Urteil vom Verwaltungsgericht Düsseldorf - 20 K 4304/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
1
Tatbestand:
2Mit Beschluss des Amtsgerichts E. – Insolvenzgericht – vom 20. August 2013 (Az.: 63 IN 000/13) wurde über das Vermögen der F. S. UG das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter ernannt. Dies geschah aufgrund eines am 12. Dezember 2012 beim Insolvenzgericht eingegangenen Antrags einer Gläubigerin. Das Insolvenzverfahren ist noch nicht abgeschlossen.
3Geschäftsgegenstand der F. S. UG war die Reinigung von Baustellen hauptsächlich für eine Auftraggeberin, die C. E1. GmbH in E. . Seit Beginn des Kalenderjahres 2013 wurden die zuvor an die F. vergebenen Aufträge der J. C1. UG erteilt, so dass diese seither keinerlei Umsatzerlöse erzielt hat. Ebenso wurden sämtliche Arbeitsverhältnisse auf die J. C1. UG übertragen. Zum 19. August 2013 meldete die F. ihr Gewerbe ab.
4Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erhielt die Beklagte aufgrund einer durchgeführten Zwangsvollstreckung am 21. Mai 2013 113,13 Euro und am 17. Mai 2013 340,96 Euro aus dem schuldnerischen Vermögen. Mit Schreiben vom 15. Mai 2014 forderte der Kläger nach Zahlungsanfechtung zur Auskehr der erhaltenen Beträge an die Insolvenzmasse auf. Am 27. Mai 2014 – übersandt am 6. Juni 2014 – erließ die Beklagte den Beitragsbescheid für das Jahr 2014 in Höhe von 180,00 Euro. Diesem legte sie einen Gewerbeertrag der F. in Höhe von 0,00 Euro zugrunde. Die Beitragspflicht der F. begründete sie damit, dass eine Mitgliedschaft des Unternehmens in der Industrie- und Handelskammer auch während des Insolvenzverfahrens bestehe, so dass es sich bei der in Rede stehenden Beitragszahlung um eine Masseverbindlichkeit handele. Die Beklagte verrechnete den angefochtenen Betrag von insgesamt 454,09 Euro mit der angeforderten Beitragszahlung und kündigte an, den noch offenen Betrag in Höhe von 274,09 Euro auf das von dem Kläger eingerichtete Verwalteranderkonto einzuzahlen.
5Mit Schreiben vom 10. Juni 2014 beantragte der Kläger gegenüber der Beklagten die Aufhebung des angegriffenen Bescheides und führte aus, dass der Geschäftsbetrieb der F. bereits vor Insolvenzeröffnung im Jahr 2013 vollständig eingestellt worden sei und eine Beitragspflicht für das Kalenderjahr 2014 daher nicht bestehe.
6Der Kläger hat am 3. Juli 2014 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor: Der angegriffene Beitragsbescheid sei aufzuheben, da weder er noch die Schuldnerin Mitglied der Beklagten sei. Die Schuldnerin erziele bereits seit 2013 keine Umsätze mehr, übe keinen Geschäftsbetrieb aus und sei nicht mehr zur Gewerbesteuer veranlagt. Bei Kapitalgesellschaften ende die Gewerbesteuerpflicht mit der Einstellung jeglicher Tätigkeit, mithin dann, wenn das gesamte Vermögen verwertet sei. Dies entspreche dem Grundgedanken des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO, wonach Masseverbindlichkeiten nur durch Handlungen des Insolvenzverwalters und/oder dann begründet werden könnten, wenn der Insolvenzmasse eine entsprechende Gegenleistung zufließe. Indes sei die Verwertung des schuldnerischen Vermögens spätestens mit Gutschrift des Ablösebetrages aus der letzten Sachverwertung am 8. Oktober 2013 abgeschlossen gewesen. Soweit das Insolvenzverfahren aufgrund von Anfechtungsansprüchen eröffnet worden sei, zählten diese nicht zum schuldnerischen Vermögen, da sie ausschließlich vom Insolvenzverwalter geltend zu machen seien und daher erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstünden.
7Nach § 18 GewStG entstehe die Gewerbesteuer mit Ablauf des Erhebungszeitraums, für den die Festsetzung vorgenommen werde, also nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Als Masseverbindlichkeit könne in diesem Zusammenhang aber nur der Teil der Steuerschuld geltend gemacht werden, der auf dem Ertrag nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beruhe, da nur dieser auf das Verhalten des Insolvenzverwalters zurückzuführen sei. Da der Gewerbebetrieb der F. bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vollständig eingestellt gewesen sei, könne mangels Ertrages nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens auch keine Gewerbesteuer als Masseverbindlichkeit gegenüber dem Kläger geltend gemacht werden. Gleiches gelte für den streitgegenständlichen Beitrag. Denn dieser könne ebenfalls ausschließlich gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zur Masseverbindlichkeit erhoben werden. Eine entsprechende Handlung des Insolvenzverwalters sei jedoch ebenso zu verneinen wie eine Begründung in anderer Weise durch Verwaltung, Verwertung oder Verteilung der Insolvenzmasse.
8Die Insolvenzschuldnerin als Kapitalgesellschaft sei strikt von dem Kläger als Partei kraft Amtes zu unterscheiden. Auf den Kläger als Insolvenzverwalter gehe gemäß § 80 Abs. 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das schuldnerische Vermögen über; rechtlicher Vertreter der Schuldnerin sei er jedoch nicht. Erst recht trete er nicht an die Stelle der Schuldnerin. Insoweit bilde die hier nicht anwendbare Vorschrift des § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Ausnahme. Durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens ändere sich der Beklagten zufolge nichts daran, dass die Insolvenzschuldnerin Pflichtmitglied der Beklagten bleibe. Eine neue Mitgliedschaft des Klägers als Partei kraft Amtes werde hierdurch nicht begründet. Insoweit könne eine Verpflichtung des Insolvenzverwalters allein nach dem hier nicht einschlägigen § 55 InsO begründet werden.
9Der Kläger beantragt,
10den Beitragsbescheid der Beklagten vom 27. Mai 2014 aufzuheben.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Er hält an seinen Ausführungen im Verwaltungsverfahren fest und ergänzt diese wie folgt: Die F. S. UG sei Mitglied der Beklagten und damit nach §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 2, 3 IHKG grundsätzlich beitragspflichtig. Sie sei als juristische Person und Kapitalgesellschaft gemäß § 2 Abs. 2 GewStG stets und in vollem Umfang als Gewerbebetrieb einzuordnen und damit objektiv gewerbesteuerpflichtig. Nach § 4 GewStDV ende die objektive Gewerbesteuerpflicht erst bei der Beendigung der Abwicklung, also zum Abschluss der Liquidation, wenn sämtliches Vermögen verteilt sei. Ergänzend hierzu regle § 4 Abs. 2 GewStDV, dass die Gewerbesteuerpflicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen nicht berührt werde. Eine Verteilung des Vermögens erfolge erst nach Abschluss des Insolvenzverfahrens. Dies sei nicht der Fall, da insbesondere eine Schlussverteilung gemäß §§ 200, 196 InsO noch nicht stattgefunden habe. Auf das Bestehen von Arbeitsverhältnissen oder das Erzielen von Umsatzerlösen stelle das für die Mitgliedschaft maßgebliche Gewerbesteuerrecht nicht ab. Vielmehr werde das Kriterium des fehlenden Gewerbeertrages bei der Staffelung des Grundbeitrages und der Umlage durch die Wirtschaftssatzung berücksichtigt.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs ergänzend Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe:
16Die Klage hat keinen Erfolg. Sie ist zulässig, aber unbegründet.
17Die Klage ist als Anfechtungsklage gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO zulässig. Die Beteiligungsfähigkeit des Klägers als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin folgt aus § 80 Abs. 1 InsO. Als Partei kraft Amtes ist er im Wege gesetzlicher Prozessstandschaft zur prozessualen Geltendmachung subjektiver Rechte der Insolvenzschuldnerin ermächtigt und damit klagebefugt im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO.
18Die Klage ist aber nicht begründet.
19Der Kläger ist aktivlegitimiert, da die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen der F. S. UG gemäß § 80 Abs. 1 InsO durch Beschluss des Amtsgerichts E. – Insolvenzgericht – vom 12. Dezember 2012 auf ihn übergegangen ist.
20Der Bescheid vom 27. Mai 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
21Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Mitgliedsbeitrag sind §§ 2 Abs. 1, 3 Abs. 2 und 3 IHKG i. V. m. der Beitragsordnung der Niederrheinischen IHK vom 1. Dezember 2004, zuletzt geändert durch Beschluss der Vollversammlung vom 6. Dezember 2007 i. V. m. der Wirtschaftssatzung für das Geschäftsjahr 2014 vom 26. November 2013. Nach diesen Vorschriften erhebt die Industrie- und Handelskammer von ihren Mitgliedern als Beiträge Grundbeiträge und Umlagen.
22Die Voraussetzungen dieser Vorschriften liegen vor.
23Die F. S. UG ist nach wie vor Mitglied der Beklagten. Gemäß § 2 Abs. 1 IHKG gehören zur Industrie- und Handelskammer, sofern sie zur Gewerbesteuer veranlagt sind, unter anderem juristische Personen des privaten Rechts, welche im Bezirk der Industrie- und Handelskammer eine Betriebsstätte unterhalten. Das Merkmal der „Veranlagung zur Gewerbesteuer“ ist dabei rein objektiv zu bestimmen und hängt nicht davon ab, ob der Gewerbetreibende tatsächlich Gewerbesteuer zahlen muss oder ob er überhaupt Gewinne erwirtschaftet. Für die Mitgliedschaft in der IHK kommt es allein auf die dem Grunde nach bestehende Gewerbesteuerpflicht an.
24Vgl. BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2005 – 6 C 10/04 –; zitiert nach juris.
25Die F. S. UG ist objektiv gewerbesteuerpflichtig. Denn als Kapitalgesellschaft ist sie gemäß § 2 Abs. 2 GewStG in vollem Umfang als Gewerbebetrieb im Sinne des Gewerbesteuerrechts anzusehen. Die durch das am 1. November 2008 in Kraft getretene Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missständen (MoMiG) eingeführte Unternehmergesellschaft gilt als Handelsgesellschaft im Sinne des Handelsgesetzbuchs (vgl. §§ 5 a, 13 Abs. 3 GmbHG) und ist im Handelsregister eingetragen. Hinsichtlich ihrer grundsätzlichen Gewerbesteuerpflichtigkeit und der daraus folgenden Beitragspflichtigkeit zu den Industrie- und Handelskammern bestehen vor diesem Hintergrund in der Rechtsprechung keinerlei Zweifel.
26Vgl. etwa VG Hannover, Urteil vom 7. Mai 2013 – 11 A 2436/11 –; OVG Lüneburg, Beschluss vom 24. Juli 2013 – 8 LA 16/13 –; zitiert nach juris.
27Auch das durch Beschluss des Amtsgerichts E. vom 20. August 2013 über das Vermögen der F. S. UG eröffnete Insolvenzverfahren steht ihrer Gewerbesteuerpflichtigkeit nicht entgegen. Gemäß § 4 Abs. 1 der Gewerbesteuer-Durchführungsverordnung (GewStDV) i. d. F. v. 15. Oktober 2002 bleibt ein in Auflösung befindlicher Gewerbebetrieb bis zur Beendigung seiner Aufgabe oder Abwicklung Steuergegenstand. Ausweislich der Vorschrift des § 4 Abs. 2 GewStDV wird die Gewerbesteuerpflicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers nicht berührt. Ganz in diesem Sinne bestimmt § 3 Abs. 3 Satz 2 der Beitragsordnung der Beklagten (BO), dass die Beitragspflicht der Kammerzugehörigen durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens nicht berührt wird. Korrespondierend hierzu erlischt bei den Kapitalgesellschaften im Sinne des § 2 Abs. 2 GewStG – anders als bei Einzelkaufleuten und Personengesellschaften – nach R 2.6 Abs. 2 Satz 1 GewStR 2009 die objektive Gewerbesteuerpflichtigkeit nicht schon mit dem Aufhören der gewerblichen Tätigkeit, sondern mit dem Aufhören jeglicher Tätigkeit überhaupt. Da die Auflösung und Abwicklung der Kapitalgesellschaften im Sinne des § 2 Abs. 2 GewStG somit an ihrer Gewerbesteuerpflicht nichts ändern, fallen die Beendigung der Abwicklung und das Aufhören der Gewerbesteuerpflicht gemäß R 2.6 Abs. 4 Satz 3 der Gewerbesteuer-Richtlinien 2009 (GewStR) regelmäßig mit dem Zeitpunkt zusammen, in dem das Vermögen an die Gesellschafter verteilt ist. Wenn bei dieser Verteilung Vermögensbeträge zur Begleichung von Schulden zurückbehalten werden, bleibt das Unternehmen nach R 2.6 Abs. 4 Satz 3 GewStR gewerbesteuerpflichtig, bis die Schulden beglichen sind. Die Frage des Abwicklungszeitpunkts beantwortet sich vor diesem Hintergrund ausschließlich danach, wie lange die Gesellschaft Vermögen hat und dieses verwaltet.
28Vgl. Kammer, Urteil vom 3. Mai 2012 – 20 K 1247/11 –.
29Welcher Zeitpunkt im Laufe der insolvenzrechtlichen Abwicklung der Gesellschaft als Zeitpunkt der „Beendigung seiner Aufgabe oder Abwicklung“ im Sinne des § 4 Abs. 1 GewStDV anzusehen ist, wird durch die gewerbesteuerrechtlichen Vorschriften nicht präzisiert. Er lässt sich daher nur anhand des Sinn und Zwecks sowie der Systematik der insolvenz- und steuerrechtlichen Vorschriften näher eingrenzen. Dabei dürfte Einigkeit jedenfalls insoweit bestehen, als dass es für den Fortbestand der Gewerbesteuerpflichtigkeit nicht darauf ankommt, ob der im Handelsregister eingetragene Unternehmensgegenstand bis zur Löschung der Gesellschaft noch die Möglichkeit der Wiederaufnahme einer gewerblichen Tätigkeit bietet. Denn die Anmeldung zur Löschung im Handelsregister oder gar die Löschung selbst ist kein Bestandteil der Abwicklung im Sinne der oben genannten Vorschriften.
30Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 17. Februar 2000 – A 1 S 157/99 –; zitiert nach juris.
31Auf der anderen Seite ist als frühestmöglicher Zeitpunkt der Abwicklung die insolvenzrechtliche Schlussverteilung im Sinne des § 196 Abs. 1 InsO anzusehen. Denn Sinn und Zweck der Schlussverteilung ist, die gesamte verwertbare Masse an die Insolvenzgläubiger auszuschütten und das Insolvenzverfahren zu beenden, vgl. § 200 InsO. Sie findet statt, sobald die Masseverwertung abgeschlossen ist.
32Vgl. Meller-Hannich in: Jaeger, InsO, § 196 Rdn. 1.
33Der Zeitpunkt der Schlussverteilung ist insoweit als derjenige anzusehen, zu welchem das Vermögen der Gesellschaft – mit Ausnahme des laufenden Einkommens – im Sinne des § 4 Abs. 1 und 2 GewStDV „verteilt“ ist. Nur diese Betrachtungsweise genügt auch der in §§ 2 Abs. 1 IHKG, 4 GewStDV zum Ausdruck kommenden Intention des Gesetzgebers, das Bestehen der objektiven Gewerbesteuerpflicht möglichst an objektivierte Begebenheiten und nicht an das Bestehen einzelner Vermögenswerte anzuknüpfen.
34Unter Zugrundelegung dessen hat sich die F. S. UG zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides am 27. Mai 2014 noch in der Abwicklung befunden. Denn zu diesem Zeitpunkt hat nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten eine Schlussverteilung im Sinne des § 196 InsO noch nicht stattgefunden, so dass eine Verteilung der noch vorhandenen Masse und damit eine abschließende Verwertung weiterhin aussteht. Hieran ändert auch der Umstand nichts, dass die F. S. UG ihr Gewerbe bereits zum 19. August 2013 abgemeldet und sämtliche Geschäftstätigkeiten zu Beginn des Kalenderjahres 2013 eingestellt hatte. Ebenso wenig ist in diesem Zusammenhang maßgeblich, dass sie zu diesem Zeitpunkt nicht mehr über personelles oder sachliches Kapital, das unmittelbar der Führung des laufenden Betriebes zugeordnet werden könnte, verfügte. Denn anders als bei den Personenhandelsgesellschaften ist bei den Kapitalgesellschaften eine werbende Tätigkeit – also eine solche, die regelmäßig eine Teilnahme am allgemeinen Geschäftsverkehr mit sich bringt – nach dem ausdrücklichen Wortlaut von Nr. 19 Abs. 3 Satz 2 GewStR nicht erforderlich.
35Die F. S. UG hat schließlich auch eine Betriebsstätte im Bezirk der Beklagten unterhalten. Das IHKG enthält keine eigene Definition des Begriffs der Betriebsstätte, es wird jedoch ganz allgemein,
36vgl. etwa BVerwG, Urteil vom 19. Januar 2005 – 6 C 10/04 –; zitiert nach juris,
37auf den steuerrechtlichen Betriebsstättenbegriff des § 12 AO abgestellt. Gemäß § 12 Satz 1 AO ist Betriebsstätte jede feste Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit des Unternehmens dient, wobei nach dem Regelbeispiel des § 12 Satz 2 Nr. 1 AO als Betriebsstätte unter anderem die Stätte der Geschäftsleitung anzusehen ist. Geschäftsleitung ist nach § 10 AO der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung, also dort, wo der für die Geschäftsführung maßgebliche Wille gebildet wird bzw. an dem auf Dauer gesehen die für die Geschäftsführung notwendigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit getroffen werden. Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs muss jedes Unternehmen einen Ort der Geschäftsleitung haben. Eine feste eigene Geschäftseinrichtung oder Anlage, die der Tätigkeit des Unternehmens dient, ist hierfür nicht erforderlich. Daher kann sich die Stätte der Geschäftsleitung etwa auch in der Wohnung des Geschäftsführers einer Kapitalgesellschaft befinden.
38Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 1. Dezember 2010 – 17 A 2689/09 –; BFH, Urteil vom16. Dezember 1998 – I R 138/97 –; jeweils zitiert nach juris.
39Unter Zugrundelegung dessen befindet sich die Betriebsstätte der F. S. UG im Bezirk der Beklagten. Im Falle einer Insolvenz werden die für das tatsächliche und rechtliche Geschäft der Gesellschaft maßgeblichen Handlungen regelmäßig durch den Insolvenzverwalter ausgeübt, so dass dieser grundsätzlich die Geschäftsleitung im Sinne des § 10 AO innehat. Der Sitz des Insolvenzverwalters über das Vermögen der F. S. UG befindet sich in E. und damit im Kammerbezirk.
40Da die Höhe des streitgegenständlichen Beitragsbescheides auch von dem Kläger nicht beanstandet wird, erweist sich die angegriffene Beitragsforderung dem Grunde und der Höhe nach als rechtmäßig.
41Die Inanspruchnahme des Klägers in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der F. S. UG begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Die von der Beklagten festgesetzte Beitragsforderung stellt eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO dar, die – anders als eine Insolvenzforderung nach § 38 InsO – gemäß § 53 InsO unmittelbar gegenüber dem Insolvenzverwalter geltend zu machen und von diesem aus der Insolvenzmasse zu begleichen ist.
42Gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO sind Masseverbindlichkeiten solche, die durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören. Unter Handlungen des Insolvenzverwalters im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 InsO versteht das Gesetz Rechtsgeschäfte und andere schuld- oder haftungsbegründende Handlungen einschließlich der Prozesshandlungen.
43Vgl. Henckel, in: Jaeger, InsO, § 55 Rdn. 8.
44Die von der Beklagten erhobene Beitragsforderung ist keine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 InsO, weil sie nicht durch eine Handlung des Insolvenzverwalters, sondern als Folge seiner Amtstätigkeit entstanden ist. Nach unbestrittenem Vortrag des Klägers wurde der Geschäftsbetrieb der F. bereits zu Beginn des Kalenderjahres 2013 eingestellt, nachdem sämtliche Aufträge der J. S. UG erteilt worden waren und die F. keine Umsätze mehr erzielt hatte. Spätestens seit der Verwertung des letzten Sachgegenstandes der F. bzw. mit Gutschrift des Ablösebetrages am 8. Oktober 2013 hat auch der Kläger keine rechtsgeschäftlichen Handlungen im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 1 InsO mehr vorgenommen.
45Die streitbefangene Beitragsforderung stellt aber eine gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO in anderer Weise durch die Verwertung der Insolvenzmasse begründete Masseverbindlichkeit dar.
46Die in anderer Weise begründeten sonstigen Masseverbindlichkeiten im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO müssen durch die Amtstätigkeit des Verwalters ausgelöst worden sein und dürfen weder zu den durch Handlungen des Insolvenzverwalters begründeten Verbindlichkeiten nach Nr. 1 Halbsatz 1 noch zu den sonstigen Masseverbindlichkeiten der Nr. 2 oder der Nr. 3 gehören. Zu den Verbindlichkeiten, die durch die Verwaltung entstehen, sind etwa diejenigen zu zählen, die durch den Beschluss eines Organs oder einer Gemeinschaft kraft Gesetzes oder kraft Verwaltungsakts entstehen.
47Vgl. Henckel, in: Jaeger, InsO, § 55 Rdn. 29 f.
48Zu den kraft Gesetzes entstehenden Masseverbindlichkeiten zählen insbesondere Steuerforderungen, etwa die Einkommenssteuer und Körperschaftssteuer, die Gewerbesteuer, Grundsteuer und die Lohnsteuer für die Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnisse nach der Verfahrenseröffnung fortbestehen oder vom Verwalter im Unternehmen des Schuldners neu begründet werden. Demgegenüber gehören zu den Masseverbindlichkeiten, die durch Verwaltungsakt begründet oder festgesetzt werden, etwa Beiträge, Sonderbeiträge und Gebühren, die an Kammern als Körperschaften des öffentlichen Rechts für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu entrichten sind.
49Vgl. Henckel, in: Jaeger, InsO, § 55 Rdn. 33 ff.
50Dabei setzt § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO stets voraus, dass die Verbindlichkeit auf eine – wie auch immer geartete – Verwaltungsmaßnahme des Insolvenzverwalters in Bezug auf die Insolvenzmasse zurückzuführen ist. Denn nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht gemäß § 80 Abs. 1 InsO nur noch dem Insolvenzverwalter das Recht zu, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zur verwalten und über es zu verfügen. Gemäß § 35 InsO erfasst das Insolvenzverfahren grundsätzlich das gesamte Vermögen, das dem Schuldner zur Zeit der Eröffnung des Verfahrens gehört und das er während des Verfahrens erlangt (Insolvenzmasse). Damit gehören etwa auch Einkünfte, die nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erzielt werden, zur Insolvenzmasse; nicht zur Insolvenzmasse gehören dagegen nach § 36 InsO unpfändbare und wirksam freigegebene Gegenstände.
51Vgl. FG München, Urteil vom 21. Juli 2010 – 10 K 3005/07 – m.w.N. –; zitiert nach juris.
52Welche Anforderungen an die danach erforderliche massebezogene Verwaltungshandlung des Insolvenzverwalters zu stellen sind, ergibt sich aus § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO nicht ohne weiteres. Rechtliche Vorgaben lassen sich jedoch der Systematik und dem Sinn und Zweck der insolvenzrechtlichen Vorschriften sowie deren Zusammenspiel mit den hier einschlägigen Vorschriften des Gewerbesteuerrechts entnehmen.
53Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens sind in § 1 InsO niedergelegt. Dort heißt es: „Das Insolvenzverfahren dient dazu, die Gläubiger eines Schuldners gemeinschaftlich zu befriedigen, indem das Vermögen eines Schuldners verwertet und der Erlös verteilt oder in einem Insolvenzplan eine abweichende Regelung insbesondere zum Erhalt des Unternehmens getroffen wird. Dem redlichen Schuldner wird Gelegenheit gegeben, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien.“ Soweit § 1 InsO als Ziel des Insolvenzverfahrens die gemeinschaftliche Befriedigung der Gläubiger benennt, kann diese auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Mitteln erreicht werden. Hierzu sieht das Gesetz verschiedene Forderungskategorien vor. Das Insolvenzvermögen, also die Insolvenzmasse, ist den Insolvenzgläubigern zugewiesen, vgl. § 35 InsO. Sie dient ihrer gemeinschaftlichen Befriedigung. Dies bedeutet, dass die individuelle Rechtsverfolgung, wie sie außerhalb des Insolvenzverfahrens zulässig ist, den Insolvenzgläubigern verwehrt ist und durch ein besonderes Verfahren verdrängt wird, das auch dem Ausgleich der Gläubigerinteressen untereinander dient. Hierbei strebt die Insolvenzordnung grundsätzlich eine gleiche Befriedigung aller Insolvenzgläubiger an.
54Vgl. Henckel, in: Jaeger, InsO, § 38 Rdn. 3.
55Für die in § 54 InsO aufgeführten Kosten des Insolvenzverfahrens und die in § 55 InsO aufgezählten sonstigen Masseverbindlichkeiten enthält § 53 InsO eine hiervon abweichende Rechtsfolge. Denn deren Gläubiger werden „vorweg“, das heißt vor den Insolvenzgläubigern und unabhängig von dem Verlauf des Verteilungsverfahrens befriedigt.
56Vgl. Henckel, in: Jaeger, InsO, § 53 Rdn. 3.
57Die in § 53 InsO normierte Rechtsfolge führt regelmäßig dazu, dass die Massegläubiger – anders als die Insolvenzgläubiger – nicht nur anteilig, sondern voll befriedigt werden; sie stellt damit eine Durchbrechung des Grundsatzes der gleichmäßigen Befriedigung aller Gläubiger dar. Sinn und Zweck des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist es, die Handlungsfreiheit des Insolvenzverwalters im geschäftlichen Verkehr mit Dritten zu sichern und ihm zu ermöglichen, die hierfür erforderlichen Rechtsgeschäfte abzuschließen bzw. die hierfür erforderlichen Verwaltungsmaßnahmen vorzunehmen. Masseverbindlichkeiten sollen deshalb grundsätzlich nur im Rahmen von Geschäften entstehen, welche der Insolvenzverwalter mit dem Ziel abschließt, der Masse etwas zuzuführen.
58Vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. Mai 2010 – L 3 AL 3121/06 – m. w. N. –; zitiert nach juris.
59Das in § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO zum Ausdruck kommende Austausch- bzw. Gegenseitigkeitsprinzip ist im hiesigen Kontext allerdings mit den Wertentscheidungen des Gesetzgebers im Bereich des Steuer- und IHK-Beitragsrechts in Einklang zu bringen. Dieser geht in §§ 2 Abs. 1 IHKG, 2 Abs. 2 GewStG von dem Fortbestand der Beitragspflicht auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aus und setzt damit die insolvenzrechtliche Durchsetzbarkeit der in Rede stehenden Beitragsforderung gleichermaßen voraus. Indes bedingt diese gesetzgeberische Entscheidung wiederum die Einordnung der nach Insolvenzeröffnung entstandenen Beitragsforderung als Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 InsO, da ein gegen die Insolvenzschuldnerin selbst gerichteter Anspruch aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht durchsetzbar wäre. Da die aus der Mitgliedschaft zu den Industrie- und Handelskammern resultierende Beitragspflicht im Bereich der Kapitalgesellschaften nicht auf einer Geschäftstätigkeit des Insolvenzverwalters beruht, sondern allein auf der objektiven Gewerbesteuerpflicht der Insolvenzschuldnerin, entsteht auf den ersten Blick ein gewisser Widerspruch zu den beschriebenen insolvenzrechtlichen Grundsätzen. Jedoch knüpft die Mitgliedschaft in einer Industrie- und Handelskammer an die gewerbliche Tätigkeit an. Führt der Insolvenzverwalter im Eröffnungsverfahren oder im eröffneten Verfahren das Unternehmen fort oder setzt der Schuldner im Rahmen der Eigenverwaltung seine unternehmerische Tätigkeit fort, so handelt es sich um einen vermögensrechtlichen Anspruch gegen die Insolvenzmasse, der von dem Verwalter im Rang des § 55 InsO zu erfüllen ist.
60Vgl. Uhlenbruck, InsO, 13. Aufl. 2010, § 55 Rdn. 27.
61So verhält es sich hier. Die F. S. UG als Insolvenzschuldnerin ist aufgrund ihrer gewerblichen Tätigkeit nach wie vor Mitglied bei der Beklagten. Der Begriff der gewerblichen Tätigkeit ist rein objektiv zu bestimmen. Anders als bei den Personenhandelsgesellschaften setzt die „gewerbliche Tätigkeit“ der Kapitalgesellschaften keine werbende Tätigkeit voraus. Nach der Wertung des § 2 Abs. 2 GewStG sind sie vielmehr auch dann „gewerblich tätig“, wenn ihr Geschäftsgegenstand sich auf die Abwicklung und Verteilung der restlichen Vermögensmasse beschränkt. Die solchermaßen in § 2 Abs. 2 GewStG zum Ausdruck kommende Unterscheidung stellt eine grundlegende, über das Steuerrecht hinausgehende Unterscheidung dar, die im Rahmen des Insolvenzverfahrens nicht aufgehoben werden kann. Die erforderliche massebezogene Amtstätigkeit des Insolvenzverwalters in Gestalt seiner „gewerblichen Tätigkeit“ beschränkt sich daher nach Eröffnung des Verfahrens über das Vermögen einer Kapitalgesellschaft auf deren Abwicklung und Auflösung, die – wie bereits ausgeführt – hier noch nicht abgeschlossen ist.
62Die Beitragsforderung der Beklagten ist auch nach Eröffnung und damit innerhalb des von § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO erfassten Zeitraums entstanden.
63Wie die Frage des Entstehungszeitpunkts einer Forderung materiell-rechtlich zu bestimmen ist, ergibt sich aus den insolvenzrechtlichen Vorschriften nicht ohne Weiteres. Die finanzgerichtliche Rechtsprechung hat die Verortung von Steueransprüchen innerhalb des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO in zeitlicher Hinsicht von der Erfüllung des zugrundeliegenden Steuertatbestandes abhängig gemacht. Ob es sich bei einem Steueranspruch um eine Insolvenzforderung oder um eine Masseverbindlichkeit handelt, bestimmt sich demzufolge nach dem Zeitpunkt, zu dem der den Steueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Unerheblich ist demgegenüber der Zeitpunkt der Steuerentstehung. Welche Anforderungen im Einzelnen an die somit erforderliche Tatbestandsverwirklichung im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zu stellen sind, richtet sich nach den jeweiligen Vorschriften des Steuerrechts, nicht nach dem Insolvenzrecht. Bei der Abgrenzung zwischen Masseverbindlichkeit und Insolvenzforderung ist demnach wie folgt zu differenzieren: Kommt es zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, handelt es sich um eine Insolvenzforderung im Sinne des § 37 InsO. Wird der steuerliche Tatbestand erst nach Verfahrenseröffnung vollständig verwirklicht, liegt unter den Voraussetzungen des § 55 InsO eine Masseverbindlichkeit vor.
64Vgl. BFH, Urteil vom 29. August 2007 – IX R 4/07 –; Urteil vom 9. Dezember 2010 – V R 22/10 –; Thüringer Finanzgericht, Urteil vom 30. November 2011 – 3 K 581/09 –; zitiert nach juris.
65Für die im Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Vereins- oder Verbandsmitglieds durch Satzung begründete Pflicht zur Zahlung von Beiträgen können diese Grundsätze entsprechend herangezogen werden, soweit die Beiträge – wie hier, vgl. § 1 Abs. 1 BO – zu den öffentlichen Abgaben zählen. Denn in diesem Falle werden sie als hoheitlich geltend gemachte öffentlich-rechtliche Geldforderungen von allen erhoben, die einen normativ bestimmten Tatbestand erfüllen und zur Deckung des Finanzbedarfs des Hoheitsträgers für die Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben dienen und sind damit den Steuern ähnlich.
66Vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 19. Aufl. 2013, § 80 Rdn. 57 m. w. N.
67Für die insolvenzrechtliche Einordnung der Mitgliedsbeiträge zu den Industrie- und Handelskammern bedeutet dies: Die Frage des Entstehungszeitpunkts der in Rede stehenden Beitragsforderung und damit die Abgrenzung zwischen Insolvenzforderung und Masseverbindlichkeit beantwortet sich nach dem der Forderung zugrundeliegenden Satzungsrecht. Wird danach die Mitgliedschaft in dem jeweiligen Verband bzw. Verein nicht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beendet, besteht die Beitragspflicht fort, bis die Mitgliedschaft etwa durch Kündigung oder Ausschluss beendet ist. Die Beitragspflicht ist nicht schon mit der Satzung oder dem Beitritt des Mitglieds für alle Zeit begründet. Sie entsteht periodisch jeweils neu, kann deshalb Masseverbindlichkeit sein, wenn die Beitragsperiode nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens beginnt. Dabei besteht die Beitragspflicht unabhängig davon, ob der Insolvenzverwalter Leistungen des Vereins oder Verbandes in Anspruch nimmt.
68Vgl. Henckel, in: Jaeger, InsO, § 55 Rdn. 30; zur Beitragsforderung eines Genossenschaftsverbands vgl. OLG Köln, Beschluss vom 4. Mai 2012 – 5 U 227/11 –; LG Kassel, Urteil vom 31. Juli 2002– 4 O 246/02 –; zitiert nach juris.
69So liegt der Fall hier. Anders als im Steuerrecht, dessen Tatbestände sich – wie etwa im Umsatz- oder Einkommenssteuerrecht – auf verschiedene, zeitlich nachgelagerte Tatbestandsmerkmale erstreckt, deren vollständige Verwirklichung im Rahmen des § 55 Abs. 1 InsO jeweils gesondert zu überprüfen ist,
70vgl. Thüringer Finanzgericht, Urteil vom 30. November 2011 – 3 K 581/09 –; zitiert nach juris,
71ist die Fälligkeit der streitgegenständlichen Beitragsforderung der Beklagten und damit deren tatbestandliche Verwirklichung gemäß § 17 BO ausschließlich von dem Zugang des Beitragsbescheides abhängig. Die Beitragspflicht entsteht hierbei jährlich neu. Insoweit bestimmt § 3 Abs. 1 und 2 BO hinsichtlich des Beginns und des Endes der Beitragspflicht und damit des Umfangs der Beitragsperiode: „Die Beitragspflicht entsteht mit Beginn des Geschäftsjahres, erstmalig mit dem Beginn der IHK-Zugehörigkeit. Erhebungszeitraum für den Beitrag ist das Geschäftsjahr vom 1. Januar bis zum 31. Dezember.“ Dies zugrundegelegt, ist die streitbefangene Forderung erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und damit innerhalb des von § 55 Abs. 1 InsO erfassten Zeitraums entstanden. Der angegriffene Beitragsbescheid ist dem Kläger frühestens am 27. Mai 2014, mithin nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens, zugegangen. Erst zu diesem Zeitpunkt konnte die Beitragsforderung zur Entstehung gelangen. Infolgedessen handelt es sich bei diesem nicht um eine aufschiebend bedingte oder befristete Forderung im Sinne des § 38 InsO, die dem Grunde nach bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden war.
72Die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung ist zulässig, ohne den Einschränkungen der §§ 94 bis 96 InsO zu unterliegen, die nur für Insolvenzforderungen gelten. Denn die streitbefangene Beitragsforderung stellt keine Insolvenzforderung im Sinne des § 38 InsO dar, sondern eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 Halbsatz 2 InsO, die von der Beklagten ohne weiteres im Wege der Aufrechnung geltend gemacht werden kann.
73Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
74Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, 711 ZPO.
75Die Berufung war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, vgl. § 124a Abs. 1 Satz i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Insoweit haben die Beteiligten in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend erklärt, dass die hier streitige Auslegung des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO für eine Vielzahl von Verfahren entscheidungserhebliche Bedeutung haben wird.
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