im Wert von 8.312,34 EUR, die er mit dem Fahrzeug gezogen hat.
(1)
52 
Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung dürfen dem Geschädigten neben seinem Ersatzanspruch nicht zusätzlich die Vorteile verbleiben, die ihm durch das schädigende Ereignis zugeflossen sind. Gleichartige Gegenansprüche sind automatisch zu saldieren (BGH, Urt. v. 12.03.2009, VII ZR 26/06, NJW 2009, 1870, 1871 Rn. 15 Palandt/Grüneberg, BGB, 79. Auflage 2020, vor § 249 Rn. 71). Soweit Ersatzanspruch und Vorteil nicht gleichartig sind, muss der Schädiger Schadensersatz nur Zug um Zug gegen Herausgabe des Vorteils leisten (BGH, Urt. v. 23.06.2015, XI ZR 536/14, NJW 2015, 3160 Rn. 22).
(2)
53 
Eine Berücksichtigung der vom Kläger gezogenen Nutzungen entfällt weder aufgrund der sittenwidrigen Schädigung der Beklagten noch unter verbraucherrechtlichen Gesichtspunkten.
54 
Der Kläger hat das streitgegenständliche Fahrzeug über einen mehrjährigen Zeitraum genutzt und auf diese Weise einen erheblichen geldwerten Vorteil erlangt. Auch angesichts des Umstandes, dass der Beklagten eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung vorzuwerfen ist, ist die Berücksichtigung dieses Vorteils nicht unbillig und führt insbesondere nicht zu einer ungerechtfertigten Entlastung des Schädigers. Der Kläger hätte auch ohne das schädigende Ereignis ein Kraftfahrzeug geführt und die daraus resultierenden Nutzungsvorteile auf eigene Kosten für sich in Anspruch genommen. Demgegenüber ist es regelmäßig nicht Aufgabe des Schadensrechts, das Verhalten des Schädigers in einer über die faktische Rückabwicklung des Vertrages hinausgehenden Weise zu sanktionieren (OLG Stuttgart, Urt. v. 28.11.2019, 14 U 89/19, BeckRS 2019, 30073 Rn. 51; Urt. v. 26.11.2019, 12 U 142/19, BeckRS 2019, 30074 Rn. 64; Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19, ZVertriebsR 2019, 362, 369 Rn. 72 f.; OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.11.2019, 17 U 146/19, BeckRS 2019, 28963 Rn. 99 ff.; OLG Koblenz, Urt. v. 12.06.2019, 5 U 1318/18, NJW 2019, 2239, 2245 Rn. 84).
55 
Der Berücksichtigung des Nutzungsvorteils im Wege der Vorteilsausgleichung stehen im Übrigen weder die gesetzlichen Regelungen noch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zum Verbrauchsgüterkauf entgegen.
56 
Die Entscheidung des EuGH vom 17.04.2008 (1. Kammer, C 404/06, NJW 2008, 1433 – Kein Wertersatz für Nutzung vertragswidrigen Verbrauchsguts – Quelle AG), nach der im Rahmen der Nachlieferung bei einem Verbrauchsgüterkauf Wertersatz für die zurück zu gewährende zuerst gelieferte mangelhafte Sache nicht verlangt werden kann, ist nicht auf die vorliegende Fallkonstellation übertragbar. Im streitgegenständlichen Fall ist kein Verbrauchsgüterkauf, sondern ein deliktischer Anspruch gegen den Hersteller des Fahrzeugs zu beurteilen. Zum anderen ist die vorliegende Konstellation allenfalls einem Rücktritt vergleichbar, nicht aber der Nachlieferung einer mangelfrei geschuldeten Sache. Für den Rücktritt aber ordnet § 346 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB ausdrücklich die Verpflichtung zur Herausgabe gezogener Nutzungen bzw. zum Wertersatz an. § 475 Abs. 3 S. 1 BGB erklärt die Nutzungsherausgabe bzw. den Wertersatz nur für den Fall der Nachlieferung beim Verbrauchsgüterkauf für unanwendbar (OLG Stuttgart, Urt. v. 28.11.2019, 14 U 89/19, BeckRS 2019, 30073 Rn. 51; Urt. v. 26.11.2019, 12 U 142/19, BeckRS 2019, 30074 Rn. 64; Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19, ZVertriebsR 2019, 362, 369 Rn. 74 f.; OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.11.2019, 17 U 146/19, BeckRS 2019, 28963 Rn. 99 ff.; OLG Koblenz, Urt. v. 12.06.2019, 5 U 1318/18, NJW 2019, 2239, 2245 Rn. 84).
(3)
57 
Die Höhe des anzurechnenden Nutzungsersatzes ist im Wege der Schätzung nach § 287 ZPO zu ermitteln.
58 
Dabei ist es sachgerecht, entsprechend der Rückabwicklung beim Fahrzeugkauf die vom Käufer tatsächlich gefahrenen Kilometer ins Verhältnis zum Kaufpreis und der bei Vertragsabschluss zu erwartenden Restlaufleistung zu setzen (OLG Stuttgart, Urt. v. 28.11.2019, 14 U 89/19, BeckRS 2019, 30073 Rn. 52; Urt. v. 26.11.2019, 12 U 142/19, BeckRS 2019, 30074 Rn. 65; Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19, ZVertriebsR 2019, 362, 369 Rn. 76; OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.11.2019, 17 U 146/19, BeckRS 2019, 28963 Rn. 99 ff.; BGH, Urt. v. 17.05.1995, VIII ZR 70/94, NJW-RR 1995, 2159, 2161).
59 
Nach schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen von Kfz-Sachverständigen, die vom Senat in zahlreichen anderen Rechtsstreitigkeiten zu der erwartbaren Laufleistung vergleichbarer Kraftfahrzeuge befragt worden sind, ist bei der Gesamtlaufleistung, die sich nicht nur aus der Haltbarkeit des Motors, sondern des Fahrzeugs insgesamt ergibt, zwar von 300.000 km auszugehen (so auch OLG Stuttgart, Urt. v. 28.11.2019, 14 U 89/19, BeckRS 2019, 30073 Rn. 52; Urt. v. 24.09.2019, 10 U 11/19, ZVertriebsR 2019, 362, 369 Rn. 76; anders aber für eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km: OLG Stuttgart, Urt. v. 26.11.2019, 12 U 142/19, BeckRS 2019, 30074 Rn. 65; OLG Karlsruhe, Urt. v. 19.11.2019, 17 U 146/19, BeckRS 2019, 28963 Rn. 108; BGH, Beschl. v. 09.12.2014, VIII ZR 196/14, BeckRS 2015, 1267). Der Senat hat sich im Rahmen des nach § 287 Abs. 1 ZPO eröffneten Schätzungsermessens schon wiederholt der Meinung angeschlossen, dass gerade bei den von der Beklagten gerichtsbekannt als besonders langlebig beworbenen Fahrzeugen mit dem konkreten Dieselmotor eine durchschnittliche Laufleistung von 300.000 km zugrunde gelegt werden kann.
60 
Im vorliegenden Fall jedoch ist aus spezifisch berufungsrechtlichen, prozessualen Gründen nur von einer Gesamtfahrleistung von 250.000 km auszugehen, weil der Kläger die darauf fußende Berechnung des Vorteilsausgleichs durch das Landgericht nicht seinerseits angegriffen hat, sich vielmehr mit einer Verteidigung des angefochtenen Urteils begnügt hat.
61 
Bei Ansatz einer beim Kauf noch zu erwartenden Restlaufleistung des Fahrzeugs von demnach 250.000 Km (das Fahrzeug wurde unstreitig mit einem Kilometerstand von 0 erworben) ergibt sich als Wert der vom Kläger gezogenen Nutzungen nach der Formel: Nutzungsentschädigung = Kaufpreis x gefahrene km / Restlaufleistung bei Vertragsschluss ein Betrag von (28.706 EUR x 72.392 km / 250.000 km =) 8.312,34 EUR.
62 
Hieraus ergibt sich eine Differenz zu den unter (1) dargelegten Anschaffungskosten von (28.706 EUR - 8.312,34 EUR =) 20.393,66 EUR.
d)
63 
Die Beklagte schuldet daraus Rechtshängigkeitszinsen ab dem Folgetag der Klagezustellung am 9.1.2019 (nach Bl. 19a d. A.), §§ 291, 288 Abs. 1 BGB, also ab 10.1.2019.
3.
64 
Ein Anspruch des Klägers auf Zinsen aus § 849 BGB besteht nicht.
65 
Zwar kann die Vorschrift des § 849 BGB jeden Sachverlust durch ein Delikt erfassen und erstreckt sich auch auf Geld (BGH, Versäumnisurt. v. 26.11.2007, II ZR 167/06, NJW 2008, 1084). Der Regelung des § 849 BGB kann aber kein allgemeiner Rechtssatz dahin entnommen werden, dass deliktische Schadensersatzansprüche stets von ihrer Entstehung an zu verzinsen seien (so ausdrücklich BGH, Urt. v. 12.06.2018, KZR 56/16, NJW 2018, 2479, 2482 Rn. 45). Der Zweck der Vorschrift richtet sich darauf, einen Verlust an der Nutzbarkeit der weggegebenen Sache als pauschalierten Mindestbetrag auszugleichen, der durch den späteren Gebrauch derselben oder einer anderen Sache nicht nachgeholt werden kann (Wagner in Münchener Kommentar zum BGB, 7. Aufl. 2017, § 849 Rn. 2). Bei Anwendung des § 849 BGB ergibt sich ein pauschalierter Mindestbetrag unabhängig von einer im Einzelfall tatsächlich gezogenen Nutzung; die Vorschrift hat deshalb eine andere Zielrichtung als die im Rahmen des Vorteilsausgleichs zu berücksichtigende konkret vorgenommene Fahrzeugnutzung. Im vorliegenden Fall hat der Kläger als Käufer des streitgegenständlichen Fahrzeugs den bezahlten Kaufpreis nicht ersatzlos weggegeben, sondern im Gegenzug Eigentum und Besitz am streitgegenständlichen Pkw einschließlich der damit verbundenen abstrakten Nutzungsmöglichkeit erhalten, wobei die Möglichkeit zur Nutzung für den Kläger nicht fühlbar eingeschränkt gewesen war (OLG Stuttgart, Urt. v. 28.11.2019, 14 U 89/19, BeckRS 2019, 30073 Rn. 55; Urt. v. 26.11.2019, 12 U 142/19, BeckRS 2019, 30074 Rn. 68; OLG Hamm, Urt. v. 10.09.2019, 13 U 149/18, Rn. 81; OLG Karlsruhe, Urt. v. 06.11.2019, 13 U 37/19 Rn. 131 ff. m. Nachw.; Riehm, NJW 2019, 1105, 1109).
66 
Für die Anwendung des § 849 BGB ist unter diesen Umständen kein Raum. Der abweichenden Auffassung, die etwa vom Oberlandesgericht Oldenburg (Urt. v. 02.10.2019, 5 U 47/19, Rn. 41 ff.), vom 17. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Karlsruhe (Urt. v. 19.11.2019, 17 U 146/19, Rn. 110 ff., BeckRS 2019, 28963) oder vom Oberlandesgericht Koblenz vertreten worden ist, das bei wirtschaftlicher Betrachtung zumindest einen teilweisen Entzug des Kaufpreises gesehen hat (Urt. v. 16.09.2019, 12 U 61/19, r+s 2019, 657, 662 f.), schließt sich der Senat deshalb nicht an.
67 
Der Senat sieht im Übrigen auch nicht eine Vergleichbarkeit des vorliegend zu beurteilenden Sachverhalts mit demjenigen, der der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 12.6.2018 (NJW 2018, 2479 ff, RZ 44- 46 nach juris) zugrunde lag. Ungeachtet der dort zu beachtenden Besonderheit eines Kartellrechtsverstoßes, bei dem nach Auffassung des Kartellsenats des BGH eine entsprechende Anwendung von § 849 BGB einem unionsrechtlichen Postulat genügen sollte, kann hier schon wegen der uneingeschränkten Nutzung des Fahrzeugs durch den Kläger nicht erkannt werden, dass und inwieweit von diesem ein überhöhter Preis im Sinne der kartellrechtlichen Erwägungen des BGH gezahlt worden wäre.
III.
68 
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1 S. 1, 2. Alt., 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 S. 1, S. 2, 709 S. 2 ZPO.
IV.
69 
Die Revision wird gem. § 543 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Abs. 2 S. 1 Nr. 1 und 2 ZPO zugelassen.
70 
Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert eine Entscheidung des Revisionsgerichts. In einer Vielzahl vergleichbarer Rechtsstreitigkeiten, in denen sich die gleichen Rechtsfragen stellen wie im vorliegenden Fall, sind divergierende obergerichtliche Entscheidungen ergangen. Zwar hat die Frage einer grundsätzlichen Haftung der Beklagten nach § 826 BGB durch die Entscheidung des VI. Zivilsenats vom 25.5.2020 in der Sache VI ZR 252/19 inzwischen eine Klärung erfahren. Die Frage nach der Berechtigung des Zinsanspruchs aus § 849 BGB, die mitunter erhebliche wirtschaftliche Auswirkung hat, wird aber noch immer kontrovers entschieden.

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